Regulierung von Leerverkäufen und Short Seller Aktivismus

Nina Czubayko*

Seit 2016 machte die Regulierung von Leerverkäufen1 vor allem im Zusammenhang mit sogenannten „Short Seller-Attacken“ Schlagzeilen.2 Unter einer Short Seller-Attacke3 versteht man den Erwerb einer Netto-Leerverkaufsposition4 der Aktien eines Unternehmens im Zusammenhang mit der Veröffentlichung negativer Informationen über das betreffende Unternehmen. Der Leerverkäufer hofft, einen Kursrutsch des Unternehmens auszulösen und sich anschließend zu einem niedrigeren Preis mit Aktien des Unternehmens einzudecken, um die bestehende Verkaufsverpflichtung zu erfüllen.5 Deutscher Präzedenzfall einer SSA ist der Fall des DAX-30-Unternehmens Wirecard, welches 2019 mutmaßliches Opfer einer SSA in Kooperation mit der Financial Times wurde.6 Dieser Beitrag widmet sich der Frage, ob Leerverkäufe angesichts des vermehrten Auftretens von SSA ausreichend reguliert sind. Folglich wird zunächst der Regulierungsbedarf von Leerverkäufen erläutert (B.). Danach wird u.a. anhand des Wirecard-Falles untersucht, auf welche Art und Weise die bestehende Regulierung von Leerverkäufen SSA Grenzen setzt (C.) und die vorhandenen Regulierungsmechanismen werden aus rechtsökonomischer Perspektive gewürdigt (D.). Der Beitrag endet mit einem Fazit (E.).

A. Regulierungsbedürftigkeit und Bewertungsmaßstab

Weil das Sicherstellen des Funktionierens der Finanzmärkte der Zielsetzung des Gesetzgebers entspricht7 und somit den relevanten Maßstab zur Beurteilung von Regulierungsmaßnahmen darstellt,8 ist die Regulierung von Leerverkäufen dann sinnvoll, wenn sie auf angemessene Weise die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte fördert. Für einen funktionierenden Finanzmarkt ist es von höchstem Interesse, dass Preise möglichst die Realwerte der Aktien eines Unternehmens abbilden.

Professionelle Leerverkäufer speisen durch die Leerverkäufe effektiv negative Entwicklungserwartungen in den Markt ein, wodurch die Gefahr von überbewerteten Aktien verringert wird, was wiederum die Preiseffizienz steigert und Informationsdefizite/-asymmetrien abbaut.9 Durch zahlreiche Studien wurde darüber hinaus nachgewiesen, dass Leerverkäufe einen positiven Einfluss auf die Liquidität eines Marktes haben, weil sie angebotserhöhend wirken und zudem Volatilität abbauen.10 Bei Börsengängen und Kapitalerhöhungen werden Leerverkäufe außerdem als Mittel von Emissionsbanken genutzt, um den Kurs des emittierten Wertpapiers zu stabilisieren und so das Anlegervertrauen aufrechtzuerhalten.11

Auf der anderen Seite wohnt Leerverkäufen, insbesondere im Zusammenhang mit einer SSA, ein gesteigertes Risiko von Marktmissbrauch inne.12 Marktmissbrauch beeinträchtigt die allokative Effizienz eines Marktes, denn soweit Anleger irregeführt werden, kann sich der Kurs der Aktie vom eigentlichen Wert fortentwickeln.13 Dadurch wird zudem das Anlegervertrauen geschwächt, das von großer Bedeutung für das Funktionieren von Finanzsystemen ist.14

Ebenfalls marktschädigend kann es wirken, wenn Aufträge nicht ordnungsgemäß abgewickelt werden (können), weil entweder der Leerverkäufer von vornherein keine Erfüllungsabsicht hatte oder aber der Markt für das verkaufte Finanzinstrument zwischenzeitlich illiquide geworden ist.15

Außerdem werden Leerverkäufe vielfach als Grund für unaufhaltsame Abwärtsspiralen von Kursen angesehen, die schlimmstenfalls Unternehmensinsolvenzen auslösen können,16 indem durch Herdenverkäufe das Angebot immer weiter angehoben wird.17 Schließlich können auf Grund einer fehlerhaften Einschätzung des Potentials einer Aktie getätigte Leerverkäufe diese ursprünglich fehlerhafte Einschätzung erst wahr werden lassen, weshalb Leerverkäufe auch als Self-fulfilling Prophecy bezeichnet werden. 18


* Die Autorin ist Studentin an der Bucerius Law School. Der Beitrag stellt eine gekürzte Fassung ihrer Seminararbeit dar.

1 Im Folgenden wird unter einem Leerverkauf der Verkauf von nicht im Eigentum des Verkäufers befindlichen Aktien verstanden, vgl. Klingenbrunn, Produktverbote zur Gewährleistung von Finanzmarktstabilität, Diss. 2018, S. 99.

2 Mülbert, Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht (ZHR) 2018, 105; Hasselbach/Peters, Betriebs-Berater (BB) 2017, 1347, 1350.

3 Im Folgenden als SSA abgekürzt.

4 Im Folgenden als NLP abgekürzt. Vgl. Art. 3 Abs. 4 SSR (Verordnung (EU) Nr. 236/2012 des europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps).

5 Vgl. Mülbert, ZHR 2018, 105.

6 Vgl. Handelsblatt v. 21.07.2019: Wirecard erhebt schwere Anschuldigungen gegen die „Financial Times“. Ein rechtskräftiges Urteil ist noch nicht ergangen, vgl. Der Aktionär v. 17.02.2020: Wirecard vs. Financial Times: Gerichtstermin geplatzt – was hat das zu bedeuten?

7 Erwgr. 2 Mülbert/Sajnovits, Zeitschrift für Privatwissenschaft (ZfPW) 2016, 1, 23; Möllers, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (NZG) 2018, 649.

8 Erwgr. 2 Schlimbach, Leerverkäufe, Diss. 2015, S. 58; zur Zielsetzung des europ. Kapitalmarktrechts vgl. Kirchner/Koch, Analyse & Kritik (AK) 1989, 111, 115; Möllers, Archiv für die civilistische Praxis (AcP), 2008, 1, 6 f.; Kalss, in: v. Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre3, 2015, § 20 Rn. 37.

9 Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, Diss. 2006, S. 27; Mittermeier, Zeitschrift für Bankenrecht und Bankwirtschaft (ZBB) 2010, 139, 140.

10 Vgl. Suttner/Kielholz, Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft (ORDO) 2011, 101, 104; Beber/Pagano, Short-Selling Bans around the World: Evidence from the 2007-09 Crisis, 2011, S. 2.

