Integratives Recht

Dr. Johanna Croon-Gestefeld, LL.M.*, Dr. Gabriele Buchholtz** und Dr. Andreas Kerkemeyer***

Der Begriff „Integration“ ist derzeit in aller Munde. Auch im rechtlichen Diskurs spricht man verstärkt über die juristischen Rahmenbedingungen und Vorgaben der Integration von zugewanderten Menschen. Die zahlreichen rechtlichen Regelungen mit Bezug zur Integration lassen sich unter den Oberbegriff des „Integrativen Rechts“ fassen. Im Folgenden sollen vier Charakteristika des „Integrativen Rechts“, vier Vorzüge der Verwendung des Begriffs im juristischen Diskurs, vier Beispielsfälle und vier Anregungen für eine Forschungsagenda zum „Integrativen Recht“ dargestellt werden.

Das Zuwanderungsgeschehen im Spätsommer 2015 nimmt einen besonderen Platz im kollektiven deutschen Gedächtnis ein. Wird das Datum in Zeitungsartikeln oder Fernsehdebatten erwähnt, tauchen vor dem inneren Auge die Bilder von Menschen auf, die zu Tausenden mit der Hoffnung auf ein besseres Leben an den Bahnhöfen von Passau, München oder andernorts ankamen. Das Datum weckt auch Assoziationen, die sich auf den politischen Umgang mit dem Phänomen der Massenmigration beziehen. Angela Merkels „Wir schaffen das“ ist einer der prägenden Sätze. Aber auch die Debattenbeiträge, die die Weigerung der Grenzschließung als eine „Krise des Rechts“1 bezeichneten, sind in Erinnerung geblieben.

Begehrt eine Person in einem anderen Land Aufenthalt, stellen sich eine ganze Reihe juristischer Fragen: Hat sie einen Anspruch auf Aufenthalt? Wie lange ist dieser Aufenthalt zu gewähren? Wer trifft hierüber die Entscheidung? Und in welchem Verfahren? Diese und ähnliche Fragen werden im Migrationsrecht verhandelt. Davon abzugrenzen sind Regelungen, die nicht den Aufenthaltsstatus als solchen, sondern die „Eingliederung“ der Zugewanderten in die Aufnahmegesellschaft sicherstellen sollen. Diese sich anschließenden Regelungen setzen die rechtlichen Rahmenbedingungen der Integration. Sie haben Einfluss darauf, wie gut oder schlecht die Integration zugewanderter Menschen gelingt.

A. „Integratives Recht“: Ein Schlüsselbegriff

Bislang werden die rechtlichen Regelungen mit direktem oder indirektem Integrationsbezug unter keiner eigenständigen Kategorie zusammengefasst. Sie sollen nach dem hier unterbreiteten Vorschlag unter dem Oberbegriff des „Integrativen Rechts“ gebündelt werden. Dabei geht es weniger um „Integratives Recht“ als Rechtsgebiet „in the making“, sondern vielmehr um einen juristischen Schlüsselbegriff.2 Zwar ist Integration facettenreich und nicht eindeutig besetzt, dennoch lohnt es sich, eine nähere Einordnung vorzunehmen:

Unter dem Begriff „Integratives Recht“ versammeln sich alle Regelungen, die „integrationsspezifische Sachverhalte“ explizit oder implizit regeln. Die Fülle der Normen ist entsprechend groß. Davon erfasst sind alle Rechtsnormen, die auf „individuelle Integrationsprozesse“ – insbesondere auf eine gleichberechtigte Teilhabe am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben – sowie „auf die Fähigkeit und Bereitschaft der Mitglieder und Institutionen der Aufnahmegesellschaft zu Mitwirkung am Integrationsprozess direkt oder indirekt einwirken“.3 In normativer Hinsicht ist all jenen Regelungen eine Absage zu erteilen, die auf eine Assimilation hinwirken. Ein solcher Ansatz ist schon verfassungsrechtlich unzulässig, weil das Grundgesetz stets auch ein „Recht zum Anderssein“ garantiert.
\item „Integratives Recht“ muss notwendigerweise an Erkenntnisse der Nachbarwissenschaften über Integration ansetzen. Das sind vor allem die Soziologie, die Anthropologie und die Politikwissenschaften. Auf den mit Hilfe der Nachbarwissenschaften gewonnenen Erkenntnissen muss dann die juristische Beschäftigung mit Integration ansetzen. Um die bestehenden Regelungen zu systematisieren und zu analysieren, kann man etwa auf die so-


* Wissenschaftliche Assistentin bei Prof. Dr. Anne Röthel am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Privatrecht an der Bucerius Law School, Hamburg.

