Kann nach Einführung des MoPeG an der dualistischen Unternehmensbesteuerung festgehalten werden?

Mette Rieck*

A. Einleitung

„Änderungen an den ertragsteuerlichen Grundsätzen bei der Besteuerung von Personengesellschaften sind mit dem vorliegenden Entwurf nicht verbunden.“1 So steht es im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts.2 Zentrales Regelungsanliegen des MoPeG ist die Konsolidierung des Rechts der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) sowie die Anpassung des Personengesellschaftsrechts an die aktuellen praktischen Bedürfnisse.3 Insbesondere seit der höchstrichterlichen Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Außen-GbR4 divergiert die allgemein anerkannte5 Rechtslage vom Wortlaut des BGB. Anders als im Recht der Personenhandelsgesellschaften im HGB durch § 124 Abs. 1 ist die Rechtsfähigkeit der GbR weiterhin nicht kodifiziert.6 Die Normen des BGB bilden keine zuverlässige Orientierung für die Rechtsanwendung mehr.7 Dem sog. Mauracher Entwurf8 folgte der überarbeitete Gesetzesentwurf der Bundesregierung9 und die endgültig beschlossene Fassung des Bundestags, die am 1.1.2024 in Kraft treten soll.10 Laut Gesetzesbegründung der Bundesregierung geht damit keine Änderung der Besteuerung der Personengesellschaften einher, wobei insbesondere die transparente Besteuerung der Personengesellschaften Bestand haben soll.11 Der Regierungsentwurf plant demnach keine bewussten Änderungen des Besteuerungsregimes der Personengesellschaften, die Auswirkungen des MoPeG darauf sind jedoch Gegenstand von Diskussionen.12 Ob das, was im Regierungsentwurf in wenigen Worten festgestellt wurde, Bestand haben kann, gilt es zu klären.

B. Wesentliche gesellschaftsrechtliche Änderungen durch das MoPeG

Die aus der Perspektive des Steuerrechts wohl wichtigste Neuerung stellt die Abkehr vom Gesamthandsprinzip dar.13 So nimmt auch der Regierungsentwurf konkret Bezug auf diese, indem er eine Änderung von ertragsteuerlichen Grundsätzen bei der Besteuerung von Personengesellschaften ausschließt.14

I. Das Gesamthandsprinzip im geltenden Recht der Personengesellschaften

Die § 718 und §§ 719, 738 BGB bilden die Grundlage des Gesamthandsprinzips und werden durch das MoPeG ersetzt.15 Gem. § 718 Abs. 1 BGB sind Beiträge der Gesellschafter und Gegenstände, die durch die Geschäftsführung für die Gesellschaft erworben wurden, gemeinschaftliches Vermögen der Gesellschafter. Nach der traditionellen Idee der Gesamthand waren demnach die Gesellschafter selbst Träger von Rechten und Pflichten in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit.16

II. Neuerungen durch das MoPeG

Ersetzt wird der § 718 BGB durch den § 713 BGB-E, der festlegt, dass Beiträge der Gesellschafter sowie die für oder durch die Gesellschaft erworbenen Rechte und die gegen sie begründeten Verbindlichkeiten Vermögen der Gesellschaft sind.17 Das dem gemeinsamen Zweck gewidmete Vermögen ist also der Gesellschaft selbst zuzurechnen.18 Dieser Wandel gilt über die § 105 Abs. 3 und § 161 Abs. 2 HGB auch für die Personenhandelsgesellschaften.

Die gesamthänderische Zurechnung des Gesellschaftsvermögens wird mit dem MoPeG jedoch aufgegeben.19 Das Gesamthandsprinzip soll laut Gesetzesentwurf der Bundesregierung, trotz Fortbestand einiger Elemente der Gesamthand,20 zumindest auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts ausgedient haben.21


*Die Autorin ist Studentin der Bucerius Law School, Hamburg. Der Beitrag ist ein Auszug ihrer Schwerpunktseminararbeit bei Prof. Brigit Weitemeyer.

1 Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeGE), BT-Drs. 19/27635, S. 107.

2 Im Folgenden: MoPeG.

3 MoPeGE, BT-Drs. 19/27635, S. 2.

4 BGHZ 146, 341.

5 Vgl. zB Sprau, in: Grüneberg, Beck’scher Kurzkommentar Bd. VII: Bürgerliches Gesetzbuch mit Nebengesetzen⁸¹, 2022, § 705 Rn. 24;Stürner, in: Jauernig, Kommentar zum BGB¹⁸, 2021, § 705 Rn. 28; Schöne, in: Beck’scher Online-Kommentar BGB⁶¹, 2022, § 705 Rn. 142.

6 Vgl. Fleischer, DB 2020, 1107.

7 Fleischer DB 2020, 1107; MoPeGE, BT-Drs. 19/27635, S. 1.

8 Abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/PM/042020_Entwurf_-Mopeg.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zul. Abgerufen: 18.4.2022).

9 MoPeGE, BT-Drs. 19/27635.

10 MoPeG vom 10.8.2021, BGBl. 2021 I, 3436; Überblick über die Entwicklung: Herrmanns, DnotZ 2022, 3.

11 MoPeGE, BT-Drs. 19/27635, S. 107.

12 Ein Überblick über die Diskussion zB bei: Arbeitskreis Bilanzrecht, ZIP 2021, Beilage zu Heft 2, 3.

13 So auch: Mayer/Käshammer, NWB 2021, 2514, 2515 f.

14 MoPeGE, BT-Drs. 19/27635, S. 107.

15 Schäfer, in: Münchner Kommentar zum BGB⁸, 2020, § 718 Rn. 5; MoPeGE, BT-Drs. 19/27635, S. 169.

16 Hau/Poseck, in: BeckOK-BGB (Fn. 6), § 718 Rn. 2.

17 MoPeGE, BT-Drs. 19/27635, S. 17, 148.

18 MoPeGE, BT-Drs. 19/27635, S. 148.

19 U.a. Fleischer, DB 2020, 1107, 1110 f.;Wertenbruch, GmbHR 2021, 1, 2;Schumm, StuB 2021, 643, 646; aA Schmidt, ZHR (185) 2021, 16, 28.

