Einschränkungskriterien als Beschränkung des Auswirkungsprinzips im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO unter Berücksichtigung wettbewerbsökonomischer Aspekte

Christian Karschau*

A. Einleitung: Das Auswirkungsprinzip

Jede Norm des internationalen Privatrechts befindet sich in einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite besteht ein Interesse an Vorhersehbarkeit, auf der anderen Seite ein Bedürfnis nach Flexibilität.1 Auch die Verordnung Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II-VO) bewegt sich in diesem Gegensatz. Schon in den Erwägungsgründen wird deutlich, dass die Rom II-VO dem Ziel der Rechtssicherheit eine besonders große Bedeutung beimisst.2 Ob Art. 6 Rom II-VO diesem Anspruch gerecht wird, wird in der Literatur bezweifelt: Die Norm wurde als „the most imprecise of all the rules on the applicable law within the Rom II Regulation” betitelt.3

Insbesondere im Rahmen von Art 6 Abs. 3 lit. a Rom II-VO ist eine Diskussion darum entbrannt, wie das Anknüpfungsmoment zu konkretisieren ist. Hier wird auf das Recht des Staates abgestellt, „dessen Markt beeinträchtigt ist oder wahrscheinlich beeinträchtigt wird“. Hier sehen zahlreiche Kommentatoren das Auswirkungsprinzip („effects doctrine“) verankert,4 wonach örtlich der Markt entscheidend wäre, an dem sich das den Wettbewerb einschränkende Verhalten auswirkt.5 Dabei ist der Wortlaut „beeinträchtigt“ zu vernachlässigen: Sowohl der Erwägungsgrund 22, die englische („affected“) und französische („affecté“) Sprachfassung der Rom II-VO bekennen sich deutlich klarer zum Auswirkungsprinzip6 und die deutsche Übersetzung ist eine der einzigen Fassungen, wo eine Differenz zwischen Normtext und Erwägungsgrund existiert.7

Allerdings endet hier bereits die Einigkeit in der Literatur: Zahlreiche Kommentatoren sehen die Notwendigkeit von qualifizierenden Kritierien in verschiedensten Ausprägungen, die das Auswirkungsprinzip beschränken sollen. Ob dies geboten ist, soll unter Berücksichtigung der klassischen Auslegungsmethoden, ergänzt durch ökonomische Erwägungen, im Folgenden untersucht werden.

B. Qualifizierende Kritierien

Zunächst verneinen einige die Notwendigkeit von einer qualifizierten Marktauswirkung im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 lit. a Rom II-VO. Das wird damit begründet, dass alle diskutierten Einschränkungsmerkmale Fragen des Sachrechts und damit auf Ebene des Kollisionsrechts unbeachtlich sein sollen.8

Allerdings führt die Marktortanknüpfung insbesondere im Multistate Wettbewerb durch die Mosaikbetrachtung zur Anwendung einer Vielzahl von Rechtsordnungen. Dadurch werden die Rechtsverfolgungskosten erhöht und die Vorhersehbarkeit reduziert.9

Für das allgemeine Auswirkungsprinzip werden deswegen die Einschränkungsmerkmale der Wesentlichkeit, der Spürbarkeit und der Vorhersehbarkeit diskutiert. Ursprünglich wurden auch eine Interessenabwägung und ein Tatsächlichkeitserfordernis als Einschränkungsmerkmale vorgeschlagen. Der Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 lit. a Rom II-VO umfasst nunmehr auch ausdrücklich „wahrscheinlich beeinträchtigt“ – auf eine tatsächliche Beeinträchtigung kann es somit nicht ankommen.10 Für eine Interessenabwägung fehlen Anhaltspunkte in der Norm. Daneben wäre sie bei einer allseitigen Kollisionsnorm weder sachgerecht noch völkerrechtlich geboten.11 Insofern beschränkt sich die folgende Untersuchung auf die Merkmale der Wesentlichkeit bzw. Spürbarkeit, der Vorhersehbarkeit und der Unmittelbarkeit.

I. Wesentlichkeit bzw. Spürbarkeit

Zunächst wird vertreten, dass eine Spürbarkeitsgrenze notwendig sei.12 Die genaue Bestimmung variiert dabei: Während sich einige am europäischen Kartellrecht orientieren und 5 % Marktanteil als quantitativen Richtwert heranziehen wollen,13 stellen andere auf die Bagatellbekanntmachung der Kommission14 ab. Danach wäre eine Marktbeeinträchtigung nicht spürbar, wenn der Marktanteil der beteiligten Unternehmen bei vertikalen Vereinbarungen


*Der Autor ist Student an der Bucerius Law School, Hamburg. Der Beitrag stellt eine gekürzte Fassung seiner Examensseminararbeit bei Prof. Dr. Karsten Thorn, LL.M., Prof. Dr. Stefan Kröll, LL.M. und Prof. Dr. Florian Faust, LL.M. dar.

1 Symeonides, A. Jour. o. Comp. L. Vol. 56 (2008), 173, 179.

2 Vgl. Erwägungsgründe (EG), 6, 14, 16, 31.

3 Francq/Wurmnest, in: Basedow/Francq/Idot (Hrsg.), International Antitrust Litigation, 2012, S. 92.

4 Vgl. nur Junker, Die Rom II-Verordnung: Neues Internationales Deliktsrecht auf europäischer Grundlage, NJW 2007, 3675, 3679.

5 Handig, Neues im Internationalen Wettbewerbsrecht – Auswirkungen der Rom II-Verordnung, GRUR Int. 2008, 24, 29.

6 Massing, Europäisches Internationales Kartelldeliktsrecht, 2011, S. 172.

7 Kluth, Das Markauswirkungsprinzip im Kollisionsrecht des Kartell- und Lauterkeitsrechts, 2015, S. 179.

8 Dickinson, The Rom II Regulation, The Law Applicable to Non-Contractual Obligations, 2008, Rn. 6.65.

9 Mills, in: Basedow/Kono (Hrsg.), The Rom II Regulation on the Law Applicable to Non-Contractual Obligations, 2009, S. 134.

