Rechtsfragen rund um die Entgeldfortzahlung in der Pandemie

Henri Rehage*

A. Einleitung

Die Corona-Pandemie beschäftigt seit mehr als einem Jahr die Menschen, die Politik und die Wirtschaft weltweit. Millionen Deutsche wurden infiziert und mussten sich während des infektiösen Krankheitsverlaufs in Quarantäne begeben. Für viele Arbeitnehmer stellt sich die Frage, ob sie weiterhin Lohn erhalten, wenn sie ihren Arbeitsplatz nicht aufsuchen dürfen. Einige leiden unter den Symptomen von Covid-19 und können ohnehin nicht arbeiten. Andere dagegen sind symptomlos und fühlen sich gesund, dürfen wegen ihrer Ansteckungsgefahr jedoch nicht arbeiten. Corona trifft zudem die Unternehmen hart. Die Pandemie bedroht globale Lieferketten oder ganze Geschäftsmodelle wie Friseurbetriebe oder die Luftfahrt. Unweigerlich hat sie damit weitreichende Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Die Arbeitgeber können oder dürfen die Arbeitskraft oftmals nicht mehr sinnvoll oder gar nicht einsetzen. Politik und Verwaltung ordnen im Eiltempo Betriebseinschränkungen und Schließungen an. Auch hier stellen sich zahlreiche spannende und umstrittene Rechtsfragen.

Diese Arbeit wird sich mit dem Anspruch des Arbeitnehmers auf Lohnfortzahlung für verschiedene, in der Corona-Pandemie typische, Konstellationen und damit verbundene Rechtsfragen auseinandersetzen. Im ersten Teil werden Fallkonstellationen beleuchtet, in denen ein einzelner Arbeitnehmer betroffen ist. Dabei sind Fälle, in denen der Arbeitnehmer infiziert oder ansteckungsverdächtig ist, von solchen zu unterscheiden, in denen der Arbeitnehmer zwar gesund ist, aber die Leistung nicht erbringt. Im zweiten Teil stehen Fälle im Mittelpunkt, die den ganzen Betrieb betreffen.

B. Konstellationen, in denen ein einzelner Arbeitnehmer betroffen ist

I. Arbeitnehmer infiziert sich mit Corona oder es besteht ein Verdacht

Der Klassiker in der Pandemie: Der Arbeitnehmer infiziert sich mit dem Coronavirus, oder es besteht zumindest der Verdacht einer Infektion. Letztere Konstellation kam vor allem zu Anfang der Corona-Pandemie vor, als die Test-Möglichkeiten stark eingeschränkt waren.

1. Arbeitnehmer ist infiziert und gesund genug, die Tätigkeit zu erbringen

Viele Infizierte unterliegen nur einem symptomlosen oder sehr milden Krankheitsverlauf.1 Sie sind theoretisch noch in der Lage, ihre arbeitsvertraglich vorgeschriebene Tätigkeit etwa im Home Office zu erbringen. Sie sind aber aufgrund einer behördlich angeordneten Quarantäne (§ 30 IfSG) daran gehindert, den Arbeitsplatz aufzusuchen oder mit einem Tätigkeitsverbot belegt (§ 31 IfSG). Fraglich ist, was mit dem Vergütungsanspruch passiert.

a) Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit: § 3 EFZG

Naheliegend ist zunächst ein Anspruch des Arbeitnehmers nach § 3 EFZG.

aa) Krankheit

Eine Krankheit i.S.d. § 3 EFZG liegt vor, wenn der körperliche und geistige Zustand des Arbeitnehmers regelwidrig ist.2 Auch bei asymptomatischen Verläufen ist der Arbeitnehmer krank. Sein körperlicher Zustand weicht vom Regelzustand anderer gesunder Menschen gleichen Alters ab.3 Anderes gilt für ansteckungsverdächtige Arbeitnehmer. § 3 EFZG erfasst im Unterschied zu § 56 IfSG keine Krankheitsverdächtigen.4

bb) Arbeitsunfähigkeit

Umstritten ist aber, ob bei einem symptomlosen oder sehr milden Verlauf tatsächlich von einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit gesprochen werden kann. Voraussetzung dafür ist, dass der Beschäftigte die vertraglich geschuldete Tätigkeit objektiv nicht ausüben kann oder objektiv nicht ausüben sollte, weil die Heilung nach ärztlicher Prognose verhindert, verzögert oder verschlechtert wird, vgl. § 2 I AURL.5 Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit muss die alleinige Ursache des Leistungshindernisses sein.6 Ein symptomloser Verlauf stellt nur eine Ansteckungsgefahr für Dritte dar. Insbesondere besteht bei einem symptomlosen Verlauf auch nicht das Risiko einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Daraus folgert eine Ansicht in der Literatur, dass keine Arbeitsunfähigkeit i.S.d. § 3 I EFZG vorliegt.7 Eine andere Ansicht möchte die Arbeitsunfähigkeit bei symptomlosen Verläufen bejahen.8 Dem Arbeitnehmer sei auch ohne behördlich angeordnete Quarantäne nicht zumutbar, den Arbeitsplatz aufzusuchen und andere zu gefährden. Daraus folge die Arbeitsunfähigkeit.


*Der Autor ist Student an der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Laut Robert-Koch-Institut: Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19; Stand 26.11.2021; abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html.

2 Statt vieler BAG, 7. 12. 2005 – 5 AZR 228/05, juris, Rn. 35.

3 Noack, NZA 2021, 251, 252.

4 Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017, 1018; Schaub ArbR-HdB/Linck, § 98 Rn. 14.

5 Dazu auch BAG v. 23.1.2008 – 5 AZR 393/07, NZA 2008, 595 Rn. 19; Schmitt EFZG/Schmitt § 3 EFZG Rn. 67.

6 Statt vieler BAG, Urteil vom 28. Januar 2004 – 5 AZR 58/03 –, juris, Rn. 90; ErfK/Reinhard, § 3 EFZG Rn. 14.

7 Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1138; ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 690b; Düwell, BB 2020, 891, 892; Fischinger/Hengstberger, JA 2020, 561, 565.

8 Noack, NZA 2021, 251, 252; Klein, NJ 2020, 377, 379; NK-ArbR/Sievers, § 3 EFZG Rn. 36; wohl auch BAG, 26.04.1978 – 5 AZR 7/77, juris, Rn. 11.

Rehage, Rechtsfragen rund um die Entgeldfortzahlung in der Pandemie65

Letztere Ansicht ist abzulehnen. Es kommt nach der Definition der ghM in allen nicht-infektionsrechtlichen Fällen ausschließlich auf den Gesundheitszustand des erkrankten Arbeitnehmers und dessen Leistungsfähigkeit in Bezug auf die Tätigkeit an. Auch § 2 AURL stellt nur hierauf ab. Gründe, hiervon nur im Rahmen von Infektionskrankheiten abzuweichen, sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil: § 3 AURL stellt ausdrücklich klar, dass weder die Krankheit naher Familienangehöriger, noch ein zum Schutze der Allgemeinheit verhängtes infektionsbedingtes Beschäftigungsverbot die Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit rechtfertigt. Zudem resultiert die Unfähigkeit, die Arbeitsleistung zu erbringen, nicht aus der Infektion selbst, sondern der Quarantäne oder Isolation. Die Krankheit ist nicht kausal.9 Des Weiteren besteht bei vielen Tätigkeiten theoretisch die Möglichkeit, diese im Home Office oder unter Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz zu erbringen. Von einer Arbeitsunfähigkeit zu sprechen, ist daher grundsätzlich widersprüchlich.

Darüber hinaus kann bei einer symptomlosen Corona-Infektion keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt werden.10 Der Arbeitnehmer kann § 5 EFZG nicht erfüllen und der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung nach § 7 I Nr. 1 EFZG verweigern.11 Eine Arbeitsunfähigkeit bei symptomloser oder sehr milder Infektion scheidet mithin aus.

b) Annahmeverzug: § 615 S. 1 BGB

Als Rechtsgrundlage für die Lohnfortzahlung kommt auch § 615 S. 1 BGB in Betracht. Dieser setzt einen Annahmeverzug voraus (§§ 293 ff. BGB). Danach muss der Arbeitnehmer die Leistung tatsächlich anbieten (§ 294 BGB) und zu ihrer Erbringung in der Lage sein (§ 297 BGB). Ordnet die Behörde eine Quarantäne nach § 30 IfSG und ein Tätigkeitsverbot nach § 31 IfSG an, darf der Infizierte bzw. Infektionsverdächtige seinen Arbeitsplatz nicht aufsuchen. Der Beschäftigte ist nicht leistungsfähig, sodass kein Anspruch nach § 615 S. 1 BGB besteht.12

c) Persönliche Verhinderung: § 616 BGB

Im Betracht kommt auch eine Entgeltfortzahlung nach § 616 BGB wegen persönlichen Leistungshindernisses.

