Edgar Groß-Weege*
A. Problemaufriss Sportschiedsgerichtsbarkeit
Die Durchführung sportlicher Wettkämpfe bedarf einheitlicher Regeln. Zur Schaffung einheitlicher Regeln organisierten sich nationale und internationale Sportverbände.1 Diese veranstalten bis heute die Wettkämpfe ihrer jeweiligen Sportart und legen die Regeln für sie fest. Damit diese Regeln auch einheitlich durchgesetzt werden, entwickelten sich Sportschiedsgerichte.2 Sie verhindern, dass beispielsweise russische Athleten gegen Dopingsperren vor russischen Gerichten vorgehen können.3 In Deutschland entstand das Deutsche Sportschiedsgericht, im internationalen Bereich entstand der „Court of Arbitration for Sports“ (CAS).4
Das Problem, das sich nun in der Sportschiedsgerichtsbarkeit stellt, ist Folgendes: Profisportler sind für die Ausübung ihres Berufs auf die Zulassung zu Wettkämpfen angewiesen. Sportliche Wettkämpfe werden fast ausschließlich von Sportverbänden veranstaltet. Ein Sportler ist also darauf angewiesen, dass ihn der jeweilige Verband zu einem Wettkampf zulässt. Aufgrund der Gefahr für die einheitliche Durchsetzung der Regeln fordern zahlreiche Verbände5 für die Zulassung zu Wettkämpfen die Unterzeichnung einer Schiedsvereinbarung.6
Leistungssportler haben also faktisch keine andere Wahl, als einer Schiedsvereinbarung zuzustimmen, wenn sie ihren Sport beruflich ausüben wollen. Aus diesem faktischen Schiedszwang ergeben sich zwei zu untersuchende Leitfragen.
Erstens: Gilt eine solche Schiedsvereinbarung als freiwillig geschlossen und bedarf es Freiwilligkeit überhaupt für eine wirksame Schiedsvereinbarung? Zweitens: Wieso könnte es in Fällen der Unfreiwilligkeit gerechtfertigt sein, dass eine Schiedsvereinbarung trotzdem wirksam ist?
B. Herleitung der Notwendigkeit von Freiwilligkeit
Bevor untersucht wird, ob es sich bei diesen Schiedsvereinbarungen um freiwillig abgeschlossene Vereinbarungen handelt, muss zunächst geklärt werden, ob es Freiwilligkeit überhaupt bedarf. Denn wenn es ihrer nicht bedarf, dann stellt sich auch nicht die Frage, ob sie vorliegt.
Durch die Vereinbarung eines Schiedsverfahrens verzichten die Parteien auf den Zugang zu staatlichen Gerichten (vgl. § 1032 Abs. 1 ZPO). Der Zugang zu staatlichen Gerichten wird garantiert durch den allgemeinen Justizgewährungsanspruch.7 Es handelt sich bei Letzterem um ein Grundrecht, welches sowohl den Zugang zu staatlichen Gerichten als auch die Effektivität des staatlichen Rechtsschutzes garantiert.8 Der Bürger kann auf den Justizgewährungsanspruch verzichten. Die Möglichkeit, auf dieses Grundrecht zu verzichten, wird aus der Verfassung abgeleitet, genauer gesagt aus der Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG).9 Bei einer Schiedsvereinbarung handelt es sich also um einen Grundrechtsverzicht, der durch Ausübung der Privatautonomie erfolgt.10 Wenn über die Notwendigkeit von Freiwilligkeit gesprochen wird, ist damit also die Ausübung von Privatautonomie gemeint. Privatautonomie und Freiwilligkeit sind dasselbe.11
Der gemeinhin anerkannte Grundsatz ist also: Auf den Justizgewährungsanspruch kann aufgrund der verfassungsrechtlich gewährten Privatautonomie12 verzichtet werden.13 Anders formuliert: Eine Schiedsvereinbarung muss freiwillig vereinbart werden.
C. Inhalt und Einschränkung des Freiwilligkeitsgrundsatzes
Die Frage, ob es sich um einen freiwilligen Verzicht der Athleten handelt, wurde von den Gerichten im Fall Pechstein ausführlich diskutiert.
Die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein wollte an der Eisschnelllauf-Weltmeisterschaft teilnehmen, die von der Internationalen Skating Union (ISU) organisiert wird.14 Um teilnehmen zu können, musste sie eine Wettkampfmeldung unterzeichnen. Diese Wettkampfmeldung enthielt eine Schiedsklausel mit dem CAS als Rechtsmittelinstanz.15
I. Pechstein III: Die Ansicht des BGH
Der BGH legte zunächst eine eigene Definition des Freiwilligkeitsbegriffs vor:
„Ein unfreiwilliger Verzicht auf die Grundrechtsausübung liegt dann vor, wenn physische oder psychische Gewalt, z.B. durch Drohung mit einem empfindlichen Übel, ausgeübt wird, wenn der Verzichtende getäuscht wird, wenn er sich der Tragweite und Bedeutung seiner Erklärung nicht bewusst ist oder wenn es gar an der (bewussten) Abgabe einer entsprechenden Willenserklärung fehlt.“16
*Der Autor ist Student an der Bucerius Law School.
1 Monheim, Sportlerrechte, S. 6. Es handelt sich freilich um eine vereinfachte Darstellung einer komplexen Entstehungsgeschichte.
