Möglichkeiten und Grenzen des Vorstands bei der Gewinnung von Ankeraktionären

Kosima Krause*

A. Einleitung

Der Begriff des Ankeraktionärs ist im Aktiengesetz nicht erwähnt. Es gibt den „Hauptaktionär“, der mit mindestens 95 % am Grundkapital beteiligt ist (§ 327a AktG), und das „herrschende Unternehmen“, das einen beherrschenden Einfluss – vor allem durch mehrheitliche Beteiligung – ausüben kann (§ 17 I, II AktG). Das WpHG kennt den Inhaber einer „wesentlichen Beteiligung“, der die Schwelle von 10 % der Stimmrechte erreicht oder überschreitet (§ 43 i.V.m. §§ 33, 34 WpHG). Im WpÜG gibt es den Aktionär, der die „Kontrolle“ (i.S.d. § 29 II WpÜG) über eine Zielgesellschaft erlangt (§ 35 I WpÜG).

Als Ankeraktionär wird im Folgenden – im Einklang mit einem verbreiteten Sprachgebrauch1 – ein Aktionär verstanden, der (i) eine ins Gewicht fallende Beteili­gung hält, (ii) die Beteiligung als längerfristiges Engagement versteht und (iii) der Verwaltung der Gesellschaft, also Aufsichtsrat und Vorstand, und der von der Verwaltung verfolgten Unternehmensstrategie grundsätzlich positiv gegenüber­steht. Die typische Beteiligungshöhe eines Ankeraktionärs liegt zwischen 10 % und 30 %.2 Als Ankeraktionär kann aber auch derjenige Investor angesehen werden, der eine etwas geringere oder höhere Beteiligung hält.3

Das Thema der Arbeit erfasst Spannungsfelder in der Struktur der Aktien­gesellschaft. Die Suche des Vorstands nach einem Ankeraktionär steht umgekehrt zum „Normalfall“, in dem die Aktionäre die Mitglieder des Aufsichtsrats wählen und dieser den Vorstand bestellt. Ein Ankeraktionär kann wegen seiner lang­fristigen, hohen Beteiligung für Gesellschaften eine herausragende Rolle spielen. Daher stellt sich die Frage, ob der Vorstand dem Ankeraktionär im Vergleich zu den übrigen Aktionären Sonderrechte gewähren kann. Das Aktiengesetz geht davon aus, dass alle Aktionäre gleich zu behandeln sind (§ 53a AktG) und sie ihre Rechte nur in der Hauptversammlung ausüben (§ 118 I 1 AktG).

Die Arbeit untersucht, inwiefern die Leitungskompetenz des Vorstands gemäß § 76 I AktG und die damit verbundene Ausrichtung am Unternehmensinteresse dem Vorstand Spielräume eröffnet, in diesen Rahmen einzugreifen und der Gesell­schaft die Vorteile eines Ankeraktionärs zu Nutze zu machen.

Zu Beginn ist zu klären, ob es überhaupt in die Kompetenz des Vorstands fällt, sich um einen Ankeraktionär zu bemühen (B). Anschließend soll geprüft werden, ob und inwieweit der Vorstand auf das Begehren eines Ankeraktionärs, bevorzugt behandelt zu werden, eingehen darf. Dies wird an den Beispielen der Informationsgewährung (C.I.) und der Vertretung im Aufsichtsrat (C.II.) darge­stellt. Die technische Frage, wie der Vorstand einen potentiellen Ankeraktionär bei dessen Beteiligungsaufbau durch Zuwendung von Aktien unterstützen kann, ist aufgrund der gekürzten Fassung der Arbeit nicht Gegenstand dieses Beitrags.

B. Möglichkeit der Einflussnahme des Vorstands auf die Aktionärsstruktur

Zunächst ist der Frage nachzugehen, ob es dem Vorstand rechtlich zusteht, gezielt Einfluss auf die Aktionärsstruktur zu nehmen.

I. Leitungskompetenz, § 76 I AktG

Aufgabe des Vorstands ist nach § 76 I AktG, die Gesell\-schaft unter eigener Verant­wortung zu leiten. Die Zusammensetzung des Aktionariats müsste somit von der Leitungskompetenz des Vorstands umfasst sein. Ein Teil der Literatur4 versteht die Leitungsaufgabe des Vorstands so, dass er die Aktionärsstruktur beeinflussen darf und soll. Andere Stimmen im Schrifttum5 sehen die Kompetenz des Vorstands enger und sprechen dem Vorstand diese Befugnis ab. Eine höchstrichterliche Entschei­dung steht noch aus.6 Unstreitig umfasst die Leitungskompetenz aus § 76 I AktG sämtliche unternehmensstrategische Entscheidungen.7 Was genau dazu gehört, ist dem Wortlaut der Norm nicht zu entnehmen.

1. Weites Verständnis: Ankeraktionär als Teil der Unternehmensstrategie

Bei einem weiten Verständnis gehört zur Leitungsaufgabe des Vorstands auch der unmittelbare Eingriff in die Aktionärsstruktur.8 Dabei wird auf die besondere Bedeutung


*Die Autorin ist Studentin an der Bucerius Law School, Hamburg. Der Beitrag stellt eine überarbeitete und gekürzte Fassung ihrer Examens- seminararbeit bei Prof. Dr. Thilo Kuntz und Prof. Dr. Christoph Kumpan dar.

1 Seibt, FS Hopt 2020, 1171; Herz, NZG 2020, 285, 289;

Schockenhoff/Culmann, ZIP 2015, 297; Schießl, AG 2009, 385, 385 ff.; Neumann, Rechtliche Probleme von PIPE-Transaktionen, 2014, S. 3.

2 Seibt, FS Hopt 2020, 1171.

3 Weber-Rey/Reps, ZGR 2013, 597, 603.

4 Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, 4. Auflage, 2020, § 76 Rn. 47;

Hüffer/Koch, 15. Auflage, 2021, § 76 Rn. 40; Seibt, FS Hopt 2020, 1171, 1176; Bayer, ZGR 2002, 588, 598; Dimke/Heiser, NZG 2001, 241, 243 f.; Drygala, ZIP 2001, 1862, 1867.

5 Kort, in: Beck-online Großkommentar zum Aktienrecht, 2021, § 76 Rn. 146; Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Auflage, 2019, § 76 Rn. 41; Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 234;

Altmeppen, ZIP 2001, 1073, 1077.

6 BGH, Beschl. v. 22.10.2007 – II ZR 184/06 –, juris Rn. 2: „Unabhängig von der im Schrifttum umstrittenen Frage, ob eine allgemeine aktienrechtliche Neutralitätspflicht des Vorstands […] anzuerkennen ist […]“.

7 Spindler, in: MüKoAktG (Fn. 5), § 76 Rn. 15; Oltmanns, in: Nomoskommentar zum Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Auflage, 2020, § 76 Rn. 5; zum Begriff des Leitungsorgans, Koch, Der Vorstand im Kompetenzgefüge der Aktiengesellschaft, 50 Jahre AktG 2016, 65, 78 ff.

8 Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG, 2002, S. 345, spricht vom: „unternehmenspolitisch-strategischen Primat des Vorstands“.

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der Beteiligung eines Ankeraktionärs verwiesen.9 Kleinaktionäre nehmen ihre Rechte in der Hauptversammlung wegen des damit verbundenen Aufwands regelmäßig nicht wahr und veräußern ihre Anteile, wenn sie mit der Unternehmenspolitik unzufrieden sind.10 Der Ankeraktionär hat demgegenüber im Regelfall aufgrund des Wertes seiner Beteiligung unter Kosten-Nutzen-Gesichts­punkten ein Interesse daran, Ressourcen für die Kontrolle der Gesellschaft aufzuwenden und die Entwicklung des Unternehmens zu fördern.11 Zwar wirken Aktionäre nach § 119 II AktG nicht unmittelbar an der Geschäftsführung mit. Wenn sie im Aufsichtsrat vertreten sind, können sie den Vorstand aber gemäß § 111 I AktG überwachen. Insbesondere kann der Aufsichtsrat gemäß § 111 IV 2 AktG bestimmte Arten von Geschäften von seiner Zustimmung abhängig machen. Empirische Studien12 belegen, dass Ankeraktionäre, die sich in die Gesellschafts­belange einbringen, einen positiven Einfluss auf die Corporate Governance und die geschäftliche Entwicklung der Gesellschaften haben.13 Insofern kann der Gewinn eines Ankeraktionärs als Teil der Unternehmensstrategie verstanden werden und damit zur Leitungsfunktion des Vorstands gehören.14

2. Enges Verständnis: „Neutralitätspflicht“

Bei einem engen Verständnis der Leitungskompetenz soll der Vorstand sich auf die Gesellschaft an sich fokussieren. Bezüglich der Zusammensetzung des Aktionariats unterliege er einer Neutralitätspflicht,15 sodass ihm ein Eingriff in die Aktionärs­struktur nicht zustehe.16

