Möglichkeiten und Grenzen der arbeitsvertraglichen Pflicht, private Arbeitsmittel zu nutzen (am Beispiel von Essenslieferanten)

Ronja May*

A. Einleitung

„Rider geil“ – so wirbt ein Lieferdienst mittels Plakaten in U-Bahn-Stationen für die Tätigkeit als Essensauslieferer und hebt die Flexibilität der Tätigkeit sowie die vielen zur Wahl stehenden Verkehrsmittel zur Auslieferung hervor. Es entsteht der Eindruck, es handele sich um einen coolen, attraktiven Job.

„Liefern am Limit“ – der Zusammenschluss von eben solchen „Ridern“ bei der Gewerkschaft NGG setzt sich für fairere Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung des „gefährlichen und harten“ Jobs ein.

Lieferdienste sind spätestens mit der Corona-Pandemie ein fester Bestandteil des Konsumverhaltens geworden. Doch die attraktive Bewerbung des Jobs als Auslieferer kann einer Nachprüfung der eigentlichen Tätigkeit nicht standhalten. Schlechte Bezahlung, das Behindern von Betriebsräten, Überwachung der Rider durch Apps und unsichere Anstellungsverhältnisse sind nur einige der vielfach vorgebrachten Kritikpunkte.1

Für die Tätigkeit als „Rider“ benötigt man vor allem zweierlei: ein Verkehrsmittel, meist ein Fahrrad, um die Bestellungen auszuliefern, sowie ein Mobiltelefon mit Internetzugang, um Bestellungen und Routen einzusehen. Der Lieferdienst „Lieferando“ verpflichtete die Arbeitnehmer, ihre eigenen Mobiltelefone und ihr Datenvolumen kompensationslos für das Ausliefern einzusetzen. Zudem musste das eigene Fahrrad genutzt werden. Für Letzteres war eine Reparaturgutschrift in Höhe von 25 Cent pro gearbeiteter Stunde vorgesehen, die allerdings nur bei einer vom Arbeitgeber vorgegebenen Werkstatt eingelöst werden konnte.

Zwei „Rider“ aus Frankfurt am Main gingen dagegen durch alle Instanzen. Mit Erfolg: Das BAG stellte am 10.11.2021 fest, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, Fahrrad und Mobiltelefon zur Verfügung zu stellen, da es sich um essentielle Arbeitsmittel handelt.2

Lieferanten sind jedoch längst nicht die ersten und auch nicht die einzigen Arbeitnehmer, die mögliche Erstattungspflichten des Arbeitgebers einzufordern suchen. Die Thematik ist in vielen Lebensbereichen prominent und höchst aktuell. Beispielsweise wenn Lehrer die Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer,3 Azubis die Kosten für Ausbildungsliteratur4 und LKW-Fahrer die Kosten für eine Fahrerkarte für einen digitalen Tachographen5 vom Arbeitgeber erstattet bekommen möchten.

Unter welchen Voraussetzungen und in welchem Ausmaß den Arbeitgeber eine Pflicht trifft, Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen, wird im Folgenden untersucht.

B. Hintergrund

Für die Verpflichtung des Arbeitgebers, essentielle Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen, ist eine rechtliche Grundlage erforderlich. Fraglich ist, woraus sich eine solche Pflicht ergeben könnte.

Als erster Anknüpfungspunkt kommen die Maßgaben des Arbeitsvertrages und sonstige individualvertragliche Vereinbarungen in Betracht. Oft genug stecken diese Regelungen Art und Umfang des Bereitstellens von Arbeitsmitteln nicht ausreichend ab oder können einer AGB-Kontrolle nicht standhalten.

Um dem beizukommen, kann man im Falle von nicht vorhandenen oder unwirksamen individualvertraglichen Vereinbarungen an die gesetzliche Wertung der §§ 611a, 615 S. 3, 618 BGB anknüpfen. Denen ist zu entnehmen, dass der Arbeitnehmer ganz vorrangig dafür vergütet wird, seine Arbeitsleistung zu erbringen.6 Ebenfalls in der Vergütung enthalten ist die Pflicht, geringwertige Sachmittel wie etwa die Privatkleidung zu nutzen, um die Arbeitsleistung zu erbringen.7

Nicht aber, und das ist hier zentral, soll der Arbeitnehmer die essentiellen Arbeitsmittel stets selbst zur Verfügung stellen müssen. Grundlage dessen ist der Gedanke, dass sowohl die Kosten der Arbeitsmittel als auch das Ausfallrisiko bei defekten Arbeitsmitteln in die Risikosphäre des Arbeitgebers fallen sollen, da diese Aspekte über die Pflicht, lediglich die Arbeitsleitung zu erbringen, hinausgehen.8 Andererseits können Gegenstände, selbst wenn sie essentielle Arbeitsmittel sind, unter bestimmten Umständen trotzdem nicht vom Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen sein. Auf die


*Die Autorin ist Studentin im Schwerpunkt Arbeitsrecht an der Bucerius Law School. Der Beitrag ist im Rahmen der Probeseminararbeit im Schwerpunktbereich entstanden. 

1 https://t1p.de/d4lb, zuletzt besucht 17.06.2022.

2 BAG 10.11.2021, 5 AZR 335/21 = BeckRS 2021, 47855 (folgend: BAG a.a.O.). Zum Entstehungszeitpunkt dieser Probeseminararbeit lag der Volltext des BAG-Urteils noch nicht vor, sodass die ursprüngliche Bearbeitung auf dem vorinstanzlichen Urteil des LAG Hessen 12.03.2021, 14 Sa 306/20 = BeckRs 2021, 15627 (folgend: LAG Hessen a.a.O.) basiert. An relevanten Stellen wurden Anpassungen an das nun vorliegende BAG-Urteil vorgenommen. Da das BAG das LAG Hessen weitgehend bestätigt hat, bleibt es beim Verweis auf das Urteil des LAG Hessen, wenn sich keine Neuerungen ergeben.

3 BAG 12.4.2011, 9 AZR 14/10 = NZA 2012, 97.

4 BAG 16.12.1967, 3 AZR 556/75 = BeckRS 9998, 150625.

5 BAG 16.10.2007, 9 AZR 170/07 = NJW 2008, 1612.

6 LAG Hessen a.a.O. Rn. 26.

7 Franck, NZA-RR 2021, 515.

8 LAG Hessen a.a.O. Rn. 26.

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Abgrenzung und die daraus folgenden Fragestellungen wird in dieser Arbeit ein Augenmerk gelegt.

Es gibt also drei mögliche Konstellationen: Erstens kann eine Sache ein essentielles Arbeitsmittel sein und der Arbeitgeber muss sie zur Verfügung stellen. Zweitens kann eine Sache ein essentielles Arbeitsmittel sein und der Arbeitgeber muss sie nicht zur Verfügung stellen. Drittens kann die grundsätzlich bestehende Pflicht, ein essentielles Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen, individualvertraglich abbedungen werden.

In dieser Arbeit werden die verschiedenen Konstellationen am Beispiel des Lieferando-Falles beleuchtet.

C. Hauptteil

I. Definition der essentiellen Arbeitsmittel

Diejenigen Dinge, die als essentielle Arbeitsmittel anzusehen sind, variieren stark nach Art des Betriebs und Charakter und Umfang der Arbeitsleistung.