11 Vgl. Schlimbach (Fn. 8), S. 19.

12 Payne, European Business Organization Law Review (EBOR) 2012, 413, 416; Schlimbach (Fn. 8), S. 47 f.

13 Payne, EBOR 2012, 413, 416; Bayram/Meier, Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht (BKR) 2018, 55, 56.

14 Möllers, AcP 2008, 1, 8; s. Mülbert/Sajnovits, ZfPW 2016, 1, 26, 34.

15 S. Armour/Arwey/Davies/Enriques/Gordon/Mayer/Payne (Hrsg.), Principles of Financial Regulation, 2016, S. 197.

16 Vgl. Mittermeier, ZBB 2010, 139, 141; Schlimbach (Fn. 8), S. 44.

17 Zweifelnd Payne, EBOR 2012, 413, 416 mit Hinweis auf gegenteilige empirische Studien.

18 Vgl. Klingenbrunn (Fn. 1), S. 219 f.; Krit. Fleckner, in: Moloney/Ferran/Payne (Hrsg.), The Oxford Handbook of Financial Regulation, 2015, S. 625.

Czubayko, Regulierung von Leerverkäufen und Short Seller-Aktivismus12

Die positiven und negativen Auswirkungen von Leerverkäufen zeigen, dass ein Regulierungsrahmen eng genug gestaltet sein sollte, um den o.g. Risiken weitestgehend zu begegnen, ohne die positiven Einflüsse von Leerverkäufen auf die Finanzmärkte zu unterbinden.19

B. Bestehende Grenzen von SSA durch Leerverkaufsregulierungen

Im Folgenden soll untersucht werden, welche Anforderungen bestehende Regulierung an SSA stellt bzw. wie diese Short Seller-Aktivismus eingrenzen.

I. Anforderungen aus dem Transparenzregime

Positive Anforderungen an Leerverkäufer werden durch die bestehenden Transparenzregelungen der Art. 5 bis 11 SSR aufgestellt, die Melde- und Offenlegungspflichten für NLP nach gestaffelten Schwellenwerten vorsehen.20 Sinn und Zweck der Transparenzregelungen ist es, die effiziente Kontrolle von problematischen Leerverkäufen durch die Behörde zu gewährleisten.21 Die übermittelten Daten stellen Indizien für die Behörde dar, wann und ob ihre Eingriffsbefugnisse (dazu unter C.III.) einzusetzen sind oder ob und gegen wen gegebenenfalls Verfahren wegen Marktmissbrauchs einzuleiten sind (dazu unter C.II.). Anhaltspunkte bilden in besonders großem Umfang getätigte Leerverkäufe oder Situationen, in denen umfangreiche Leerverkäufe in Aktien eines Unternehmens mit der Verbreitung negativer Informationen über das betroffene Unternehmen zusammenfallen. Dadurch können die Vorschriften zudem abschreckend auf Short Seller-Aktivisten wirken.22

Durch die Offenlegungspflichten gegenüber der Öffentlichkeit kann auch der Anleger einerseits das Vorkommen von Leerverkäufen als Indikator für negative Entwicklungserwartungen berücksichtigen23 sowie andererseits Aussagen von Inhabern einer NLP realistischer auswerten und einpreisen, da das bestehende Interesse am Kursverlust der Aktie offengelegt wird.

II. Verbot von marktmissbräuchlichen Leerverkäufen

In negativer Hinsicht werden SSA neben dem grds. Verbot ungedeckter Leerverkäufe nach Art. 12 SSR durch das Verbot marktmissbräuchlicher Leerverkäufe eingegrenzt. Dabei stehen die Verbote der Marktmissbrauchsverordnung (MAR) und der SSR gleichwertig nebeneinander.24 Die Vorschriften der MAR bezwecken – bezogen auf Leerverkäufe – diejenigen Leerverkäufe herauszufiltern und unter Strafe zu stellen, die keinen positiven Einfluss auf den Markt haben.25 Durch die strenge Sanktionierung von Marktmissbrauch26 wird außerdem ein Abschreckungseffekt gegenüber Leerverkäufern erzielt, die SSA zu missbräuchlichen Zwecken einsetzen wollen. Da es bereits zu Ermittlungsverfahren wegen Marktmissbrauchs im Zusammenhang mit SSA kam,27 fragt sich, unter welchen Umständen ein Leerverkauf als Marktmissbrauch einzuordnen ist.

1. Verbot der Marktmanipulation gem. Art. 15 i.V.m. Art. 12 MAR

a) Verwirklichung des „Scalpings“ nach Art. 12 Abs. 2 lit. d) MAR

Auf Grund des Spezialitätsverhältnisses kommt im Rahmen einer SSA vorrangig die Verwirklichung des Verbots des Scalpings in Betracht, welches im Kern das nicht ordnungsgemäße Offenlegen eines Interessenkonflikts bei Veröffentlichung einer Stellungnahme unter Strafe stellt. Dieser Interessenkonflikt besteht bei einem Leerverkäufer, weil er ein Interesse an einem Kursverfall der Aktie hat.

aa) Verbreitung einer Stellungnahme durch Zugang zu den Medien

Im Rahmen einer SSA werden üblicherweise „Reports“ mit negativen Informationen und Anschuldigungen gegenüber dem betreffenden Unternehmen online, also über ein elektronisches Medium28 im Sinne des Art. 12 Abs. 2 lit. d) MAR, veröffentlicht.29 Diese Reports sind als Stellungnahme zu einem Finanzinstrument30 zu qualifizieren, wenn sie eine Anlageempfehlung oder Anlagestrategieempfehlung darstellen.31

Vor Abgabe der Stellungnahme müsste der Leerverkäufer eine Short-Position bezüglich des betreffenden Finanzinstruments eingegangen sein.32 Nach h.M. in Rechtsprechung und Literatur ist auch ein arbeitsteiliges Zusammenwirken möglich, es könnte also auch ein Akteur eine Stellungnahme abgeben und der andere zuvor die NLP eingegangen sein.33

bb) Ausnutzung des Kursverlustes ohne Mitteilung des Interessenkonflikts

Gleicht der Leerverkäufer seine NLP nach der Veröffentlichung einer Stellungnahme aus, indem er die leeverkauften Aktien einkauft, und zieht damit den Gewinn aus einem


19 Vgl. Armour/Arwey/Davies/Enriques/Gordon/Mayer/ Payne (Fn. 15), S. 194 f.

20 Zu den Transparenzanforderungen im Überblick Mülbert/Sajnovits, in: Assmann/Schneider/Mülbert (Hrsg.), Wertpapierhandelsrecht7, 2019, Art. 5 VO (EU) Nr. 236/2012.

