Die Haftung in der Lieferkette

Nina Czubayko*

A. Einführung

I. Hintergrund

Immer wieder stehen global agierende Gesellschaften unter Kritik, über ihre Lieferbeziehungen an Menschenrechtsverletzungen1 beteiligt zu sein.2 In Deutschland hat die Frage nach einer Außenhaftung deutscher Gesellschaften3 für durch Zulieferbetriebe begangene Menschenrechtsverletzungen durch den Prozess überlebender Arbeitnehmer des pakistanischen Zuliefererunternehmens Ali Enterprises nach einem verheerenden Brand in deren Produktionshalle gegen das Textilunternehmen „KiK“ (Kunde ist König) vor dem LG Dortmund an Brisanz gewonnen.4 Die Kläger warfen KiK vor, wegen seiner erheblichen Einflussmöglichkeit auf die Produktionsstandards von Ali Enterprises für die Schäden mitverantwortlich zu sein.5 Diese internationalen Verfahren sind inzwischen keine Seltenheit mehr. Auf Grund der fortschreitenden Globalisierung sind Großunternehmen mehr und mehr in internationale Zulieferernetze eingebunden, um eine Senkung der Produktionskosten durch die Ausnutzung von Standortvorteilen im Ausland zu erreichen.6 Dies erstreckt sich branchenübergreifend über viele Industriezweige weltweit.7

II. Herleitung des Problems

Im Rahmen dieser globalen Lieferketten kommt es zu sog. „Governance Gaps“.8 Das Auftraggeberunternehmen ist territorial nicht für die Einhaltung der Menschenrechte in den Produktionsländern zuständig und die Unternehmen im produzierenden Staat müssen faktisch auf Grund der politischen und/ oder wirtschaftlichen Verhältnisse keine Verantwortung übernehmen.9 Das international agierende Unternehmen ist auch nicht unmittelbar durch völkerrechtliche Regelungen zur Förderung der Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet,10 vielmehr sind menschenrechtliche Belange bisher im Rahmen der Corporate Social Responsibility (CSR)11 Bestandteil einer vornehmlich freiwilligen Governance.12 Die „Governance Gap“ wird darüber hinaus begünstigt durch die bloß schuldrechtliche Beziehung rechtlich unabhängiger Unternehmen13 und die kollisionsrechtlichen Vorschriften der Rom-I- und Rom-II-Verordnungen, die i.d.R. ausländisches Recht berufen.14 Infolge dessen bestehen kaum Möglichkeiten, den Opfern von Menschenrechtsverletzungen unmittelbare Ausgleichsansprüche zu gewähren.15

Dieser Beitrag setzt sich mit der Frage auseinander, ob deutsche Gesellschaften haftbar gemacht werden können oder sollten, wenn sie Menschenrechtsverletzungen im Rahmen ihrer Lieferkette mitverursachen.16 Im Folgenden wird das Für und Wider der Haftung von Gesellschaften in Lieferketten diskutiert (B), um anschließend das Erfordernis einer Gesetzesreform zu thematisieren (C). Der Beitrag endet mit einem kurzen Fazit (D). Die Gedanken in Abschnitt B beruhen auf der Prämisse der Anwendbarkeit deutschen Rechts.

B. Das Für und Wider einer Lieferantenhaftung

Die Antwort auf die Frage, ob deutsche Gesellschaften für Menschenrechtsverletzungen ihrer ausländischen Zulieferunternehmen haften sollten, wird zunächst anhand von ethischen, völkerrechtlichen und ökonomischen Erwägungen entwickelt, um dann die Vereinbarkeit einer entsprechenden Haftung mit den Prinzipien des deutschen Gesellschafts- und Deliktsrechts zu beleuchten.

I. Völkerrechtliche und ökonomische Erwägungen

1. Bestehen einer globalen Verantwortung deutscher Gesellschaften

a) Moralische Überlegungen

Eine Studie der Universität Maastricht hat ergeben, dass deutsche Gesellschaften zu denjenigen Unternehmen weltweit gehören, denen am zahlreichsten Beteiligungen an Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.17


* Die Autorin ist Studentin der Bucerius Law School, Hamburg. Der Beitrag stellt eine gekürzte und überarbeitete Fassung ihrer Seminararbeit dar.

1 Unter einer Menschenrechtsverletzung versteht dieser Beitrag die eklatante Missachtung der Rechte, wie sie insb. durch die allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 spezifiziert wurden, vgl. Habersack/Ehrl, AcP, 2019, 155, 170.

2 Vgl. ECCHR/Brot für die Welt/Misereor, Unternehmen zur Verantwortung ziehen – Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen, www.brot-fuer-die-welt.de (letzter Abruf: 10.06.2019).

3 Dieser Beitrag geht von der Prämisse aus, dass der Großteil der dt. Großunternehmen als AG operieren.

4 S. LG Dortmund, Pressemitteilung v. 30.08.2016; LG Dortmund v. 29.08.2016- 7 O 95/15 (Juris).

5 Weller/Thomale, ZRG, 2017, 509, 513.

6 Vgl. Klinger/Krajewski/Krebs/Hartmann, Verankerung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen im deutschen Recht (Gutachten), 2016, 1, www.germanwatch.org (letzter Abruf: 24.09.2019).

7 Vgl. Wiedmann, BB-Standpunkt v. 13.02.2018; Feld/Franken, Menschenrechte: Unterdrückt und vertrieben, v. 02.06.2015, www.boell.de (letzter Abruf: 24.09.2019); Haas, Süddeutsche Zeitung v. 13.05.2013: Blut-Klamotten aus Arbeit ohne Würde.

8 Vgl. Rühmkorf, ZGR, 2018, 410, 414-415.

9 Weller/Thomale, ZRG, 2017, 509, 514-515.

10 Thomale/Hübner, JZ, 2017, 385, 387; Rühmkorf, ZGR, 2018, 410, 425; Habersack/Ehrl, AcP, 2019, 155, 170.

11 CSR bezeichnet vereinfacht die Unternehmensverantwortung für soziale, gesellschaftliche und Umweltbelange, vgl. Spießhofer, NZG, 2018, 441, 442.