§ 2 Abs. 1 BetrSichV legaldefiniert Arbeitsmittel als „Werkzeuge, Geräte, Maschinen oder Anlagen, die für die Arbeit verwendet werden, sowie überwachungsbedürftige Anlagen“.9 Umfasst ist hier aber lediglich der Begriff der Arbeitsmittel im arbeitsschutzrechtlichen Sinne. In einer Gesamtbetrachtung ist der Begriff weiter zu fassen, denn auch Gegenstände, die keine Werkzeuge, Geräte oder Maschinen im engeren Sinne sind, können Arbeitsmittel sein, wie zum Beispiel ein Fahrrad oder ein Smartphone.10 Insbesondere gibt es viele Berufsgruppen, gerade im Dienstleistungssektor, die nicht mit Maschinen oder Ähnlichem operieren. Deshalb sind essentielle Arbeitsmittel immer diejenigen Mittel, die für die Durchführung der jeweiligen Arbeit zwingend erforderlich sind.11

II. Maßstab: Unter welchen Voraussetzungen müssen essentielle Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt werden?

Dass der Arbeitgeber die essentiellen Arbeitsmittel grundsätzlich zur Verfügung zu stellen hat, ergibt sich bereits aus dem Gesetz (hierzu unter 1.). In der Rechtsprechung wird der Umfang dieser Regelung sinnvoll konkretisiert und nachgeschärft und klargestellt, unter welchen Umständen die Pflicht des Arbeitgebers entfällt (hierzu unter 2.).

1. Gesetzliche Wertung

Gemäß §§ 611a, 615 S. 3, 618 BGB ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, die essentiellen Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen. Das umfasst nicht nur, dass die Arbeitsmittel zu Beginn der Arbeit bereitstehen müssen, sondern auch, dass sie sich dauerhaft in einem Zustand befinden, der die einwandfreie und sichere Benutzung ermöglicht.12

Im Einzelnen regelt § 611a I 1 BGB, dass der Arbeitnehmer „zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit“ verpflichtet ist, und zwar ausschließlich zur Beibringung seiner Arbeitskraft bei einer angemessenen Anspannung seiner geistigen und körperlichen Kräfte, die er dauerhaft leisten kann, ohne eine Gesundheitsschädigung befürchten zu müssen.13 Dazu ist der Arbeitnehmer verpflichtet, die betriebliche Ordnung14 und verschiedene Treuepflichten gegenüber dem Arbeitgeber zu wahren.15 Nicht aber ist dem Wortlaut des § 611a BGB eine Pflicht des Arbeitnehmers zu entnehmen, die für die Erbringung der Arbeitsleistung erforderlichen Arbeitsmittel bereitzustellen.16

Indes legt § 615 S. 3 BGB dem Arbeitgeber das betriebliche Risiko auf. Das bedeutet, dass es in die Risikosphäre des Arbeitgebers fällt, wenn ein Arbeitnehmer, der bereit ist, seine Arbeitsleistung zu erbringen, es nicht kann, weil die dazu notwendigen Arbeitsmittel nicht vorhanden oder nicht nutzbar sind.17 Dem immanent ist die Pflicht des Arbeitgebers, die Arbeitsmittel überhaupt zur Verfügung zu stellen.18

Zusätzlich wird dem Arbeitgeber in § 618 BGB die Pflicht auferlegt, die für die Verrichtung der Dienste des Arbeitnehmers notwendigen Vorrichtungen und Gerätschaften sicher einzurichten und zu unterhalten. Zwar ist der primäre Zweck dieser Vorschrift der Schutz von Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer vor den Gefahren, die von den Arbeitsmitteln ausgehen.19 Dem vorgelagert setzt die Vorschrift voraus, dass die Arbeitsmittel an sich auch vom Arbeitgeber bereitgestellt werden.20

2. Konkretisierung in Rechtsprechung und Literatur

Der soeben erläuterte Grundsatz, dass der Arbeitgeber die essentiellen Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen hat, ist auch in der Literatur und in der Rechtsprechung anerkannt (hierzu im Folgenden).

Jedoch gilt dieser Grundsatz nicht unbeschränkt. Es haben sich Ausnahmen herausgebildet, nach denen die Pflicht des Arbeitgebers, die essentiellen Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen, unter bestimmten Kriterien entfallen kann.

a) Selbstverständliche Einsatzpflicht des Arbeitnehmers

Die erste Fallgruppe, bei welcher Rechtsprechung und Literatur eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die essentiellen Arbeitsmittel vom Arbeitgeber bereitgestellt werden müssen, ist die selbstverständliche Einsatzpflicht des Arbeitnehmers.


9 Dazu RL 2009/104/EG und Kollmer, in: ArbSchG, § 2 BetrSichV, Rn. 1.

10 Sinnvoll und bereits implizit im Titel von LAG Hessen a.a.O. und BAG a.a.O. („Arbeitsmittel“)

11 Koch, in: Arbeitsrecht von A-Z, „Arbeitsmittel“.

12 Klein, in: GM/KH, § 12, Rn. 70.

13 Ausführlich Spinner, in: MüKoBGB, § 611a BGB, Rn. 925.

14 Spinner, in: MüKoBGB, § 611a BGB, Rn. 981 f.

15 Spinner, in: MüKoBGB, § 611a BGB, Rn. 993 f.

16 So auch explizit LAG Hessen a.a.O., Rn. 18 und BAG a.a.O. Rn. 12a).

17 Henssler, in: MüKoBGB, § 615 BGB, Rn. 96.

18 Henssler, in: MüKoBGB, § 615 BGB, Rn. 103, m.w.N.

19 Baumgärtner, in: BeckOKBGB, § 618 BGB, Rn. 1.

20 Vgl. § 2 VIII S. 1 ArbStättV und Henssler, in: MüKoBGB, § 618 BGB, Rn. 35.

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Das, was zur selbstverständlichen Einsatzpflicht des Arbeitnehmers gehört, wird bereits mit der Zahlung der Vergütung ausgeglichen und es entsteht kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Bereitstellung solcher Arbeitsmittel.21

Umfasst hiervon sind Gegenstände des täglichen Lebens, die notwendigerweise und selbstverständlich im Rahmen des Arbeitsverhältnisses genutzt werden. Dass diese Schaden nehmen oder verschleißen können, fällt in den Risikobereich des Arbeitnehmers, solange der Schaden „arbeitsadäquat“ ist.22 Darunter fallen solche Sachschäden, mit denen der Arbeitnehmer nach Art und Natur des Betriebes und der Arbeitsleitung rechnen muss.

Ein Beispiel dafür ist etwa die Privatkleidung bei einem Bürojob. Der Arbeitgeber muss nicht grundsätzlich Strümpfe zur Verfügung stellen und für Laufmaschen in Strümpfen nicht aufkommen, wenn diese bei einer Tätigkeit im Rahmen des Arbeitsverhältnisses Schaden genommen haben.23

b) Interessenabwägung

Die prominenteste Abweichung von dem Grundsatz, dass der Arbeitgeber die essentiellen Arbeitsmittel zur Verfügung stellen muss, ist die Interessenabwägung.

Hiernach kann dem Arbeitgeber die Pflicht, essentielle Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen oder dem Arbeitnehmer entsprechende Aufwendungen zu ersetzen, nur dann auferlegt werden, wenn sein Interesse an dem Arbeitsmittel so weit überwiegt, dass das Interesse des Arbeitnehmers vernachlässigt werden kann.24

Die Abwägung ist umfassend und verobjektiviert am Einzelfall vorzunehmen. Insbesondere sind die wirtschaftlichen Interessen der Parteien, aber auch Praktikabilitätserwägungen und Erleichterungen im täglichen Leben einzubeziehen. Ebenfalls zu beachten ist, ob es dem Arbeitnehmer freistand, bereits vorhandene Arbeitsmittel zu nutzen, anstatt selbst Aufwendungen zu tätigen.25 Besonders relevant wird das in Fällen, in denen es um die Erstattung von Kosten für ein Home-Office geht.

