Die gerichtliche Nachprüfbarkeit der Exekutive im Bereich außenpolitischer Handlungen in der US-Rechtsordnung

Philipp Kehl*

A. Einleitung

Angesichts der zahlreichen Auslandseinsätze des US-Militärs und der mit diesen Einsätzen verbundenen hohen Zahl von zivilen Todesopfern, allein im Jahr 2018 nach Angaben der US-Regierung 120 weltweit,1 stellt sich die Frage, inwieweit es Betroffenen amerikanischer Militäreinsätze möglich ist, vor US-Gerichten Kompensation für Rechtsverletzungen wie den Verlust von Angehörigen, die Zerstörung von Eigentum oder das Erleiden von Folter zu erlangen.

Dieser Beitrag untersucht zunächst mit dem Prinzip der Sovereign Immunity und dessen Ausnahmen sowie der Political-Question-Doktrin die rechtsdogmatischen Grundlagen des Individualrechtsschutzes gegen außenpolitische Handlungen der Exekutive in den Vereinigten Staaten (B.). Darauf aufbauend wird anhand ausgewählter Rechtsprechung der US-Bundesberufungsgerichte der letzten Jahrzehnte analysiert, wie diese Grundlagen bei Klagen von Individuen wegen möglicher Völkerrechtsverstöße der USA in der Praxis gehandhabt werden (C.). Schließlich wird diese Rechtsprechung mit Blick auf die Frage ihrer Vereinbarkeit mit der Rechtsprechung des US Supreme Court und dem für die USA maßgeblichen Völkerrecht einer kritischen Würdigung unterzogen (D.), worauf eine abschließende Betrachtung unter Evaluation möglicher Verbesserungen des Individualrechtsschutzes vor US-Gerichten (E.) folgt.

B. Rechtsdogmatische Grundlagen

I. Sovereign Immunity und Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Völkerrechtsverstöße der Exekutive vor US-Gerichten

Für Klagen gegen den Staat gilt in den USA der Grundsatz der Sovereign Immunity, nach dem eine solche Klage grundsätzlich unzulässig ist, es sei denn, es liegt ein gesetzlicher verankerter Verzicht auf dieses Privileg vor.2 Als solche gesetzlichen Ausnahmetatbestände, über die Völkerrechtsverstöße durch die Exekutive im Rahmen ihrer Außenpolitik liquidiert werden könnten, werden dabei von Klägerseite meist das Alien Tort Statute (ATS, 28 U.S.C. § 1350) und der Federal Tort Claims Act (FTCA, 28 U.S.C. §§ 2671-2680) benannt.

1. Das Alien Tort Statute

Bereits vom ersten Kongress im Jahre 1789 verabschiedet, ermöglicht das ATS zivilrechtliche Schadensersatzklagen von Ausländern für Verletzungen des Völkergewohnheitsrechts oder völkerrechtlicher Verträge, womit eine Liquidation solcher Ansprüche vor US-Gerichten möglich wird.3 Nach Rechtsauffassung des Supreme Court regelt das ATS jedoch ausschließlich die Zuständigkeit der US-Bundesgerichte für solche Klagen, begründet also selbst keinen Anspruch und enthält auch keinen Ausnahmetatbestand vom Prinzip der Sovereign Immunity.4

2. Der Federal Tort Claims Act

Der FTCA ist eines der bedeutendsten Staatshaftungsgesetze der USA und beinhaltet einen Ausnahmetatbestand zur Sovereign Immunity für deliktische Schadensersatzansprüche gegen die USA aufgrund von schuldhaften Handlungen von Staatsbediensteten.5 Zwar statuiert der FTCA eine Ausnahme von der Sovereign Immunity und macht so die USA vor einheimischen Gerichten angreifbar, er begründet jedoch keinen eigenen Anspruch.6 Ein Kläger muss vielmehr zeigen, dass eine den USA zurechenbare Verletzung einer Rechtspflicht vorliegt, durch die nach dem Recht der USA oder desjenigen Bundesstaates, in dem er Klage erhoben hat, ein Schadensersatzanspruch begründet wird.7 Nach dieser Rechtsprechung kann also unter dem FTCA nicht direkt Schadensersatz für Völkerrechtsverstöße verlangt werden, vielmehr muss der Kläger Beweis führen, dass gleichzeitig eine Verletzung nationaler Rechtspflichten vorliegt.

II. Die Political-Question-Doktrin: Entwicklung und Anwendungsbereich

1. Ursprung und historische Entwicklung

Von zentraler Bedeutung für die gerichtliche Überprüfbarkeit des Handelns der Exekutive in den USA auf außenpolitischen Sachgebieten ist die Political-Question-Doktrin, gemäß der es US-Bundesgerichte ablehnen, politische Fragen zu entscheiden.8


* Der Autor ist Student der Bucerius Law School.

1 Washington Post, https://www.washingtonpost.com/world/national-security/pentagon-report-us-strikes-killed-120-civilians-in-2018/2019/05/02/8f2d70fa-6c3f-11e9-be3a-33217240a539_story.html?utm_term=.ed39868347d3 (zuletzt abgerufen: 22.9.2019).

2 Vgl. Strauss/Rakoff/Schotland/Farina, Gellhorn and Byses Administrative Law, 1995, S. 1106, 1107; zu Ursprung und Ratio dieser Doktrin siehe Culp Davis, Sovereign Immunity must go, 22 Admin. L. Rev. (1970), 383, 393.

3 Menon, The Alien Tort Statute, 4 J. Int’l Crim. Just. (2006), 372, 373.

4 Siehe Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692 zum rein zuständigkeitsbegründenden Charakter des ATS; Goldstar (Panama) v. US, 4th Circ., No. 91-2229, II. A. (1991) dazu, dass das ATS keinen Verzicht auf Sovereign Immunity darstellt.

5 Siehe Clark/Ansay, Introduction to the Law of the United States (2002), S. 111.

6 Goldstar (Panama) v. US, 4th Circ., No. 91-2229, II. A. (1992).

7 So das Bundesberufungsgericht für den vierten Bezirk in Goldstar (Panama) v. US, 4th Circ., No. 91-2229, II. B. (1992).

