Lieferkettenverantwortung: Wettbewerbsökonomische Kritik und Alternativen

Christoph Timm*

A. Einführung

Das ab 2023 in Kraft tretende Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten1 (LkSG) trägt zur Umsetzung der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte von 20112 bei. Es kodifiziert die Unternehmensverantwortung zur Achtung von Menschenrechten. Das LkSG stößt indes nicht ausschließlich auf Zustimmung. Für die FAZ war schnell klar, dass es sich um „ein moralisch aufgeladenes Projekt [handelt], das von Anfang an auf Missverständnissen beruht“.3 In den Mittelpunkt der Kritik ist vor allem das Argument vorgedungen, das LkSG sorge für Wettbewerbsungleichheit.4 Dieser Befund soll Anlass geben, das LkSG einer wettbewerbsökonomischen Prüfung zu unterziehen. Dazu ist zunächst herauszuarbeiten, welche Unternehmen das LkSG trifft (B.) und welche wirtschaftlichen Konsequenzen dies nach sich zieht (C.). Das Herzstück der Arbeit bildet die wettbewerbsökonomische Analyse des LkSG unter Heranziehung regulierungstheoretischer Grundlagen (D.). Daran anknüpfend sind Regelungsalternativen zur wettbewerbsökonomischen Optimierung herauszuarbeiten (E.). Die Arbeit endet mit einem Ausblick (F.).

B. Anwendungsbereich des LkSG

I. Persönlicher Anwendungsbereich

1. Unmittelbar betroffene Unternehmen

Das LkSG erfasst ungeachtet ihrer Rechtsform alle Unternehmen, die ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz in Deutschland haben und in der Regel mindestens 3.000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigen (§ 1 Abs. 1 S. 1 LkSG). Anders als ursprünglich im Regierungsentwurf5 vorgesehen, sind auf die Beschlussempfehlung des 11. Ausschusses6 hin auch Unternehmen erfasst, die eine Zweigniederlassung (§ 13 d HGB) mit in der Regel 3.000 beschäftigten Arbeitnehmern in Deutschland haben (§ 1 Abs. 1 S. 2 LkSG). Damit dürfte der Gesetzgeber vor allem die in Deutschland operativ tätigen Internethändler, wie z.B. Amazon, im Blick haben.7 Diese haben ihren Verwaltungssitz im (EU-)Ausland und konkurrieren mit deutschen Händlern. Vom 1. Januar 2024 an sinkt der Arbeitnehmerschwellenwert von 3.000 auf 1.000 (§ 1 Abs. 1 S. 3 LkSG). Die Anzahl der vom Anwendungsbereich unmittelbar erfassten Unternehmen steigt damit von ca. 900 auf 4.800.8 Innerhalb verbundener Unternehmen (§ 15 AktG) sind im Rahmen der Schwellenwertberechnung die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer sämtlicher konzernangehöriger Gesellschaften zu berücksichtigen (§ 1 Abs. 3 Hs. 1 LkSG).

2. Mittelbar betroffene Unternehmen

Die von § 1 LkSG erfassten Unternehmen müssen ihre unmittelbaren Zulieferer vertraglich zur Sorgfaltskooperation verpflichten und sich die Einhaltung der menschenrechts- und umweltsbezogenen Belange vertraglich zusichern lassen (vgl. § 6 Abs. 4 Nrn. 2, 4 LkSG). Die vertragliche Zusicherung muss auch umfassen, dass der unmittelbare Zulieferer die an ihn gestellten Erwartungen entlang der Lieferkette adressiert (§ 6 Abs. 4 Nr. 2 a.E. LkSG). Durch solche Vereinbarungen (sog. Weitergabeklauseln) soll sichergestellt werden, dass die Anforderungen des LkSG entlang der gesamten Lieferkette weitergereicht werden.9 Im Ergebnis werden daher auch unterhalb des Schwellenwerts eine Vielzahl weiterer Unternehmen vom LkSG betroffen sein.10

II. Sachlicher Anwendungsbereich

Der sachliche Anwendungsbereich umfasst menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken (§ 2 Abs. 2 und 3 LkSG) in Lieferketten. Der zentrale Begriff der Lieferkette wird in § 2 Abs. 5 LkSG legaldefiniert. Danach nimmt der Begriff der „Lieferkette“ Bezug auf alle Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens und umfasst alle Schritte im In- und Ausland, die zur Herstellung der Produkte und Erbringung der Dienstleistungen erforderlich sind. Es beginnt bei der Gewinnung der Rohstoffe und reicht bis zur Lieferung an den Endkunden. Erfasst sind das Handeln eines Unternehmens im eigenen Geschäftsbereich11, das Handeln eines unmittelbaren Zulieferers12 sowie das Handeln eines mittelbaren Zulieferers13. Die Lieferkette i.S.d. LkSG wird damit denkbar weit verstanden. Sie erstreckt sich nicht nur auf sämtliche Zulieferer und Vorstufen im Produktherstellungsprozess (sog. „upstream“ bzw. Beschaffungsweg), sondern auch auf weitere Produktions- bzw. Absatzschritte (sog. „downstream“ bzw. Absatzweg).14 Gleichwohl bleiben Einzelfragen zum Lieferkettenbegriff i.S.d. LkSG offen, beispielsweise inwieweit mittelbare Wertschöpfungsfaktoren


*Der Autor ist Student an der Bucerius Law School.


1 BGBl. 2021 I 2959.

2 United Nations High Commissioner on Human Rights, Guiding Principles on Business and Human Rights, HR/PUB/11/04.

3 Aus dem Artikel „Lieferkettengesetz: Schlichtweg weltfremd“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 11.06.21, abrufbar unter https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/kommentar-zum-lieferkettengesetz-schlichtweg-weltfremd-17385113.html. Alle zitierten Internetseiten wurden zuletzt am 17.02.22 abgerufen.

4 Siehe nur BT-Drs. 19/30547.

5 BT-Drs. 19/28649.

6 BT-Drs. 19/30505, S. 6.

7 Vgl. Langhammer, Institut für Weltwirtschaft, BT-Wortprotokoll, Prot.-Nr. 19/126, S. 12; Nietsch/Wiedemann, NJW 2022, 1, 2.

8 BMZ, Fragen und Antworten zum Lieferkettengesetz, https://www.bmz.de/resource/blob/60000/69fe0aac1e4e7062790db534885e1f5f/faq-lieferkettengesetz.

9 J. Schmidt, EuZW 2021, 273, 274; Koch, MDR 2022, 1, 2.

10 Vgl. auch BT-Drs. 19/28649, S. 3.

11 Legaldefinition in § 2 Abs. 6 LkSG.

12 Legaldefinition in § 2 Abs. 7 LkSG.

13 Legaldefinition in § 2 Abs. 8 LkSG.

14 Nietsch/Wiedemann, CCZ 2021, 101, 103.Timm, Lieferkettenverantwortung: Wettbewerbsökonomische Kritik und Alternativen103

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der Unternehmen (Maschinen, IT, Mobiliar, Kantinenverpflegung etc.) in den Anwendungsbereich fallen und wie der Begriff des „Endkunden“ auszulegen ist15. Die Gesetzesbegründung schweigt dazu.