3. Herleitung und Stellungnahme

Für eine Neutralitätspflicht werden im Wesentlichen folgende Argumente angeführt: Die Gleichbehandlung der Aktionäre (a), die Funktionsfähigkeit des Marktes für die Unternehmenskontrolle (b) und die Funktion des Vorstandes im Kompetenz­gefüge der Aktiengesellschaft (c).

a) Gleichbehandlungsgebot des § 53a AktG

Gemäß § 53a AktG sind Aktionäre unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln. Daraus wird zum Teil gefolgert,17 dass der Vorstand nicht einem bestimmten Aktionär in besonderer Weise beistehen dürfe. Die Auseinander­setzung um die Anteile und die Herrschaft in der Aktiengesellschaft müsste vielmehr unter den Aktionären ausgetragen werden.18

aa) Entscheidung des OLG Celle, Urt. v. 19.7.2006

Dieser Ansicht folgt auch das Oberlandesgericht Celle in seiner Entscheidung vom 19.7.2006.19 In dem zugrundeliegenden Fall hatte der Vorstand ein Kaufangebot einer ihm nahestehenden Großaktionärsfamilie mit einem das Kaufangebot unter­stützenden Begleitschreiben an Minderheitsaktionäre weitergeleitet, nachdem diese zuvor schon ein Kaufangebot eines weiteren Großaktionärs erhalten hatten. Das OLG Celle urteilte, der Vorstand habe damit „seine Pflicht zur Neutralität verletzt, weil er sich angesichts des Bemühens des [weiteren Großaktionärs], die Mehrheits­verhältnisse durch Zukauf zu verändern, auf die Seite der [Großaktionärsfamilie] geschlagen hat“.20 Der Vorstand müsse sich neutral verhalten, wenn er die Interessen der Gesellschaft fördern wolle. Das Begleitschreiben verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.21 Auch der Bundesgerichtshof hat einen Verstoß gegen § 53a AktG gesehen, die Frage der Neutralitätspflicht aber offen gelassen.22

bb) Vorwirkung des § 53a AktG

Die Suche des Vorstands nach einem Ankeraktionär unterscheidet sich von dem Fall des OLG Celle insofern, als der Ankeraktionär gerade noch kein Aktionär ist. Fraglich ist, ob § 53a AktG eine entsprechende Vorwirkung entfaltet.23 Der Wort­laut der Vorschrift beschränkt sich auf die Gleichbehandlung zwischen (Alt-) Aktionären. Die systematische Stellung des § 53a AktG im dritten Teil des Aktiengesetzes, der das Rechtverhältnis der Gesellschaft zu ihren Aktionären regelt, setzt ebenfalls eine Mitgliedschaft des Begünstigten voraus.24 Teleologisch spricht für eine Vorwirkung jedoch, dass es keinen Unterschied machen darf, ob der Ankeraktionär noch nicht an der Gesellschaft beteiligt ist oder schon Aktien der Gesellschaft hält und der Vorstand ihn dann unterstützt.25 In beiden Fällen wird der Ankeraktionär im Verhältnis zu den übrigen Aktionären bevorzugt. Auch eine Kontaktaufnahme zu einem potentiellen Ankeraktionär könnte daher gegen § 53a AktG verstoßen.

cc) Kein absolutes Gleichbehandlungsgebot

Selbst unter der Prämisse, dass die übrigen Aktionäre benachteiligt werden, wenn der Vorstand sich um einen Ankeraktionär bemüht, verpflichtet der Gleichbehand­lungs­grundsatz den Vorstand nicht ohne weiteres zur Neutralität. § 53a AktG ver­bietet nicht jede Ungleichbehandlung, sondern lediglich sachwidrige Differenzie­rungen zwischen Aktionären.26 Eine Ungleichbehandlung ist gerechtfertigt, wenn diese im


9 Weber-Rey/Reps, ZGR 2013, 597, 610.

10 Schmolke, ZGR 2007, 701, 707 f.

11 Ruffner, Die ökonomischen Grundlagen eines Rechts der Publikumsgesellschaft, Ein Beitrag zur Theorie der Corporate Governance, 2000, S. 264.

12 Aggarwal/Erel/Ferreira/Matos, 100 J. Fin. Econ. 154, 159 ff. (2011); Bhojraj/Sengupta, 76 J. Bus. 455, 472 (2003).

13 So auch Erwägungsgrund 14 der überarbeiteten Aktionärsrechterichtlinie 2017/828: „Eine wirksame und nachhaltige Mitwirkung der Aktionäre ist einer der Eckpfeile des Corporate Governance-Modells börsennotierter Gesellschaften“.

14 Seibt, FS Hopt 2020, 1171, 1176.

15 Hopt, ZGR 1993, 534, 545.

16 Spindler, in: MüKoAktG (Fn. 5), § 76 Rn. 41; Hopt, FS Lutter 2000, 1361, 1376; Maier-Reimer, ZHR 165 (2001), 258, 259, der darauf verweist, dass die Neutralitätspflicht „im Zentrum der Pflichten des Vorstands“ stehe; Bosse, NZG 2000, 16, 19; Immenga, AG 1992, 79, 81; Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 146.

17 Hopt, ZGR 1993, 534, 545 f.; Schanz, NZG 2000, 337, 340.

18 Hopt, ZGR 1993, 534, 545 f.

19 OLG Celle, Urt. v. 19.7.2006 – 9 U 15/06 –, juris Rn. 8 ff.

20 OLG Celle, Urt. v. 19.7.2006 – 9 U 15/06 –, juris Rn. 8.

21 OLG Celle, Urt. v. 19.7.2006 – 9 U 15/06 –, juris Rn. 11 f.

22 BGH, Beschl. v. 22.10.2007 – II ZR 184/06 –, juris Rn. 2.

23 Dafür Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 220 ff.; skeptisch Hopt, ZGR 1993, 534, 546.

24 Hüffer/Koch (Fn. 4), § 53a Rn. 4.

25 Heß, Investorenvereinbarungen, 2014, S. 80;

Kocher/Eisermann, DB 2008, 225, 226.

26 BGH, Urt. v. 6.10.1960 – II ZR 150/58 –, juris Rn. 24.

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Interesse der Gesellschaft geboten ist.27 Dieses Interesse füllt der Vorstand im Rahmen seines Leitungsermessens inhaltlich aus.28 Damit steht § 53a AktG der Suche nach einem Ankeraktionär jedenfalls dann nicht entgegen, wenn sie durch das Unternehmensinteresse gerechtfertigt ist.

dd) Zwischenergebnis

Aus § 53a AktG lässt sich keine Neutralitätspflicht des Vorstands ableiten.29

b) „Markt für Unternehmenskontrolle“

Jedoch könnten ökonomische Überlegungen gegen die Befugnis zur aktiven Suche nach einem Ankeraktionär sprechen. Mit der Beteiligung eines Ankeraktionärs, der sein Aktienpaket langfristig halten möchte, verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Gesellschaft Zielobjekt einer Übernahme wird.30 Gerade ein Wettbewerb um die Kontrolle über Unternehmen kann positive Auswirkungen haben.31 Einerseits kann der Wettbewerb den Strukturwandel in den Wirtschafts­unternehmen fördern.32 Andererseits liegt er im Interesse der Anteilseigner, die von einer finanziell attraktiven Übernahme profitieren können (sog. Shareholder Value-Konzept).33

Es ließe sich daher vertreten, es sei verfehlt, wenn der Vorstand eigenmächtig durch die Verankerung eines Aktionärs in diesen freien Markt der Unternehmenskontrolle eingreift.34 Allein die Tatsache, dass ein solcher Markt ökonomisch sinnvoll sein kann, begründet rechtlich allerdings noch keine Neutralitätspflicht. Dieser Gedanke mag zwar tendenziell gegen ein Einwirken auf die Aktionärsstruktur sprechen, kann aber selbst nicht dogmatischer Begründungskern sein.

c) Kompetenzordnung und Interessenkonflikte

Ein weiterer Begründungsansatz konzentriert sich auf die Funktion des Vorstands. Im Kompetenzgefüge der Aktiengesellschaft kommt dem Vorstand die Rolle des Wahrers fremder Interessen zu.35 Der Vorstand (Agent) ist Beauftragter der Aktionäre (Prinzipale);36 er hat das Eigentum der Aktionäre zu wahren.37 Als Treu­händer ist es ihm daher verwehrt, eigene Interessen zu verfolgen.38 Dem würde es zuwiderlaufen, wenn der Vorstand maßgeblichen Einfluss auf die Zusammen­setzung des Aktionärskreises und damit gegebenenfalls auch auf das Abstimmungs­verhalten der Hauptversammlung hätte.39 Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass der Vorstand durch die Suche nach einem Ankeraktionär mittelbar Einfluss auf die Besetzung des Aufsichtsrats nimmt, dessen Mitglieder nach § 119 I Nr. 1 AktG von den Aktionären gewählt werden und der den Vorstand gemäß § 111 I AktG über­wacht.40 Eine Einflussnahme auf die Aktionärsstruktur impliziert die Verfolgung eigener Interessen und rückt damit die Pflicht zur Fremdinteressenwahrung in den Hintergrund. Daher müsse es dem Vorstand untersagt werden, auf die Aktionärs­struktur einzuwirken.41