Erneut muss zwischen einer behördlichen Quarantäne und einer einseitigen Freistellung durch den Arbeitgeber differenziert werden.

aa) Behördliche Quarantäne oder Tätigkeitsverbot

§ 616 BGB fristete lange ein Schattendasein, erreichte im Zuge der Corona-Pandemie aber eine ungeahnte Renaissance. Tatbestandsvoraussetzung ist ein in der Person bedingtes Leistungshindernis, welches für eine verhältnismäßig nicht unerhebliche Zeit besteht. § 616 BGB ist dispositiv (e contrario § 619 BGB).13

(1) Leistungshindernis

Ein Leistungshindernis i.S.d. § 616 BGB liegt grundsätzlich vor, wenn die Leistung für den Arbeitnehmer tatsächlich oder rechtlich unmöglich ist, § 275 I BGB.14 Gleiches gilt für Fälle, in denen die Arbeitsleistung erbracht werden kann, aber unter Abwägung der Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitsnehmers unzumutbar für den Arbeitnehmer ist, § 275 III BGB. Die Quarantäneanordnung und das Tätigkeitsverbot führen dazu, dass der Arbeitnehmer den Arbeitsort nicht aufsuchen darf. Die Leistungserbringung ist rechtlich unmöglich i.S.d. § 275 I BGB.

(2) Personenbedingter Grund

Die Verhinderung muss in der Person des Arbeitnehmers liegen. Ausreichend ist, wenn der Grund den persönlichen Lebensumständen entspringt. Subjektive Leistungshindernisse müssen von objektiven abgegrenzt werden. Die Anzahl der Betroffenen ist dabei ein Indiz.

Als personenbedingter Grund kommt die Infektion des Arbeitnehmers in Betracht. Ein Teil der Literatur lehnt dies zu Unrecht in Fällen des bloßen Verdachts oder bei einer bestätigten Infektion mit dem Argument ab, in der Pandemie herrsche ein solch großes Infektionsrisiko, dass jedermann betroffen sei.15 Es liege ein objektiver Grund vor.

Die wohl hM möchte dennoch grundsätzlich einen persönlichen Hinderungsgrund bei Unmöglichkeit der Arbeitsleistung gem. § 275 I BGB wegen eines behördlichen Tätigkeitsverbots oder einer Quarantäne annehmen.16

Zunächst ist zu entscheiden, was gilt, wenn ein einzelner Arbeitnehmer oder eine klar abgrenzbare Gruppe von den Maßnahmen betroffen ist. Die hM, die einen personenbedingten Grund bejaht, verweist oftmals auf den BGH17. Dieser hatte im Fall von Salmonelleninfektion einen subjektiven Grund bejaht. Zwei Metzgergesellen schieden Salmonellen aus und wurden mit einem Tätigkeitsverbot nach dem damaligen § 40 I BSeuchG18 belegt. Die hier nicht vertretene Ansicht argumentiert, die Salmonelleninfektion sei ein auf den Einzelnen beschränktes Hindernis.19 Die Wahrscheinlichkeit, in der Corona-Pandemie zumindest infektionsverdächtig zu sein, sei dagegen so hoch, dass ein objektives Leistungshindernis vorliegt.20 Dies greift


9 Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1138; im Allgemeinen zur Monokausalität: ErfK/Reinhard, § 3 EFZG Rn. 14.

10 S. dazu Hinweise und Erläuterungen zur Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung; Stand 03.06.2020; abrufbar unter: https://www.kbv.de/html/1150_44889.php.

11 Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1138.

12 Klein, NJ 2020, 377, 378; BeckOK ArbR/Joussen, § 615 BGB Rn. 90.

13 Statt aller Staudinger/Oetker, § 616 Rn. 152.

14 Statt aller BeckOK ArbR/Joussen, § 616 BGB Rn. 16.

15 Klein, NJ 2020, 377, 378; Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017, 1018; Kühl, SPA 2020, 65, 66; ähnl. Kraayvanger/Schrader, NZA-RR 2020, 623, 626.

16 BeckOGK/Bieder, § 616 BGB Rn. 17; Staudinger/Oetker, § 616 BGB Rn. 75; MüKoBGB/Henssler, § 616 BGB Rn. 25; Fischinger/Hengstberger, JA 2020, 561, 565; von Steinau-Steinrück/Mosch, NJW-Spezial 2009, 578, 579; Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413, 415.

17 Dazu und im Folgenden BGH, 30. 11. 1978 – III ZR 43/77, NJW 1979, 422.

18 Heute § 56 I IfSG.

19 Klein, NJ 2020, 377, 378; Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017, 1018.

20 Ebd.

Rehage, Rechtsfragen rund um die Entgeldfortzahlung in der Pandemie66

zu kurz. Die Anzahl der vom Infektionsrisiko betroffenen Arbeitnehmer ist lediglich ein widerlegbares Indiz.21 Die Anordnung von Quarantäne in Form einer Allgemeinverfügung ist konkret-generell und richtet sich gegen bestimmte Personen22. Der Gefahrverdacht – bzw. im Falle einer erwiesenen Infektion die Gefahr – ist personenbezogen.23 Die Pandemie ist nur der objektive Auslöser.24 Der in der Person liegende Grund ist die Krankheit und die behördliche Maßnahme.25 Die Gegenansicht führt auch zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Wann ist die Wahrscheinlichkeit, infektionsverdächtig zu sein oder infiziert zu werden, zu hoch, um noch einen subjektiven Grund annehmen zu können? Es wäre kaum bestimmbar, wann und in welcher Region kein subjektives, sondern ein objektives Leistungshindernis vorliegt.26 Zudem besteht die Gefahr, dass sich die Einstufung bei schwankender Infektionsinzidenz mehrfach ändert. Ein gegenüber einem oder einer begrenzten Gruppe von Beschäftigten angeordnetes Tätigkeitsverbot bzw. Quarantäne ist nach alledem ein subjektiver Grund i.S.d. § 616 BGB.

Etwas anderes gilt, wenn eine ganze Berufsgruppe oder alle Arbeitnehmer eines Betriebes mit einem Tätigkeitsverbot belegt werden. Ersteres ist zum Beispiel der Fall, wenn allen Beschäftigten der Gastronomiebranche die Tätigkeit verboten wird. Hier knüpft die behördliche Maßnahme nicht an den einzelnen Arbeitnehmer an. Sie ist nicht personenbezogen.27

(3) Monokausalität

Der personenbedingte Grund muss zudem alleinige Ursache des Leistungshindernisses sein.28 Andere Gründe als die Quarantäne sind nicht ersichtlich.

(4) Nicht erhebliche Zeit

Ferner darf die Verhinderung nur für einen verhältnismäßig nicht erheblichen Zeitraum bestehen, § 616 BGB. Der Gesetzgeber hat die Norm bewusst mit diesem unbestimmten Rechtsbegriff versehen, um Einzelfallgerechtigkeit auf Kosten von Rechtssicherheit herzustellen.29 Welcher Zeitraum noch als verhältnismäßig unerheblicher Zeitraum i.S.d. § 616 BGB bezeichnet werden kann, ist eine der umstrittensten Rechtsfragen der Corona-Pandemie – insbesondere, ob eine Quarantäne von mindestens 14 Tagen30 unerheblich ist.

(a) Ansicht der Rechtsprechung

Welche Kriterien für einen verhältnismäßig nicht erheblichen Zeitraum heranzuziehen sind, ist bereits hochstrittig. Die Rechtsprechung und ein Teil der Literatur möchten auf das Verhältnis des Verhinderungszeitraums zur Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses, unter Berücksichtigung der bereits verstrichenen und noch zu erwartenden Dauer, abstellen.31 Kerngedanke ist die dem Arbeitgeber zumutbare Belastung (sog. belastungsbezogene Auslegung). Je länger das Arbeitsverhältnis besteht, desto länger ist die mögliche Verhinderungszeit. Als Richtwerte für die Unerheblichkeit werden oftmals bei Beschäftigungszeiten bis zu drei Monaten ein Tag, bei drei bis sechs Monaten drei Tage, bei sechs bis 12 Monaten eine Woche und ab einem Jahr maximal zwei Wochen angesehen.32 Das BAG nimmt an, dass zumindest mehr als sechs Wochen regelmäßig zu viel sind.33

(b) Herrschende Ansicht in der Literatur

Die h.Lit. möchte dagegen die Verhältnismäßigkeitsbestimmung nicht nur anhand dieser zwei Faktoren, sondern anhand aller Umstände des Einzelfalls vornehmen.34 Relevant ist dabei insbesondere das Leistungshindernis (sog. ereignisbezogene Auslegung).

