Tarifvertrag und Kartellrecht

Antonio Mamerow*

A. Einleitung

I. Relevanz

Als im Jahr 1965 in Baden-Württemberg der Manteltarifvertrag des Landesverbandes des Hotel- und Gaststättengewerbes in Kraft trat, entzog sich der Grenzbereich zwischen Tarif- und Kartellrecht noch weitestgehend dem Interesse der juristischen Fachwelt. Der Tarifvertrag sah vor, dass zur Bezahlung des Servicepersonals seitens der Hotel- und Gaststättenbetreiber ein prozentualer Bedienungsaufschlag auf die Verkaufspreise erhoben werden musste.1 Diese vorgegebene Kalkulation der Verkaufspreise verstieß als unzulässige Beschränkung des Preiswettbewerbs gegen § 1 GWB.2 Weil die Bestimmung zugleich nicht durch § 1 I TVG gedeckt und damit auch nicht arbeitsrechtlicher Natur war, war die Anwendbarkeit der wettbewerbsrechtlichen Regelungen zu bejahen.3

Dennoch war der Fall Grundlage für eine intensive Diskussion über das Verhältnis des Wettbewerbsrechts zum kollektiven Arbeitsrecht im Allgemeinen und die Anwendbarkeit des Kartellrechts auf Tarifverträge im Besonderen.

Auch mehr als 50 Jahre später ist der Themenkomplex „Tarifvertrag und Kartellrecht“ noch immer hochaktuell. Ende 2016 gab es in Deutschland etwa 73.000 gültige Tarifverträge, 5.300 mehr als im Vorjahr.4 Die Bedeutung des Tarifvertrages als Regelungsinstrument ist nach wie vor immens, neben dem Arbeitsvertrag ist er die bedeutendste Rechtsquelle des deutschen Arbeitsrechts.5

II. Problemstellung

Grundsätzlich stehen das Tarifvertragsrecht und das Kartellrecht gleichrangig nebeneinander. Während das Tarifvertragsrecht seinem Zweck nach die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt regelt und auf den zweipoligen Interessenkonflikt zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zugeschnitten ist, schützt das Kartellrecht die Interessenautonomie der Wettbewerber auf den Waren- und Dienstleistungsmärkten.6 Die horizontale Zusammenarbeit konkurrierender Marktteilnehmer in Form von Tarifvertragsabschlüssen wirkt unter Umständen nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch auf den nachgelagerten Waren- und Dienstleistungsmärkten.7 Daraus können sich insofern Zielkonflikte ergeben, als dass eine tarifvertragliche Koordinierung zwischen den Marktteilnehmern zwar einerseits den Ordnungsprinzipien des Arbeitsmarktes entspricht, andererseits jedoch den Wettbewerb beschränkt.8

Es stellt sich die Frage: Unter welchen Umständen unterliegen Tarifverträge als Kartellvereinbarungen dem Kartellverberbot des Art. 101 AEUV9?

B. Kollektive Arbeitsrechtsordnung im Lichte des Kartellrechts

I. Tarifvertrag als Kartellvertrag

Tarifverträge legen den Mindestinhalt von Arbeitsbedingungen fest und verringern damit zum einen die Bedeutung der Lohnkosten als Wettbewerbsfaktor und verhindern zum anderen einen Unterbietungswettbewerb zwischen den Arbeitnehmern. Dem Wettbewerb zugänglich bleiben aufgrund des in § 4 III TVG kodifizierten Günstigkeitsprinzips lediglich übertarifliche Arbeitsbedingungen. Tarifverträgen kommt somit eine faktische Kartellwirkung zu, weil sie den Wettbewerb unterhalb der tariflichen Mindestarbeitsbedingungen ausschließen.10

II. Waren- und Dienstleistungsmärkte

Auf den Waren- und Dienstleistungsmärkten gilt im Grundsatz das Prinzip des Wettbewerbs.11 Für die Errichtung eines unionsweiten Binnenmarktes und damit für die europäische Integration essentiell sind zudem die Grundsätze des freien Warenverkehrs und der Handelsfreiheit.12

Ziel ist die Sicherstellung eines unverfälschten Wettbewerbs (vgl. Art. 3 III, Art. 51 EUV i.V.m. Protokoll Nr. 27, Art. 101 ff., Art. 119). Dem Kartellrecht kommt dabei eine Schutzfunktion hinsichtlich der Interessenautonomie aller Marktteilnehmer zu.13

III. Besonderheiten des Arbeitsmarktes

Einer der entscheidenden Unterschiede, der eine Sonderbehandlung des Arbeitsmarktes gegenüber anderen Märkten rechtfertigt, liegt in der Besonderheit der menschlichen Arbeitskraft. Bereits Marx bezeichnete die Arbeitskraft als „eigentümliche Ware“.14 Die „unlösbare Verbindung der Arbeit und ihres Verkäufers“ unterscheidet sie von allen


* Der Autor ist Student der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Nacken, WuW 1988, 475, 482.

2 Wallwitz, Tarifverträge und die Wettbewerbsordnung des EG-Vertrages, 1997, S. 21.

3 Schoch, BB 1965, 477; Nacken, WuW 1988, 475, 482.

4 Statistisches Taschenbuch Tarifpolitik 2017, Nr. 1.3.

5 Junker, Grundkurs Arbeitsrecht17, 2018, § 8 Rn. 500.

6 Mohr/Wolf, JZ 2011, 1091.

7 Säcker/Mohr, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht (MüKo-EU-WettbewerbsR) 2, Bd. 1, 2015,Einl. Rn. 1433.

8 Mohr/Wolf, JZ 2011, 1091, 1092.

9 Alle folgenden Artikel ohne nähere Bezeichnung sind solche des AEUV.

10 Henssler, in: Henssler/Willemsen/Kalb (Hrsg.), Arbeitsrecht Kommentar8, 2018, TVG § 5 Rn. 3; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, 1968, S. 179.

11 Mühlbach, Tarifverträge in der europäischen Kartellkontrolle, 2007, S. 42-43; Kordel, Arbeitsmarkt und Europäisches Kartellrecht, 2004, S. 10.