2 Berninger/Theißen, SpuRt 2008, 185 (185). Holla, Schiedsgerichte, S. 125.
3 Kröll, npoR 2016, 268 (276).
4 F/P/S/Pfister/Summerer, Sportrecht, S. 324 f. Rn. 511 f.
5 Das bedeutendste Beispiel in diesem Zusammenhang ist das Internationale Olympische Komitee (IOC).
6 Monheim, Sportlerrechte, S. 193.
7 Er ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Sachs/Rixen, Art. 2 Rn. 117.
8 BVerfGE 88, 118 (123 f.); Sachs/Rixen, Art. 2 Rn. 117.
9 Hülskötter, Schiedsvereinbarungen, S. 79; Massuras, Mehrparteienschiedsgerichtsbarkeit, S. 88 f.; Pipoh, Wirksamkeitskontrolle, S. 51 f.
10 Hülskötter, Schiedsvereinbarungen, S. 113;
Kahlert, SchiedsVZ 2023, 2 (6); Widdascheck, Dopingsünder, S. 141.
11 Holla, Schiedsgerichte, S. 113. Problematisch am Begriff der Freiwilligkeit ist, dass der BGH ihn im Widerspruch zum Begriff der Privatautonomie verwendet. Näheres dazu im weiteren Verlauf.
12 Auch bei einem Schiedsverfahren mit Schiedsort im Ausland kann deutsches Verfassungsrecht z.B. aufgrund des ordre public-Vorbehalts relevant werden.
13 BGHZ 210, 292 (312) Rn. 52; ZöllerZPO/Geimer, vor. § 1025 Rn. 3 f.; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, S.68 Rn. 240.
14 Hülskötter, Schiedsvereinbarungen, S. 122.
15 Hülskötter, Schiedsvereinbarungen, S. 122.
16 BGHZ 210, 292 (312) Rn. 54.
Freiwilligkeit habe bei Frau Pechstein vorgelegen. Sie habe keiner Drohung, Täuschung oder physischem Zwang unterlegen. Vertragliche Vereinbarungen setzten voraus, dass Vertragspartner ggf. eigene Positionen aufgäben und Vertragsbedingungen akzeptierten, die nicht ihrem Willen entsprächen.17
Im Anschluss an diese Feststellung fuhr der BGH damit fort, die Rechtsprechung des BVerfG zu Verhandlungsungleichgewichten zu zitieren: „Hat (\ldots) einer der Vertragspartner ein so starkes Übergewicht, dass er vertragliche Regelungen faktisch einseitig setzen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung. Wenn bei einer solchen Sachlage über grundrechtlich verbürgte Positionen verfügt wird, müssen staatliche Regelungen ausgleichend eingreifen, um den Grundrechtsschutz zu sichern.“18
Der BGH stellte sodann fest, dass Frau Pechstein bei Abschluss der Vereinbarung fremdbestimmt war.19 Er kommt also zu dem Schluss, dass Freiwilligkeit vorlag, Frau Pechstein jedoch fremdbestimmt war.
Mit diesem „bemerkenswerten semantischen Spagat“, wie Heermann sagt20, wäre nach dem BGH der Grundsatz der Freiwilligkeit gewahrt.
II. Stellungnahme
1. Inhalt und Einschränkung
Um die richtige Ansicht zum Inhalt der Freiwilligkeit herauszuarbeiten, ist es sinnvoll, sich die Rechtsprechung des BVerfG zum Wesen der Privatautonomie anzuschauen.
Hervorzuheben sind folgende Aussagen aus der Handelsvertreterentscheidung: „Privatautonomie [beruht] auf dem Prinzip der Selbstbestimmung, [setzt] also voraus, daß auch die Bedingungen freier Selbstbestimmung tatsächlich gegeben sind. Hat einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, daß er vertragliche Regelungen faktisch einseitig setzen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung.“21
Aus diesen beiden Aussagen lässt sich ableiten, dass das Wesen der Privatautonomie die tatsächliche Selbstbestimmung ist. Ihr Gegenstück ist die Fremdbestimmung.
Wenn Fremdbestimmung das Gegenstück zur Privatautonomie ist, dann ergibt es keinen Sinn, wenn der BGH Freiwilligkeit und Fremdbestimmung gleichzeitig annimmt.22 Vielmehr ist zu betonen, dass nach dem BVerfG die Bedingungen freier Selbstbestimmung tatsächlich gegeben sein müssen. Das spricht stark dafür den Inhalt des Freiwilligkeitsgrundsatzes so zu verstehen, wie es das LG München I getan hat. Die Bedingungen freier Selbstbestimmung liegen nämlich nicht vor, wenn der Profisportler vor eine unzumutbare Wahl gestellt wird. Das erkennt der BGH selbst an.23 Nach überzeugender Ansicht bedeutet Freiwilligkeit also echte Wahlfreiheit.
Auf den Grundsatz der Freiwilligkeit würde demnach verzichtet werden, wenn die Schiedsvereinbarung trotz Schiedszwangs wirksam ist.