10 Wurmnest, in: MüKoBGB8, 2021, Art. 6, Rn. 285.

11 Fezer/Koos, in: Staudinger, 2019, Rn. 356.

12 Hellner, in: Volken/Bonomi (Hrsg.), Yearbook of Private International Law Vol. 9, 2007, S. 62; Mankowski, Das neue Internationale Kartellrecht des Art. 6 Abs. 3 der Rom II-Verordnung, RIW 2008, 186; Leible/Lehmann, Die neue EG-Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, RIW 2007, 721, 730.

13 Mankowski, Internationales Privatrecht Bd. 2: Besonderer Teil2, 2019, § 2 Rn. 311.

14 Bekanntmachung der Kommission vom 22.12.2001 über Vereinbarungen von geringer Bedeutung (de minimis), ABl. EG 2001 C 368/13., Rn. 7.

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10 %, bei horizontalen Vereinbarungen 15 % nicht übersteigt.15

II. Vorhersehbarkeit

Allgemein wird für das Auswirkungsprinzip vertreten, dass die Folgen auf dem Markt vorhersehbar sein müssen, um dem Schädiger die Auswirkung zurechnen zu können.16 Dabei würde die präventive Funktion des Kartellrechts gestärkt, wenn sich die Marktteilnehmer darauf verlassen könnten, dass nur solche Rechtsordnungen Anwendung finden, die für sie erkennbar sind.17

Die Notwendigkeit einer Vorhersehbarkeit wird vereinzelt auf Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO übertragen.18

III. Unmittelbarkeit

Das Kriterium der Unmittelbarkeit soll solche Fälle ausschließen, die lediglich mittelbare Reflexwirkungen oder Nebenfolgen auf anderen Märkten darstellen.19 Der Markt ist regelmäßig dort unmittelbar betroffen, wo der streitgegenständliche Schaden eintritt.20

C. Auslegung und Stellungnahme

I. Wortlaut

Zunächst ist festzuhalten, dass der Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 lit. a Rom II-VO keines der diskutierten Merkmale enthält.21 Hiergegen wird ins Feld geführt, dass auch im Rahmen des Sachrechts22 und des nationalen Kollisionsrecht23 die einschränkenden Merkmale regelmäßig ungeschriebene Tatbestandsmerkmale sind.24 Auch wird behauptet, dass dem Auswirkungsprinzip, zu dem sich Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO bekennt, eine Spürbarkeitsschwelle immanent sei.25 Das kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Wortlaut keine Rückschlüsse auf einschränkende Kritierien zulässt.

II. Historie

Auch die Historie der Rom II-VO spricht gegen jegliche Einschränkungskriterien. In früheren Entwürfen der Rom II-VO existierte der Erwägungsgrund 11a26 bzw. 2027, der eine „unmittelbare und erhebliche Auswirkung“ auf dem Markt erforderte. Dieser Erwägungsgrund wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahren entfernt, während in den Wortlaut des Abs. 3 lit. b. „unmittelbar und wesentlich“ eingefügt wurde.28 Damit liegt es nahe, dass der Gesetzgeber Einschränkungsmerkmale in lit. a für nicht erforderlich gehalten hat.29

Einige führen das Fehlen der Einschränkungskriterien auf ein Versehen des Gesetzgebers zurück.30 Das erscheint aufgrund der ausführlichen Diskussionen um eine Sonderanknüpfung für Kartelldelikte aber wenig wahrscheinlich.31

Dass die Kommission eine Einschränkung für selbstverständlich gehalten hat und deswegen nicht gesondert benennen wollte,32 erscheint auch wenig überzeugend. In lit. b hielt der Gesetzgeber eine Nennung für erforderlich.33 Daneben war die Diskussion in der Literatur um die Einschränkungsmerkmale keineswegs eindeutig und es existierten abweichende Formulierungsvorschläge, die Einschränkungskriterien ausdrücklich vorsahen.34

III. Systematik

1. Verhältnis zu Art. 6 Abs. 3 lit. b Rom II-VO

Im systematischen Vergleich wird argumentiert, dass in Abs. 3 lit. b ausdrücklich von den „unmittelbar und wesentlich“ betroffenen Märkten gesprochen wird, Abs. 3 lit. a eine solche Einschränkung hingegen nicht enthält.35 In einem Umkehrschluss bedeutet das, dass eine Einschränkung bei Art. 3 lit. a nicht gefordert wird.36 Mittelbar bestätigt wird dies durch EG 23, der auch keine Begriffsbegrenzung für lit. a enthält.37 Vereinzelt wird dagegen eingewandt, dass die grammatikalischen Schwächen europäischer Gesetzgebungsakte hinreichend bekannt seien.38 Allerdings beinhalten auch die englische39 und französische40 Sprachfassung nur eine Einschränkung in lit. b, sodass eine Übersetzungsungenauigkeit ausscheidet. Es wurde also bewusst lediglich in lit. b die Einschränkungskriterien aufgenommen, obwohl die Möglichkeit bestanden hätte, lit. a gleichermaßen zu formulieren.41

Daneben wollen einige in der Formulierung des lit. b („sofern der Markt in diesem Mitgliedstaat zu den Märkten gehört, die


15 Massing, (Fn. 7), S. 194.

16 Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, 1975, S. 159 f.

17 Fabig, Internationales Wettbewerbsprivatrecht nach Art. 6 Rom II-VO, 2016, S. 139.

18 Mankowski, RIW 2008, 177, 185.

19 Wurmnest, in: MüKoBGB (Fn. 11), Art. 6, Rn. 292.

20 Ausführlich Fabig, (Fn. 18), S. 140 ff, 149.

21 Rodriguez Pineau, J. Priv. Int’l L. Vol. 5 (2009), 311, 322.

22 Vgl. zum Merkmal der Spürbarkeit im europäischen Kartellrecht Fuchs, Neue Entwicklungen beim Konzept der Wettbewerbsbeschränkungen in Art. 81 EG, ZweR 2007, 369, 386.