12 Wallwitz (Fn. 2), S. 76.

13 Mohr/Wolf, JZ 2011, 1091.

14 Marx, Marx-Engels-Werke 23, Das Kapital, Bd. I, 1968, S. 183.

Mamerow, Tarifvertrag und Kartellrecht26

anderen Waren.15

Die „Ware“ Arbeitskraft kann durch den Arbeitnehmer nur beschränkt flexibel und innerhalb bestimmter Schranken angeboten werden. Als Maximalschranken sind zum einen die physische Schranke der Erschöpfung und zum anderen rechtliche Schranken etwa in Form von Arbeitszeitgesetzen zu nennen.16 Die Minimalschranke der Angebotsmenge des Arbeitnehmers ergibt sich aus der Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Existenzgrundlage, die erst durch Lohnarbeit gesichert wird. Es ist das typische „Angewiesensein“ auf den Arbeitslohn, was zu einer Anomalie im Marktverhalten des Anbieters von Arbeitskraft führt.17

Die Anomalie liegt darin, dass ein Arbeitnehmer auf die Senkung seines Stundenlohns mit einer Erhöhung seines Arbeitsangebotes reagieren müsste und damit genau umgekehrt, wie das Güterangebot auf dem Gütermarkt auf eine Preissenkung reagieren würde, nämlich mit einer Verknappung des Angebotes (sog. Konkurrenzparadoxon).18

Zudem rechtfertigt das strukturelle Machtungleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Sonderbehandlung.19

IV. Ordnungspolitisches Konfliktfeld

Sowohl das Arbeitsrecht als auch das Kartellrecht verfolgen das Ziel, einen fairen und missbrauchsfreien „privatautonomen Interessenausgleich der Rechtssubjekte“ zu ermöglichen.20 Da der Arbeitsmarkt im Gegensatz zu Waren- und Dienstleistungsmärkten jedoch durch ein strukturelles Machtungleichgewicht geprägt ist, sind andere Mittel erforderlich, um dieses Ziel zu erreichen.

Auf dem Arbeitsmarkt führen Vertragsfreiheit und freier Wettbewerb nicht zu sozialverträglichen Ergebnissen.21 Insofern ist der Arbeitsmarkt als Gegenmodell zu dem durch das Wettbewerbsprinzip geprägten Waren- und Dienstleistungsmarkt zu verstehen; es gilt stattdessen das Gegenmachtprinzip.22

Während die kartellierende Wirkung des Tarifvertrages gerade die Marktmacht des Arbeitgebers begrenzt, verstärken Kartelle auf dem Waren- und Dienstleistungsmarkt die Marktmacht einzelner Akteure.23

C. Kartellverbot des Art. 101 AEUV

Die gegensätzlichen Ordnungsprinzipien auf dem Waren- und Dienstleistungsmarkt gegenüber dem Arbeitsmarkt werfen die Frage auf, ob der Arbeitsmarkt einen Ausnahmebereich darstellt und Tarifverträge der Anwendung wettbewerbsrechtlicher Regelungen gänzlich entzogen sind.

I. Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln

des AEUV auf Tarifverträge

1. Bereichsausnahme für arbeitsrechtliche

Kollektivverträge

Eine geschriebene Bereichsausnahme, die arbeitsrechtliche Kollektivverträge der Kartellkontrolle des Art. 101 I entziehen würde, existiert nicht. Gegen eine vollumfängliche kartellrechtliche Kontrolle sprechen jedoch unionsrechtlich kodifizierte Grundrechte und die sozialpolitischen Ziele der Union.

a) Arbeitsrechtliche Kollektivverträge im Schutze

des Unionsrechts

Arbeitsrechtliche Kollektivverträge24 und -maßnahmen werden in verschiedenen Quellen des Unionsrechts in unterschiedlicher Ausprägung aufgegriffen.

aa) Grundrecht auf Kollektivverhandlungen und

Kollektivmaßnahmen

(1) Charta der Grundrechte der EU

Nach Art. 28 der GRCh haben Arbeitnehmer und Arbeitgeber das Recht, Tarifverträge auszuhandeln und zu schließen. Der Artikel sichert ein freiheitliches Tarifvertrags- und Arbeitskampfsystem und ist damit ein essentieller Bestandteil der Koalitionsfreiheit und Grundlage eines autonom organisierten Arbeitslebens.25 Ferner erkennt er Kollektivverhandlungen und kollektive Maßnahmen an und erhebt sie zu einem eigenständigen Recht.26

(2) Europäische Menschenrechtskonvention

Auch der EGMR sieht ein Recht auf Kollektivverhandlungen mit dem Ziel, Tarifverträge abzuschließen, als garantiert an. Unter Einbeziehung der IAO-Konventionen Nr. 87, 98 und 151, dem Art. 28 GRCh und der arbeitsrechtlichen Praxis der Mitgliedstaaten hat er das Recht auf Kollektivverhandlungen als integralen Bestandteil der Koalitionsfreiheit des Art. 11 EMRK anerkannt.27

bb) Sozialpolitik in der Union

(1) Begriff

Der Begriff der „Sozialpolitik“ findet sich als Überschrift des Titel X., wird im AEUV jedoch nicht näher definiert. Aus der Gesamtschau der Artikel unter diesem Titel ergibt sich, dass Sozialpolitik i.S.d. Unionsrechts das Arbeits- und Sozialrecht umfasst.28


15 Brentano, Die Arbeitergilden der Gegenwart, Bd. II, 1871, S. 6.

16 Viol, Die Anwendbarkeit des Europäischen Kartellrechts auf Tarifverträge, 2005, S. 67.

17 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 1996, Rn. 91.

18 Dorndorf, in: FS Gnade, 1992, S. 39, 41.

19 Mohr/Wolf, JZ 2011, 1091.

20 Richardi (Fn. 10), S. 115.

21 Roth, Tarifverträge aus kartellrechtlicher Sicht, 1990, S. 10.

22 Rieble (Fn. 17), Rn. 114.

23 Böhm, Kartelle und Koalitionsfreiheit, 1933, S. 32; Rieble (Fn. 17), Rn. 635.

24 Der Begriff „Tarifvertrag“ wird vom EuGH nicht verwendet.

25 Jarass, in: Jarass (Hrsg.), GRCh, Kommentar3, 2016, Art. 28 Rn. 2; Holoubek, in: Schwarze/Becker/Hatje (Hrsg.), EU-Kommentar4, 2018, GrCh Art. 28 Rn. 11.

26 Schubert, in: Franzen/Gallner/Oetker (Hrsg.), Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht2, 2018, GRCh Art. 28 Rn. 2.

27 EGMR, Nr. 34503/97 – Demir und Baykara/Türkei, Rn. 147, 148.

28 Krebber, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zum EUV/AEUV5, 2016, AEUV Art. 151 Rn. 1.

Mamerow, Tarifvertrag und Kartellrecht27

(2) Verankerung im AEUV

In Art. 151 werden die „Förderung der Beschäftigung, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen“ sowie ein angemessener „sozialer Schutz“ und „sozialer Dialog“ als sozialpolitische Ziele der Union definiert. Im Hinblick auf die Erreichung der Ziele des Art. 151 fördert die Kommission nach Art. 156 die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten.