C. Wirtschaftliche Konsequenzen für Unternehmen

I. Sorgfaltspflichten und Sanktionen

Die §§ 3-10 LkSG enthalten einen Sorgfaltspflichtenkatalog für die unter § 1 LkSG fallenden Unternehmen. Die Sorgfaltspflichten verstehen sich als Bemühenspflicht, begründen also keine Erfolgspflicht oder Garantiehaftung16. Sie sind grundsätzlich entlang der gesamten Lieferkette17 zu beachten (§ 3 Abs. 1 Hs. 1 LkSG). Dieser Grundsatz wird durch ein abgestuftes Verantwortungskonzept eingeschränkt.18 Sedes materiae für die abgestuften Sorgfaltspflichten ist § 9 Abs. 3 LkSG. Demnach besteht die Pflicht zur Durchführung bestimmter Sorgfaltsmaßnahmen bei mittelbaren Zulieferern nur anlassbezogen. Die Sorgfaltspflichten stehen außerdem stets unter Angemessenheitsvorbehalt (§ 3 Abs. 1 Hs. 1 i.V.m. Abs. 2 LkSG). Sie finden keine Anwendung, soweit sie etwas rechtlich oder tatsächlich Unmögliches von einem Unternehmen abverlangen.19 Die umfangreichen Einzelheiten des Sorgfaltspflichtenprogramms ergeben sich aus § 3 Abs. 1 Nrn. 1-9 LkSG i.V.m. §§ 4-10 LkSG. Es umfasst die Durchführung von Risikoanalysen sowie Präventions- und Abhilfemaßnahmen, die Einrichtung eines unternehmensinternen Beschwerdeverfahrens sowie eines Risikomanagements und eine Dokumentations-, Berichts- und Grundsatzerklärungspflicht. Kurzum verpflichtet das LkSG die Unternehmen zur Einrichtung eines aus gesetzgeberischer Sicht effizienten Compliance-Management-Systems (CMS).20 Werden die Sorgfaltspflichten nicht oder nur unzureichend erfüllt (vgl. § 24 Abs. 1 LkSG), sieht das LkSG verschiedene Sanktionsinstrumente vor. Unternehmen können von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden (§ 22 LkSG) oder Zwangs- und Bußgelder verhängt bekommen (§§ 23, 24 LkSG).

II. Kosten für Unternehmen

1. Explizite und implizite Kosten

Durch das LkSG werden bei Unternehmen Kosten in unterschiedlicher Höhe anfallen. Zunächst fallen für die vom Anwendungsbereich erfassten Unternehmen einmalige explizite Kosten an. Denn die Unternehmen müssen ein neues, den Anforderungen des LkSG entsprechendes CMS implementieren bzw. ihr bestehendes CMS auf den entsprechenden Stand bringen.21 Das Sorgfaltspflichtenprogramm der § 3 ff. LkSG ist dabei im Vergleich zu praxisbekannten CMS anspruchsvoll22. Es fordert etwa ein ausgesprochen weitreichendes23 Beschwerde- und Hinweisverfahren für potenzielle Beteiligte (§ 8 Abs. 4 S. 2 LkSG). Kostensenkende Synergieeffekte können dort genutzt werden, wo ein Unternehmen bereits auf CMS-Infrastrukturen, geschultem Personal und sonstigem Compliance-Knowhow aufbauen kann. Dies wird regelmäßig auf größere Unternehmen zutreffen.24 Neben den einmaligen Implementierungskosten fallen zur Einhaltung der laufenden Sorgfaltspflichten (vgl. § 5 Abs. 4, § 6 Abs. 5, § 7 Abs. 4, § 8 Abs. 5) auch wiederkehrende explizite Kosten an. Zu denken ist an zusätzlich notwendiges Personal oder externe Dienstleister. Für die Wirtschaft werden jährlich explizite Kosten von rund 43,47 Mio. Euro erwartet; hinzu kommt ein einmaliger Aufwand von rund 109,67 Mio. Euro.25 In der Realität wird wohl mit höheren Kosten zu rechnen sein.26

Die Kostenschätzung in der Gesetzesbegründung lässt indes die Einbeziehung impliziter Kosten vermissen. Die vom LkSG vorgesehenen Sanktionsinstrumente sind ausgesprochen scharf.27 Zudem ist die Anwendung des LkSG vorerst noch nicht praxiserprobt. Unternehmen, besonders bei geringen Margen, werden sich bemühen, Sanktionen in jedem Fall zu vermeiden. Dies löst weitere Kosten bei der profunden Auswahl von Zulieferern (z.B. in Form von Zertifizierungsaudits durch externe Anbieter) und der sonstigen Praxisberatung (Unternehmens- und Rechtsberatung) aus.28 Auch zeichnet sich das LkSG durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe29 aus, die durch die bisweilen wenig konturenscharfen Definitionen der geschützten Risiken und Rechtspositionen (s. § 2 Abs. 1-3 LkSG) flankiert werden. Dies wird den Rechtsanwender vor diverse Zweifelsfragen stellen und bei den zwingenden Risikoanalysen in Graubereiche führen.30

2. Höhe der Kosten

Die Höhe der expliziten und impliziten Kosten ist auf einzelne Unternehmen bezogen schwer quantifizierbar. Die Kosten sind allen voran stark von der Beschaffenheit der Lieferketten eines Unternehmens abhängig. Schon das bloße Erfassen der eigenen Lieferkette kann sich als Mammutaufgabe entpuppen. Denklogische Voraussetzung


15 Hierzu und zu weiteren Einzelheiten ausf. Nietsch/Wiedemann, NJW 2022, 1, 3 ff.

16 BT-Drs. 19/28649, S 41.

17 Zum Begriff der Lieferkette i.S.d. LkSG siehe bereits unter B. II.

18 Keilmann/Schmidt, WM 2021, 717, 718.

19 Vgl. BT-Drs. 19/30505, S. 38.

20 Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 231.

21 Koch, MDR 2022, 1, 2.

22 So auch Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 110, der insofern auch die ab 2024 eintretende Schwellenwertsenkung auf 1.000 Arbeitnehmer als „ambitioniert“ einstuft.

23 Die Gesetzesbegründung fordert, dass eine Beschwerde bzw. ein Hinweis auch Personen ermöglicht werden muss, die keinen Technikzugang haben bzw. über nur mangelhafte Sprach-, Lese- oder Schreibkenntnisse verfügen. Je nach Entwicklungsstand der im Einzelfall zu berücksichtigenden Region und der dort Lebenden bzw. Arbeitenden, kann dies durchaus kostspielig werden; vgl. BT-Drs. 19/28649, S. 50.

24 Etwa Unternehmen, die schon der CSR-Berichtspflicht (§ 298b HGB) unterfallen. Vgl. auch Felbermayr et al., Chancen und Risiken eines Sorgfaltspflichtengesetzes, Institut für Weltwirtschaft, 2021, S. 18.

25 BT-Drs. 19/28649, S. 3.

26 Stöbener de Mora/Noll, NZG 2021, 1285, 1291 m.w.N.

27 Insb. die Bußgelder für Unternehmen sind mit bis zu 8 Mio. EUR (§ 24 Abs. 2 S. 2 LkSG i.V.m. § 30 Abs. 2 S. 3 OWiG) bzw. mit bis zu 2 % eines Jahresumsatzes, wenn dieser 400 Mio. EUR übersteigt (§ 24 Abs. 3 LkSG), rigoros.