Ein Home-Office kann von Vorteil für den Arbeitnehmer sein, der sich so Kosten und Zeit für die Anfahrt erspart. Insbesondere, wenn es dem Arbeitnehmer freistand, ein bereits eingerichtetes Büro zu nutzen, überwiegt sein Interesse an dem Home-Office und der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, für die Kosten aufzukommen.26

III. Pflicht zur Bereitstellung der essentiellen Arbeitsmittel im Lieferando-Fall

Eine grundsätzliche Verpflichtung besteht also nicht und es muss im Einzelfall unter den genannten Kriterien entschieden werden.

Im Lieferando-Fall handelt es sich bei Fahrrad und Mobiltelefon um essentielle Arbeitsmittel, da die Arbeitsleistung darin besteht, Aufträge in einer Smartphone-App anzunehmen und mit dem Fahrrad auszuliefern. Ohne Fahrrad und Mobiltelefon ist die Arbeit schlechthin nicht möglich. Im Prozess ist das zwischen den Parteien unstreitig.27 Ausgehend von der gesetzlichen Wertung muss der Arbeitgeber also Fahrrad und Smartphone stellen.

Eine selbstverständliche Einsatzpflicht der Arbeitnehmer liegt ebenfalls fern. Die beiden Gegenstände sind so zentral für die Erbringung der Arbeitsleistung, dass ein Verschleiß oder Zerstörung während der Arbeit nicht mehr vom normalen Lebensrisiko erfasst ist. Zudem kann nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass jeder Arbeitnehmer ein Fahrrad und ein (internetfähiges) Mobiltelefon besitzt, so wie es etwa bei Kleidung der Fall ist.

Aber überwiegt das Interesse des Arbeitgebers an Fahrrad und Mobiltelefon so weit, dass das Interesse der Arbeitnehmer zu vernachlässigen ist? Beleuchtet man zunächst die wirtschaftlichen Interessen, wird klar: Ohne Fahrrad und Mobiltelefon kann kein Arbeitnehmer seine Arbeit verrichten und das Geschäftsmodell des Arbeitgebers würde nicht funktionieren. Zudem hätte ein Fahrrad und ein Mobiltelefon , das nur im Rahmen des Arbeitsverhältnisses genutzt werden darf – in Abgrenzung zu einem Home-Office – keinerlei positive Auswirkungen auf die Lebensgestaltung der Arbeitnehmer. Anders als bei einem Home-Office bedeuten diese Gegenstände keine Erleichterungen oder Vergünstigungen im täglichen Leben, wie es beim Home-Office der Fall sein kann (siehe oben). Ebenfalls standen im hiesigen Fall keine anderen Arbeitsmittel von Seiten des Arbeitgebers zur Verfügung, derer sich der Arbeitnehmer bedienen konnte.28

Insgesamt ist also festzuhalten, dass das Interesse des Arbeitgebers an Fahrrad und Mobiltelefon überwiegt.

Der Arbeitgeber ist also verpflichtet, diese Gegenstände als essentielle Arbeitsmittel bereitzustellen.

IV. Abdingbarkeit dieses Grundsatzes

Jedoch ist der Grundsatz, dass der Arbeitgeber die essentiellen Arbeitsmittel zur Verfügung stellen muss, dispositiv und kann durch eine individualvertragliche Vereinbarung abbedungen werden.29 Eine solche muss abgeschlossen werden und wirksam sein.

1. Inhalt der Abrede zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Im Lieferando-Fall brachte der Arbeitgeber vor, mit den Arbeitnehmern sei zumindest eine konkludente Vereinbarung darüber getroffen worden, dass diese ihr Mobiltelefon


21 BAG 14.10.2003, 9 AZR 657/02 = NJW 2004, 2036, 2038 mit Verweis auf BAG 10.11.1961, GS 1/60 = NJW 1962, 411, 415.

22 BAG NJW 1962, 411, 415.

23 Beispiel leicht verändert aus BAG NJW 1962, 411, 415.

24 BAG NZA 2012, 97, 99, Rn. 25 f. mit Verweis auf BAG NZA 2008, 1012, 1014, Rn. 21 f.

25 Schwiering/Zurel, ZD 2016, 17, 20.

26 BAG NZA 2012, 97, 99; Klein, NJ 2020, 337.

27 LAG Hessen a.a.O. Rn. 19; BAG a.a.O. Rn. 18.2.

28 Abgrenzung zum Home-Office-Fall BAG NZA 2012, 97, siehe ausführlich oben.

29 BAG a.a.O. Rn. 19 m.w.N.

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und ihr Fahrrad selbst und weitgehend auf eigene Kosten – abgesehen von der Reparaturgutschrift – stellen müssen. Das äußere sich darin, dass die Rider anderes Equipment, wie etwa Kleidung und einen Rucksack, vom Arbeitgeber gestellt bekamen. In einer als „Pfandvertrag“ (§ 2 III des Arbeitsvertrages) bezeichneten Vereinbarung wurde das verschriftlicht. Indem die Rider also ihre Arbeit in dem Wissen aufnahmen, nur die im „Pfandvertrag“ bezeichneten Gegenstände, nicht aber ein Fahrrad und ein Mobiltelefon gestellt zu bekommen, willigten sie nach Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB konkludent ein, diese beiden Gegenstände selbst mitzubringen – so der Arbeitgeber.30

2. Grundsatz: BYOD-Vereinbarungen sind zulässig

Grundsätzlich steht es den Parteien auch frei, eigene Vereinbarungen zur Beibringung der Arbeitsmittel zu treffen. Besonders bei Dienstleistern, bei deren Tätigkeit keine Arbeit mit schweren Maschinen, sondern lediglich mit Mobiltelefonen, anderen elektronischen Geräten oder Transportmitteln wie Fahrrädern anfällt, ist dieses Modell beliebt. Unter dem Schlagwort „Bring your own device (BYOD)“ werden die Vor- und Nachteile und die rechtlichen und praktischen Probleme dieses Modells von Kostenersparnissen, Mitarbeiterbindung und Datenschutz bis hin zur Vermengung von Arbeits- und Freizeit diskutiert.31

3. BYOD-Vereinbarung im Lieferando-Fall: War sie wirksam?

Solche Vereinbarungen müssen sich an § 138 BGB sowie gegebenenfalls AGB-Klauselverboten messen lassen. Fraglich ist bereits, welche der beiden Regelungen vorrangig zu prüfen ist.

a) Nichtigkeit nach § 138 BGB

Eine Vereinbarung ist nach § 138 BGB nichtig, wenn sie gegen die guten Sitten verstößt. Umfasst ist das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden.32

Fraglich ist aber, ob die Vereinbarung in § 2 III des Arbeitsvertrages überhaupt an § 138 BGB zu messen ist. § 138 BGB ist eine allgemeine Regelung, der die §§ 305 f. BGB als leges speciales vorgehen,33 jedenfalls, wenn sich die Sittenwidrigkeit aus Gründen ergeben könnte, die auch für die Prüfung von §§ 305 ff. BGB relevant sind.34 Wenn es sich bei der BYOD-Vereinbarung um AGB handelt, sind die Vorschriften zur AGB-Kontrolle also vorrangig zu prüfen.35

b) Unwirksamkeit wegen AGB-Klauselverbot

Die Vereinbarung könnte unwirksam sein, wenn es sich dabei um AGB handelt, diese wirksam einbezogen wurden und ein Verstoß gegen eines der Klauselverbote der §§ 309, 308 BGB oder ein Verstoß gegen § 307 BGB vorliegt.

aa) Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB

Der Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle ist gem. § 310 III, IV BGB eröffnet. Der Arbeitgeber handelt als Unternehmer gem. § 14 BGB.

Der Arbeitnehmer müsste Verbraucher gem. § 13 BGB sein. Ob das der Fall ist, war lange umstritten, bis das BAG dem Arbeitnehmer 2005 in einer wegweisenden Entscheidung ausdrücklich die Verbrauchereigenschaft zusprach.36 Die Literatur stimmt dieser Auffassung mittlerweile fast ausschließlich zu.37

bb) Der Arbeitsvertrag als Allgemeine Geschäftsbedingungen

Weiterhin müsste es sich beim Arbeitsvertrag der Rider um Allgemeine Geschäftsbedingungen handeln.