8 Für Grundlegendes siehe Hay, US-Amerikanisches Recht, 2008, Rn. 115.

Kehl, Die gerichtliche Nachprüfbarkeit der Exekutive im Bereich außenpolitischer Handlungen in der US-Rechtsordnung80

In ihren Grundzügen entwickelt wurde die Political-Question-Doktrin spätestens im 18. Jahrhundert von britischen Gerichten9 und bald darauf von US-amerikanischen Gerichten übernommen.10 Bereits in der berühmten Entscheidung Marbury v. Madison, in der der US Supreme Court sich erstmals selbst das Recht zusprach, ein mit der Verfassung unvereinbares Gesetz für nichtig zu erklären, wurde explizit darauf hingewiesen, dass bestimmte, ihrer Natur nach politische Fragen kraft der Verfassung einer Entscheidung durch die Gerichte entzogen und stattdessen der Exekutive zugewiesen seien.11

Über mehr als anderthalb Jahrhunderte wurden verschiedenste Sachverhalte von US-Bundesgerichten zu nicht-justiziablen politischen Fragen erklärt.12 Der Supreme Court entwickelte in der Entscheidung Baker v. Carr im Jahre 1962 nach einer umfassenden Auswertung der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Rechtsprechung erstmals einen einheitlichen, vom konkreten Sachgebiet unabhängigen Maßstab zur Bestimmung, ob eine dem Gericht vorgelegte Streitfrage politisch und somit aufgrund der Political-Question-Doktrin eine Sachentscheidung abzulehnen ist, womit die Doktrin ihre heutige Form annahm.13 Demnach findet die Doktrin Anwendung, wenn einer der folgenden sechs Faktoren vorliegt: (1) a textually demonstrable commitment to a coordinate branch of government, (2) a lack of judicially discoverable and manageable standards for resolving [the question], (3) the impossibility of deciding without an initial policy determination […], (4) impossibility of deciding […] without expressing lack of respect due coordinate branches of government, (5) an unusual need for unquestioning adherence to a political decision already made, (6) the potentiality of embarrassment from multifarious pronouncements by various departments on one question.14 Entscheidungen zur Political-Question-Doktrin, die nach Baker v Carr ergangen sind, laufen daher im Wesentlichen auf eine Subsumtion unter diese sechs Faktoren hinaus.

2. Dogmatische Einordnung

Als Grundlage der Political-Question-Doktrin wird von den Gerichten vor allem das in der US-Verfassung angelegte Konzept der Gewaltenteilung („Separation of Powers“) angeführt. Eine Entscheidung politischer Fragen durch ein Gericht stelle eine verfassungswidrige Einmischung der Judikative in die Zuständigkeitsbereiche der anderen beiden Gewalten dar und sei deshalb abzulehnen; es bestehe ein verfassungsrechtliches Judikationsverbot.15

Abzugrenzen ist die Political-Question-Doktrin von rein prozessrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen wie der Klagebefugnis („standing“), von denen sie sich durch ihre direkte Verknüpfung mit der dem Gericht vorliegenden materiell-rechtlichen Frage unterscheidet.16 Dennoch handelt es sich bei einer Anwendung der Doktrin nicht um eine Sachentscheidung; gemäß der Rechtsprechung ist die Frage, ob die Political-Question-Doktrin Anwendung findet, vielmehr eine Vorfrage zu einer möglichen Sachentscheidung, also eine Zulässigkeitsvoraussetzung.17

3. Besondere Relevanz der Political-Question-Doktrin im Bereich der Außenpolitik

Bereits in Baker v. Carr hat der Supreme Court unmissverständlich klargestellt, dass die US-Außenpolitik keinesfalls insgesamt der Doktrin unterworfen ist, womit diese grundsätzlich gerichtlich überprüfbar bleibt.18 Dennoch sind außenpolitische Sachverhalte seit jeher der bedeutendste Anwendungsbereich der Doktrin.19 Dies dürfte nicht zuletzt darin begründet sein, dass Rechtssätze des Völkergewohnheitsrechts automatisch Teil der US-Rechtsordnung werden, womit das Handeln der US-Regierung in auswärtigen Angelegenheiten grundsätzlich durch die Gerichte an diesen gemessen werden kann, was zu einem hohen Konfliktpotential zwischen Exekutive und Judikative führt.20

Während der Supreme Court die Political-Question-Doktrin allgemein recht zurückhaltend handhabt (seit Baker v. Carr wurde die Doktrin vom Supreme Court lediglich in zwei Fällen zur Anwendung gebracht), neigen die niedrigeren US-Bundesgerichte jedoch insbesondere im Bereich der sicherheitsbezogenen Außenpolitik stark dazu, Klagen aufgrund der Doktrin abzuweisen.21

III. Zwischenergebnis

Bereits diese abstrakte Betrachtung des in den Vereinigten Staaten gegebenen rechtlichen Rahmens zeigt grundsätzliche Probleme für einen Kläger auf, der vor einem US-amerikanischen Gericht Rechtsschutz gegen eine von


9 Finkelstein, Judicial Self-Limitation, 37 Harv. L. Rev. (1923/24), 338, 339-340.

10 Scharpf, Grenzen richterlicher Verantwortung, 1965, S. 25-27, der die erste Anwendung der Doktrin durch ein amerikanisches Gericht, trotz fehlender expliziter Erwähnung in der Entscheidung, bereits in Ware v. Hylton, 3 U.S. 199 (1796) sieht.

11 Marbury v. Madison, 5 U.S. 137, 170 (1803).

12 Siehe z.B. Luther v. Borden, 48 U.S. 1, 51 (1849) zu der Frage, ob ein Bundesstaat die von der Verfassung vorgeschriebene „republikanische Regierungsform“ (Art. 4 Abs. 4) besitzt; Durand v. Hollins, Circuit Court S.D. New York, Case, No. 4186 (1860) zur Frage, mit welchen Mitteln der Präsident seine Pflicht, Gesetze zum Schutze im Ausland lebender US-Amerikaner zu exekutieren, erfüllt.

13 Vgl. Rest. 3rd of the Foreign Relations Law of the United States § 1, Reporter’s Note 4, dort als “modern recapitulation” der Doktrin bewertet.