2. Erforderlichkeit einer einheitlichen Sportschiedsgerichtsbarkeit
Der BGH hat allerdings nachvollziehbare Motive für seine dogmatisch widersprüchliche Lösung. Wie festgestellt ist eine einheitliche Gerichtsbarkeit im Profisport erforderlich. Ohne eine einheitliche Schiedsgerichtsbarkeit bestünde die Gefahr eines „schwer handhabbaren Regelungsdualismus“, der auftreten würde, wenn die Athleten anstelle der Schiedsgerichtsbarkeit auch staatliche Gerichte anrufen könnten.24 Die Notwendigkeit einer einheitlichen Sportschiedsgerichtsbarkeit äußert sogar der deutsche Gesetzgeber. Er erkennt in der Gesetzesbegründung zu § 11 AntiDopG ausdrücklich die Erforderlichkeit einer einheitlichen Sportschiedsgerichtsbarkeit an.25
Der BGH versucht mit seiner Lösung also nur den Weg für eine erforderliche Sportschiedsgerichtsbarkeit offen zu halten und gleichzeitig dem Willen des Gesetzgebers gerecht zu werden.26
3. Fazit
Um sich nicht in dogmatische Widersprüche zu verstricken, sollte man allerdings akzeptieren, dass es sich nicht um freiwillig eingegangene Vereinbarungen handelt. Man sollte also anerkennen, dass in der Sportschiedsgerichtsbarkeit auf das Erfordernis der Freiwilligkeit zugunsten eines einheitlichen Gerichtssystems verzichtet werden muss.27 Dieser Verzicht muss allerdings gerechtfertigt werden. Es stellt sich also die Frage wie ein Verzicht auf die Freiwilligkeit legitimiert bzw. gerechtfertigt werden kann.
D. Legitimation des Verzichts
Zunächst ist das Urteil des BVerfG zum Fall Pechstein zu betrachten.
I. Das Urteil des BVerfG
In seinem Urteil zum Fall Pechstein stellte das BVerfG fest, dass Schiedsvereinbarungen zwischen Athleten und Sportverbänden möglich und zur Gewährleistung einer einheitlichen Sportgerichtsbarkeit auch erforderlich seien.28 Allerdings liege ein Verhandlungsungleichgewicht zwischen den Athleten und den Sportverbänden vor. Aufgrund des Übergewichts der Verbände müsse der Staat die Grundrechte der Athleten schützen. Der Justizgewährungsanspruch, auf den die Athleten verzichten, hätte ihnen ein rechtsstaatliches Verfahren vor staatlichen Gerichten garantiert. Damit eine aufgezwungene Schiedsvereinbarung wirksam sein könne, müssten daher die Garantien des Justizgewährungsanspruchs geschützt werden.29 Das bedeutet, dass ihre Wirksamkeit insbesondere davon abhängt, ob rechtsstaatliche Verfahrensvorgaben eingehalten werden.30
Das BVerfG liefert also keine dogmatische Begründung, wieso auf die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Freiwilligkeit in der Sportschiedsgerichtsbarkeit verzichtet werden
17 BGHZ 210, 292 (313) Rn. 55.
18 BGHZ 210, 292 (313) Rn. 55.
19 BGHZ 210, 292 (314) Rn. 56.
20 Heermann, NJW 2016, 2224 (2225).
21 BVerfGE 81, 242 (255) Rn. 47.
22 Wolf/Eslami, Sportschiedsgerichtsbarkeit, in: FS Geimer, S. 816.
23 BGHZ 210, 292 (314) Rn. 56.
24 Heermann, SchiedsVZ 2014, 66 (75).
25 BT-Drucks. 18/4898, S. 38.
26 BGHZ 210, 292 (317) Rn. 63.
27 Thorn/Lasthaus, IPRax 2016, 426 (429).
28 BVerfG 03.06.22, NJW 2022, 2677 (2679) Rn. 40.
29 BVerfG 03.06.22, NJW 2022, 2677 (2679) Rn. 40.
30 BVerfG 03.06.22, NJW 2022, 2677 (2679) Rn. 40; Kindt, IPRax 2023, 243 (247).
kann. 31 Es sagt aber aus, wann auf sie verzichtet werden kann. Nämlich dann, wenn die Grundrechte des Athleten hinreichend geschützt sind; insbesondere dann, wenn die Garantien des Justizgewährungsanspruchs geschützt sind.
II. Mögliche verfassungsrechtliche Begründung des Verzichts
Versuchte man jedoch einen Begründungsansatz herauszuarbeiten, so müsste man sich auf die Verfassung selbst besinnen. Denn wenn aus der Verfassung das Erfordernis der Freiwilligkeit abgeleitet wird, dann muss aus der Verfassung auch abgeleitet werden, wann auf die Freiwilligkeit verzichtet werden kann.32
Es spräche das Prinzip der praktischen Konkordanz dafür, dass auf die Freiwilligkeit verzichtet werden kann.33 Es entspräche nämlich dem Verfassungsgedanken34, die Vertrags- und Verbandsfreiheit35 der Sportverbände durch die Wirksamkeit der Vereinbarung ebenfalls zur Geltung zu bringen. Damit läge auch eine dogmatische Brücke zur Rechtsprechung des BVerfG vor, wonach bei Verhandlungsungleichgewicht eine Interessenabwägung stattfindet.36 Steht nach der Abwägung fest, dass beide Grundrechtspositionen trotz Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung hinreichend geschützt sind, dann ist der Verzicht auf die Freiwilligkeit legitim.
Die Legitimation ergibt sich also daraus, dass die Grundrechtspositionen beider Parteien hinreichend geschützt werden. Konkret ergibt sie sich daraus, dass rechtsstaatliche Verfahrensstandards im Schiedsverfahren eingehalten werden. Denn ansonsten wäre der Justizgewährungsanspruch der Athleten nicht hinreichend geschützt. Zwingender Faktor in der Interessenabwägung37 ist also der Schutz der Garantien des Justizgewährungsanspruchs.