Dazu muss es sich um Vertragsbedingungen handeln, die für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert und von einer Vertragspartei gestellt worden sind und nicht im Einzelnen ausgehandelt wurden, § 305 I BGB.

(1) Vertragsbedingungen

Unter „Vertragsbedingungen“ ist der Inhalt des Vertrages zu verstehen. Das umfasst Haupt- und Nebenleistungspflichten und deren Modalitäten sowie Bestimmungen über den Abschluss, die Änderung oder der Beendigung von Verträgen.38

In § 2 III des Arbeitsvertrages zwischen Lieferando und den Ridern wird folgendes geregelt: „Dem Arbeitnehmer wird ausschließlich für den Einsatz während der Schichten Equipment von B gestellt, die Art des Equipments ist im Pfandvertrag geregelt. […]“.39 Im Pfandvertrag wurde weder ein Fahrrad noch ein Smartphone als Equipment aufgeführt.

§ 2 III des Arbeitsvertrages mit Bezug40 auf den Pfandvertrag regeln also eine Modalität der Erbringung der Hauptleistungspflicht. Laut dieser Vertragsklausel ist nämlich das zur Verfügung gestellte Equipment bei der Arbeit zu nutzen. Währenddessen impliziert sie, dass darüber hinaus kein Equipment zur Verfügung gestellt wird und insbesondere das Fahrrad und das Smartphone selbst beizubringen sind, (siehe bereits oben).

Es handelt sich folglich um Vertragsbedingungen.


30 LAG Hessen a.a.O., Rn. 7.

31 Ausführlich zu BYOD etwa Imping, CH, 70.11, Rn. 63 f.; Bartz/Grotenrath, CCZ 2019, 184; aufgegriffen von BAG a.a.O. Rn. 14 bb).

32 Armbrüster, in: MüKoBGB, § 138 BGB, Rn. 26.

33 Ganz h.M.: Deinert, in: AGB-K-A, § 307 BGB, Rn. 40; Wurmnest, in MüKoBGB, Vor § 307 BGB, Rn. 10; etwas anderes gilt nur, wenn die Klausel nicht der Inhaltskontrolle unterliegt, beispielsweise mangels Abweichung von einer Rechtsvorschrift (§ 307 III S. 1 BGB). So etwa im Fall BAG NZA 2013, 266, siehe Rn. 14 und 17.

34 Deinert, in: AGB-K-A, § 307 BGB, Rn. 40.

35 So auch Schönhöft, in: SKA, Ausschlussfristen, Rn. 4 f.

36 BAG NZA 2005, 1111, 1115.

37 Däubler, in: AGB-K-A, Einleitung, Rn. 60 f.; Preis, in: ErfK, § 310 BGB, Rn. 23; u.v.m.

38 Deinert, in: AGB-K-A, § 305 BGB, Rn. 5.

39 LAG Hessen a.a.O., Rn. 5.

40 AGB können auch auf andere Regelungen Bezug nehmen, so Deinert, in: AGB-K-A, § 305 BGB, Rn. 4 a.E.

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(2) Für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert

Von einer Vielzahl von Verträgen ist bereits auszugehen, wenn die Bedingungen mindestens drei Verträgen zugrunde liegen.41 Am 13.09.2021 beschäftigte Lieferando bereits über 5.000 Fahrer, Tendenz steigend.42 Schon aus Praktikabilitätsgründen ist es wohl höchstwahrscheinlich, dass sich in den meisten der Arbeitsverträge eine Klausel wie § 2 III des Arbeitsvertrages der beiden Rider befindet.

Vorformuliert sind Vertragsbedingungen, wenn sie zeitlich bereits vor Vertragsschluss vorliegen, also nicht individuellen Verhandlungen unterliegen.43 Das ist hier der Fall.

(3) „Stellen“ der Vertragsbedingungen durch den Arbeitgeber und kein „Aushandeln im Einzelnen“

Es wird gem. § 310 III Nr. 1 BGB gesetzlich vermutet, dass der Arbeitgeber die Vertragsbedingungen stellt. Etwas Abweichendes ist hier nicht ersichtlich. § 2 III des Arbeitsvertrages wurde auch nicht individuell ausgehandelt.

(4) Zwischenergebnis

Bei § 2 III des Arbeitsvertrages in Verbindung mit dem Pfandvertrag handelt es sich also um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 I BGB.

cc) Einbeziehungskontrolle

Weiterhin müssten die AGB auch in den Vertrag einbezogen worden sein.

Grundsätzlich richtet sich die Einbeziehungskontrolle nach § 305 II, III BGB. Nach § 310 IV S. 2 BGB a.E. finden diese Vorschriften auf Arbeitsverträge, wie hier, allerdings keine Anwendung.44

Deshalb richtet sich die Einbeziehungskontrolle bei Arbeitsverträgen nach den allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grundsätzen.45 Insbesondere kommt es also auf die §§ 145 f. BGB an. Die AGB können ausdrücklich oder – anders als bei Verträgen, bei denen § 305 II, III BGB zur Anwendung kommt – auch konkludent einbezogen worden sein.46

Eine konkludente Einbeziehung setzt nicht nur voraus, dass der Arbeitgeber erkennbar auf die AGB hinweist und der Arbeitnehmer dem nichts entgegensetzt, viel mehr muss das Verhalten des Arbeitnehmers nach §§ 133, 157 BGB darauf schließen lassen, dass er von den AGB Kenntnis genommen hat oder ihm diese gleichgültig waren.47

Im Falle der Lieferando-Rider wurde im Pfandvertrag festgehalten, welches Equipment vom Arbeitgeber gestellt werden sollte. Ein Fahrrad und ein Smartphone fielen jedoch nicht darunter. Die Rider bezahlten ein Pfand in Höhe von 100 Euro, nahmen das zur Verfügung gestellte Equipment in Gebrauch und führten ihre Arbeit mit dem eigenen Fahrrad und dem eigenen Smartphone aus.48 Daraus ist zu schließen, dass die Rider den § 2 III des Arbeitsvertrages kannten.

Es ist also festzuhalten, dass § 2 III des Arbeitsvertrages als AGB in den Arbeitsvertrag einbezogen wurde.

dd) Inhaltskontrolle

Bei § 2 III des Arbeitsvertrages handelt es sich um AGB. Auch wurden sie wirksam einbezogen. Weiterhin müsste die Vertragsklausel der Inhaltskontrolle unterworfen sein.

(1) Eröffnung der Inhaltskontrolle, § 307 III BGB

Nach § 307 III BGB unterliegen nur solche Bestimmungen in AGB der Inhaltskontrolle, durch die von gesetzlichen Regelungen abgewichen wird.49

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die essentiellen Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen und ein Fahrrad sowie ein Smartphone mit Datenvolumen sind essentielle Arbeitsmittel für die Rider (s.o.).

Durch § 2 III des Arbeitsvertrages wird konkludent festgelegt, dass die Rider weder ein Fahrrad noch ein Smartphone zur Verfügung gestellt bekommen. Es wird also von der gesetzlichen Regelung abgewichen und die Inhaltskontrolle ist gem. § 307 III BGB eröffnet.

(2) Inhaltskontrolle

Mangels Einschlägigkeit eines Klauselverbots nach §§ 308, 309 BGB richtet sich die Inhaltskontrolle nach § 307 I, II BGB.

ee) Maßstab

Hiernach sind Bestimmungen in AGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen, § 307 I BGB. Im Zweifel ist eine unangemessene Benachteiligung anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht mehr zu vereinbaren ist, § 307 II Nr. 1 BGB.