14 Baker v. Carr, 369 U.S. 186, 217 (1962); die Entscheidung hatte eine rein innenpolitische Frage zum Gegenstand.

15 Vgl. Baker v. Carr, 369 U.S. 186, 214, 217 (1962); a.A.: Finkelstein (Fn. 9), 338, 346; Derselbe, Further Notes on Judicial Self-Limitation, 39 Harv. L. Rev. (1925), 221, 224; nach dieser Ansicht ist die Political-Question-Doktrin nicht Ausdruck eines zwingenden verfassungsrechtlichen Judikationsverbotes, sondern ein flexibler Standard, bei dessen Ausübung richterliches Ermessen besteht.

16 Scharpf (Fn. 10), S. 4.

17 Vgl. Bin Ali Jaber v. US, DC Circ., No. 16-5093, II. (2017); zur Einordnung als Zulässigkeitsvoraussetzung siehe Stoevesandt, Aktivismus und Zurückhaltung im United States Supreme Court, 1999, S. 76; Hay, (Fn. 8) Rn. 110-115 bewertet die Anwendbarkeit der Doktrin als Frage der sachlichen Zuständigkeit des Gerichts.

18 Baker v. Carr, 369 U.S. 186, 211 (1962): “Yet it is error to suppose that every case or controversy which touches foreign relations lies beyond judicial cognizance”.

19 Henkin, Foreign Affairs and the Constitution, 66 Foreign Aff. (1987), 284, 285; siehe auch bereits Finkelstein (Fn. 9), 338, 347.

20 Scharpf (Fn. 10), S. 17-18; mit Verweis auf die Entscheidung des Supreme Court in Sachen Paquete Habana 175 U.S. 677, 700 (1900) und deren berühmtes Diktum „International Law is part of our law“.

21 Vgl. Constitutional Law (Case Comment Bin Ali Jaber), 131 Harv. L. Rev. (2018), 1473, 1476.

Kehl, Die gerichtliche Nachprüfbarkeit der Exekutive im Bereich außenpolitischer Handlungen in der US-Rechtsordnung81

der Exekutive im Zuge ihrer Außenpolitik verübte Völkerrechtsverletzung begehrt: Er muss zunächst die Sovereign Immunity des amerikanischen Staates überwinden, was durch die restriktive Interpretation von ATS und FTCA, die amerikanische Gerichte vertreten, erheblich erschwert wird. Zudem ist die Außenpolitik ein prädestinierter Anwendungsbereich der Political-Question-Doktrin, was das Erlangen effektiven Rechtsschutzes zusätzlich erschwert.

C. Auswertung der jüngeren Rechtsprechung der US-Bundesgerichte

Anhand einiger jüngerer bedeutender Fälle der US-Bundesberufungsgerichte soll nun untersucht werden, wie die dargestellten Normen und Doktrinen von den Gerichten bei der Beurteilung individueller Rechtsverletzungen im Rahmen der US-Außenpolitik praktisch angewandt werden.

I. Der Putsch in Chile 1973

Im Jahre 1970 wurde in Chile der Sozialist Salvador Allende zum Präsidenten gewählt. In der folgenden Zeit unterstützten die USA oppositionelle politische Kräfte innerhalb des chilenischen Militärs. Im September 1973 erfolgte schließlich ein Militärputsch gegen Allende, dem General Augusto Pinochet als Präsident nachfolgte.22

In Schneider v. Kissinger erhoben Angehörige des 1970 mutmaßlich auf Anweisung des amerikanischen Botschafters und im Wissen des damaligen Nationalen Sicherheitsberaters Henry Kissinger gefolterten und ermordeten regierungstreuen chilenischen Generals Rene Schneider Klage gegen die USA und Kissinger. Die Ansprüche gegen die USA wurden auf den FTCA gestützt.23

Das Bundesberufungsgericht für den District of Columbia erklärte die Entscheidung über die Ansprüche für nicht justiziabel unter der Political-Question-Doktrin und hielt dabei mindestens die ersten vier Faktoren aus Baker v. Carr für einschlägig: Die US-Verfassung lege die Verantwortung für die Pflege der US-Außenbeziehungen durch die zahlreichen mit Außenpolitik und nationaler Sicherheit verbundenen Kompetenztitel in der US-Verfassung klar in die Hände von Exekutive und Legislative, nicht aber in die der Gerichte.24 Die Entscheidung, wie mit der Möglichkeit der Installation einer kommunistischen Regierung auf den amerikanischen Kontinenten umzugehen sei, falle ganz klar in den Sachbereich der Außenpolitik, womit ein „textually demonstrable commitment to a coordinate branch of government“ vorliege.25 Auch die Baker-Faktoren zwei bis vier hielt das Gericht mit ähnlicher Begründung für einschlägig und wies die Klage folglich ab.26

In Schneider schien das Bundesberufungsgericht für den District of Columbia insgesamt sehr bestrebt, unmissverständlich klarzustellen, dass die für eine Beurteilung der Klägeransprüche zu beantwortenden Fragen nicht justiziabel seien, was insbesondere die auffälligen Subsumtion unter ganze vier der sechs Baker-Faktoren – obwohl einer für die Begründung der Nichtjustiziabilität gemäß der Political-Question-Doktrin genügt hätte27 – sowie die äußerst extensive Auslegung des ersten Faktors, nach der Außenpolitik insgesamt der Nachprüfung entzogen sei, zeigt.