** Wissenschaftliche Assistentin bei Prof. Dr. Hermann Pünder, LL.M am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Verwaltungswissenschaften und
Rechtsvergleichung an der Bucerius Law School, Hamburg.

*** Wissenschaftlicher Assistent bei Prof. Dr. Jörn Axel Kämmerer am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Hillgruber, FAZ, 21.01.2016.

2 Baer, Schlüsselbegriffe, Typen und Leitbilder als Erkenntnismittel und ihr Verhältnis zur Rechtsdogmatik, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S. 223, 225.

3 Berlit, Flüchtlingsrecht in Zeiten der Krise, 2017, S. 102 f.

Croon-Gestefeld, Buchholtz und Kerkemeyer, Integratives Recht2

ziologischen Begriffe der Sozialintegration und der Systemintegration zurückgreifen. „Systemintegration“ beschreibt den Zusammenhalt eines sozialen Systems als Ganzes. Dagegen richtet „Sozialintegration“ den Fokus auf die einzelnen Menschen und deren Einbezug in ein bestehendes soziales System. Die beiden Prozesse bedingen einander insofern, als bei geringer Systemintegration auch nur wenig Sozialintegration stattfindet und umgekehrt.4
\item „Integratives Recht“ ist eine Querschnittsmaterie mit Anknüpfungspunkten im öffentlichen Recht (etwa Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsrecht, aber auch Religionsverfassungsrecht oder scheinbar weniger integrationsrelevante Rechtsbereiche wie etwa das Baurecht) und im Privatrecht (etwa Familienrecht oder privatrechtliche Gesetze des Nichtdiskriminierungsrechts). Es umfasst materielle Regelungen, etwa Vorgaben dazu, unter welchen Bedingungen Geduldete Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Darüber hinaus beinhaltet es formelle Regelungen: Beispielshalber stellen die Vorgaben zur Heranziehung von Dolmetschern in Gerichtsverfahren sicher, dass Parteien, die der deutschen Sprache nur eingeschränkt mächtig sind, die Verfahren nicht nur verfolgen, sondern auch aktiv mitgestalten können.
\item Im „Integrativen Recht“ geht es nicht nur um Gesetze und Rechtsprechung. Es geht auch um die tatsächliche Anwendung der Regelungen; kurzum: es geht auch um „Law in Action“. Wenn „Integratives Recht“ darauf ausgelegt ist, die gleichberechtigte Teilhabe von zugewanderten Menschen am sozialen Leben zu ermöglichen, so beginnt diese gleichberechtigte Teilhabe damit, ihnen nicht allein die Rolle des Adressaten rechtlicher Verhaltensvorgaben zuzuweisen, sondern sie in dem Prozess der Integration zu begleiten. Deshalb zeichnet sich die Arbeit von Verwaltung und Gerichten im Bereich des „Integrativen Rechts“ idealiter dadurch aus, dass sie Minderheitsangehörige zur eigenständigen Ausübung ihrer Rechte ermächtigt.

B. Der Mehrwert eines „Integrativen Rechts“

Nun stellt sich die Frage, welche Vorteile es bringt, von einem „Integrativen Recht“ zu sprechen. Braucht es das? Oder haben wir nicht schon genug Begrifflichkeiten zur Hand, mit denen man die im „Integrativen Recht“ zusammengefassten Regelungen treffend beschreiben kann? Und doch: „Integratives Recht“ in die Diskussion einzuführen, hat einen Mehrwert. Vier der Vorzüge, die mit einer Verwendung des Begriffs „Integratives Recht“ einhergehen, wollen wir näher erläutern.