Allgemeine Geschäftsbedingungen sind grundsätzlich so auszulegen, wie verständige und redliche Vertragspartner unter Einbeziehung ihrer Interessenlage sie verstehen würden.50 Hierbei kommt es nicht auf die konkreten Vertragspartner, sondern auf das Verständnis einer durchschnittlichen,


41 So die h.M.: BAG NZA 2006, 746, Ls. 2; Deinert, in: AGB-K-A, § 305, Rn. 15; Boemke/Ulrici, in: AR, § 305 BGB, Rn. 11; u.V.m.

42 Quelle: https://t1p.de/d4lb, zuletzt besucht 24.02.2022.

43 Deinert, in: AGB-K-A, § 305 BGB, Rn. 8.

44 Instruktiv auch zum vorgelagerten Problem der Bedeutung des § 310 IV S. 2 BGB a.E. und dem Konflikt der Gesetzesbegründung BGBI. 1995 I S. 946 mit dem NachwG Deinert, in: AGB-K-A, § 305 BGB, Rn. 38-43; dazu auch Roloff, NZA 2004, 1191, 1193.

45 Deinert, in: AGB-K-A, § 305 BGB, Rn. 42 f. m.w.N.

46 Diehn, NZA 2004, 129, 132.

47 BGH 12.2.1992, 8 ZR 84/91 = NJW 1992, 1232, 1233.

48 LAG Hessen a.a.O Rn. 4.

49 Zum „Rechtslagenvergleich“, zwar noch im Rahmen des AGBG, aber dennoch zutreffend Niebling, WM 1992, 845.

50 Baumann, r + s, 313, 314 und Grüneberg, in: GrünebergBGB, § 307 BGB, Rn. 8.

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objektiven Person an.51 Es ist der gesamte Vertragsinhalt zu berücksichtigen, also auch, ob eine nachteilige Klausel gegebenenfalls durch Vorteile an anderer Stelle ausgeglichen wird.52

Das maßgebliche Kriterium für die Beurteilung von AGB ist gem. § 307 II Nr. 1 BGB die Leitbildfunktion des dispositiven Rechts.53 Umfasst hiervon sind dispositive Normen,54 aber auch ungeschriebene Rechtsgrundsätze und -prinzipien55 sowie Richterrecht.56

Die Klausel muss zudem mit diesen gesetzlichen Bestimmungen „unvereinbar“ sein. Unvereinbarkeit liegt nicht bereits bei einer Abweichung von der gesetzlichen Bestimmung vor. Vielmehr ist erforderlich, dass die Klausel mit dem Kernbereich der Norm kollidiert, welcher der Norm ihre Gerechtigkeitsfunktion verleiht.57

Ob eine Unvereinbarkeit vorliegt, muss im Rahmen einer Interessenabwägung, die die Belange beider Parteien berücksichtigt, festgestellt werden. Indizwirkung hat insbesondere der Umfang, in dem von der gesetzlichen Regelung abgewichen wird.58

ff) Subsumtion

Im Fall der Lieferando-Rider ist die Auslegung des § 2 III des Arbeitsvertrages maßgeblich.

Vom oben genannten Maßstab der verständigen Vertragspartner ausgehend ist die Klausel so zu verstehen, als dass nur die im Pfandvertrag aufgeführten Gegenstände als Equipment vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden. Hierunter fallen weder ein Fahrrad noch ein Mobiltelefon. Da die Klausel eindeutig ist, ist eine anderweitige Auslegung nicht denkbar.

Aus der Gesamtheit des Vertrages ergibt sich außerdem – soweit erkennbar – kein Vorteil für die Arbeitnehmer, der diese Regelung kompensieren würde. Insbesondere handelt es sich bei dem Job als Lieferando-Rider mit einer Vergütung von ca. 10 Euro pro Stunde plus eventuellem Trinkgeld59 um einen Job mit eher geringer Vergütung. Das bedeutet, dass die Nutzung eines eigenen Fahrrades und eigenen Smartphones nicht schon durch eine hohe Vergütung abgegolten und somit unbeachtlich ist.60

Außerdem stellt § 2 III des Arbeitsvertrages eine drastische Abweichung vom gesetzlichen Leitbild dar. Der Gesetzgeber sieht gem. §§ 611a, 615 S. 3, 618 BGB vor, dass der Arbeitgeber die essentiellen Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen hat. Hier regelt § 2 III des Arbeitsvertrages aber das genaue Gegenteil. Der Arbeitnehmer wird nämlich verpflichtet, die beiden Arbeitsmittel, die am zentralsten für seine Tätigkeit sind – Fahrrad und Smartphone – gerade selbst mitzubringen. Damit die Regelung noch dem gesetzlichen Leitbild entspricht, wäre eine weitgehende Kompensation in Geld durch den Arbeitgeber erforderlich. So würde dem gesetzlichen Leitbild wieder Folge geleistet werden, denn obgleich der Arbeitnehmer seine eigenen Gegenstände einbrächte, käme doch der Arbeitgeber dafür auf.61

Einwenden könnte man, dass den Ridern sehr wohl eine Kompensation gezahlt wurde: 25 Cent pro geleisteter Arbeitsstunde konnten bei einer vom Arbeitgeber bestimmten Werkstatt zur Fahrradreparatur abgerufen werden. Jedoch kann die Art und Höhe der Kompensation einer genaueren Überprüfung nicht standhalten. Nimmt man exemplarisch einen Vollzeit-Rider bei Lieferando, der fünf Mal pro Woche acht Stunden im Dienst ist, erhält er lediglich (8 \cdot 5) \cdot 0,25 = 10 Euro Reparaturguthaben in der Woche, also ca. 40 Euro im Monat. Geht man davon aus, dass ein durchschnittlicher Rider 44 km in einer achtstündigen Schicht fährt62, fährt er im Monat (44 \cdot 5) \cdot 4 = 880 Kilometer.

Die Instandhaltung eines Fahrrades ist jedoch um Einiges teurer, gerade, wenn es sich – wie bei den meisten Lieferanten – um ein E-Bike handelt: Eine Inspektion, die alle 2.000 Kilometer erforderlich ist, kostet bereits ca. 90 Euro. Hinzu kommen die entsprechend erforderlichen Ersatzteile, die je nach Bedarf zwischen 20 und mehreren hundert Euro kosten und die Arbeitszeit der Fahrradwerkstatt für etwaige Reparaturen.63 Darüber hinaus ist fraglich, wie mit dem Risiko des Arbeitnehmers, seine Schicht beispielsweise aufgrund eines Plattens nicht antreten zu können, umzugehen ist und auch mit seinem Aufwand, das Fahrrad selbst zur Reparatur zu bringen (dazu sogleich ausführlich unter V./2./c.). Hinzu ist die Regelung, dass das Guthaben nur bei von Lieferando ausgewählten Werkstätten eingelöst werden kann, auch nachteilig für den Arbeitnehmer, der gegebenenfalls längere Wegzeiten hat und nicht frei entscheiden kann. Insgesamt wird man in Anbetracht all dieser Faktoren kaum von Kosten von unter 150 Euro monatlich ausgehen können.64 Der von Lieferando gezahlte „Reparaturkostenbetrag“ ist also schlechthin unangemessen.