Gemäß Art. 153 I unterstützt und ergänzt die Union die Tätigkeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arbeitsbedingungen (lit. b), der sozialen Sicherheit, dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer (lit. c) sowie der Vertretung und kollektiven Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen (lit. f).

cc) Schlussfolgerung

Unabhängig von der rechtlichen Verbindlichkeit der genannten Regelungen und der Frage, ob die Union gem. Art. 153 I lit. e eine Regelungsbefugnis für das Tarifrecht hat, zeigen die in Art. 151 ff. festgelegten sozialpolitischen Ziele sowie die Regelungen in EMRK und GRCh, dass die Union dem Recht auf Kollektivverhandlungen und -verträge eine übergeordnete Bedeutung beimisst.

Laut Art. 152 I erkennt die Union den sozialen Dialog an und achtet dabei die Autonomie der Sozialpartner. Die Kommission bezeichnet den sozialen Dialog als „Determinante für erfolgreiche wirtschaftliche und soziale Reformen“.29

Das Recht auf Kollektivverhandlungen drohe erheblich eingeschränkt zu werden, wenn man ihr Ergebnis in Form eines Tarifvertrages der vollen kartellrechtlichen Kontrolle zugänglich machen würde. Darin wäre ein Wertungswiderspruch zu dem Grundrecht auf Kollektivverhandlungen und -maßnahmen nach Art. 28 GRCh sowie der Anerkennung und Förderung der Sozialpartnerschaft nach Art. 151 ff. zu sehen. Der Tarifvertrag steht gerade im Dienste der sozialpolitischen Ziele der Union und ist daher von der Kartellkontrolle in Form einer umfassenden Bereichsausnahme freizustellen.

b) Keine unbegrenzte Kartellrechtsimmunität

Wie der EuGH in der Albany-Entscheidung zutreffend erkannt hat, sind „mit Tarifverträgen zwischen Organisationen, die die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer vertreten, zwangsläufig den Wettbewerb beschränkende Wirkungen verbunden“.30

Die effektive Durchsetzung der unionsrechtlichen Kartellverbote würde konterkariert, wenn jeder arbeitsrechtliche Kollektivvertrag unabhängig von seinem Inhalt und der Konstitution der vertragsschließenden Sozialpartner einer kartellrechtlichen Kontrolle entzogen wäre.31 Zu klären ist, welche zusätzlichen Voraussetzungen an einen Tarifvertrag zu stellen sind, damit dieser von der Bereichsausnahme erfasst ist.

2. Voraussetzungen der Bereichsausnahme

a) Personelle Voraussetzungen

Der EuGH verlangt, dass die Vereinbarung in Anlehnung an die Art. 152 ff. von „Sozialpartnern“ geschlossen worden ist. Dabei muss es sich um Organisationen handeln, die Arbeitgeber oder Arbeitnehmer vertreten.32 Die Union hat nach Art. 153 V jedoch keine Kompetenz für das Koalitionsrecht und damit auch nicht für eine verbindliche Festlegung von Kriterien für die Anerkennung von Organisationen als Sozialpartner.33

Daher ist der Begriff „Sozialpartner“ in Rückverweisung auf das jeweilige mitgliedschaftliche Recht zu bestimmen.34

Diese Auffassung steht im Einklang dem Regelungsvorbehalt des Art. 28 GRCh, der die konkrete Ausgestaltung des Regelungsgegenstandes „den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ überlässt.35

%TODO WARUM „hoch 1“ Europäisches Arbeitsrecht?

Da es in der vom EuGH entwickelten Bereichsausnahme lediglich um „Organisationen die Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten“,36 geht und nicht um konkrete tarifliche Auseinandersetzungen, ist im deutschen Recht der Begriff der Koalition gem. Art. 9 III GG maßgeblich. Mithin sind Koalitionen nach Art. 9 III GG taugliche Sozialpartner i.S.d. Bereichsausnahme.

b) Formelle Voraussetzungen

Der EuGH fordert, dass die Vereinbarung „das Ergebnis einer Tarifverhandlung“ und demnach „durch den Dialog“ der Sozialpartner zustande gekommen ist.37 Ferner muss die Vereinbarung „in Form eines Tarifvertrags abgeschlossen worden“ sein.38

Der Begriff „Tarifvertrag“ darf nicht streng i.S.d. § 1 I TVG verstanden werden, denn er ist nur in der deutschen Fassung des Urteils zu finden. In der niederländischen Verfahrensfassung ist von „collectieve overeenkomst“ die Rede; in der englischen von „collective agreement“.39 Der Begriff „Tarifvertrag“ ist durch das jeweilige mitgliedstaatliche Recht geprägt und somit nicht einheitlich zu bestimmen. Es ist eine Auslegung geboten, die an den weiteren Terminus „Kollektivvertrag“ angelehnt ist.40 Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, muss diese im Gleichlauf mit dem Begriff der „Sozialpartner“ nach Maßstab des Art. 9 III GG erfolgen.

Von der Bereichsausnahme umfasst sind folglich sämtliche Kollektivverträge, die vom Schutzbereich der Koalitionsfreiheit umfasst sind.41


29 Kommission, Mitteilung KOM(2002), 341 endg., S. 4.

30 EuGH, Rs. C-67/96 – Albany, Slg. 1999, I-5751, Rn. 59-60.

31 Latzel/Serr, EuZW 2014, 410, 412; Mohr/Wolf, JZ 2011, 1091, 1093.

32 EuGH, Albany (Fn. 30), Rn. 59.

33 Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 2015, S. 574.

34 Ackermann, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Kartellrecht und Arbeitsmarkt, 2010, S. 33; Serr, Privative Tariftreue, 2013, S. 88.

35 Sagan, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht1, 2015, S. 112-114; Herresthal, EuZA 2011, 3, 16.

36 EuGH, Albany (Fn. 30), Rn. 62.

37 EuGH, Albany (Fn. 30), Rn. 60.

38 EuGH, Albany (Fn. 30), Rn. 62.

39 EuGH, Albany (Fn. 30), Rn. 59.

40 Mühlbach (Fn. 11), S. 109-114.

41 Höpfner (Fn. 33), S. 579.

Mamerow, Tarifvertrag und Kartellrecht28

c) Materielle Voraussetzungen

Der EuGH begründet die Bereichsausnahme für Tarifverträge damit, dass die Erreichung der sozialpolitischen Ziele der Union gefährdet wäre, wenn für die Sozialpartner bei der gemeinsamen Suche nach Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen Art. 101 I gelten würde.42 Aus einer „sachgerechten und zusammenhängenden Auslegung der Bestimmungen des Vertrages“ ergäbe sich daher, dass die „im Hinblick auf diese Ziele geschlossenen Verträge aufgrund ihrer Art und ihres Gegenstands nicht unter Art. 101 I des Vertrages fallen“.43