21 Schlimbach (Fn. 8), S. 52.

22 S. Schlimbach (Fn. 8), S. 53.

23 Schlimbach (Fn. 8), S. 53.

24 Vgl. Bayram/Meier, BKR, 2018, 55, 60; Mülbert/Sajnovits, BKR 2019, 313, 318.

25 Erwgr. 7 MAR; Mülbert, in: Assmann/Schneider/Mülbert (Fn. 20), Art. 12 VO (EU), Nr. 596/2014, Rn. 21 f.

26 Vgl. § 119 Abs. 1, 3 WpHG.

27 S. z. B. Handelsblatt v. 10.12.2018: Ermittler sehen Manipulation mit Wirecard-Aktien als erwiesen an.

28 Schmolke, in: Klöhn (Hrsg.), Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 12 Rn. 366.

29 FT v. 07.02.2019: Wirecard: inside an accounting scandal.

30 Vgl. Art. 2 Abs. 1 MAR.

31 Schmolke, in: Klöhn (Fn. 28), Art. 12 Rn. 365; Mülbert, in: Assmann/Schneider/Mülbert (Fn. 20), Art. 12 VO (EU) Nr. 596/2014, Rn. 247; Wentz, Wertpapier-Mitteilungen (WM) 2019, 196, 198.

32 Schmolke, in: Klöhn (Fn. 28), Art. 12 Rn. 369; Wentz, WM 2019, 196, 199.

33 So z. B. BGH, NZG 2014, 590, 592; Teigelack, in: Meyer/Rönnau/Veil (Hrsg.), Handbuch zum Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 13 Rn. 67; zur Umgehungsgefahr durch Arbeitsteilung: Schmolke, in: Klöhn (Fn. 28), Art. 12 Rn. 370.

Czubayko, Regulierung von Leerverkäufen und Short Seller-Aktivismus13

Kursverlust, so nutzt er die Auswirkungen der Stellungnahme auf den Kurs aus. Art. 12 Abs. 2 lit. d) MAR untersagt dies, wenn er seinen aus der NLP folgenden Interessenkonflikt nicht ordnungsgemäß mitgeteilt hat.34 Eine ordnungsgemäße Mitteilung muss klar formuliert sein, die Position spezifizieren35 und an einer öffentlich wahrnehmbaren Stelle erfolgen.36

Wenn die Stellungnahme die Voraussetzungen einer Anlageempfehlung nach Art. 20 MAR erfüllt oder wenn der Stellungnehmende als Sachverständiger nach Art. 1 lit. a) Del. VO 2016/95837 gilt, muss die Stellungnahme zudem objektiv erfolgen bzw. müssen u.U. Informationen zu NLP veröffentlicht werden.38 Die Einzelheiten bezüglich der Anforderungen an diese Reports sind jedoch in vielerlei Hinsicht unklar. Strittig ist unter anderem, welche Anforderungen an die objektive Darstellung einer Anlageempfehlung zu stellen sind und ob im Rahmen der meist unklaren Sachverhalte Nachforschungspflichten bestehen.39 Außerdem ist nicht klar, ob die Regeln bezüglich der objektiven Darstellung anzuwenden sind, wenn ein Report nicht in Anspruch nimmt, neutral zu sein.40

b) Art. 12 Abs. 1 MAR

Stellt eine SSA kein Scalping dar, könnte sie noch immer nach Art. 12 Abs. 1 lit. a-c) MAR verboten sein.41

aa) Anknüpfung an das Eingehen der NLP

Fraglich ist zunächst, ob das Eingehen von NLP als irreführender „Abschluss eines Geschäftes“ i. S. des Art. 12 Abs. 1 lit. 1 MAR qualifiziert werden kann.42 Dagegen spricht, dass dies bedeuten würde, dass nur durch das Eingehen der NLP irreführende Informationen mitgeteilt würden. Tatsächlich aber wohnt einem einzelnen Leerverkauf jedoch nicht mehr Bedeutung inne, als die Verkaufsabsicht und Verkaufstreue des Verkäufers.43 Zudem entspricht es den Wertungen des Gesetzgebers, dass ein gedeckter Leerverkauf nach Art. 12 SSR grundsätzlich erlaubt ist, weil dieser positive Auswirkungen auf den Finanzmarkt ausübt.44

Auch Leerverkäufe in großem Umfang mit Preisbeeinflussungsabsicht (Bear Raids) sind nicht ohne Weiteres verboten.45 Gegen die Annahme einer strafwürdigen Preismanipulation spricht das Telos des Marktmanipulationsverbots: Verboten werden soll nicht jede Einwirkung auf den Preisbildungsprozess, die zu fehlerhaften Bewertungen führt, sondern lediglich ein Verhalten, das den Preisbildungsmechanismus als solchen manipuliert, wie z. B. die Verbreitung irreführender Informationen.46 Der Bear Raider aber nutzt lediglich uninformierte Marktteilnehmer aus, die ihre (falsche) Entwicklungserwartung in einen funktionierenden Preisbildungsmechanismus einpreisen.47 Sein eigenes Verhalten sendet jedoch keine falschen oder irreführenden Informationen.48

bb) Anknüpfung an die Veröffentlichung des Reports

Geeigneten Anknüpfungspunkt der SSA bildet aber unter Art. 12 Abs. 1 lit. a-c) MAR jedenfalls die Veröffentlichung eines negativen Reports über das „geshortete“ Unternehmen,49 sofern dieser falsche oder irreführende Angaben enthält und die Veröffentlichung in irreführender Absicht erfolgte.50 Dieser Fall des sog. „Trash and cash“ wird explizit als Indikator für eine Marktmanipulation nach Art. 12 Abs. 1 lit. a) MAR genannt.51 Was so eindeutig klingt, bereitet im Rahmen der Subsumtion jedoch einige Probleme, denn es ist nicht hinreichend konkretisiert, unter welchen Umständen die Ausstreuung negativer Informationen ein falsches oder irreführendes Signal i. S. des Art. 12 Abs. 1 lit. a) MAR darstellt.52 In den meisten Fällen enthalten die gestreuten Informationen der Leerverkäufer einen gewissen Kern an Wahrheit, der jedoch verzerrt dargestellt wird, so dass der Übergang zwischen (noch) hilfreicher Einpreisung von negativen Informationen und Marktmanipulation fließend ist.

cc) Anknüpfung an die fehlende Offenlegung des Interessenkonflikts

Auch die fehlerhafte oder fehlende Offenlegung des Interessenkonflikts durch den Leerverkäufer kann von dem täuschenden Verhalten gem. lit. b) umfasst sein.53 Zu beachten ist, dass die Wertungen des Art. 12 Abs. 2 lit. d) MAR nicht untergraben werden dürfen. 54


34 Teigelack, in: Meyer/Rönnau/Veil (Fn. 33), § 13 Rn. 60; Wentz, WM 2019, 196, 199.

35 Bayram/Meier, BKR 2018, 55, 58.

36 S. Wentz, WM 2019, 196, 199; vgl. ebenfalls: Graßl/Nikoleyczik, Die Aktiengesellschaft (AG) 2017, 49, 55.

37 Delegierte Verordnung (EU) 2016/958 der Kommission vom 09.März 2016, zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates.