12 Vgl. Rühmkorf, ZGR, 2018, 410, 414.

13 Rühmkorf, ZGR, 2018, 410, 414.

14 Alternativanknüpfungen werden diskutiert von: Thomale/Hübner, JZ, 2017, 385, 390-393; Hübner, in: Krajewski/Oehm/Saage-Maaß (Hrsg.), Zivil- und strafrechtliche Unternehmensverantwortung für Menschenrechtsverletzungen, 2018, 13, 25; Habersack/Ehrl, AcP, 2019, 155, 181-190.

15 Vgl. Weller/Thomale, ZRG, 2017, 509, 515.

16 Vgl. Weller/Thomale, ZRG, 2017, 509, 515.

17 Kamminga, Business and Human Rights Journal (BHRJ), 2016, 95, 102.

Czubayko, Die Haftung in der Lieferkette66

Dass weltweit die Menschenrechte gewahrt werden und insbesondere international tätigen Unternehmen eine Verantwortung auferlegt wird, in besonderer Weise die Einhaltung menschenrechtsfreundlicher Standards zu fördern, ist aus moralischer Perspektive ohne Zweifel erstrebenswert. Es erscheint nicht gerecht, dass die Industrieunternehmen, die den volkswirtschaftlichen Vorteil aus der Produktion in Entwicklungsländern ziehen, in keiner Weise mit den damit verbundenen Sozial- und Haftungsrisiken konfrontiert werden.18 Dass Gesellschaften im Ausland außer Stande sind, Menschenrechte zu schützen, und in den meisten Industriestaaten keine Notwendigkeit besteht, Maßnahmen zur Sicherung von Menschenrechten zu ergreifen, weil die Staaten ihren menschenrechtsbezogenen Schutzauftrag vollumfänglich wahrnehmen, sollte die in wohlhabenden Industriestaaten ansässigen Unternehmen nicht von jeglicher Verantwortung freistellen, so sie einen entsprechenden Kausalbeitrag zu Menschenrechtsverletzungen leisten.

b) Entwicklung von internationalem und völkerrechtlichen CSR-„Soft-Law“

Die wachsende Erkenntnis, dass international agierende Unternehmen nicht zu ausbeuterischen Bedingungen in Entwicklungsländern produzieren sollten, zeigt sich in der zunehmenden Bedeutung von CSR. 2011 wurde mit den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNLP)19 eine neue Ära der Beziehung von Menschenrechten und Wirtschaft eingeläutet: Sie schaffen ein System, dass auf dem Schutz, der Achtung und der Wiedergutmachung von Menschenrechtsverletzungen durch internationale Unternehmen beruht (Protect, Respect, Remedy).20 Auf EU-Ebene wurde 2014 die CSR-Richtlinie21 erlassen, welche Unternehmen eine verbindliche Berichterstattungspflicht dahingehend auferlegt, ihre Konzepte oder das Nichtbestehen von Konzepten in Hinblick auf Menschenrechtsbelange offenzulegen. Die CSR-Richtlinie wurde u.a. damit begründet, dass auf einen Übergang zu einer nachhaltigen globalen Wirtschaft hingestrebt werde, die langfristig Rentabilität mit sozialer Gerechtigkeit und Umweltschutz verbindet.22 Von einer zunächst rein freiwilligen Verantwortung, wird CSR immer mehr in verbindliche Rechtsvorschriften gegossen, weil reine private Governance23 der Bedeutung und Verantwortung nach internationalem Verständnis nicht gerecht zu werden scheint.24 Im internationalen Kontext werden private Gesellschaften immer mehr als Subjekte von menschenrechtsbezogenen Pflichten anerkannt25 , was für eine Verantwortung global agierender Unternehmen spricht.

2. Ökonomische Erwägungen

Aus wettbewerbspolitischer Sicht liegen die Nachteile einer gesteigerten Verantwortung der Auftraggeberunternehmen auf der Hand: Für die Unternehmen wäre eine Ausweitung des Haftungsrisikos mit einer Kostensteigerung verbunden, wodurch eine Benachteiligung gegenüber Gesellschaften ohne vergleichbares Risiko bestünde.26

Infolgedessen würde sich auch der Verbraucherpreis erhöhen, was sich in einem niedrigeren Anteil am Markt realisieren würde.27 Reicht die Kostensteigerung so weit, dass sich das deutsche Unternehmen aus einem Entwicklungsland zurückziehen muss, so könnten im Produktionsland Arbeitsstellen wegfallen. Dies wäre nicht erstrebenswert, denn die Zusammenarbeit mit Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern bringt unstreitig auch positive Einflüsse auf das Wirtschaftswachstum mit sich.28 Insofern wird argumentiert, dass eine zu strenge nationale Haftung dazu führen könnte, dass deutsche Gesellschaften, die bereits durch private Governance und gesellschaftlichen Druck der Öffentlichkeit gewisse Menschenrechtsstandards wahren, durch aggressivere ausländische Unternehmen substituiert werden, wodurch sich in der Realität die Situation in den Produktionsländern weiter verschärfen könnte.29 Dieses Argument lässt sich jedoch deshalb relativieren, weil sich in vielen internationalen Rechtsordnungen der Trend durchsetzt, Vorschriften zu strengerer internationaler Unternehmensverantwortung einzuführen.30

3. Zwischenfazit

Aus ethischer und völkerrechtlicher Perspektive spricht viel dafür, dass deutsche Unternehmen eine Verantwortung für die menschenrechtlichen Standards im Rahmen ihrer Lieferkette treffen sollte. Dabei sollten sie jedoch nicht durch eine Generalhaftung einen solchen Wettbewerbsnachteil erleiden, der es ihnen unmöglich macht, in Drittstaaten zu produzieren. Ob eine unmittelbare Außenhaftung der Gesellschaften ein erstrebenswertes Mittel ist, um dieser Verantwortung gerecht zu werden, und falls ja, wie diese gestaltet sein sollte, wird nachfolgend diskutiert.

II. Vereinbarkeit einer unmittelbaren Außenhaftung mit deutschem Zivilrecht

Stellte sich eine Außenhaftung als Fremdkörper im deutschen Rechtssystem dar, so spräche dies gewichtig gegen eine entsprechende Haftungskonstruktion. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, eine Außenhaftung herzuleiten.