II. Der Einmarsch in Panama 1989

Im Dezember 1989 invadierten und besetzten US-Streitkräfte Panama mit dem Ziel, den Diktator Manuel Noriega zu stürzen.28 Einige in der Hauptstadt Panama City ansässige Gewerbetreibende, deren Geschäfte im sich an die Besetzung der Stadt anschließenden Chaos geplündert worden waren, erhoben in Goldstar v. US Klage gegen die USA auf Schadensersatz, wobei sie ihre Ansprüche auf das ATS in Verbindung mit Art. 3 HÜ 1907, 43 HLKO stützten: Die USA seien als Besatzungsmacht gemäß Art. 43 HLKO verpflichtet gewesen, die öffentliche Ordnung in Panama City aufrecht zu erhalten und aufgrund von Unterlassen nach Art. 3 HÜ zum Schadensersatz verpflichtet; das ATS begründe die Zuständigkeit der US-Gerichte.29 Zusätzlich beriefen sich die Kläger auf den FTCA.30

Das Bundesberufungsgericht für den vierten Bezirk wies die Klage mit Verweis auf die Sovereign Immunity der USA ab: Das ATS selbst enthalte keinen entsprechenden Ausnahmetatbestand, das Haager Übereinkommen sei non-self-executing und begründe somit auch keine Ausnahme von der Immunität des Staates, der FTCA wiederum vermittle keine eigenen Ansprüche und die Kläger seien nicht in der Lage, nachzuweisen, dass unter dem Recht des Bundesstaates Virginia, in dem die Klage rechtshängig gemacht wurde, ein Anspruch gegen die USA besteht.31 Die Anwendbarkeit der Political-Question-Doktrin, auf die sich die Beklagte neben ihrer Sovereign Immunity auch berufen hatte, ließ das Gericht explizit dahinstehen.32

Eher ungewöhnlich ist das Abstellen des Gerichts auf die Sovereign Immunity der USA zur Abweisung der Klage als unzulässig, denn bereits zu dieser Zeit nutzten die Bundesberufungsgerichte bevorzugt die Political-Question-Doktrin


22 Zur Beteiligung der USA siehe Frankfurter Allgemeine Zeitung, https://www.faz.net/aktuell/politik/geheimdienst-dokumente-vereinigte-staaten-foerderten-pinochet-putsch-112220.html (zuletzt abgerufen: 22.9.2019).

23 Schneider v. Kissinger, DC Circ., No. 04-5199, I. (2005).

24 Schneider v. Kissinger, DC Circ., No. 04-5199, II. 1. (2005), der Kongress sei u.a. durch die Kompetenzen, den auswärtigen Handel zu regulieren (Art. 1 Abs. 8 U.A. 3), den Krieg zu erklären (Art. 1 Abs. 8 U.A. 11), Truppen auszuheben (Art. 1 Abs. 8 U.A. 12, 13) und Völkerrechtsverstöße unter Strafe zu stellen (Art. 1 Abs. 8 U.A. 10) an der Außenpolitik beteiligt, die Exekutive durch die Kompetenzen des Präsidenten, Botschafter zu ernennen und völkerrechtliche Verträge auszuhandeln (Art. 2 Abs. 2).

25 Schneider v. Kissinger, DC Circ., No. 04-5199, II. 1. (2005), aus Baker v. Carr zitierend.

26 Schneider v. Kissinger, DC Circ., No. 04-5199, II. 2. – 4. (2005).

27 Baker v. Carr, 369 U.S. 186, 217 (1962).

28 Siehe: Politico, https://www.politico.com/story/2018/12/20/united-states-invades-panama-1989-1067072 (zuletzt abgerufen: 22.9.2019).

29 Goldstar (Panama) v. US, 4th Circ., No. 91-2229, I. (1992).

30 Sovereign Immunity (Case Comment Goldstar), 50 Wash. & Lee L. Rev. (1993) 397, 398.

31 Goldstar (Panama) v. US, 4th Circ., No. 91-2229, II. A., B. (1992).

32 Goldstar (Panama) v. US, 4th Circ., No. 91-2229, III. (1992).

Kehl, Die gerichtliche Nachprüfbarkeit der Exekutive im Bereich außenpolitischer Handlungen in der US-Rechtsordnung82

zur Vermeidung von Sachentscheidungen in Fällen mit Bezug zu militärgestützter US-Außenpolitik.33 Dadurch zeigt das Urteil, dass den US-Bundesgerichten neben der Political-Question-Doktrin ein weiteres, ebenbürtiges Instrument zur Vermeidung einer Sachentscheidung zur Verfügung steht, dass durch eine restriktive Interpretation der in Betracht kommenden Ausnahmetatbestände entsprechend fruchtbar gemacht werden kann.

III. Der „Krieg gegen den Terror“

Eine der jüngsten Entscheidungen des Bundesberufungsgerichts für den District of Columbia hatte die Klage von Angehörigen der Opfer eines Drohnenangriffs zum Gegenstand. Zwei Verwandte der Kläger wurden im August 2012 im Jemen während eines Treffens mit Islamisten durch einen Drohnenangriff, der den Islamisten galt, getötet.34 Die Kläger begehrten u.a. eine Feststellung der Völkerrechtswidrigkeit des Drohnenschlages unter dem ATS.35

Das Gericht berief sich nach der üblichen Zitation von Baker v. Carr auf seinen eigenen Präzedenzfall El-Shifa v. US und die dort entwickelte Distinktion zwischen der Frage, ob eine militärische Handlung politisch klug ist und der Frage, ob für eine solche Handlung rechtliche Befugnis bestand.36 Ersteres zu beurteilen sei nicht Sache der Gerichte und Klagen, die eine solche Beurteilung der politischen Klugheit notwendig machten, seien nach der Political-Question-Doktrin abzuweisen.

Bei der Anwendung auf den vorliegenden Fall kam die Mehrheit der Richter zu dem Ergebnis, dass es für eine Entscheidung über die von den Klägern geltend gemachten Rechtsverstöße notwendig sei, die Rechtmäßigkeit des Drohnenschlags zu beurteilen, wofür wiederum eine Untersuchung u.a. darüber nötig sei, ob die Tötung der Zielpersonen notwendig war und ob es Beweise dafür gab, ob die Zielpersonen überhaupt legitime Ziele waren.37 Dies sei nicht möglich, ohne auch ein Urteil darüber zu fällen, ob der Drohnenschlag politisch klug war, womit der Fall nach El Shifa zu beurteilen und die Political-Question-Doktrin einschlägig sei. Die erstinstanzliche Abweisung der Klage aus denselben Gründen wurde dementsprechend bestätigt.38

D. Kritische Würdigung

Die eben gezeigte extensive Anwendung der Political-Question-Doktrin, aber auch des Prinzips der Sovereign Immunity durch die amerikanischen Bundesberufungsgerichte erscheint vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Supreme Court, aber auch mit Blick auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen der USA, nicht unproblematisch. Im Folgenden soll überprüft werden, ob die Rechtsprechung zum Themenkomplex der Nachprüfbarkeit außenpolitischer Entscheidungen der Exekutive der Kritik aus diesen beiden Richtungen standhält.