Das Risiko, dass der Vorstand durch die Suche nach einem Ankeraktionär in einen Interessenkonflikt geraten kann, ist kaum zu leugnen. Zu hinterfragen ist jedoch, ob eine strenge Neutralitätspflicht aktienrechtlich der richtige Weg ist, diesen Konflikt zu lösen.

aa) Gesetzliche Ermächtigung zum Einfluss auf die Aktionärsstruktur

Zunächst berechtigt das Aktiengesetz den Vorstand ausdrücklich dazu, eine gestaltende Rolle in Bezug auf das Aktionariat einzunehmen: So bestimmt § 68 II 2 AktG, dass die Zustimmung zur Übertragung vinkulierter Aktien Aufgabe des Vorstands ist.42 Auch hat der Vorstand die Möglichkeit – bei entsprechender Haupt­versammlungsermächtigung mit Zustimmung des Aufsichtsrats – ein genehmigtes Kapital unter Ausschluss des Bezugsrechts auszunutzen und junge Aktien an ausgewählte Investoren zu geben (§ 203 I, II i.V.m. § 186 III, IV AktG); gleiches gilt für die Veräußerung eigener Aktien (§ 71 I Nr. 8 AktG). Damit ist es dem Vorstand de lege lata nicht gänzlich verwehrt, auf das Aktionariat einzuwirken.43

bb) Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse

Darüber hinaus ist die Verpflichtung des Vorstands auf das Unternehmensinteresse in den Blick zu nehmen. Die entscheidende Frage ist, ob der Interessenkonflikt des Vorstands bei typisierender Betrachtung so ausgeprägt ist, dass das unterneh­merische Ermessen des Vorstands aus §§ 76 I, 93 I AktG generell eingeschränkt ist,44 und jede Förderung eines Ankeraktionärs schon im Ansatz zu untersagen ist. Eine solche Einschränkung vermag nicht zu überzeugen. Vielmehr kann die konkrete Aktionärsstruktur – insbesondere einen Ankeraktionär zu haben – für die Gesellschaft von „vitaler Bedeutung“ sein.45 Ein Ankeraktionär kann eine stabilisierende Wirkung auf die Gesellschaft haben.46 Zudem kann es in Fällen der Internationalisierung der unternehmerischen Geschäftspolitik geboten sein, das Aktienkapital international zu platzieren.47 Auch sind die finanziellen Mittel zu berücksichtigen, die der Ankeraktionär der Gesellschaft – im Fall der Zeichnung junger Aktien – zur Verfügung stellt.48 Die Gewinnung eines Ankeraktionärs kann also gerade im Unternehmensinteresse liegen.49

cc) Interessenkonflikte

Bestätigt wird dieser Befund dadurch, dass der Gesetzgeber potenzielle Interessen­konflikte gesehen hat. Er hat klare Regelungen getroffen, die den Vorstand auf das Unternehmensinteresse verpflichten. So untersagt § 136 II AktG Stimmbindungs­verträge zugunsten des Vorstands oder des Aufsichtsrats. Ziel der Norm ist es, eine Beeinflussung der Aktionäre und damit eine Verschiebung der gesetzlichen Kompetenz­ordnung zu verhindern.50 Auch § 93 I 2 AktG trägt der Gefahr der Verfol­gung eigener Interessen Rechnung. Voraussetzung für das Haftungsprivileg der business judgement rule ist, dass der Vorstand zum Wohl der Gesellschaft handelt.51 In einer Übernahmesituation legt § 3 III WpÜG den Grundsatz fest, dass Vorstand und Aufsichtsrat im Interesse der Zielgesellschaft handeln müssen. Diese gesetzlichen Regelungen bekräftigen, dass es dem Vorstand zuzutrauen ist, trotz bestehender Interessenkonflikte seiner Rolle als Fremdinteressenwahrer gerecht zu werden.

dd) Spezialfall: Übernahmesituation

Zuletzt ist noch der Spezialfall der Übernahmesituation heranzuziehen. § 33 I 1 WpÜG verbietet dem Vorstand der Zielgesellschaft, Handlungen vorzunehmen, durch die der Erfolg eines Übernahmeangebots, also die Beteiligung eines neuen Aktionärs, verhindert werden kann. Daraus könnte zunächst e contrario geschlos­sen werden, dass es außerhalb von Übernahmesituationen keine Neutralitätspflicht gibt.52 Gegen die Annahme einer Neutralitätspflicht spricht jedoch auch § 33 I 2 WpÜG. Dort sind – unter dem Eindruck der fehlenden generellen Neutralitäts­pflicht nach US-amerikanischem Recht53 – drei Ausnahmen vorgesehen, die dem Vorstand Handlungen zur Verhinderung des Übernahmeangebots gestatten. Erwähnenswert ist insbesondere die Ausnahme des § 33 I 2 Alt. 2 WpÜG, wonach der Vorstand nach einem konkurrierenden Angebot suchen, also gerade einen alternativen Aktionär anwerben darf.54 Damit verdeutlicht der Gesetzgeber, dass der Vorstand auch oder selbst in Übernahmesituationen berechtigt ist, auf die Aktionärsstruktur einzuwirken.55

d) Zwischenergebnis: Keine Neutralitätspflicht

Dem Vorstand ist es nach alldem nicht verwehrt, die Zusammensetzung des Aktionariats zu beeinflussen.56 Vielmehr kann der Gewinn eines Ankeraktionärs im Unternehmensinteresse liegen und dann Teil der Unternehmensstrategie sein. Damit fällt es in die Kompetenz des Vorstands, sich in geeigneten Fällen um einen Ankeraktionär zu bemühen.

II. Konkretisierung der Einflussnahmebefugnis

1. Gesetzlicher Rahmen

Für die Konkretisierung, unter welchen Voraussetzungender Vorstand einen Ankeraktionär gewinnen darf, bieten gesetzliche Regelungen kaum eine Hilfe. Sie stecken nur den äußersten Rahmen ab, den der Vorstand zu beachten hat: So verbietet § 71a AktG dem Vorstand, den Ankeraktionär bei dem Erwerb von Aktien finanziell zu unterstützen, und § 136 II AktG untersagt, mit dem Ankeraktionär Stimmbindungsverträge zu schließen.

2. Leitungsermessen, §§ 76 I, 93 I AktG

Das konkrete Richtmaß für die Handlungsmöglichkeiten des Vorstands bildet das Leitungsermessen gemäß §§ 76 I, 93 I AktG.57

a) Maßstab

§§ 76 I, 93 I AktG gewähren dem Vorstand einen unternehmerischen Handlungs­spielraum.58 Er muss, wie durch die business judgement rule nach § 93 I 2 AktG vorgegeben, zum Wohle der Gesellschaft und, wie die Regierungsbegründung erläutert59, frei von Sonderinteressen handeln. Eigeninteressen des Vorstands dürfen keinen Einfluss haben.60 Der Vorstand hat sich bei der Suche nach einem Ankeraktionär nur am Unternehmensinteresse auszurichten.61 Abstrakt hat er dafür die potenziell relevanten Stakeholderinteressen im Wege praktischer Konkordanz auszubalancieren.62 Konkret muss der Vorstand im Rahmen einer Prognose­entscheidung63 die Chancen und Risiken abwägen, die sich für die Gesellschaft aus einer Beteiligung des Ankeraktionärs ergeben.64

b) Abwägungsgesichtspunkte


27 Dygala, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Auflage, 2011, § 53a Rn. 17; Paefgen (Fn. 8), S. 340.

28 Weiß, Der angemessene Handlungsrahmen der Zielverwaltung in der Übernahmesituation, 2009, S. 89.

29 I.E. ebenso Kocher/Eisermann, DB 2008, 225, 226;

v. Nussbaum, Die Aktiengesellschaft als Zielgesellschaft eines Übernahmeangebots, 2003, S. 76.

30 Heß (Fn. 25), S. 118; Schießl, AG 2009, 385.

31 Hopt, ZHR 161 (1997), 368, 371; Hopt, FS Lutter 2000, 1361, 1374 mit zahlreichen Nachw. zur amerikanischen und ökonomischen Theorie des Marktes in Fn. 53, der aber selbst krit. bemerkt: „Die ökonomische Theorie gibt entgegen manchen Erwartungen von Politikern und Juristen keine eindeutigen Aussagen über das richtige Übernahmerecht.“

32 Zetzsche, NZG 2014, 1121, 1124.

33 Schirrmacher/Hildebrandt, AG 2021, 220, 221;

Hasselbach/Stepper, NZG 2020, 170, 176.

34 Mülbert/Birke, WM 2001, 705, 709 f.; aus der US-amerikanischen Literatur Black/Kraakman, 96 NW. U. L. Rev. 521, 521 ff., 559 ff. (2002).

35 Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 424; Immenga, AG 1992, 79, 81.

36 Kiefner, ZHR 178 (2014), 547, 588;

Dimke/Heiser, NZG 2001, 241, 247 f.

