Aufklärungspflichten des Verkäufers und Wissenszurechnung beim Unternehmenskauf

Julia Müller*

A. Einführung

Ein Unternehmen stellt einen sich stetig verändernden Organismus von Sachen, Rechten, Verträgen, Mitarbeitern, organisatorischen Strukturen, tatsächlichen Verhältnissen und Geschäftschancen dar.1 Diese Beschaffenheit als Gesamtheit von Sachen und Rechten macht das Unternehmen zu einem komplexen Kaufgegenstand und wirft somit die Frage auf, inwiefern die gesetzliche Mängelgewährleistung des Kaufrechts sowie das übrige Leistungsstörungsrecht sachgerecht für einen so komplexen Kaufgegenstand sein können.

Anstelle der gesetzlichen Regelungen haben sich daher in der Praxis umfassende individualvertraglich vereinbarte Gewährleistungsregime etabliert.2 Diese regeln einerseits im Rahmen von Garantien die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Haftung und schließen andererseits die gesetzlichen Regelungen so weit wie möglich aus. Das Ziel solcher Gewährleistungssysteme besteht insbesondere darin, das mit dem Unternehmenskauf verbundene Haftungsrisiko kalkulierbar zu machen.3 Diesem Zweck kann jedoch nur so lange gedient werden, wie die Parteien nicht die durch § 123, § 276 Abs. 3 und § 444 BGB gesetzten zwingenden Grenzen überschreiten. So kann ein vertraglich vereinbartes Haftungssystem durchbrochen werden, wenn der Verkäufer dem Käufer gegenüber wahrheitswidrige Aussagen tätigt oder die Preisgabe bestimmter Informationen vorsätzlich unterlässt.4 Eine solche Durchbrechung hat zur Folge, dass der Käufer die einschlägigen gesetzlichen Ansprüche geltend machen kann, welche sich auf gesetzliche Aufklärungspflichten des Verkäufers stützen.5

Im Folgenden wird zunächst untersucht, welche gesetzlichen Aufklärungspflichten den Verkäufer eines Unternehmens überhaupt treffen und wodurch diese Pflichten reduziert sein können. Außerdem soll darauf eingegangen werden, inwieweit die Parteien diese gesetzlichen Aufklärungspflichten ausschließen können.

Eine weitere Herausforderung des Unternehmenskaufs ergibt sich daraus, dass ein geordneter, professioneller Verkaufsprozess nur durch weitere Personen wie etwa Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte sowie Geschäftsführer und Mitarbeiter des Zielunternehmens gewährleistet werden kann.6 Diese Einbeziehung Dritter führt dazu, dass sich der Verkäufer unter bestimmten Voraussetzungen Handlungen und Wissen von Personen zurechnen lassen muss, auf die er nur bedingt einwirken kann.7 Im Zusammenhang mit Aufklärungspflichten des Verkäufers stellt sich somit insbesondere die Frage, inwiefern dem Verkäufer ein im Unternehmen grundsätzlich vorhandenes Wissen zugerechnet werden kann mit der Folge, dass der Verkäufer eine Aufklärungspflicht verletzt.

Typischerweise ist Verkäufer bei einem Share Deal der Gesellschafter und beim Asset Deal die Gesellschaft, deren Assets verkauft werden.8 Soweit sich aus diesem Unterschied keine Abweichungen für die Bearbeitung ergeben, wird im Folgenden einheitlich der Begriff „Verkäufer“ verwendet. Sofern eine Differenzierung erforderlich ist, wird gesondert auf die Arten des Unternehmenskaufs eingegangen.

B. Gesetzliche Aufklärungspflichten des Verkäufers

I. Das Bestehen von Aufklärungspflichten

Ausgangspunkt ist zunächst die Frage, inwiefern den Unternehmensverkäufer überhaupt gesetzliche Aufklärungspflichten treffen.

1. Rechtliche Rahmenbedingungen

Grundsätzlich ist es Sache jeder Partei, sich selbst über Chancen und Risiken des Geschäfts zu informieren.9 Den Verkäufer trifft keine allgemeine Pflicht, den Vertragspartner über alle Umstände aufzuklären, die für dessen Willensentschließung von Bedeutung sein könnten.10

Daraus folgt allerdings nicht, dass Kaufrisiken ausschließlich eine Sache des Käufers sind. So besteht nach ständiger Rechtsprechung des BGH selbst bei gegenläufigen Interessen der Parteien für die Vertragspartner die Pflicht, den anderen Teil zumindest über solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des anderen vereiteln können und daher für seinen Entschluss von wesentlicher Bedeutung sind, sofern der Käufer die Mitteilung nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte vernünftigerweise


* Die Autorin ist Studentin der Bucerius Law School, Hamburg. Der Beitrag stellt eine verkürzte und überarbeitete Fassung ihrer Seminararbeit dar.

1 Engelhardt/von Woedtke, in: Holzapfel/Pöllath (Hrsg.), Unternehmenskauf in Recht und Praxis15, 2017 A.II., Rn. 5.

2 Seibt in: Scholz (Begr.), Kommentar zum GmbHG12, 2018 § 15 GmbHG Rn. 160; G. Picot, in: G. Picot (Hrsg.), Handbuch Mergers & Acquisitions5, 2012, S. 323; Möller, NZG 2012, 841, 842; Heckschen, in: Heckschen (Hrsg.), Beck´sches Notar-Handbuch6, 2015, D.V. Rn. 71.

3 Beckmann, in: Staudinger (Begr.), Kommentar zum BGB, 2013, § 453 BGB Rn. 106; vgl. Meyer-Sparenberg, in: Meyer-Sparenberg/Jäckle (Hrsg.) Beck’sches M&A-Handbuch1, 2017, § 44 Rn. 1-6.