I. Vereinbarkeit der Rechtsprechung mit amerikanischem Recht

In der US-amerikanischen Rechtsordnung gilt die Doktrin des stare decisis, nach der Entscheidungen höherer Gerichte als Präzedenzfälle die niedrigeren Gerichte in ihrer Rechtsprechung binden.39 Demnach sind die vom Supreme Court aufgestellten Maßstäbe für die Anwendung der Political-Question-Doktrin für die US-Bundesberufungsgerichte verbindlich.

1. Unanwendbarkeit der Political-Question-Doktrin auf Gesetzesauslegung

a) Maßstab des Supreme Court

Bereits 1986 hat der Supreme Court in der Entscheidung Japan Whaling festgestellt, dass die Auslegung von Gesetzen als typische Aufgabe der Gerichte nicht in den Anwendungsbereich der Political-Question-Doktrin fallen kann.40 Wie von Richter Kavanaugh in seiner abweichenden Meinung in El-Shifa richtig bemerkt, hat der Supreme Court selbst die Doktrin auch niemals auf die Interpretation von Parlamentsgesetzen angewandt.41 Vor der Entscheidungen des Bundesberufungsgerichts für den District of Columbia in Bin Ali Jaber hat das oberste amerikanische Gericht diese Rechtsauffassung in der Entscheidung Zivotofsky v. Clinton nochmals explizit bestätigt und das Urteil eines niedrigeren Gerichts, das die Political-Question-Doktrin angewandt hatte, obwohl die Auslegung und Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zentral für die Entscheidung waren, aufgehoben.42 Dieser Standpunkt hat verfassungsrechtliche Dimension, denn eine Anwendung der Doktrin auf die Auslegung von Gesetzen würde die Fähigkeit der Legislative, die Handlungen der Exekutive durch Gesetze wirksam zu beschränken und zu kontrollieren, massiv einschränken und somit dem Verfassungsgrundsatz der Gewaltenteilung zuwiderlaufen,43 obwohl es genau dieser Verfassungsgrundsatz ist, aus dem die Rechtsprechung die Political-Question-Doktrin überhaupt herleitet.44 Die Erklärung der Auslegung eines Parlamentsgesetzes zu einer nicht justiziablen politischen Frage lässt sich somit nicht nur als Verletzung der einschlägigen Supreme Court-Rechtsprechung kritisieren, sondern


33 Vgl. Van Wynen Thomas/Thomas, Presidential War-Making Power, 35 Sw. L. J. (1981), 879, 891-93 zu den zahlreichen Klagen mit Bezug zum Vietnamkrieg, die aufgrund der Doktrin abgewiesen wurden.

34 Zu den Geschehnissen siehe: The Guardian, https://www.theguardian.com/world/2017/jun/30/yemen-us-drone-strike-lawsuit (zuletzt abgerufen: 22.9.2019).

35 Schadensersatz wurde nicht begehrt, siehe Bin Ali Jaber v. US, DC Circ., No. 16-5093, I. (2017).

36 El-Shifa Pharmaceutical Industries Company v. US, DC Circ., No. 07-5174, II. (2010).

37 Bin Ali Jaber v. US, DC Circ., No. 16-5093, II. A. (2017).

38 Bin Ali Jaber v. US, DC Circ., No. 16-5093, III. (2017).

39 Vgl. Clark/Ansay (Fn. 5), S. 38.

40 Japan Whaling Ass’n v. American Cetacean Soc., 478 U.S. 221, 222, 230 (1986): “interpreting congressional legislation is a recurring and accepted task for the federal courts”.

41 El-Shifa Pharmaceutical Industries Company v. US, DC Circ., No. 07-5174, Kavanaugh concurring, II A. (2010).

42 Zivotofsky v. Clinton, 566 U.S. 189 (2012), zwar war die Auslegung des Gesetzes in diesem Fall unstreitig, der Supreme Court bezog sich jedoch explizit auch auf die Auslegung von Gesetzen, was von amerikanischen Kommentatoren auch so eingeordnet wurde, vgl. Michel, There’s No such thing as a Political Question of Statutory Interpretation, 123 Yale Law Journal (2013), 253, 254.

43 El-Shifa Pharmaceutical Industries Company v. US, DC Circ., No. 07-5174, Kavanaugh concurring, II A. (2010); siehe auch Michel (Fn. 42), 253, 261, 262.

44 Siehe oben B. II. 2., S. 80.

Kehl, Die gerichtliche Nachprüfbarkeit der Exekutive im Bereich außenpolitischer Handlungen in der US-Rechtsordnung83

führt die Doktrin selbst ad absurdum.

Wie dargestellt wurde, stützten sich die Kläger in allen erörterten Fällen u.a. entweder auf das ATS oder den FTCA, also vom Kongress erlassene Gesetze; dennoch wurde die Doktrin in den meisten dieser Fälle zur Anwendung gebracht. Hierin lässt sich mit Kavanaugh45 und den Klägern in Bin Ali Jaber46 eine Verletzung der Rechtsprechung des Supreme Court sehen.

b) Argumente für die Position des Bundesberufungsgerichts für D.C.

Für die in Bin Ali Jaber eingenommene Position des Gerichts lässt sich wiederum einwenden, dass der FTCA und das ATS keine eigenen Ansprüche vermitteln, sondern nur die Zuständigkeit der US-Bundesgerichte begründen.47 Da diese Gesetze also keine Ansprüche von Einzelpersonen gegen die USA begründen und somit auch keine Verhaltenspflichten für die Exekutive statuieren, im Gegensatz zu dem Gesetz, über das in Zivotofsky zu entscheiden war, könne das Verbot, Fragen der Gesetzesauslegung unter der Political-Question-Doktrin für nicht justiziabel zu erklären, hier nicht eingreifen.