38 Bayram/Meier, BKR, 2018, 55, 58; Mülbert/Sajnovits, BKR 2019, 313, 316; Wentz, WM 2019, 196, 200.

39 Möllers, NZG 2018, 649, 652. Str. ist u.a. auch, ob über die Mitteilung des Interessenkonflikts hinaus die Positionshöhen der NLP anzugeben sind, s. Bayram/Meier, BKR 2018, 55, 58.

40 Überzeugend Möllers, NZG 2018, 649, 652. A. A.: Schockenhoff/Culmann, AG 2016, 517, 523.

41 Vgl. Schmolke, in: Klöhn (Fn. 28), Art. 12 Rn. 2; Wentz, WM 2019, 196, 200.

42 Fraglich ist ebenfalls, ob allein die Verletzung der Offenlegungspflicht nach der SSR als marktmanipulatives Verhalten einzuordnen ist, vgl. Bayram/Meier, BKR 2018, 55, 59 f.

43 Klingenbrunn (Fn. 1), S. 118; Wentz, WM 2019, 196, 200.

44 S. auch Erwgr. 5 SSR.

45 Zu Bear Raids vgl. anschaulich Klingenbrunn (Fn. 1), S. 119; s. zudem Harrer, Regulierung von Leerverkäufen und Credit Default Swaps, 2010, S. 24; Schlimbach (Fn. 8), S. 222.

46 Klingenbrunn (Fn. 1), S. 122.

47 Überzeugend Klingenbrunn (Fn. 1), S. 122 f.; Klöhn (Fn. 9), S. 53 f.

48 Wentz, WM 2019, 196, 200.

49 Zu lit. a): Schmolke, in: Klöhn (Fn. 28), Art. 12 Rn. 39; zu lit. b): Mülbert, in: Assmann/Schneider/Mülbert (Fn. 20), Art. 12 VO (EU) Nr. 596/2014, Rn. 142-144; zu lit. c): Graßl/Nikoleyczik, AG 2017, 50, 56; Wentz, WM 2019, 196, 201.

50 Unter irreführenden Angaben werden solche verstanden, die geeignet sind, eine falsche Vorstellung des Anlegers hervorzurufen, vgl. Schmolke, in: Klöhn (Fn. 28), Art. 12 Rn. 47, 144.

51 Vgl. Anhang II Abschnitt 1 Nr. 4 lit. d) Delegierte Verordnung (EU) 2016/522 der Kommission vom 17. Dezember 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates.

52 Zu Recht v. a. Möllers, NZG 2018, 649, 651; Graßl/Nikoleyczik, AG 2017, 49, 57.

53 Mülbert, in: Assmann/Schneider/Mülbert (Fn. 20), Art. 12 VO (EU) Nr. 596/2014, Rn. 142-144.

54 Überzeugend Bayram/Meier, BKR 2018, 55, 59. A. A. Wentz, WM 2019, 196, 201.

Czubayko, Regulierung von Leerverkäufen und Short Seller-Aktivismus14

2. Verbot von Insidergeschäften gem. Art. 14 lit. a) i. V. m. Art. 7 ff. MAR

Selbstverständlich verboten ist das Tätigen von Leerverkäufen beruhend auf Insiderinformationen.55

Soweit es nur um die Kenntnis des Leerverkäufers von der anstehenden Veröffentlichung eines von ihm selbst verfassten Berichts geht, ist das Insiderhandelsverbot nicht einschlägig, entweder mit der Begründung, dass diese Kenntnis keine Insiderinformation darstelle56 oder aber, dass keine „Nutzung“ der Information vorliege57.

3. Fazit

Durch die MAR werden SSA insofern eingeschränkt, als dass solche Leerverkäufe, die einhergehen mit der Veröffentlichung von falschen oder irreführenden Informationen und/oder im Rahmen derer eine Stellungnahme veröffentlicht wird, ohne dass auf den bestehenden Interessenkonflikt hingewiesen wird, verboten werden.

Die präventiv-abschreckende Wirkung entsprechender Verbotstatbestände ist jedoch limitiert, da Rechtsdurchsetzungsprobleme bestehen, die auf Unsicherheiten hinsichtlich der Anforderungen an die Reports von Leerverkäufern sowie der Form und Angaben im Rahmen der Mitteilung des Interessenkonflikts zurückzuführen sind. Durch arbeitsteiliges Vorgehen mit einem unabhängigen Reportunternehmen werden zudem die ohnehin schon unklaren Anforderungen an die Darstellung der Stellungnahme noch undurchsichtiger, weil u.U. die Presse- und Meinungsfreiheit nach Art. 11 GrCh sowie journalistische Berufs- und Standesregeln zu berücksichtigen sind, Art. 21 MAR.58

III. Eingriffsbefugnisse der BaFin: Das Verbot nach Art. 20 Abs. 1 SSR

Den Auswirkungen von SSA auf den Markt können außerdem dadurch Grenzen gesetzt werden, dass die BaFin in Ausnahmesituationen oder bei einem signifikanten Kursverfall Maßnahmen nach den Art. 18 ff. SSR ergreifen kann, um den Markt wieder zu stabilisieren.59 Als schärfstes Schwert der BaFin und auf Grund des erstmaligen Einsatzes der Befugnis zum Erlass eines kurzfristigen Leerverkaufsverbots im Fall Wirecard ist insbesondere Art. 20 SSR hervorzuheben. Dieser beinhaltet eine Ermächtigung zum Erlass massiver Beschränkungen in Form von kurzfristigen Leerverkaufsverboten oder dem Verhängen von Bedingungen.60