Die im Hinblick auf diese Ziele geschlossenen Verträge erfüllen jedenfalls dann die Voraussetzungen der Bereichsausnahme, wenn sie „unmittelbar zur Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen“ beitragen.44 Ein Anhaltspunkt für eine Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen ist, dass die Vereinbarung „die Ausgaben verringert, die ohne den Tarifvertrag von den Arbeitnehmern zu tragen gewesen wäre“.45

Dieser rein auf die Vermögenslage der Arbeitnehmer abstellende Ansatz wird im Folgenden weiter konkretisiert. Er könnte dahingehend fortzuentwickeln sein, dass solche Vereinbarungen die Voraussetzungen der Bereichsausnahme erfüllen, die eine kausale Verbesserung der Vermögensposition des Arbeitnehmers herbeiführen und in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen.46

Vorzug dieser Variante ist, dass sie auf die faktisch feststellbare Vermögenslage abstellt und so eine trennscharfe Abgrenzung ermöglicht. Dennoch kann sie nicht überzeugen. Es kann nicht darauf ankommen, ob der Tarifvertrag die Arbeitsbedingungen tatsächlich verbessert oder nicht. Würde man eine tatsächliche Verbesserung fordern, käme das einer Effektivitätskontrolle von tarifvertraglichen Regelungen und damit einer Art „Tarifzensur“ im Sinne einer unverhältnismäßigen Rechtskontrolle gleich.47 Bei Tarifklauseln, die nicht unmittelbar das Arbeitsentgelt regeln, ist eine solche Beurteilung zudem kaum zu leisten. Der EuGH fordert in seiner Rechtsprechung lediglich, dass die Tarifverträge „im Hinblick auf [die sozialpolitischen Ziele der Union]“ geschlossen wurden.48 Die Formulierung deutet darauf hin, dass der EuGH gerade keine faktische Verbesserung der Vermögensposition der Arbeitnehmer fordert. Auch eine Vereinbarung, die nicht nachweislich die Vermögensposition der Arbeitnehmer verbessert, kann „im Hinblick“ auf die sozialpolitischen Ziele der Union geschlossen worden sein. Die Beurteilung der Effektivität von Tarifvertragsklauseln durch Gerichte ist eine Missachtung der demokratischen und repräsentativen Funktion autonomer Tarifverhandlungen und muss einzig den vertragsschließenden Sozialpartnern vorbehalten bleiben.49 Eine tatsächliche materielle Verbesserung der Vermögensposition ist mithin unerheblich für die Anwendbarkeit der Bereichsausnahme.

Ferner dürfen nicht nur solche Vereinbarungen von der Bereichsausnahme erfasst werden, die im Hinblick auf die Verbesserung der Vermögensposition der Arbeitnehmer geschlossen wurden. Die Art. 151 ff. bezwecken einen umfassenden sozialen Schutz,50 der sich nicht nur auf die materielle Vermögenslage der Arbeitnehmer bezieht.

Aus dem Ausschluss des Arbeitsentgelts in Art. 153 V ergibt sich, dass mit „Verbesserung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ i.S.d. EuGH-Rechtsprechung in erster Linie Arbeitsbedingungen jenseits der Vergütung gemeint sind.51 Folglich erfüllen im Grundsatz solche Vereinbarungen die materiellen Voraussetzungen der Bereichsausnahme, die im Hinblick auf die sozialpolitischen Ziele der Union abgeschlossen wurden und demnach auf eine irgendwie geartete Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer abzielen.

d) Zwischenergebnis

Eine tarifvertragliche Vereinbarung erfüllt im Grundsatz die Voraussetzungen der Bereichsausnahme, wenn sie „durch den Dialog zwischen den Sozialpartnern zustande gekommen“, „in Form eines Tarifvertrags abgeschlossen worden“ und „das Ergebnis einer Tarifverhandlung zwischen den Organisationen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten“ ist.52

3. Einschränkungen

Fraglich ist, wie sich die bisherige Rechtsprechung des EuGH zu Tarifverträgen verhält, die Regelungen mit Doppelwirkung enthalten. Zu diesen ist bisher keine Entscheidung ergangen.

Es ist demnach zu klären, ob sich die oben dargestellte und fortentwickelte Bereichsausnahme auch auf solche Vereinbarungen anwenden lässt.

a) Tarifvertragsregelungen mit Doppelwirkung

Im Fokus der Problematik stehen Tarifvereinbarungen mit Doppelwirkung. Gemeint sind Kollektivvereinbarungen, die zwar unmittelbar auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen abzielen und sich auf den Arbeitsmarkt beziehen, jedoch zugleich auf die Waren- und Dienstleistungsmärkte übergreifen.53

Zum Umgang mit Tarifvereinbarungen mit Doppelwirkung existieren zahlreiche Lösungsansätze, von denen an dieser Stelle nur wenige behandelt werden können.

aa) Funktionale Abwägung der Interessen

Nach einem Ansatz ist der Zielkonflikt bei Tarifvereinbarungen mit Doppelwirkung durch eine Abwägung der kollidierenden Belange zu lösen. Die wesentlichen Funktionsbedingungen des Arbeitsmarktes und des Waren- und Dienstleistungsmarktes sind aufeinander abzustimmen.54


42 EuGH, Albany (Fn. 30), Rn. 59.

43 EuGH, Albany (Fn. 30), Rn. 60.

44 EuGH, verb. Rs. C-115/97 bis C-117/97 – Brentjens, Slg. 1999, I-6025, Rn. 56, 60.

45 EuGH, Rs. C-222/98 – van der Woude, Slg. 2000, I-7111, Rn. 25.

46 Höpfner (Fn. 33), S. 580.

47 Latzel/Serr, EuZW 2014, 410, 415.

48 EuGH, Albany (Fn. 30), Rn. 60.

49 Latzel/Serr, EuZW 2014, 410, 415; Kamanabrou, EuZA 2010, 157, 163.

50 Krebber, in: Calliess/Ruffert (Fn. 28), AEUV Art. 151 Rn. 1.

51 Krebber, in: Calliess/Ruffert (Fn. 28), AEUV Art. 153 Rn. 25.

52 EuGH, Albany (Fn. 30), Rn. 62.

53 Säcker/Mohr, in: MüKo-EU-WettbewerbsR (Fn. 7), Einl. Rn. 1440.

54 Mohr/Wolf, JZ 2011, 1091, 1098-1101.

Mamerow, Tarifvertrag und Kartellrecht29

Nur so sei es möglich, sowohl den sozialpolitischen Zielen der Art. 151 ff. und dem Recht auf Kollektivverhandlungen und -verträge einerseits als auch der unternehmerischen Freiheit (Art. 16 GRCh) und den Zielen des Wettbewerbsrecht andererseits Rechnung zu tragen.55