Zudem beachtlich ist das vom Bundesberufungsgericht selbst in Bin Ali Jaber zur Unterscheidung von Zivotofsky angeführte Argument, in Zivotofsky sei es ausschließlich darum gegangen, über Auslegung und Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zu entscheiden, während eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Einsatzes tödlicher Gewalt im Ausland unter dem ATS nicht möglich sei, ohne die Richtigkeit der außenpolitischen Entscheidungen der Exekutive zu hinterfragen und ihr die außenpolitischen Anschauungen des Gerichts aufzuzwingen.48

c) Entscheidung

Es ist nicht erkennbar, warum die dem Gericht in Bin Ali Jaber und den anderen erörterten Fällen vorgelegten Fragen nicht justiziabel sein sollen, ohne die von der Exekutive verfolgte Außenpolitik inhaltlich in Frage zu stellen. Die Kläger verlangten vom Gericht nicht, die politische Gebotenheit von Raketen- und Drohnenangriffen bzw. anderer gewaltgestützter außenpolitischer Handlungsweisen zu bewerten, sondern das Handeln der Exekutive an vom Kongress verabschiedeten Gesetzen zu messen.

Eher überzeugend erscheint zunächst das Argument, die Entscheidung in Sachen Zivotofsky könne in den geschilderten Fällen keine Anwendung finden, da ATS und FTCA selbst keine Ansprüche gegen die Exekutive vermitteln, denn dies entkräftet den Vorwurf der Gegenseite, dem Kongress werde durch eine Anwendung der Political-Question-Doktrin auf Gesetzesauslegung die Möglichkeit genommen, das Verhalten der Exekutive zu regulieren: Gesetze, die lediglich die Zuständigkeit der Gerichte für bestimmte Sachfragen begründen und gar keine Ansprüche vermitteln, stellen auf den ersten Blick keine legislative Regulierung der Exekutive dar und berühren somit in keiner Weise die Gewaltenteilung.

Diese Sichtweise verkennt jedoch, dass ATS und FTCA mittelbar die Exekutive regulieren. Indem sie durch die Begründung der sachlichen Zuständigkeit der US-Bundesgerichte für Ansprüche gegen die Exekutive aufgrund von völkerrechtswidrigem Verhalten eine Möglichkeit für Betroffene schaffen, diese Ansprüche gerichtlich geltend zu machen und zu liquidieren,49 begründen diese Gesetze einen starken Anreiz für die vollziehende Gewalt, das Völkerrecht im Rahmen ihrer Außenpolitik tatsächlich zu wahren. Die Sätze des Völkerrechts, deren Einhaltung auf diese Weise gefördert wird, wie z.B. die Verbote willkürlicher Tötungen und von Folter, stellen wiederum klar verhaltensregulierende Vorschriften dar.50 Im Ergebnis sind somit wenigstens das ATS und der FTCA vom Verbot der Anwendung der Political-Question-Doktrin auf die Auslegung von Parlamentsgesetzen erfasst, womit die Entscheidungen des Bundesberufungsgerichts für den District of Columbia in den Fällen Schneider und Bin Ali Jaber mit der Rechtsprechung des Supreme Court unvereinbar sind.

2. Prinzip der grundsätzlichen Überprüfbarkeit der Außenpolitik

Bereits in Baker v. Carr hat der Supreme Court festgestellt, dass die amerikanische Außenpolitik grundsätzlich nicht der Justiziabilität entzogen ist.51 Die in den dargestellten Fällen gewählten methodischen Ansätze lassen jedoch teilweise Zweifel aufkommen, ob dieser Grundsatz von den Bundesberufungsgerichten eingehalten wird.

Bei der Prüfung des ersten Baker-Faktors in Schneider v. Kissinger stellte das Bundesberufungsgericht für D.C. fest, die Führung der Außenpolitik sei durch die Verfassung den anderen beiden Gewalten zugewiesen und daher der Nachprüfung durch die Judikative entzogen.52 Eine derart generalistische Prüfung, die sich explizit auf Außenpolitik im Allgemeinen bezieht53 ist jedoch mit der Feststellung des Supreme Court, Außenpolitik sei eben nicht grundsätzlich der Nachprüfbarkeit entzogen, evident nicht zu vereinbaren.

II. Vereinbarkeit der Rechtsprechung mit dem Völkerrecht

Äußerst fraglich erscheint zudem die Vereinbarkeit der dargestellten Rechtsprechung der US-Bundesberufungsgerichte54


45 El-Shifa Pharmaceutical Industries Company v. US, DC Circ., No. 07-5174, Kavanaugh concurring, II A. (2010).

46 Bin Ali Jaber v. US, DC Circ., No. 16-5093, II. B. (2017).

47 Vgl. Constitutional Law (Fn. 21) 1473, 1477, 1478, mit Verweis auf die rein zuständigkeitsbegründende Natur des ATS; das Argument kann auf den FTCA übertragen werden, wenngleich der Autor letztlich eine abweichende Position einnimmt.

48 Bin Ali Jaber v. US, DC Circ., No. 16-5093, II. B. (2017), „The court [in Zivotofsky] was not called upon to impose its own foreign policy judgement on the political branches”.

49 Vorausgesetzt, dass beim ATS noch ein Ausnahmetatbestand vom Prinzip der Sovereign Immunity und ein verletzter Völkerrechtssatz, neben dem FTCA eine Verletzung eine anspruchsbegründende Verletzung eines nationalen Rechtssatzes dargelegt werden kann, siehe oben B. II.

50 Vgl. Constitutional Law (Fn. 21), 1473, 1477, 1478, wenn auch nur für das ATS.

51 Baker v. Carr, 369 U.S. 186, 211 (1962), seitdem mehrfach bestätigt, zuletzt in Zivotofsky v. Clinton, 566 U.S. 196 (2012).