Eine Bündelung einzelner Rechtsnormen unter der Bezeichnung „Integratives Recht“ ermöglicht ihre sinnvolle Systematisierung. Regelungen, die auf eine Förderung der Integration angelegt sind, sind – wie bereits dargestellt – im Recht weit verstreut. Sie finden sich unter anderem im Recht der Krankenversorgung, im Schulrecht, im Arbeitsrecht und in den Nichtdiskriminierungsvorschriften des allgemeinen Zivilrechtsverkehrs. Neben Vorschriften mit konkretem Verweis auf Integration gibt es auch Rechtsprechung, die unbestimmte Rechtsbegriffe im Kontext einer Integrationsförderung auslegt. Auch wenn zwischen den einzelnen Regelungen große Unterschiede im Detail bestehen, eint sie ihr Integrationsbezug, weshalb sie hinsichtlich ihrer Zielsetzung zumindest ein Mindestmaß an Kohärenz aufweisen müssen.
\item In engem Zusammenhang mit der soeben aufgezeigten Systematisierungsmöglichkeit steht der Vorzug des „Integrativen Rechts“, Verbindungen, Pfadabhängigkeiten oder Differenzen der einzelnen Regelungsmaterien aufzeigen zu können. Unter dem Obertitel des „Integrativen Rechts“ können die Inhalte, Methoden und Akteure, die das Recht verwendet oder adressiert, um Integration zu fördern, miteinander verglichen werden. Im Idealfall lassen sich aus diesen Vergleichen Aussagen darüber ableiten, ob ein Gesetz bzw. seine Anwendung mehr oder minder gelungen zur Integration beitragen.
\item Drittens akzentuiert die Bezeichnung das Integrationsmoment der Rechtsmaterien, die als „Integratives Recht“ zusammengefasst sind. Es macht sichtbar, dass es hier um die Förderung von Integration geht. Dies mag bei Vorschriften, wie § 28b HmbSchulG, der Aussagen über die „Integration von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund“ trifft, nicht unbedingt nötig sein. Hier ist der Integrationsbezug offensichtlich. In anderen Fällen jedoch trägt die Bezeichnung als „Integratives Recht“ zum besseren Verständnis der zugrundeliegenden Zielsetzungen bei. Wenn § 19 AGG die Benachteiligung aus Gründen der „Rasse“ oder wegen der ethnischen Herkunft oder Religion verbietet, so handelt es sich bei der Vorschrift zuallererst um eine Nichtdiskriminierungsvorschrift. Sie erschöpft sich aber nicht darin, Angriffe gegen die persönliche Integrität Diskriminierter als unzulässig zu bewerten. Der Norm liegt auch der Zweck zugrunde, soziale Inklusivität und mithin die Integration in die Gesellschaft zu fördern. Und wenn Art. 3 Abs. 3 GG rassistische Diskriminierungen verbietet, erschöpft sich dieses Verbot nicht in der rein normativen Dimension. Es wirkt ebenso „symbolisch“, indem es einen demokratischen Grundkonsens ausbuchstabiert, der eben auch in der rechtlichen Egalität aller Herrschaftsunterworfenen besteht.
\item Schließlich liefert die Bezeichnung „Integratives Recht“ Raum für einen kritischen Diskurs und Reformvorschläge. Gesetze und Rechtsprechung, die dem „Integrativen Recht“ zugeschlagen werden, können dahingehend analysiert werden, ob sie Integration fördern oder aber zu (sozialen) Ausschlüssen führen. Denkbar sind Regelungen, die an sich die gleichberechtigte Teilhabe am sozialen Leben ermöglichen sollen, aufgrund ihrer komplizierten Ausgestaltung aber nicht integrationsfördernd wirken. Auch weil das „Integrative Recht“ den Vergleich mit ähnlich gelagerten Rechtsmaterien erleichtert (vgl. Vorteil Nr. 2), lassen sich mit seiner Hilfe Defizite oder Leerstellen im Recht besser benennen.


4 Diese wichtige Unterscheidung geht zurück auf Lockwood, Social Integration and System Integration, in: Zollschan/Hirsch (Hrsg.), Explorations in Social Change, London 1964, S. 244, 245. Siehe auch Esser, Soziologie. Spezielle Grundlagen, 2. Bd., 2002, S. 261 ff.