III. Verfahrensgrundsätze als zwingender Abwägungsfaktor
Zentral für die Frage, wann die Garantien des Justizgewährungsanspruchs hinreichend geschützt sind, ist folgender Satz des BVerfG:
„Die gebotenen Mindestanforderungen an die Ausgestaltung des von der Schiedsabrede erfassten schiedsrichterlichen Verfahrens können nicht ohne Ansehung der tatsächlichen Wahlfreiheit des der Schiedsabrede Unterworfenen beurteilt werden“.38
Aus diesem kurzen Satz ergeben sich mehrere zu untersuchende Aspekte. Zum einen, was ist mit verfahrensrechtlichen Mindestanforderungen überhaupt genau gemeint? Zum anderen gelten diese Verfahrensanforderung ohnehin alle für Schiedsverfahren? Wenn ja, wie sollten sie sich bei fehlender Wahlfreiheit verändern? Und wenn nein, wie genau verändern sich die Verfahrensanforderungen für unfreiwillige Schiedsverfahren39?
Zur Beantwortung dieser Fragen ist es zunächst notwendig, die Garantien des Justizgewährungsanspruchs zu untersuchen.
1. Rechtsstaatliche Anforderungen an staatliche Gerichtsverfahren
a) Justizgewährungsanspruch
Der Anspruch auf Zugang zu den Gerichten über Art. 19 Abs. 4 GG hinaus stellt den Kern des Justizgewährungsanspruchs dar.40 Ein bloßer Anspruch auf Zugang zu den Gerichten wäre allerdings wertlos, ohne die Existenz einer funktionierenden und effektiven Gerichtsbarkeit.41 Er beinhaltet daher auch die Garantie effektiven Rechtsschutzes.42 Effektiver Rechtsschutz ist maßgeblich abhängig von der Verfahrensgestaltung. Seine Gewährleistungen erstrecken sich deshalb auch auf die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens.43 Zum Teil werden die verfassungsrechtlich normierten Verfahrensgarantien als Bestandteil des Justizgewährungsanspruchs angesehen44, zum Teil werden sie als lex specialis zum Justizgewährungsanspruch betrachtet.45 Unabhängig davon steht aber fest, dass mit einem Verzicht auf den Justizgewährungsanspruch zugleich auf die verfassungsrechtlichen Verfahrensgarantien in einem staatlichen Gerichtsverfahren verzichtet wird. Die grundgesetzlichen Verfahrensanforderungen sind also der Ausgangspunkt für die Verfahrensanforderungen an Schiedsverfahren.
b) Grundgesetzliche Verfahrensgrundsätze
Vorab sei klargestellt, dass es um Verfahrensanforderungen an zivilrechtliche Verfahren geht.
aa) Recht auf den gesetzlichen Richter
Neben der verfahrensmäßigen Garantie des Rechts auf den gesetzlich bestimmten Richter, enthält Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG auch das materielle Recht auf den Gesetz gemäßen Richter.46 Die grundgesetzlichen Anforderungen an den gesetzlichen Richter ergeben sich aus Art. 97 GG. Nach diesem müssen Richter unabhängig und unparteiisch sein und Gewähr für Neutralität und Objektivität bieten.47 Ein wesentlicher rechtsstaatlicher
31 Das kann daran liegen, dass das BVerfG den Begriff der Freiwilligkeit noch nie selbst verwendet hat, Hülskötter, Schiedsvereinbarungen, S. 149.
32 Vgl. Schmidt-Bleibtreu/Schmahl, Art. 103 Rn. 38.
33 Ähnlich Kahlert, SchiedsVZ 2023, 2 (7).
34 Dass die Verfassungswerte also so weit wie möglich zu verwirklichen sind.
35 Der BGH führte an, dass Art. 9 GG die verfahrensrechtliche Absicherung der Verbandsfreiheit umfasse, BGHZ 210, 292 (315) Rn. 59.
36 Das BVerfG zieht das Prinzip der praktischen Konkordanz zwar inhaltlich heran, nutzt es aber nicht als Begründungsfigur, BVerfG 03.06.22, NJW 2022, 2677 (2679) Rn. 41.
37 Es fließen auch weitere, weniger gewichtige Faktoren mit in die Interessenabwägung ein, z.B., dass Deutschland völkerrechtlich an den World Anti Doping Code gebunden ist, in welchem der CAS als Rechtsmittelinstanz vorgesehen ist.
38 BVerfG 03.06.22, NJW 2022, 2677 (2679) Rn. 41.
39 Bei dem Begriff des unfreiwilligen Schiedsverfahrens stößt man streng genommen auf ein Problem. Denn Freiwilligkeit ist nach der BGH-Rechtsprechung eigentlich Teil des ordre public. Schiedssprüche, die aufgrund unfreiwilliger Schiedsverfahren ergehen, würden also eigentlich nicht akzeptiert werden, BGHZ 71, 131 (135). Da das BVerfG nichts dazu anmerkt, ist aber insofern wohl über die BGH-Rechtsprechung hinwegzusehen.
40 BVerfGE 88, 118 (123 f.) Rn. 21; HdSR/Degenhart, § 115 Rn. 17.
41 Bethge, NJW 1991, 2391 (2393).
42 BVerfGE 88, 118 (123 f.) Rn. 21.
43 HdSR/Degenhart, § 115 Rn. 17.
44 HdSR/Schmidt-Aßmann, § 26 Rn. 71, der die Verfahrensgrundrechte als Bestandteil des Justizgewährungsanspruchs ansieht. Genauso Bethge, NJW 1991, 2391 (2393).