Darüber hinaus werden Smartphone und Datenvolumen gar nicht kompensiert, obgleich auch hierfür monatliche Kosten von ca. 40 Euro anfallen.65

Nach alledem ist also festzuhalten, dass die Klausel mit dem Kernbereich der gesetzlichen Pflicht des Arbeitgebers, essentielle Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen, kollidiert


51 Honsell, ZfPW 2016, 106, 114.

52 LAG Hessen a.a.O. Rn. 23 und Wurmnest, in: MüKoBGB, § 307 BGB, Rn. 35 f.

53 Ständige Rechtsprechung seit BGH 8.5.1973, 4 ZR 158/71 = NJW 1973, 1194.

54 Nicht: zwingende Normen, so die h.M, etwa.: Grüneberg, in: GrünebergBGB, § 307 BGB, Rn. 28 f.; Coester, in: StaudingerBGB, § 307 BGB, Rn. 232 und Walser, in: AGB-K-A, § 307 Rn. 217, da ein Verstoß gegen solche schon nach § 134 BGB nichtig ist.

55 BGH 1.12.1981, KZR 37/80 = NJW 1982, 644.

56 BGH 8.7.1993, 7 ZR 79/92 = NJW 1993, 2738, Grundsatz wurde aufgegriffen vom BAG, z.B. in BAG 18.1.2012, 10 AZR 612/10 = NZA 2012, 561.

57 Walser, in: ABG-K-A, § 307 BGB, Rn. 223 und Coester, in: StaudingerBGB, § 307 BGB, Rn. 230.

58 Walser, in: AGB-K-A, § 307 BGB, Rn. 224; Coester, in: StaudingerBGB, § 307 BGB, Rn. 244 f.

59 Quelle: https://t1p.de/iog3, zuletzt besucht 11.02.2022.

60 So auch Kaempf, ArbRAktuell 2021, 399.

61 BAG a.a.O., Rn. 25-26.

62 Heruntergerechnet von den Angaben in https://t1p.de/d4lb, zuletzt besucht 13.02.2022.

63 https://t1p.de/tuc6, zuletzt besucht 13.02.2022.

64 Ausgehend von Reparaturkosten in Höhe von 100 Euro und Ausfallkosten in Höhe von 50 Euro.

65 Exemplarisch https://t1p.de/ki190, zuletzt besucht 13.02.2022.

May, Möglichkeiten und Grenzen der arbeitsvertraglichen Pflicht, private Arbeitsmittel zu nutzen (am Beispiel von Essenslieferanten)142

und dessen Gerechtigkeitsfunktion in seinem Kernbereich angreift.

Das gesetzlich gebilligte Interesse der Arbeitnehmer, sichere Arbeitsmittel nutzen zu können, für solche nicht selbst aufzukommen und nicht das Betriebsrisiko zu tragen, wird durch diese Regelung gänzlich vernachlässigt. Auch, so sollte man meinen, hat der Arbeitgeber selbst ein Interesse daran, dass Rider nicht aufgrund kaputter Räder oder Handys ausfallen. Auch diesem Interesse kann die Regelung nicht gerecht werden. Ein berechtigtes Interesse daran, dass die Arbeitnehmer ihre eigenen Gegenstände ohne hinreichende Kompensation nutzen, hat der Arbeitgeber nicht. Es handelt sich hier um einen eklatanten Widerspruch zur gesetzlichen Regelung.

gg) Zwischenergebnis

Die AGB-Inhaltskontrolle ergibt, dass eine unangemessene Benachteiligung der Arbeitnehmer vorliegt. Nach alledem ist § 2 III des Arbeitsvertrages wegen § 307 II Nr. 1 BGB unwirksam.

hh) Rechtsfolge, § 306 BGB

§ 306 BGB normiert die Rechtsfolgen für den Fall, dass eine AGB-Klausel nicht einbezogen wurde oder unwirksam ist.

Gem. § 306 I BGB bleibt der Vertrag trotz der unwirksamen Regel im Übrigen wirksam. Das bedeutet, dass das Arbeitsverhältnis mit den Haupt- und Nebenpflichten bestehen bleibt.66 Ein Entfernen der unwirksamen Regelung im Rahmen eines sogenannten „Blue-Pencil-Tests“67 kommt hier nicht in Frage, da es ja gerade nicht um eine ausgeschriebene Regelung geht, sondern um die Schlussfolgerung, die aus der Regelung des § 2 III des Arbeitsvertrages gezogen wird.

Weiterhin regelt § 306 II BGB, dass an die Stelle der unwirksamen Regelung die gesetzliche Regelung tritt. Teilweise wird daran gezweifelt, ob die Regelung europarechtskonform ist, da sie die Interessen des Verwenders begünstige, der die unwirksame Klausel überhaupt benutzt hat, indem an der Gesamtwirksamkeit des Vertrages nicht gerüttelt wird.68 Hier liegt der Fall aber anders: Wäre der Vertrag unwirksam, würde es insbesondere den Arbeitnehmer benachteiligen, der seinen Job verlieren würde. In einer solchen Konstellation ist § 306 II BGB als europarechtskonform zu klassifizieren.69

Hier tritt also die gesetzliche Regelung an die Stelle des unwirksamen § 2 III des Arbeitsvertrages. Die essentiellen Arbeitsmittel, Smartphone und Fahrrad, sind danach vom Arbeitgeber zu stellen.

ii) Zwischenergebnis

Bei § 2 III des Arbeitsvertrages handelt es sich um nach § 307 II BGB unwirksame AGB, an dessen Stelle die gesetzlichen Vorschriften treten.

V. Arbeitsmittel bereits verwendet: Aufwendungsersatz nach § 670 BGB analog

Grundsätzlich trifft den Arbeitgeber also die Pflicht, die essentiellen Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen. Die einzige Möglichkeit ist das aber nicht.

Es kann durchaus vereinbart werden, dass der Arbeitnehmer eigene Arbeitsmittel mitbringt. Das prominenteste Beispiel hierfür ist, wie oben erläutert, die BYOD-Vereinbarung. Aber auch, wenn ein Arbeitnehmer einmal spontan eine eigene Sache – etwa einen PKW – im Rahmen des Arbeitsverhältnisses nutzen muss, ist das nicht pauschal unzulässig. Auch muss eine Regelung für den Fall bestehen, dass die Arbeitsmittel bereits benutzt wurden und ein nachträgliches Bereitstellen durch den Arbeitgeber für den Arbeitnehmer keine Vorteile mehr ergibt.

Für diese beiden Konstellationen ist vorgesehen, dass ein angemessener Aufwendungsersatz nach § 670 BGB analog von Seiten des Arbeitgebers gezahlt wird.70 Verfolgt wird hiermit der Zweck, Kosten und Risiko für Betriebsmittel wieder auf den Arbeitgeber zu verlagern, wie die gesetzliche Ausgangslage es auch vorsieht.

1. Grundlagen und Wertung des § 670 BGB

§ 670 BGB normiert, dass derjenige, der für einen anderen einen Auftrag ausführt, die Aufwendungen ersetzt bekommt, die er den Umständen nach für erforderlich halten durfte. Aufwendungen sind freiwillige Vermögensopfer, die vom Beauftragten getätigt werden, um den Auftrag auszuführen.71 Der Zweck der Vorschrift ist somit, dass der Beauftragte durch die Auftragsausführung weder besser noch schlechter gestellt wird, als wenn er den Auftrag nicht ausgeführt hätte. Das bedeutet, dass ihm die Aufwendungen, die er tätigen musste, ersetzt werden. Darüber hinaus gibt es aber keine Vergütung dafür, dass der Auftrag ausgeführt wurde.72 Das Risiko der wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit der beauftragten Handlung trägt hierbei der Auftraggeber; auch, wenn es im Nachhinein keinerlei Vorteil für den Auftraggeber hatte, dass der Auftrag ausgeführt wurde, tritt die Ersatzpflicht ein.73

2. § 670 BGB in Arbeitsverhältnissen

a) Direkte Anwendung des § 670 BGB

Zunächst stellt sich die Frage, ob § 670 BGB nicht schon direkt angewandt werden könnte. Dazu müsste das Arbeitsverhältnis ein unentgeltlicher Auftrag oder eine entgeltliche Geschäftsbesorgung sein.