Auch Generalanwalt Jacobs sprach sich in seinen Schlussanträgen zur Albany-Entscheidung für eine Abwägung aus. Danach sollen Vereinbarungen, die nicht nur den „Kernbereich von Tarifverhandlungen“ – wie Löhne und Arbeitsbedingungen – regeln, sondern darüber hinaus die „Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Dritten wie Kunden, Lieferanten, konkurrierenden Arbeitgebern oder Verbrauchern“ berühren, einer kartellrechtlichen Kontrolle zugänglich sein. Die für eine kartellrechtliche Überprüfung dieser Vereinbarungen zuständige Instanz müsse die verschiedenen beteiligten Interessen „zum Ausgleich bringen“.56

bb) Formal-gegenständliche Abgrenzung nach

Unionsrecht

Andere plädieren für eine formal-gegenständliche Abgrenzung zwischen kartellfesten und kartellrechtlich überprüfbaren Vereinbarungen.57 Nach der Rechtsprechung des EuGH muss die Vereinbarung das Ziel verfolgen, die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen zu verbessern.58 Anknüpfend daran sollen alle Kollektivverträge, die zwischen den zuständigen Sozialpartnern im Rahmen eines Dialogs geschlossen wurden und sich auf unionsrechtlich anerkannte Ziele der Sozialpolitik beziehen, die sich dem Katalog des Art. 153 I lit. a bis i zuordnen lassen, unabhängig von Verhältnismäßigkeitserwägungen kartellrechtsfest sein.59 Der Kompetenzkatalog des Art. 153 I sei der „Rahmen der unionsrechtlichen Kartelltarifmacht“. Das Arbeitsentgelt bleibe – obwohl es nach Art. 153 V gerade nicht dem Kompetenzkatalog des Art. 153 I unterfällt – dennoch kartellfest. Dies sei jedoch kein Widerspruch, da das Arbeitsentgelt mit Rücksicht auf die nationalen Lohnfindungsmechanismen aus der Kompetenz der Union herausgenommen worden sei.60

cc) Verweis auf nationales Recht

Nach a.A. sind die Einschränkungen der Bereichsausnahme durch einen Rückgriff auf das jeweils anwendbare nationale Recht festzulegen. Verwiesen werde danach im Falle der Beurteilung eines deutschen Sachverhaltes auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung von Kollektivverhandlungen und Kollektivabreden, die der „Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ (Art. 9 III GG) zuzuordnen sind.61

Der Verweis auf das nationale Recht führt dazu, dass die Reichweite des unionsrechtlichen Kartellverbotes je nach Mitgliedstaat variiert.

dd) Stellungnahme: die Bedeutung nationalen Rechts

Für eine funktionale Abwägung der widerstreitenden Interessen wird argumentiert, dass weder die Tarifautonomie noch der Wettbewerbsschutz vollends zurücktreten müsse.62 Verkannt wird dabei, dass sich das Wettbewerbsprinzip des Waren- und Dienstleistungsmarktes und das Gegenmachtprinzip des Arbeitsmarktes diametral entgegenstehen. Es ist nicht möglich die beiden Prinzipien im Sinne einer praktischen Konkordanz miteinander zu vereinbaren.63 Zudem geht dieser Ansatz mit einer nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheit für die am Tarifvertrag beteiligten Sozialpartner einher. Die Parteien werden kaum dazu in der Lage sein, ex ante zu erkennen, bei welchen Regelungen im Rahmen einer Abwägung die unternehmerische Freiheit oder der unverfälschte Wettbewerb überwiegen und bei welcher das Recht auf Kollektivverhandlungen und -verträge.64 Eine funktionale Abwägung der widerstreitenden Interessen ist daher abzulehnen.

Für eine formal-gegenständliche Abgrenzung nach Unions-recht spricht, dass sie sich am Kompetenzkatalog des Art. 153 I und damit an geschriebenem Recht orientiert. Eine Bestimmung der kartellfesten Regelungen eines Tarifvertrages wird rechtssicher anhand von objektiven Kriterien vorgenommen.

Dennoch kann diese Ansicht nicht überzeugen. Um die exakte Reichweite der Kollektivautonomie zu bestimmen, fehlt es an unionsrechtlichen Maßstäben.65 Art. 153 I hat programmatischen Charakter und bewirkt keine vollständige Kompetenzübertragung auf die Union. Im ersten Absatz wird klargestellt, dass die Union die Mitgliedstaten auf den genannten Gebieten unterstützt und ihre Tätigkeiten ergänzt, die primäre Zuständigkeit verbleibt bei den Mitgliedstaaten.66 Für die in Art. 153 V geregelten zentralen Elemente der Tarifpolitik fehlt der Union die Zuständigkeit.

Vielmehr sind die Zielkonflikte, die sich aus Tarifvertragsregelungen mit Doppelwirkung ergeben durch einen Verweis auf das nationale Recht aufzulösen. Wie auch bei der Bestimmung des Sozialpartnerbegriffs fehlt es auch an dieser Stelle an unionsrechtlichen Anknüpfungspunkten.

Auch Art. 28 GRCh verweist auf das nationale Recht. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass sich die konkrete inhaltliche Ausgestaltung des kollektiven Arbeitsrechts an den „einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ orientieren muss. Art. 28 GRCh gewährt zwar im Rahmen seines sachlichen Anwendungsbereichs ein Recht, der konkrete Inhalt dieser Gewährleistung ergibt sich hingegen erst durch einen Verweis auf das nationale Recht.67 Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass die Tarifvertragssysteme unionsweit sehr unterschiedlich ausgestaltet sind.68 Die für das deutsche kollektive Arbeitsrecht fundamentale Unterscheidung zwischen


55 Latzel/Serr, EuZW 2014, 410, 414.

56 Jacobs, Schlussanträge zu EuGH, Albany (Fn. 30), Rn. 193.

57 Latzel/Serr, EuZW 2014, 410, 414.

58 EuGH, Albany (Fn. 30), Rn. 59.

59 Ackermann (Fn. 34), S. 32; Latzel/Serr, EuZW 2014, 410, 414.

60 Benecke, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union: EUV/AEUV, Kommentar63, Bd. I, 2018, AEUV Art. 153 Rn. 103; Latzel/Serr, EuZW 2014, 410, 414.

61 Höpfner (Fn. 33), S. 582.

62 Mohr/Wolf, JZ 2011, 1091, 1098.

63 Ackermann (Fn. 34), S. 33; Rieble (Fn. 17), Rn. 114.

64 Latzel/Serr, EuZW 2014, 410, 414.

65 Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay2, 2012, S. 110.