20 Schmidt, ZHR (185) 2021, 16, 28.

21 MoPeGE, BT‑Drs. 19/27635, S. 104.

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C. Auswirkungen des Zivilrechts auf das Steuerrecht

Welche Auswirkungen die Aufgabe des Gesamthandsprinzips im Zivilrecht auf das Steuerrecht hat, wird kontrovers diskutiert.22

Nach hM, der sich auch das BVerfG angeschlossen hat, steht das Zivilrecht als nebengeordnetes, gleichrangiges Rechtsgebiet neben dem Steuerrecht.23 Die Steuergesetze knüpfen grundsätzlich an wirtschaftliche Vorgänge an, die durch das Zivilrecht nur vorgegeben werden.24

Seine Grenzen findet der Steuergesetzgeber im Verfassungsrecht.25 Besondere Bedeutung entfaltet der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.26 Danach ist der Gesetzgeber verpflichtet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Eigenart unterschiedlich zu behandeln.27 Von diesem Grundsatz darf nur wegen eines hinreichenden sachlichen Grundes abgewichen werden.28 Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liegt vor, wenn der Gesetzgeber die Vergleichsgruppen anders behandelt, obwohl zwischen ihnen keine Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen.29 Der allgemeine Gleichheitssatz wird durch das steuerrechtliche Leistungsfähigkeitsprinzip konkretisiert.30 Im Wesentlichen verlangt es die Ausrichtung einer Besteuerung anhand der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Besteuerten.31 Demnach muss auch bei gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit eine gleiche steuerliche Belastung erfolgen.32 Dabei ist der Sachverhalt umfassend – und deshalb regelmäßig auch in seiner zivilrechtlichen Bewertung – zu vergleichen.33 Gegebenenfalls lässt sich dabei auch eine Verschiebung der Leistungsfähigkeit gegenüber einer rein wirtschaftlichen Betrachtungsweise aus zivilrechtlichen Grundwertungen ableiten.34 Ändert sich auf Ebene des Zivilrechts eine solche Grundwertung kann sich das auch maßgeblich auf die verfassungs- und damit steuerrechtliche Bewertung eines Sachverhalts auswirken.35

D. Bedeutet die Aufgabe des Gesamthandsprinzips das Ende der transparenten Besteuerung der Personengesellschaften?

Eine solche neue Wertung des Zivilrechts stellt die Abschaffung des Gesamthandsprinzips dar, deren Auswirkungen folgend untersucht werden. Konkret ist zu diskutieren, inwieweit ohne eine gesamthänderische Vermögensordnung an dem Transparenzprinzip für die Besteuerung der Personengesellschaften festgehalten werden kann.36 Um dies zu untersuchen, ist zunächst das Transparenzprinzip darzustellen und im System der Unternehmensbesteuerung einzuordnen (I.& II.). Danach ist auf die einfachgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich des Festhaltens an der dualen Unternehmensbesteuerung einzugehen (III.).

I. Grundlagen des Transparenzprinzips

Personengesellschaften sind, anders als natürliche Personen und Körperschaften (namentlich Kapitalgesellschaften), kein Besteuerungssubjekt des Ertragsteuerrechts.37 Für die Besteuerung der Personengesellschaften gilt das Transparenzprinzip.38 Danach sind nicht die Gesellschaften selbst, sondern die dahinterstehenden Gesellschafter die Besteuerungssubjekte, denen die Einkünfte zugerechnet werden.39

Das Transparenzprinzip wird durch die Gleichstellungsthese konkretisiert.40 Danach soll der sog. Mitunternehmer weitgehend dem Einzelunternehmer gleichgestellt werden.41 Einfachgesetzlich wird die Gleichstellungsthese für die Mitunternehmerschaften in § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG (iVm § 13 Abs. 7 bzw. § 18 Abs. 4 S. 2 EStG) umgesetzt.42 Danach sind Gewinnanteile der Gesellschafter (Mitunternehmer) einer OHG, KG und anderer Gesellschaften, sowie gewisse Vergütungen der Gesellschaft an den Gesellschafter als Einkünfte der Gesellschafter aus Gewerbebetrieb zu qualifizieren. Angeknüpft wird dabei zentral an den Begriff des Mitunternehmers, der die Gleichstellung mit dem Einzelunternehmer begründet.43 Damit ein Gesellschafter einer Personengesellschaft als Mitunternehmer gilt, muss er Mitunternehmerrisiko tragen und Mitunternehmerinitiative entfalten.44 Überschreiten diese Merkmale eine gewisse Erheblichkeitsgrenze, begründen sie die Gleichstellung


22 S. zB: Arbeitskreis Bilanzrecht, ZIP 2021, Beilage zu Heft 2, 3;Prinz, DB 2020, 1766; Mayer/Käshammer, NWB 2021, 2514;Hubert, StuB 2021, 113.

23 BVerfG, DStR 1992, 106, 107; Seer, in: Tipke/Lang (Begr./Hrsg.), Kommentar zum Steuerrecht²⁴, 2021, Rn. 1.31, 1.34, mwN.

24 Seer, in: Tipke/Lang (Fn. 24), Rn. 1.32.

25 Dazu ausführlich: Hey, in: Tipke/Lang (Fn. 24), Rn. 3.90 ff.;Vogel, FS 50 Jahre BVerfG, 2001, S. 527.

26 Vgl. Birk, StuW 2000, 328, 329; Kruse, StuW 1990, 322, 326 ff.

27 Vgl. Kischel, in: Beck’scher Online-Kommentar GG⁵⁰, 2022, Art. 3 Rn. 14; Kruse, StuW 1990, 322, 323.

28 Kruse, StuW 1990, 322, 325; Vogel (Fn. 26), S. 527, 541.

29 S. BVerfGE 81, 108 Rn. 36.

30 Kirchhof, StuW 1984, 297, 304; Kruse, StuW 1990, 322, 327;Birk, Leitgedanken des Rechts Bd. II, 1591, 1592.

31 Birk, Leitgedanken des Rechts Bd. II, 1591, 1592;Kirchhof, StuW 1984, 297, 304 f.

32 Birk, StuW 2000, 328, 329; vgl. Kirchhof, StuW 1984, 297, 301.

33 Lang, DStJG 24 (2001), 49, 100; Kirchhof, StuW 1984, 297, 304;Jachmann, DStJG 23 (2000), 9, 20.

34 BVerfGE 116, 164 Rn. 117; BVerfGE 145, 106 Rn. 113-114.

35 Vgl. BVerfGE 145, 106 Rn. 113-114.

36 Insb.: Schall, NZG 2021, 494; vgl. auch schon: Fischer, FS Crezelius, 117, 129 f.

37 Krumm, in: Kirchhof/Seer (Begr./Hrsg.), Kommentar zum EStG²¹, 2022, § 15 Rn. 162; Wacker, in: Schmidt (Begr.), Kommentar zum EStG⁴¹, 2022 § 15 Rn. 160.