4 Von Woedtke, GmbHR 2017, 505.

5 Vgl. Koppmann, BB 2014, 1673, 1674; Schindler, KSzW 2016, 62.

6 Von Woedtke, GmbHR 2017, 505; vgl. Schaefer/Ortner, DStR 2017, 1710, 1711.

7 Vgl. Wendt/Kreiling, KSzW 2016, 67 f.; von Woedtke, GmbHR 2017, 505.

8 Koppmann, BB 2014, 1673, 1675; Grützmacher, CR 2017, 701, 704; Brinkmeier, GmbH-StB 2017, 231.

9 Ellenberger, in: Palandt (Begr.), Kommentar zum BGB78, 2019, § 123 BGB Rn. 5; Hübner, BB 2010, 1483, 1485.

10 BGH, NJW 2010, 3362 Rn. 21; Singer/Finckenstein, in: Staudinger (Begr.), Kommentar zum BGB, 2017, § 123 BGB Rn. 10; Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB8, 2018, § 123 BGB Rn. 33.

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erwarten durfte.11

Im Fall des Unternehmenskaufs muss nach Ansicht des BGH zum einen die Position des Käufers als Außenstehender besondere Berücksichtigung finden. So seien seine Möglichkeiten, eine eigenständige Bewertung des Unternehmens vorzunehmen begrenzt, weshalb er zur Verschaffung eines Überblicks über die wertbildenden Faktoren auf die Unterlagen des Verkäufers angewiesen sei.12 Zum anderen müsse auch die wirtschaftliche Tragweite des Geschäfts Beachtung finden.13 Aufgrund dieser Aspekte besteht beim Unternehmenskauf folglich eine gesteigerte Aufklärungs- und Sorgfaltspflicht des Verkäufers.14

Konkrete Sachverhalte, bei denen der BGH eine Aufklärungspflicht angenommen hat, sind beispielsweise der Fall, dass der Verkäufer kurz vor Vertragsschluss eine erhebliche Umsatzeinbuße hinnehmen musste,15 oder dass das Unternehmen seit längerem nur Verluste erwirtschaftet hat.16

Im Ergebnis scheint eine genaue Kategorisierung des Bestehens oder Nichtbestehens von Aufklärungspflichten nicht realisierbar. Angesichts der entschiedenen Sachverhalte und der Begründung, die für die Annahme von gesteigerten Aufklärungspflichten beim Unternehmensverkauf herangezogen wird,17 ist somit dem Grundsatz zu folgen, vor allem dann das Bestehen einer Aufklärungspflicht anzunehmen, wenn die betroffene Information besonders relevant für den Entschluss des Kaufinteressenten ist.

2. Handhabung in der Praxis

Aufgrund der Sorgfaltspflichten, die Geschäftsführer auf Seiten des Käufers treffen, laufen Unternehmenskäufe heute nur selten ohne Nachfrage des Käufers nach den wirtschaftlichen sowie rechtlichen Verhältnissen des Unternehmens ab.18 Auf Grundlage der Business Judgement Rule (vgl. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG) können sich Vorstand oder Geschäftsführer sogar haftbar machen, wenn sie ein anderes Unternehmen ohne vorherige Durchführung einer Due Diligence Prüfung erwerben.19 Der Käufer wird den Verkäufer also in der Regel über das Zielunternehmen befragen. In vielen Fällen wird der Verkäufer auch selbst Informationen über das Unternehmen zur Verfügung stellen, um einen besseren Kaufpreis zu erzielen.20 In der Praxis stellt sich somit zumeist weniger die Frage, ob der Verkäufer eine Information hätte preisgeben müssen, sondern vielmehr, welche Informationen der Käufer im Rahmen einer Due Diligence Prüfung erwarten darf.21

Für die Erfüllung seiner Aufklärungspflichten baut der Verkäufer regelmäßig einen Datenraum auf, in dem er dem Käufer alle relevanten Dokumente aufbereitet und strukturiert.22 Eine stiefmütterliche Behandlung dieses Datenraums oder die fehlende Aktualisierung können dazu führen, dass der Verkäufer seine Aufklärungspflichten gegenüber dem Käufer verletzt.23

II. Folgen mangelnder Aufklärung durch den Verkäufer

Hat der Verkäufer seine gesetzlichen Aufklärungspflichten verletzt, kann der Käufer auf mehrere gesetzliche Anspruchsgrundlagen zurückgreifen, mit denen er die Rückabwicklung des Kaufvertrags bzw. Schadensersatz geltend machen kann. Nach einem kurzen Überblick über die existierenden gesetzlichen Ansprüche soll hier insbesondere auf die Ansprüche wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten eingegangen werden.

1. Überblick über die gesetzlichen Anspruchsgrundlagen

Außerhalb des Deliktsrecht stehen dem Unternehmenskäufer drei Anspruchsgrundlagen gegen den Verkäufer, der seine Aufklärungspflichten verletzt hat, zur Verfügung. Bei Vorliegen eines Sachmangels kann sich der Käufer auf kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche nach den § 434 ff. BGB stützen. Eine Haftung des Unternehmensverkäufers kann außerdem aus culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB) folgen. Schließlich kann der Käufer den Unternehmenskaufvertrag gemäß § 123 Abs. 1 BGB aufgrund arglistiger Täuschung anfechten und ihn sodann nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB rückabwickeln.

Da ein Sachmangel als Voraussetzung für kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche oft nur schwer beweisbar sein wird und eine Anfechtung nach § 123 BGB nur innerhalb eines Jahres erfolgen kann (vgl. § 124 Abs. 1 BGB), wird der Käufer seine Klage in der Regel auf culpa in contrahendo stützen.24

2. Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten

Aus § 311 Abs. 2 BGB i.V.m. den oben dargelegten Ausführungen zu Aufklärungspflichten beim Unternehmenskauf folgt die Pflicht des Verkäufers, den Käufer über bestimmte Umstände bei den Vertragsverhandlungen aufzuklären. Verletzt der Verkäufer diese Pflicht, kann er gemäß §§ 280 Abs. 1 i.V.m. 311 Abs. 2 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sein. Fraglich ist, ob die Haftung aus culpa in contrahendo auch anwendbar ist, wenn der Verkäufer vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt, welche sich auf die Beschaffenheit der Kaufsache beziehen.


11 BGH, NJW-RR 1996, 429; BGH, NJW 1993, 2107; BGH, NJW-RR 1990, 78, 79; BGH, NJW-RR 1988, 394.

12 BGH, NJW 2001, 2163, 2164.

13 BGH, NJW 2001, 2163, 2164.

14 BGH, NJW 2001, 2163; Schiffer/Mayer, BB 2016, 2627, 2828.

15 BGH, NJW-RR 1996, 429.

16 BGH, NJW 2002, 1042.

17 Siehe hierzu Fn. 12-14.

18 Schindler, KSzW 2016, 62; vgl. Spindler, in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz5, 2019, § 93 AktG Rn. 55.