Dass das Arbeitsverhältnis kein unentgeltlicher Auftrag gem. § 662 BGB ist, ergibt sich schon daraus, dass es zentraler Bestandteil des Arbeitsverhältnisses ist, dass ein Lohn oder Gehalt bezahlt wird.74 Die Frage, ob es sich


66 Instruktiv Schlosser, in: StaudingerBGB, § 306 BGB, Rn. 2 f.

67 Erläuternd Schlewing, NZA-Beil. 2012, 33.

68 G. v. Westphalen, NJW 2019, 2214.

69 So zutreffend Stadler, in: JauernigBGB, § 306 BGB, Rn. 5a.

70 So die ganz h.M.: statt aller BAG 23.11.2006, 8 AZR 701/05 = NZA 2007, 870; Schäfer, in: MüKoBGB, § 670 BGB, Rn. 5.

71 Schäfer, in: MüKoBGB, § 670 BGB, Rn. 8.

72 Schäfer, in: MüKoBGB, § 670 BGB, Rn. 1.

73 Schwab, in: D-L-L, § 670 BGB, Rn. 1.

74 So auch Preis, in: ErfK, § 611a BGB, Rn. 101.

May, Möglichkeiten und Grenzen der arbeitsvertraglichen Pflicht, private Arbeitsmittel zu nutzen (am Beispiel von Essenslieferanten)143

bei Arbeitsverträgen als Dienstverträge um Geschäftsbesorgungsbesorgungsverträge nach § 675 BGB handelt, ist umstritten.75 Ganz vorrangig wird jedoch unabhängig von diesem Streit davon ausgegangen, dass die in § 675 BGB erwähnten Regelungen bei Arbeitsverträgen zwar nicht direkt, aber analog angewendet werden können.76 Im Ergebnis kann der Streit jedoch dahinstehen, da es nicht darauf ankommt, on § 670 BGB nun direkt oder analog angewendet wird.

b) Analoge Anwendung des § 670 BGB

Der Rechtsgedanke der §§ 662 f. BGB, dass der Beauftragte durch den Auftrag keinen Nachteil erleiden soll, ist verallgemeinerungsfähig und insbesondere auf Arbeitsverhältnisse anwendbar, obgleich der Arbeitnehmer nicht unentgeltlich im Sinne des § 662 BGB tätig wird.77 Da es im Arbeitsvertragsrecht keine Regelung gibt, die dem § 670 BGB gleichkommt, das Interesse der Arbeitnehmer, eventuelle Aufwendungen ersetzt zu bekommen, jedoch besteht, ist eine analoge Anwendung der Vorschrift geboten. § 670 BGB kommt analog zur Anwendung, wenn der Arbeitnehmer Aufwendungen tätigt, die nicht bereits von der Vergütung abgedeckt sind.78

Grundsätzlich besteht der Anspruch und eine Ausnahme liegt nur dann vor, wenn die Aufwendung im überwiegenden Interesse des Arbeitnehmers liegt (siehe bereits oben). Das kann etwa bei der Einrichtung eines Home-Office der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer es sich selbst ausgesucht hat, im Home-Office zu arbeiten und dadurch Zeit und Kosten für den Weg zum eigentlichen Arbeitsplatz spart.79

c) Abgrenzung des Arbeitsverhältnisses zum


Auftragsrecht: Risikoausgleich erforderlich

Außerdem soll mit dieser Arbeit ein neuer Ansatz angebracht werden, zu welchem in Rechtsprechung und Literatur noch keine Stellung genommen wurde.80

Nach hiesiger Auffassung grenzt sich ein Arbeitsverhältnis so stark von einem normalen Auftragsverhältnis ab, dass daraus Konsequenzen gezogen werden müssen.

Bei einem Auftrag handelt es sich um eine meist einmalige, punktuelle Rechtsbeziehung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer und der Auftrag ist nach § 662 BGB ausdrücklich unentgeltlicher Natur. An diese Wertung knüpft § 670 BGB an, der dem Beauftragten Ersatz für seine konkret gemachten Aufwendungen, aber nichts darüber hinaus, zuspricht.

Währenddessen handelt es sich bei einem Arbeitsverhältnis um ein Dauerschuldverhältnis. Außerdem ist es entgeltlich: die Zahlung des Arbeitslohnes oder des Gehalts ist die zentrale Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers.

Wenn der Arbeitnehmer also entgegen der gesetzlichen Wertung (§ 615 S. 3 BGB) Arbeitsmittel selbst bereitstellt, trägt er aufgrund des Umstandes, dass das Arbeitsverhältnis anders als der Auftrag ein Dauerschuldverhältnis ist, ständig das Risiko, dass einer seiner Gegenstände vorübergehend nicht zur Verfügung steht. Beispielsweise kann ein Fahrrad mal einen Platten haben oder auch gestohlen werden, ein Smartphone kann ebenfalls relativ leicht kaputtgehen. Der Schaden an den Gegenständen selbst wird durch eine wirksame BYOD-Vereinbarung kompensiert.

Nicht aber ist der Verdienstausfall erfasst, der dadurch entsteht, dass die Arbeit aufgrund eines fehlenden Arbeitsmittels nicht geleistet werden kann. Dann hätte der Arbeitnehmer unter Umständen einen signifikanten Verdienstausfall. Darüber hinaus hätte der Arbeitnehmer auch den zeitlichen Aufwand, seine selbst mitgebrachten Arbeitsmittel zur Reparatur zu bringen, abzuwarten und sie wieder abzuholen.

Beide Risikofaktoren sind nach der gesetzlichen Wertung eigentlich der Sphäre des Arbeitgebers zugeordnet. Hier werden sie aber auf den Arbeitnehmer übertragen.

Für dieses Risiko – das unter Umständen zu größeren Verdienstausfällen für den Arbeitnehmer führen kann – sieht § 670 BGB keinen Ersatz vor. Im Auftragsrecht ist das auch nicht erforderlich, im Arbeitsverhältnis aufgrund des Charakters als Dauerschuldverhältnis aber schon.

Jedoch ist es problematisch, das konkrete Risiko zu beziffern, das für den Fall des Schadenseintritts besteht und es so als regelmäßige Zahlung in die BYOD-Vereinbarung einzupreisen. Hierfür wären exakte Statistiken erforderlich, wie oft ein Rider eine Schicht nicht antreten kann, weil sein Fahrrad oder Smartphone ausfällt. Ebenfalls schwierig ist es, dem Arbeitgeber monatliche Fixkosten für ein Risiko aufzuerlegen, welches sich noch gar nicht realisiert hat. Das würde einer Bestrafung für die eigentlich zulässige Nutzung einer BYOD-Regelung gleichkommen.

Statt eines theoretischen Fixkostenbetrages zum Risikoausgleich, der schlechthin unmöglich zu ermitteln ist, ist also Ausweitung des § 670 BGB analog auf den Lohnausfall im tatsächlichen Schadensfall zu erweitern. Das bedeutet: Wenn ein Arbeitnehmer aufgrund eines unverschuldet defekten, eigenen Arbeitsmittels einen Verdienstausfall erleidet, ist der Verdienstausfall zu zahlen. Mit der BYOD-Vereinbarung wäre regelmäßig nur der Ersatz für das defekte Arbeitsmittel abgegolten.