28 Vgl. Felbermayr et al. (Fn. 25), S. 21.

29 Dazu eingehend Kamann/Irmscher, NZWiSt 2021, 249, 253 f.; Hübner, NZG 2020, 1411, 1414.

30 Vgl. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 232 ff., die eine „Sisyphusarbeit für das Compliance Management“ prophezeien.Timm, Lieferkettenverantwortung: Wettbewerbsökonomische Kritik und Alternativen104

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zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten des § 9 LkSG ist, dass ein Unternehmen zumindest dem Grunde nach weiß, wer seine mittelbaren Zulieferer sind. Unternehmen können nicht mehr darauf vertrauen, dass jeder in der Lieferkette nur seine eigenen Vertragspartner im Blick hat. Bisher verlief es häufig so, dass unmittelbare Zulieferer (erste Ebene) die Zulieferer der zweiten Ebene identifizieren und überwachen, die wiederum die nächste Ebene identifizieren und überwachen usw. Fortan muss jedes Unternehmen eigenständig seine gesamten Zulieferer zumindest identifizieren können. Dies wird je nach Länge der Lieferkette und Geschäftsfeld erheblichen Aufwand mit sich bringen. Die dynamische Natur31 und die vielen Komponenten von Lieferketten werden es zuweilen komplex gestalten, eine stets aktuelle Liste über Zulieferer zu führen.32 Je nach Geschäftsfeld sind die untersten Ebenen der Lieferkette (Rohstoffbeschaffung bzw. -erzeugung) geografisch weit entfernt und besonders in Entwicklungsländern oft kleinstrukturiert. In diesen Fällen sind Lieferketten besonders schwer nachzuvollziehen. Das gilt vor allem dann, wenn das am Ende der Lieferkette stehende Unternehmen mit vielen verschiedenen Beschaffern bzw. Erzeugern kontrahiert.33 Schließlich wird für die Kostenhöhe auch entscheidend sein, wie viel Kontrolle bzw. Verhandlungsmacht ein Unternehmen gegenüber unmittelbaren Zulieferern hat, um die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten vertraglich durchzusetzen und anforderungsgemäß zu erfüllen.34

3. Ergebnis

Das LkSG bringt explizite und implizite Kosten mit sich. Damit erhöht es die Kosten pro Lieferantenbeziehung für Unternehmen. Wenngleich die Kosten noch schwer quantifizierbar sind, lassen sich aus dem Vorgesagten folgende Korrelationen ableiten: (1) Je mehr Lieferantenbeziehungen ein Unternehmen hat, je komplexer die Lieferkette eines Unternehmens ist und je geringer die Verhandlungsmacht eines Unternehmens gegenüber seinen unmittelbaren Zulieferern ist, desto höher werden die Kosten sein. (2) Hingegen werden die Kosten umso geringer sein, je ausgereifter das vorhandene CMS eines Unternehmens ist. Freilich werden auch bei den nur mittelbar vom LkSG betroffenen Unternehmen Kosten anfallen. Deren Höhe hängt wiederum maßgeblich davon ab, inwieweit zu erfüllende Sorgfalts- und Kooperationsverpflichtungen im Rahmen von Weitergabeklauseln35 weitergereicht werden.

D. Wettbewerbsökonomische Analyse

I. Ökonomisches Anliegen des LkSG: Internalisierung externer Effekte

Dem Ausbau von Lieferketten und globaler Arbeitsteilung liegt das ökonomische Bestreben zu Grunde, komparative Kostenvorteile eines Produktionsstandorts gegenüber eines anderen auszunutzen.36 Sofern Unternehmen niedrige Produktionskosten und -standards im Ausland ausnutzen, handeln sie daher grundsätzlich ökonomisch rational, ethisch billigenswert und bei Beachtung der Freihandelsregeln auch rechtlich legitimiert. Die Bewertungsgrundlage ändert sich jedoch dann, wenn die erwirtschafteten Vorteile Produktionsbedingungen entspringen, mit denen Schäden an Mensch und Umwelt einhergehen.37 Solche Schädigungen werden in der Wirtschaftswissenschaft als negative externe Effekte bezeichnet und treten im Zuge der von Gewinnmaximierung38 geleiteten Globalisierungsstrategien von Unternehmen zunehmend häufiger auf.39 Negative externe Effekte entstehen, wenn die wirtschaftliche Aktivität von Unternehmen negative Auswirkungen auf Dritte hat, die weder kompensiert werden noch die Entscheidung über die Aktivität mitbeeinflussen.40 Die Nachteile, die Dritte erfahren, spielen bei der Gewinnmaximierungskalkulation der Unternehmen schlicht keine Rolle – es mangelt an einer Internalisierung der externen Effekte.41 Die Nachfrage berücksichtigt in diesem Fall die verursachten volkswirtschaftlichen Kosten durch Beeinträchtigung von Mensch und Umwelt nicht vollumfänglich.42 Dadurch entstehen „falsche“ Güterpreise, die zu Überproduktion und Wohlfahrtsverlusten führen.

An genau dieser Stelle setzt der Gesetzgeber mit dem LkSG an. Es hält Unternehmen dazu an, menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken und damit in Verbindung stehende soziale Kosten (Gefahrvermeidungs- und Schadenskosten) in die Entscheidungsprozesse auf Ebene der Gewinnmaximierungskalkulation einzubeziehen.43 Durch die Sorgfaltspflichten, die den Unternehmen auferlegt werden, wird angestrebt, menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken entlang der globalen Lieferketten zu internalisieren.44 Dadurch soll sichergestellt sein, dass produzierte Güter zu einem volkswirtschaftlich angemesseneren Preis angeboten und Überproduktion sowie Wohlfahrtsverluste


31 Dazu näher Gereffi/Humphrey/Sturgeon, 12 Rev. of Int’l Political Econ. (2005), 78, 96 ff.

32 Sarfaty, 56 Harvard Int’l L. J. (2015), 419, 433.

33 Kolev/Neligan, Nachhaltigkeit in Lieferketten: Eine ökonomische Bewertung von Gesetzesvorschlägen, IW-Policy Paper Nr. 5, 2021, S. 5; Rudloff/Wieck, Nachhaltige Lieferketten im Agrarsektor: Wert schöpfen statt Zuliefern, SWP-Aktuell Nr. 70, 2020 S. 4.

34 Vgl. Sarfaty, 56 Harvard Int’l L. J. (2015), 419, 432; Gereffi/Humphrey/Sturgeon, 12 Rev. of Int’l Political Econ. (2005), 78, 88; Felbermayr et al. (Fn. 25), S. 18.

35 Vgl. dazu B. I. 2.

36 Grundlegend dazu Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre7, 2018, S. 579 ff.

37 Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 159 f.; Paschke, RdTW 2016, 121, 122.

38 Nach der Gewinnmaximierungshypothese wollen Unternehmen stets ihre Gewinne maximieren, indem sie ihren Umsatz erhöhen und/oder ihre Kosten senken, vgl. nur Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts6, 2020, S. 59 f.

39 Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 160; vgl. auch Samuelson/Nordhaus, Volkswirtschaftslehre6, 2016, S. 72: „Je höher die Bevölkerungsdichte und je größer das Produktionsvolumen […], desto eher entwickeln sich negative Externalitäten“.

40 Samuelson/Nordhaus (Fn. 40), S. 71 f.

41 Vgl. Varian, Intermediate Microeconomics9, 2014, S. 670; Schäfer/Ott (Fn. 39), S. 88.

42 Schäfer/Ott (Fn. 39), S. 88; grundlegend Dahlman, 22 J. of Law and Econ. (1979), 141 ff.

43 Vgl. Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 161 f.; Schäfer/Ott (Fn. 39), S. 88.

44 So auch schon der Aufruf der Initiative Lieferkettengesetz, https://lieferkettengesetz.de/oekonominnen-statement.Timm, Lieferkettenverantwortung: Wettbewerbsökonomische Kritik und Alternativen105

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eingedämmt werden.45 Dies steht im Einklang mit dem sog. Kosten-Nutzen-Prinzip. Diesem liegt die rechtsökonomische Wertung zugrunde, dass Nutzen und Schaden derselben Aktivität zusammenfallen müssen.46 Dadurch wird der andernfalls bestehende Anreiz des nicht-schadenstragenden Nutzziehenden, eine immer größere Menge schädigender Güter zu produzieren, unterbunden.