37 Hopt, FS Lutter 2000, 1361, 1376.

38 Hopt, ZGR 1993, 534, 546 f.; Martens, FS Beusch 1993, 529, 542 f.

39 Mestmäcker (Fn. 16), S. 146.

40 Otto, AG 1991, 369, 374; Mestmäcker (Fn. 16), S. 146.

41 Hopt, ZGR 1993, 534, 546 ff., insbesondere 547: „Zuständigkeitsentzug“.

42 Schockenhoff/Nußbaum, AG 2019, 321, 323; v. Falkenhausen, NZG 2007, 97; a.A. Koch, Die Neutralitätspflicht des Vorstands einer börsennotierten Aktiengesellschaft bei Abwehrmaßnahmen gegen feindliche Übernahmeangebote, 2001, S. 33, der wegen der Notwendigkeit der Zustimmung der Namensaktionäre bei Zeichnung der Aktien die Existenz des § 68 II AktG „eher als Argument für eine Neutralitätspflicht“ sieht.

43 Krause, AG 2000, 217, 220 verweist auch auf sog. Roadshows, bei denen der Vorstand gezielt Aktionäre anwirbt und die nach h.M. zulässig sind.

44 Grigoleit, in: Grigoleit Aktiengesetz Kommentar, 2. Auflage, 2020, § 76 Rn. 42.

45 Martens, FS Beusch 1993, 529, 543; Kort, FS Lutter 2000, 1421, 1433; Bungert, NJW 1998, 488, 492.

46 Schießl, AG 2009, 385.

47 Martens, FS Steindorff 1990, 151, 158 f.

48 v. Riegen, CFL 2010, 1, 2.

49 Schockenhoff/Nußbaum, AG 2019, 321, 324;

Martens, FS Beusch 1993, 529, 532.

50 Spindler, in: K. Schmidt/Lutter (Fn. 4), § 136 Rn. 2; Heß (Fn. 25), S. 160.

51 So auch Präambel Abs. 1 DCGK (Fassung 16. Dezember 2019).

52 Schockenhoff/Nußbaum, AG 2019, 321, 322.

53 Mit Blick auf den US-Bundesstaat Delaware Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 234; Schaefer/Eichner, NZG 2003, 150; strenge Neutralitätspflicht dagegen in Großbritannien Hopt, FS Lutter 2000, 1361, 1368.

54 Zur konkurrenzfördernden Tendenz des WpÜG Fleischer, ZIP 2002, 651, 653.

55 So in der Begründung zum Regierungsentwurf: „§ 33 I 1 WpÜG steht daher vorbeugenden Maßnahmen des Managements zur Verhinderung oder Erschwerung von Übernahmen nicht entgegen.“, WpÜG BT-Drucks. 14/7034, S. 58.

56 Schießl, AG 2009, 385, 387.

57 Seibt, FS Hopt 2020, 1171, 1176.

58 BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 –, juris Rn. 22.

59 Begr. RegE, BR-Drucks. 3/05, S. 20.

60 Fleischer, in: BeckOGK-AktG (Fn. 5), § 93 Rn. 93.

61 Seibt, in: K. Schmidt/Lutter (Fn. 4), § 76 Rn. 40.

62 Hopt, ZGR 2002, 333, 360.

63 Hüffer/Koch (Fn. 4), § 93 Rn. 18; Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1256.

64 Ausführlich Seibt, FS Hopt 2020, 1171, 1176 f.

Krause, Möglichkeiten und Grenzen des Vorstands bei der Gewinnung von Ankeraktionären38

Innerhalb der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass ein Ankeraktionär langfristig am Unternehmen beteiligt ist. Dies wirkt sich grundsätzlich positiv auf die Wertschöpfung des Unternehmens aus,65 wie auch eine empirische Studie belegt.66 Grund dafür ist, dass ein verlässlicher Ankeraktionär Stabilität schafft und so eine langfristige Perspektive für eine nachhaltige Unternehmensstrategie ermöglicht.67

Zu beachten hat der Vorstand auch die konkrete Art des Ankeraktionärs. Bei Anker­aktionären wie Private-Equity-Fonds68 beträgt der Anlagehorizont in der Regel nur fünf Jahre.69 Sie sind insbesondere auf die eigene Renditeoptimierung, also auf Share­holder-Value, fokussiert.70 Demgegenüber begleiten Staatsfonds, Stiftungen oder Beteiligungsverwaltungsgesellschaften von Privatpersonen in der Rolle als Ankeraktionäre das Unternehmen typischerweise meist deutlich länger.71

Abzuwägen hat der Vorstand weiter den Einfluss des Ankeraktionärs auf die Zukunft des Unternehmens. Der Ankeraktionär kann einerseits eine dem Unterneh­mens­interesse entgegenlaufende Übernahme durch einen Dritten verhindern.72 Andererseits bestätigt eine empirische Studie,73 dass ein signifikanter Anteil von Übernahmeangeboten darauf zurückgeht, dass Ankeraktionäre nach einer gewissen Zeit selbst ein Übernahmeangebot abgeben. Insofern hat sich der Vorstand auch mit diesem Risiko auseinanderzusetzen.

Zudem muss der Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft abwägen, inwiefern der konkrete Ankeraktionär den Unternehmenswert am Kapitalmarkt erhöht. Im Regel­fall wird die Aufnahme eines Ankeraktionärs bei Anlegern positiv wahrge­nom­men und kann zu einer Kurssteigerung führen, was den finanziellen Hand­lungs­spielraum des Unternehmens erweitert.74

c) Zwischenergebnis

Der Vorstand hat bei seiner Entscheidung zu beachten, dass Ankeraktionär nicht gleich Ankeraktionär ist. Er muss im Rahmen seines unternehmerischen Ermessens prüfen, ob die Beteiligung des Ankeraktionärs im Unternehmensinteresse liegt und die mit dem konkreten Ankeraktionär verbundenen Chancen die Risiken überwiegen.75

C. Rechte und Pflichten des Vorstands zu Erwartungen eines Ankeraktionärs

Der Vorstand hat sich weiter mit den Erwartungen auseinanderzusetzen, die der Ankeraktionär mit seiner Beteiligung verbindet. Obschon dem Ankeraktionär beispielsweise bei einer Beteiligung von 20 % des Grundkapitals das Sonderrecht zukommt,76 die Hauptversammlung einzuberufen (§ 122 I AktG) und eine Ergänzung der Tagesordnung zu verlangen (§ 122 II AktG), sind diese Rechte aus Sicht des Ankeraktionärs häufig nicht ausreichend.77 Vielmehr begehrt er, mit dem Vorstand in einem regelmäßigen Informationsaustausch über die Geschäftsentwicklung zu stehen und Einfluss auf die Unternehmensstrategie durch ein Aufsichtsratsmandat auszuüben.78

I. Informationsbegehren: Privilegierter Informationsaustausch

Die Rolle des Ankeraktionärs ist typischerweise durch sein mitunternehmerisches Interesse gekennzeichnet.79 Ein privilegierter Informationsaustausch liegt daher regelmäßig im Interesse des Ankeraktionärs, weil vertrauliche Gespräche mit dem Vorstand es ermöglichen, Vorstellungen und Meinungen, etwa zu strategischen Vorhaben, frühzeitig zu äußern.80

Einen Anspruch auf Information hat der Ankeraktionär gemäß § 131 I 1 AktG außerhalb der Hauptversammlung nicht. Der Vorstand könnte dem Informationsinteresse des Ankeraktionärs nur von sich aus, also freiwillig Rechnung tragen.81 Dafür müssen die aktien- und kapitalmarktrechtlichen Grenzen untersucht werden, denen der Vorstand bei der Weitergabe von Informationen unterliegt.

Grundsätzlich gilt: Je sensibler die Informationen, desto größer der erforderliche Geheimnisschutz und desto umfangreicher die gesetzlichen Grenzen. Deshalb werden im Folgenden drei Arten von Informationen unterschieden: (i) Insiderinformationen, also Informationen, die bei öffentlicher Bekanntheit geeignet wären, bei börsennotierten Gesellschaften den Kurs der Aktie erheblich zu beeinflussen (Art. 7 MAR); (ii) Informationen, die dem gesellschaftsrechtlichen Geheimnisschutz gemäß § 93 I 3 AktG unterliegen, aber nicht kursrelevant sind; (iii) „einfache“ Informationen, deren wesentlicher Gehalt ohnehin bekannt ist und die daher


65 Seibt, FS Hopt 2020, 1171, 1174.

66 Aggarwal/Erel/Ferreira/Matos, 100 J. Fin. Econ. 154, 155f., 159 ff. (2011).

67 Dies betonte Dr. Dieter Zetsche, ehem. Vorstandsvorsitzender der Daimler AG, bei der die Kuwait Investment Authority seit 1974 als Ankeraktionär beteiligt ist und derzeit 6,8 % des Anteilsbesitzes hält: „In den vergangenen […] Jahren hat die Kuwait Investment Authority unsere Entscheidungen unterstützt und uns Gestaltungsspielraum gegeben sowie die Freiheit, unser Unternehmen voranzubringen.“, Pressemitteilung vom 18.09.2014 abrufbar auf der Daimler Global Media Site; so auch Martens, FS Beusch 1993, 529, 548; krit. Zetzsche, NZG 2014, 1121, 1124 mit dem Hinweis, dass langfristige Beteiligungen dem Vorstand ein „zu ruhiges Leben garantieren“.