66 Krebber, in: Calliess/Ruffert (Fn. 28), AEUV Art. 153 Rn. 3.

67 Krebber, in: Calliess/Ruffert (Fn. 28), GRCh Art. 28 Rn. 3.

68 Bast/Rödl/Terhechte, ZRP 2015, 230.

Mamerow, Tarifvertrag und Kartellrecht30

Tarifsystem und Betriebsverfassung ist bspw. der spanischen Rechtsordnung fremd.69 Eine unionseinheitliche Regelung würde die Besonderheiten der Mitgliedstaaten nicht hinreichend berücksichtigen, was einen Rückgriff auf das mitgliedstaatliche Recht erforderlich macht.

b) Verweis auf Art. 9 III GG

Auch die Frage nach der kartellrechtlichen Überprüfbarkeit von Tarifvertragsregelungen mit Doppelwirkungen ist, aufbauend auf die Rechtsprechung des EuGH,70 anhand der verfassungsrechtlichen Gewährleistung von Kollektivabreden im Bereich der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ (Art. 9 III GG) zu beantworten. Tarifvereinbarungen mit Doppelwirkung sind demnach immer dann von der Bereichsausnahme umfasst, wenn sie „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ fördern.

c) Auslegung des Art. 9 III GG

Um den Gewährleistungsumfang der Verfassungsbegriffe zu definieren ist der Wortlaut, die historische Entwicklung, der systematische Zusammenhang sowie der Telos des Art. 9 III GG zu analysieren. Dabei ist der Inhalt des Begriffspaares der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ durch Auslegung zu ermitteln.

aa) Wortlaut

Bei ausschließlicher Betrachtung des Wortlautes ist davon auszugehen, dass die Begriffspaare jeweils für sich eine sinnvolle Gesamtheit darstellen und sich gerade nicht als gegensätzliche Paare gegenüberstehen.71

Ferner spricht der Wortlaut gegen die weit verbreitete Ansicht, bei Art. 9 III GG handele es sich um ein neutral-offenes „liberales Formprinzip“.72 Hätte der Verfassungsgesetzgeber einen neutralen Begriff wählen wollen, hätte es wohl „Gestaltung“ von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geheißen.73

bb) Historie

Schon in Art. 159 WRV hieß es: „Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist […] gewährleistet.“ Der Parlamentarische Rat hat diese Formulierung ohne nähere Erörterungen in das Grundgesetz übernommen, was nahelegt, dass „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ ebenso zu verstehen sind, wie in der Zeit der Weimarer Republik.74 Als „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ wurden in dieser Zeit die „sozialpolitischen Interessen in Bezug auf den sozialen Gegenspieler“ verstanden.75

Dem ist jedoch entgegenzusetzen, dass eine Rückbesinnung auf die historische Entwicklung der Begriffe nicht dazu führen darf, die Bewältigung neuer sozialer Probleme zu versperren.76

Aufschlussreicher ist der historische Zusammenhang zwischen der Koalitionsfreiheit und der Entwicklung des Kollektivarbeitsrechts. Die Koalitionsfreiheit erfasst – ebenso wie das Kollektivarbeitsrecht – Arbeitnehmer und Arbeitgeber ausschließlich in ihren Rollen als Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Ihre Rollen als Wettbewerber auf dem Markt bleiben davon unberührt.77 Aus dieser Bezugnahme auf das Arbeitsrecht lässt sich schließen, dass die Koalitions-freiheit kein Grundrecht des Wirtschaftsrechts, sondern ein Grundrecht des Arbeitsrechts ist.78 Das Begriffspaar der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ bezieht sich demnach ausschließlich auf den Arbeitsmarkt.79

cc) Systematik

Zum Teil wird vertreten, es handele sich bei der Koalition nach Art. 9 III GG um einen Verein gem. Art. 9 I GG, der sich von diesem allein dadurch unterscheidet, dass er den Zweck hat, Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu fördern.80 Danach wäre Art. 9 III GG ein Unterfall von Art. 9 I GG.

Die Ansicht ist mit Blick auf die zahlreichen wesentlichen Unterschiede der beiden Freiheiten abzulehnen. Während es sich bei der Koalitionsfreiheit um ein Menschenrecht mit besonderem sozialen Qualifikationsmerkmal handelt, ist die allgemeine Vereinigungsfreiheit ein Deutschengrundrecht.81

Ferner ist die Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 III 2 GG mit unmittelbarer Drittwirkung ausgestattet, während die allgemeine Vereinigungsfreiheit zunächst nur die in Art. 1 III GG genannten Träger öffentlicher Gewalt bindet.82

Mithin ist Art. 9 I GG lediglich ein Abwehrrecht, was in den Grenzen der allgemeinen Rechtsordnung gewährleistet wird. Art. 9 III GG ist zwar ebenfalls ein Abwehrrecht, jedoch ist es zuvorderst ein gesellschaftspolitisches Ordnungsprinzip, was der Befriedung des Arbeitslebens dient.83 Die Koalitionsfreiheit überträgt die Verantwortung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung zu einem nicht unwesentlichen Teil der Eigenverantwortung von Koalitionen.84

Ein restriktives Verständnis des Begriffspaars der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, nachdem lediglich die Wahrung und Förderung von „Lohn- und Arbeitsbedingungen“ geschützt wäre, ist mithin ausgeschlossen.85

dd) Telos

Zweck von Koalitionen ist es, eine soziale und gerechte Regelung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen für ihre


69 Junker, RdA-Beil. 2009, 4, 10.

70 EuGH, Albany (Fn. 30).

71 Söllner, Das Begriffspaar der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in Art. 9 Abs. 3 GG, in: Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Band 16, 1979, S. 23.

72 Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz: GG8, 2018, Art. 9 Rn. 54.

73 Hensche, in: Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath (Hrsg.), Handkommentar zum Arbeitsrecht4, 2017, GG Art. 9 Rn. 25.

74 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 219.

75 Nipperdey, Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Kommentar, Bd. 3, 1930, S. 387.

76 S. auch BAG, NZA 1990, 886, 887.

77 Söllner (Fn. 71), S. 24.

78 Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 46.

79 Söllner (Fn. 71), S. 24.

80 Richardi (Fn. 10), S. 79.

81 Scholz, in: Maunz/Düring (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar85. EL, 2018, Art. 9 Rn. 174.

82 Scholz, in: Maunz/Düring (Fn. 81), Art. 9 Rn. 170-171.

83 Gamillscheg (Fn. 74), S. 152.

84 Höfling, in: Sachs (Fn. 72), Art. 9 Rn. 55; BVerfGE 50, 290, 367.

85 Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, 1969, S. 59.