19 Vgl. OLG Oldenburg, NZG 2007, 434, 436; nach h.M. besteht aber keine allg. Pflicht zu Due Diligence, siehe Hölters, in: Hölters (Hrsg.), Kommentar zum Aktiengesetz, 2017, § 93 AktG Rn. 179 m.w.N.

20 Vgl. Rempp, in: Hölters (Hrsg.), Handbuch Unternehmenskauf9, 2019, C. III. Rn. 4.

21 Schindler, KSzW 2016, 62.

22 Auch „Data Room“, vgl. zum Begriff Socher, NJW 2010, 829, 830.

23 D. Beisel, in: W. Beisel/Klumpp (Begr.), Der Unternehmenskauf7, 2016, § 16 Rn. 68; Koppmann, BB 2014, 1673, 1678.

24 Koppmann, BB 2014, 1673, 1674; vgl. Hübner, BB 2010, 1483, 1485.

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So lehnt ein Teil der Literatur einen Rückgriff auf culpa in contrahendo mit Hinblick auf die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche nach Gefahrübergang ab.25 Diese Auffassung argumentiert damit, dass es sich bei §§ 434 ff. BGB um abschließende Regelungen handle, durch die der Käufer ausreichend geschützt sei.26

Eine andere Auffassung geht hingegen davon aus, dass es sich um unterschiedliche Haftungssysteme handle, die verschiedene Zwecke verfolgten. So solle die Haftung für vorvertragliches Fehlverhalten informationelle Defizite des Käufers bei Vertragsschluss ausgleichen, für die der Verkäufer verantwortlich ist. Dem Gewährleistungsrecht hingegen ginge es um einen Ausgleich dafür, dass der Kaufgegenstand nicht so ist, wie er sein sollte.27 Folglich wird teilweise vertreten, dass Ansprüche aus kaufrechtlicher Gewährleistung und solche aus Verschulden bei Vertragsschluss stets nebeneinander bestehen können.28

Der BGH und weite Teile der Literatur gehen zwar von einer grundsätzlichen Sperrwirkung durch die kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften aus, von dieser sei aber für den Fall, dass der Verkäufer arglistig handelt, eine Ausnahme zu machen.29 Da der vorsätzlich handelnde Verkäufer nicht schutzwürdig ist und somit nicht ersichtlich ist, weshalb er die Vorzüge des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts genießen sollte, ist die Ansicht dieser herrschenden Meinung vorzugswürdig.

III. Zurechnung des Verhaltens Dritter

Weitere Haftungsrisiken für den Verkäufer birgt die im Rahmen eines Unternehmensverkaufs regelmäßig erforderliche Einbeziehung Dritter. So ist dem Verkäufer unter bestimmten Umständen das Verhalten oder das Wissen Dritter zuzurechnen. Die Wissenszurechnung wird als einer der Schwerpunkte dieses Aufsatzes in einem späteren Teil ausführlich erörtert.

Die Zurechnung des Verhaltens von Personen, die auf Verkäuferseite in den Vertragsverhandlungen involviert sind, erfolgt nach den Grundsätzen des § 278 BGB.30 Die Norm setzt voraus, dass sich der Schuldner, also hier der Verkäufer, eines Erfüllungsgehilfen bedient. Erfüllungsgehilfe ist, wer nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Falles mit Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird.31

Erfüllungsgehilfe kann nicht sein, wer gesetzliches Organ bzw. Mitglied von Geschäftsleitungsorganen oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter einer juristischen Person ist.32 Denn das Verschulden solcher Personen gilt entsprechend § 31 BGB als eigenes Verschulden der juristischen Person.33 Sämtliche sonstigen Mitarbeiter des Verkäufers sowie seine wirtschaftlichen und rechtlichen Berater sind hingegen der Einordnung als Erfüllungsgehilfen zugänglich.34 Für die Qualifikation als Erfüllungsgehilfe kommt es darauf an, dass der Mitarbeiter oder Berater mit dem Willen des Verkäufers als dessen Hilfsperson tätig wird.35 Nicht erforderlich ist ein persönlicher Kontakt mit dem Käufer. Es reicht vielmehr aus, dass die Hilfsperson im Hintergrund an der Erfüllung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten des Verkäufers mitwirkt, beispielsweise indem sie die Unterlagen für die Due Diligence des Kaufinteressenten zusammenstellt.36

Ob im Falle eines Share Deals Geschäftsführer und Mitarbeiter des Zielunternehmens als Erfüllungsgehilfen des verkaufenden Gesellschafters einzustufen sind, ist höchstrichterlich nicht geklärt und in der Literatur umstritten.37 Die Vorgenannten sollten jedenfalls dann als Erfüllungsgehilfen qualifiziert werden, wenn der Gesellschafter sie konkret zur Erfüllung seiner Aufklärungspflicht einsetzt.38

IV. Reduzierung der Aufklärungspflichten

Die hohen Aufklärungs- und Sorgfaltspflichtenpflichten des Verkäufers können jedoch eingeschränkt sein, wenn es sich nicht um einen Unternehmenskauf im üblichen Sinne handelt.

1. Aufgrund der Beschaffenheit des Unternehmenskaufs

So entschied der BGH, dass sich die Aufklärungspflichten des Verkäufers reduzieren, wenn der Käufer keine Schulden übernimmt und das Unternehmen in seinen eigenen branchengleichen Betreib eingliedern will.39 Diese Einschränkung der Aufklärungspflichten lässt sich insbesondere damit begründen, dass die Transaktion in solch einem Fall nicht die gleiche wirtschaftliche Tragweite wie übliche Unternehmenskäufe hat. Da die wirtschaftliche Bedeutung des Unternehmenskaufs eines der tragenden Argumente für die Annahme von gesteigerten Aufklärungspflichten des Unternehmensverkäufers darstellt, scheint es konsequent, solche gesteigerten Pflichten nicht mehr anzunehmen, wenn


25 Sutschet, in: Beck’scher Online Kommentar zum BGB51, Stand: 01.08.2019, § 311 BGB Rn. 82; Stadler, in: Jauernig (Begr.), Kommentar zum BGB17, 2018, § 311 BGB Rn. 38.