II. Grundlagen der Wettbewerbsregulierung und Maßstabsherleitung

Beim LkSG handelt es sich um eine staatlich auferlegte Einschränkung des Entscheidungsspielraums von Unternehmen, die durch Androhung von Sanktionen begleitet wird. Mithin ist das LkSG eine Regulierungsmaßnahme im klassischen Sinne.47 In Anbetracht des Marktwirtschaftspostulats der deutschen Wirtschaftsordnung stellt sich die Frage, warum der Gesetzgeber überhaupt den Wettbewerb durch Einschränkungen für Unternehmen reguliert.48 Um dieser Frage wettbewerbsökonomisch auf den Grund zu gehen, ist es von Nöten, sich zunächst mit einigen regulierungstheoretischen Grundlagen vertraut zu machen.

1. Normative Regulierungstheorie

In der Volkswirtschaftslehre ist die Gebotenheit von Regulierungsmaßnahmen Untersuchungsgegenstand der sog. normativen49 Regulierungstheorie.50 Sie fragt nach der ökonomischen Notwendigkeit staatlicher Eingriffe in den Wettbewerb. Die normative Regulierungstheorie fußt dabei auf den folgenden marktwirtschaftlichen Grundsatzerwägungen.

a) Bedeutung des Wettbewerbs in der Marktwirtschaft

Ein Markt ist ein Mechanismus, mit dessen Hilfe Anbieter und Nachfrager in Beziehung treten, um Preis und Menge von Gütern zu ermitteln. Auf Märkten treffen dabei auf Angebots- und Nachfrageseite zahlreiche konkurrierende Akteure aufeinander.51 Diese Situation bezeichnet man als Wettbewerb auf einem Markt. Die zentrale Bedeutung des Wettbewerbs auf einem Markt liegt darin, dass er Ressourcen effizient zuteilt und Verschwendung vermeidet (sog. Pareto-Effizienz bzw. Pareto-Optimum oder auch Allokationseffizienz). Pareto-Effizienz beschreibt einen Marktgleichgewichtszustand, in dem es nicht möglich ist, durch Reallokation der Ressourcen die Wohlfahrt eines Akteurs zu erhöhen, ohne zugleich die eines anderen zu verringern.52 Nach der Grundidee von Adam Smith führt allein die berühmte unsichtbare Hand des Marktes zu diesem Marktgleichgewicht. Daher ist ein staatliches Eingreifen in der freien Marktwirtschaftsordnung grundsätzlich genau so wenig notwendig wie gewünscht.53

b) Nur ausnahmsweise Regulierung

Vor diesem Bedeutungshintergrund versteht die normative Regulierungstheorie den freien Wettbewerb auf einem Markt als Regelfall, während sie für den Ausnahmefall einer staatlichen Intervention nach Gründen fragt.54 Dabei gilt, dass ein Eingriff in den Wettbewerb immer nur dann geboten ist, wenn er einen Nettowohlfahrtsgewinn mit sich bringt.55 In volkswirtschaftliche Fachtermini übersetzt, entspricht dieser Rechtfertigungsmaßstab dem aus dem sog. Kaldor-Hicks-Kriterium56 abgeleiteten Vermögensmaximierungsprinzip. Nach diesem sollen Entscheidungen über staatliche Maßnahmen so getroffen werden, dass die Summe aller durch sie bewirkten Vermögensänderungen bei den Betroffenen positiv ist.57

c) Anlässe für eine Regulierung

Die normative Regulierungstheorie kennt grundsätzlich zwei Gründe, die in marktwirtschaftlichen Ordnungen zugunsten staatlicher Eingriffe sprechen können. Sie unterscheidet zwischen Fällen des Marktversagens und Zielkonflikten.58 Wenn der Staat einen Eingriff in den Wettbewerb vornimmt, muss er sich in jedem Fall auf das Vorliegen eines solchen Regulierungsgrundes berufen können. Sollte er dies nicht können, mangelt es schon an einer ökonomischen Indikation für den regulierenden Eingriff.

2. Bewertungsmaßstab

Eine fundierte Antwort, inwieweit sich das LkSG wettbewerbsökonomisch rechtfertigen lässt, liefert folglich die normative Regulierungstheorie. Aus den obigen Ausführungen zu ihr lässt sich folgender zweigliedriger Maßstab für die Bewertung des LkSG ableiten: Es muss erstens ein Regulierungsgrund vorliegen und zweitens ein Nettowohlfahrtsgewinn in Aussicht stehen.


45 Vgl. Habersack/Zickgraf, ZHR 182 (2018), 252, 272; Schäfer/Ott (Fn. 39), S. 88.

46 Habersack/Zickgraf, ZHR 182 (2018), 252, 271; Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 162.

47 Viscusi/Harrington/Vernon, Economics of Regulation and Antitrust4, 2005, S. 357.

48 Vgl. Viscusi/Harrington/Vernon (Fn. 48), S. 375.

49 In Abgrenzung zur sog. positiven Regulierungstheorie, die einen weniger wettbewerbstheoretischen ex-post Blickwinkel auf bereits bestehende Regulierungen einnimmt, vgl. Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht10, 2013, S. 54; Möschel, in: FS Immenga, 2004, S. 277, 279 f. Mangels Inkrafttreten des LkSG bleibt die positive Regulierungstheorie hier gänzlich außer Betracht.

50 Siehe zum Nachfolgenden Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 38 ff.

51 Samuelson/Nordhaus (Fn. 40), S. 56 f.

52 Ausf. dazu Mankiw/Taylor (Fn. 37), S. 240 ff.; Samuelson/Nordhaus (Fn. 40), S. 248 ff.

53 Vgl. Mankiw/Taylor (Fn. 37), S. 9 ff.

54 Vgl. Viscusi/Harrington/Vernon (Fn. 48), S. 375.

55 Viscusi/Harrington/Vernon (Fn. 48), S. 378.

56 Nach dem Kaldor-Hicks-Kriterium ist eine staatliche Maßnahme sinnvoll, wenn sie für min. ein Individuum Verbesserung bringt und die Verlierer durch die Gewinner kompensiert werden könnten. Die Kompensation muss nur hypothetisch möglich sein, wenn sie tatsächlich stattfindet, würde man von einer sog. Pareto-Verbesserung sprechen. Vgl. hierzu grundlegend Kaldor, 49 Econ. J. (1939), 549 ff.; Hicks, 8 Rev. of Econ. Studies (1941), 108 ff.

57 Schäfer/Ott (Fn. 39), S. 23; Cooter/Ulen, Law and Economics6, 2014, S. 42.

58 Basedow, in: FS Immenga, 2004, S. 3, 8.Timm, Lieferkettenverantwortung: Wettbewerbsökonomische Kritik und Alternativen106

Timm, Lieferkettenverantwortung: Wettbewerbsökonomische Kritik und Alternativen106

III. Wettbewerbsökonomische Bewertung des LkSG

1. Regulierungsgrund

Zunächst müsste ein Regulierungsgrund einschlägig sein, der dem Gesetzgeber Anlass bietet, mit dem LkSG in den Wettbewerb einzugreifen.59 Auf dem deutschen Absatzmarkt werden Güter angeboten, bei denen sich menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken, die entlang der Lieferkette auftreten, nicht in den Marktpreisen niederschlagen.60 Das Auftreten solcher negativen externen Effekte ist ein Unterfall des Marktversagens.61 Mithin liegt ein Regulierungsgrund vor, der den Erlass des LkSG aus wettbewerbsökonomischer Sicht dem Grunde nach rechtfertigt.