23 Vgl. auch C.IV.2.c.

24 Schnur, Internationales Kartellprivatrecht nach der Rom II-Verordnung, 2012, S. 115.

25 Mankowski, RIW 2008, 177, 186.

26 Vermerk des Vorsitzes für den Ausschuss für Zivilrecht (Rom II), 2.5.2006, 8498/06 JUSTCIV 105 CODEC 358, 6.

27 Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 22/2006 vom Rat festgelegt am 25.9.2006 („Rom II“), ABl. EU 2006 C 289 E/68, 68 f.

28 Dickinson, (Fn. 9), Rn. 6.65.

29 Schnur, (Fn. 25), S. 116.

30 Hellner, (Fn. 13), S. 61 Fn. 49; Zimmer, Konkretisierung des Auswirkungsprinzips bei Hard-core-Kartellrechtsverstößen, 2013, S. 395.

31 Wurmnest, in MüKoBGB (Fn. 11), Art. 6, Rn. 295 mwN.

32 Kluth, (Fn. 8), S. 181 f.

33 Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße im internationalen Rechtsverkehr, 2011, S. 341.

34 Vgl. Zimmer/Leopold, Private Durchsetzung des Kartellrechts und der Vorschlag zur Rom II-VO, EWS 2005, 149, 154; Basedow, in: Ders. (Hrsg.), Private Enforcement of EC Competition Law, 2007, S. 229, 249 f.

35 Vgl. nur Dicey/Morris/Collins, Conflict of Laws Vol. 215, 2012, Rn. 35-060.

36 „zwingender Gegenschluss“, Roth, in: FS Kropholler, 2008, S. 623, 640; Adolphsen/Möller, in: Kamann/Ohlhoff/Völcker (Hrsg.), Kartellverfahren und Kartellprozess, 2017, § 33 Rn. 33.

37 Unberath/Cziupka/Pabst, in Rauscher Bd. 34, 2016, Art. 6, Rn. 69.

38 Massing, (Fn. 7), S. 180.

39 “Directly and substantially affected”.

40 „sont affectés de manière directe et substantielle”.

41 Rodriguez Pineau, J. Priv. Int’l L. Vol. 5 (2009), 311, 322.

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unmittelbar und wesentlich“) Anhaltspunkte sehen, dass eine Einschränkung in lit. a als selbstverständlich vorausgesetzt werde.42 Dabei wird allerdings das Verhältnis zwischen lit. a und lit. b und der Charakter von lit. b als Ausnahmevorschrift43 verkannt: lit. b ermöglicht eine erleichterte Geltendmachung des Schadens, wobei alle internationalen Auswirkungen nach der lex fori bewertet werden. Damit einher geht eine erweiterte Gefahr des forum shopping.44 Der Kläger wird sich regelmäßig den betroffenen Markt aussuchen, an dem der größtmögliche Schadensersatz zur erwarten ist. Damit besteht ein sachliches Interesse, erhöhte Anforderungen an die Betroffenheit in lit. b gegenüber lit. a zu stellen, um missbräuchlichen Verwendungen der Anknüpfung zu vermeiden. Über die expliziten Einschränkungsmerkmale kann somit die Möglichkeiten des forum shopping eingegrenzt werden.45 Dieses Problem besteht bei lit. a nicht: Das Mosaikprinzip bewertet jede Auswirkung nach der jeweiligen nationalen Rechtsordnung.

2. Verhältnis zu Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO

Für eine Beschränkung mit einem Unmittelbarkeitskriterium spricht das Verhältnis zur Erfolgsortanknüpfung aus Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO.46 Hier sind „indirekte Schadensfolgen“ unbeachtlich. Gemäß Erwägungsgrund 21 ist Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO lediglich eine „Präzisierung“ der allgemeinen Regel aus Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO. Daraus wird gefolgert, dass mittelbare Auswirkungen nicht dem Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO unterfallen sollen.47

3. Verhältnis zu Art. 5 Rom II-VO

Kritik an dem Merkmal der Vorhersehbarkeit ergibt sich aus dem Verhältnis zur Kollisionsregel der Produkthaftung aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO: Hier wird eine abweichende Anknüpfung angeordnet, soweit der potenziell Haftende das Inverkehrbringen „vernünftigerweise nicht voraussehen konnte“. Die Vorhersehbarkeitsklausel wird auch in EG 20 S. 2 wiederholt. Damit streitet gegen die Vorhersehbarkeit, dass Einschränkungskriterien in Art. 6 Rom II-VO nicht enthalten sind.48 Das wäre auch nicht sachgerecht: Während Art. 5 Rom II-VO mit der Vorhersehbarkeitsklausel die Herstellerinteressen berücksichtigt, zielt Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO auf einen Interessenausgleich verschiedener Schutzgüter ab, ohne auf die Interessen des Kartells besondere Rücksicht zu nehmen.49 Auch unter Berücksichtigung des Geschädigtenschutzes wäre es unbillig die Anknüpfung davon abhängig zu machen, ob die Auswirkungen für die Kartellanten vorhersehbar waren.50

IV. Telos

1. Allgemein

a) Verhältnis Sach- und Kollisionsnorm

Grundsätzlich ist es eine sachrechtliche Frage, ab welchem Grad der Marktbeeinträchtigung ein Ersatzanspruch zugestanden wird.51 Soweit das Kollisionsrecht zu weitreichend materiellrechtliche Aspekte miteinbezieht, beraubt es dem Sachrecht seiner Aufgabe.52 Bagatellklagen können daneben regelmäßig durch die prozessrechtlichen Regeln der einzelnen Staaten abgewendet werden.53 Es ist lediglich Aufgabe des Kollisionsrechts, die anwendbare Rechtsordnung zu bestimmen.