26 Roth, JZ 2006, 1026; Schaub, AcP 202 (2002), 757, 783.

27 Faust, in: BeckOK-BGB (Fn. 25), § 437 BGB Rn. 199.

28 Faust, in: BeckOK-BGB (Fn. 25), § 437 BGB Rn. 199; mit anderer Begründung, aber zum selben Ergebnis kommen Emmerich, in: Münchener Kommentar zum BGB8, 2019, § 311 BGB Rn. 82; Häublein, NJW 2003, 388, 391 f.

29 BGHZ 180, 205, 214 Rn. 24; Grüneberg, in: Palandt (Fn. 9), § 311 BGB Rn. 14 f.; Feldmann/Löwisch, in: Staudinger (Begr.), Kommentar zum BGB, 2012, § 311 BGB Rn. 120; Lorenz, NJW 2006, 1925, 1926.

30 OLG Düsseldorf, NZG 2017, 152 Rn. 34; Schaefer/Ortner, DStR 2017, 1710; von Bernuth, CCZ 2018, 155, 157.

31 BGHZ 62, 119, 124; BGHZ 98, 330, 334; Schulze, in: Schulze u.a., Handkommentar zum BGB10, 2019, § 278 BGB Rn. 5.

32 Zu dem Begriff des Organs siehe Ellenberger, in: Palandt (Fn. 9), § 31 BGB Rn. 6.

33 Grüneberg, in: Palandt (Fn. 9), § 278 BGB Rn. 6; Grundmann, in: Münchener Kommentar zum BGB8, 2019, § 278 BGB Rn. 10;; für die entsprechende Anwendung des § 31 BGB auf juristische Personen des privaten Rechts siehe Schöpflin, in: BeckOK-BGB (Fn. 25), § 31 Rn. 3 m.w.N.

34 Schaefer/Ortner, DStR 2017, 1710, 1711; Schacht, in: Prinz/Winkeljohann (Hrsg.), Beck’sches Handbuch der GmbH5, 2014, § 12 Rn. 12.

35 Vgl. BGHZ 62, 119, 124; BGHZ 98, 330, 334; Schulze, in: Schulze u.a. (Fn. 31), § 278 BGB Rn. 5.

36 Von Bernuth, CCZ 2018, 155, 157.

37 Bejahend etwa Jaques, BB 2002, 417, 420; Schacht (Fn. 34), § 12 Rn. 12; verneinend Huber, AcP 202 (2002), 179, 199.

38 Koppmann, BB 2014, 1673, 1675.

39 BGH, NJW 2002, 1042, 1043.

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die wirtschaftliche Bedeutung entfällt.

2. Bei Durchführung einer Due Diligence

Teile der Literatur vertreten die Ansicht, dass auch im Falle der Durchführung einer Due Diligence geringere Anforderungen an die Aufklärungspflichten zu stellen sind.40 Teilweise wird sogar angeführt, der Verkäufer habe seine Aufklärungspflichten durch die Ermöglichung einer Due Diligence Prüfung bereits erfüllt.41

Die Reduzierung der Pflichten des Verkäufers wird damit begründet, dass der Käufer bei Durchführung einer Due Diligence weniger schutzwürdig sei.42 Durch sie gebe der Käufer zu erkennen, dass er in der Lage sei, relevante Umstände selbst zu erfassen und sich bei Zweifeln an den Verkäufer zu wenden.43 Des Weiteren diene die Durchführung einer Due Diligence als Indiz dafür, dass es sich um einen besonders geschäftsgewandten Käufer handele.44

Nach anderer Auffassung soll die Durchführung einer Due Diligence keine Auswirkungen auf die Aufklärungspflichten des Verkäufers haben.45 So führe der Käufer die Due Diligence zu seinem Schutz und nicht zu seinem Nachteil durch. Er habe ein gesteigertes Interesse an der Aufklärung und wolle somit gerade nicht auf seine Aufklärungsrechte verzichten.46 Darüber hinaus genüge es zur Erfüllung einer Aufklärungspflicht nicht, dass die relevanten Informationen in einem Dickicht von weiteren Informationen enthalten seien.47 Auch der immense Zeitdruck, unter dem Kaufinteressenten bei Durchführung der Due Diligence regelmäßig stehen, hindere den Kaufinteressenten daran, das Unternehmen vollständig zu evaluieren.48

Die zuletzt dargestellte Auffassung ist vorzugswürdig. So stellen Due Diligence Prüfungen heute ein weitverbreitetes Mittel der Absicherung auf Seiten des Käufers dar. Würde die Nutzung dieses Mittels eine Reduzierung der Aufklärungspflichten des Verkäufers zur Folge haben, so wäre eine weitreichende Aushöhlung der gesteigerten Aufklärungspflichten zu befürchten. Es ergäbe sich somit ein Wertungswiderspruch, wenn mit der herrschenden Meinung gesteigerte Pflichten des Verkäufers beim Unternehmenskauf angenommen werden, jedoch im Fall der Durchführung einer Due Diligence und somit beinahe regelmäßig wiederum eine Einschränkung dieser gesteigerten Pflichten vorgenommen wird. Die Aufklärungspflichten des Unternehmensverkäufers werden folglich nicht durch die Durchführung der Due Diligence reduziert.

V. Möglichkeiten des vertraglichen Haftungsausschlusses

In der Einführung wurde bereits erwähnt, dass die Parteien in der Praxis regelmäßig versuchen, die gesetzlichen Haftungsvorschriften auszuschließen und sie durch ein eigenes individualvertraglich vereinbartes Haftungsregime zu ersetzen. Im Folgenden soll kurz darauf eingegangen werden, welche rechtlichen Rahmenbedingungen für solche Haftungsausschlüsse bestehen.