Mamerow, Tarifvertrag und Kartellrecht31

Mitglieder zu erreichen.86 Nachdem der Arbeitsmarkt zu Beginn der Industrialisierung kaum reguliert war und einer sozial unerträglichen und menschenverachtenden Ordnung folgte, hat der Verfassungsgesetzgeber erkannt, dass es funktionierende Gewerkschaften braucht. Auch die Erfahrungen der Unterdrückung von Gewerkschaftsbewegungen im Kaiserreich und besonders zur Zeit des Nationalsozialismus prägen den Zweck des Art. 9 III GG, die Bildung von Gewerkschaften (und Arbeitgeberverbänden) zu sichern.87

Aus dem Sozialstaatsbezug der Koalitionsfreiheit88 folgt, dass Art. 9 III GG primär darauf abzielt, die Folgen des strukturellen Machtungleichgewichts zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu überwinden und dabei Raum für soziale Emanzipation zu schaffen.89

ee) Stellungnahme: Arbeitnehmerschutz im Fokus

Mithilfe der Auslegungskanones ist es möglich, den Begriff der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ näher zu beschreiben und seinen Gewährleistungsumfang zu erfassen.

Nach h.M. umfassen Arbeitsbedingungen alle Bedingungen, durch die die Leistung abhängiger Arbeit berührt wird, wie Lohnhöhe, Arbeitszeit, Urlaub und Arbeitsschutz.90

Wirtschaftsbedingungen sind die für Arbeitgeber und Arbeitnehmer bedeutsamen allgemeinen wirtschafts- und sozialpolitischen Verhältnisse.91

Die beiden genannten Definitionen erfassen zwar zahlreiche zentrale Aspekte, sind jedoch maßgeblich durch Kasuistik geprägt. Ferner bedienen sie sich einiger konkretisierungsbedürftigen Leerformeln („bedeutsame allgemeine wirtschafts- und sozialpolitische Verhältnisse“).

Bezugspunkt des Art. 9 III GG und seiner zentralen Begriffe ist die unselbstständige und abhängige Arbeit. Die Koalitionsfreiheit ist Antwort auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber strukturell in ökonomischer und sozialer Hinsicht unterlegen ist. Die individuelle Privatautonomie hat sich auf dem Arbeitsmarkt als untauglich erwiesen, Arbeitnehmern soziale und angemessene Lohn- und Beschäftigungsbedingungen zu sichern. Ohne die Koalitionsfreiheit würde die individuelle Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers darauf reduziert, die ihm gestellten Arbeitsbedingungen zu akzeptieren oder von Arbeitslosigkeit bedroht zu werden – was in aller Regel berufliche Disqualifizierung, wirtschaftlichen Abstieg und gesellschaftliche Marginalisierung zur Folge hat. Insofern kann festgestellt werden, dass die Koalitionsfreiheit als Instrument zum Ausgleich des strukturellen Machtungleichgewichts und als Antwort auf das soziale Elend der frühen Industrialisierung zumindest in entstehungsgeschichtlicher Hinsicht ein Arbeitnehmergrundrecht ist.

Unter Berücksichtigung der genannten Argumente ist eine weite Auslegung des Begriffspaares der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ geboten. Eine Beantwortung der Frage der kartellrechtlichen Überprüfbarkeit von Tarifvereinbarungen mit Doppelwirkung lässt sich mit folgenden Thesen vornehmen:

1. Der Arbeitsmarktbezug der Koalitionsfreiheit verbietet es, dass Regelungen ohne jeglichen arbeitsrechtlichen Bezug, die ausschließlich grundlegende Unternehmensentscheidungen betreffen, die Kartellrechtsimmunität von Tarifverträgen genießen. Diese Beschränkung gilt für solche Regelungen, die derart mit der spezifischen wirtschaftlichen Situation des Unternehmens verbunden sind, dass sie aus fachlicher Hinsicht nur auf Unternehmensebene getroffen werden können.

2. Das heißt jedoch nicht, dass sämtliche Regelungen von der Bereichsausnahme ausgeklammert werden, die der unternehmerischen Sphäre zuzuordnen sind. Tarifvertragsregelungen dürfen die unternehmerischen Entscheidungsräume verkleinern. Regelungen, bei denen die Auswirkungen auf die unternehmerische Sphäre reflexartig eintreten oder unvermeidbar sind, um Arbeitnehmerinteressen durchzusetzen, müssen kontrollfest sein.

3. Der Begriffsinhalt der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ ist nicht statisch, sondern offen für zukünftige soziale und gesellschaftliche Entwicklungen. Gleichzeitig ist der historische Zweck der Koalitionsfreiheit bei Begriffsbestimmung zu berücksichtigen. Sie ist primär ein Instrument auf Seiten des Arbeitnehmers, mit dem Ziel der strukturellen Unterlegenheit gegenüber dem Arbeitgeber entgegenzuwirken.

4. Der Staat hat den Koalitionen weitgehende Verantwortung für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung übertragen und seine eigene Regulierungstätigkeit auf dem Arbeitsmarkt eingeschränkt. Daraus folgt, dass sich die Förderung der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ nicht bereits im Arbeitnehmerschutz im engeren Sinne erschöpft. Vielmehr umfasst die Koalitionsbetätigung die Gesamtheit der Bedingungen, die die Ordnung der (abhängigen) Arbeitswelt beeinflussen. Diesem Ordnungsauftrag muss durch eine koalitionsfreundliche Auslegung des Begriffspaares der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Rechnung getragen werden.

II. Verbotstatbestand des Art. 101 I AEUV

1. Normadressaten

Adressaten des Verbotstatbestandes sind zunächst Unternehmen. Nach der EuGH-Rechtsprechung umfasst der Begriff des Unternehmens im Rahmen des Wettbewerbsrechts „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“.92


86 Säcker (Fn. 85), S. 45.

87 Hanau, in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau (Hrsg.), Gesamtes Arbeitsrecht1, Kommentar, Bd. 2, 2016, GG Art. 9 Rn. 3.

88 Linsenmaier, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht (ErfK)18, 2018, GG Art. 9 Rn. 53; BVerfGE 84, 212, 224.

89 Hensche, in: Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath (Fn. 73), GG Art. 9 Rn. 26.

90 Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz7, Bd. 1, 2018, Art. 9 Rn. 89.

91 Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 90), Art. 9 Rn. 89.

92 EuGH, Rs. C-41/90 – Höfner, Slg. 1991, I-1979, Rn. 21.

Mamerow, Tarifvertrag und Kartellrecht32

Arbeitgeber und Arbeitgeberverbände sind vom funktionalen Unternehmensbegriff erfasst, wenn sie beim Abschluss von Tarifverträgen eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Dem Arbeitgeber geht es bei Tarifverhandlungen etwa um die Vermeidung teurer Arbeitskämpfe oder um Planungssicherheit.