68 Weber-Rey/Reps, ZGR 2013, 597, 604.

69 Tamcke/Adolph, JA 2020, 938.

70 Kaiser, in: Praxishandbuch Unternehmenskauf, 2. Auflage, 2021, Kap. 14 Rn. 4.

71 Der Staatsfonds (QIA) des Emirates Katar ist seit 2010 mit 20 % an der VW AG beteiligt; die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung ist seit 2013 mit 21 % an der Thyssen Krupp AG beteiligt; Friedhelm Loh ist seit 2016 über die SWOCTEM GmbH mit 25 % an der Klöckner & Co SE beteiligt.

72 Seibt, FS Hopt 2020, 1171, 1177.

73 Empirisch nachgewiesen aus einer Analyse von 14 Praxisfällen zwischen 2010-2019, Seibt, FS Hopt 2020, 1171, 1200 ff; im Dezember 2020 die SWOCTEM GmbH bei der Klöckner & Co SE.

74 Schießl, AG 2009, 385, 387.

75 Seibt, FS Hopt 2020, 1171, 1175.

76 Zu weiteren Sonderrechten von Minderheiten Weber-Rey/Reps, ZGR 2013, 597, 618.

77 Hopt, ZHR 175 (2011), 444, 500.

78 Seibt, FS Hopt 2020, 1171, 1174; Schäfer, NZG 2007, 900; „wesentlicher Investitionsanreiz“.

79 Schiessl, AG 2009, 385, 386.

80 Kalss, ZGR 2020, 217, 235.

81 Dies ist in der Praxis „weit verbreitete Übung“, Menke, NZG 2004, 679, 697.

Krause, Möglichkeiten und Grenzen des Vorstands bei der Gewinnung von Ankeraktionären39

keinem besonderem Geheimnisschutz unterliegen.82

1. Rechtliche Grenzen des Informationsaustausches

a) Insiderverbote

Die Offenlegung von Insiderinformationen gegenüber einem einzelnen Aktionär ist gemäß Art. 14 lit. c i.V.m. Art. 10 I 1 grundsätzlich verboten.83 Eine Aus­nahme besteht nach Art. 10 I 1 MAR nur, wenn die Offenlegung im Zuge der norma­len Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufs oder der normalen Erfüllung von Aufgaben erfolgt. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs muss die Offenlegung zu diesem Zweck „unerlässlich“ sein.84 Diese hohe Hürde dürfte gegenüber dem Ankeraktionär nur dann überwunden werden, wenn ein Fall der Marktsondierung vorliegt.85

Eine Marktsondierung betrifft die Übermittlung von Informationen im Vorfeld einer Kapitalmarkttransaktion an potenzielle Anleger, um das Marktinteresse und damit die Erfolgsaussichten oder die Attraktivität des eigenen Angebots abzu­schätzen.86 Zu diesem Zweck darf der Vorstand gemäß Art. 11 IV MAR Insider­informationen gegenüber einem Ankeraktionär offenlegen. Er muss dann die umfang­reichen Verfahrensvorschriften des Art. 11 III, V MAR beachten.

b) Aktienrechtliches Gleichbehandlungsgebot, § 53a AktG

Unabhängig von Insiderverboten muss der Vorstand das Gleichbehandlungsgebot gemäß § 53a AktG berücksichtigen. Danach sind Aktionäre unter gleichen Voraus­setzungen gleich zu behandeln. Nach Grundsatz 20 des Deutschen Corporate Governance Kodex gilt das Gebot insbesondere auch in Bezug auf Informationen.87

aa) Vergleichsgruppe

Zunächst müssen zwischen dem Ankeraktionär und den übrigen Aktionären „gleiche Voraussetzungen“i.S.v. § 53a AktG vorliegen. Anders als bei Ver­mögens-­ und Stimmrechten, bei denen an die Höhe der Beteiligung angeknüpft wird, bemisst sich die informationelle Gleichbehandlung nach der Mitgliedschaft.88 Aktionäre sollen gemäß § 131 I 1 AktG grundsätzlich nur auf der Hauptversamm­lung mit Informationen versorgt werden. Daher hat jeder Aktionär das gleiche Recht auf Information.89 Ein privilegierter Austausch mit dem Ankeraktionär stellt mithin eine formale Ungleichbehandlung dar.90

bb) Rechtfertigung durch einen sachlichen Grund

§ 53a AktG verbietet lediglich sachwidrige Differenzierungen.91 Eine Ungleichbe­handlung ist zulässig, „wenn sie sachlich berechtigt ist und damit nicht den Charakter der Willkür trägt“,92 also das Ergebnis sachgerechter Abwägung ist. Dafür bedarf es einer Verhältnismäßigkeitsprüfung.93 Die privilegierte Informa­tionsweitergabe an den Ankeraktionär muss zur Wahrung eines bestimmten Unternehmensinteresses geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der Gleichbehandlungsinteressen der übrigen Aktionäre verhältnismäßig sein.94 Dabei ist zwischen den einzelnen Informationen zu unterscheiden.

(1) Legitimer Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit

(a) „Einfache“ Informationen

Der legitime Zweck der besonderen Versorgung mit „einfachen“ Informationen kann darin liegen, den Ankeraktionär stärker an sein Investment zu binden.95 Der Ankeraktionär kann durch den Dialog motiviert werden, sein Kapital zu halten und der Gesellschaft auch in Zukunft weiteres Kapital zur Verfügung zu stellen.96 Der Dialog ist geeignet, Vertrauen zu bilden und eine langfristige Bindung des Anker­aktionärs zu sichern.97 Im Rahmen der Erforderlichkeit kommt zwar als milderes Mittel in Betracht, die Informationen allen Aktionären zukommen zu lassen. Die gleichmäßige Verteilung würde dann aber den Zweck, den Ankeraktionär durch ein Sonderrecht stärker an sein Investment zu binden, nicht gleichermaßen fördern. Insofern ist das zweiseitige Gespräch mit dem Ankeraktionär auch erforderlich.

(b) Informationen, die dem Geheimnisschutz unterliegen

Der legitime Zweck des Austausches von und über Informationen, die dem Geheim­nisschutz unterliegen, kann darin liegen, zu bestimmten Fragen ein Meinungs­bild von Aktionärsseite einzuholen – also nicht nur Informationen preis­zu­geben, sondern auch Feedback zu erhalten.98 Zu diesem Zweck ist der Dialog mit einem Ankeraktionär, der mitunternehmerisch motiviert ist, über Branchen- oder Finanz-Know-How verfügt und/oder repräsentativ die Sichtweise eines Investors einbringt, auch geeignet.99 Es ist nicht praktikabel – jedenfalls in einer Publikums-AG –, alle Aktionäre in den Austausch einzubeziehen. Mithin ist der Dialog mit dem Ankeraktionär über vertrauliche Informationen je nach Inhalt und Zweck der Informationen auch erforderlich.


82 Fleischer, ZGR 2009, 505, 525.

83 Kumpan/Grütze, in: Kapitalmarktrechts-Kommentar (Schwark/Zimmer), 5. Auflage, 2020, Art. 10 VO (EU) 596/2014 Rn. 53.

84 EuGH, Urt. v. 22.11.2005 – C-384/02 Grongaard und Bang –, juris Rn. 34; ein solcher Sonderfall wird angenommen, wenn es um die aufwändige Vorbereitung von Grundlagenentscheidungen geht, deren Erfolgsaussichten von der Zustimmung der Hauptversammlung abhängen, Buck-Heeb, in: Handbuch des Kapitalanlagerechts, 5. Auflage, 2020, § 8 Rn. 252.

85 Kumpan/Grütze, in: Schwark/Zimmer (Fn. 83), Art. 11 VO (EU) 596/2014 Rn. 10.

86 Poelzig, NZG 2016, 528, 534.

87 v. Werder, in: Kommentar zum Deutschen Corporate Governance Kodex, 8. Auflage, 2021, G.20 Rn. 5; a.A. Zetzsche, AG 2019, 701, 701 ff., der den informationellen Normgehalt des § 53a AktG bestreitet.