45 Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 103 Abs. 1 Rn. 84.
46 Sachs/Degenhart, Art. 101 Rn. 2. Dennoch handelt es sich um ein Verfahrensgrundrecht, Dürig//Herzog/Scholz/Jachmann-Michel, Art. 101 Rn. 15.
47 Schmidt-Bleibtreu/Müller-Terpitz, Art. 101 Rn. 5.
Verfahrensgrundsatz ist also die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des gesetzlichen Richters.
bb) Recht auf Gehör
Ein weiteres rechtsstaatliches Verfahrensprinzip, welches sich unmittelbar aus der Verfassung ergibt, ist das Recht auf Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.48
Das Recht auf Gehör umfasst erstens das Recht auf Information, zweitens das Recht auf Äußerung49 und drittens das Recht auf Begründung.50
cc) Weitere Verfahrensgrundsätze
Über die vom Grundgesetz konkret genannten Verfahrensgrundsätze hinaus bestehen weitere Verfahrensanforderungen, die von der Rechtsprechung entwickelt wurden. Bei der Aufzählung der weiteren Verfahrensgrundsätze werden die Grundsätze exkludiert, die offensichtlich nicht von Schiedsgerichten beachtet werden können, wie etwa das Gebot der Rechtswegklarheit.51
52 Zu den entwickelten Verfahrensgrundsätzen gehören insbesondere das „allgemeine Prozessgrundrecht“53 des fairen Verfahrens und das Gebot prozessualer Waffengleichheit.54
55 Ein weiterer rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsatz ist, dass niemand Richter in eigner Sache sein darf.56 Es ist das Wesen jeder richterlichen Tätigkeit, dass sie von einem nichtbeteiligten Dritten in sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit ausgeübt wird.57
58 Nach dem BVerfG gebietet der Anspruch des Bürgers auf effektiven Rechtsschutz, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden.59
60 Der Öffentlichkeitsgrundsatz garantiert, dass grundsätzlich jedermann die Möglichkeit hat, einer mündlichen Verhandlung beizuwohnen.61
2. Rechtsstaatliche Anforderungen an freiwillige Schiedsverfahren
Wenn das BVerfG davon spricht, dass die gebotenen Verfahrensanforderungen abhängig von der tatsächlichen Wahlfreiheit sind, dann stellt sich die Frage: Gelten alle grundgesetzlichen Verfahrensanforderungen ohnehin für freiwillige Schiedsverfahren? Dann wäre die Aussage des BVerfG bedeutungslos.62 Sollten allerdings nicht alle Anforderungen für freiwillige Schiedsverfahren gelten, dann kann man aus der Aussage des BVerfG ableiten, dass sich die Anforderungen für unfreiwillige Schiedsverfahren erhöhen.
Für die Beantwortung der Frage nach den Verfahrensanforderungen für freiwillige Schiedsverfahren, muss differenziert werden zwischen Schiedsverfahren mit Schiedsort im Inland und Schiedsort im Ausland.
a) Schiedsort im Inland
Der BGH geht davon aus, dass für inländische Schiedsverfahren grundsätzlich die verfassungsrechtlichen Anforderungen in gleichem Ausmaß wie für staatliche Gerichte gelten.63 Völlige Identität der verfassungsrechtlichen Verfahrensanforderungen zwischen staatlichen Gerichtsverfahren und Schiedsverfahren gibt es aber nicht: Bezüglich Art. 103 Abs. 1 GG sagt der BGH zwar: „An das Verfahren vor den Schiedsgerichten sind nach Ansicht des Senats keine wesentlich geringeren Anforderungen zu stellen.“64 Zu berücksichtigen ist aber, dass gemäß § 1054 Abs. 2 ZPO auf eine Begründung des Schiedsspruchs verzichtet werden kann, wenn die Parteien sich darauf einigen. Die Urteilsbegründung ist, wie oben festgestellt, Teil der verfassungsrechtlichen Garantien des Rechts auf Gehör.65 In einem Schiedsverfahren kann also auf diese Verfahrensgarantie verzichtet werden. In einem staatlichen Gerichtsverfahren kann dagegen nicht auf Verfahrensgarantien verzichtet werden.66
Neben der Verfahrensgarantie der Urteilsbegründung kann — nach dem BVerfG — auch auf den Öffentlichkeitsgrundsatz verzichtet werden. 67
Bezüglich der Verfahrensdauer sprechen sich manche Autoren ebenfalls für eine Möglichkeit des Verzichts aus.68 Anders als für den Verzicht auf eine Begründung gibt es hierfür allerdings keine normative Grundlage. Und anders als beim Verzicht auf den Öffentlichkeitsgrundsatz, kommt ein Verzicht auf eine angemessene Verfahrensdauer der Schiedsgerichtsbarkeit auch nicht zugute. Ohne einen Grund für die Möglichkeit des Verzichts wird man also davon ausgehen müssen, dass der Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer auch für Schiedsverfahren gilt.69
Im Hinblick auf die restlichen Verfahrensgarantien ist ein Verzicht ausgeschlossen. 70
Für inländische Schiedsverfahren gelten im Grundsatz also die verfassungsrechtlichen Verfahrensanforderungen in gleichem Ausmaß wie für staatliche Gerichten. Abweichungen ergeben sich lediglich hinsichtlich der Verzichtsmöglichkeit auf Verfahrensgarantien.