Im Umkehrschluss aus § 276 Abs. 3 BGB ergibt sich, dass es den Vertragspartnern freisteht, die Haftung aus Gewährleistungsrecht und c.i.c. für eigenes fahrlässiges Verhalten vertraglich auszuschließen. Darüber hinaus kann die Haftung für fahrlässiges und vorsätzliches Verhalten von Erfüllungsgehilfen abbedungen werden (vgl. § 278 S. 2 i.V.m § 276 Abs. 3 BGB). Derartige Haftungsausschlüsse sind letztlich Verhandlungssache zwischen den Vertragspartnern, sodass in der Praxis sowohl Unternehmenskaufverträge mit als auch ohne Haftungsausschluss üblich sind.49

Seine Grenzen findet der Ausschluss gesetzlicher Haftungsansprüche insbesondere in vorsätzlichem Verhalten der Vertragspartner selbst. So können die Parteien die Haftung für vorsätzliches Verhalten weder für das Gewährleistungsrecht noch für die c.i.c. ausschließen (vgl. § 276 Abs. 3 BGB). § 444 BGB bestimmt darüber hinaus, dass sich der Verkäufer nicht auf Vereinbarungen, welche die Rechte des Käufers bei Mangel der Kaufsache beschränken, berufen kann, soweit er den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache aufgenommen hat.

Auch die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1 Var. 1 BGB kann nicht abbedungen werden, da ein solcher Ausschluss mit dem von der Norm bezweckten Schutz der freien Selbstbestimmung unvereinbar wäre.50 Da sich die Norm auf Täuschungen durch alle Personen, die nicht Dritte i.S.d. § 123 Abs. 2 BGB sind, bezieht, kann im Fall des § 123 Abs. 1 Var. 1 BGB auch kein Ausschluss für arglistige Täuschungen durch Erfüllungsgehilfen vereinbart werden.51

C. Wissenszurechnung beim Unternehmenskauf

Bei Unternehmenskäufen sind typischerweise sowohl auf Verkäufer-, als auch auf Käuferseite mehrere Personen beteiligt. Neben der oben dargestellten Problematik der Verhaltenszurechnung, stellt sich somit auch regelmäßig die Frage, inwiefern den Parteien das Wissen der involvierten Personen zugerechnet werden kann.


40 Loges, DB 1997, 965, 969; Werner, ZIP 2000, 989 (990); Henssler, in: FS Hopt, 2010, 113, 135 f.

41 F. Wagner, DStR 2002, 958, 965 f.; vgl. auch Mellert, BB 2011, 1667, 1673, der die Pflichterfüllung allerdings davon abhängig macht, dass die Offenlegung hinreichend deutlich erfolgt.

42 Vgl. Weber, in: Hölters (Fn. 20), F. II. Rn. 9.24; vgl. auch Stengel/Scholderer, NJW 1994, 158, 164, die sich im Ergebnis jedoch der Gegenauffassung anschließen.

43 Loges, DB 1997, 965, 969; Werner, ZIP 2000, 989, 990.

44 Loges, DB 1997, 965, 969; Henssler (Fn. 40); 113, 135 f.

45 Fleischer/Körber, BB 2001, 841, 848; Müller, NJW 2004, 2196, 2199; D. Beisel (Fn. 23), § 16 Rn. 65; Stengel/Scholderer, NJW 1994, 158, 164.

46 Fleischer/Körber, BB 2001, 841, 848; Stengel/Scholderer, NJW 1994, 158, 164.

47 Müller, NJW 2004, 2196, 2199; Möller, NZG 2012, 841 (846).

48 Fleischer/Körber, BB 2001, 841, 848; vgl. auch Hilgard, BB 2013, 963, 966.

49 Koppmann, BB 2014, 1673.

50 BGH, NJW 2007, 1058 Rn. 18.; Singer/Finckenstein, in: Staudinger (Fn. 10), § 123 BGB Rn. 96; Arnold, in: Erman (Begr.), Kommentar zum BGB15, 2017, § 123 BGB Rn. 59.

51 BGH, NJW 2012, 296, 298 Rn. 27; OLG Hamm, NJOZ 2014, 1982, 1983; Armbrüster, in: MüKoBGB (Fn. 10), § 123 Rn. 86.

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I. Grundsätzliches zur Wissenszurechnung in Unternehmen

Die Zurechnung von Wissen gilt als ein grundlegendes Problem im deutschen Zivilrecht,52 das bis heute nicht zufriedenstellend gelöst werden konnte.53 Trotz vermeintlicher Sicherheit durch eine kontinuierliche Rechtsprechung kann die Diskussion um Wissenszurechnung auch im Bereich von Unternehmen längst nicht als abgeschlossen angesehen werden.54 Da die Wissenszurechnung bei Unternehmenskäufen nicht gänzlich ohne eine grundlegende Einführung zur Wissenszurechnung in Unternehmen dargestellt werden kann, soll zunächst auf Grundsätzliches zur Wissenszurechnung in Unternehmen eingegangen werden. Des Weiteren soll auch in gebotener Kürze auf das Konzept der Wissenszusammenrechnung, welches in Unternehmen eine Rolle spielen kann, eingegangen werden.

1. Wissenszurechnung

a) § 166 Abs. 1 BGB als zentrale Ausgangsnorm

Die zentrale Norm der Wissenszurechnung im Zivilrecht bildet § 166 BGB. Diese legt fest, dass es bei der Wissenszurechnung auf die Person des Vertreters ankommt (vgl. § 166 Abs. 1 BGB). Gemäß § 166 Abs. 2 BGB besteht eine Ausnahme von diesem Grundsatz dann, wenn der Vertreter nach den Weisungen des Vertretenen agiert. Der Zweck dieser Ausnahme besteht darin, zu verhindern, dass durch die Bevollmächtigung eines arglosen Dritten gesetzliche Folgen der Mangelhaftigkeit eines Rechtakts umgangen werden können.55

Außerhalb von Rechtsgeschäften sowie rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen findet § 166 BGB an sich keine Anwendung. Rechtsprechung und Literatur sind sich aber einig, dass nach dem Rechtsgedanken des § 166 BGB dennoch eine Wissenszurechnung bei Organvertretern, Wissensvertretern sowie sonstigen Personen, die in einen arbeitsteiligen Prozess eingebunden sind, vorgenommen werden muss.56 Unklar ist hingegen, wie die Wissenszurechnung dogmatisch hergeleitet wird und in welchem Umfang sie erfolgen soll.