1. Voraussetzungen der Beschränkung von Leerverkäufen nach Art. 20 SSR

Die BaFin kann nach Art. 20 SSR ggf. die Auswirkungen einer SSA durch temporäre Leerverkaufsverbote abmildern, sofern eine Ausnahmesituation besteht. Das heißt, dass ungünstige Ereignisse oder Entwicklungen vorliegen müssen, die eine ernstzunehmende Bedrohung für die Finanzstabilität oder das Marktvertrauen in Deutschland oder einem anderen Mitgliedstaat darstellen müssen. Die Anforderungen sind sehr hoch, das bedrohte Marktvertrauen oder die bedrohte Finanzmarktstabilität muss sich auf den gesamten Markt beziehen, nicht lediglich den Markt der betroffenen Aktie.61 Art. 24 Abs. 1 Del. VO 918/201262 nennt nicht abschließend63 konkretisierende Fallgruppen, in denen eine entsprechende Ausnahmesituation vorliegt.

a) Einfluss des Art. 24 Del. VO 918/2012 auf die Tatbestandsauslegung

Fraglich ist, ob sich aus Art. 24 Abs. 1 Del VO 918/2012 abstrahieren lässt, dass insgesamt eine Situation mit potentieller Auswirkung über die Grenzen Deutschlands hinaus zu fordern ist.64 Systematisch spricht dafür, dass die Beispiele lit. a- c) und e) jeweils die Wichtigkeit für das globale Finanzsystem erfordern. Allerdings weist Erwägungsgrund Nr. 27 SSR explizit darauf hin, dass ein ungünstiges Ereignis auch lediglich einen einzigen Mitgliedstaat betreffen kann und keine grenzübergreifenden Auswirkungen haben müsse.65 Die BaFin kann nach dem Willen des Gesetzgebers somit auf Grund einer SSA eingreifen, wenn mit dieser eine Bedrohung für das Marktvertrauen in Deutschland einhergeht.

b) Wirecard: Bestehen einer Bedrohung für das Marktvertrauen

Stellte der Kursverfall der Wirecard-Aktie als Folge der potenziellen SSA also – wie von der BaFin im Rahmen des Leerverkaufsverbots66 begründet – eine Bedrohung für das Marktvertrauen in Deutschland dar?

Grundsätzlich wird ein Kursverfall oder eine Insolvenz eines einzelnen Marktteilnehmers für sich genommen noch nicht als besorgniserregend angesehen.67 Ein einzelnes Ereignis kann ein Funktionsversagen des ganzen Marktes nur dann einleiten, wenn es ausnahmsweise systemrelevant ist, weil es sich auf einen systemrelevanten Akteur bezieht.68 Als systemrelevant wird ein Akteur dann angesehen, wenn


55 Vgl. Schockenhoff/Culmann, AG 2016, 517, 524.

56 Vgl. BGHSt 48, 374, 378; Hilfendorf/Kusche, in: Park (Hrsg.), Kapitalmarktstrafrecht4, 2017, Art. 7 MAR Rn. 37; A. A.: Klöhn, AG 2016, 423, 426; Schockenhoff/Culmann, AG 2016, 517, 524.

57 Schockenhoff/Culmann, AG 2016, 517, 524 (dortige Fn. 44); Sethe, in: Assmann/Schütze (Hrsg.), Handbuch des Kapitalanlagerechts4, 2015, § 8 Rn. 102.

58 Möllers, NZG 2018, 649, 651.Vgl. im Detail: Klöhn/Büttner, WM 2016, 2241-2248.

59 Vgl. Erwgr. 27 SSR.

60 Vgl. Mülbert/Sajnovits, in: Assmann/Schneider/Mülbert (Fn. 20), Art. 18 VO (EU) Nr. 236/2012 Rn. 1.

61 Mülbert/Sajnovits, BKR 2019, 313, 319 f.

62 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 918/2012 der Kommission vom 5. Juli 2012, zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 236/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates.

63 Erwgr. 27 SSR; s. Schlimbach (Fn. 8), S. 197; Klingenbrunn (Fn. 1), S. 209.

64 So Sieder, ZBB 2019, 179, 188.

65 Vgl. Erwägungsgrund 27 SSR; Klingenbrunn (Fn. 1), S. 211.

66 BaFin, Allgemeinverfügung zum Verbot der Begründung und der Vergrößerung von Netto-Leerverkaufspositionen in Aktien der Wirecard AG, 18.02.2019, Geschäftszeichen WA 25-Wp 5700-2019/002. Zu dieser detailliert Mülbert/Sajnovits, BKR 2019, 313, 319.

67 Schlimbach (Fn. 8), S. 196; Klingenbrunn (Fn. 1), S. 247; Sieder, ZBB 2019, 179, 188

68 Schlimbach (Fn. 8), S. 196; vgl. zur Systemrelevanz: Mülbert, in: FS Schneider, 2011, S. 855, 859; Klingenbrunn (Fn. 1), S. 210 f.

Czubayko, Regulierung von Leerverkäufen und Short Seller-Aktivismus15

er so vernetzt ist, dass sein Scheitern eine Kettenreaktion auslösen würde, in deren Folge weitere relevante Akteure im Markt in Schwierigkeiten geraten würden.69 Gegen die Systemrelevanz der Leerverkäufe im Fall Wirecard spricht, dass Wirecard ein einzelnes und verhältnismäßig kleines Unternehmen am Dax ist, das lediglich einen Anteil von 1,66% am Index ausmachte.70 (letzter Abruf, 23.04.2020). Zudem wuchs der Dax selbst in der Zeit, in der Wirecard so starke Verlust erlitt.71

Auf Grund der Stellungnahme der ESMA und einer späteren Pressemitteilung der BaFin72 wird jedoch klar, dass die BaFin insbesondere aktiv wurde, weil sie ein marktmissbräuchliches Vorgehen gegen Wirecard für möglich hielt.73 Nach einer Auffassung in der Literatur geht der Verdacht von einer Marktmanipulation sogar über die Anforderungen des Art. 20 Abs. 1 SSR hinaus.74 Danach müsste also der Verdacht einer Marktmanipulation an sich – unabhängig von der Größe und Vernetzung des potentiellen Opfers – bereits Systemrelevanz aufweisen.75 Dass der Verdacht auf ein marktmissbräuchliches Vorgehen gegen ein Dax-30-Unternehmen und damit einhergehende Kurseinbrüche das Anlegervertrauen schwächen könnten, liegt nahe.76 Angesichts dessen, dass Wirecard bereits wiederholt Opfer von SSA wurde, ist auch nachvollziehbar, dass die BaFin ex ante von einer konkreten Möglichkeit der Marktmanipulation ausging.