Croon-Gestefeld, Buchholtz und Kerkemeyer, Integratives Recht3

C. Vier Beispiele für „Integratives Recht“

Nachdem wir vorgestellt haben, was „Integratives Recht“ ausmacht und warum es sich lohnt, das „Integrative Recht“ in den juristischen Begriffskanon aufzunehmen, ist es an der Zeit, das Potenzial des „Integrativen Rechts“ anhand von vier Beispielsfällen zu erläutern.

Die Landesgesetzgeber haben Integrationsgesetze erlassen, mit denen sie die Integrationsprozesse von zugewanderten Menschen steuern möchten. Die Bundesländer verfolgen mit ihren Integrationsgesetzen aber zuweilen recht unterschiedliche Leitideen. Während das Bayerische Integrationsgesetz5 im Ausgangspunkt die Eigenständigkeit der „eigenen“ Kultur und die Integrationsverantwortung der Zugewanderten betont, würdigt das Partizipations- und Integrationsgesetz des Landes Berlin6 Integration als „gesamtgesellschaftlichen Prozess“ (§ 1 Abs. 2). Eine umfassende rechtswissenschaftliche Bewertung der Integrationsgesetze muss mehrdimensional angelegt sein. Sie muss zum einen den verfassungsrechtlichen Rahmen im Blick behalten. Dieser ist zwar nicht starr, er verbietet aber einseitige Assimilationskonzepte, weil die Grundrechte gerade das Recht zur Andersartigkeit verbürgen. Zum anderen darf bei der rechtswissenschaftlichen Bewertung die soziologische Perspektive nicht fehlen, um ein grundlegendes Verständnis über die Wirkpotenziale integrationsfördernder Maßnahmen zu erlangen.
\item Auch das Schadensrecht, eines der klassischen Kerngebiete des Bürgerlichen Rechts, bleibt von Migrationsphänomenen nicht unberührt. Auf den ersten Blick sind die Schadensersatzbestimmungen (insbes. §§ 249 ff. BGB) integrationsneutral. Diese Einschätzung ändert sich aber, wenn man auf die Bemessung von Ersatzansprüchen für immaterielle Schäden eingeht. Hier kann es sich durchaus anbieten, kulturelle Eigenheiten der Geschädigten zu berücksichtigen. So hat etwa das OLG Oldenburg in dem Fall einer ohne Einwilligung erfolgten Sterilisation entschieden, dass sich der Umstand, dass die Geschädigte Türkin yezidischen Glaubens ist, schmerzensgelderhöhend auswirkt.7 Das Gericht erachtete es für naheliegend, dass die Geschädigte „der Geburt eines männlichen Nachkommen besondere Bedeutung“8 beimesse.
\item Das Religionsverfassungsrecht ist heute ein schon fast klassisches Feld für die Verhandlung integrationsrechtlicher Fragestellungen. Ihm kommt in einer pluralistischen Gesellschaft auch die Bedeutung zu, die ungestörte und gleichberechtigte Religionsausübung zu sichern. Da das Religionsverfassungsrecht eine lange Historie hat, stellt sich hier vor allem die Frage, ob die bestehenden Regelungen Minoritätsreligionen benachteiligen und ob das Religionsverfassungsrecht ggf. weiterzuentwickeln ist.
\item Das Nichtdiskriminierungsrecht ist ein weiterer Rechtsbereich, in dem (auch) integrationsrelevante Fragestellungen verhandelt werden. Zwar ist seine Stoßrichtung vornehmlich eine negative; Diskriminierungen sollen verhindert werden. Dass Diskriminierungen aber effektiv verhindert werden, ist eine Grundvoraussetzung für gelingende Integration, weil nur sie sicherstellt, dass eine zumindest annähernd gleiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, sei es etwa bei Freizeitveranstaltungen oder bei der Wohnungssuche, ermöglicht wird. Hierbei ist insbesondere von Belang, inwieweit das Bestreben, strukturelle Benachteiligungen abzubauen, auch Maßnahmen erlaubt, die auf die Förderung „vulnerabler Gruppen“ zielen.