b) Wissensvertreter

Ein Ansatz der Rechtsprechung ist die Figur des Wissensvertreters. Danach wird dem Geschäftsherrn neben dem Wissen seiner eigentlichen Vertreter im Sinne des § 164 BGB auch das Wissen sogenannter Wissensvertreter in analoger Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB zugerechnet.57 Die Figur des Wissensvertreters beruht auf der Erwägung, dass es gegen Treu und Glauben verstoßen würde, wenn jemand, der einen Vertreter mit bestimmten Aufgaben betraut und ihm dafür die Kenntnisnahme von Tatsachen überträgt, einem Dritten gegenüber den Einwand der Unkenntnis geltend machen könnte.58 Wissensvertreter ist jeder, der nach der Organisation des Geschäftsherrn damit betraut ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant aufzutreten, bestimmte Aufgaben eigenverantwortlich zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen und ggf. weiterzuleiten.59

c) Pflicht zur ordnungsgemäßen Wissensorganisation

Ergänzend zur Fallgruppe der Wissensvertreter betont der BGH für die Wissenszurechnung insbesondere, dass die arbeitsteilige Organisation nicht zu einer Besserstellung des Geschäftsherrn führen dürfe. So hat der BGH in Bezug auf juristische Personen mehrfach betont, dass eine Gleichstellung mit natürlichen Personen erforderlich sei.60 Um diese Gleichstellung zu gewährleisten, hat die Rechtsprechung eine Pflicht zur ordnungsgemäßen Wissensorganisation aufgestellt.61 Im Interesse des Verkehrsschutzes müssen die Informationen, die üblicherweise innerhalb einer arbeitsteiligen Organisation aktenmäßig festgehalten werden, dem Geschäftsherrn der juristischen Person zur Verfügung stehen.62 Dieser ist so zu behandeln, als kenne er diese typischerweise aktenmäßig festgehaltenen Informationen und zwar unabhängig davon, ob er die Informationen tatsächlich kennt oder ob diese überhaupt festgehalten wurden.63

Rechtliche Grenzen der Wissenszurechnung ergeben sich vor allem aus Verschwiegenheitspflichten und Datenschutz.64 So müssen sich etwa Unternehmen, deren Vertreter in einer anderen Gesellschaft Aufsichtsratsmitglieder sind, nicht deren Wissen aus der Aufsichtsratstätigkeit zurechnen lassen.65

d) Strenge Organtheorie auf Grundlage des § 31 BGB

Einige Judikate des BGH sowie Teile des Schrifttums begründen eine Wissenszurechnung – über § 166 BGB hinausgehend – auf Grundlage der strengen Organtheorie, die aus § 31 BGB abgeleitet wird.66 Danach ist das Wissen aller vertretungsberechtigten Organmitglieder einer juristischen Person einschränkungslos als das Wissen der juristischen Person selbst zu werten. Insbesondere wird auch das Wissen solcher Organmitglieder zugerechnet, die an dem betroffenen Geschehensablauf gar nicht beteiligt waren.

§ 31 BGB bezieht sich allerdings auf Handlungen, die das Organmitglied „in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen“ begangen hat. Die Norm selbst schließt folglich schon die persönlich-private Sphäre und somit eine absolute Zurechnung aus.67 Die Vornahme einer unbegrenzten Wissenszurechnung auf Basis des § 31 BGB könnte außerdem


52 Vgl. zur Wissenszurechnung als „deutsches Problem“ G. Wagner, ZHR 181 (2017), 203, 205.

53 Eingehend Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 162 ff.

54 Eingehend Spindler, ZHR 181 (2017), 311 ff.

55 BGHZ 38, 65, 67; vgl. auch Schaefer/Ortner, DStR 2017, 1710, 1712.

56 Vgl. BGHZ 83, 293, 296; BGH, NJW 2007, 217, 220 Rn. 21; Schubert, in: MüKoBGB (Fn. 10), § 166 Rn. 45; Bork, DB 2012, 33, 34.

57 BGHZ 171, 1, 11 Rn. 35; BGH, NJW 2016, 3445, 3450 Rn. 61.

58 Vgl. BGH, NJW 2014, 1294, 1295 Rn. 16.

59 Definition nach Schubert, in: MüKoBGB (Fn. 10), § 166 BGB Rn. 28.

60 BGHZ 135, 202, 205; BGHZ 132, 30, 35; BGHZ 109, 327, 332.

61 Eingehend zur Wissensorganisation Naumann/Siegel, ZHR 181 (2017), 273, 276.

62 Vgl. BGHZ 132, 30, 37 f.; BGHZ 109, 327, 332; BGH, NJW 2001, 359, 360.

63 Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 187; vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht4, 2002, § 10 V 2.

64 Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 321 f.

65 Vgl. BGH, NJW 2016, 2569, 2571 Rn. 33 f.

66 Vgl. BGHZ 41, 282, 287; BGH, NJW 1984; 1953, 1954; K. Schmidt (Fn. 63), § 10 V 2; Hartung, NZG 1999, 524, 526.

67 Vgl. Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 187.

Müller, Aufklärungspflichten des Verkäufers und Wissenszurechnung beim Unternehmenskauf99

ausufernde und willkürliche Konsequenzen mit sich bringen. So ist das verfügbare Wissen in einer arbeitsteiligen Organisation potenziell ebenso ausufernd wie die Möglichkeiten, dieses Wissen mit Handlungen von Unwissenden zu einer Haftung zu kombinieren.68 Weite Teile der Literatur sprechen sich somit gegen eine strenge Organzurechnung auf Grundlage des § 31 BGB aus.69 Auch einige Urteile des BGH, die eine Zurechnung von Organwissen auf Grundlage pflichtgemäßer Wissensorganisation prüfen, können als Einschränkung der Organtheorie verstanden werden.70

Die Zurechnung auf Organebene wird folglich zwar weitgehend an § 31 BGB angeknüpft,71 allerdings durch wertende Betrachtungen begrenzt. Es wird keine strenge Organzurechnung vorgenommen, sondern vielmehr erforscht, ob das Wissen typischerweise aktenmäßig erfasst und weitergegeben wird und ob ein Anlass zur Informationsabfrage beim handelnden Organmitglied besteht.72

II. Zurechnung auf Seite des Verkäufers

Bei der Zurechnung des Wissens auf Seite des Verkäufers muss für die Frage, inwiefern dem Verkäufer das Wissen der Zielgesellschaft zugerechnet werden kann, zwischen Asset und Share Deal unterschieden werden. So handelt beim Asset Deal typischerweise die Gesellschaft selbst als Verkäufer. Beim Asset Deal stellt sich somit lediglich die Frage, ob eine unternehmensinterne Wissenszurechnung erfolgen kann.73 Für diese Frage kann auf die allgemeinen Grundsätze der Wissenszurechnung in Unternehmen zurückgegriffen werden.