18 Vgl. Klinger/Krajewski/Krebs/Hartmann, (Fn. 6), 43-44; Habersack/Ehrl, AcP, 2019, 155, 161.

19 Abrufbar unter: www.unglobalcompact.org; auf nationaler Ebene folgte 2016 der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte, Habersack/Ehrl, AcP, 2019, 155, 176-177.

20 Vgl. Paschke, RdTW, 2016, 121, 122. S. Abschnitt B, Art. 3, Art. 11, UNLP.

21 RL 2014/95/EU v. 22. Oktober 2014. In Deutschland in den §§ 289b ff., 315b ff. HGB umgesetzt.

22 Fleischer, in Spindler/Stilz (Hrsg.), Aktiengesetz4, 2019, § 76 Rn. 42a.

23 Private und ökonomisch gesteuerte (freiwillige) Regulierung, Rühmkorf, ZGR, 2018, 410, 413.

24 Rühmkorf, ZGR, 2018, 410, 414.

25 Thomale/Weller, ZGR, 2017, 509, 515.

26 Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 781.

27 Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 781.

28 Vgl. Habersack/Ehrl, AcP, 2019, 155, 160; s. Weiß/Sachs/Weinelt, Globalisierungsreport 2018, www.bertelsmann-stiftung.de (letzter Abruf: 26.09.2019).

29 Mit Verweis auf das Alien Tort Statute, s. Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 781.

30 Vgl. C.II.

Czubayko, Die Haftung in der Lieferkette67

1. Haftungskonstruktion durch Vertrag (mit Schutzwirkung) zugunsten Dritter

Eine Haftung über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist dogmatisch nur schwer zu begründen.31 Im Rahmen eines herkömmlichen Liefervertrags zwischen der deutschen Gesellschaft und dem ausländischen Produzenten würde eine Schutzpflicht an die Erbringung der vertragstypischen Leistung – also die Lieferung – anknüpfen und deshalb den Zulieferer und nicht den Auftraggeber treffen.32

Im Rahmen der KiK-Klage argumentierten die Kläger, dass die pakistanischen Arbeitnehmer in den Schutzbereich des Vertrags zwischen dem Zuliefererunternehmen und KiK einbezogen seien, weil KiK sich im Rahmen seines Code of Conducts Kontrollberechtigungen vorbehalten habe. Aus einer bloßen Kontrollberechtigung ist jedoch nur schwer ein Rechtsbindungswille ableitbar, der ein Valutaverhältnis i.S. eines Vertrags zugunsten Dritter zwischen den Arbeitnehmern und KiK begründen würde, § 328 II BGB.33 I.d.R. ist die Ableitung einer Kontrollpflicht somit abwegig.34

2. Deliktische Haftung des Käuferunternehmens

Auch eine Einordnung der Auftragnehmergesellschaft als Verrichtungsgehilfin der Käufergesellschaft gem. § 831 BGB ist nicht möglich, da die ausländische Gesellschaft ein weisungsunabhängiges Unternehmen darstellt, das nicht in die Arbeitsorganisation des Auftragsunternehmens eingegliedert ist.35 Die Kläger vor dem LG Dortmund argumentierten abweichend vom bisherigen Verständnis, dass bereits die „wirtschaftliche Abhängigkeit“ des Zulieferers von dem deutschen Unternehmen für die Haftung nach § 831 BGB ausreichend sei.36 Eine Haftung einzig auf Grund von wirtschaftlicher Abhängigkeit liefe jedoch dem klaren Gesetzeswortlaut des § 831 BGB und den in der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen der Deliktsorganisationshaftung entgegen.37 Auch aus Gründen fehlender Rechtsklarheit des Begriffs „wirtschaftliche Abhängigkeit“ ist das Kriterium abzulehnen.38 Selbst bei a.A. würde ein Anspruch meist an den niedrigen Hürden einer Exkulpation der Auftraggebergesellschaft scheitern.39

Eine deliktische Haftung nach § 823 II BGB gegenüber der deutschen Gesellschaft wegen der unmittelbaren Verletzung völkerrechtlicher Menschenrechtsgewährleistungen scheitert daran, dass Menschenrechten keine horizontale Schutzrichtung zwischen Bürgern zukommt.40

Die naheliegendste Haftungsnorm stellt somit § 823 I BGB dar. Die danach erforderliche Rechtsgutsverletzung stellt typischerweise kein Problem dar, denn die Menschenrechtskataloge schützen weitestgehend dieselben Rechtsgüter wie das deutsche Deliktsrecht.41 Da die deutsche Gesellschaft die Menschenrechtsverletzungen nicht unmittelbar selbst begeht, müsste sie eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht in Bezug auf das Verhalten oder die Kontrolle des Zuliefererunternehmens treffen und diese müsste missachtet werden.

3. Vereinbarkeit einer Menschenrechtsverpflichtung mit den Prinzipien des deutschen Gesellschaftsrechts

Fraglich ist, ob sich eine entsprechende Sorgfaltspflicht in die Prinzipien des deutschen Gesellschaftsrechts einfügen oder sich aus diesen herleiten lässt.

a) Abkehr von der Gesellschaft als Privatrechtssubjekt?

Probleme bei der Herleitung einer solchen Sorgfaltspflicht könnten zunächst die grundlegenden Prinzipien der Autonomie von Gesellschaften bereiten: Eine privatrechtliche Gesellschaft darf sich selbst frei organisieren und frei Verträge abschließen, solange sie selbst dabei das Recht einhält.42 Nicht ohne Grund wird zwischen der prinzipiell grundrechtsverpflichteten juristischen Person des öffentlichen Rechts und der grundrechtsberechtigten juristischen Person des Privatrechts unterschieden.43 Mit der Einführung von Sorgfaltspflichten in Lieferketten würden der Gesellschaft innerhalb ihrer Vertragsbeziehungen ihre Vertragsgestaltungsfreiheit und Organisationsfreiheit eingeschränkt. Die privatrechtliche Gesellschaft würde teilweise als Wahrer öffentlicher Belange verstanden.44 Diese Entwicklung ist dem Gesellschaftsrecht jedoch nicht fremd. Schon länger nimmt das öffentliche Recht z.B. Einfluss auf die ordnungsgemäße Unternehmensorganisation mit Bezug auf umweltrechtliche Belange oder ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit.45 Spätestens mit der Einführung des Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung und der Frauenquote, ist klar, dass das Gesellschaftsrecht zunehmend zur Verfolgung von sozialpolitischen Zielen eingesetzt wird.46 Begleitet durch die zunehmende Bedeutung der CSR hat folglich bereits eine Entwicklung stattgefunden, die für die Möglichkeit der Berücksichtigung von menschenrechtlichen Belangen durch das Gesellschaftsrecht spricht.

b) Prinzipielle Gemeinwohlausrichtung von Kapitalgesellschaften?