38 ZB: Hennrichs, in: Tipke/Lang (Fn. 24), Rn. 10.1.

39 Niehus/Wilke, Best. d. PersG, S. 19; vgl. Hennrichs, in: Tipke/Lang (Fn. 24), Rn. 10.10.

40 Krumm, in: Kirchhof/Seer (Fn. 38), § 15 Rn. 163; vgl. Hennrichs, in: Tipke/Lang (Fn. 24), Rn. 10.11.

41 ZB: BFHE 219, 36 Rn. 22; s. ausführlich: Hallerbach, FR 2016, 1117.

42 Rätke, in: Herrmann/Heuer/Raupach (Begr.), Kommentar zum EStG und KStG³⁰⁹, 2022, § 15 Rn. 81; Bodden, in: Korn (Hrsg.), Kommentar zum EStG¹³⁵, 2021 § 15 Rn. 134.

43 Krumm, in: Kirchhof/Seer (Fn. 38), § 15 Rn. 206;Rätke, in: H/H/R (Fn. 43), § 15 Rn. 97 f.

44 Schenke, in: Beck’scher Online-Kommentar EstG¹², 2022, § 15 Rn. 1485; Rätke, in: H/H/R (Fn. 43), § 15 Rn. 304.

Rieck, Kann nach Einführung des MoPeG an der dualistischen Unternehmensbesteuerung festgehalten werden?69

des Mitunternehmers mit dem Einzelunternehmer.45 Nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG werden die Gewinne sowie die sog. Sondervergütungen (zB Geschäftsführungsvergütung) dem Mitunternehmer zugerechnet und zählen zu seinen gewerblichen Einkünften aus der Mitunternehmerschaft.

II. Das Transparenzprinzip im System der dualen Unternehmensbesteuerung

Das dargestellte Transparenzprinzip unterscheidet die Besteuerung von Personengesellschaften maßgeblich von der Besteuerung der Körperschaften, namentlich der Kapitalgesellschaften.46 Anders als bei den Personengesellschaften gilt für die Besteuerung von Körperschaften iSd § 1 Abs. 1 KStG das Trennungsprinzip: Die Körperschaft und Anteilseigner stehen sich grundsätzlich wie zwei fremde Dritte gegenüber und verfügen steuerrechtlich über getrennt zu besteuernde Vermögenssphären.47 Dieses Nebeneinander der transparenten und intransparenten Besteuerung wird auch als Dualismus der Unternehmensbesteuerung bezeichnet.48

Darstellend ein Beispiel: A und B sind beide als Gesellschaftergeschäftsführer tätig. A arbeitet für eine OHG und B für eine GmbH. Als Mitunternehmer der OHG erzielt A nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Darunter fallen nicht nur die anteiligen Gewinne der OHG, sondern auch seine Gesellschaftervergütung. B hingegen muss die Gewinne der GmbH nur nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG als Einkünfte aus Kapitalvermögen versteuern, soweit sie ihm ausgeschüttet werden. Auf Ebene der GmbH werden die Gewinne unabhängig von ihrer Verteilung (§ 8 Abs. 3 S. 1 KStG) darüber hinaus mit einer Körperschaftssteuer belegt. B erzielt mit seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der GmbH Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 EStG, die wiederum als Betriebskosten den Gewinn auf Ebene der GmbH gemindert haben.49

III. Fortbestand der transparenten Besteuerung von Personengesellschaften

Mit der Annährung der Personengesellschaften an die juristische Person wird die steuerliche Unterscheidung zwischen Personengesellschaft, Kapitalgesellschaft und ihren jeweiligen Gesellschaftern in Frage gestellt.50 Neben reinen Reformüberlegungen51 werden insbesondere verfassungsrechtliche Bedenken geäußert.52 Ob das MoPeG tatsächlich eine grundlegende Neuordnung der Unternehmensbesteuerung sogar erzwingt, ist zu untersuchen. Dafür gilt es zunächst, die Auswirkungen der Abschaffung des Gesamthandsprinzips auf die weitere Anwendung des zentralen § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG zu analysieren (1.). Danach ist zu untersuchen, inwieweit aus verfassungsrechtlicher Sicht noch am Transparenzprinzip und dem dualen System der Unternehmensbesteuerung festgehalten werden kann (2.).

1. Weitere Anwendbarkeit des § 15 Abs. 1 S. 1  Nr. 2 EStG

Mit Aufgabe des Gesamthandsprinzips wird die Grundlage der Mitunternehmerbesteuerung, namentlich die weitere Gültigkeit der Gleichstellungsthese, nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG in Frage gestellt.53 Dort wo eine Annäherung an die juristischen Personen gesehen wird, entfernt sich die Personengesellschaft im Umkehrschluss auch weiter vom Einzelunternehmer.54 Allerdings knüpfen weder § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG noch die Gleichstellungsthese unmittelbar an die Idee der Gesamthand an.55 Der Wortlaut des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG erwähnt den Begriff der „Gesamthand“ nicht. Zentrales Anknüpfungsmerkmal ist vielmehr die Mitunternehmerstellung.56 Auch die Personengesellschaft iSd § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG muss nicht notwendigerweise eine Gesamthandsgemeinschaft sein. So werden unter den Begriff „andere Gesellschaft“ auch jetzt schon gesellschaftsähnliche Gebilde wie Bruchteilsgemeinschaften subsumiert, die nicht als Gesamthand organisiert sind.57 Dies lässt sich in Zukunft auch daraus ableiten, dass die OHG und KG als künftig ehemalige Gesamthandsgemeinschaften auch weiterhin im Gesetzestext aufgelistet sein werden.58 Auch für die GbR, die allgemein als mögliche „andere Gesellschaft“ iSd Gesetzes anerkannt ist,59 darf nichts anderes gelten.60 Die für die Mitunternehmerschaft wichtige persönliche Haftung61 und die allgemeinen Vorschriften zur Geschäftsführung62 werden durch das MoPeG nicht wesentlich verändert. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass das Ende des Gesamthandsprinzips das Ende der Anwendbarkeit des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG bedeutet.63


45 Vgl. Krumm, in: Kirchhof/Seer (Fn. 38), § 15 Rn. 206;Haep, in: H/H/R (Fn. 43), § 15 Rn. 300.

46 Vgl. Hennrichs, StuW 2002, 201, 201;Hennrichs, in: Tipke/Lang (Fn. 24), Rn. 10.1.

47 Hey, in: Tipke/Lang (Fn. 24), Rn. 11.2; Hennrichs, StuW 2002, 201, 202.

48 Hennrichs, StuW 2002, 201, 201;Blischke/Desens, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghof (Hrsg.), Kommentar zum EStG³²², 2022, § 15 Rn. C1.