48 BVerfGE 107, 395 (408).
49 Art. 103 Abs. 1 GG gewährt grundsätzlich keinen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung, Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 103 Abs. 1 Rn. 51.
50 Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 103 Abs. 1 Rn. 20.
51 Nach diesem muss die Klarheit und Bestimmtheit von Rechtswegvorschriften gewährleistet sein, BVerfGE 57, 9 (22) Rn. 40.
52 Prozessuale Gleichheit und faires Verfahren
53 BVerfGE 78, 123 (126) Rn. 8.
54 HdSR/Degenhart, § 115 Rn. 16; HdSR/Sachs, § 183 Rn. 111.
55 Kein Richter in eigener Sache
56 BGH 16.05.2012, NJW 2012, 1811 (1811) Rn. 11.
57 BVerfGE 3, 377 (381).
58 Dauer des Verfahrens
59 BVerfG 25.11.2003, NJW 2004, 835 (836).
60 Öffentlichkeitsgrundsatz
61 MüKo-ZPO/Pabst, § 169 GVG Rn. 3.
62 Siehe dazu auch D.III.3.a)bb).
63 BGHZ 65, 59 (62).
64 BGH 08.10.1959, NJW 1959, 2213 (2214).
65 Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, S. 434.
66 Ahammer, Grundrechtsverzicht, S. 154; Bleckmann, JZ 1988, 57 (60).
67 BVerfG 03.06.22, NJW 2022, 2677 (2679) Rn. 42; EGMR SpuRt 2018, 253 (259).
68 MüKo-ZPO/Münch, vor § 1025 ZPO Rn. 10, der von „Zugeständnissen bei der Verfahrensdauer“ spricht, allerdings auch sagt, dass dies sich durch das Pechstein-Urteil des BGH wohl verändert hat. Jung, ZEuS, 2014, 173 (200).
69 Jung, ZEuS, 2014, 173 (200).
70 Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Richter: BGHZ 54, 392 (395). BGHZ 98, 70 (72). Prozessuale Gleichheit und faires Verfahren: BGH 23.07.20, SchiedsVZ 2021, 46 Rn. 19-21. OLG München 23.01.20, SchiedsVZ 2012, 107 (110); Niedermaier, Ungleichgewichtslagen, S. 50 f. Kein Richter in eigener Sache: BGHZ 51, 255 (258).
b) Schiedsort im Ausland
Für ausländische Schiedsverfahren gilt, dass grundsätzlich ebenfalls die oben genannten rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze eingehalten werden müssen.71 Nach ausländischem Verfahrensrecht sind teilweise jedoch Verfahrensgestaltungen möglich, die bei uns privatautonom nicht hergestellt werden könnten.72 Sie würden gegen Verfahrensgrundsätze verstoßen. Um ausländischem Recht aber liberal gegenüberzustehen, nimmt der BGH einen Verstoß gegen Verfahrensgrundsätze bei ausländischen Schiedsverfahren zurückhaltender an.73 Für ausländische Schiedssprüche verwendet der BGH den sog. „ordre public international“. Der BGH führt dazu aus:
„[Es] bedarf eines Verstoßes gegen den ordre public international. Das unterwirft die Anerkennung ausländischer Schiedssprüche regelmäßig einem weniger strengen Regime als die inländischer Schiedsgerichtsentscheidungen. Ihre Vollstreckbarkeit scheidet nur aus, wenn das schiedsgerichtliche Verfahren an einem schwerwiegenden Mangel leidet, der die Grundlage staatlichen und wirtschaftlichen Lebens berührt.“74 Ebenfalls sagt der BGH, dass ein ausländischer Schiedsspruch nicht zwingend deshalb aufzuheben sei, weil ein deutscher Schiedsspruch in der gleichen Konstellation aufgrund eines Verstoßes gegen den ordre public aufzuheben wäre.75
Betrachtet man die Rechtsprechung des BGH formal76, so gelten also eindeutig unterschiedliche Anforderungen für ausländische Schiedsverfahren.
3. Rechtsstaatliche Anforderungen an unfreiwillige Schiedsverfahren
Es stellen sich in Anbetracht der zuvor erarbeiteten Ergebnisse zwei Fragen: Erstens, wie verändern sich die Anforderungen an inländische Schiedsverfahren, wenn ohnehin die verfassungsrechtlichen Verfahrensanforderungen im Wesentlichen für sie gelten? Und zweitens, erhöhen sich die Verfahrensanforderungen an ausländische Schiedsverfahren trotz der Rechtsprechung des ordre public international?
a) Schiedsort im Inland
Der einzige Unterschied zu staatlichen Gerichtsverfahren der festgestellt werden konnte, war, dass auf einige Verfahrensgarantien verzichtet werden kann. Wenn sich die Anforderungen an Schiedsverfahren bei Unfreiwilligkeit erhöhen sollen, dann kann sich erstmal nur hier etwas verändern. Es stellt sich somit die Frage, ob auch in aufgezwungenen Schiedsvereinbarungen auf Verfahrensgarantien verzichtet werden kann.
aa) Verzicht auf Verfahrensgarantien
Der EGMR beantwortet diese Frage eindeutig mit Nein. Unfreiwillige Schiedsverfahren müssen nach dem EGMR alle (Verfahrens-)Garantien des Art. 6 EMRK einhalten.77 Das BVerfG schließt sich dem EGMR in seinem Pechstein-Urteil an. Es entschied daher, dass die geschlossene Schiedsvereinbarung unwirksam war, da im konkreten Fall der Öffentlichkeitsgrundsatz abbedungen wurde.78 Es führte ferner aus, dass es nicht darauf ankomme, ob im konkreten Verfahren eine öffentliche Verhandlung geboten war oder nicht.79 Es stellt sich somit die Frage, ob ein freiwilliger Verzicht selbst dann nicht mehr möglich ist, wenn die schwächere Partei der Abbedingung tatsächlich freiwillig zustimmt. Eine freiwillige Zustimmung wäre möglich, wenn die Zustimmung nicht an eine Zulassung zum Wettkampf geknüpft ist.