(c) Stellungnahme

Fraglich ist, welche Ansicht maßgeblich sein soll. Gegen die belastungsbezogene Auslegung spricht grundsätzlich, dass sich dieses Kriterium dem Wortlaut des § 616 BGB nicht entnehmen lässt. Der offene Wortlaut spricht eher für eine Gesamtabwägung, wie sie die h.Lit. verlangt.

Hilfreich ist zudem ein Blick auf das Telos der Norm: Die bislang herrschende Meinung hat § 616 BGB als Ausprägung der personalen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers angesehen.35 Dieses Verständnis spräche für die belastungsbezogene Auslegung. Die Intensität der Fürsorgepflicht steige mit Dauer des Arbeitsverhältnisses an und somit auch die Zumutbarkeit für den Arbeit- bzw. Dienstgeber.36 Das Verständnis von § 616 BGB als Teil der Fürsorgepflicht ist aber überholt. § 616 BGB kann schon deshalb nicht als Ausformung des Fürsorgegedankens im Arbeitsrecht verstanden werden, weil die Norm auch reine Dienstverhältnisse betrifft. Zudem kann die Norm abbedungen werden. Dies ist widersprüchlich, soll sie doch vermeintlich eines der Grundprinzipien des Arbeitsrechts verkörpern.37 Eine sich im Vordringen befindliche Literarturansicht interpretiert die Norm zurecht als Ausprägung eines anderen


21 BAG, 8.9.1982, 5 AZR 283/80, NJW 1983, 1078, 1079; HWK/Krause, § 616 BGB Rn. 18; Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413, 415; Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1140.

22 Vgl. Kießling IfSG/Kießling, § 32 IfSG Rn. 9.

23 Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413, 415; Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1140; vgl. LG Düsseldorf, 18.5.1966 – 11 b S 43/66, juris, zum BseuchG.

24 Vgl. zur Differenzierung MüKoBGB/Henssler, § 616 BGB Rn. 42.

25 Temming in Kluckert, Das neue Infektionsschutzrecht (Kluckert), § 16 Rn. 14; Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1140.

26 Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1138.

27 Grimm, DB 2020, 1177, 1179; Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413, 415.

28 Statt aller BAG, 6.12.1995 – 5 AZR 237/94, NZA 1996, 640, 641 zu § 616 II BGB aF.

29 Vgl. BT-Drs. 14/6857, 48.

30 Für Hamburg: Stadt Hamburg, Fragen und Antworten Corona; Stand 18.04.2021; abrufbar unter https://www.hamburg.de/faq-corona-gesundheit/\#14762800_14762726.

31 BAG, 17. 12. 1959 – GS 2/59, NJW 1960, 738, 739; BeckOGK/Bieder § 616 BGB Rn 35; Erman/Riesenhuber, § 616 BGB Rn. 50; Löwisch, DB 1979, 209, 210.

32 HWK/Krause, § 616 BGB Rn 40; Erman/Riesenhuber, § 616 BGB Rn. 51.

33 BAG, 20.7.1977 – 5 AZR 325/76, juris, Rn. 12.

34 Staudinger/Oetker, § 616 BGB Rn. 97; MüKoBGB/Henssler, § 616 BGB Rn. 68; ErfK/Preis, § 616 BGB Rn. 10a; Bauer/Opolny, NJW 2002, 3503, 3507.

35 BAG, 6.9.1989 – 5 AZR 621/88, NZA 1990, 142, 143; BeckOGK/Bieder, § 616 BGB, Rn. 4; NK-ArbR/Boecken, § 616 BGB Rn. 2; Erman/Riesenhuber, § 616 BGB Rn. 2.

36 Vgl. BeckOK ArbR/Joussen, § 616 BGB Rn. 46.

37 Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413, 415.

Rehage, Rechtsfragen rund um die Entgeldfortzahlung in der Pandemie67

Rechtsgedankens: Bei unerheblichen Leistungsdefiziten soll der Anspruch auf die Gegenleistung, also die Vergütung, ungekürzt bleiben (de minimis non curat praetor).38 Nach § 616 BGB soll ein Dienstberechtigter kurze personenbedingte Leistungshindernisse von vornherein „einpreisen“ müssen, da mit ihnen bei personennahen Schuldverträgen gerechnet werden muss.39 Zweck der Norm ist daher, dass geringfügige personenbedingte Verhinderungen die Kontinuität der Entgeltzahlung nicht beeinträchtigen sollen. Dafür muss auf das Leistungshindernis selbst abgestellt werden, was für eine ereignisbezogene Auslegung spricht.40

Die Ansicht der Rechtsprechung widerspricht daher Wortlaut und Telos des § 616 BGB. Die Dauer des Arbeitsverhältnisses ist kein geeigneter Maßstab. Was eine noch unerhebliche Zeit ist, muss mit der h.Lit. anhand des Leistungshindernisses, hier der Corona-Infektion, bestimmt werden.

(d) 14 Tage noch unerheblich?

Entscheidend ist, ob 14 Tage Quarantäne unerheblich sind.

Es könnten zwar eine Vielzahl von Normen als systematischer Vergleich herangezogen werden, z.B. § 45 I, II SGB V (10 Tage)41, § 44a SGB XI (10 Tage), § 2 I PflegeZG (10 Tage)42 ; diesen Normen liegt aber eine andere gesetzliche Wertung zugrunde: Der Arbeitgeber soll dem Arbeitnehmer Zeit für die Pflege von Angehörigen gewähren, aber nicht durch Entgeltfortzahlung doppelt belastet werden.43 Zudem wollte der Gesetzgeber mit diesen Normen nicht den Entgeltfortzahlungsanspruch für § 616 BGB festlegen.44 Auch § 3 EFZG kann nicht herangezogen werden.45 Die Norm durchbricht allgemeine Prinzipien des Schuldrechts und nimmt den Arbeitgeber für Zwecke des Sozialstaats in die Pflicht – insbesondere die Entlastung der Krankenkasse.46

Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber dem Arbeitgeber das Lohnrisiko bei infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen zuordnen wollte, bestehen nicht. Im Gegenteil: Der Gesetzgeber hat mit § 56 IfSG eine Norm eingeführt, die explizit Lohnausfälle durch Quarantäne oder Tätigkeitsverbote ausgleicht. Sie soll Ausscheider und Ansteckungsverdächtige den nach den Vorgängernormen des § 3 EFZG entlohnten Kranken lohnfortzahlungstechnisch gleichstellen.47 Wäre der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass die für Infektionsschutzmaßnahmen typischen längeren Zeiträume bereits von § 616 BGB erfasst sind, hätte es § 56 IfSG nicht gebraucht.48 Gegen 14 Tage als noch unerhebliche Zeit spricht auch das genannte Telos des § 616 BGB. Kurze Zeiträume von wenigen Tagen kann der Dienst- bzw. Arbeitgeber einkalkulieren, aber längere Zeiträume nicht. Gemeinhin werden daher fünf Tage als noch unerheblich erachtet.49 Man könnte zwar argumentieren, ein Arbeitgeber müsse oftmals nach § 3 EFZG Entgeltfortzahlung leisten und dementsprechend mit bis zu sechs Wochen rechnen. § 616 BGB trifft aber auch Dienstverpflichte, die nicht nach § 3 EFZG entgeltfortzahlungspflichtig sind50. Zudem können kleine Betriebe über § 1 I Nr. 1 AAG die Kosten durch Entgeltfortzahlung nach § 3 EFZG i.H.v. 80 % erstattet bekommen. Für Kosten durch § 616 BGB gilt dies nicht.51 Ein weites Verständnis des § 616 BGB würde kleine Betriebe benachteiligen.