Erwogen wird, eine menschenrechtliche Verantwortung aus einer generellen (historisch bedingten) gemeinwohlorientierten Natur von Kapitalgesellschaften abzuleiten. Bereits im Rahmen des „Octroi“- Systems des preußischen allgemeinen Landrechts wurde die Verfolgung eines fortdauernden gemeinnützigen Zwecks vorausgesetzt, damit


31 Thomale/Hübner, JZ, 2017, 385, 393.

32 Habersack/ Ehrl, AcP, 2019, 155, 191.

33 A.A.: Heinelein, NZA, 2018, 276, 280-281.

34 Thomale/Hübner, JZ, 2017, 385, 393.

35 Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 759; Spießhofer, in: Krieger/Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung3, 2017, Rn. 39; Thomale/Hübner, JZ, 2017, 385, 393; Fleischer/Danniger, DB, 2017, 2849, 2855-2856.

36 LG Dortmund v. 29.8.2016- 7 O 95/15 (Juris).

37 Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 772; vgl. detailliert unter B. II. 4. c).

38 Hübner (Fn. 14), S. 19.

39 Thomale/Hübner, JZ, 2017, 385, 393; Hübner (Fn. 14), S. 19.

40 Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 755-756; Weller/Kaller/Schulz, AcP, 2016, 387, 406; Hübner (Fn. 14), S. 20.

41 Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 753.

42 Weller/Kaller/Schulz, AcP, 2016, 387, 402.

43 Papier/Shirvani, in: Maunz/Düring (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar86 EL, 2019, Art. 14 GG Rn. 331-332.

44 Vgl. Habersack/Ehrl, AcP, 2019, 155, 207.

45 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht4, 2002, S. 9.

46 Vgl. Hübner, in: Krajewski/Saage-Maaß (Hrsg.), Die Durchsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen, 2018, S. 80.

Czubayko, Die Haftung in der Lieferkette68

eine Gesellschaft inkorporiert werden durfte.47 An diesem Leitkonzept wurde in verschieden starker Form festgehalten, bis mit der Einführung des §76 I AktG einer vorrangig gemeinnützigen Ausrichtung der AG eine Absage erteilt48 und einem interessenpluralistischeren Ansatz der Vorrang gewährt wurde.49

Aus den §§ 76, 93 AktG entstammenden Geschäftsleiterpflichten kann zwar keine Außenhaftung abgeleitet werden, aber gleichwohl kann deren Konzeption für oder gegen eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht sprechen.

Dagegen spräche, wenn die Ausgestaltung der §§ 76, 93 AktG die Bevorzugung der Anteilseignerinteressen vorschriebe, denn dann bestünde kaum ein Handlungsspielraum der Leitungsorgane, Unternehmensentscheidungen an menschenrechtlichen Belangen auszurichten.50 Im deutschen Aktienrecht gilt die Business Judgment Rule (BJR), was vereinfacht gesagt bedeutet, dass der Vorstand seine unternehmerischen Entscheidungen hauptsächlich am Unternehmensinteresse auszurichten hat und Schäden der Gesellschaft abzuwenden sind. 51 Im Rahmen des Unternehmensinteresses und der BJR ist die Diskussion des Vorrangs von Shareholder Value oder Stakeholder Value52 inzwischen soweit abgeklungen, dass mehrheitlich von einem interessenpluralistischen Ansatz ausgegangen wird, wobei vordergründig die langfristige Rentabilität des Unternehmens sicherzustellen ist.53 Diese Zielsetzung befindet sich in einem Spannungsfeld mit den Kostensteigerungen, die damit einhergehen würden, dass in Organisationsabläufen menschenrechtliche Belange berücksichtigt werden müssten. Es ließe sich zwar erwägen, aus der Einführung der CSR-RL eine um soziale Belange ergänzte, veränderte Ausrichtung der BJR abzuleiten,54 eine solche Veränderung der BJR reicht allerdings zu weit, um sie ohne ausdrückliches Vorgehen des Gesetzgebers implizit herzuleiten. Auch die Aufnahme des Prinzips des „Ehrbaren Kaufmannes“,55 in die Präambel des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), eignet sich angesichts dessen unverbindlichen Charakters nicht als Begründung für eine entsprechende Neuinterpretation der Unternehmensleitungspflichten.

Es bleibt also bei einer Spannung zwischen Unternehmensinteresse nach aktuellem Verständnis und der Berücksichtigung menschenrechtlicher Belange. Kapitalgesellschaften sind nicht in einer Form auf das Allgemeinwohl ausgerichtet, die es begründen würde, daraus menschenrechtliche Sorgfaltspflichten über die Sphäre der eigenen Gesellschaft hinaus abzuleiten. Allerdings gehört es zum Wesen einer Aktiengesellschaft, auf Grund ihrer großen Bedeutung für Volkswirtschaft und Gesellschaft in gewissem Ausmaß die Interessen Dritter und der Allgemeinheit (Stakeholder) zu berücksichtigen.

c) Fortentwicklung der Grundsätze zur Haftung wegen unzureichender Compliance Systeme