49 Vgl. zum Ganzen: Hennrichs, StuW 2002, 201, 202 ff.

50 Schall, ZIP 2020, 1443, 1446 f.; Kilincsoy, StuW 2021, 29, 45;Prinz, DB 2021, 914, 918.

51 ZB: Prinz, DB 2020, 1766, 1767; Bergmann et al./Knaier, ZGR-Sonderheft 23, S. 80 f.

52 S. insb.: Schall, NZG 2021, 494; problematisierend auch: Arbeitskreis Bilanzrecht, ZIP 2021, Beilage zu Heft 2, 3, 6 f.

53 Fischer, FS Crezelius, 117, 130; Prinz, FR 2022, 61, 64;Dißars, StuB 2022, 59, 63.

54 Vgl. Prinz, FR 2021, 61, 64.

55 So auch Arbeitskreis Bilanzrecht, ZIP 2021, Beilage zu Heft 2, 3, 5;Mayer/Käshammer, NWB 2021, 2514, 2522;Hubert, StuB 2021, 113, 115.

56 Vgl. Haep, in: H/H/R (Fn. 43), § 15 Rn. 300; Bode, in: Brandis/Heuermann (Hrsg.), Kommentar zum EStG¹⁶⁰, 2021, § 15 Rn. 343 f.

57 BFHE 178, 86 Rn. 54.

58 Vgl. MoPeGE, BT‑Drs. 19/27635, der keine Wortlautänderung steuerlicher Gesetze vorsieht.

59 Bode, in: Brandis/Heuermann (Fn. 57), § 15 Rn. 311;Bitz, in: Littmann/Bitz/Pust, Kommentar zum Einkommensteuerrecht¹⁵⁶, 2022, § 15 Rn. 54.

60 Vgl. Arbeitskreis Bilanzrecht, ZIP 2021, Beilage zu Heft 2, 3, 5.

61 Vgl. Schulteis, GWR 2021, 112, 116; Bachmann, NZG 2020, 612, 617; Storz, GWR 2020, 257, 260.

62 Fleischer, BB 2021, 386, 388; vgl. MoPeGE, BT‑Drs. 19/27635, S. 150 ff.

63 So auch: Arbeitskreis Bilanzrecht, ZIP 2021, Beilage zu Heft 2, 3, 5;Mayer/Käshammer, NWB 2021, 2514, 2522; Hallerbach, steueranwaltsmagazin 2021, 99, 100 f.

Rieck, Kann nach Einführung des MoPeG an der dualistischen Unternehmensbesteuerung festgehalten werden?70

2. Zwingt das Verfassungsrecht nach Aufgabe des Gesamthandsprinzips ein Ende der transparenten Besteuerung?

Trotz der grundsätzlichen weiteren Anwendbarkeit des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG könnte die transparente Besteuerung der Mitunternehmerschaften aufgrund von Wertungen des Verfassungsrechts zu Fall gebracht werden. Das Gesamthandsprinzip erlangte Bedeutung im verfassungsrechtlichen Zusammenhang, als das BVerfG es zur Grundlage der Rechtfertigung der unterschiedlichen Besteuerung von Körperschaften und Personengesellschaften machte.64 Mit der Anerkennung der getrennten Vermögensträgerschaft von Personengesellschaften und ihren Gesellschaftern gerät diese Rechtfertigung ins Wanken.65 Scheitert die Rechtfertigung, ist es zwar grundsätzlich auch möglich, die Kapitalgesellschaften künftig einer transparenten Besteuerung zu unterwerfen.66 Die Aufgabe des Transparenzprinzips erscheint im Ergebnis jedoch durch die Annäherung der Personengesellschaften an die juristische Person wahrscheinlicher als eine transparente Besteuerung von Kapitalgesellschaften.67

a) Rechtfertigung des Dualismus der Unternehmensbesteuerung durch das BVerfG

Das BVerfG hat sich in zwei Entscheidungen mit der dualen Unternehmensbesteuerung auseinandergesetzt.68 Zunächst beschäftigte sich das BVerfG im Jahr 2006 im Rahmen einer konkreten Normkontrolle nach Vorlage des BFH mit der Verfassungsmäßigkeit des § 32c EStG a.F.69 In einem zweiten Beschluss im Jahr 2017 entschied das BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F.70 Zentral wurde in beiden Entscheidungen die Frage um die Rechtfertigung des Dualismus der Unternehmensbesteuerung.71

aa) Gebot der rechtsformneutralen Besteuerung als Maßstab

Der BFH stellte bei seiner Vorlage zu § 32c EStG a.F. insbesondere darauf ab, dass er das Gebot der rechtsformneutralen Besteuerung durch die Differenzierung zwischen Personengesellschaft und Kapitalgesellschaft verletzt sah.72 Nach dem Gebot kommt eine rechtsformabhängige Besteuerung nur in Betracht, wenn diese auf Rechtsformunterschieden beruht, die im Hinblick auf die Besteuerungsprinzipien Bedeutung entfalten, also Ausdruck einer unterschiedlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind. Werden durch das Zivilrecht jedoch wirtschaftlich vergleichbare Sachverhalte geschaffen, sind die Rechtsformen auch gleich zu besteuern.73 Insoweit fordert das Gebot der rechtsformneutralen Besteuerung im Speziellen die Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit.74 Hintergrund des Gebots ist die Idee, dass das Steuerrecht die Entscheidung zwischen unterschiedlichen Rechtsformen nicht beeinflussen darf.75 Ableiten lassen soll sich das Gebot insbesondere aus Art. 3 Abs. 1 GG.76

bb) Maßstab und Rechtfertigung durch das BVerfG

Das BVerfG lehnt in seinen Entscheidungen jedoch das Vorliegen eines allgemeinen Verfassungsgebots der rechtsformneutralen Besteuerung ab.77 Dennoch geht das BVerfG davon aus, dass die duale Unternehmensbesteuerung vor Art. 3 Abs. 1 GG zu rechtfertigen ist und fordert dafür einen hinreichenden sachlichen Grund.78