52 Siehe oben, C. I.

53 Schneider v. Kissinger, DC Circ., No. 04-5199, II. 1. (2005).

54 Die Frage der Völkerrechtswidrigkeit der in den dargestellten Fällen angegriffenen außenpolitischen Handlungen der Exekutive kann hier nicht näher thematisiert werden, jedoch wird im Folgenden davon ausgegangen, dass in Schneider gegen das Menschenrecht auf Leben nach Art. 3 AEMR und Art. 6 IPBürg sowie gegen das Folterverbot aus Art. 5 AEMR und Art. 7 IPBürg verstoßen wurde, und in Bin Ali Jaber mangels Einhaltung des Unterscheidungsgebotes des humanitären Völkerrechts eine willkürliche Tötung und somit ebenfalls ein Verstoß gegen Art. 6 I IPBürg vorliegt, siehe hierzu OVG Münster Urt. v. 19.3.2019 – 4 A 1361/15, BeckRS 2019, 5666, 226, 227, 233.

Kehl, Die gerichtliche Nachprüfbarkeit der Exekutive im Bereich außenpolitischer Handlungen in der US-Rechtsordnung84

mit dem die USA bindenden Völkerrecht, insbesondere dem Recht auf Leben und dem Folterverbot gemäß Art. 6 I, 7 Internationaler Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte („IPBürg“).55

1. Eingriff in den Schutzbereich von Art. 6 I,

2. 7 IPBürg


Sowohl aus Art. 6 I als auch aus Art. 7 IPBürg hat der UN-Menschenrechtsausschuss bereits neben den materiellen Pflichten stehende Verfahrenspflichten hergeleitet.56

Durch die extensive Handhabung der Political-Question-Doktrin wurden in jüngerer Vergangenheit alle Klagen, die auf eine Überprüfung militärbezogener außenpolitischer Handlungen der Exekutive anhand des Rechts auf Leben und des Folterverbots aus dem IPBürg gerichtet waren, wie Bin Ali Jaber und Schneider als unzulässig abgewiesen, in keinem der Fälle erging ein Sachurteil.57 Diese Abweisungen entsprechender Klagen als unzulässig könnten, zumindest soweit die Kläger berechtigterweise Verletzungen des Rechts auf Leben und des Folterverbots geltend machten, Verstöße gegen die aus Art. 6 I und 7 IPBürg folgenden Verfahrenspflichten darstellen.

Der EGMR jedenfalls erkennt an, dass die Verweigerung einer Sachentscheidung über eine auf ein von der EMRK vermitteltes Recht gestützte Klage einen Verstoß gegen die die aus diesem Recht folgenden Verfahrenspflichten darstellt, wenn sie nicht gerechtfertigt ist.58 In Anbetracht der Tatsache, dass sowohl der IPBürg als auch die EMRK den internationalen Schutz der in ihnen verankerten Menschenrechte, bei beiden größtenteils klassische Freiheitsrecht der ersten Generation,59 bezwecken, erscheint es angemessen, diese Auslegung bei der Beantwortung der Frage, ob auch die Verfahrenspflichten unter dem IPBürg durch die Verweigerung eines Sachurteils verletzt werden können, zu berücksichtigen.60 Demnach ist anzunehmen, dass durch die Abweisung einer auf eine Verletzung von Rechten aus dem IPBürg gestützte Klage als unzulässig eine Verletzung der aus den entsprechenden Vorschriften des IPBürg sich ergebenden Verfahrenspflichten möglich ist.

3. Rechtfertigung des Eingriffs in Art. 6 I IPBürg

Gemäß Art. 6 I IPBürg sind lediglich „willkürliche“ Tötungen verboten. Dies ist als Eingriffsvorbehalt in das Recht auf Leben auszulegen, für den insbesondere das Prinzip der Verhältnismäßigkeit maßgeblich ist.61 Zur Rechtfertigung des Eingriffs in Form der Vernachlässigung dieser Verfahrenspflichten wäre demnach zunächst ein legitimer Zweck erforderlich. Als solcher kommt die nach Ansicht der US-Bundesgerichte direkt aus der Verfassung folgende Political-Question-Doktrin in Betracht.

a) Legitimer Zweck: Nichtjudikation von politischen Fragen per se

Es ließe sich zunächst annehmen, dass bereits das in der Political-Question-Doktrin zum Ausdruck kommende Anliegen, die Judikative aus der Entscheidung politischer Fragen herauszuhalten, an sich einen legitimen Zweck für die Vernachlässigung der aus Art. 6 I IPBürg folgenden Verfahrenspflicht durch die Verweigerung eines Sachurteils darstellt. Der IGH wies jedoch in der Teheraner Geisel-Entscheidung das Argument der iranischen Seite, das Gericht solle angesichts der komplexen politischen Gesamtsituation von einer Sachentscheidung Abstand nehmen, als in keiner Weise vom Völkerrecht unterstützt und nicht mit der Funktion des Gerichts vereinbar zurück,62 was stark dagegen spricht, dass die Tatsache eines politischen Kontextes allein einen legitimen Zweck für eine Vernachlässigung der Verfahrenspflichten aus Art. 6 IPBürg darstellen kann.

b) Legitimer Zweck: Wahrung der Vorgaben der amerikanischen Verfassung

Da die Political-Question-Doktrin nach in den USA herrschender Ansicht direkt aus dem Verfassungsgrundsatz der Gewaltenteilung folgt, ließe sich erwägen, das Bestreben der US-Gerichte, den Vorgaben der eigenen Verfassung zu genügen, als legitimen Zweck zu betrachten.63 Dem steht jedoch entgegen, dass Vorgaben des nationalen Rechts eines Staates für die Frage der Vereinbarkeit von dessen Handeln mit dem Völkerrecht grundsätzlich unbeachtlich sind.64


55 Zur Mitgliedschaft der USA im IPBürg siehe die vom US-Außenministerium herausgegebenen Publikation Treaties in Force 2019 – Multilateral Treaties, S. 520: https://www.state.gov/wp-content/uploads/2019/05/2019-TIF-Multilaterals-web-version.pdf (zuletzt abgerufen: 22.9.2019).

56 Siehe Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, 2004, Rn. 91, 94, 111; für die Begründung der aus dem Folterverbot des Art. 7 fließenden Verfahrenspflichten stellt der MRA dabei auf Art. 2 III IPBürg und die darin enthaltene Verpflichtung zur Bereitstellung wirksamer Rechtsbehelfe gegen Verletzungen des IPBürg ab, vgl. CCPR General Comment 20, § 14.