Zum Teil wird geäußert, dass sich das Urteil so verstehen lässt, als dass ein Verzicht auf Verfahrensgarantien gar nicht mehr möglich ist.80 Dagegen sprechen allerdings folgende Argumente. Erstens: Im Fall vor dem EGMR wollten die Athleten nicht auf Verfahrensgrundsätze verzichten. Der EGMR hat sich also nicht damit auseinandergesetzt, was gelten soll, wenn die Athleten tatsächlich einen Verzicht gewollt hätten. Zweitens: Verzichten die Athleten freiwillig auf den Öffentlichkeitsgrundsatz oder auf eine Begründung, dann wäre der Rechtsfrieden nicht gefährdet, wenn ein aufgrund eines solchen Verfahrens ergangener Schiedsspruch für vollstreckbar erklärt würde. Der Rechtsfrieden wäre nur dann gefährdet, wenn sie zum Verzicht gezwungen würden und staatliche Gerichte trotzdem bei der Durchsetzung des Schiedsspruchs helfen würden. Drittens: Würde den Athleten die Möglichkeit des Verzichts genommen, dann wären sie in einem aufgezwungenen Schiedsverfahren schlechter gestellt als in einem freiwilligen Schiedsverfahren. Wenn die schwächere Partei also der Abbedingung tatsächlich zustimmt, dann sollte ein freiwilliger Verzicht weiterhin möglich sein. Die Schiedsvereinbarung darf lediglich keinen Verzicht vorschreiben, sondern muss die Möglichkeit des Verzichts den Athleten offenhalten.
bb) Weitergehende Erhöhung der Anforderungen
Man könnte die Aussage des BVerfG allerdings auch so interpretieren, dass sich die Verfahrensanforderungen an unfreiwillige Schiedsverfahren über die verfassungsrechtlichen Vorgaben hinaus erhöhen sollen und damit denen der ZPO vergleichbar wären. So äußert Wannagat, dass die Statuten des CAS keine mündliche Verhandlung vorgesehen hätten und dass dies aufgrund der Unfreiwilligkeit zur Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung hätte führen müssen.81 Wie festgestellt schreibt die Verfassung allerdings keine mündliche Verhandlung vor. Er bezieht sich also auf die ZPO, nach welcher der Grundsatz der Mündlichkeit gilt.82 Gegen diese Ansicht lässt sich allerdings anführen, dass das BVerfG von gebotenen „Mindestanforderungen“ spricht. Es spricht zudem die Frage an, ob gegen die Gewährleistungen des Justizgewährungsanspruchs verstoßen wurde.83 Beides sind klare Indizien dafür, dass das BVerfG verfassungsrechtliche Maßstäbe für die Verfahrensanforderungen anlegt.
Weiterhin könnte man die Aussage des BVerfG auch so interpretieren, dass die geltenden rechtsstaatlichen Verfahrens-
71 BVerfGE 63, 343 (378); Stein/Jonas/Schlosser, § 1042 ZPO Rn. 34, 38; Musielak/Voit/Voit, § 1059 ZPO Rn. 26.
72 Schlosser, IPRax 1991, 218 (218).
73 BGHZ 110, 104 (106 f.).
74 BGHZ 110, 104 (106 f.).
75 BGHZ 98, 70 (73).
76 Schlosser argumentiert, dass der BGH den ordre public international nur dazu verwendete, um die veralteten nationalen Anforderungen an die Bildung eines Schiedsgerichts zu liberalisieren, Schlosser, IPRax 1991, 218 (220).
77 EGMR SpuRt 2018, 253 (255) Rn. 114 f.
78 BVerfG 03.06.22, NJW 2022, 2677 (2680) Rn. 47-49.
79 BVerfG 03.06.22, NJW 2022, 2677 (2680) Rn. 49.
80 Kindt, IPRax, 2023, 243 (249).
81 Wannagat, BB 2022, 2697 (2699).
82 Musielak/Voit/Stadler, § 128 ZPO Rn. 1.
83 BVerfG 03.06.22, NJW 2022, 2677 (2680) Rn. 53.
anforderungen strenger kontrolliert werden sollen.84 Dann würde z.B. bei Zweifels- oder Verdachtsfällen eher ein Verstoß gegen Verfahrensanforderungen angenommen werden. Anhaltspunkte für eine solche Interpretation lassen sich dem Urteil nicht entnehmen. Dennoch wäre ein solches Vorgehen sinnvoll. Denn die schwächere Partei ist bei Schiedszwang auf den staatlichen Schutz ihrer Verfahrensrechte angewiesen. Zudem ist eine durch die Schiedsvereinbarung vorgesehene zweifelhafte Verfahrensgestaltung kein Ausdruck des gemeinsamen Parteiwillens, der ggf. gegen eine strenge Kontrolle sprechen könnte. Durch eine strengere Kontrolle würde insgesamt ein Anreiz gesetzt, in aufgezwungenen Schiedsverfahren von vornherein auf zweifelhafte Verfahrensgestaltungen zu verzichten.