Im Ergebnis sind daher Quarantänezeiten von 14 Tagen nicht von § 616 BGB erfasst. Es besteht aber auch für die „unerheblichen“ ersten fünf Tage kein Teilanspruch.52 Das Merkmal „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ ist ein Tatbestandsmerkmal des § 616 BGB und keine Höchstgrenze auf Rechtsfolgenseite wie z.B. bei § 3 I 1 EFZG53.

d) Staatliche Entschädigung: § 56 I IfSG

Wird der Arbeitnehmer nach §§ 30, 31 IfSG mit einem Tätigkeitsverbot und Quarantäne belegt, kommt grundsätzlich auch ein Anspruch nach § 56 I IfSG in Betracht. Die Norm soll durch diese Maßnahmen entstandene Verdienstausfälle entschädigen.

aa) Kranker als Adressat der Maßnahmen

Ein erstes Hindernis liegt darin, dass § 56 I IfSG nur Ausscheider, Ansteckungsverdächtige und Krankheitsverdächtige adressiert. Beim Verdacht, der Arbeitnehmer sei infiziert, besteht kein Problem. Anders verhält es sich bei einer bestätigten Infektion: Covid-19 ist eine übertragbare Krankheit i.S.d. § 2 Nr. 3 IfSG.54 Wer (symptomlos) an Corona erkrankt, ist daher Kranker i.S.d. § 2 Nr. 4 IfSG. Kranke sind aber vom Wortlaut des § 56 I IfSG grundsätzlich nicht umfasst.55 Dieser Aspekt wird z.T. in der Literatur übersehen und § 56 I IfSG auch für Kranke angewandt.56

Zunächst ist zu klären, ob überhaupt Bedarf besteht, Kranke über § 56 I IfSG zu entschädigen. Bereits in § 49 BSeuchG waren Kranke ausgeschlossen, sodass ein Versehen des


38 HWK/Krause, § 616 BGB Rn. 1.; BeckOK ArbR/Joussen, § 616 BGB Rn. 3; AR/Kamanabrou, § 616 BGB Rn. 2.

39 Vgl. Staudinger/Oetker, § 616 BGB Rn. 17; Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413. 415 f.

40 Vgl. HWK/Krause, § 616 BGB, Rn. 41.

41 Dafür Schaub ArbR-HdB/Linck, § 97 Rn. 18; aA BeckOK ArbR/Joussen, § 616 BGB Rn. 48.

42 Dafür ErfK/Gallner § 2 PflegeZG Rn. 4; Joussen, NZA 2009, 69, 71; Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1141 aA MüKoBGB/Henssler, § 616 BGB Rn. 68.

43 Vgl. MüKoBGB/Henssler, § 616 BGB Rn. 68.

44 Ebd.

45 Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413, 416; Schaub ArbR-HdB/Linck, § 97. Rn. 18; aA BGH, 30. 11. 1978 – III ZR 43/77, NJW 1979, 422, 425; Eufinger, DB 2020, 1121, 1123.

46 Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413, 416; MüKoBGB/Müller-Glöge, § 3 EFZG Rn. 2.

47 BT-Drs. 3/1888 S. 27 zur Vorgängernorm § 48 BSeuchG; BT-Drs. 14/2530 S. 88 zu § 56 IfSG.

48 ErfK/Preis, § 616 BGB Rn. 10; Preis/Mazurek/Schmid; NZA 2020, 1137, 1141.

49 Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413, 416; Kluckert/Temming § 16 Rn. 14; Kolbe, BB 2009, 1414, 1416; Fuhlrott/Fischer, NZA 2020, 345, 348; Noack, NZA 2021, 251, 253.

50 Staudinger/Oetker § 616 BGB Rn 103; Schaub, AuA 1996, 82, 82; Haase, GmbHR 2005, 1260, 1266 f.; Erman/Riesenhuber, § 616 BGB, Rn. 53 aA wohl ErfK/Preis, § 616 BGB, Rn 10a, der die sechs-Wochen-Frist auch im reinen Dienstverhältnis anwenden möchte.

51 SG Berlin, 25.4.1980, S 75 Kr 345/79, juris, Leitsatz; SG Marburg, 9.3.1993 – S-6/Kr-496/92, juris, Leitsatz.

52 Statt vieler MüKoBGB/Henssler, § 616 BGB Rn. 69.

53 Vgl. NK-ArbR/Sievers, § 3 EFZG Rn. 110.

54 Statt vieler OVG Lüneburg, 09.06.2020 – 13 MN 211/20, juris, Rn. 21.

55 BeckOK InfSchR/Eckart/Kruse, § 56 IfSG Rn. 27.

56 Vgl. Dehmel/Hartmann, BB 2020, 885, 891; Düwell, BB 2020, 891, 892 f.

Rehage, Rechtsfragen rund um die Entgeldfortzahlung in der Pandemie68

Gesetzgebers bei der Konzeption des § 56 IfSG als Nachfolgenorm grundsätzlich fernliegt. Der Gesetzgeber wollte Kranke, die ohnehin bereits nach § 3 EFZG bzw. seinen Vorgängernormen entlohnt werden, nicht nach Infektionsschutzrecht entschädigen.57 § 56 IfSG soll vielmehr Krankheitsverdächtige etc. den Kranken gleichstellen.58 Dies ist gegenüber arbeitsunfähigen Kranken nachvollziehbar.59 Wer dagegen krank und arbeitsfähig ist, wie es bei symptomlosen und milden Covid-Verläufen der Fall ist,60 wird schlechter gestellt als ein Krankheitsverdächtiger. Ein Corona-Test macht den Unterschied. Dies ist unbillig61 und entspricht nicht der gesetzgeberischen Konzeption. Auf die Möglichkeit und Folgen einer Arbeitsfähigkeit trotz Krankheit geht die Gesetzesbegründung nicht ein. Der Gesetzgeber hat diese Fälle übersehen bzw. übersehen, dass Betroffene nicht geschützt sind.

Eine vertretene Lösungsmöglichkeit ist der allgemeine Aufopferungsanspruch, der von der Rechtsprechung aus §§ 74, 75 der Einleitung zum Preußischen Allgemeinen Landrecht hergeleitet wird.62 Eine andere Lösung könnte die analoge Anwendung des § 56 I IfSG auf arbeitsfähige Kranke i.S.d. § 2 Nr. 4 IfSG sein.63

Der Allgemeine Aufopferungsanspruch kommt als Lösung schon deshalb nicht in Betracht, weil dieser nach ständiger Rechtsprechung auf nichtvermögenswerte Rechte beschränkt ist – deshalb nur Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Ehre.64 Die Rechtsprechung ist freilich umstritten, soll im Rahmen dieser Arbeit aber nicht diskutiert werden. Eine Entschädigung wegen Lohnausfalls nach dem allgemeinen Aufopferungsanspruch kommt nicht in Betracht.65

Vorzugswürdig ist eine analoge Anwendung des § 56 I IfSG. Durch die Beschränkung werden Kranke ungerechtfertigt schlechter gestellt. Da der Wortlaut des § 56 I IfSG aber keine Kranken umfasst, kommt allenfalls eine analoge Anwendung in Betracht. Dazu darf der vorliegende Fall vom Gesetz nicht geregelt sein, ohne dass dies der Gesetzgeber so wollte.66 Zudem muss auch eine vergleichbare Interessenlage zwischen arbeitsfähigen und -unfähigen Kranken vorliegen. Eine Regelungslücke liegt wie dargelegt bei arbeitsfähigen Kranken vor, da für sie kein Entschädigungs- bzw. Lohnfortzahlungsanspruch besteht. Diese Lücke war auch planwidrig, da der Gesetzgeber mit § 56 I IfSG bzw. § 48 BSeuchG Krankheitsverdächtige den Kranken gleich und nicht besserstellen wollte. Letztlich ist auch die Interessenlage vergleichbar. Ob der Arbeitnehmer infiziert oder infektionsverdächtig ist, macht keinen Unterschied. In beiden Fällen wird er abgesondert, mit einem Tätigkeitsverbot belegt und erhält keinen Lohn. Ist er nur verdächtig, wird er entschädigt, ist die Infektion nachgewiesen, erhält er weder Lohn noch Entschädigung.

§ 56 I IfSG ist auf arbeitsfähige Kranke analog anzuwenden, sofern sie von behördlichen Maßnahmen betroffen sind.

bb) Verdienstausfall

Daneben müsste ein Verdienstausfall vorliegen. Es darf nach umstrittener h.M. kein Anspruch nach § 3 EFZG, § 615 BGB oder § 616 BGB bestehen.67 Im Fall behördlicher Maßnahmen hat der Arbeitnehmer wie gezeigt keinen Anspruch nach diesen Normen.

cc) Unzumutbarkeit

Der Anspruch aus § 56 I 1 IfSG scheitert, wenn eine unvermeidbare Reise in ein Risikogebiet unternommen wird oder eine öffentlich empfohlene mögliche Schutzimpfung unterlassen wird, § 56 I 3 IfSG.

dd) Rechtsfolgen

Gem. § 56 II IfSG hat der Arbeitnehmer in den ersten sechs Wochen wie bei § 3 EFZG Anspruch auf Entschädigung in Höhe des vollen Netto-Arbeitsentgelts. Bei einem teilweisen Verdienstausfall besteht ein Teilanspruch.68 Der Arbeitnehmer kann die Auszahlung unmittelbar vom Arbeitgeber verlangen (§ 56 V 1 IfSG). Dieser kann dann innerhalb von 24 Monaten ab Beginn des Verdienstausfalls bei der zuständigen Behörde Erstattung verlangen (§ 56 V 3, XI 1 IfSG). Wie bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall erhält der Arbeitnehmer ab Woche sieben nur noch 67 % der eigentlichen Vergütung und maximal 2016 € im Monat, § 56 II 3 IfSG.

e) Zwischenergebnis

Der Arbeitnehmer hat im Fall einer Quarantäne oder eines Tätigkeitsverbots einen Anspruch nach § 56 I IfSG.