Deshalb ist nach hiesiger Ansicht eine teleologische Extension des § 670 BGB analog im Arbeitsverhältnis erforderlich, die auch den Verdienstausfall umfasst, der aus defekten eigenen Arbeitsmitteln resultiert. Das dient der Wiederherstellung der gesetzlich vorgesehenen Risikoverteilung des § 615 S.3 BGB.81


75 Mansel, in: MüKoBGB, § 675 BGB, Rn. 5.

76 So Preis, in: ErfK, § 611a BGB, Rn. 130; Reichold, NZA 1994, 488; BAG 12.3.2013 = NJW 2013, 2923.

77 So statt aller BAG NZA 2012, 97, Rn. 25 (m.w.N.)

78 Schäfer, in: MüKoBGB, § 670 BGB, Rn. 5.

79 Vgl. Tödtmann, in: ArbR-Krisen, Abschnitt B, Rn. 142 f.; BAG NZA 2012, 97.

80 Zum Zeitpunkt der Entstehung der Arbeit traf das zu. Das BAG hat die Problematik in der Volltextveröffentlichung kurz angerissen, vgl. BAG a.a.O. Rn. 28.

81 Die Intention des Gesetzgebers, dem Arbeitgeber das Betriebsrisiko aufzuerlegen, kommt zum Ausdruck in den BT-Drs. 14/6857, 48 und BT-Drs. 14/7052, 204.

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3. Aufwendungsersatz im Lieferando-Fall

Im vorliegenden Fall waren die Fahrräder und Smartphones der Rider bereits in Benutzung, sodass ein Aufwendungsersatzanspruch nach § 670 BGB analog in Frage kommt. Der Anspruch umfasst die absoluten Nutzungskosten für Fahrrad und Smartphone sowie den Risikoausgleich im Schadensfall.

VI. Ergebnis

Die Rider haben alternativ einen Anspruch auf einen angemessenen Ersatz und einen Risikoausgleich für das eigene Fahrrad und Smartphone oder einen Anspruch darauf, diese beiden Gegenstände vom Arbeitgeber für die Ausübung der Arbeit zur Verfügung gestellt zu bekommen.

D. Zusammenfassung, Ausblick und Praxishinweise

Die Quintessenz der Arbeit ist dreierlei:

Zunächst wurde die Definition des Begriffes der essentiellen Arbeitsmittel herausgearbeitet. Die dahinterstehende gesetzliche Wertung, dass der Arbeitgeber gem. §§ 611a, 615 S. 3, 618 BGB die essentiellen Arbeitsmittel zu stellen hat, dient dem Schutz der Arbeitnehmer vor Finanzaufwand und Ausfallrisiko.

Darüber hinaus wurde die arbeitsrechtliche AGB-Kontrolle beleuchtet. Eine solche wird zum Schutz der Arbeitnehmer durchgeführt und ist ein Instrument, um sicherzustellen, dass im Arbeitsvertrag nicht so weit vom Grundgedanken der gesetzlichen Wertung abgewichen werden kann, dass der Gerechtigkeitskern der gesetzlichen Regel abbedungen wird. Insbesondere für Arbeitnehmer in niedrig bezahlten Jobs sind solche Schutzmechanismen relevant, denn bei ihnen ist es häufig so, dass ungünstige vertragliche Regelungen gerade nicht durch eine hohe Vergütung kompensiert werden.

Drittens sind Vereinbarungen, die den Arbeitnehmer verpflichten, eigene Arbeitsmittel mitzubringen, nicht grundsätzlich unwirksam. Sofern eine angemessene Entschädigung nach § 670 BGB analog hierfür gezahlt wird, kann eine solche Vereinbarung rechtswirksam getroffen werden. Nach hiesiger Ansicht muss der Umfang des Ersatzes nach dieser Vorschrift aufgrund des besonderen Charakters von Arbeitsverhältnissen nicht nur ein Nullsummenspiel sein, sondern auch etwaige Risiken, die der Arbeitnehmer dann trägt, einpreisen. In der Praxis ist das Einpreisen eines Risikos schwer umsetzbar (siehe bereits oben), sodass eine Ersatzpflicht im tatsächlichen Schadensfall an dessen Stelle tritt. So wird nicht nur der unbenutzbare Gegenstand selbst, sondern auch der daraus folgende Verdienstausfall kompensiert.

Der Lieferando-Fall hat sowohl rechtsdogmatisch als auch arbeitspolitisch für Aufsehen gesorgt.

Erstmals wurde Arbeitnehmern ein einklagbarer Anspruch auf das Zur-Verfügung-Stellen der essentiellen Arbeitsmittel zugesprochen, was ein weiterer Schritt in Richtung Schutz der Arbeitnehmer ist. Vorher waren sie allenfalls auf eine nachträgliche Geltendmachung ihrer Aufwendungen nach § 670 BGB analog verwiesen. Unter Umständen kann das nachteilig sein. Das ergibt sich schon daraus, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsmittel – gegebenenfalls größere Geldbeträge oder Gegenstände erheblichen Wertes – zunächst auslegen musste und so zeitweise über weniger wirtschaftliche Mittel verfügen konnte. Auch kann es unangenehm und aufwändig für den Arbeitnehmer sein, Rückforderungen gegen den Arbeitgeber geltend zu machen.

Dass Lieferando seine Arbeitnehmer vor dem Urteil des BAG verpflichtete, ihr eigenes Fahrrad und ihr eigenes Smartphone zu nutzen und eine so geringe Kompensation zahlte, dass der Betrag eigentlich gar nicht als solcher zu bezeichnen ist, ist schlechthin unangemessen. Solche Arbeitnehmer sind aufgrund ihres geringen Einkommens hier besonders schutzwürdig. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass der Arbeitgeber die essentiellen Arbeitsmittel zu stellen hat. Für einen Bürojob muss schließlich auch niemand seinen eigenen Schreibtisch mitbringen. Die eigentlich offensichtliche Wertung schlägt sich auch in der gesetzlichen Regelung nieder. Sie durch die AGB gänzlich abzubedingen, läuft dem Gerechtigkeitsgehalt der gesetzlichen Regelung vollständig zuwider.

Zudem ist es für ein großes, sehr solventes Unternehmen wie Lieferando ein geringer Kostenaufwand, den Mitarbeitern die essentiellen Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen. Währenddessen ist es für den einzelnen Rider, der sowieso ein eher geringes Einkommen hat, ein großer Aufwand, teure Gegenstände wie ein Fahrrad oder ein Smartphone selbst beizubringen. Doch mit dem Nutzen der eigenen Gegenstände ist es nicht getan. Wenn etwas kaputtging, fiel das unter das Risiko der Rider, die so ihre Schichten nicht wahrnehmen konnten und erhebliche Verdienstausfälle zu beklagen haben. Das Nutzen eigener Gegenstände birgt in dieser Konstellation also auch ein hohes Finanzrisiko für Personen mit einem ohnehin niedrigen Einkommen.

Insgesamt ist also festzuhalten, dass die beiden Rider, die gegen Lieferando vor Gericht gezogen sind, allen als Lieferanten beschäftigten Personen einen großen Gefallen getan haben. Mit dem Urteil konnte ein Stück Gerechtigkeit für diesen Job gewonnen werden. Lieferdienste sind omnipräsent auf Deutschlands Straßen und erlebten besonders in Corona-Zeiten einen massiven Zuwachs. Allein Lieferando beschäftigte 2021 in Deutschland über 5.000 Arbeitnehmer, Tendenz steigend.82 All diese Arbeitnehmer können jetzt also einen Anspruch auf die essentiellen Arbeitsmittel oder auf einen angemessenen Ausgleich geltend machen.

Auch für andere Bereiche könnte das Urteil relevant werden. Zum Beispiel wird teils eine Pflicht zur anteiligen Miet- oder Internetzahlung für Arbeitnehmer im Home-Office nach § 670 BGB analog arbeitsvertraglich ausgeschlossen. Ob derartige Ausschlüsse wirksam sind, ist vor dem Hintergrund der neuen Rechtsprechung zumindest fraglich.83


82 Quelle: https://t1p.de/d4lb, zuletzt besucht 16.02.2022.

83 Lembke/Fischels/Djordjevic, NJW 2022, 127.