Außerdem bestehen auf Ebene des Sachrechts regelmäßig weitere Anforderungen, die für eine Kompensation erfüllt sein müssen: Die Anwendung einer bestimmten Rechtsordnung führt nicht automatisch zu einer Kompensation des Schadens.54 Sollte eine Rechtsordnung bereits eine Kompensation bei nur leichter Beeinträchtigung des Marktes anordnen, ist das grundsätzlich hinzunehmen. Im Extremfall kann eine Ordre-public-Kontrolle ein besonders unbilliges Ergebnis verhindern.55

b) Rechtssicherheit

Für eine Einschränkung spricht grundsätzlich der Aspekt der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit. Ohne Einschränkungen könnten schon geringe und unvorhergesehene Auswirkungen zur Anwendung einer nicht bedachten Rechtsordnung führen.56

Daneben soll eine Orientierung an den primärrechtlichen Kriterien zu einem vorteilhaften Gleichlauf zwischen Primär- und Sekundärrecht führen, was mehr Rechtssicherheit bedeuten soll.57 Allerdings ist das genaue Verständnis der Schrankentrias schon im Primärrecht mit Problemen behaftet und somit schwer definierbar.58 Dann wäre zwar Einheitlichkeit zwischen Primär- und Kollisionsrecht geschaffen, die Unsicherheit wäre aber der Rechtssicherheit kaum zuträglich.59

c) Praktikabilität und ausufernder Marktbegriff

Auch müsste das Gericht den Einschränkungskriterien eine kollisionsrechtliche und verordnungsautonome Bedeutung beimessen, was eine erhebliche Herausforderung darstellt.60 Dagegen führt ein uneingeschränktes Auswirkungsprinzip dazu, dass zahlreiche Rechtsordnungen zur Anwendung kommen, was die Rechtsanwendung verkompliziert.61 So müsste die Kompensation bei Streudelikten nach einer


42 Massing, (Fn. 7), S. 180.

43 Schnur, (Fn. 25), S. 118.

44 Mankowski, Schadensersatzklagen bei Kartelldelikten, 2012, S. 53; Ashton/Vollrath, Choice of Court and Applicable Law in Tortious Actions for Breach of Community Competition Law, ZWeR 2006, 1, 24; a.A. Immenga, in: FS Kühne, 2009, S. 725, 730.

45 Vgl. Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht, 2011, S. 351.

46 Francq/Wurmnest, (Fn. 4), S. 123.

47 Lühmann, Risiken und Nebenwirkungen des IPR bei der kollektiven Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen, RIW 2019, 7, 17 f. mwN.

48 Hellner, (Fn. 13), S. 64.

49 Fabig, (Fn. 18), S. 140.

50 Wurmnest, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht bei grenzüberschreitenden Kartelldelikten, EuZW 2012, 933, 938.

51 Thorn, in: Grüneberg81, Art. 6 Rom II-VO, Rn. 13.

52 Schnur, (Fn. 25), S. 123.

53 Ebd. mit Verweis auf § 495a ZPO und § 15a EGZPO.

54 Rodriguez Pineau, J. Priv. Int’l L. Vol. 5 (2009), 311, 322.

55 So für Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO, Bauermann, Der Anknüpfungsgegenstand im europäischen Internationalen Lauterkeitsrecht, 2015, S. 58.

56 Ebd.

57 Mankowski, (Fn. 14), § 2 Rn. 311.

58 Kluth, (Fn. 8), S. 183.

59 Ebd.

60 Tzakas, (Fn. 34), S. 342.

61 Ebd. S. 365.

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Vielzahl von Rechtsordnungen eingeklagt werden.62

Deswegen wird für die Notwendigkeit der Unmittelbarkeit angeführt, dass der Einbezug von indirekten und mittelbaren Marktauswirkungen den Markt zu einem Weltmarkt ausufern lassen würde.63 So begrenzt ein Spürbarkeitskriterium die „uferlose Anwendung der Kartellrechte verschiedenster Staaten“.64 Dabei ist allerdings zu bedenken, dass Art. 6 Abs. 3 lit. a Rom II-VO nicht auf neutral ausgestaltete Rechtsnormen verweist, sondern diese im Bereich des Kartellrechts regelmäßig ihren eigenen Regelungsbereich definieren.65 Der Anwendungsbefehl dieser Normen kann vielmehr auf Ebene des Sachrechts berücksichtigt werden.66

2. Spürbarkeit

a) Entscheidungseinklang

Grundsätzlich ist eines der Ziele der Rom II-VO eine einheitliche Auslegung der Regelungen und der daraus resultierende Entscheidungseinklang.67 Gerade bei dem Einschränkungskriterium der Spürbarkeit besteht ein rechtliches Vorverständnis, womit eine einheitliche Auslegung des Auswirkungsprinzips im Kartell- und Kollisionsrecht gewährleistet werde.68

Das kann jedoch nicht uneingeschränkt überzeugen, da eine Übertragung des primärrechtlichen Verständnisses zu zahlreichen Problemen führt.69 Die Marktabgrenzung ist regelmäßig die entscheidende sachrechtliche Frage und mit entsprechendem Aufwand verbunden. Somit würde man mit Kanonen auf Spatzen schießen: Die Marktabgrenzung wäre – außerhalb von follow-on-Klagen – für die Zwecke des Kollisionsrechts viel zu komplex70 und die allseitige Kollisionsnorm würde den Drittstaaten ein gemeinschaftsrechtliches Verständnis des Kartellrechts unterstellen:71 Damit würde der Anwendungswille der nationalen Rechtsordnung ignoriert. Daneben ist gerade der Entscheidungseinklang gefährdet, wenn Geltung beanspruchende Kartellordnungen nicht zur Anwendung kommen.72

b) Kein anwendbares Recht

Dieses Problem entsteht in Fällen, in denen alle betroffenen Staaten die Anforderungen an die Spürbarkeit nicht erfüllen. Hier führen die Einschränkungskriterien dazu, dass keine Rechtsordnung zur Anwendung berufen wird.73 Allerdings könnten nationale Rechtsordnungen schon Kompensationen für Kartellverstöße zugestehen, die aufgrund der geforderten Einschränkungskriterien nicht durch Art. 6 Rom II-VO zur Anwendung berufen werden. Da sich die diskutierten Einschränkungen regelmäßig am europäischen Primärrecht orientieren, betrifft dies insbesondere das Verhältnis gegenüber Drittstaaten.74 Damit wird im Ergebnis die rechtspolitische Entscheidung dieser Staaten nicht respektiert.