2. Arbeitnehmer ist infiziert und nicht gesund genug, die Tätigkeit zu erbringen

a) § 3 EFZG

Einige Infizierte leiden auch an Symptomen von Covid-19 und sind objektiv nicht in der Lage, ihre arbeitsvertragliche Tätigkeit zu erbringen. Es liegt eine Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit vor.

aa) Verschulden

Denkbar ist aber, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet hat. Hierbei ist allein ein „Verschulden


57 BT-Drs. 3/1888, 27 noch zu § 48 BSeuchG.

58 Ebd.

59 Gerhardt IfSG/Gerhardt, § 56 IfSG Rn. 4; Kluckert/Bachmann/Rung, § 15 Rn. 20; vgl. Stöß/Putzer, NJW 2020, 1465, 1466.

60 Siehe dazu B. I. 1. a) bb).

61 Kluckert/Bachmann/Rung, § 15 Rn. 21; Gerhardt IfSG/Gerhardt, § 56 IfSG Rn. 5.

62 Gerhardt IfSG/Gerhardt, § 56 IfSG Rn. 5.

63 So wohl Kluckert/Bachmann/Rung, § 15 Rn. 21.

64 Statt aller BGH, 27.05.1993 – III ZR 142/92.

65 Vgl. Kießling IfSG/Kümper, § 56 IfSG Rn. 10; BeckOK InfSchR/Eckart/Kruse, § 56 IfSG Rn. 271.

66 Zu den Voraussetzungen einer Analogie: BGH, 14.12.2016 – VIII ZR 232/15, juris, Rn. 33; Luther, Jura 2013, 449, 450 ff.

67 Gerhardt IfSG/Gerhardt, § 56 IfSG Rn. 10; BeckOK InfSchR/Eckart/Kruse, § 56 IfSG Rn. 37; Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1139 aA Sievers, jM 2020, 189, 197; MHdB ArbR/Greiner, § 80 Rn. 41.

68 BeckOK InfSchR/Eckart/Kruse, § 56 IfSG Rn. 35.

Rehage, Rechtsfragen rund um die Entgeldfortzahlung in der Pandemie69

gegen sich selbst“ maßgeblich. Das BAG definiert Verschulden i.S.d. § 3 EFZG sehr restriktiv als einen gröblichen Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten.69 Nur grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz kommen in Betracht.70 Wer eine Corona-Party besucht, verstößt in der Regel grob gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Gesundheitsinteresse zu erwartende Verhalten.71 Dann liegt ein Verschulden vor.

In der Regel begeht kein Verschulden, wer lediglich in ein ausländisches Risikogebiet fliegt. Verschulden wird man nur annehmen können, wenn das generelle Infektionsrisiko vor Ort signifikant höher ist als in Deutschland.72 Andernfalls setzt sich der Arbeitnehmer keiner höheren Gefahr durch die Reise aus und es verwirklicht sich bei einer Infektion lediglich das allgemeine Lebensrisiko.73

Stimmen in der Literatur möchten zudem ein Verschulden annehmen, wenn der Arbeitnehmer sich nicht hat impfen lassen.74 Zum einen ist die Kausalität fraglich. Kein Impfstoff verhindert eine Infektion zu 100 %.75 Zum anderen besteht bislang weder eine gesetzliche Pflicht zur Impfung, noch enthält § 3 EFZG einen Anspruchsausschluss bei fehlender Impfung wie § 56 I 3 IfSG. Der Gesetzgeber hat diesen S. 3 erst im November 2020 ergänzt. Bei § 3 EFZG ist trotz Möglichkeit keine Änderung erfolgt. Ein Verschulden wegen fehlender Schutzimpfung gibt es nicht.76

bb) Monokausalität

§ 3 EFZG setzt daneben voraus, dass die Erkrankung monokausal für die Arbeitsunfähigkeit ist.77 Ist der Arbeitnehmer nebenbei von einer Quarantäne oder einem Beschäftigungsverbot betroffen, ist er auch danach arbeitsunfähig. § 56 I IfSG verlangt aber ebenfalls eine Monokausalität. Hier droht eine Schutzlücke.78 Zur Lösung dieses Problems siehe so gleich unter B. I. 2. c).

Ein arbeitsunfähiger Arbeitnehmer hat grundsätzlich einen Anspruch aus § 3 EFZG, sofern nicht § 56 I IfSG vorrangig greift.

b) §§ 615 S. 1 und 616 BGB

Ansprüche des Arbeitnehmers nach § 615 S. 1 BGB kommen nicht in Betracht, denn die Leistung ist unmöglich i.S.d. § 275 I BGB. Ansprüche nach § 616 BGB bestehen ohnehin nur für wenige Tage und treten gegenüber § 3 EFZG (lex specialis) nach ghM zurück.79

c) § 56 I IfSG

Erkrankt der Arbeitnehmer an Corona wird auch die Gesundheitsbehörde zeitnah tätig und ordnet eine Quarantäne und ein Tätigkeitsverbot an. In solchen Fällen, in denen Maßnahme und Arbeitsunfähigkeit gleichzeitig zusammenfallen, droht wie dargelegt eine Schutzlücke. Um dies zu vermeiden, muss entweder § 3 EFZG oder § 56 I IfSG vorrangig sein.

Getreu dem Wortlaut des § 56 I IfSG könnte man hier mit einer Ansicht einen Vorrang des § 3 EFZG annehmen.80 § 56 I IfSG setzt einen Verdienstausfall voraus. Der Arbeitnehmer erhält seinen Verdienst aber schon nach § 3 EFZG. § 56 I IfSG wäre schon tatbestandlich nicht erfüllt.

Die wohl herrschende Ansicht möchte trotzdem den Staat über § 56 I IfSG in die Pflicht nehmen.81 Die Quarantäne sei aufgrund ihrer öffentlich-rechtlichen Zwangswirkung der vorrangige Hinderungsgrund. Die Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit und die Pflicht des Arbeitgebers aus § 3 EFZG trete zurück. Die damit verbundene Entlastung des Arbeitgebers sei im Interesse des Infektionsschutzes sachgerecht. Für einen Vorrang von § 3 EFZG lässt sich anführen, dass der Infektionsschutz im gesamtgesellschaftlichen Interesse ist und eine Entlastung der Arbeitgeber daher grundsätzlich angemessen ist.

Angesichts des Wortlauts kann die h.M. aber nicht überzeugen. § 56 IfSG erfasst wie bereits dargelegt keine Kranken, die schon nach anderen Vorschriften Lohnfortzahlung bekommen. Schon deshalb besteht kein Anspruch nach § 56 I IfSG für arbeitsunfähige Arbeitnehmer. Auch das Tatbestandsmerkmal „Verdienstausfall“ lässt sich weit interpretieren: Es erfasst neben dem eigentlichen Lohn auch „Verdienst“ durch andere Lohnansprüche, wie die Mindermeinung korrekt feststellt.82 Der Entgeltanspruch des § 3 I EFZG ist Teil des „Verdiensts“. Dafür spricht auch der Zweck des § 56 I IfSG. Der Gesetzesbegründung zufolge soll § 48 BSeuchG und nun auch § 56 IfSG eine Billigkeitsregelung sein, die einer gewissen Sicherung der von einem Berufsverbot Betroffenen vor materieller Not dienen soll.83 Wer bereits Lohnfortzahlung wegen § 3 EFZG erhält, leidet keine materielle Not.84 Zweck des § 56 I IfSG ist nicht die Entlastung der Arbeitgeber bei hoheitlichen Maßnahmen.85 § 3 EFZG soll Arbeitgebern bewusst das Risiko krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des Arbeit-


69 Statt vieler BAG 18.3.2015, NJW 2015, 2444, 2445 Rn 15.

70 Hofmann, ZfA 1979, 275, 288 ff.; MüKoBGB/Henssler, § 616 BGB Rn. 64.

71 Düwell, BB 2020, 891, 893; vom Stein/Rothe/Schlegel/Krieger § 8 Rn. 12.

72 Benkert, NJW-Spezial 2020, 306, 306; Fuhlrott/Fischer NZA 2020, 345, 347; Müller in Helm/Bundschuh/Wulff, Arbeitsrechtliche Beratungspraxis in Krisenzeiten, § 2 Rn. 4 aA Sagan/Brockfeld, NJW 2020, 1112, 1113; Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017, 1018; Steinau-Steinrück/Mosch:, NJW-Spezial 2009, 578, 578, die alle bei unvermeidbaren Reisen immer Verschulden annehmen wollen.