Andererseits sollte auf den bloßen Verdacht von Marktmanipulation mit der Einleitung eines Verfahrens77 sowie Maßnahmen nach § 6 Abs. 2 S. 2 und 3 WpHG und nicht mit einem Verbot von Leerverkäufen per se reagiert werden. Denn solange der Verdacht nicht bestätigt ist, könnte ein Verbot ebenso gut zur Folge haben, dass richtige Informationen nicht eingepreist werden.

2. Rechtsfolge des Art. 20 SSR: Ermessen

Nach Art. 20 Abs. 1 lit. b) SSR darf die BaFin ein Verbot zudem nur dann erlassen, wenn dieses erforderlich ist, um der Bedrohung, die durch die SSA ausgelöst wurde, zu begegnen und das Leerverkaufsverbot gemessen an dem damit verfolgten Zweck – hier also der Stabilisierung des Marktes und der Stärkung des Anlegervertrauens78 – geeignet, erforderlich und angemessen ist.

a) Eignung eines kurzfristigen Verbots

Bereits an der Eignung zur Stabilisierung des Marktes bestehen jedoch erhebliche Zweifel, denn empirische Studien weisen einheitlich darauf hin, dass lang- und kurzfristige Leerverkaufsverbote keinen positiven Einfluss auf die Volatilität, die Liquidität und den Kurs des betreffenden Finanzinstruments ausüben.79 Die Eignung der Maßnahme als Reaktion auf eine SSA und mangels eines nachweisbaren Nutzens ebenso deren Angemessenheit, sind somit fraglich. Es ist jedoch nicht Sache der Behörde, die Geeignetheit einer Eingriffsbefugnis anzuzweifeln, sondern es bedarf an dieser Stelle gesetzgeberischen Handelns.

b) Der Circuit-Breaker in Art. 23 SSR als gleich geeignetes milderes Mittel

Wird gleichwohl von der generellen Eignung eines Verbots ausgegangen, stellt sich die Anschlussfrage, ob dieses auch erforderlich ist. Fraglich ist, ob die Eingriffsbefugnis aus Art. 23 SSR (Circuit Breaker)80 ein weniger eingriffsintensives, gleich geeignetes Mittel darstellt, um auf eine SSA zu reagieren.81 Nach Art. 23 SSR sind Leerverkaufsbeschränkungen für einzelne Handelstage bei signifikantem Kursverfall eines Finanzinstruments möglich, um den Markt und den Kurs des Finanzinstruments zu stabilisieren.82

An der gleichen Eignung des Circuit Breakers kann aber bereits deshalb gezweifelt werden, weil die BaFin nach Art. 23 SSR nur Maßnahmen für einen Teil der Handelsplätze erlassen könnte, vgl. § 53 Abs. 1 S. 1 WpHG, § 15 Abs. 7 BörsG. Abgesehen davon kann auch dem Circuit Breaker kein empirischer Nutzen für das Funktionieren des Finanzmarkts nachgewiesen werden.83

3. Fazit

Bereits wegen fehlender Eignung zur Marktstabilisierung stellt ein Leerverkaufsverbot nach Art. 20 SSR keine taugliche Reaktion auf eine SSA dar. Zudem liegt die Eingriffsschwelle des Art. 20 SSR sehr hoch, denn dieser erfordert ein systemisches Ereignis. Auf Grund einer SSA sollte die BaFin also nur dann eingreifen, wenn eine systemische Bedrohung für das Marktvertrauen in Deutschland dadurch erzielt wird, dass ein systemrelevanter Akteur in Folge einer SSA drastische Kurseinbrüche verzeichnet, oder wenn ein offensichtlicher Fall des Marktmissbrauchs vorliegt, weil dadurch nachhaltig das Vertrauen der Anleger in den Preisbildungsmechanismus geschädigt werden könnte. Auch Art. 23 SSR stellt keine Alternative zu Art. 20 SSR dar, um auf eine SSA zu reagieren.

C. Rechtsökonomische Würdigung des Rechtsschutzes

Welche Schlüsse lassen sich aus den bisherigen SSA auf deutsche Unternehmen, deren regulatorischer Erfassung und aufsichtsrechtlichen Konsequenzen also ziehen? Der europäische Gesetzgeber hat es zum Ziel der SSR und auch der


69 Mülbert (Fn. 68) S. 855, 858 f.; Schlimbach (Fn. 8), S. 196; Klingenbrunn, (Fn. 1), S. 214 f.

70 Abrufbar unter www.boerse.de, www.boerse.de/aktien/Wirecard-Aktie/DE0007472060

71 Handelsblatt v. 21.02.2019: Wirecard- Leerverkauf wäre keine Gefahr für den Finanzmarkt.

72 FAZ v. 26.02.2019: Erpressung im Fall Wirecard? Nr. 48, S. 22.

73 Opinion ESMA70-146-19, 18.02.2019.

74 Mülbert/Sajnovits, BKR 2019, 313, 320 (dortige Fn. 96).

75 Schlimbach (Fn. 8), S. 196; vgl. ebenfalls Mülbert (Fn. 68), S. 855, 859.

76 So auch Mülbert/Sajnovits, BKR 2019, 313, 321.

77 Döhmel, in: Assmann/Schneider/Mülbert (Fn. 20), § 6 WpHG Rn. 69.

78 Vgl. BaFin, (Fn. 66); Erwgr. 24 SSR.

79 Vgl. dazu D.II.2; ebenso: Mülbert/Sajnovits, BKR 2019, 313, 321.

80 Krit. zu Art. 23 SSR Sieder, ZBB 2019, 179; ausführlich Klingenbrunn (Fn. 1), S.247 f.

81 Die BaFin wies ausdrücklich darauf hin, dass Maßnahmen nach Art. 23 SSR nicht ebenso geeignet wären wie Maßnahmen nach Art. 20 SSR, BaFin, (Fn. 66).

82 Vgl. Klingenbrunn (Fn. 1), S. 248 f.

83 Vgl. Sieder, ZBB 2019, 179, 183; Yue, Effects of the Short Sale Circuit Breaker on the Stock Market, 2017, S. 24; ESMA’s technical advice on possible Delegated Acts concerning the regulation on shortselling and certain aspects of credit default swaps ((EC) No 236/2012), Annex III.