2. Wohlfahrtsanalyse

Damit sich das LkSG vollends wettbewerbsökonomisch rechtfertigen lässt, müsste es jedoch auch einen Nettowohlfahrtsgewinn erwarten lassen. Die Summe aller durch das LkSG bewirkten Vermögensänderungen bei den Betroffenen muss voraussichtlich positiv sein.62

a) Wohlfahrtsgewinne

aa) Internalisierung von Externalitäten

Durch das LkSG sollen die in Lieferketten entstehenden negativen externen Effekte internalisiert werden.63 Marktpreise werden künftig die sozialen Kosten der Güter besser widerspiegeln. Dadurch wird Überproduktion verringert und Wohlfahrtsgewinne entstehen.64 Bei den zu erwartenden Wohlfahrtsgewinnen ist indes zu berücksichtigen, dass der deutsche Gesetzgeber mit dem LkSG nicht alle Wettbewerbsteilnehmer auf dem inländischen Absatzmarkt gleichbehandelt. Dies kann kontraproduktive Auswirkungen haben.

bb) Ungleichbehandlung und Verdrängungseffekte

Insbesondere im Ausland ansässige Internethändler, die nicht ausnahmsweise unter § 1 Abs. 1 S. 2 LkSG fallen, können weiterhin ihre Güter ohne Berücksichtigung etwaiger Sorgfaltspflichten in Deutschland anbieten.65 Das bedeutet zum einen, dass weiterhin zahlreiche Güter mit „falschen“, nicht die sozialen Kosten widerspiegelnden Preisen, auf dem deutschen Absatzmarkt angeboten werden. Zum anderen haben die vom LkSG erfassten, zuvorderst deutschen Unternehmen einen Nachteil im Wettbewerb. Da es auf einem Wettbewerbsmarkt sehr viele Käufer und Verkäufer gibt, können Unternehmen den Marktpreis von Gütern grundsätzlich nicht beeinflussen.66 Die vom LkSG erfassten Unternehmen werden daher im Wettbewerb Schwierigkeiten haben, ihre nunmehr erhöhten Kosten an die Konsumenten in Form von Preiserhöhungen weiterzureichen. Erhöht ein Unternehmen den Preis für ein Gut, so verschiebt sich die Nachfrage schlicht zu denjenigen Wettbewerbern, die identische oder substitutive67 Güter zum unveränderten, günstigeren Preis anbieten. Dies werden vor allem jene Wettbewerber sein, die ihre Güter auf dem deutschen Absatzmarkt anbieten, ohne dabei vom LkSG und seinen Pflichten erfasst zu sein. Die logische Konsequenz von Kostenerhöhungen, die nicht durch korrespondierende Preiserhöhungen kompensiert werden können, ist das Schrumpfen der Margen der Unternehmen beim Verkauf ihrer Güter. Insbesondere in Branchen, in denen traditionell geringe Margen erzielt werden, kann die dauerhafte und im Einzelfall hohe Kostenbelastung durch das LkSG die Rentabilität eines Geschäfts stark beeinträchtigen. Dies wird Unternehmen dazu zwingen, sich teilweise oder ganz aus dem deutschen Absatzmarkt zurückzuziehen.68 Verlorene Marktanteile würden schließlich von Wettbewerbern übernommen, die womöglich nicht dem LkSG unterliegen und deren Geschäft schlimmstenfalls mehr negative externe Effekte verursacht als das Geschäft der verdrängten Unternehmen. Wohlfahrtstechnisch bliebe die augenblickliche menschen- und umweltrechtliche Situation in solchen Verdrängungsszenarien bestenfalls erhalten, wird aber regelmäßig verschlechtert werden. Dieses Phänomen lässt sich an der Entwicklung der deutschen Textilindustrie illustrieren.69 Deutschland verfügte bis in die 60er Jahre über eine eigene Textilfertigung. Seit 1970 hat die Branche jedoch 90% ihrer Betriebe und Beschäftigen verloren; von einer deutschen Textilindustrie ist kaum etwas übrig. Statt der deutschen Unternehmen nehmen heute Handelsketten wie H&M und Zara große Marktanteile auf dem deutschen Absatzmarkt ein. Unter welchen Bedingungen diese ihre Textilien in Asien fertigen, sollte bekannt sein.

Im Ergebnis führt die Internalisierung externer Effekte durch das LkSG zu einer selektiven Kostenerhöhung. Die betroffenen Unternehmen erleiden einen Wettbewerbsnachteil. Soweit ausländische Unternehmen weiterhin uneingeschränkt ihre Güter auf dem deutschen Markt anbieten und schrumpfende Marktanteile von kostenbenachteiligten Wettbewerbern übernehmen können, werden die Wohlfahrtsgewinne durch das LkSG eher überschaubar als überwältigend sein.

b) Wohlfahrtsverluste

aa) Ausweicheffekte

Die Aktivitäten deutscher Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern sorgen für zahlreiche Arbeitsplätze und sichern Einkommen für die Bevölkerung in den jeweiligen Ländern.70 Zudem entstehen durch die Aktivitäten auch positive externe Effekte. Deutsche Unternehmen bringen z.B. neuere Technologien in Entwicklungs- und Schwellenländer, beeinflussen durch ihre Anforderungen die Produkt- und Produktionsstandards und beschäftigen


59 Vgl. unter D. II. 1. c).

60 Dazu schon ausf. unter D. I.

61 Samuelson/Nordhaus (Fn. 40), S. 253 f.

62 Vgl. unter D. II. 1. b).

63 Dazu schon ausf. unter D. I.

64 Schäfer/Ott (Fn. 39), S. 88; Cooter/Ulen (Fn. 58), S. 40; ausf. Varian (Fn. 42), S. 669 ff.

65 Vgl. unter B. I. 1.

66 Sie werden daher „Preisnehmer“ bzw. „Mengenanpasser“ genannt, Mankiw/Taylor (Fn. 37), S. 60 f.

67 Substitutive Güter (z.B. Pullover und Sweatshirts) sind solche, die die gleichen Bedürfnisse aus der Sicht der Konsumenten befriedigen und bilden sachlich genauso wie identische Güter einen gemeinsamen Markt, vgl. Schmidt/Haucap (Fn. 50), S. 61 ff.