73 Benkert, NJW-Spezial 2020, 306, 306; Fuhlrott/Fischer NZA 2020, 345

74 Krainbring, NZA 2021, 247, 248 f.

75 Zur Effektivität der Impfstoffe: Robert-Koch-Institut, COVID-19 und Impfen: Antworten auf häufig gestellte Fragen; Stand 26.01.2022; abrufbar unter https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/gesamt.html

76 Naber/Schulte, NZA 2021, 81, 85 f. aA Krainbring, NZA 2021, 247, 248 f.

77 Statt vieler ErfK/Reinhard, § 3 EFZG Rn. 14.

78 MHdB ArbR/Greiner, § 80 Rn. 41; Grimm, DB 2020, 1177, 1178.

79 Statt vieler BeckOK ArbR/Joussen, § 616 BGB Rn. 10; MüKoBGB/Henssler, § 616 BGB Rn. 1.

80 Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413, 416; Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1139; ErfK/Reinhard, § 3 EFZG Rn. 19.

81 MHdB ArbR/Greiner, § 80 Rn. 21, 41 („lex specialis“); Sagan/Brockfeld, NJW 2020, 1112, 1113; Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017, 1018; Müller/Becker, COVuR 2020, 126, 128; wohl auch MüKoBGB/Müller-Glöge, § 3 EFZG Rn. 10.

82 Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1139.

83 BT-Drs. 3/1888, 27.

84 Vgl. BGH, 1.2.1979 – III ZR 88/77, NJW 1979, 1460, 1460.

85 Müller/Becker, COVuR 2020, 126, 127; Stöß/Putzer, NJW 2020, 1465, 1467; Geulen/Sothmann ArbRAktuell 2020, 217, 217; aA MüKoBGB/Müller-Glöge, § 3 EFZG Rn. 10; Eufinger, DB 2020, 1121, 1123.

Rehage, Rechtsfragen rund um die Entgeldfortzahlung in der Pandemie70

nehmers zur Entlastung der Krankenkassen übertragen. Bei größeren Arbeitgebern ist das Teil des unternehmerischen Risikos, bei kleineren besteht zur Entlastung die Erstattung nach § 1 I Nr. 1 AAG.

Der Mindermeinung ist zuzustimmen. Ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer hat einen Anspruch aus § 3 EFZG und nicht § 56 I IfSG, auch wenn infektionsschutzrechtliche Maßnahmen angeordnet wurden.

II. Arbeitnehmer ist gesund

Abseits des „Klassikers“ des erkrankten Arbeitnehmers gibt es auch verschiedene Konstellationen, in denen ein gesunder Beschäftigter seine Arbeitsleistung nicht erbringen kann oder will. Auch hierbei stellen sich zahlreiche Rechtsfragen.

1. Arbeitnehmer traut sich nicht zur Arbeit

Denkbar sind Fälle, in denen der Arbeitnehmer wegen der höheren Ansteckungsgefahr im ÖPNV und am Arbeitsplatz nicht zur Arbeit kommen möchte. Dabei ist zu unterscheiden, ob die Tätigkeit im Home Office erbracht werden kann.

a) Tätigkeit im Home Office nicht möglich

Grundsätzlich bestehen auch in der Corona-Pandemie die reguläre Arbeitspflicht und das Prinzip „Ohne Arbeit kein Lohn“. Fraglich ist zunächst, ob überhaupt ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers besteht. In Betracht kommt hier § 275 III BGB, wenn sie ihm nach Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann. Bei ansteckenden Krankheiten muss die Ausübung der Tätigkeit mit einer objektiv erheblichen persönlichen Gefahr für die Gesundheit verbunden sein und über das allgemeine Ansteckungsrisiko hinausgehen.86 Diese erhebliche persönliche Gefahr besteht angesichts von verpflichtenden Schutzmasken und gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsschutzmaßnahmen weder auf dem Weg zur Arbeit noch im Büro selbst.87 Im Ansteckungsrisiko verwirklicht sich lediglich das allgemeine Lebensrisiko.88 Der Arbeitnehmer ist daher nicht nur zur Arbeit verpflichtet, sondern hat auch keinen Lohnanspruch, wenn er nicht zur Arbeit kommt.

Etwas anderes gilt, wenn der Arbeitnehmer zur Risikogruppe zählt. Dann sind die Folgen einer Infektion so gravierend, dass trotz geringem Infektionsrisiko die Interessen des Arbeitgebers zurücktreten. Der Arbeitnehmer hat ein Zurückbehaltungsrecht aus § 275 III BGB.89 Als Rechtsgrundlage der Entgeltfortzahlung kommt § 616 BGB in Betracht. Der personenbedingte Grund ist die persönliche Situation des Beschäftigten, die zu seinem Risikostatus führt – etwa weil er vorerkrankt oder älter als 60 Jahre alt ist.90 Der Anspruch nach § 616 BGB besteht aber in der Regel nur für bis zu fünf Tage. Ein Anspruch nach § 615 S. 1 BGB kommt mangels Annahmeverzugs nicht in Betracht.

b) Tätigkeit im Home Office möglich

Wenn die Tätigkeit im Home Office möglich ist und der Arbeitgeber dies ablehnt, kommt eine Lohnfortzahlung nach § 615 S. 1 BGB in Betracht. Dafür müsste der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Home Office haben, d.h. einen Anspruch aus § 313 I BGB gegen den Arbeitgeber auf Zustimmung zur Anpassung des Arbeitsvertrages. Im Allgemeinen bestimmt der Arbeitgeber den Arbeitsort nach § 106 S. 1 GewO. In der Pandemie herrschen aber außergewöhnliche Umstände, sodass der Arbeitgeber aufgrund seiner Rücksichtnahmepflicht aus § 241 II BGB verpflichtet sein kann, dem Arbeitnehmer Home Office zu ermöglichen. Es kommt auf den Einzelfall an. Abzuwägen sind insbesondere der (Mehr-)Aufwand des Arbeitgebers vor allem in Form von Ausstattungskosten und die Nachteile einer Arbeit am eigentlichen Arbeitsplatz für den Arbeitnehmer. Gehört der Arbeitnehmer einer Risikogruppe an, wird man einen Anspruch des Arbeitnehmers bejahen müssen, sofern keine gewichtigen Interessen des Arbeitgebers dagegensprechen.91 Im Grundsatz gilt aber, dass der Arbeitnehmer keinen Anspruch hat. Er erhält keinen Lohn, wenn er trotz Möglichkeit nicht am Arbeitsplatz erscheint.

c) Sonderfall: Arbeitgeber erfüllt Arbeitsschutzvorschriften nicht

Erfüllt der Arbeitgeber Arbeitsschutzvorschriften für den Arbeitsplatz nicht, ist anerkannt, dass der Arbeitnehmer ein Zurückbehaltungsrecht aus § 275 I BGB hat.92 Der Arbeitgeber kommt seiner aus § 618 BGB folgenden Schutzpflicht nicht nach. Bietet der Arbeitnehmer seine Leistung unter der Bedingung an, dass der Arbeitgeber einen arbeitsschutzkonformen Zustand herstellt, gerät der Arbeitgeber in Annahmeverzug und ist nach § 615 S. 1 BGB zur Entgeltzahlung verpflichtet.93

2. Arbeitnehmer muss ein Kind betreuen

Viele Arbeitnehmer können ihrer Tätigkeit auch nicht nachgehen, weil sie ein Kind betreuen müssen.

a) Kind ist selbst erkrankt

Ist das Kind selbst erkrankt und keine 12 Jahre alt oder behindert und hilfsbedürftig, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf unbezahlte Freistellung nach § 45 III 1 SGB V, „soweit


86 Stück, MDR 2009, 1209, 1211; Stück/Wein, AuA 2007, 282, 285; HWK/Thüsing, § 611a BGB, Rn. 550.

87 Berger-Delhey ZTR 2009, 472, 472; Falter, BB 2009, 1974, 1980.

88 Dehmel/Hartmann, BB 2020, 885, 886; Schaer, MDR 2020, R5, R6.

89 Dehmel/Hartmann, BB 2020, 885, 886; Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017, 1019.

90 Vgl. Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19; Stand 26.11.2021; https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html;jsessionid=A1106DF56A761794734627B081D0D1A7.internet101?nn=13490888\#doc13776792bodyText15.

91 Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017, 1018; Dehmel/Hartmann, BB 2020, 885, 886; vgl. MüKoBGB/Spinner, § 611a BGB Rn. 917 zur Schutzpflicht des Arbeitgebers.