b) Schiedsort im Ausland
Das BVerfG unterscheidet in seinem Urteil nicht zwischen inländischen und ausländischen Schiedsverfahren. Es ist vielmehr zu einem ausländischen Schiedsverfahren ergangen. Das heißt, dass für ausländische Schiedsverfahren grundsätzlich auch keine aufgezwungene Abbedingung von Verfahrensgarantien möglich ist. Fraglich ist allerdings, wie das Verhältnis zur Rechtsprechung des ordre public inter\-national ist. Wie festgestellt wird ein Verstoß gegen rechts\-staatliche Verfahrensgrundsätze bei ausländischen Schiedsverfahren zurückhaltender angenommen, da ausländisches Verfahrensrecht vorsehen kann, dass auf Verfahrensgarantien in einem größeren Umfang verzichtet werden kann. Es besteht also ein Spannungsverhältnis zwischen der Liberalität gegenüber ausländischem Recht und dem Urteil des BVerfG bzw. des EGMR.
Es finden sich gewichtige Argumente dafür, dass sich der zurückhaltende Maßstab des ordre public international verschärft und sich dem des ordre public intern angleicht.
Das wesentliche Argument besteht aus folgender Über\-legung: Der Grund dafür, Verfahrensverstöße bei ausländischen Schiedsverfahren zurückhaltender anzunehmen, liegt insbesondere darin, dass man die vom ausländischen Recht in größerem Umfang gewährte Vertragsfreiheit tolerieren möchte.85 Ist ein Schiedsverfahren aufgezwungen, so stellt sich die Verfahrensgestaltung aber nicht mehr als Ausdruck der Privat\-autonomie dar.86 Vielmehr würden unter dem Deckmantel der Toleranz Athleten zum Verzicht auf Verfahrensgarantien gezwungen.
Darüber hinaus führt der BGH in seinem Pechstein-Urteil einen weiteren Grund für die Zurückhaltung an. Die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze diene im Schiedsverfahren mehr dem Schutz der Parteien und liege dafür weniger im öffen\-tlichen Interesse.87 Das rechtfertige ebenfalls die Zurück\-haltung gegenüber ausländischer Vertragsfreiheit. Mag dieser Gedanke auch für freiwillige Schiedsverfahren herangezogen werden, kann er für unfreiwillige Schiedsverfahren hingegen nicht geltend gemacht werden. Denn an der Einhaltung von Verfahrensgrundsätzen liegt bei aufge\-zwungenen Schiedsverfahren ein höheres öffentliches Interesse. Sind Verstöße gegen Verfahrensgrundsätze aufgezwungen, so wäre der Rechtsfrieden gefährdet, wenn der Staat bei der Vollstreckung der nach diesen Verfahren ergangenen Schiedssprüche Hilfe leisten würde. Insgesamt sprechen die genannten Gründe daher dafür, den ordre public international zu verschärfen.
4. Ergebnis zu Verfahrensanforderungen
Inländische und ausländische Schiedsverfahren müssen rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze einhalten. Die Verfahrensanforderungen erhöhen sich, wenn das Schiedsverfahren unfreiwillig ist. Bei inländischen und ausländischen Schiedsverfahren kann dann nicht mehr auf rechtsstaatliche Verfahrensgarantien verzichtet werden, auf die bisher verzichtet werden konnte; außer die gezwungene Partei möchte tatsächlich auf sie verzichten. Der Verzicht auf Verfahrensgarantien kann nicht durch die Schiedsvereinbarung vorgeschrieben werden. Es erscheint zudem eine strengere Kontrolle der Einhaltung der Verfahrensgrundsätze geboten.
E. Zusammenfassung der Ergebnisse
Freiwilligkeit setzt echte Wahlfreiheit voraus. In der Sportschiedsgerichtsbarkeit wird auf den Grundsatz der Freiwilligkeit verzichtet. Der Verzicht ist dadurch legitimiert, dass die Grundrechte beider Vertragsparteien hinreichend geschützt werden. Damit der Justizgewährungsanspruch der Athleten trotz Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung hinreichend geschützt ist, müssen rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze eingehalten werden. Es müssen auch die Verfahrensgrundsätze eingehalten werden, die normalerweise abbedungen werden können. Das gilt aber sinnvollerweise nur, wenn der Athlet tatsächlich keine Abbedingung möchte. Er soll zur Abbedingung nur nicht faktisch gezwungen werden können. Er kann nur zum Verzicht auf den Zugang zu staatlichen Gerichten faktisch gezwungen werden. Das ist einerseits möglich, weil der Athlet keine Verfahrensnachteile durch das Schiedsverfahren erfährt. Andererseits ist deshalb möglich, weil eine einheitliche Schiedsgerichtsbarkeit im Profisport erforderlich ist. Ihr Bestand liegt auch im Interesse der Athleten.
84 Michaelis, SchiedsVZ 2019, 331 (340);Summerer, SpuRt 2018, 197 (200).
85 BGHZ 98, 70 (74); Schlosser, IPRax, 1991, 218 (218).
86 Vgl. auch Podszun, JZ 2017, 208 (209).
87 BGHZ 98, 70 (72, 74).