Der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens hängt maßgeblich von seiner Fähigkeit ab, Tarifverträge zu schließen, die sich bestmöglich auf die Kostenstruktur des Unternehmens auswirken.93 Das Verhandeln mit Gewerkschaften ist mithin eine wirtschaftliche Tätigkeit. Arbeitgeber sind Unternehmen i.S.d. Art. 101 I. Folglich ist ein Arbeitgeberverband eine Unternehmensvereinigung nach Art. 101 I, denn unter Unternehmensvereinigungen werden Zusammenschlüsse mehrerer Unternehmen verstanden, deren Zweck darin besteht, die Interessen ihrer Mitglieder wahrzunehmen.94

Fraglich ist, ob auch Gewerkschaften dem Unternehmensbegriff unterfallen.

Dann muss der Abschluss von Tarifverträgen eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen.

Das Konzept der wirtschaftlichen Tätigkeit wird dadurch charakterisiert, dass eine Einheit durch Tätigwerden auf dem Markt mit anderen Einheiten in den Wettbewerb tritt.95 Gewerkschaften hingegen vertreten die Interessen ihrer Mitglieder, die durch Tarifvertragsabschlüsse gesichert werden sollen. In Ausübung dieser Funktion sind Gewerkschaften keine Unternehmen.96

Bei einem Tarifvertrag handelt es sich daher nicht um eine Vereinbarung zwischen Unternehmen nach Art. 101 I Var. 1.

2. Mittel der Wettbewerbsbeschränkung

Neben Vereinbarungen zwischen Unternehmen sind nach Art. 101 I Var. 2 auch wettbewerbsbeschränkende Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen verboten. Ein Arbeitgeberverband ist eine Unternehmensvereinigung.97 Ein Beschluss einer Unternehmensvereinigung ist jeder Rechtsakt, durch den der Verband auf der Grundlage seiner Satzung seinen Willen bildet.98

Der Tarifvertrag beinhaltet einen Zustimmungsbeschluss seitens des Arbeitgeberverbandes, für den in der Regel der Verbandsvorstand99 oder eine Tarifkommission100 zuständig ist.101

Folglich unterfällt ein satzungsgemäßer Zustimmungsbeschluss eines Arbeitgeberverbandes Art. 101 I Var. 2 und ist auf seine wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen zu überprüfen.

3. Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs

Die Vereinbarungen, Beschlüsse und Verhaltensweisen nach Art. 101 I müssen eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken.

Der EuGH hat es für die Beurteilung der wettbewerbsbeschränkenden Wirkung einer Vereinbarung darauf abgestellt, dass Wettbewerbsbedingungen entstehen, die nicht den normalen Bedingungen dieses Marktes entsprechen.102 Die normalen Marktbedingungen sind diejenigen, die bei autonomem Marktverhalten der Unternehmen vorherrschen.103

Nach der EuGH-Rechtsprechung in der Rechtssache Expedia muss zudem das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung erfüllt sein.104

4. Die Zwischenstaatlichkeitsklausel

Ferner muss die wettbewerbsbeschränkende Maßnahme dazu geeignet sein, „den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen“. Das Tatbestandsmerkmal ist erfüllt, „wenn sich anhand einer Gesamtheit objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, dass die Vereinbarung unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach den Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen kann“.105

III. Freistellung nach Art. 101 III AEUV

Für eine Freistellung von der Kartellkontrolle, muss die zu prüfende Regelung eine „angemessene Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn“ sicherstellen und ein Beitrag „zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts“ leisten. Sie muss „spürbare objektive Vorteile mit sich bringen, die geeignet sind, die mit ihr verbundenen Nachteile für den Wettbewerb auszugleichen“.106

Eine generelle Freistellung von Kollektivvereinbarungen mit einem „sozialen Anstrich“ ist nach Art. 101 III jedoch nicht angezeigt. Vielmehr müssen die sozialen Gründe in eine umfassende Gesamtabwägung einbezogen werden.107


93 Jacobs, Schlussanträge zu EuGH, Albany (Fn. 30), Rn. 232-233.

94 Weiß, in: Calliess/Ruffert (Fn. 28), AEUV Art. 101 Rn. 43.

95 Mühlbach (Fn. 11), S. 136.

96 Säcker/Mohr, in: MüKo-EU-WettbewerbsR (Fn. 7), Einl. Rn. 1448.

97 S. bereits C II 1.

98 Paschke, in: MüKo-EU-WettbewerbsR (Fn. 7), AEUV Art. 101 I Rn. 51.

99 Vgl. etwa d. Satzung d. Arbeitgeberverbandes für die chemische Industrie in Norddeutschland in d. Fassung vom 11.10.2012, § 12.

100 Vgl. etwa d. Satzung d. bpa Arbeitgeberverbandes in d. Fassung vom 27.09.2016, § 14.

101 Firmentarifverträge unterfallen mangels Unternehmenseigenschaft d. Gewerkschaften und fehlender Beteiligung v. Unternehmensvereinigungen nicht Var. 1 oder 2 d. Art. 101 I.

102 EuGH, Rs. C-31/80 – L’Oreal/De Nieuwe Amck, Slg. 1980, I-3775, Rn. 19.

103 EuGH, Rs. C-215-216/96 – Bagnasco, Slg. 1999, I-135, Rn. 33.

104 EuGH, Rs. C-226/11 – Expedia, Slg. 2013, I-795, Rn. 37.

105 EuGH, Rs. C-56/65 – Maschinenbau Ulm, Slg. 1966, I-282, Rn. 18.

106 EuGH, Rs. C-56/64 – Consten und Grundig, Slg. 1966, I-321, Rn. 23.

107 Mühlbach (Fn. 11), S. 201-202.

Mamerow, Tarifvertrag und Kartellrecht33

IV. Rechtsfolgen nach Art. 101 II AEUV

Tatbestandliche, nicht freistellbare tarifvertragliche Regelungen sind nach Art. 101 II nichtig.

D. Fazit

Das Verhältnis von Tarifvertragsrecht und Kartellrecht wird auch in Zukunft Gegenstand von Diskussionen bleiben. Eine bedingungslose Kartellrechtsimmunität von Tarifverträgen scheidet ebenso aus wie eine kompromisslose Anwendung des Kartellrechts.

Der EuGH hat den Maßstab für die Bereichsausnahme von Art. 101 festgelegt, der durch Verweis auf Art. 9 III GG zu konkretisieren ist. Dieser Verweis birgt zwar nicht unerhebliche Unschärfen, ist jedoch logische Konsequenz aus der fehlenden Kompetenz der Union für das Tarifvertragsrecht.

Der Tarifvertrag ist das zentrale Instrument der kollektiven Gestaltung von Arbeitsbedingungen. Das strukturelle Machtungleichgewicht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist trotz sozialer Sicherungssysteme nicht überwunden. Es bedarf daher eines möglichst weitreichenden Schutzes von Tarifverträgen ohne dabei das Interesse an der Aufrechterhaltung eines wirksamen und freien Wettbewerbs zu ignorieren.