68 Vgl. Mankiw/Taylor (Fn. 37), S. 74 f.

69 Das folgende Beispiel nach Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 780 f.

70 Konkrete empirische Daten bei Kolev/Neligan (Fn. 34), S. 20 f.Timm, Lieferkettenverantwortung: Wettbewerbsökonomische Kritik und Alternativen107

Timm, Lieferkettenverantwortung: Wettbewerbsökonomische Kritik und Alternativen107

auch gering qualifizierte Arbeitskräfte, wodurch Lerneffekte entstehen können.71

Mit dem Anstieg der Import- bzw. Produktionskosten in einigen Ländern durch das LkSG, sinken die komparativen Kostenvorteile. Unternehmen werden deshalb ihre Beschaffungsstrategie überdenken. Insbesondere Unternehmen, deren Lieferkette besonders risikoreiche Länder umfasst, müssen erwägen, in andere Länder auszuweichen. Als Ausweichoption eignen sich Länder, die in Bezug auf menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken weniger bedenklich sind und daher weniger LkSG-Kosten auslösen. Alternativ können Lieferketten vollständig auf bestehende risikoarme Lieferbeziehungen reduziert werden, um den Kostenaufwand zur Einhaltung von Sorgfaltspflichten einzudämmen.72 Das gleiche Schicksal trifft Unternehmen, die nicht genügend Verhandlungsmacht haben, um die Pflichten des LkSG gegenüber bestehenden Zulieferern durchzusetzen.73 Um die drakonischen Sanktionen des LkSG in jedem Fall zu meiden, werden auch sie Ausweichoptionen erwägen müssen. Diese Ausweicheffekte haben zur Folge, dass dort, wo Lieferbeziehungen abgebrochen werden, eine Nachfragelücke auf dem Faktormarkt entsteht, die von anderen Unternehmen gefüllt werden kann. Soweit dies der Fall ist, bleiben immerhin Arbeitsplätze und Einkommen im Regelfall erhalten.74 Problematisch ist vielmehr, dass Nachfragelücken von Unternehmen gefüllt werden können, deren Aktivität weniger positive externe Effekte hervorruft und die womöglich menschenrechtliche und umweltbezogene Belange nicht beachten. Vor allem chinesische Unternehmen schenken diesen Belangen weniger Beachtung und haben oft geringere Produkt- und Produktionsstandards als deutsche Unternehmen.75 Die Empirie zeigt beispielsweise, dass chinesische Investoren in Ländern mit schlechter Governance einen hohen Investitionsanteil im Vergleich zu westlichen Investoren haben76 und dass chinesische Entwicklungsprojekte mit einer sinkenden Gewerkschaftsbeteiligung einhergehen.77

Die durch das LkSG drohenden Ausweicheffekte werden kurz gesagt zur Folge haben, dass deutsche Unternehmen durch Wettbewerber ersetzt werden, deren Aktivität weniger positive externe Effekte und zugleich mehr negative externe Effekte hervorruft. Damit wäre der Menschenrechts- und Umweltsituation in den jeweiligen Ländern alles andere als gedient; der Zweck des LkSG würde konterkariert.78 Ausweicheffekte bedeuten somit einen klaren Wohlfahrtsverlust.

bb) Abkehr vom Außenhandel

Die LkSG-Kosten, die durch Lieferbeziehungen im Ausland anfallen, können gar dazu führen, dass sich überhaupt keine komparativen Kostenvorteile im Ausland mehr ergeben. Deutsche Unternehmen müssten dann wieder im Inland produzieren oder produzieren lassen, eventuell verbunden mit einer Substitution von Arbeit durch Kapital (Automatisierung).79 Mit einer solchen Abkehr von der globalen Arbeitsteilung würden ebenfalls Wohlfahrtsverluste einhergehen.80

cc) Nicht-tarifäres Handelshemmnis

Ausländische Exporteure, die mittelbar oder unmittelbar an vom LkSG erfasste Unternehmen zuliefern, müssen die an sie vertraglich weitergereichten Pflichten81 erfüllen. Dies erhöht ihre Exportkosten. Das LkSG stellt insofern ein sog. nicht-tarifäres Handelshemmnis dar.82 Dies wird dazu führen, dass einige Zulieferer den deutschen Importmarkt verlassen.83 Das wäre nicht wünschenswert, da Unternehmen, die in Industrieländer exportieren für mehr Wohlfahrt sorgen als Unternehmen, die nur den inländischen Markt bedienen. Studien zeigen z.B., dass Exporteure in Entwicklungsländern regelmäßig mehr und besser qualifizierte Arbeitskräfte beschäftigen, höhere Löhne zahlen und stärker auf Corporate Social Responsibility achten84. Das LkSG würde in Entwicklungsländern ausgerechnet jene Zulieferer strafen, die hohe Menschenrechts- und Umweltstandards im regionalen Vergleich haben. Auch im Hinblick auf die handelshemmende Wirkung des LkSG sind mithin beachtliche Wohlfahrtsverluste zu erwarten.

c) Ergebnis

Die vorstehenden Ausführungen ergeben, dass die durch das LkSG zu erwartenden Wohlfahrtsverluste die Wohlfahrtsgewinne voraussichtlich übersteigen werden. Sowohl die unmittelbar und mittelbar vom LkSG betroffenen Unternehmen als auch die Zulieferregionen85, die von diesen Unternehmen profitieren, werden mit Vermögensverlusten rechnen müssen. Vermögensgewinne, die dies aufwiegen können, sind bis auf Weiteres nicht ersichtlich. Mithin stellt das LkSG keinen Nettowohlfahrtsgewinn in Aussicht.

3. Fazit und Kritik

Die Einführung des LkSG lässt sich – in Ermangelung eines in Aussicht stehenden Nettowohlfahrtgewinns – weder normativ-regulierungstheoretisch rechtfertigen noch entspricht sie dem Vermögensmaximierungsprinzip (Kaldor-Hicks-Kriterium). Aus wettbewerbsökonomischer Sicht ist


71 Kolev/Neligan (Fn. 34), S. 21; Felbermayr et al. (Fn. 25), S. 26.

72 Vgl. zu den Ausweichoptionen Felbermayr et al. (Fn. 25), S. 17.

73 Vgl. unter C. II. 2.

74 In Ausnahmefällen ist in besonders kritischen Regionen aber auch Gegenteiliges denkbar. Owen, 48 Texas Int‘l L. J. (2012), 103, 112: Sec. 1502 des Dodd-Frank Act hat ein de facto-Embargo gegen die Demokratischen Republik Kongo für die gesamte Mineralienbranche verhängt. Nachdem sich Unternehmen aus dem Markt zurückzogen und auf andere Regionen auswichen und die Nachfrage sich nicht anderswo hin verlagerte, sank die Nachfrage nach Mineralien um 90 %. Das stellte eine erhebliche Belastung für mehrere hunderttausende Bürger dar, die sich in der Mineralienbranche den Lebensunterhalt verdienten. Der plötzliche Einkommensverlust hatte negative Auswirkung auf die Gesundheits-, Bildungs- und Lebensmittelversorgung.

75 Kolev/Neligan (Fn. 34), S. 22.

76 Chen/Dollar/Teng, 32 World Bank Econ. Rev. (2018), 610, 629.

77 Isaksson/Kotsadam, 106 World Development (2018), 284, 293.

78 Ähnlich Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 781, der dies als „Bumerang-Effekt“ bezeichnet.

79 Felbermayr et al. (Fn. 25), S. 17.

80 Vgl. Mankiw/Taylor (Fn. 37), S. 591.

81 Dazu unter B. I. 2.

82 Mankiw/Taylor (Fn. 37), S. 597.

83 Felbermayr et al. (Fn. 25), S. 26 m.w.N.

84 Bernard et al., 21 J. of Econ. Perspectives. (2007), 105, 110; Verhoogen, 123 Q. J. of Econ. (2008), 489, 491; Görg et al., 122 Business and Society Rev. (2017), 191 ff.