V. Ökonomische Aspekte

In der bisherigen Auseinandersetzung um die qualifizierten Marktauswirkungen wurden in der Literatur nur vereinzelt ökonomische Aspekte miteinbezogen – hier sollen diese ersten Ansätze vertieft werden. Es ist allerdings umstritten, inwieweit ökonomische Analyse und Effizienzkriterien in der Auslegung berücksichtigt werden können.75 Ökonomische Aspekte sollen jedenfalls dann relevant sein, wenn ökonomische Aspekte in den Schutzgütern und dem Gesetzeszweck enthalten sind.76 EG 1 formuliert als allgemeines Ziel der Rom II-VO das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes. Ob die Rom II-VO insgesamt auf ökonomische Effizienz abzielt, wird in der Literatur bezweifelt.77 Allerdings soll speziell Art. 6 Rom II-VO nach EG 21 das reibungslose Funktionieren der Marktwirtschaft sicherstellen. Daraus wird gefolgert, dass Art. 6 Rom II-VO ökonomisch motiviert ist,78 sodass ökonomische Aspekte in der Auslegung berücksichtigt werden können.79

1. Makroökonomisches Regelungsinteresse

Es ist das makroökonomische Interesse des Kartellrechts, wettbewerbsbeschränkendes und damit Verhalten, das die Gesamtwohlfahrt mindert, effektiv zu verhindern.80

Dabei ist das Regelungsinteresse eines Staates deutlich reduziert, wenn eine Auswirkung auf seinem Markt nicht spürbar ist. Grundsätzlich ist ökonomisch eine staatliche Regelung nur dann notwendig, wenn daraus ein Nettowohlfahrtsgewinn folgt.81 Das entspricht dem aus dem Kaldor-Hicks-Kriterium abgeleiteten Vermögensmaximierungsprinzip.82 So müsste für eine effiziente Gestaltung iSv Kaldor und Hicks83 das Recht des Staates Anwendung finden, der am stärksten betroffen ist.84 Das Regelungsinteresse ist in den Staaten, die unmittelbar und spürbar betroffen sind, höher als in Staaten, in denen lediglich mittelbare und unwesentliche Auswirkungen bestehen.

So formuliert Koos treffend, dass die Begrenzungskriterien „rein funktionale Kriterien zur Aussonderung von Fällen


62 Dickinson, (Fn. 36), Art. 6 III, Rn. 6.60.

63 Bär, in: FS Moser, 1987, S. 143, 167.

64 Kluth, (Fn. 8), S. 180.

65 Tzakas, (Fn. 34), S. 338.

66 Ebd.

67 Vgl. EG 4, 6.

68 Fezer/Koos, in: Staudinger 2019, Rn. 355.

69 a.A. Francq/Wurmnest, (Fn. 4), S. 91, 121; Massing, (Fn. 7), S. 180.

70 Dickinson, inEncyclopedia, 1563.

71 Tzakas, (Fn. 34), S. 337.

72 Massing, (Fn. 7), 182.

73 Schnur, (Fn. 25), 123.

74 Vgl. nur Mankowski, RIW 2008, 177, 186.

75 Grundmann/Riesenhuber, Die Auslegung des Europäischen Privat- und Schuldvertragsrechts, JuS 2001, 529, 532; krit. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip4, 2015, S. 450 ff.

76 Grundmann, Methodenpluralismus als Aufgabe, RabelsZ 66 (1997), 423, 430 ff., 434.

77 Rühl, in: Leible (Hrsg.), General Principles of European Private International Law, 2016, S. 9.

78 Ebd.

79 Zurückhaltend Rühl, Statut und Effizienz, 2011, S. 174.

80 Mankowski, (Fn. 45), S. 23.

81 Viscusi/Harrington/Vernon, Economics of Regulation and Antitrust4, 2005, S. 378.

82 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts6, 2020, S. 23.

83 Begründet nach Kaldor, Econ. Journ. Vol. 49 (1939), 549 ff.; Hicks, rev. of Econ. Stud., Vol 8 (1941), 108 ff.

84 Michaels, in: Basedow/Kono (Hrsg.), An Economic Analysis of Private International Law, 2006, S. 133, 166.

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[sind], in denen ein Rechtsanwendungsbedürfnis nicht besteht“85. Danach ist aus ökonomischer Perspektive zu fragen, ob ein makroökonomisches Regelungsbedürfnis auch unterhalb der Schwelle der Begrenzungskriterien besteht.

Kartellrecht ist Marktordnungsrecht. Beachtet man wie oben festgestellt, dass kollisionsrechtlich die engste Verbindung zu den Märkten besteht, die am ehesten betroffen sind, erscheint zunächst das Kriterium der Unmittelbarkeit nicht passend: Die Unmittelbarkeit trifft keine Aussage über den tatsächlichen Einfluss auf die Funktionsfähigkeit des betroffenen Marktes.86 Auch mittelbare Auswirkungen können erhebliche Folgen für die nationalen Märkte haben und den Wettbewerb gefährden. Ähnliches gilt für die Spürbarkeitsgrenze. Die tatsächliche Betroffenheit eines Marktes hängt an der jeweiligen Wettbewerbsstruktur, den Marktzutrittsbarrieren und der Markttransparenz.87 Dabei kann ein Markt auch unter der Grenze von 5 % Marktanteilen beeinträchtigt werden, wenn dieser stark fragmentiert ist. Wettbewerbsökonomisch kann dies dazu führen, dass auf diesen Märkten kein level-playing field zwischen den europäischen und nationalen Unternehmen herrscht.