92 Statt aller BAG, 19.2.1997 – 5 AZR 982/94, NZA 1997, 821, 822.

93 BAG, 28.6.2018 – 2 AZR 436/17, NZA 2018, 1259, 1261 Rn. 22 ff; Erman/Riesenhuber § 615 BGB Rn. 33.

Rehage, Rechtsfragen rund um die Entgeldfortzahlung in der Pandemie71

nicht aus dem gleichen Grund Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht“. Ein solcher Anspruch könnte nach § 616 S. 1 BGB bestehen. Ein personenbedingter Grund liegt vor. Ein erkranktes im eigenen Haushalt lebendes Kind entstammt der persönlichen Sphäre.94 Der Anspruch nach § 616 BGB ist aber auf fünf Tage begrenzt.

b) Kind kann nicht in der Schule oder dem Kindergarten betreut werden

Angesichts deutschlandweiter Schul- und Kindergartenschließungen nach §§ 28 I 2 Hs. 2 i.V.m. 33 IfSG standen Eltern 2020 und 2021 vor einem Dilemma. Auf der einen Seite sind sie zur Arbeit verpflichtet (§ 611a I 1 BGB), auf der anderen haben sie aber auch eine elterliche Führsorgepflicht aus § 1626 I BGB und können ihre Kinder nicht ganztags unbeaufsichtigt allein zuhause lassen.

aa) § 616 BGB

In Betracht kommt ein Anspruch nach § 616 I BGB auf Lohnfortzahlung für fünf Tage. Da die Schulschließungen einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen und der Anspruch nach § 616 BGB gänzlich entfällt, sobald ein erheblicher Zeitraum erreicht wird, besteht kein Anspruch.

bb) § 56 Ia IfSG

Daneben kommt ein Anspruch nach § 56 Ia IfSG in Betracht.

(1) Voraussetzungen und Rechtsfolge

Dafür muss der Arbeitnehmer einen Verdienstausfall erleiden, weil die Betreuungseinrichtung seines unter 12-jährigen oder behinderten und pflegebedürftigen Kindes aufgrund von Infektionsschutzmaßnahmen geschlossen wurde, § 56 Ia 1 IfSG. Kein Anspruch besteht, wenn der Betreuungsbedarf auch ohne die Schließung entstanden wäre, § 56 Ia 1 Nr. 2 IfSG. Dies gilt auch, wenn die Schließung ohnehin wegen der Ferien erfolgt wäre, § 56 Ia 3 IfSG. Die Entschädigung ist im Rahmen des § 56 Ia IfSG von Beginn des Verdienstausfalls an auf 67 % des Nettoentgelts und 2016 € monatlich beschränkt, § 56 II 3, 4 IfSG.

(2) Konkurrenz zu § 616 BGB

Sollte der Betreuungsbedarf tatsächlich nur fünf Tage betragen, kommen sowohl Ansprüche nach § 616 BGB als auch § 56 Ia IfSG in Betracht. § 56 Ia hat genau wie § 56 I IfSG das Tatbestandsmerkmal „Verdienstausfall“. Bei § 56 Ia IfSG im Verhältnis zu § 616 BGB kann nichts anderes gelten als bei § 56 I IfSG im Verhältnis zu § 3 EFZG.95 In beiden Fällen liegt ein Verdienst in Form von Entgeltfortzahlung vor und damit kein Verdienstausfall i.S.d. § 56 Ia IfSG oder § 56 I IfSG.96 § 616 BGB muss vorrangig in Anspruch genommen werden.

cc) Zwischenergebnis

Der Arbeitnehmer hat, sofern die Schulschließungen nur zu einem Betreuungsbedarf von maximal fünf Tagen führen, einen Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 616 BGB. Andernfalls greift § 56 Ia IfSG. Zu beachten ist, dass die Regelung des § 56 Ia IfSG mit Ablauf des 31.3.2021 wieder außer Kraft getreten ist.

C. Konstellationen, die den gesamten Betrieb betreffen

Neben den individuellen Fallkonstellationen kann aber auch der gesamte Betrieb betroffen sein und im Zuge der Corona-Pandemie schließen müssen. Wurde Kurzarbeit eingeführt, erfolgt eine Auszahlung von Sozialleistung an Stelle des Lohns. Dabei stellt sich die Frage der Entgeltfortzahlung in der Regel nicht. Aber was gilt, wenn der Arbeitnehmer nicht in Kurzarbeit ist?

I. Der Arbeitgeber schließt den Betrieb

Schließt der Arbeitgeber den Betrieb und stellt die Arbeitnehmer frei, weil etwa keine Aufträge mehr eingehen oder der Betrieb mangels Rohstoffen nicht mehr liefern kann, betrifft dies das Wirtschaftsrisiko. Es beschreibt Konstellationen, in denen die Arbeitsleistung zwar theoretisch möglich ist, der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aber nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll einsetzen kann.97 Das Hindernis kommt im Unterschied zum Wegerisiko aus der Sphäre des Arbeitgebers. Die Arbeitsleistung bietet der Arbeitnehmer an, der Arbeitgeber kann sie nur nicht verwerten. Wie in anderen Vertragstypen auch, trägt der Arbeitgeber das Verwertungsrisiko und muss das Entgelt nach § 615. S. 1 BGB fortzahlen.98

II. Betrieb muss aufgrund behördlicher Verfügungen geschlossen werden

Ist der Arbeitgeber aufgrund einer behördlichen Maßnahme dazu gezwungen, den Betrieb zu schließen, kommt zunächst die Versetzung der Mitarbeiter ins Home Office in Betracht. Dies ist aber nach h.M. grundsätzlich nicht einseitig möglich99 und kommt allenfalls in Notfällen wie einer drohenden Existenzgefährdung in Betracht.100 Ist die Versetzung nicht möglich, kann § 615 S. 3 i.V.m. § 615 S. 1 und 2 BGB greifen. Dieser setzt voraus, dass „der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt“ (sog. Betriebsrisiko). Nach dem BAG ist das Betriebsrisiko betroffen, wenn die Beschäftigung des Arbeitnehmers im Unterschied zum Wirtschaftsrisiko technisch nicht mehr möglich ist, dieses Risiko aber in seinem Betrieb angelegt ist.101


94 BAG, 20. 6. 1979 – 5 AZR 479/77, NJW 1980, 903, 903; MüKoBGB/Henssler, § 616 BGB Rn. 35.

95 Dazu schon unter B. I. 2. c).

96 BT-Drs. 19/18111, 25.

97 Vgl. BAG, 24. 11. 1960 – 5 AZR 545/59, NJW 1961, 381, 381; MüKoBGB/Henssler, § 615 BGB Rn. 98; BeckOK ArbR/Joussen, § 615 BGB Rn. 89.

98 BeckOGK/Bieder, § 615 BGB Rn. 108; Grimm, DB 2020, 1177, 1181.

99 BAG, 22.9.2016 – 2 AZR 509/15, NZA 2016, 1461, juris, Rn. 12; Benkert, NJW-Spezial 2019, 306, 306; Schöllmann, NZA-Beilage 2019, 81, 82.

100 Fuhltrott/Fischer, NZA 2020, 345, 349; vgl. auch BeckOK ArbR/Tillmanns, § 106 GewO Rn. 20.

101 BAG, 22.12.1980 – 1 ABR 2/79, NJW 1981, 937, 937; BAG, 25.07.1957 – 1 AZR 194/56, juris Rn. 15; vgl. auch Canaris FS Prölss, 21, 38; Picker FS Kissel, 813, 854.

Rehage, Rechtsfragen rund um die Entgeldfortzahlung in der Pandemie72

a) Corona-Pandemie als Naturkatastrophe?