Beim Share Deal agiert hingegen typischerweise der Gesellschafter als Verkäufer.74 Hier stellt sich somit die Frage, ob eine Wissenszurechnung auch über Unternehmensgrenzen hinweg erfolgen kann. Diese Frage ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt. In der Literatur wird sie insbesondere in Bezug auf die konzerninterne Zurechnung, also für den Fall, dass die Obergesellschaft ihre Tochtergesellschaft verkauft, untersucht.

Nach überwiegender Auffassung kann eine konzerninterne Wissenszurechnung nicht schon aufgrund konzernrechtlicher Verbundenheit, sondern nur unter zusätzlichen Voraussetzungen erfolgen. So wird verlangt, dass die Obergesellschaft zumindest eine gewisse Form von Leitungsmacht über ihre Tochtergesellschaft ausübt und Aufgaben auf die Tochtergesellschaft ausgliedert.75 Kritische Stimmen wollen eine konzerninterne Zurechnung nur in absoluten Ausnahmeanfällen zulassen. Als Begründung wird hierfür insbesondere eine Entscheidung des BGH im Behördenkontext herangezogen, nach der eine Wissenszurechnung über Behördengrenzen nur dann ausnahmsweise anzunehmen ist, wenn zwischen zwei Behörden faktisch eine aufgabenbezogene neue Handlungs- und Informationseinheit gebildet werde.76 Da Ober- und Tochtergesellschaft beim Share deal in der Regel nicht als solch neue Handlungs- und Informationseinheit anzusehen seien, würden sie dem Maßstab, den der BGH in Bezug auf die behördenübergreifende Wissenszurechnung gebildet hat, nicht genügen.77

Dem Verkäufer kann folglich nicht nur Wissen im eigenen Unternehmen, sondern in Ausnahmefällen auch unternehmensübergreifend Wissen zugerechnet werden mit der Folge, dass er seine Aufklärungspflichten bei Missachtung und Nichtweitergabe dieser Informationen verletzt.

III. Zurechnung auf Seite des Käufers

Auf Käuferseite kommt der Wissenszurechnung insbesondere haftungsausschließende Bedeutung zu.

1. § 442 Abs. 1 BGB

So regelt § 442 Abs. 1 BGB den gesetzlichen Ausschluss der Gewährleistungsrechte des Käufers, wenn er den Mangel bei Vertragsschluss kennt. Als dispositive Norm kann § 442 Abs. 1 BGB vertraglich abbedungen werden.78 Den Parteien steht es also frei, zu vereinbaren, dass die Gewährleistungsrechte des Käufers generell unabhängig davon sind, ob ihm Mängel des Zielunternehmens bekannt sind oder ob er sie hätte kennen können. Solche Regelungen entstammen der US-amerikanischen Praxis und werden als „Sandbagging“-Klauseln bezeichnet.79

In Deutschland werden solche Vereinbarungen in der Regel aber nicht vom Verkäufer akzeptiert. Selbst bei Ausschluss des § 442 Abs. 1 BGB findet sich in der deutschen Praxis somit meist eine individualvertragliche Regelung zum Haftungsausschluss bei Kenntnis des Mangels,80 auf welche die Grundsätze der Wissenszurechnung ebenfalls anwendbar sind.81

Soweit es sich bei dem Käufer um ein Unternehmen handelt, gelten auch hier die oben erläuterten Grundsätze zur Wissenszurechnung in Unternehmen. Auch auf Käuferseite stellt sich außerdem die Frage, ob eine Zurechnung von Wissen auf Ebene der Zielgesellschaft und somit unternehmensübergreifend erfolgen kann.

2. Entscheidung des OLG Düsseldorf

Diese Frage bejahte das OLG Düsseldorf damit, dass sich die Wissenszurechnung entweder aus vertraglicher Vereinbarung oder aus Stellung als Wissensvertreter gemäß § 166


68 Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 168; vgl. Koch, ZIP 2015, 1757, 1761.

69 Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 317; Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 187; Koch, ZIP 2015, 1757, 1761; Fleischer, NJW 2006, 3239, 3242; Grunewald, FS Beusch, 1993, 301, 303 ff.

70 Vgl. BGH, NJW 1996, 1339, 1341; BGH, NJW 1990, 2544, 2545.

71 BGHZ 140, 54, 61; BGHZ 109, 327, 330 ff.; Schubert, in: MüKoBGB (Fn. 10), § 166 Rn. 8.

72 Vgl. BGH, NJW 1996, 1339, 1340 f.

73 Vgl. Koppmann, BB 2014, 1673, 1676.

74 Vgl. Grützmacher, CR 2017, 701, 704; Brinkmeier, GmbH-StB 2017, 231.

75 Schilken, in: Staudinger (Begr.), Kommentar zum BGB, 2014, § 166 BGB Rn. 32; Hoenig/Klingen, NZG 2013, 1046, 1049.

76 BGH, NJW 2011, 2791, 2792 Rn. 19.

77 Vgl. Von Woedtke, GmbHR 2017, 505, 508; Koppmann, BB 2014, 1673, 1676.

78 Weidenkaff, in: Palandt (Fn. 9), § 442 BGB Rn. 4; Matusche-Beckmann, in: Staudinger (Fn. 3), § 442 Rn. 47.

79 Weber, in: Hölters (Fn. 20), C. II. Rn. 9.60; Weißhaupt, WM 2013, 782, 783.

80 „Anti-Sandbagging-Klauseln“, vgl. Weber, in: Hölters (Fn. 20), C. II. Rn. 9.60.