Die Entwicklung eines Sorgfaltsmaßstabs, der über die Grenzen der eigentlichen Gesellschaft und das Inland hinausreicht, ist dem Gesellschaftsrecht jedoch aus einem anderen Bereich bekannt: Der Legalitäts(kontroll-)pflicht im Rahmen der Geschäftsführung, deren Ausgestaltung unter die BJR fällt.56 Bereits in der Siemens/Neubürger-Entscheidung des LG München I vom 10.12.201357 wurde Siemens die Pflicht auferlegt, ein weltweites Informations- und Kontrollsystem innerhalb seines Konzerns einzuführen, um Schmiergeldzahlungen im Ausland zu verhindern. Die Strukturen dieser Compliance-Pflicht könnten möglicherweise auch auf die Frage der Haftung von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen übertragen werden.58 Saage-Maaß argumentiert, durch die Compliance-Rechtsprechung sei ein Konzept entwickelt worden, wonach Unternehmen Abläufe so zu organisieren hätten, dass Schädigungen dritter Parteien grundsätzlich vermieden werden.59 Dieser Auffassung kann aber so pauschal nicht zugestimmt werden. Träfe Unternehmen eine Pflicht, Schädigungen Dritter in jeder Situation zu vermeiden, träfe sie eine konturenlose Compliance-Pflicht, die völlig ohne Einschränkungen von keinem Unternehmen erfüllbar wäre. Weil die Compliance-Haftung eine innergesellschaftliche Haftung darstellt und gerade keine Haftung im Außenverhältnis begründet,60 wäre eine direkte Anknüpfung einer Außenhaftung an die Compliance-Grundsätze zudem systemwidrig.61 Allerdings lässt sich eine Tendenz feststellen, dass deutsche Unternehmen sensibler für Belange außerhalb ihrer eigenen Rechtssphäre geworden sind, und es besteht das Potential, die innergesellschaftliche Compliance-Pflicht auf menschenrechtliche Belange auszubauen.

d) Spannungen mit konzernrechtlichen Prinzipien

aa) Das Trennungsprinzip und das Rechtsträgerprinzip

Nach dem Trennungsprinzip haftet eine Gesellschaft grundsätzlich nur für ihre eigenen Verbindlichkeiten, die Gesellschafter sind als völlig unabhängig von der juristischen Person anzusehen. Das damit verbundenen Rechtsträgerprinzip untersagt eine Zusammenrechnung des Verhaltens mehrerer selbstständiger Rechtsträger auf Ebene zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern sowie auf Ebene mehrerer


47 Wilhelm, Kapitalmarktrecht4, 2018, Rn. 956-957; Fleischer, in: Spindler/Stilz (Hrsg.) (Fn. 22), § 76 AktG, Rn. 42d.

48 Fleischer, AG, 2017, 509, 510.

49 Kort, in: v. Hirte u.a. (Hrsg.), Großkommentar Aktiengesetz5, 2015, § 76 Rn. 94.

50 Vgl. Rühmkorf, ZGR, 2018, 410, 413.

51 BGHZ 21, 354, 357; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften6, 2015, § 14 Rn. 14; Fleischer, DB, 2017, 2015, 2020.

52 S. von Bonin, Die Leitung der Aktiengesellschaft zwischen Shareholder Value und Stakeholder-Interessen, Diss. 2004.

53 Raiser/Veil (Fn. 51), §14 Rn. 14; Kort, in Hirte u.a. (Hrsg.) (Fn. 49), §76 AktG Rn. 53; Fleischer, in: Spindler/Stilz (Hrsg.) (Fn. 22), § 76 AktG Rn. 36; Habersack/Ehrl, AcP, 2019, 155, 210.

54 Hommelhoff, NZG, 2015, 1329, 1330; Weller/Kaller/Schulz, AcP, 2016, 387, 410.

55 Zur Rückkehr des „Ehrbaren Kaufmannes“ Fleischer, DB, 2017, 2015; s. ebenfalls Brink, FEW, 2/2013, 2.

56 Hübner (Fn. 46), S. 65.

57 LG München I, NZG 2014, 345.

58 So Saage-Maaß, BB, 2015, 2473, 2499; Thomale/Weller, ZGR, 2017, 509, 522; insb. im Rahmen des Konzernrechts: Hübner (Fn. 46), S. 72; ähnlich: Weller/Kaller/Schulz, AcP, 2016, 387, 413.

59 Saage-Maß/Leifker, BB, 2015, 2499, 2503.

60 Thomale/Weller, ZRG, 2017, 509, 519; Hübner (Fn. 14), S. 23.

61 Vgl. z.B. Weller/Kaller/Schulz, AcP, 2016, 387, 413; Habersack /Ehrl, AcP, 2019, 155, 198.

Czubayko, Die Haftung in der Lieferkette69

Gesellschaften innerhalb eines Konzerns.62

Was im Rahmen von Konzernstrukturen dazu führt, dass Tochter- und Mutterunternehmen eigenständig haften,63 muss erst recht gelten, wenn es sich um zwei völlig unabhängige Gesellschaften handelt, die in keinem mitgliedschaftlichen Verhältnis zueinander stehen.

Wollte man eine Haftung des Käuferunternehmens konstruieren, so müsste also der Bezug der Sorgfaltspflichten auf eine Gesellschaft als eigener Rechtsträger aufgegeben werden und eine Sorgfaltspflicht in Bezug auf das Verhalten der Drittgesellschaft eingeführt werden.64 Dagegen spricht jedoch, dass die Zuordnung von Verhalten, Vermögen und Forderungen zu unabhängigen Rechtsträgern ein grundlegendes Prinzip des Steuer-, Gesellschafts- und Insolvenzrechts ist.65 Würde ein Unternehmen eine Sorgfaltspflicht bezogen auf das Verhalten von Lieferanten auferlegt, so müsste dies erst recht im Rahmen konzerninterner Strukturen erfolgen, was zu einem Systembruch über mehrere Rechtsgebiete führte.

bb) Herleitung aus Durchgriffshaftungserwägungen?