Allgemein wird angeführt, dass die makroökonomische Regulierungsfunktion des Kartellrechts verfehlt wäre, wenn ein Recht zur Anwendung kommen soll, das gar keinen Regulierungsanspruch erhebt oder diesen verneint.88 Allerdings wurde gezeigt, dass die kartellrechtlichen Sachnormen ihren Anwendungsbereich regelmäßig selbst regeln, eine solche Gefahr also nicht besteht.89

Schließlich soll Kartelldeliktsrecht verhaltenssteuernd wirken. Grundsätzlich sollen Haftungsregeln aus ökonomischer Perspektive Anreize schaffen, sich so zu verhalten, dass ein gesamtgesellschaftlicher Vorteil entsteht.90 So sollen allgemein durch Haftungsregeln externe Faktoren internalisiert werden.91 Dabei verteuert eine Sanktion eine Handlungsoption, wodurch diese weniger attraktiv erscheint und der Haftungsregel verhaltenslenkende Wirkung zukommt.92 Das Ziel der Verhaltenssteuerung, Rechtsverstöße von vorneherein zu verhindern, kann nur erreicht werden, wenn ein funktionierendes System der Rechtsdurchsetzung existiert: Nur wer tatsächlich mit juristischen Konsequenzen rechnet, verhält sich ex ante gesetzestreu.93 Bei einer Schadensersatzklage aufgrund eines Kartellrechtsverstoßes werden dabei positive Externalitäten in Bezug auf den ungestörten Wettbewerb internalisiert und dadurch Akteure von kartellrechtswidrigem Verhalten abgehalten.94 Bei Fällen, die außerhalb der Einschränkungskriterien liegen, würde die verhaltenssteuernde Wirkung des Kartelldeliktsrecht verfehlt: Es findet aufgrund der Einschränkungskriterien keine Anwendung.

2. Transaktionskosten

Es ist das ökonomische Ziel des internationalen Privatrechts, durch effizienten Ressourceneinsatz eine Maximierung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt zu erreichen.95 Das Coase-Theorem beschäftigt sich mit der effizienten Allokation von Ressourcen, die sich unabhängig von der anfänglichen Verteilung mit der Zeit ergeben würde.96 Das Coase-Theorem ist allerdings an die unrealistische Bedingung geknüpft, dass keine Transaktionskosten anfallen.97 Übertragen auf das internationale Privatrecht ist damit das ökonomische Ziel, Transaktionskosten weitestgehend zu reduzieren, um eine möglichst effiziente Allokation von Ressourcen sicherzustellen.98

Grundsätzlich ist zu bedenken, dass im internationalen Privatrecht regelmäßig hohe Transaktionskosten anfallen.99 Das ist dem internationalen Bezug geschuldet: Sobald ein Sachverhalt Bezüge zu mehreren Rechtsordnungen hat, müssen neben den materiellrechtlichen auch die kollisionsrechtlichen Fragen beantwortet werden. Allerdings hat das internationale Privatrecht durch eine effiziente Gestaltung das Potential, Transaktionskosten erheblich zu reduzieren.100

Für die Sicherstellung des Wettbewerbs im Markt ist notwendig, dass auch Unternehmen und Privatpersonen die Möglichkeit haben, Wettbewerbsverstöße einzuklagen.101 So besteht weitgehend Einigkeit, dass die Kartellbehörden allein nicht in der Lage sind, das Kartellrecht hinreichend durchzusetzen.102 Allerdings sehen private Akteure von der Durchsetzung ab, sollten die Kosten einer Klage zu hoch sein.103 Durch die Einschränkungskriterien wird eine Zersplitterung in eine Vielzahl von anwendbaren Rechtsordnungen vermieden und es sind nur diejenigen Rechtsordnungen anwendbar, die mehr als unerheblich betroffen sind.104 Das ist prozessökonomisch erstrebenswert: Dadurch ist für die Adressaten vorhersehbar, welche Rechtsordnungen Anwendung finden, sodass die tertiären Rechtsverfolgungskosten reduziert werden.105

Allerdings ist der Kontext von Art. 6 Rom II-VO zu beachten. Im Bereich von Streuschäden gestattet Abs. 3 lit. b dem Geschädigten aus Gründen der Prozessökonomie, am Wohnsitzgerichtsstand des Schädigers zu klagen und die Klage an die lex fori anzuknüpfen.106 Damit kann der Geschädigte durch Ausübung des Wahlrechts seine Rechtsverfolgungskosten jedenfalls bei Multistate Delikten reduzieren.

Auch sind die Probleme der Rechtszersplitterung und der erhöhten Rechtsverfolgungskosten durch die Begrenzungskriterien keineswegs gelöst: Zunächst schließen die


85 Koos, in: FS Fezer, 2016, S. 263, 269.

86 Massing, (Fn. 7), S. 185.

87 Ebd., S. 192 f.

88 Mankowski, (Fn. 45), 33.

89 Siehe C.IV.1.a).

90 Faltmann, Schadensersatz im Deliktsrecht aus Rechtsökonomischer Perspektive, ZJS 2017, 10, 12.

91 Cooter/Ulen, Law and Economics6, 2014, S. 325.

92 Ebd.

93 Vgl. Weber, in: Heiderhoff/Schulze (Hrsg.), Verbraucherrecht und Verbraucherverhalten, 2016, S. 187, 188.

94 Rodriguez Pineau, J. Priv. Int’l L. Vol. 5 (2009), 311, 328 f.

95 Rühl, (Fn. 78), S. 195.

96 Coase, J. L. & Econ. Vol. 3 (1961) 1, 2.

97 Ebd. 15.

98 Rühl, (Fn. 78), S. 209.

99 Ebd.

100 Ebd.

101 Adolphsen, J. Priv. Int’l L. Vol. 1 (2005), 151, 153.

102 Ebd.

103 Weißbuch der Kommission 2.4.2008, KOM (2008) 165 endg., 11.

104 Schnur, (Fn. 25), S. 122.

105 Michaels, (Fn. 83), S. 156.

106 Von Hein, Europäisches Internationales Deliktsrecht nach der Rom II-Verordnung, ZeuP 2009, 6, 29.

Karschau, Einschränkungskriterien als Beschränkung des Auswirkungsprinzips im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO unter Berücksichtigung wettbewerbsökonomischer Aspekte79