Czubayko, Regulierung von Leerverkäufen und Short Seller-Aktivismus16

MAR erklärt, zum Funktionieren des europäischen und der mitgliedschaftlichen Finanzsysteme beizutragen.84 Damit öffnete er die Tür für eine rechtsökonomische Bewertung des Rechts, denn Zielsetzung des Rechts und ökonomische Grundmaximen entsprechen sich.85

I. Würdigung des Transparenzregimes

Wie bereits erläutert zielen Meldepflichten und Veröffentlichungspflichten von NLP darauf ab, die Informationseffizienz des Finanzmarktes zu steigern.86 Im Rahmen einer SSA ist insbesondere wichtig, dass die Marktteilnehmer über das Interesse des Leerverkäufers am Kursverlust Kenntnis erlangen.87 Rechtsökonomisch ist dies potentiell sinnvoll, weil dadurch die Preiseffizienz erhöht wird und drastische Auswirkungen von SSA abgemildert werden könnten.

Wie der Fall Wirecard zeigt, ist der Nutzen der öffentlichen Informationen über NLP, die auf Grund der SSR gemeldet wurden, für die Anleger jedoch nicht besonders hoch. Im Zeitpunkt des Erlasses des Verbots lagen die öffentlichen NLP bei 2,06 %. Die tatsächliche Zahl muss deutlich höher gelegen haben, denn die BaFin verwies in der Begründung der Allgemeinverfügung auf besonders hohe NLP in Wirecard.88 Außerdem kann die Transparenz von Leerverkäufen bewirken, dass weitere Leerverkäufe durch Herdenverhalten ausgelöst werden und damit sogar die Situation im Fall einer SSA verschärfen.89 Hinsichtlich der Kontrollfunktion, die das Transparenzregime gewährleistet, ist zu ergänzen, dass dessen abschreckende Wirkung davon abhängt, wie effektiv marktmissbräuchliche SSA erfasst werden. Dazu sogleich.

II. Würdigung der Eingriffsbefugnis aus Art. 20 Abs. 1 SSR

1. Aus abstrakt rechtsökonomischer Perspektive

In der wirtschafts- und rechtswissenschaftlichen Literatur herrscht weitestgehend Einigkeit darüber, dass permanente Verbote einen ungeeigneten Regulierungsmechanismus von Leerverkäufen darstellen, weil diese konsequent alle Vorzüge von Leerverkäufen unterbinden und durch die Unterdrückung von Ordern einen gewaltigen Eingriff in den Preisbildungsprozess darstellen.90

Flexiblere Reaktionsbefugnisse zuständiger Behörden stellen hingegen ein weniger eingriffsintensives Mittel dar, um den Nachteilen von Leerverkäufen in besonders risikoreichen Situationen zu begegnen und auf angemessene Weise den Risiken eines marktmanipulativen Vorgehens und einer Abwärtsspirale durch Herdenverhalten zu begegnen.91 Doch hält auch ein befristetes Leerverkaufsverbot zu lange an, fließen negative Informationen langsamer (oder gar nicht) in die Preisbildung ein, die Preiseffizienz sinkt und Aktien könnten überbewertet werden,92 wodurch Preisblasen entstehen.

2. Aus empirischer Perspektive

Von empirischer Seite aus zeigen diverse Studien,93 dass kurzfristige Leerverkaufsverbote – ebenso wie langfristige Leerverkaufsverbote – negative Auswirkungen auf die Volatilität und Liquidität von Finanzmärkten haben und damit die Effizienz der Märkte reduziert haben, die von dem Verbot betroffen waren.94 Zudem konnte kein positiver Einfluss auf die Häufigkeit von extremen Kursfällen festgestellt werden, die Einflüsse waren vielmehr sogar geringfügig negativ.95 Diese Ergebnisse haben damit gezeigt, dass auch kurzfristige Verbote kein effizientes Mittel darstellen, um zur Finanzmarktstabilität beizutragen.96

3. Konkret aus dem Blickwinkel des Falles Wirecard

Im Nachlauf des Wirecard-Falles stellte sich heraus, dass die negative Berichterstattung im Rahmen der SSA nicht völlig substanzlos war.97 Ein Kursverlust der Wirecard-Aktie war also, soweit Anleger auf diese Informationen reagierten, bis zu einem gewissen Maß auch gerechtfertigt und bewirkte einen Appell an das Management, die Buchhaltung Wirecards transparenter zu gestalten.

Dies wirft die Frage auf, ob die BaFin durch das Verbot auf eine nicht wünschenswerte Weise den Kurs der Aktie beeinflusst hat. Denn als Unterdrückung gewisser Order stellt ein Verbot von Leerverkäufen, wenn es nicht gerechtfertigt ist, genau das dar: einen direkten Eingriff in den Preisbildungsmechanismus.98 Durch entsprechendes Eingreifen der Behörden kann der disziplinierende Einfluss, den Short Seller-Aktivisten ex ante wegen ihrer schnellen Umsetzung negativer Informationen durch Leerverkäufe haben,99 abgeschwächt werden.

Rechtsschutz vor SSA kann zudem nur dann auf angemessene Weise gewährt werden, wenn nicht durch


84 Vgl. Erwgr. 2 SSR; Erwgr. 2 MAR.

85 Kirchner/Koch, AK 1989, 111, 115; Möllers, AcP 2008, 1, 6; Harrer (Fn. 45), S. 54; Kalss (Fn. 8) § 20 Rn. 37; s. zu den Zielen von Finanzmarktregulierung allgemein Armour/Arwey/Davies/Enriques/Gordon/Mayer/Payne (Fn. 15), S. 52 f.

86 Vgl. Erwgr. 7 SSR; s. Payne, EBOR 2012, 413, 437.

87 So wohl auch Harrer (Fn. 45), S. 47 f.

88 S. Mülbert/Sajnovits, BKR 2019, 313, 316; Börsen-Zeitung v. 6.3.2019: Lehren aus Wirecard, S. 8.

89 Payne, EBOR 2012, 413, 437; Schlimbach (Fn. 8), S. 213.

90 Suttner/Kielholz, ORDO, 2011, 101, 106; Payne, EBOR 2012, 413, 436; Fleckner (Fn. 18), S. 625; vgl. Schlimbach (Fn. 8), S. 58, 200 und viele weitere.

91 S. Schlimbach (Fn. 8), S. 58, 200.

92 Suttner/Kielholz, ORDO, 2011, 100, 105.

93 London Stock Exchange, Opinion FSA CP 09/1, Temporary short selling measures, 09.01.2009; Helmes/Henker/Henker, The effect of the ban on short selling on market efficiency and volatility, 2011, S. 37; Schuppli/Bohl, Die Betriebswirtschaft (DBW) 2011, 406, 408; von Nitzsch/Kampfshoff, Zeitschrift für Betriebswirtschaft (ZBW) 2010, 1159, 1164.