88 Hüffer/Koch (Fn. 4), § 53a Rn. 7.

89 Vgl. Grundsatz 20 DCGK (Fassung 16. Dezember 2019).

90 Herz, NZG 2020, 285, 287.

91 Götze, in: MüKoAktG (Fn. 5), § 53a Rn. 14.

92 BGH, Urt. v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 –, juris Rn. 32.

93 Koch, FS Hopt 2020, 525, 530 f.; Verse (Fn. 23), S. 283 ff.

94 Hüffer/Koch (Fn. 4), § 53a Rn. 10.

95 Verse, (Fn. 23), S. 532.

96 Koch, AG 2017, 129, 131; Neumann (Fn. 1), S. 245.

97 Koch, AG 2017, 129, 130.

98 Fleischer, ZGR 2009, 505, 522.

99 Seibt, FS Hopt 2020, 1171, 1177.

Krause, Möglichkeiten und Grenzen des Vorstands bei der Gewinnung von Ankeraktionären40

(2) Verhältnismäßigkeit

Der Austausch mit dem Ankeraktionär über „einfache“ und dem Geheimnisschutz unterliegenden Informationen muss unter Berücksichtigung der Interessen der übrigen Aktionäre auch verhältnismäßig sein.100

(a) Grundsatz des Informationsaustausches in der Hauptversammlung

Zu berücksichtigen ist zunächst die Informationsordnung in der Aktiengesellschaft. Aktionäre stehen zur Gesellschaft in einem Mitgliedschaftsverhältnis, das ihnen gemäß § 118 I 1 i.V.m. § 131 I 1 AktG nur ein einheitliches, an die Haupt­ver­sammlung gebundenes Informationsrecht einräumt.101 Für börsennotierte Gesell­schaften treten die Transparenzregeln – v.a. des WpHG – hinzu, die auch auf eine einheit­liche Information an alle Aktionäre gerichtet sind.102 Das soll nach der Vor­stel­lung des Gesetzgebers ausreichen, um Anlageentscheidungen auf informierter Grundlage zu treffen.103 Insofern muss der besondere Informationsaustausch mit dem Ankeraktionär eine Ausnahme bleiben, die im Einzelfall zu rechtfertigen ist.104

(b) Ausnahmefälle in der Literatur

Eine frühere Ansicht105 knüpft an die Höhe der Beteiligung an und rechtfertigt eine Ungleichbehandlung damit, dass stärker beteiligte Aktionäre enger mit dem Unter­nehmen verbunden sind, während Kleinaktionäre ihre Aktien lediglich zu spekula­tiven Zwecken erwerben. Insbesondere seit der Kommentierung von Götze im Münchener Kommentar106 wird eine unterschiedliche Behandlung von Klein- und Großaktionären mit deren unterschiedlicher Bedeutung für das Unternehmen ge­recht­­fertigt.107 Schockenhoff und Nußbaum108 rechtfertigen eine Ungleichbe­hand­lung schon mit dem „Interesse [der Gesellschaft] an einer stabilen Aktionärs­struktur“.109 Einen strengeren Maßstab legt Fleischer an. Nach ihm ist die Weiter­gabe noch nicht allgemein bekannter Informationen nur zulässig, soweit die vorherige Abstimmung mit dem Ankeraktionär für die Durchführung einer bestimm­ten Maßnahme erforderlich ist (Bsp.: Hauptversammlungsbeschluss über eine Kapitalerhöhung).110 Bei bereits bekannten Informationen dürfe eine Erläute­rung oder Vertiefung erfolgen.111 Eine darüberhinausgehende Privilegierung sei mit § 53a AktG unvereinbar.112

(c) Stellungnahme

(aa) „Einfache“ Informationen

Alle Ansichten stimmen darin überein, dass es gerechtfertigt ist, mit dem Anker­aktionär in einen Austausch über bereits bekannte Informationen zu treten. Dies überzeugt insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein detaillierter Austausch mit dem Ankeraktionär dessen Vertrauen in die Gesellschaft stärkt,113 was sich günstig auf den Aktienkurs auswirken kann, da die Beteiligung eines Ankeraktionärs am Kapitalmarkt positiv wahrgenommen wird.114

(bb) Informationen, die dem Geheimnisschutz unterliegen

Nicht so klar ist die Rechtslage für Informationen, die dem Geheimnisschutz unter­liegen. Wie gezeigt, ist umstritten, ob ein Informationsaustausch bereits durch die besondere Bedeutung des Ankeraktionärs gerechtfertigt ist,115 oder ob der Aus­tausch im Hinblick auf die Durchführung einer bestimmten Maßnahme im Einzel­fall erforderlich sein muss.116

(aaa) Auslegung des § 53a AktG

Der Wortlaut des § 53a AktG lässt beide Auffassungen zu.117 Systematisch ist § 131 IV AktG heranzuziehen. Diese Norm geht davon aus, dass einem einzelnen Aktionär Auskunft außerhalb der Hauptversammlung gegeben wurde.118 Dies be­deutet jedoch nicht, dass der Gesetzgeber einen regelmäßigen Informations­aus­tausch per se für zulässig erachtet. Insbesondere die Pflicht des § 131 IV AktG, die Einzelauskunft im Nachhinein allen Aktionären zur Verfügung zu stellen, soll ein Infor­mationsmonopol bei einzelnen Aktionären, also Informationsasymmetrien, ganz im Sinne des § 53a AktG vermeiden.119 Für die Reichweite der Informations­weiter­gabe außerhalb der Hauptversammlung ist § 131 IV AktG damit uner­giebig.120

Teleologisch steht der Zweck von § 53a AktG im Mittelpunkt, Minder­heits­aktionäre zu schützen.121 Die zurückhaltende, differenzierende Ansicht von Fleischer, Informationen nur weitergeben zu dürfen, wenn der Austausch für den Erfolg einer bestimmten Maßnahme erforderlich ist, trägt diesem Schutzgedanken am meisten Rechnung.

(bbb) Sonderstellung des Ankeraktionärs

Fraglich ist, ob diese differenzierende Auffassung ausreichend berücksichtigt, dass gerade Ankeraktionäre durch


100 Hüffer/Koch (Fn. 4), § 53a Rn. 10.

101 Seibt/Kulenkamp, AG 2018, 549, 553; Fleischer, ZGR 2009, 505, 525.

102 Dazu Hutter/Kaulamo, NJW 2007, 471, 471 ff.

103 Krömker, NZG 2003, 418, 419.

104 Seibt, FS Hopt 2020, 1171, 1185; Vetter, AG 2016, 873, 877.

105 Janberg, AG 1965, 191, 193;

U. H. Schneider/Singhof, FS Kraft 1998, 585, 600.

106 Götze, in: MüKoAktG (Fn. 5), § 53a Rn. 14.

107 Schilha/Theusinger, NZG 2019, 521, 524;

Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 738.

108 Schockenhoff/Nußbaum, AG 2019, 321, 325.

109 A.A. Hüffer/Koch (Fn. 4), § 53a Rn. 11, der darauf hinweist, diese Argumentation zurückhaltend einzusetzen, um die Gleichbehandlung nicht gänzlich auszuhöhlen.

110 Meyer-Landrut/Heuser, AG Report 2011, 241; Hopt, ZGR 1997, 1, 26.

111 Fleischer, ZGR 2009, 505, 525.

112 Fleischer, ZGR 2009, 505, 525.

113 Druey, FS Böckli 2006, 589, 594.

114 Seibt, FS Hopt 2020, 1171, 1178.

115 Schilha/Theusinger, NZG 2019, 521, 524.

116 Fleischer, ZGR 2009, 505, 521 ff.

117 Koch, ZGR 2020, 183, 208: „deutungsoffen“.

118 BT-Drucks. IV/171, S. 155: „Im Interesse der Beziehungen zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären ist es jedoch erwünscht, dass der Vorstand freiwillig auch während des Geschäftsjahrs auf Anfragen eingeht oder sie durch Rundschreiben unterrichtet.“

119 Leyens, ZGR 2019, 544, 576: „Grundsatz der informationellen Gleichbehandlung“; Fleischer, ZGR 2009, 505, 520: „Holz vom gleichen Stamme“.

120 Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften zwischen Freiheit und Zwang, 2016, S. 571.

121 Koch, ZGR 2020, 183, 210.

Krause, Möglichkeiten und Grenzen des Vorstands bei der Gewinnung von Ankeraktionären41

aktives Engagement und Know-How-Transfer einen besonderen Beitrag für das Unternehmen leisten können.122 Aufgrund ihrer hohen Beteiligung sind sie den Chancen und Risiken des Unternehmens in besonderer Weise ausgesetzt. Sie haben daher auch ein besonderes Interesse daran, dem Vorstand beratend zur Seite zu stehen.123 Damit bilden sie das Gegenmodell zur rationalen Apathie eines Kleinaktionärs.124 Kleinaktionäre und das Unternehmen selbst können davon, dass der Ankeraktionär den Vorstand beratend begleitet, also von einer Ungleichbehandlung, somit sogar profitieren.125 Daher kann nicht nur die punktuelle Information an einen Ankeraktionär, sondern auch ein regelmäßiger Informationsaustausch durch das Unternehmensinteresse gerechtfertigt und somit verhältnismäßig sein.126 Erforderlich ist aber stets eine Abwägung im konkreten Einzelfall dahingehend, ob der Austausch im Unternehmensinteresse liegt. Der Beitrag des Ankeraktionärs muss für die Unternehmensstrategie so vorteilhaft sein, dass er einen Mehrwert für das Unternehmen bildet.