81 Schaefer/Ortner, DStR 2017, 1710, 1713.

Müller, Aufklärungspflichten des Verkäufers und Wissenszurechnung beim Unternehmenskauf100

Abs. 1 BGB analog ergeben kann.82 Letzteres sei dann in Betracht zu ziehen, wenn die Loyalität der Organe oder Mitarbeiter der Zielgesellschaft bereits auf den Käufer übergegangen ist.83 Dies nahm das OLG Düsseldorf in dem ihm vorliegenden Sachverhalt aufgrund der Tatsache an, dass die betroffenen Personen später an der Zielgesellschaft beteiligt werden sollten und deshalb bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise zumindest auch für den Käufer mitverhandelten. Aufgrund der konkreten vertraglichen Regelungen nahm das Gericht jedoch in diesem Fall an, dass sich die Wissenszurechnung nur auf die Garantieansprüche beziehe. Ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten war somit im vorliegend entschiedenen Fall trotz der Wissenszurechnung gegenüber dem Käufer nicht ausgeschlossen.84

Aus der oben dargestellten Entscheidung darf jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass das Wissen der Zielgesellschaft regelmäßig der Käuferseite zugerechnet werden kann. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen Sonderfall. In der Regel werden Organe und Mitarbeiter der Zielgesellschaft bis zum Abschluss des M&A-Prozesses gerade nicht im Lager des Käufers stehen und können somit auch nicht als seine Wissensvertreter angesehen werden.85

IV. Vertragliche Vereinbarungen zur Wissenszurechnung

In der Praxis wird regelmäßig der Kreis der für das Wissen des Verkäufers relevanten Wissensträger durch deren konkrete Benennung im Vertrag abschließend festgelegt.86 Dabei stellt sich die Frage, ob eine Regelung, nach der das Wissen von Mitarbeitern des Verkäufers oder der Zielgesellschaft nicht dem Verkäufer zugerechnet werden soll, überhaupt wirksam ist.

Gegen die Wirksamkeit spricht, dass die Wissenszurechnung zur Vorsatzhaftung des Verkäufers führen kann, welche gemäß § 276 Abs. 3 BGB nicht vertraglich ausgeschlossen werden darf. Allerdings knüpft die Wissenszurechnung nicht an eigenes vorsätzliches Verhalten des Verkäufers. Vielmehr hat sie eine Kenntnisfunktion, welche unabhängig davon ist, ob die handelnden Vertreter ein Schuldvorwurf trifft.87 Für die Wirksamkeit solcher vertraglichen Regelungen spricht außerdem, dass auch die Haftung für vorsätzliches Verhalten von Erfüllungsgehilfen vertraglich abbedungen werden darf (vgl. § 278 S. 2 i.V.m § 276 Abs. 3 BGB). Es ergäbe sich somit ein Wertungswiderspruch, wenn der Verkäufer seine Haftung sogar für vorsätzliche Pflichtverletzungen von Erfüllungsgehilfen ausschließen könnte, sich aber deren Wissen als Wissensvertreter analog § 166 BGB schuldlos zurechnen lassen müsste.88 Solange der vertraglich vereinbarte Personenkreis alle Wissensträger erfasst, bei denen relevante Informationen zu erwarten sind, sollte die vertragliche Festlegung der relevanten Wissensträger wirksam vereinbart werden können.

D. Fazit

Die Bedeutung der gesetzlichen Aufklärungspflichten beim Unternehmenskauf besteht insbesondere darin, dass die gesetzliche Haftung nur begrenzt durch vertragliche Gewährleistungsregime ersetzt werden kann. Aufgrund der wirtschaftlichen Tragweite des Unternehmenskaufs muss der Verkäufer erhöhte Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten beachten, die nach überwiegender Meinung nicht durch die Durchführung einer Due-Diligence des Käufers reduziert oder gar bereits erfüllt werden. Erschwert wird die ordnungsgemäße Erfüllung dieser Aufklärungspflichten insbesondere durch die regelmäßig erforderliche Einschaltung Dritter. So muss sich der Verkäufer Pflichtverletzungen, die seine Hilfspersonen im Rahmen der Erfüllung der Aufklärungspflichten begehen, gemäß § 278 BGB zurechnen lassen.

Auch die Wissenszurechnung spielt eine wichtige Rolle bei der Erfüllung der Aufklärungspflichten. Auf Verkäuferseite kann die Wissenszurechnung zu einer Verletzung der Aufklärungspflichten führen, wenn der Verkäufer Informationen, welche ihm grundsätzlich zur Verfügung standen, verschweigt oder gar gegenteilige Aussagen tätigt. Die Wissenszurechnung auf Käuferseite kann dazu führen, dass der Verkäufer nicht für die Verletzung seiner Aufklärungspflichten haften muss. Soweit es sich bei den Parteien um juristische Personen handelt, wird eine Wissenszurechnung aufgrund von Wissensvertretern sowie aufgrund der Pflicht zur Wissensorganisation vorgenommen. Ob das Wissen der Zielgesellschaft unternehmensübergreifend zugerechnet werden kann, ist für beide Seiten umstritten und nach überwiegender Meinung nur in besonderen Ausnahmekonstellationen möglich. Aufgrund der Ungewissheit, ob eine Wissenszurechnung auf Ebene des Zielunternehmens vorgenommen werden kann, steht es im Interesse beider Parteien, diese Frage vertraglich abzuklären.

Die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufklärungspflichten und seiner damit verbundenen Wissensorganisationspflichten kann der Verkäufer insbesondere dadurch erreichen, dass er einen gut organisierten Datenraum aufbaut, der intensiv gepflegt und regelmäßig aktualisiert wird.


82 OLG Düsseldorf, NZG 2017, 152, 157 Rn. 55 ff; mit ablehnender Anmerkung Hoenig/Klingen, EWIR 2017, 9, 10.

83 OLG Düsseldorf, NZG 2017, 152, 157 Rn. 60.

84 OLG Düsseldorf, NZG 2017, 152, 157 Rn. 63.

85 Schaefer/Ortner, DStR 2017, 1710, 1713 f.

86 Hoenig/Klingen, NZG 2013, 1046; Weißhaupt, WM 2013, 782, 787.

87 Wendt/Kreiling, KSzW 2016, 67, 71.

88 Hoenig/Klingen, NZG 2013, 1046, 1051; Wendt/Kreiling, KSzW 2016, 67, 71.