94 Suttner/Kielholz, ORDO, 2011, 101, 106; Payne, EBOR 2012, 413, 439.

95 Suttner/Kielholz, ORDO, 2011, 101, 106; von Nitzsch/Kampfshoff, ZBW 2010, 1159, 1161.

96 Zum Effizienzkriterium vgl. Harrer (Fn. 45), 54 f. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip4, 2015, S. 41.

97 Süddeutsche Zeitung v. 15.04.2019: Wirecard: Auf Anweisung des Vorstands.

98 Fleckner (Fn. 18), S. 625.

99 Mülbert, ZHR 2018, 105, 112.

Czubayko, Regulierung von Leerverkäufen und Short Seller-Aktivismus17

ungerechtfertigte Maßnahmen der Behörde selbst das Marktvertrauen geschädigt wird.100

III. Würdigung des Rechtsschutzes durch die MAR

1. Aus abstrakt rechtsökonomischer Perspektive

Dass Leerverkäufe und SSA von der MAR umfasst werden, wenn sie marktmissbräuchlich sind, ist rechtsökonomisch ausschließlich wünschenswert, da einerseits Marktmanipulation eine Bedrohung für das Vertrauen der Marktteilnehmer darstellt und andererseits entsprechende Leerverkäufe keinen positiven Beitrag zum Preisbildungsprozess und der Preiseffizienz leisten.101 Regulierungen, die einzig missbräuchliche Leerverkäufe verbieten, sind folglich aus rechtsökonomischer Perspektive nicht zu beanstanden und werden der Einschätzung der herrschenden Meinung gerecht, dass Leerverkäufe unter normalen Umständen positive Einflüsse auf Finanzmärkte ausüben.102

2. Aus rechtstechnischer Perspektive

Ein großes Problem hinsichtlich der Erfassung von SSA durch Vorschriften der MAR stellt dar, dass die Subsumtion unter die Tatbestände der Marktmanipulation erhebliche Schwierigkeiten bereitet. An dieser Stelle besteht ein bereits vielfach in der Literatur bemängelter Normkonkretisierungsbedarf, der auf die europäische Rechtsharmonisierung zurückgeführt wird.103 Auch im Rahmen der Schnittstelle zwischen Anforderungen aus der Marktmissbrauchsverordnung und der Presse- und Meinungsfreiheit seien viele Fragen offengeblieben.104 Zusammen mit den bestehenden Beweisproblemen führe dies dazu, dass in Deutschland vor allem im internationalen Vergleich ein Durchsetzungsdefizit bezogen auf marktmissbräuchliche SSA vorliegt, was als Grund dafür angesehen wird, dass insbesondere ausländische Short Seller durch die bestehende Regulierung nicht abgeschreckt werden und deutsche Unternehmen deren Attacken weitestgehend ausgeliefert sind.105

D. Fazit

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Regulierung von Leerverkäufen jeder Art, solchen im Rahmen von SSA eingeschlossen, aus rechtsökonomischer Perspektive enge Grenzen zu setzen sind, weil außerhalb des Marktmissbrauchs nur wenig Anlass besteht, Leerverkäufe zu regulieren oder deren Wirkungen zu beeinflussen, da diese selbst zu Spekulationszwecken positive Effekte auf Finanzmärkte bewirken.106 Die bestehende Leerverkaufsregulierung löst folglich berechtigterweise kontinuierliche Kritik Rechts- und Wirtschaftsgelehrter aus.107 Dass trotzdem von unzureichendem Rechtsschutz gegenüber SSA gesprochen wird, ist zurückzuführen auf die Auslegungs-, Durchsetzungs- und Beweisprobleme insbesondere hinsichtlich der strafrechtlichen Verfolgung von SSA über die MAR.108

Um über eine direkte Regulierung von Leerverkäufen den Schutz gegenüber SSA weiter auszubauen, müssten Leerverkäufe entweder deutlich transparenter gemacht oder vollumfänglich verboten werden. Dass dies aber keinesfalls sinnvoll sein kann, wurde bereits dargelegt. Obgleich vielfach von der Literatur befürwortet,109 ist auch ein konsequentes Vorgehen der BaFin gegen eine SSA nach den Eingriffsbefugnissen der SSR deshalb nicht wünschenswert, da ein großes Risiko besteht, ungerechtfertigt in den Preisbildungsmechanismus einzugreifen und damit mehr Schaden als Nutzen zu bewirken.

Insgesamt ist ein Ausbau der aufsichtsrechtlichen Regulierung von Leerverkäufen somit kein sinnvoller Weg, um Marktteilnehmern einen größeren Schutz vor SSA zu gewähren. Im Gegenteil, bereits bestehende Regulierungen sind zu großen Teilen aus rechtsökonomischer Perspektive redundant.

Möglicherweise als Reaktion auf die festgefahrene Situation der aufsichtsrechtlichen Regulierung von Leerverkäufen versuchen aktuell Stimmen in der Literatur das private Enforcement als Regulierungsmechanismus110 für SSA fruchtbar zu machen. Es bleibt abzuwarten, ob dadurch ein „Shift“ zum private Enforcement für die Regulierung von Leerverkäufen eingeläutet werden wird.


100 Vgl. wohl Klingenbrunn (Fn. 1), S. 221.

101 Vgl. unter B.; S. außerdem Klöhn (Fn. 9), S. 56.

102 Mülbert/Sajnovits, BKR 2019, 313, 317.

103 Schmolke, AG 2016, 434, 440; Möllers, NZG 2018, 649, 654.

104 Möllers, NZG 2018, 649, 654.

105 Vgl. Möllers, NZG 2018, 649, 654; ähnlich auch Hasselbach/Rauch, BB 2019, 194, 198.

106 Mittermeier, ZBB 2010, 139, 140.

107 Z. B. Fleckner (Fn. 18), S. 624; Sieder, ZBB 2019, 179, 188f., u.v.m.

108 Vgl. Möllers, NZG 2018, 649, 654.

109 Möllers, NZG 2018, 649, 653; Mülbert, ZHR 2018, 105, 112 f.; Sieder, ZBB 2019, 179, 186.

110 Zum private Enforcement als Regulierungsmechanismus im Kapitalmarktrecht: Poelzig, ZGR 2015, 801; mit konkreten Vorschlägen Wentz, WM 2019, 196, 202 f. oder Mülbert/Sajnovits, BKR 2019, 313, 322 f.; vgl. insgesamt anschaulich Schockenhoff/Culmann, AG 2016, 517-529.