57 Siehe oben C., in Goldstar hingegen kam eine Verletzung der genannten Rechte aus dem IPBürg nicht in Betracht, weswegen eine Erörterung der Völkerrechtskonformität der Rechtsprechung in dieser Entscheidung und der darin vorgenommenen Anwendung der Sovereign Immunity unterbleibt.

58 EGMR, Case of Koch v. Germany, Urt. v. 19.7. 2012, App. No. 497/09, §§ 65-67, in Bezug auf das Recht auf Privatleben nach Art. 8 EMRK.

59 Siehe Delaney, Analyzing Avoidance, 66 Duke L. J. (2016-17), S. 1, 29, 30, zur Einordnung der von der EMRK vermittelten Rechte als bürgerliche und politische Rechte.

60 Die ähnlichen Funktionen, die EMRK und IPBürg erfüllen, sowie die für Menschen- und Grundrechtskataloge typische Vielfalt an möglichen Auslegungen, sprechen für eine Berücksichtigung der Urteile zur einen Rechtsquelle bei der Auslegung der anderen im Rahmen des sog. Engagement Model, vgl. hierzu Jackson, Constitutional Comparisons, 119 Harv. L. Rev. (2005), S. 109, 116, 117, wenn auch auf verfassungsrechtliche Grundrechtskataloge bezogen.

61 Vgl. Schilling (Fn. 56), Rn. 90; obwohl der Eingriffsvorbehalt als Verbot „willkürlicher“ Tötungen, also materieller Eingriffe, normiert ist, wird hier davon ausgegangen, dass die Schranke auch auf die Verfahrenspflichten aus Art. 6 I Anwendung findet.

62 IGH, Case concerning United States diplomatic and consular staff in Teheran (USA v. Iran), ICJ Reports 1980, S. 3, 21.

63 Vgl. Baker v. Carr, 369 U.S. 186, 214, 217 (1962).

64 Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14, Auflage, 2017, § 69 Rn. 1110, § 5 Rn. 70.

Kehl, Die gerichtliche Nachprüfbarkeit der Exekutive im Bereich außenpolitischer Handlungen in der US-Rechtsordnung85

Hinzu kommt, dass die extensive Anwendung der Political-Question-Doktrin durch die US-Bundesberufungsgerichte der eher restriktiven Auslegung der Doktrin, die der Supreme Court aus der Verfassung entwickelt haben will, widerspricht,65 somit also in den dargestellten Urteilen, in denen Klagen aufgrund der Doktrin abgewiesen wurden, nicht von einer Anwendung von Verfassungsrecht ausgegangen werden kann. Auch in der Wahrung US-amerikanischen Verfassungsrechts liegt somit kein legitimer Zweck für die in den erwähnten Entscheidungen liegende Vernachlässigung der Verfahrenspflichten aus Art. 6 I IPBürg.

4. Zwischenergebnis

Die Urteile des Bundesberufungsgerichts für den District of Columbia in Sachen Schneider und Bin Ali Jaber verletzen aufgrund der Klageabweisungen als unzulässig die aus Art. 6 I und 7 IPBürg folgenden Verfahrenspflichten.

Darüber hinaus ist die von der Political-Question-Doktrin geprägte Rechtsprechung der Bundesgerichte mit der Pflicht, einen effektiven Rechtsbehelf gegen Verletzungen der im IPBürg geregelten Menschenrechte aus Art. 2 III IPBürg zur Verfügung zu stellen,66 unvereinbar, da die extensive Auslegung der Doktrin, die diese vorgenommen haben, eine für Kläger kaum überwindbare Zulässigkeitsschranke darstellt.

Die Praxis des Bundesberufungsgerichts für D.C., auf Überprüfung außenpolitischer Handlungen der Exekutive gerichtete Klagen grundsätzlich aufgrund der Political-Question-Doktrin abzuweisen, ist somit mit dem Völkerrecht nicht vereinbar.

E. Abschließende Betrachtung

Die etablierte Rechtsprechung der US-Bundesberufungsgerichte ist im Bereich der Political-Question-Doktrin mit den vom Supreme Court aufgestellten Maßstäben für deren Handhabung in verschiedener Hinsicht unvereinbar, erlaubt der Exekutive den vielfältigen Einsatz völkerrechtswidriger Gewalt im Rahmen ihrer Außenpolitik und ist selbst völkerrechtswidrig.

Eine Behebung dieses hochproblematischen Zustandes würde zunächst erfordern, dass der Supreme Court seine Passivität67 aufgibt und seine eigenen, restriktiveren Maßstäbe zur Anwendung der Political-Question-Doktrin gegenüber den niedrigeren Bundesgerichten durchsetzt. Ein Handeln der Legislative durch Gesetz erscheint zur Lösung dieses Problems nicht möglich, da die Doktrin von der Rechtsprechung auf die Verfassung gestützt wird.

Mit dem Wegfall dieser Zulässigkeitsschranke stünde einem effektiven Individualrechtsschutz gegen Völkerrechtsverstöße der Exekutive allerdings noch immer das Prinzip der Sovereign Immunity entgegen, von dem bislang nur lückenhafte Ausnahmetatbestände existieren. Dieses könnte jedoch durch den Erlass eines einfachen Gesetzes vollständig abgeschafft oder stark eingeschränkt werden.68 Insgesamt würde die Herstellung effektiven Individualrechtschutzes vor der Exekutive im Bereich der Außenpolitik also ein zielgerichtetes Handeln sowohl der Legislative als auch der obersten Instanz der Judikative erfordern.


65 Siehe oben D. I.

66 Vgl. CCPR General Comment 3, § 1.

67 Van Wynen Thomas/Thomas (Fn. 33), 879, 897, 898, bezogen auf die während des Vietnamkrieges gereifte Praxis des Supreme Court, mit dem Krieg verbundene Entscheidungen der Bundesberufungsgerichte, in denen die Political-Question-Doktrin zur Anwendung gebracht wurde, gar nicht zur Revision anzunehmen.

68 Vgl. Strauss/Rakoff/Schotland/Farina (Fn. 2), S. 1106, 1107.