Begrenzungskriterien nur Rechtsordnungen aus. Eine richtige Konzentration wie bei Abs. 3 lit. b findet gerade nicht statt. Dabei ist ein generelles Problem des Mosaikprinzips, dass es die Rechtsverfolgungskosten erhöht. Das kann eine faktische Barriere für eine Geltendmachung des erlittenen Schadens bedeuten.107

3. Mikroökonomisches Regelungsinteresse

Wie festgestellt, soll das Kartellrecht gesamtwohlfahrtsminderndes Verhalten effektiv verhindern.108 Daneben werden auch die Interessen der individuellen Marktteilnehmer geschützt.109 Dabei kann ein Verhalten unterhalb der Spürbarkeitsschwelle nicht nur gesamtwohlfahrtsmindernd sein, sondern auch ein Kompensationsinteresse der Betroffenen begründen. Denn auch wenn kartellrechtliche Folgen nicht auf dem Markt spürbar sind, kann bei einzelnen Marktakteuren ein Schaden entstehen. Dabei sollte keine Marktbeeinträchtigung unbeanstandet bleiben, soweit sie nach nationalem Recht ersatzfähig wäre, sodass jeder individuelle Marktteilnehmer angemessen kompensiert wird.110

4. Private Enforcement

Diese Feststellung fügt sich in eine jüngere Entwicklung111 des Kartellrechts ein: Der europäische Verordnungsgeber setzt vermehrt auf Private Enforcement zur Durchsetzung des europäischen Kartellrechts.112 Ausgangspunkt dieser Entwicklung waren die Fälle Courage113 und Manfredi114 des EuGH, die die Möglichkeiten des Private Enforcements erheblich ausgeweitet haben.115 Auch Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO soll die Rechtsdurchsetzung durch Private fördern.116 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung wird argumentiert, dass der europäische Verordnungsgeber von Einschränkungskriterien abgesehen hat, um immer eine Kompensation zuzugestehen, wenn der Schaden nach nationalem Recht ersatzfähig wäre.117

Aus ökonomischer Perspektive ist die Ausweitung von Private Enforcement begrüßenswert: Schadensersatzklagen können wesentlich zur Aufrechterhaltung des Wettbewerbs beitragen.118 Eines der ökonomischen Bewertungskriterien ist das Effizienzprinzip, das auf die Wohlfahrtsökonomik (welfare economics) zurückgeht, die sich mit der Allokation von Ressourcen und ihrer Auswirkung auf den Gesamtwohlstand beschäftigt.119 Es ist anerkannt, dass Monopole, Oligopole und Preisabsprachen die Gesamtwohlfahrt verringern.120 Dagegen haben ökonomische Untersuchungen gezeigt, dass private Schadensersatzklagen dem effektiv begegnen: Als Ergänzung zur behördlichen Durchsetzung erhöhen sie die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt.121

Außerdem hängen die Kosten der Aufdeckung von Fehlverhalten im Wesentlichen von der Informationslage der Berechtigten ab.122 Damit ist Private Enforcement ökonomisch erstrebenswert, da die Wettbewerber gegenüber Behörden regelmäßig bessere Marktkenntnisse und Informationen über Kartellrechtsverstöße haben, die ohne Private Enforcement unentdeckt bleiben würden.123 Daneben hat Private Enforcement eine höhere Abschreckungswirkung.124 Schließlich besteht der ökonomische Vorteil, dass gegenüber dem behördlichen Kartellrecht eine direkte Kompensation beim Geschädigten erfolgt.125 Überträgt man diese Argumente auf den vorliegenden Streit, ist es wettbewerbsökonomisch sinnvoll, die Anwendung der nationalen Rechte, die ggf. eine Kompensation zugestehen, nicht an einer qualifizierten Marktauswirkung scheitern zu lassen, um die positiven Effekte des Private Enforcement nicht einzuschränken.

VI. Internationaler Seitenblick

1. Unmittelbarkeit

Es existieren im internationalen Vergleich Rechtsordnungen, in denen ausdrücklich oder implizit Einschränkungskriterien in den Kartellkollisionsnormen kodifiziert sind. So umfasst der Wortlaut von Art. 137 Abs. 1 IPRG der Schweiz nur „unmittelbare“ Wettbewerbsbehinderungen. Auch die USA schließen mittelbare Verstöße aus.126 Allerdings besteht dahingehend kein internationaler Konsens: So können in Deutschland auch mittelbare Auswirkungen auf den Markt dem GWB unterfallen.127

2. Spürbarkeit

a) Materielles Recht

Im materiellen Recht finden sich in zahlreichen Rechtsordnungen Spürbarkeitsschwellen: Zunächst existieren ausdrückliche Festschreibungen in den Wettbewerbsgesetzen der USA, Italiens und der Niederlande.128 Ungeschriebene Spürbarkeitsschwellen werden in Deutschland, Großbritannien und Frankreich angewendet. In Schweden und im europäischen Kartellrecht sind Spürbarkeitsgrenzen in Verwaltungsvorschriften statuiert.129 Dies unterstützt zunächst die These, dass es international eher als Frage des Sachrechts verstanden wird, ab welchem Grad der Beeinträchtigung ein Kartellrechtsverstoß vorliegt. Einige argumentieren,