Zunächst kann man erwägen, die Corona-Pandemie in die Fallgruppe der Naturkatastrophen einzuordnen. Das BAG ordnet diese unabhängig von der Art des Betriebes dem Betriebsrisiko zu.102 Es werden dem Arbeitgeber damit immer dann wetterbedingte Störungen zugerechnet, wenn sie von außen auf typische Betriebsmittel (z.B. Maschinen oder das Betriebsgelände) einwirken und die Störung für den Arbeitgeber ein Fall höherer Gewalt ist.103 Im Rahmen der Corona-Pandemie stellt sich aber folgendes Problem: Selbst wenn die Pandemie eine Naturkatastrophe darstellt, beruhen die Betriebsschließungen nur mittelbar auf ihr. Die eigentliche Schließung erfolgt in der Regel aufgrund eines Verwaltungsakts.104 Dieser wiederrum beruht auf einem politischen Ermessensakt, bestimmte Betriebe oder ganze Branchen in den „Lockdown“ zu schicken. Die Rechtsprechung zu Naturkatastrophen kann also nicht uneingeschränkt herangezogen werden.105

b) Betriebsrisiko bei behördlichen Maßnahmen

Vielmehr muss mit dem BAG verlangt werden, dass es bei behördlichen Verboten auf die Eigenart des Betriebs ankommt, der Betrieb also eine besondere Risikosphäre darstellt (sog. Betriebsbezug).106 Ein weiteres Indiz ist, wie kalkulier- und vorhersehbar die behördliche Maßnahme ist.107

aa) Vorhersehbarkeit und Kalkulierbarkeit

Da der Betriebsbezug selbst etwas unscharf ist, soll hier zunächst auf die Kriterien „Vorhersehbarkeit“ und „Kalkulierbarkeit“ eingegangen werden. Im Allgemeinen sind Influenzapandemien wie Corona keine Seltenheit.108 Bedingt durch die steigende Globalisierung ist eine rasche weltweite Verbreitung der Viren nicht verwunderlich. Auch eine Risikoanalyse des Bundesinnenministeriums prognostizierte eine der Corona-Pandemie ähnliche Pandemie bereits 2013.109 Zwar ist die starke Beeinflussung des weltweiten Handels und Wirtschaftskreislaufs bislang beispiellos aber aufgrund der weltweiten Verquickung von Industrie und Lieferketten auch nicht völlig unerwartet.110 Das Risiko von pandemiebedingten Betriebseinschränkungen bis hin zu Schließungen hätte theoretisch versichert oder durch Rücklagen abgefedert werden können.111 Dieses Argument zeigt aber, dass nahezu alles theoretisch vorhersehbar ist, sofern es versicherbar ist und zumindest ansatzweise denkbar. Die Kriterien Vorhersehbarkeit und Kalkulierbarkeit können die Betriebsrisikolehre kaum sinnvoll eingrenzen.112

bb) Betriebsbezug

Da Vorhersehbarkeit und Kalkulierbarkeit als Kriterien nicht ausreichen, muss auf die Eigenart des Betriebes und die Betriebsbezogenheit der Störung zurückgegriffen werden. Insbesondere im Fall von flächendeckenden Betriebsschließungen ganzer Branchen wird in der Literatur vertreten, dass sich hier ein allgemeines betriebsunabhängiges Risiko realisiert.113 Entscheidend ist aber nicht das Ausmaß der Maßnahmen und die Anzahl der Betroffenen. Vielmehr kommt es auf den Zweck der Verwaltungsakte an. Sie sollen soziale Kontakte auf ein Mindestmaß beschränken, einen exponentiellen Anstieg der Infektionszahlen verhindern und so eine Überlastung der Gesundheitssysteme vermeiden. Die Maßnahmen trafen daher vor allem Betriebe mit hohem Publikumsverkehr und unausweichlichem nahen Kundenkontakt (z.B. Friseurbetriebe, Fitnessstudios). Diese Betriebe leben von möglichst vielen Kunden. Dem Betreiber muss bewusst sein, dass er dadurch riskiert, von infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen getroffen zu werden. Das Risiko ist in solchen Betrieben angelegt. Für den Betreiber ist es eine zwar unerwünschte, aber unvermeidbare Nebenwirkung seines Geschäftsmodells.

Die behördlichen Maßnahmen sind in der Regel betriebsbezogen, sodass der Arbeitgeber im Ergebnis das Lohnrisiko trägt. Die Arbeitgeber werden davon auch nicht unangemessen benachteiligt. Sie sind als Adressaten der Maßnahmen im Gegensatz zu den Arbeitnehmern in der Lage, gegen die Schließungen vorzugehen und eine staatliche Entschädigung zu erhalten114.

cc) Ausnahme Existenzgefährdung?

Nach der Rechtsprechung kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung dennoch verweigern, wenn die Auszahlung existenzbedrohend für das ganze Unternehmen wäre.115 Zwar hat das BAG diese Ausnahme noch nie für einschlägig gehalten, sie wäre aber in der jetzigen Krisensituation durchaus denkbar.116 Diese Lösung ist aber zurecht hoch umstritten. Zum einen ist sie mit hohen Rechtsunsicherheiten verbunden.117 Wann ist die Lohnauszahlung wirklich existenzbedrohend? Dass für die Auszahlung finanzielle Mittel der Substanz des Betriebes entnommen werden müssen, genügt nicht.118 Zum anderen erwirtschaftet der Arbeitgeber als einziger die Früchte des Betriebs. Eine Beteiligung des Arbeitnehmers am Risiko wäre daher unbillig.119 Zudem kann der Arbeitgeber mittels Kurzarbeit die Hauptlast seiner


102 BAG, 09.07.2008 – 5 AZR 810/07, NZA 2008, 1407, 1409.

103 BAG, 09.03.1983 – 4 AZR 301/80, NJW 1983, 2159, juris, Rn 25; BAG, 18.5.1999 – 9 AZR 13/98, NZA 1999, 1166, 1167.

104 ErfK/Preis, § 615 BGB Rn. 132.

105 Ebd.

106 Statt vieler BAG v. 30.5.1963 – 5 AZR 282/62, juris, Rn. 8.

107 vgl. BAG v. 30.5.1963 – 5 AZR 282/62, juris, Rn. 10; BAG 28.9.1972 – 2 AZR 506/71, NJW 1973, 342, 343.

108 Vgl. die Spanische Grippe (1918-1920), Asiatische Grippe (1957/58), die Hongkong-Grippe (1968) und die „influenza A(H1N1)“ (auch bekannt als Schweinegrippe/2009); dazu WHO (Hrsg.) Pandemic Influenza Risk Management (2017), S. 26, abrufbar unter https://www.who.int/publications/i/item/WHO-WHE-IHM-GIP-017-1.

109 BT-Drs. 17/12051.

110 Vgl. ErfK/Preis, § 615 BGB Rn. 132 h; Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1142.

111 Knoch, RDG 2012, 198, 198f.; ähnl. Fortmann, VersR 2020, 1073, 1075 ff., 1082.

112 Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1142

113 Sagan/Brockfeld, NJW 2020, 1112, 1116; Bonanni, ArbRB 2020, 110, 116.

114 Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1144.

115 Dazu und im Folgenden: BAG, 30.05.1963 – 5 AZR 282/62, juris; BAG, 28.09.1972 – 2 AZR 506/71, NJW 1973, 342.

116 Fischinger/Hengstberger, NZA 2020, 559, 564; Dies. JA 2020, 561, 563; Fuhlrott/Fischer, NZA 2020, 345, 348.

117 Fischinger/Hengstberger, JA 2020, 561, 563.

118 BAG, 28.09.1972 – 2 AZR 506/71, NJW 1973, 342, 343.

119 Staudinger/Richardi/Fischinger, § 615 BGB Rn. 231; BeckOGK/Bieder, § 615 BGB Rn. 123; ErfK/Preis, § 615 BGB Rn. 126; HWK/Krause, § 615 BGB Rn. 120.

Rehage, Rechtsfragen rund um die Entgeldfortzahlung in der Pandemie73

Lohnkosten auf die Allgemeinheit verschieben. Ein Grund, den Arbeitgeber durch eine Existenzsicherungsausnahme zu schützen, besteht also gar nicht.120

Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Lohnfortzahlung nach § 615 S.3 i.V.m. 615 S. 1 BGB bei behördlichen Betriebsschließungen.

D. Fazit

Die Untersuchungen haben vor allem eins gezeigt: Das deutsche Arbeitsrecht meistert auch eine so außergewöhnliche Situation wie die Corona-Pandemie ohne größere Gesetzesänderungen gut. Kein Arbeitnehmer steht wegen sich widersprechender Normen schutzlos da, aber auch kein Arbeitgeber trägt die volle Last der Leistungsstörungen. Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass bei personenbedingten Störungen der staatliche Entschädigungsanspruch nach § 56 I, Ia IfSG greift. § 616 BGB ist für Corona typische langanhaltende Leistungsstörungen nicht gedacht und kommt selten in Betracht. Hierdurch entsteht ein stimmiges Ergebnis. Der Arbeitgeber hat keinerlei Einfluss auf personenbedingte Leistungshindernisse. Er muss also mit Ausnahme des § 3 EFZG auch nicht zahlen. Betrifft die Störung dagegen den ganzen Betrieb, trägt der Arbeitgeber zurecht das Lohnrisiko nach § 615 S. 1, 3 BGB. Er kann vorbeugend Einfluss nehmen oder im Nachhinein den Schaden begrenzen. Auch in Krisenzeiten werden Risiken sinnvoll und gerecht verteilt.


120 Fischinger/Hengstberger, JA 2020, 561, 563; vgl. Sagan/Brockfeld, NJW 2020, 1112, 1116; Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1143.