Auch aus den Lehren der Durchgriffshaftung,66 lässt sich kein Argument für eine Haftung in der Lieferkette ableiten. Eine missbräuchliche Ausnutzung der Haftungsbeschränkung der juristischen Person liegt nicht vor, weil das Käuferunternehmen nicht mitgliedschaftlich an dem Zuliefererbetrieb beteiligt ist.67

4. Vereinbarkeit einer Außenhaftung mit den Prinzipien des deutschen Deliktsrechts

a) Der deliktsrechtliche Vertrauensgrundsatz

Im Deliktsrecht beschränkt der Vertrauensgrundsatz die relevanten Sorgfaltsanforderungen auf die eigene Sphäre der Gesellschaft.68 Jede Person darf bei der Bestimmung des eigenen Sorgfaltsmaßes davon ausgehen, dass alle anderen Personen sorgfaltsgemäß handeln. Daraus folgt, dass eine Gesellschaft im Normalfall nicht umfassend und unbegrenzt dazu verpflichtet sein kann, das Verhalten ihrer Zuliefererunternehmen zu überprüfen oder sogar Einfluss darauf zu nehmen.69

Der Fall des § 831 BGB stellt abschließend die Anforderungen an die deliktsrechtliche Haftung des Geschäftsherren für Fehlverhalten beim Einsatz von dritten Hilfspersonen auf.70 Dies stellt hohe Anforderungen an die Begründung einer ausnahmsweisen deliktischen Sorgfaltspflicht, die über die eigene Sphäre der Gesellschaft hinausreicht.

b) Bestimmung eines deliktischen Sorgfaltsmaßstabs anhand von „Soft Law“

Wie einige Stimmen in der Literatur betonen, haben Gerichte jedoch bereits vermehrt öffentlich-rechtliche Normen und „Soft Law71 berücksichtigt, um die Angemessenheit einer Handlung zu bestimmen, weil diese unverbindlichen Normen für die betroffene Handlung anerkannte Regeln der Technik darstellen würden und deshalb für die Bestimmung der gebotenen Sorgfaltsanforderungen herangezogen werden könnten.72 Die von den UNLP vorgesehene Due Diligence-Verpflichtung könnte einen solchen deliktsrechtlich relevanten Sorgfaltsmaßstab darstellen.73 Gegen diese Erwägung wird jedoch angeführt, dass sich bei Berücksichtigung von Menschenrechten im Rahmen der deliktsrechtlichen Maßstabsbildung diese Ausweitung nicht auf „die verheerenden Fälle“ von Menschenrechtsverletzungen im Ausland beschränken ließe. Würde in diese Richtung Rechtsfortbildung betrieben, hätten auf Grund der notwendigen Gleichstellung von juristischen und natürlichen Personen sowie von In- und Auslandssachverhalten dann sämtliche natürliche und juristische Personen dafür Sorge zu tragen, dass alle ihre in- und ausländischen Vertragspartner keine Rechtsgüter Dritter verletzen.74 Zudem würde eine solche Solidarhaftung dadurch, dass das Risiko einer Menschenrechtsverletzung im Geschäftsverkehr von mehreren getragen würde, dem Erstverantwortlichen für die Menschenrechtsverletzung einen kleineren Anreiz geben, die Menschenrechte zu achten. Bei den nachrangig Verantwortlichen – den Auftraggeberunternehmen – würde indessen ein großer Anreiz zur Einrichtung eines umfassenden Kontrollapparats gesetzt, welcher nur unter großem Kostenaufwand betrieben werden könnte.75 Unabhängig davon, ob man die Kostenerwägung für überzeugend hält, liefe eine entsprechende Rechtsfortbildung dem Vertrauensgrundsatz radikal entgegen. Sie ließe sich deshalb nicht ohne Weiteres auf „Soft Law“ oder Menschenrechte stützen.76 Die Herleitung einer Menschenrechtsverpflichtung müsste gesetzesnäher bleiben.

c) Herleitung einer entsprechenden Sorgfaltspflicht aus § 823 I BGB selbst

Die Rechtsprechung hat eine Verpflichtung zur Überprüfung ausländischer Geschäftspartner aus § 823 I BGB selbst hergeleitet, wenn eine Person faktisch die Sorge für die Rechtsgüter Dritter übernommen hat.77 In den Fällen der Menschenrechtsverletzung durch Zulieferer besteht jedoch kein direkter Vertrag zwischen der Gesellschaft und den durch den ausländischen Vertragspartner Geschädigten78 und auch die Selbstverpflichtungserklärungen der Unternehmen zur Wahrung von CSR oder Menschenrechtsstandards können keine unmittelbare Außenhaftung begründen. Denn diese richten sich an den Anlegermarkt und den Endkonsumenten, die tatsächlich betroffenen Arbeitnehmer haben


62 Vgl. Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 759.

63 Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 759.

64 Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 762.

65 Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 760, 765.

66 Raiser/Veil (Fn. 51), §39 Rn. 3; Fock, Spindler/Stilz (Hrsg.) (Fn. 22), §1 Rn. 39-51.

67 Weller/Kalle/Schulz, AcP, 2016, 387, 409.

68 Habersack/ Ehrl, AcP, 2019, 155, 194.

69 Vgl. Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 758; Habersack/Ehrl, AcP, 2019, 155, 197.

70 Vgl. B.II.2.

71 Unter Soft Law versteht man ein unverbindliche Regelungswerk und/oder Empfehlungen; vgl. z.B. Spießhofer, NZG, 2018, 441, 443.

72 Saage-Maß/Leifker, BB, 2015, 2499, 2503.

73 Spießhofer NJW, 2014, 2473, 2476.

74 Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 771.

75 S. Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 771.

76 Habersack/Ehrl, AcP, 2019, 155, 197.

77 Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 774.

78 Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 775.

Czubayko, Die Haftung in der Lieferkette70

meist nicht einmal Kenntnis von der Erklärung und können somit auch nicht schützenswert auf deren Inhalt vertrauen.79 Bezieht eine Käufergesellschaft in den Vertrag mit dem ausländischen Lieferanten direkt ein, dass diesen eine Pflicht zur Wahrung von Menschenrechten treffen soll und behält sie sich selbst umfassende Kontrollrechte vor, so könnte darin u.U. eine faktische Übernahme von Sorgfaltspflichten zu sehen sein. Wenn dem Auftraggeberunternehmen in einer solchen Situation die Unzuverlässigkeit des ausländischen Unternehmens hätte bekannt sein müssen oder wenn Kontrollpflichten nicht eingehalten werden, könnte dies eine sorgfaltswidrige Delegation von Sorgfaltspflichten aus § 823 I BGB darstellen.80 Dieser Gedanke ist jedoch nicht verallgemeinerungsfähig, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