(ccc) Verschwiegenheitspflicht, § 93 I 3 AktG

Neben dem Gleichbehandlungsgebot zieht auch die Verschwiegenheitspflicht äußere Grenzen für den Austausch. Nach § 93 I 3 AktG hat der Vorstand über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft Verschwiegenheit zu bewahren. Diese Pflicht gilt auch gegenüber einem Ankeraktionär.127 Entgegen des strengen Wortlauts kann die Verschwiegenheitspflicht jedoch dort überwunden werden, wo das Unternehmensinteresse es gebietet zu reden.128 Wenn bei der umfassenden Abwägung im Rahmen des § 53a AktG festgestellt wird, dass der Austausch mit dem Ankeraktionär im Unternehmensinteresse liegt, steht auch die Verschwiegenheitspflicht aus § 93 I 3 AktG dem Dialog nicht entgegen.129

(ddd) Erforderliche Einschränkungen

Sowohl nach § 53a AktG (Abwägung mit dem Ziel des geringstmöglichen Eingriffs) als auch nach § 93 I 3 AktG (größtmöglicher Geheimnisschutz) ist erforder­lich, dass der Vorstand mit dem Ankeraktionär eine Geheimhaltungs­vereinbarung trifft,130 die den Ankeraktionär verpflichtet, die Informationen Dritten gegenüber vertraulich zu behandeln und nur für Zwecke zu verwenden, die die Informationsweitergabe an ihn gerechtfertigt haben.

Zudem darf der Vorstand dem Ankeraktionär wegen der erforderlichen Abwägung im konkreten Einzelfall nicht verpflichtend pauschal zusagen, ihn regelmäßig mit Informationen zu versorgen (sog. Verbot der Vorwegbindung).131

(3) Zwischenergebnis

Der Vorstand darf dem Ankeraktionär sowohl „einfache“ Informationen als auch Informationen, die dem aktienrechtlichen Geheimnisschutz unterliegen, zukommen lassen, wenn er im Einzelfall abgewogen hat, dass der Informationsaustausch die Ungleichbehandlung zugunsten des Unternehmens rechtfertigt.

c) Aktienrechtliches Kompetenzgefüge

Jedoch steht auch das Kompetenzgefüge der Aktiengesellschaft nach einigen Autoren132 einem privilegierten Informationsaustausch mit dem Ankeraktionär entgegen. So nehme der Ankeraktionär damit die Rolle eines „Schattenauf­sichtsrats“ ein, der den Vorstand zusätzlich kontrolliere.133 Dies stehe im Wider­spruch zu § 90 AktG und § 111 I AktG, wonach der Vorstand dem Aufsichtsrat berichte und der Aufsichtsrat den Vorstand überwache. Die Kontrollfunktion der Aktionäre beschränke sich hingegen gemäß § 118 I 1 i.V.m. § 131 I 1 AktG auf die Wahrnehmung ihrer Rechte in der Hauptversammlung.

In den vorliegenden Fallkonstellationen wird der Ankeraktionär jedoch auf die Initiative des Vorstands informiert. Dadurch nimmt er gerade nicht die Rolle des Aufsichts­rats ein, der gemäß § 90 III 1 AktG jederzeit einen Bericht vom Vorstand über Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen kann. Solange der Informations­aus­tausch vom Vorstand initiiert und kontrolliert wird, steht das aktienrechtliche Kompe­tenzgefüge dem Informationsaustausch mit dem Ankeraktionär nicht entgegen.

2. Zwischenergebnis

Der Vorstand ist berechtigt, der Erwartung des Ankeraktionärs an einem privile­gier­ten Informationsaustausch zu entsprechen. „Einfache“ Informationen und solche, die dem Geheimnisschutz unterliegen, darf der Vorstand nach § 53a AktG und § 93 I 3 AktG im Unternehmensinteresse nach Einzelabwägung weitergeben. Die Weitergabe von Insiderinformationen ist grundsätzlich unzulässig; eine Aus­nahme besteht im Fall der Marktsondierung nach Art. 11 MAR.

II. Einflussbegehren: Vertretung im Aufsichtsrat der Gesellschaft

Ein weiteres Anliegen des Ankeraktionärs ist regelmäßig, ein Aufsichtsratsmandat zu erhalten.134 Über den Aufsichtsrat kann er Einfluss auf die künftige Unter­nehmensstrategie ausüben, da der Aufsichtsrat den Vorstand gemäß § 84 I 1 AktG bestellt, ihn gemäß § 111 I AktG überwacht und gemäß


122 Bachmann, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, Band 22, 2017, 135, 166.

123 Schmolke, ZGR 2007, 701, 707; so auch Kuntz (Fn. 120), S. 587 in Bezug auf Venture Capital.

124 Grundlegend zur rational apathischen Verhaltensweise von Kleinaktionären Clark, 29 Case W. Res. L. Rev. 776, 779 ff. (1979).

125 Faure, Verantwortung institutioneller Aktionäre im deutschen Aktienrecht, 2019, S. 117.

126 Herz, NZG 2020, 285, 291; kritisch Koch, ZGR 2020, 183, 208 f., da es der Praxis keine Schwierigkeiten bereite, plausible Argumentationsmuster zu entwickeln, die ein Ungleichbehandlung rechtfertigen können.

127 Veil, ZHR 172 (2008), 239, 244.

128 Hüffer/Koch (Fn. 4), § 93 Rn. 31; Seibt/Kulenkamp, AG 2018, 549, 553.

129 Verse (Fn. 23), S. 532.

130 Kalss, ZGR 2020, 217, 232; a.A. Fleischer, ZGR 2009, 505, 529, der am Grundsatz der informationellen Gleichbehandlung festhalten möchte, da Schutzvorkehrungen nicht geeignet seien.

131 Graßl/Nikoleyczik, AG 2017, 49, 54; rechtsvergleichend Fleischer, FS Schwark 2009, 137, 149 ff.

132 Assmann, AG 1997, 50, 57; Verse (Fn. 23), S. 537.

133 S. Fn. 132.

134 Seibt, FS Hopt 2020, 1171, 1174.

Krause, Möglichkeiten und Grenzen des Vorstands bei der Gewinnung von Ankeraktionären42

§ 111 IV 2 AktG bestimmte Arten von Geschäften von seiner Zustimmung abhängig machen kann. Daher ist ein Ankeraktionär typischerweise bestrebt, einen oder mehrere Aufsichtsratssitze durch eigene Repräsentanten zu besetzen.135 Auch hier stellt sich die Frage, ob der Vorstand den Ankeraktionär dabei unterstützen kann.

1. Kein Einfluss des Vorstands bei vollständiger Besetzung des Aufsichtsrats

Ist der Aufsichtsrat vollständig besetzt, hat der Vorstand keine Möglichkeit, Einfluss auf die Besetzung des Aufsichtsrats zu nehmen. Gemäß § 103 I 1 AktG entscheidet ausschließlich die Hauptversammlung über die Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds.136 Zwar kann ein Aufsichtsratsmitglied sein Amt auch frei­willig niedergelegen,137 jedoch hat der Vorstand rechtlich darauf keinen Einfluss.

2. Einfluss des Vorstands im Fall der Vakanz

Sollte ein Aufsichtsratsmitglied sein Amt bereits freiwillig niedergelegt haben,138 stehen dem Vorstand folgende Möglichkeiten offen, eine Vertretung des Anker­aktionärs im Aufsichtsrat zu unterstützen:139

a) Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern durch die Hauptversammlung

Aufsichtsratsmitglieder werden im Regelfall gemäß § 101 I 1 Alt. 1 AktG durch die Hauptversammlung gewählt.140 Der Vorstand hat gemäß § 121 II 1 AktG die Kompetenz, die Hauptversammlung einzuberufen. Zudem bestimmt der Vorstand nach § 121 III 2 AktG die Tagesordnung. Er kann als einen Tagesordnungspunkt somit die Wahl eines neuen Aufsichtsratsmitgliedes festlegen. Die Kompetenz, einen konkreten Wahlvorschlag zu unterbreiten, also einen Kandidaten vorzu­schlagen, liegt gemäß § 124 III 1 2. Hs. AktG allerdings beim Aufsichtsrat.141 Die Wahlkompetenz liegt wiederum gemäß § 101 I 1 At. 1 AktG ausschließlich bei der Hauptversammlung, die gemäß § 101 I 2 AktG an Wahlvorschläge des Aufsichts­rats nicht gebunden ist.142

Als Unterstützungshandlung kann der Vorstand im Vorfeld der Hauptversammlung durch Gespräche mit dem Aufsichtsrat – insbesondere mit dem Nominierungs­ausschuss143 – darauf hinwirken, dass der Aufsichtsrat der Hauptversammlung einen Repräsentanten des Ankeraktionärs vorschlägt.144 Dabei darf der Vorstand keinen unzulässigen Druck auf den Aufsichtsrat ausüben.145 Die Kompetenz der Aufsichtsratsmitglieder, kraft eigener Willensbildung zu handeln, muss also gewahrt bleiben.146 Daher hat der Vorstand keinen rechtlich gesicherten Einfluss auf die Entscheidungsfindung. Dies entspricht dem gesetzlichen Leitbild, wonach der Aufsichtsrat den Vorstand überwacht, sodass der Vorstand ihn daher nicht selbst zusammenstellen darf.