107 Koeckritz/Holzmueller, G.C.L.R., Vol. 3 (2010), 91, 95.

108 Mankowski, (Fn. 45), S. 23.

109 Adolphsen, J. Priv. Int’l L. Vol. 1 (2005), 151, 172.

110 Tzakas, (Fn. 34), S. 563.

111 Mankowski, Ausgewählte Einzelfragen zur Rom II-VO, IPrax 2010, 389, 395.

112 Becker/Kammin, die Durchsetzung von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen, EuZW 2011, 503, 506.

113 EuGH, Urt. v. 20.9.2001, Rs. C- 435/99, Courage/Crehan.

114 EuGH, Urt. v. 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04-C-298/04, Manfredi/Lloyd.

115 Wenzel Bulst, zum Manfredi Urteil des EuGH, ZeuP 2008, 178, 183.

116 Francq/Wurmnest, (Fn. 4), S. 91, 92 mwN.

117 Tzakas, (Fn. 34), S. 563.

118 Immenga, (Fn. 45), S. 725, 726.

119 Rühl, (Fn. 78), S. 139 ff.

120 Posner, Economic Analysis of Law9, 2014, S. 363 ff.

121 McAfee /Mialon/Mialon, Journal of Public Economics, Vol. 92, 1863 ff, Corollary 3.

122 Peolzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 371.

123 Ebd.; Segal/Whinston, Public vs. Private Enforcement of Antitrist Law: A Survey, Stanford Law and Economics Olin Working Paper No. 355, 2006, S. 4 ff.

124 Schwalbe/Höft, in: FS Möschel, S. 697, 621; Weißbuch der Kommission 2.4.2008, KOM (2008) 165 endg., 3.

125 Rubinfeld, in Hawk (Hrsg.), Annual Proceedings of the Fordham Competition Law Institute, 2009, S. 457, 467.

126 „direct (…) effect“, Foreign Trade Antitrust Improvement Act of 1982 (FTAIA), 15 U.S.C § 6(a).

127 Rehbinder/von Kalben, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewersrecht6, 2020, Rn. 158.

128 Fabig, (Fn. 18), 112 f.

129 Woll, Die Konvergenz der Kartellgesetze in Europa, 2002, S. 151 f.

Karschau, Einschränkungskriterien als Beschränkung des Auswirkungsprinzips im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO unter Berücksichtigung wettbewerbsökonomischer Aspekte80

dass dieser internationale Konsens ein Argument für eine Spürbarkeitsschwelle auf Kollisionsebene sei, was allerdings das Verhältnis von Sach- und Kollisionsrecht verkennt.130

b) Kollisionsrecht

Zwar existieren auch im Kollisionsrecht anderer Länder Regelungen, die eine Erheblichkeitsschwelle für die Anwendung des nationalen Rechts anordnen. So fordert das US-Kartellrecht einen „direct, substantial, and reasonably foreseeable effect“131 auf den US-Markt, um angewendet zu werden und auch in Deutschland muss die Inlandsauswirkung spürbar132 sein.133 Ähnliche Einschränkungskriterien kennen auch die britischen Kartellrechtsnormen.134

c) Einseitige und allseitige Kollisionsnormen

Befürworter der Einschränkungskriterien führen diese kartellrechtlichen Kollisionsnormen ins Feld, um auch Einschränkungskriterien bei Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO zu begründen. Die Übertragbarkeit der Wertungen dieser Vorschriften ist allerdings fraglich.135 Die nationalen Vorschriften regeln als einseitige Kollisionsnormen ihren eigenen Anwendungsbereich. Damit besteht ein völkerrechtliches Einschränkungsinteresse, um die extraterritoriale Anwendung des eigenen Rechts zu beschränken.136 Allerdings ist das Problem der Extraterritorialität schon grundsätzlich im Bereich des Privatrechts – gegenüber dem öffentlichen Recht – deutlich abgeschwächt.137 Schließlich ist Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO – gegenüber den nationalen Regelungen – als allseitige Kollisionsnorm ausgestaltet und wählt damit aus allen Rechtsordnungen diejenigen aus, die zur Anwendung berufen werden sollen. Damit besteht bei einer allseitigen Kollisionsnorm kein vergleichbares Einschränkungsinteresse.138

D. Ergebnis

Insgesamt überzeugt es, Einschränkungskriterien als sachrechtliche Fragestellungen zu behandeln. Der Wortlaut, die Historie und die Systematik streiten gegen ein qualifiziertes Auswirkungsprinzip. Teleologisch wiegt der Unterschied zwischen Sach- und Kollisionsnormen besonders schwer. Die verbleibenden Nachteile wie die Verkomplizierung der Rechtsanwendung sowie die höheren Rechtsverfolgungskosten sind vor dem ökonomischen Hintergrund des mikro- und des makroökonomischen Kompensationsinteresses und eines effektiven Private Enforcement hinzunehmen. Die Ansicht, dass bestimmte Einschränkungen dem Auswirkungsprinzip bereits innewohnen, kann nicht überzeugen: Völkerrechtlich sind Einschränkungen bei allseitigen Kollisionsnormen gerade nicht gefordert.

Damit sind die Einschränkungskriterien der Spürbarkeit, Vorhersehbarkeit und Wesentlichkeit im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 lit. a Rom II-VO nach der hier vertretenen Ansicht nicht anzuwenden, aber die Unsicherheit bleibt: Eine höchstrichterliche Auseinandersetzung mit der Frage nach einem qualifizierten Auswirkungsprinzip fehlt bisher. Es bleibt abzuwarten, wie sich der EuGH in der Diskussion um die Einschränkungskriterien positioniert.


130 Siehe bereits C.IV.1.a).

131 FTAIA 1982, 15 U.S.C § 6(a).

132 Vgl. nur BGH, Beschl. v. 25.9.2007, Rs. KVR 19/07, Organische Pigmente, Rn. 20.

133 Ackermann, in: FS Slot, 2009, S. 109, 114.

134 Ebd.

135 Massing, (Fn. 7), S. 181.

136 Ebd.

137 Mankowski, RIW 2009, 177, 187.

138 Schnur, (Fn. 25), S. 122.