85 Speziell zu Gefahren für Zuliefererländer die Auflistung bei Felbermayr et al. (Fn. 25), S. 26.Timm, Lieferkettenverantwortung: Wettbewerbsökonomische Kritik und Alternativen108

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das LkSG daher nicht geboten und eindeutig negativ zu bewerten. Durch das LkSG benachteiligt der Gesetzgeber vor allem deutsche Unternehmen, lanciert ausländische Konkurrenten in bessere Wettbewerbspositionen und droht damit den menschen- und umweltrechtlichen Status quo zu verschärfen.86

E. Regelungsalternativen zum LkSG

Aus der fehlenden regulierungstheoretischen Rechtfertigung des LkSG erwächst ein entsprechendes Reformpotential.87 Überlegungen zu Alternativen zum LkSG müssen aus wettbewerbsökonomischer Sicht der Maxime der Vermögensmaximierung (Kaldor-Hicks-Kriterium) folgen. De lege ferenda müsste dementsprechend ein Nettowohlfahrtsgewinn angestrebt werden. Konsequenterweise gilt es, Regelungsalternativen ausfindig zu machen, die die oben beschriebenen Wohlfahrtsgewinne sublimieren und den drohenden Wohlfahrtsverlusten Einhalt gebieten. Im Folgenden wird dargelegt, welche inhaltlichen Anpassungen sich zu einer solchen Wohlfahrtsoptimierung anbieten und auf welcher Ebene eine Regelungsalternative umgesetzt werden sollte.

I. Regelungsinhalt: Notwendige Anpassungen

1. Neuregelung des persönlichen Anwendungsbereichs

Der persönliche Anwendungsbereich basiert de lege lata auf einem rein statistischen Ansatz.88 Da die Anzahl der Arbeitnehmer denkbar wenig über menschenrechtliche und umweltbezogene Risikopotenziale von Unternehmen aussagt, ist ein risikobasierter Ansatz im persönlichen Anwendungsbereich, der auch kleinere und mittlere Unternehmen mit hohem Risiko erfasst89, zu bevorzugen. Dadurch würde die Internalisierung negativer externer Effekte konsequenter adressiert und Wohlfahrt gewonnen. Darüber hinaus sollte der persönliche Anwendungsbereich auf sämtliche Unternehmen ausgedehnt90 werden, die Dienstleistungen oder Waren auf dem inländischen Markt anbieten.91 Dies ist notwendig, um die Benachteiligung inländischer Unternehmen gegenüber ausländischen Wettbewerbern und potenzielle Verdrängungseffekte zu verhindern. Zudem würden die Güterpreise die sozialen Kosten besser berücksichtigen, da alle anbietenden Wettbewerber gleichermaßen sorgfaltspflichtig wären. Auch hierdurch ergäben sich Wohlfahrtsgewinne.92

2. Eindämmung der Kostentreiber

Die zu erwartenden Wohlfahrtsverluste in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen93 sind allesamt auf die Kostenerhöhungen, die das LkSG bei unmittelbar und mittelbar betroffenen Unternehmen verursacht, zurückzuführen. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass die wesentlichen Kostentreiber des LkSG auf das unerlässliche Minimum reduziert werden. De lege ferenda sollte darauf geachtet werden, dass die Sorgfaltspflichten nur so weit reichen, wie sie gewährleisten können, dass verpflichtete Unternehmen bestehende Lieferbeziehungen aufrechterhalten und dabei wettbewerbsfähig bleiben. Dazu ist es unerlässlich, dass die Komplexität der Lieferkette, das konkrete Geschäftsfeld inkl. des geografischen Risikokontexts und die Verhandlungsmacht des Unternehmens im Einzelfall berücksichtigt wird.94 Ferner ist zu vermeiden, dass sich weiterzureichende Sorgfaltspflichten für ausländische Exporteure als nicht-tarifäre Handelshemmnis entpuppen. Um die impliziten Kosten zu reduzieren, sollte möglichst viel Anwendungssicherheit für die Praxis geschaffen werden, die Unternehmen vor unvorhersehbaren Sanktionen bewahrt. Auf unbestimmte Rechtsbegriffe innerhalb der Sanktionstatbestände sollte weitestgehend verzichtet werden. Sofern unbestimmte Rechtsbegriffe unumgänglich sind, ist es wichtig, dass behördliche Handreichungen zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten (vgl. § 20 LkSG) für praxistaugliche Konkretisierung sorgen, um implizite Kosten durch externe Beratungsleistungen zu senken.95 Nach alledem würden Wohlfahrtsverluste deutlich minimiert werden.

II. Regelungsebene: EU-Harmonisierung oder nationale Reform?

Nachdem in den letzten Jahren weltweit96 und unter anderem auch in einigen EU-Mitgliedstaaten97 zunehmend die Notwendigkeit von gesetzlichen unternehmerischen Sorgfaltspflichten erkannt wurde, ist auch die EU erneut98 tätig geworden. Im Anschluss an die Empfehlungen des Europäischen Parlaments99 hat die EU-Kommission nun die Veröffentlichung eines Richtlinienentwurfs über allgemeine Sorgfaltspflichten in Lieferketten für den 23.02.22 angekündigt.100 Die sich anbahnende Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Lieferkettengesetze bietet Anlass zu prüfen, ob eine Regelung auf EU-Ebene (zentrale Regulierung) aus wettbewerbsökonomischer Sicht tatsächlich einer nationalen Neuregelung des LkSG (dezentrale Regulierung) vorzuziehen ist.


86 Ebenso Kolev/Neligan (Fn. 34), S. 22: „Insgesamt ergibt sich eine klare Pareto-Verschlechterung“.

87 Vgl. Möschel (Fn. 50), S. 277.

88 Vgl. B. I. 1.

89 So sieht es z.B. Art. 2 Nr. 2 des Richtlinienvorschlags (RL-V) aus der Anlage zur Entschließung des Europäischen Parlaments v. 10.3.21 mit Empfehlungen an die Kommission zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen, P9_TA(2021)0073 vor.

90 Aus britischen (Modern Slavery Act 2015) und niederländischen (Wet Zorgplicht Kinderarbeid) Lieferkettengesetzen ist dieser Ansatz bereits bekannt. Auch in aktuellen Vorhaben findet sich dieser Ansatz wieder: Art. 2 Nr. 3 RL-V sowie Art. 1.3 lit. b. des niederländischen Entwurfes v. 11.3.21 für ein allg. Sorgfaltspflichtengesetz (Wet verantwoord en duurzaam internationaal ondernemen), Tweede Kamer, 35761-2.

91 Zur Vereinbarkeit dieses Ansatzes mit Art. 34 AEUV und dem WTO-Recht Bäumler, AVR 58 (2020), 464 ff.; Rechtsgutachten Initiative Lieferkettengesetz, S. 65 f., https://lieferkettengesetz.de/wp-content/uploads/2020/02/200527_lk_rechtsgutachten_webversion_ds.pdf.

92 Vgl. D. III. 2. a) bb).

93 Vgl. D. III. 2. b).

94 Vgl. C. II. 2. Ähnlich auch Erwägungsgrund 18 des RL-V.

95 Vgl. C. II. 1.

96 USA: Section 1502 Dodd-Frank Act; Kalifornien: Transparency in Supply Chains Act; Großbritannien: Modern Slavery Act 2015; Australien: Modern Slavery Act 2018; Schweiz: Konzernverantwortungsinitiative.

97 Frankreich: Loi de vigilance; Niederlande: Wet Zorplicht Kinderarbeid; Österreich: Sozialverantwortungsgesetz.

98 Eine neue Verordnung (VO) über entwaldungsfreie Produkte wurde kürzlich von der EU-Kommission vorgeschlagen. Zuvor wurde bereits die Holzhandels-VO, die Corporate Social Responsibility-Richtlinie und die Konfliktmineralien-VO erlassen.