b) Gerichtliche Bestellung, § 104 AktG

Eine Möglichkeit des Vorstands, bei nicht vollständiger Besetzung Einfluss auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats zu nehmen, ergibt sich aus seinem Vorschlagsrecht gemäß § 104 I 1, II 3 AktG.147 Danach hat das Gericht den Aufsichtsrat auf die zur Beschlussfassung notwendige Zahl (§ 104 I 1 AktG) bzw. auf die in Gesetz oder Satzung vorgesehene Zahl (§ 104 II 1 AktG) zu ergänzen. Zwar entscheidet das Gericht nach § 37 FamFG grundsätzlich frei und ist an den Vorschlag des Vorstands nicht gebunden.148 In der Praxis ist es jedoch üblich, dass das Gericht im Sinne des Antragstellers entscheidet.149

aa) Beschlussunfähigkeit, § 104 I 1 AktG

Voraussetzung für die gerichtliche Bestellung ist nach § 104 I 1 AktG, dass dem Aufsichtsrat nicht die zur Beschlussfähigkeit notwendige Zahl von Mitgliedern angehört. Die Beschlussfähigkeit bestimmt sich in erster Linie nach der Satzung, soweit keine vorrangigen gesetzlichen Vorgaben einzuhalten sind, § 108 II 1 AktG.150 In Ermangelung einer Satzungsbestimmung legt § 108 II 2 AktG fest, dass der Aufsichtsrat beschlussfähig ist, wenn mindestens die Hälfte seiner Mitglieder an der Beschlussfassung teilnimmt. Folglich müssten für den Fall, dass keine andere Bestimmung in der Satzung vorgesehen ist, über die Hälfte der Aufsichts­rats­mitglieder ihr Amt niederlegen, damit der Vorstand einen Antrag gemäß § 104 I 1 AktG stellen kann.151

bb) Unterbesetzung, § 104 II AktG

Zusätzlich hat der Vorstand nach § 104 II 1 AktG ein Antragsrecht, wenn dem Aufsichtsrat über einen längeren Zeitraum als drei Monate weniger Mitglieder angehören als gesetzlich oder satzungsmäßig vorgeschrieben. Der Antrag auf Bestellung darf – außerhalb von dringenden Fällen – nicht vor Ablauf von drei Monaten erfolgen.152 Dies kann problematisch sein, wenn der Ankeraktionär auf eine sofortige Bestellung drängt.153 In paritätisch mitbestimmten Gesellschaften liegt ein dringender Fall jedoch nach


135 Steinert, Sicherung der Interessen der Zielgesellschaft mittels einer Investorenvereinbarung, 2013, S. 139.

136 Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit (Fn.45), § 103 Rn. 5.

137 Zur Zulässigkeit der Amtsniederlegung ohne wichtigen Grund Hüffer/Koch (Fn. 4), § 103 Rn.17; Bunting, ZIP 2020, 2169, 2170 ff.

138 Die freiwillige Amtsniederlegung eines noch amtierenden Amtsmitglieds entspricht der Praxis, siehe bspw. Geschäftsbericht Uniper 2018, S. 9: Nach dem Beteiligungserwerb von Fortum i.H.v. 47,12 % an der Uniper SE im Rahmen eines Übernahmeangebots hat ein Aufsichtsratsmitglied sein Amt freiwillig niedergelegt.

139 In der Praxis werden „Bemühensverpflichtungen“ vereinbart.

140 Habersack, in: MüKoAktG (Fn. 5), § 101 Rn. 7.

141 Hüffer/Koch (Fn. 4), § 124 Rn. 18.

142 Hüffer/Koch (Fn. 4§ 101 Rn. 3.

143 Diesen zu bilden wird in D.5 DCGK empfohlen. Er hat die Aufgabe, dem Aufsichtsrat geeignete Kandidaten für Wahlvorschläge gemäß § 124 III 1 2. Hs. AktG vorzuschlagen, Kremer, in: DCGK (Fn. 87), D.5 Rn. 2.

144 Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 205.

145 Reichert/Ott, FS Goette 2011, 397, 401; Reichert, ZGR 2015, 1, 30.

146 Habersack, in: MüKoAktG (Fn. 5)§ 111 Rn. 160.

147 Hoffmann-Becking, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftrehta, 5. Auflage, 2020, § 30 Rn. 75.

148 Hüffer/Koch (Fn. 4), § 104 Rn. 5.

149 Kiem, AG 2009, 301, 309; v. Wietzlow/Gemmecke, AG Report 2003, 302.

150 Hüffer/Koch (Fn. 4), § 108 Rn. 15.

151 Spindler, in: BeckOGK-AktG (Fn. 5), § 104 Rn. 16.

152 Hüffer/Koch (Fn. 4), § 104 Rn. 10.

153 Kiem, AG 2009, 301, 309.

Krause, Möglichkeiten und Grenzen des Vorstands bei der Gewinnung von Ankeraktionären43

§ 104 III Nr. 2 AktG stets vor, wenn ein Mitglied fehlt, um die nötige Parität wiederherzustellen.154 Ist dies gegeben, kann der Vorstand einen Antrag stellen und damit die Zusammensetzung des Aufsichts­rats faktisch beeinflussen.

cc) Würdigung

Problematisch erscheint, dass der Einfluss auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats durch den Vorstand nicht dem gesetzlichen Leitbild des § 101 I 1 AktG entspricht. In der Folge könnte der Aufsichtsrat durch Anträge des Vorstands mit Mitgliedern besetzt sein, die ohne Legitimation der Aktionäre lediglich das Vertrauen des Vorstands genießen.155 Jedoch bestimmt § 104 VI AktG, dass das Amt des gerichtlich bestellten Aufsichtsratsmitglieds erlischt, sobald der Mangel behoben ist, also der Aufsichtsrat durch die nächste Wahl der Hauptversammlung nicht mehr unterbesetzt ist.156 Im Einklang dazu spricht auch C.15 Satz 2 des Deutschen Corporate Governance Kodex die Empfehlung aus, den Antrag auf gerichtliche Bestellung bis zur nächsten Hauptversammlung zu befristen.157 Eine Abweichung von dieser Empfehlung muss der Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft gemäß § 161 I AktG erklären („comply or explain“). Insofern ist das durch den Vorstand benannte Mitglied lediglich bis zur nächsten Hauptver­sammlung nicht durch die Hauptversammlung legitimiert. Die Gefahr, dass der Vorstand sich einen eigenen Aufsichtsrat schafft, besteht also nicht.

3. Zwischenergebnis

Der Vorstand kann das Begehren des Ankeraktionärs, im Aufsichtsrat vertreten zu sein, nur unterstützen, wenn ein Mitglied bereits freiwillig zurückgetreten ist und der Vorstand als Vermittler Gespräche mit dem Aufsichtsrat führt oder wenn die Voraussetzungen für die gerichtliche Bestellung vorliegen und das Gericht dem Vorschlag des Vorstands folgt.

D. Fazit

Die Untersuchung hat gezeigt, dass die gesetzliche Ordnung einer Aktiengesell­schaft dem Vorstand einen engen Rahmen für die Gewinnung eines Ankeraktionärs vorgibt. Jedoch sind ihm Möglichkeiten eröffnet, die besondere Bedeutung des Ankeraktionärs für die Gesellschaft zu berücksichtigen. Scharniere, die diese Öffnung bewirken, sind insbesondere ein weites Verständnis der Leitungs­kompetenz des Vorstands (§ 76 I AktG), eine alle stakeholder-Interessen erfassende Interpretation des Unternehmensinteresses, sowie eine Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 53a AktG), die sachgerechte Differenzierungen zulässt.

Der Vorstand kann auf folgende „Checkliste“ zurückgreifen, wenn er einen Ankeraktionär gewinnen möchte:

(1) Der Vorstand darf sich um einen Ankeraktionär bemühen, wenn die mit dem konkreten Ankeraktionär verbundenen Chancen die Risiken unter ausschließlicher Berücksichtigung des Unternehmensinteresses überwiegen. Es handelt sich um eine unternehmensstrategische Entscheidung, die von der Leitungskompetenz des Vorstands aus § 76 I AktG gedeckt ist.

(2) Der Vorstand darf der Erwartung des Ankeraktionärs, einen privilegierten Informationsaustausch zu unterhalten, entsprechen, soweit dies nach einer Abwägung im konkreten Einzelfall vor dem Hintergrund des § 53a AktG im Unternehmensinteresse sachgerecht erscheint.

(3) Der Vorstand kann dem Ankeraktionär zusagen, ihn bei einer Vertretung im Aufsichtsrat im Fall einer Vakanz zu unterstützen, indem er als Vermittler Gespräche mit dem Aufsichtsrat führt oder eine gerichtliche Bestellung beantragt. Die konkrete Entscheidungsbefugnis liegt jedoch nicht bei ihm, sondern beim Gericht oder bei der Hauptversammlung.


154 Hüffer/Koch (Fn. 4), § 104 Rn. 11.

155 v. Wietzlow/Gemmecke, AG Report 2003, 302.

156 OLG München, Beschl. v. 12.7.2006 – 31 Wx 47/06 –, juris Rn. 7.

157 Kremer, in: DCGK (Fn. 87), C.15 Rn. 5.