D. Ausblick für zukünftige Forschungsvorhaben

Zum Abschluss soll eine Forschungsagenda zum „Integrativen Recht“ skizziert werden. Dabei handelt es sich um einen Ausblick, der andeutet, wie die Rechtswissenschaft den Begriff des „Integrativen Rechts“ für ihre Analysen nutzen kann. Hier können mindestens die folgenden vier Wege eingeschlagen werden:

Zunächst gilt es, eine Kartographie des „Integrativen Rechts“ zu erstellen. Das Recht sollte vermessen und dahingehend untersucht werden, ob und inwiefern Bezüge zur Integration bestehen. Dafür können die Gesetzgebung, die Verwaltungspraxis und die Rechtsprechung in den Blick genommen werden.
Nachdem auf dieser Grundlage eine „Landkarte“ des „Integrativen Rechts“ erstellt worden ist, können bestehende Querverbindungen zwischen den einzelnen Rechtsmaterien aufgezeigt werden. Beispielshalber kann der sozialrechtliche Anspruch auf Unterkunft mit den baurechtlichen Vorschriften für die Errichtung von Asylunterkünften und den nichtdiskriminierungsrechtlichen Vorschriften des Mietrechts in Verbindung gesetzt werden. Ebenso lässt sich die Verzahnung zwischen Sprachförderregelungen in Integrationsgesetzen und Schulgesetzen analysieren.
Darauf aufbauend kann in einen Vergleich der verschiedenen Rechtsmaterien eingetreten werden. So können Gemeinsamkeiten und Unterschiede besser benannt werden. Außerdem lassen sich wohl möglich übergreifende Beobachtungen über die beteiligten Akteure und die angewandten Methoden anstellen. Auf diese Weise können Systemwidrigkeiten zu Tage gefördert und Reformen eingeleitet werden. Ferner ermöglicht ein solches „In-Beziehung-Setzen“ die Übertragung von Integrationskonzepten in andere Rechtsgebiete.
\item Aus rechtstheoretischer Perspektive ist noch stärker als bisher darüber nachzudenken, was im rechtlichen Kontext unter Integration zu verstehen ist. In den Nachbarwissenschaften wird der Begriff „Integration“ zuweilen sehr kritisch gesehen. Die Kritik moniert (stark vereinfacht), dass durch den Integrationsbegriff selbst die Gesellschaft in Integrierte und Integrationsbedürftige eingeteilt werde. Hierdurch würde der Integrationsdiskurs


5 Bay. GVBl. 2016, 335.

6 Berl. GVBl. 2010, 560.

7 OLG Oldenburg NJW-RR 2007, 1468.

8 Ebd., 1468, 1469.

Croon-Gestefeld, Buchholtz und Kerkemeyer, Integratives Recht4

eine Andersartigkeit der Integrationsbedürftigen postulieren, die einer Normalisierung von migrationsbedingter Vielfalt im Wege stünde9 bzw. den Integrationsbedürftigen gewisse Leistungspflichten auferlege10. Daneben lässt sich angesichts einer stark fragmentierten Gesellschaft fragen, ob die Konstruktion der bereits Integrierten nicht zu Homogenisierungen führt, die die gesellschaftliche Realität ebenfalls karikieren. So bestehen erhebliche Unterschiede zwischen alternativen Milieus in urbanen Ballungsräumen und dem Milieu der Performer. Aus dieser Kritik gilt es zu lernen und im rechtlichen Diskurs nicht die Fehler zu wiederholen, die bereits andernorts sichtbar geworden sind. Das „Integrative Recht“ muss also auf einem Verständnis von Integration aufbauen, das die Förderung von Integration nicht mit der Forderung von Assimilation verwechselt.

Ein so verstandenes „Integratives Recht“ leistet dem juristischen Diskurs über die Integration zugewanderter Menschen einen großen Dienst. Zunächst lädt das „Integrative Recht“ zu einer interdisziplinären Betrachtung ein und trägt dem Anspruch eines gesellschaftsrelevanten Rechts in besonderer Weise Rechnung. Ferner dient das „Integrative Recht“ der Systematisierung der zahlreichen integrationsrelevanten Regelungen und hilft dabei, Systemwidrigkeiten zu Tage zu fördern und Reformen anzuleiten.


9 Georgi, DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung (DIE) 2015, 25.

10 Kunz, Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (ZAR) 2018, 107, 112.