99 Entschließung des Europäischen Parlaments v. 10.3.21, P9_TA(2021)0073.

100 Zu den bisherigen Geschehnissen auf EU-Ebene Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145, 2151.Timm, Lieferkettenverantwortung: Wettbewerbsökonomische Kritik und Alternativen109

Timm, Lieferkettenverantwortung: Wettbewerbsökonomische Kritik und Alternativen109

1. Contra Harmonisierung

Gegen eine dezentrale Regulierung und die Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Lieferkettengesetze ließe sich anführen, dass verschiedene nationale Regelungen zu einem „Wettbewerb der Regulierungssysteme“ führen könnten. Bei einer Vielfalt von Ausgestaltungen nationaler Lieferkettengesetze ist zu erwarten, dass sich Wettbewerbsprozesse und Wohlfahrtsergebnisse in den Einzelstaaten unterscheiden. Durch die Erfolge und Misserfolge der jeweils anderen Länder entstünden gegenseitige Lerneffekte, welche zur Optimierung der eigenen Regelungen beitragen. Eine Harmonisierung hingegen unterbindet solche Lernprozesse und birgt überdies die Gefahr, dass sie sich ex post als ökonomisch ineffizient erweist. Ein „Wettbewerb der Regulierungssysteme“ ist insbesondere dann vorteilhaft, wenn eine hinreichend hohe Unsicherheit über die Auswirkungen der geplanten Regulierung und die daraus folgenden Entwicklungen besteht. Wegen der Unsicherheiten bezüglich der Auswirkungen und Entwicklungen im Zusammenhang mit dem LkSG, greift dieses Argument.101

2. Pro Harmonisierung

Erstens steht der Idee des „Wettbewerbs der Regulierungssysteme“ das Argument des „ruinösen Regulierungswettbewerbs“ gegenüber. Es besagt, dass eine Harmonisierung notwendig ist, da die Mitgliedstaaten ansonsten der Versuchung ausgesetzt sind, möglichst geringe oder keine Menschenrechts- und Umweltstandards in Lieferketten einzuführen, um ihren heimischen Unternehmen einen Vorteil zu verschaffen. Das Argument der „ruinösen“ Konkurrenz verschiedener nationaler Regulierungen ist indes theoretisch wie empirisch umstritten, sodass es an dieser Stelle nicht schwer ins Gewicht fällt.102 Zweitens haben nationale Lieferkettengesetze, indem sie auch das Verhalten von Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht beeinflussen, Auswirkungen auf Konsumenten und Wettbewerber im Ausland.103 Aus diesem Grund ist ebenfalls eine zentrale Regulierung sinnvoll, die die Interessen aller Akteure in den Mitgliedstaaten gleichermaßen wahrt. Drittens haben harmonisierte Regelungen den Vorzug, dass sie im Binnenmarkt für Rechtssicherheit sorgen und den dort agierenden Unternehmen Kosten ersparen.104 Gelten in allen Jurisdiktionen dieselben Sorgfaltspflichten, müssen sich Unternehmen nur mit einem einheitlichen modus operandi vertraut machen. Daran schließt sich auch das letzte und gewichtigste Argument an. Durch einen vereinheitlichten Rechtsrahmen wird innerhalb des Binnenmarktes ein level playing field geschaffen, in dem alle Wettbewerber den gleichen Pflichten unterliegen. All diese Vorteile für Konsumenten und Unternehmen, die mit einer Harmonisierung einhergehen, bedeuten gleichzeitig einen Wohlfahrtsgewinn.

III. Fazit

Im Ergebnis ist eine europäischen Lösung vorzuziehen. Zu den Kardinalpflichten wirtschaftspolitischen Handelns gehört, dass unerwünschte Nebeneffekte der zukünftigen EU-Regelung bedacht werden.105 Inhaltlich sollte de lege ferenda sichergestellt werden, dass gleiche Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt herrschen. Zudem sollten aus Sorgfaltspflichten herrührende Kosten den Unternehmen erlauben, auf ihren Faktormärkten außerhalb des Binnenmarktes konkurrenzfähig zu bleiben. Schließlich dürfen Sorgfaltspflichten kein nicht-tarifäres Handelshemmnis für ausländische Exporteure darstellen. Eine EU-Regelung, die diese Voraussetzungen erfüllt, würde höchstwahrscheinlich einen Nettowohlfahrtsgewinn mit sich bringen. Dann wäre sie auch wettbewerbsökonomisch gerechtfertigt und nach dem Kaldor-Hicks-Kriterium sogar zur Vermögensmaximierung geboten.

F. Ausblick

Der Aufruhr um das Lieferkettengesetz in Deutschland fügt sich in das Bild der zeitgenössischen Nachhaltigkeitsdebatten. Die Forderungen, die aus diesen Debatten erwachsen, zeichnen sich grundsätzlich durch einen unverrückbaren moralischen Impetus aus. Hört man einige Forderungen aus der Klimapolitik, so hat man bisweilen das Gefühl, dass allein der Zweck der Nachhaltigkeit (fast) jedes Mittel zu rechtfertigen vermag. Mit der Zeit gewann aber die Erkenntnis an Popularität, dass es sich beim Klimaschutz um ein globales Problem handelt, das nicht allein am deutschen Wesen genesen wird. Nicht anders verhält es sich mit der Lieferkettenthematik. Auch das LkSG ist moralisch gut gemeint, aber derzeit schlecht gemacht. Es ist richtig, dass deutsche Unternehmen eine Mitverantwortung für Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren Lieferketten tragen. Es ist indes falsch, ein Gesetz einzuführen, dass diese Standards abzusenken droht. Auch die Lieferkettendebatte sollte lieber früher als später zur Erkenntnis gelangen, dass prekäre Lagen in Entwicklungs- und Schwellenländern nicht allein durch Anstrengungen deutscher Unternehmen beseitigt werden können. Die Probleme wurzeln in den jeweiligen Ländern selbst. Regelmäßig sind es die politischen Bedingungen und schlechten Governance-Strukturen vor Ort, die den Rahmen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltbeeinträchtigungen in Lieferketten schaffen. Wie bei Klimafragen handelt es sich somit ebenfalls um ein Problem, dass in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Ländern gelöst werden muss. Wenngleich international harmonisierte Sorgfaltsstandards kurz- und mittelfristig unrealistisch sind, sollten vorhandene völkerrechtliche Bemühungen106 langfristig mit Nachdruck verfolgt werden. In der Zwischenzeit sollte schnellstmöglich auf eine europäische Lösung hingewirkt werden. Bis dahin werden deutsche Unternehmen mit dem LkSG „ins Trainingslager geschickt“107, was zugegebenermaßen herzlich wenig fruchtet, wenn „das Trainingslager“ die Teilnahme am eigentlichen Wettbewerb vereitelt.


101 Vgl. zum Ganzen Haucap/Kühling, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik (ZfWP) 55 (2006), 324, 344 f.

102 Vgl. Haucap/Kühling, ZfWP 55 (2006), 324, 340 f.

103 Vgl. Haucap/Kühling, ZfWP 55 (2006), 324, 332 f.

104 Vgl. Haucap/Kühling, ZfWP 55 (2006), 324, 338.

105 Vgl. auch Ekkenga/Schirrmacher/Schneider, NJW 2021, 1509, 1513; Fleischer/Danninger, DB 2021, 2849, 2856.

106 Zum völkerrechtlichen Status quo, insb. zur „United Nations treaty working group“, Thielbörger/Ackermann, 24 Indiana J. of Global Legal Studies (2017), 43, 65 ff.

107 Äußerung einer BMZ-Vertreterin im Rahmen einer Podiumsdiskussion, zitiert nach Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 110.