Einen sachlichen Grund findet das BVerfG in den verschiedenen Vermögensstrukturen von Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften. Die Vermögenssphäre der Kapitalgesellschaft sei gegenüber ihren Anteilseignern abgeschirmt. Deshalb entstehe eine eigene objektive Leistungsfähigkeit unabhängig von der Leistungsfähigkeit ihrer Anteilseigner. Mit den verschiedenen Besteuerungssystemen greife das Steuerrecht verfassungsrechtlich unbedenklich die zivilrechtliche Gestaltung von Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften auf.79 Dabei verweist das BVerfG in einem Klammerzusatz auf die § 718 BGB iVm § 105 Abs. 3, § 161 Abs. 2 HGB80 und legt der Rechtfertigung damit die Vermögenszurechnung der Gesellschafter iSd Gesamthandsprinzips zu Grunde.81

Das BVerfG bestätigte und vertiefte diese Argumentation in seiner Entscheidung um die Verfassungsmäßigkeit des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F. im Jahr 2017.82 Die von Kapitalgesellschaften abweichende Vermögensstruktur der Personengesellschaften ergebe sich auch aus der persönlichen Haftung der Gesellschafter mit ihrem sonstigen Vermögen nach §§ 128, 161 Abs. 2, 171 Abs. 1 HGB. Es gebe demnach keine abgeschirmte Vermögenssphäre bei Personengesellschaften, die im Gegensatz dazu eine eigene Leistungsfähigkeit der Kapitalgesellschaften begründe.83

Das Vermögen stellt neben Einkommen und Konsum einen Indikator für das Vorliegen von Leistungsfähigkeit dar.84 Entsprechend sieht das BVerfG in den getrennten Vermögenssphären einer Kapitalgesellschaft und ihren Gesellschaftern zwei Sphären der Leistungsfähigkeit, denen jeweils ein Einkommen in Form von Gewinn(‑ausschüttungen) zufließe.85 Erhöht sich das Vermögen in Form von Gewinn, könne die


64 S. BVerfGE 116, 164 Rn. 117; BVerfGE 145, 106 Rn. 113-114.

65 Insb.: Schall, NZG 2021, 494.

66 Vgl. Bergmann et al./Benz, ZGR-Sonderheft 23, S. 168.

67 Vgl. schon Hennrichs, FR 2010, 721, 725.

68 Zum Überblick: Schall, NZG 2021, 494.

69 BVerfGE 116, 164.

70 BVerfGE 145, 106.

71 Vgl. Hennrichs/Lehmann, StuW 2007, 16, 17;Schall, NZG 2021, 494, 495 ff.

72 BVerfGE 116, 164 Rn. 115.

73 Zum Ganzen: Hennrichs/Lehmann, StuW 2007, 16, 17; vgl. Lang, DStJG 24 (2001), 49, 101 ff.

74 Vgl. Lang, StuW 1990, 107, 112; Pelka, StuW 2000, 389, 393.

75 Hey, DStJG 24 (2001), 155, 157; Hennrichs/Lehmann, StuW 2007, 16, 17; Drüen, in: Frotscher/Drüen (Hrsg.), Kommentar zum KStG/GewStG/UmwStG¹⁶¹, 2021, vor § 1 KStG Rn. 25.

76 Hennrichs/Lehmann, StuW 2007, 16, 17; Pelka, StuW 2000, 389, 393.

77 BVerfGE 116, 164 Rn. 118; BVerfGE 145, 106 Rn. 112.

78 BVerfGE 116, 164 Rn. 116; BVerfGE 145, 106 Rn. 112.

79 Zum Ganzen: BVerfGE 116, 164 Rn. 117.

80 BVerfGE 116, 164 Rn. 117.

81 Vgl. Schall, NZG 2021, 494, 495; Hennrichs, FR 2010, 721, 722 f.

82 BVerfGE 145, 106.

83 BVerfGE 145, 106 Rn. 113-114.

84 Hey, in: Tipke/Lang (Fn. 24), 3.55; vgl. Hennrichs, FR 2010, 721, 726; Birk, StuW 1989, 212, 214.

85 BVerfGE 116, 164 Rn. 117; BVerfGE 145, 106 Rn. 110.

Rieck, Kann nach Einführung des MoPeG an der dualistischen Unternehmensbesteuerung festgehalten werden?71

Steuerbelastung auch auf zwei Ebenen erfolgen.86 Der Rechtsprechung des BVerfG kann darüber hinaus entnommen werden, dass es die Rechtsform als Differenzierungsgrund als nicht ausreichend ansieht, da nach einem Rechtfertigungsgrund über die Rechtsform hinaus gesucht wird.87 Auch das BVerfG macht demnach seine Rechtfertigung an Indikatoren der Leistungsfähigkeit fest und sieht in den verschiedenen Rechtsformen allein keine hinreichende Rechtfertigung einer abweichenden Besteuerung. Im Ergebnis werden damit vom BVerfG weitgehend die gleichen Anforderungen an die Rechtfertigung gestellt, wie sie von den Verfechtern des Gebots der rechtsformneutralen Unternehmensbesteuerung gefordert werden.88 Dieser Maßstab ist demzufolge auch der folgenden Untersuchung zugrunde zu legen.

b) Rechtfertigung der transparenten Besteuerung auch nach Abschaffung des Gesamthandsprinzips

Bereits vor der Abkehr vom Gesamthandsprinzip wurde die Rechtsprechung des BVerfG kritisiert.89 So gehen einige Stimmen davon aus, dass dem Gesamthandsprinzip bereits heute keine Bedeutung mehr zukommt (s. B.II.). Legt man dieses Verständnis zugrunde, ist die Rechtfertigung des BVerfG bereits jetzt in Frage zu stellen.90 Die Aufnahme der persönlichen Haftung als weiteres Unterscheidungsmerkmal kann als Reaktion auf ebendiese Kritik gesehen werden.91 Da die persönliche Haftung der Gesellschafter durch das MoPeG nicht geändert wird, kann zwar nicht davon gesprochen werden, dass die Rechtsprechung des BVerfG ohne das Gesamthandsprinzip vollkommen in sich zusammenfällt.92 Dennoch wird diskutiert, inwieweit die Rechtfertigung der dualen Unternehmensbesteuerung durch das BVerfG in der neuen Situation noch Bestand haben kann.93