Eine weitere Fallgruppe der Expansion der Sorgfaltspflichten wurde vom BGH angenommen auf Grund der Schaffung einer Gefahrenquelle und der vertraglichen Weiterdelegation der „Gefahrennachsorgepflichten“.81 Als Verursacherunternehmen würde das Auftraggeberunternehmen eine Kontrollpflicht treffen, das beauftragte Unternehmen gewissenhaft auszuwählen und zu überprüfen, um bei Problemen einzugreifen.82 Eine Gefahrenquelle für Menschenrechtsverletzungen begründet in den Zuliefererkonstellationen jedoch nicht die Käufergesellschaft, sondern das produzierende Unternehmen durch den Betrieb der Produktionsstätte selbst.83

Auch die Rechtsprechung des BGH, nach der derjenige, der die Organisationsgewalt über ein Unternehmen innehat, die Gefahrensicherung im Rahmen des Betriebs zu organisieren hat,84 bezieht die Organisationspflicht lediglich darauf, dass ein Sorgfaltssystem innerhalb der eigenen Sphäre des Rechtsträgers, also der betreffenden Auftraggebergesellschaft, eingerichtet werden muss.85 Angesichts der Ausuferungsproblematik und der Gewichtigkeit des Vertrauensprinzips sollte von diesen Grundsätzen nicht durch Rechtsprechung abgewichen werden.86

III. Zwischenergebnis

Die deutsche Rechtsdogmatik steht in einem Spannungsverhältnis zu dem Wunsch, dass international agierende Gesellschaften Verantwortung für die Ausbeutung in ihrer Lieferkette übernehmen. Zwar lassen einzelne Entwicklungen und Wesenszüge des deutschen Delikts- und Gesellschaftsrechts den Schluss zu, dass unter Umständen Verantwortung übernommen werden kann oder soll, die über die eigene Rechtssphäre hinausgeht. Auf Grund der beschriebenen Systembrüche87 kann eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht, die eine Außenhaftung begründen würde, jedoch nicht über Rechtsfortbildung hergeleitet werden, da anderenfalls mit Unstimmigkeiten in weiteren Rechtsgebieten zu rechnen wäre.

C. Die Notwendigkeit von Reformgesetzgebung

Fraglich ist also, ob die Zeit reif ist für Gesetzesänderungen, die die Frage der Haftung in der Lieferkette thematisieren oder ob die o.g. Schwierigkeiten einem gesetzgeberischen Tätigwerden entgegenstehen. Obgleich dem Gesetzgeber ohne Zweifel ein großer Spielraum zusteht, dogmatisch neue Wege zu beschreiten, befürworten viele Literaturstimmen ein systemkonformeres Vorgehen.88

I. Alternative Governance zur Förderung von CSR

Die meisten Alternativvorschläge setzen auf indirekte Anreize zur Beachtung der Menschenrechte in Form von Private Governance.89 Oft wird erwogen, mehr Transparenz in die Lieferketten von Großunternehmen zu bringen, um über den Druck der Öffentlichkeit den Unternehmen Anreize zu setzen, sich nicht an Menschenrechtsverletzungen zu beteiligen.90 Dies ließe sich einfacher mit dem renditeorientierten Wesen einer Kapitalgesellschaft vereinbaren, weil es im Unternehmensinteresse liegt, Reputationsschäden abzuwehren,91 und keine Sorgfaltspflicht außerhalb der Unternehmenssphäre geschaffen würde. Als weiterreichende Änderung wäre z.B. eine Neuregelung der BJR unter Berücksichtigung sozialer Belange denkbar.

II. Abwägung der unterschiedlichen Regelungsmöglichkeiten

Obwohl über 90% der DAX-30-Unternehmen bereits 2015 freiwillig CSR-Berichte veröffentlichten92 und heute die große Mehrheit der berichtspflichtigen deutschen Gesellschaften von der Möglichkeit transparenter Menschenrechtskonzepte Gebrauch macht,93 ist bisher nicht ersichtlich, dass Menschenrechtsverletzungen, in die deutsche Unternehmen verwickelt sind, abnehmen würden.

Die Einführung einer Außenhaftung in Form eines Sorgfaltsmaßstabs, der sich auf die Sphäre des Zulieferers (und notwendigerweise Tochtergesellschaften) erstreckt, würde im Konflikt mit dem Rechtsträgerprinzip und dem Vertrauensgrundsatz stehen.94 Einzelne Tendenzen im Gesellschaftsrecht, wie die Entwicklung der Compliance-Haftung95 und die zunehmende Beeinflussung des Gesellschaftsrechts von sozialpolitischen Zielen,96 zeigen jedoch auf, dass eine gesteigerte Verantwortung für (ggf. sogar internationale)


79 Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 778; Thomale/Weller, ZGR, 2017, 509, 521.

80 Thomale/Hübner, JZ, 2017, 385, 394.

81 BGH, NJW 1976, 46; Habersack/Ehrl, AcP, 2019, 155, 200.

82 Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 774.

83 Weller/Kaller/Schulz, AcP, 2016, 387, 401; Habersack/Ehrl, AcP, 2019, 155, 201.

84 BGH, VersR 1996, 469, 470.

85 Wagner, RabelsZ, 2016, 717, 767.

86 Fleischer/Danniger, DB, 2017, 2849, 2856.

87 Vgl. detailliert unter B.II.3.d)aa) und 4)a).

88 Vgl. z.B. Fleischer/Danniger, DB, 2017, 2849, 2857.

89 Rühmkorf, ZGR, 2018, 410, 419.

90 Vgl. Hübner (Fn. 14), S. 21; Rühmkorf, ZGR, 2018, 410, 419.

91 Weller/Kaller/Schulz, AcP, 2016, 387, 416.

92 Habersack/Ehrl, AcP, 2019, 155, 206.

93 Loew/Braun, Analysen zur Berichterstattung gemäß CSR-RUG und zu den Empfehlungen der TCFD, Institute for Sustainability, S. 24, www.4sustainability.de (letzter Abruf: 10.06.2019).