Es ist deshalb zu untersuchen, inwieweit weiterhin ein sachlicher Grund für die Differenzierung zwischen Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften besteht, der die ungleiche Behandlung der Gesellschaftsformen vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen kann. Konkret geht es um die Frage, mit welcher Begründung für Personengesellschaften nur eine leistungsfähige Vermögenssphäre auf Ebene der Anteilseigner entsteht, während bei Kapitalgesellschaften im Gegenzug zwei abgeschirmte Vermögenssphären bestehen sollen, die jeweils ihre eigene Leistungsfähigkeit begründen. Zunächst ist dafür zu klären, welche Ansprüche an die Rechtfertigung zu stellen sind. Danach sind verschiedene Begründungsansätze auf ihre Tragfähigkeit zu prüfen.

aa) Anforderungen an eine Rechtfertigung

Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags haben sich der Frage um die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der dualen Unternehmensbesteuerung angenommen und festgestellt, dass bis auf den Fall der Gewinnthesaurierung im Ergebnis eine annährend gleich hohe Besteuerung erfolge. Die unterschiedliche Behandlung von thesaurierten Gewinnen werde durch den § 34a EStG und die neue Option zur Körperschaftsbesteuerung für Personengesellschaften nach § 1a KStG darüber hinaus abgemildert. Auch die Möglichkeit der Gesellschaft schlicht eine andere Rechtsform zu wählen, führe dazu, dass die Hürden einer Rechtfertigung niedriger werden.94

Dies hebt die grundsätzliche Rechtfertigungsbedürftigkeit jedoch nicht auf.95 In einem Verfahren vor dem BVerfG werden zudem die unterschiedlichen Besteuerungssysteme nicht als Ganzes auf dem Prüfstand stehen, sondern eine konkrete Ungleichbehandlung zwischen den Systemen geltend gemacht. Diese konkreten Ungleichbehandlungen können nicht im Rahmen von einer Gesamtbetrachtung, die eine annährend gleiche Besteuerung von Personen- und Kapitalgesellschaften ergibt, aus dem Raum geschafft werden.96 So führt etwa der § 34a EStG im Ergebnis tatsächlich nicht zu der angestrebten gleichen Besteuerung von thesaurierten Gewinnen und darüber hinaus muss die Begünstigung zunächst durch einen Antrag geltend gemacht werden.97 Schließlich können zwar die Personengesellschaften durch das Optionsmodell nach § 1a KStG insofern eine mit den Körperschaften gleiche ertragsteuerliche Behandlung erreichen.98 Auch diese Besteuerung stellt jedoch keinen gesetzlichen Regelfall dar, sondern erfolgt nur auf Antrag der Personengesellschaft.99 Die Besteuerung gleich einer Körperschaft kann also nur auf Bestreben der Personengesellschaft selbst und nicht von Anfang an erreicht werden, obwohl sie aus Gründen der Gleichbehandlung auch für die Personengesellschaft geboten wäre. Zudem ist die GbR nach Abs. 1 S. 1 vom Anwendungsbereich des § 1a KStG nicht erfasst. Darüber hinaus stellt die Rechtsform zwar ein abänderbares persönliches Merkmal dar, dies bedeutet jedoch nur, dass an die Rechtfertigung geringere Anforderungen gestellt werden dürfen.100

bb) Die persönliche Haftung als Rechtfertigungsgrund

Als sachlicher Grund für die Rechtfertigung wird in der Literatur und in der Rechtsprechung des BVerfG neben dem Gesamthandsprinzip insbesondere die persönliche


86 Vgl. Birk, StuW 2000, 328, 333.

87 Vgl. BVerfGE 116, 164 Rn. 116.

88 Pelka, StuW 2000, 389, 393; Hennrichs/Lehmann, StuW 2007, 16, 17.

89 ZB: Hennrichs/Lehmann, StuW 2007, 16, 18 ff.;Hennrichs, FR 2010, 721, 723 ff., Drüen, GmbHR 2008, 393, 398;Palm, Person im Ertragsteuerrecht¹, 2013, S. 551 f.

90 Hennrichs/Lehmann, StuW 2007, 16, 18 ff.; vgl. auch Arbeitskreis Bilanzrecht, ZIP 2021, Beilage zu Heft 2, 3, 6 f.

91 Schall, NZG 2021, 494, 496.

92 Vgl. Arbeitskreis Bilanzrecht, ZIP 2021, Beilage zu Heft 2, 3, 7.

93 Überblicksartig zur Diskussion: Hubert/Stokes, StuB 2021, 637, 639 ff.

94 Wissenschaftliche Dienste – Deutscher BT, Ausführungen zu: Auswirkungen d. MoPeG auf die verf. Rechtfertigung d. Dualismus d. Unternehmenssteuerrechts, 11.5.2021, S. 18 f.; abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/847526/93583924611a0e252d0fbb40bce2-c3c4/WD-4-051-21-pdf-data.pdf (zul. abgerufen: 18.4.2022).

95 Hey, DStJG 24 (2001), 155, 175.

96 S. dazu: Hey, FS Herzig, 7, 16.

97 Im Detail: Hey, DStR 2007, 925; auch: Niehus/Wilke, in: H/H/R (Fn. 43), § 34a Rn. 3; Lindberg, in: Frotscher/Geuerts (Hrsg.), Kommentar zum EStG²²⁷, 2022, § 34a Rn. 1a.

98 Vgl. Wackerbeck, in: Brandis/Heuermann (Hrsg.), Kommentar zum KStG¹⁶⁰, 2021, § 1a Rn. 25 f.; Herkens, in: Lippross/Seibel (Hrsg.), Basiskommentar Steuerrecht¹³⁰, 2022, § 1a KStG Rn. 5; Pung, in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Kommentar zum KStG und UmwStG¹⁰⁴, 2021, § 1a KStG Rn. 2.

99 Vgl. Mückl, in: Streck (Bearb.), Kommentar zum KStG¹⁰, 2022, § 1a Rn. 1; Sobanski, in: Dölker et. al. (Hrsg.), 360° KStG-eKommentar, 17.03.2021, § 1a Rn. 29.