94 Vgl. Abschnitte B II.3.d) und 4.a).

95 Vgl. B.II.3.c).

96 Hübner (Fn. 46), S. 86.

Czubayko, Die Haftung in der Lieferkette71

soziale Belange bereits Einzug in das deutsche Gesellschaftsrecht gehalten hat. Auch im Deliktsrecht zeigt die Delegationshaftung, dass eine Sorgfaltspflicht, die Berührungspunkte mit der Sphäre eines dritten Unternehmens aufweist, u.U. in Betracht kommen kann.97

Die Tatsache, dass eine entsprechende Haftung dem deutschen Zivilrecht systemfremd wäre, ist angesichts der überragenden Bedeutung der Menschenrechte (Art. 1 II GG) kein Argument, das gewichtig genug wäre, um eine Entwicklung im Keim zu ersticken, die eine notwendige Reaktion auf die Globalisierung zum Schutz der Menschenrechte darstellt. Der deutsche Gesetzgeber wird außerdem durch die UNLP aufgefordert, seiner menschenrechtlichen Schutzpflicht nachzukommen.

Außerdem versprechen alternative Vorschläge weniger Erfolg als die Einrichtung einer direkten Außenhaftung: Im Rahmen eines innergesellschaftlichen Haftungsmechanismus wird es oft schwer sein, einen kausalen Schaden der Gesellschaft nachzuweisen. Fehlt es aber an einem Schaden, sinkt die verhaltenssteuernde Wirkung des Haftungsmechanismus.98

Auch das Argument, dass angesichts einer bloß nationalen Geltung eine deutsche Haftungsnorm zu einer schwächeren Stellung deutscher Unternehmen im globalen Wettbewerb führe,99 lässt sich relativieren. Schließlich würde ein entsprechender Gesetzesentwurf auf eine Reihe von ausländischen Reformbestrebungen folgen, die bis hin zu Unternehmensstrafbarkeit reichen.100 Mit Kanada und den USA haben schon zwei der vier Staaten, deren Unternehmen laut der o.g. Studie101 noch mehr mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht werden als deutsche Unternehmen, Gesetzesvorhaben umgesetzt.

Die gewichtigeren Argumente sprechen deshalb dafür, eine verbindliche menschenrechtliche Due Diligence-Verpflichtung im Rahmen eines Gesetzes einzuführen, das konkrete Sorgfaltspflichten deutscher Käufergesellschaften aufstellt, die im Ausland produzieren lassen. Darin sollte die Einrichtung eines Beschwerde- und Kontrollmechanismus bezogen auf Lieferanten, völlige Transparenz hinsichtlich Menschenrechtsverletzungen in der Zuliefererkette und u.a. Abhilfe bei Kenntnis von Menschenrechtsverletzungen gefordert werden. Ein solches Gesetz könnte als Schutzgesetz über § 823 II BGB den Opfern von Menschenrechtsverletzungen Schadensersatzansprüche gewähren, sofern über eine Eingriffsnorm für eine zwingende Anwendung deutschen Rechts gesorgt würde.102 Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie arbeitet derzeit an einem vergleichbaren Entwurf,103 eine entsprechende gesetzgeberische Initiative ist nur begrüßenswert.

D. Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in der globalen Wirklichkeit den international agierenden Unternehmen eine beherrschende (ökonomische und Markt-) Macht zukommt, die oft dazu führt, dass Einfluss auf Lieferanten genommen werden kann, der der Kontrolle in Rahmen einer Beteiligung in nichts nachsteht. Es ist Realität, dass unter ausbeutenden Bedingungen in Entwicklungsländern für deutsche Unternehmen produziert wird,104 und auf Grund von „Governance Gaps“ kommt niemand für die Schäden auf. Deutschland trifft als wohlhabenden Industriestaat, dessen Wirtschaft überproportional von der Globalisierung profitiert, eine internationale Verantwortung, einen ebenso überproportionalen Beitrag zur Wahrung der Menschenrechte zu leisten.

Weil auf Freiwilligkeit basierende Private Governance dafür nicht ausreichend effektiv erscheint, ist unter bestimmten Voraussetzungen eine Außenhaftung wünschenswert. Die Konstruktion von Haftungsansprüchen der Geschädigten unmittelbar gegenüber deutschen Unternehmen ist auf Grund starker dogmatischer Spannungen insbesondere mit dem Rechtsträger- und Vertrauensgrundsatz allerdings nur unter sehr eingeschränkten Umständen denkbar. Folglich wäre eine Gesetzesänderung wünschenswert. Eine entsprechende Änderung würde sich zudem einordnen in eine Reihe von ähnlichen Rechtsentwicklungen vieler Heimatstaaten der international agierenden Unternehmen.

Eine weltweit harmonisierte Wahrung der Menschenrechte durch alle Wettbewerber und eine global gleichlaufende Verantwortung der Unternehmen wird für nicht absehbare Zeit genauso wünschenswert wie wirklichkeitsfremd bleiben. Trotzdem ist ein Aufbruch in Richtung unmittelbarer Außenhaftung global agierender Unternehmen der ethisch und völkerrechtlich auf Grund der Wirtschaftsrealität notwendigerweise zu beschreitende Weg, der unumgänglich zunächst von den wohlhabenden Industriestaaten gegangen werden muss.


97 Vgl. B.II.3.c) und 4.c).

98 Hübner (Fn. 46), S. 76.

99 Vgl. B.I.2.

100 Vgl. Rühmkorf, ZGR, 2018, 410, 426. Beispiele: Das französische Loi no 2017-399, devoir de vigilance; die schweizer Konzernverantwortungsinitiative, http://konzern-initiative.ch. (letzter Abruf am 14.05.2019); dazu Weller/ Thomale, ZRG, 2017, 509-511; die Schaffung gemeinnütziger Gesellschaftsformen in den USA und die Einführung von eigenständigen Klagerechten für Nichtaktionäre wegen der Verletzung von CSR Belangen in Kanada, Fleischer, AG, 2017, 509, 524.

101 Kamminga (Fn. 17), S. 102.

102 Vgl. unter A.II.

103 https://www.business-humanrights.org/de/entwicklungsministerium-erarbeitet-vorschlag-f%C3%BCr-wertsch%C3%B6pfungsketten-gesetz-f%C3%BCr-deutsche-unternehmen?page=1business-humanrights.org/de/entwicklungsministerium-erarbeitet-vorschlag-für-wertschöpfungsketten-gesetz-für-deutsche-unternehmen?page=1 (letzter Abruf am 10.06.2019).

104 German Watch/Misereor, Bericht 2017: Globale Energiewirtschaft und Menschenrechte, www.germanwatch.org (letzter Abruf: 24.09.2019).