100 Heun, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar³, 2013, Art. 3 Rn. 38; vgl. Boysen, in: Münch/Kunig (Begr.), Kommentar zum GG⁷, 2021, Art. 3 Rn. 105.

Rieck, Kann nach Einführung des MoPeG an der dualistischen Unternehmensbesteuerung festgehalten werden?72

Haftung der Personengesellschafter gesehen.101 Den Wissenschaftlichen Diensten zu Folge zeige sich daran im Gegensatz zur Kapitalgesellschaft die konzeptionell engere Verbindung von Personengesellschaftern mit dem Vermögen ihrer Gesellschaft und die damit einhergehende geringere Trennung zwischen Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen.102 Der Ansatz erklärt sich weiter, wenn man sich die Kehrseite der Gewinnzurechnung anschaut. So erfolgt iSd Transparenzprinzips auch eine Zurechnung von Verlusten einer Personengesellschaft an ihre Gesellschafter.103 Aufgrund ihrer unmittelbaren persönlichen Haftung sind Gesellschafter von den Verlusten einer Personengesellschaft gegebenenfalls viel unmittelbarer betroffen als die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft, was eine Zuweisung dieser Verluste sachgerecht erscheinen lässt.104 Die Zuweisung von Gewinnen würde insofern nur die notwendige Kehrseite dieses Prinzips darstellen. Fraglich ist, ob dies als sachlicher Grund ausreicht, um die Sonderbehandlung der Personengesellschaften zu rechtfertigen.

Laut Schall sei die Reichweite der Annahme einer engen Vermögensbindung in Frage zu stellen, wenn man sich die nunmehrige Struktur der persönlichen Haftung der Gesellschafter genauer anschaut. Aus der Gesellschafterhaftung ließe sich, mit Anerkennung der unbeschränkten Rechtsfähigkeit von Außen‑GbR, OHG und KG im Zuge der Aufgabe des Gesamthandsprinzips, keine Identität der Personengesellschaft mit ihren persönlich haftenden Gesellschaftern mehr herleiten. Die Haftung der Gesellschafter gestalte sich vielmehr als gesetzlichen Schuldbeitritt, der die Kreditbasis der Personengesellschaft erweitere.105 So haftet die Gesellschaft primär selbst für ihre Verbindlichkeiten, während die Haftung der Gesellschafter eine Bürgschaftsfunktion einnimmt.106 Im Haftungsfall haben die Gesellschafter zudem einen Regressanspruch gegen die Gesellschaft (künftig nach § 716 BGB-E).107 Damit ist die Haftung wirtschaftlich nicht mehr von etwa der eines für seine GmbH rechtsgeschäftlich bürgenden Gesellschafters zu unterscheiden.108 Insofern erscheint es gefährlich, die Haftungsunterschiede als ausschließlichen Rechtfertigungsgrund auszumachen. Der Gesellschafter einer Personengesellschaft könnte geltend machen, dass seine Situation mit der eines Gesellschafters einer GmbH, der umfangreich für die Verbindlichkeiten seiner Gesellschaft einsteht, vergleichbar ist. Seine Gesellschaft solle deshalb nicht nur über den Umweg des § 1a KStG gleich einer GmbH behandelt werden. In solchen Einzelfällen könnte regelmäßig eine gleichheitsrechtlich gebotene Gleichbehandlung unabhängig von der konkreten Rechtsform geltend gemacht werden.

Darüber hinaus verliert das Haftungsargument an Überzeugungskraft für die KG, wenn man die Haftung eines Kommanditisten einer KG mit zB der eines Aktionärs vergleicht.109 Mit dem MoPeG und der ersatzlosen Streichung des § 172 Abs. 5 HGB erfährt die Kommanditistenhaftung zwar eine leichte Verschärfung.110 Der Kommanditist hat bei Auszahlung eines Scheingewinns künftig keinen Gutglaubensschutz im Außenverhältnis.111 Dennoch haftet der Kommanditist auch weiterhin nach § 171 Abs. 1 Hs. 2 HGB nicht für die Verbindlichkeiten der Kommanditgesellschaft, soweit er seine Einlage geleistet hat. So ist er im Regelfall weitgehend von der Haftung für die Gesellschaft ausgenommen.112 Es entsteht eine ähnliche Abschirmwirkung der Vermögenssphären wie bei einer Kapitalgesellschaft.113

Schließlich kann die Gewinnzurechnung auch nicht als notwendige Kehrseite einer Verlustzuweisung gesehen werden. Die persönliche Haftung des Gesellschafters wirkt sich wirtschaftlich nur auf ihn aus, wenn das Gesellschaftsvermögen die Verbindlichkeiten der Gesellschaft endgültig nicht mehr decken kann und der Gesellschafter mit seinem Regress ausfällt.114 Tritt dieser Definitivverlust auf Ebene des Gesellschafters ein, sollte er auch berücksichtigt werden.115 Allein das Haftungsrisiko begründet die Verlustzuweisung jedoch nicht zwingend.116

cc) Entnahmerechte/Gewinnverteilung

Schon vor der (offiziellen) Aufgabe des Gesamthandsprinzips wurden in der Literatur weitere Rechtfertigungsgründe für eine duale Unternehmensbesteuerung diskutiert.117 Argumentiert wurde in diesem Rahmen auch schon mit der Gewinnverteilung an die Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft, durch die eine größere Nähe zwischen Vermögen der Personengesellschaft und ihren Gesellschaftern begründet werde.118 Nach dem neuen § 122 Abs. 1 HGB-E findet grundsätzlich eine Vollausschüttung des Gewinns statt, soweit die Auszahlung nicht zum offenbaren Schaden der Gesellschaft gereicht.119 Ein Beschluss über die Verwendung des Gewinns wird nur erforderlich, wenn statt einer Vollausschüttung der Gewinn teilweise thesauriert werden soll.120 Danach besteht grundsätzlich ein großes Näheverhältnis zwischen dem von der Gesellschaft erwirtschafteten Erfolg und ihren Gesellschaftern.

Etwas anderes gilt für die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft. Der individuelle Anspruch auf die Dividende entsteht bei Kapitalgesellschaften erst mit Beschlussfassung über die Gewinnverwendung, die jährlich vorgesehen ist (s. §§ 29 Abs. 2, 46 Nr. 1 GmbHG, § 174 AktG).121 Es ergibt sich kein entsprechendes Näheverhältnis.


101 Etwa: Drüen, GmbHR 2008, 393, 398;Hüttemann, DStJG 25 (2002), 123, 139 f.

102 Ausführungen Wissenschaftliche Dienste (Fn. 115), S. 16.

103 S. etwa: Wacker, in: Schmidt (Fn. 38), § 15 Rn. 408;Tiede, in: H/H/R (Fn. 43), § 15 Rn. 450.

104 S. Hüttemann, DStJG 25 (2002), 123, 139; bestätigend: Drüen, GmbHR 2008, 393, 398.

105 Schall, NZG 2021, 494, 496.

106 Dazu schon vor Einführung des MoPeG: Hennrichs, FR 2010, 721, 727.

107 MoPeGE, BT‑Drs. 19/27635, S. 20, 157 ff.

108 Hennrichs, FR 2010, 721, 727; vgl. Palm, in FS für Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, Bd. II: Staat und Bürger, 2013, S. 1697, 1704.

109 S. Schall, NZG 2021, 494, 496.

110 MoPeGE, BT-Drs. 19/27635, S. 257.

111 Ausführlich: Fleischer, DStR 2021, 483, 488 f.

112 Schmidt, in: Münchner Kommentar zum HGB⁴, 2016, §§ 171, 172 Rn. 4; Häublein/Beyer, in: Beck’scher Online-Kommentar HGB³⁵, 2022, § 171 Rn. 2.

113 Häublein/Beyer, in: BeckOK-HGB (Fn. 113), § 171 Rn. 2.

114 Hennrichs, FR 2010, 721, 727; Palm (Fn. 90), S. 557 f.

115 Hennrichs, FR 2010, 721, 727.

116 Hennrichs, FR 2010, 721, 727.

117 Hennrichs, FR 2010, 721, 724; Palm (Fn. 109), S. 1697, 1701.

118 Hallerbach, Die Personengesellschaften im Einkommensteuerrecht, 1999, S. 46 ff., 99; Palm (Fn. 109), S. 1697, 1701.

119 MoPeGE, BT‑Drs. 19/27635, S. 56.

120 MoPeGE, S. 240.

121 Hennrichs, FR 2010, 721, 724.

Rieck, Kann nach Einführung des MoPeG an der dualistischen Unternehmensbesteuerung festgehalten werden?73

Gegen diese Argumentation ist jedoch einzuwenden, dass die konkrete Ausgestaltung der Gewinnverteilung als reines Innenrecht der Personenhandelsgesellschaft grundsätzlich dispositiv ist, § 109 HGB (bzw. § 108 HGB-E122 ). So kann auch eine Personengesellschaft einen vorherigen Gewinnverwendungsbeschluss zur Voraussetzung einer Gewinnverteilung machen.123 Genauso können jedoch auch die Gesellschafter einer GmbH ihr Rechtsverhältnis untereinander grundsätzlich gleich der Modalitäten einer Personengesellschaft gestalten, § 45 GmbHG. Die Modalitäten der Gewinnverteilung stellen demnach keine zuverlässige zivilrechtliche Wertung dar, die der Gesetzgeber entsprechend im Steuerrecht umsetzt. Auch hier würde die Rechtfertigung von jeder vom gesetzlichen Regelfall abweichenden rechtlichen Ausgestaltung in Frage gestellt und regelmäßig Einzelfallungerechtigkeiten hervorrufen.

dd) Weitere mögliche Rechtfertigungsgründe

Die Wissenschaftlichen Dienste sehen einen sachlichen Grund schließlich auch in den anderen klassischen Merkmalen der Personengesellschaften. So bliebe namentlich die Selbstorganschaft, das Anwachsungsprinzip und das Verbot der Ein-Personen-Gesellschaft erhalten.124 Diese Argumente genügen dem vom BVerfG gesetzten Maßstab nicht. Die Merkmale greifen keinen der Indikatoren von Leistungsfähigkeit auf.125 Weder die Selbstorganschaft noch das Anwachsungsprinzip kann sachlich begründen, warum eine Personengesellschaft keine eigenständige Leistungsfähigkeit entwickelt und sich die alleinige Leistungsfähigkeit auf Ebene der Gesellschafter verlagert.126 Sie sind nur eine Auflistung von verbleibenden Unterschieden zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften und suchen damit den Grund ausschließlich auf Grundlage der Rechtsform.127 Die Rechtsform allein hat dem BVerfG in der Vergangenheit jedoch nicht genügt, um die unterschiedlichen Besteuerungsregimes zu begründen.128

E. Fazit

Ob das BVerfG auch nach der Einführung des MoPeG an seiner Rechtsprechung zur dualen Unternehmensbesteuerung festhalten wird bleibt es abzuwarten. Gerade außerhalb des gesetzlichen Regelfalls können mögliche Rechtfertigungsansätze jedenfalls in Frage gestellt werden. Jedoch sind an die Rechtfertigungsgründe der Ungleichbehandlung, wie gesehen, keine hohen Anforderungen zu stellen. Es ist demnach nicht unwahrscheinlich, dass das BVerfG einen der vorgetragenen Gründe, trotz ihrer Mängel, als hinreichend erachten wird und so an der transparenten Besteuerung der Personengesellschaften festhält. Um diese Grundsatzdebatte zur dualen Unternehmensbesteuerung zu vermeiden, scheint man im Gesetzgebungsverfahren vor steuerrechtlicher Fragen zurückgeschreckt zu sein. Ohne den ganz großen Sprung einer Abschaffung der transparenten Besteuerung von Personengesellschaften zu wagen, könnten verbleibende Unklarheiten durch ein entsprechendes Steuergeleitgesetz erfolgen.


122 MoPeGE, BT‑Drs. 19/27635, S. 52, 225.

123 Klimke, in: BeckOK-HGB (Fn. 113), § 122 Rn. 26; vgl. Roth, in: Hopt, Beck’scher Kurzkommentar Bd. IX: Handelsgesetzbuch⁴¹, 2022, § 122 Rn. 15 f.

124 Ausführungen Wissenschaftliche Dienste (Fn. 115), S. 17.

125 Vgl. Hey, in: Tipke/Lang (Fn. 24), 3.55.

126 Hubert/Stokes, StuB 2021, 637, 640; so auch: Jachmann, DStJG 23 (2000), 9, 20.

127 Vgl. Kritik v. Vogel (Fn. 26), S. 527, 541.

128 Vgl. BVerfGE 116, 164 Rn. 116.