Die Zulässigkeit der Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept beim Betriebsübergang

Melissa Gulde*

A. Einführung

„Business insolvency time bomb“.1 Mit diesen gleichermaßen prägnanten und warnenden Worten werden die wirtschaftlichen Auswirkungen um Covid-19 beschrieben. Während es im Jahr 2019 18.749 Unternehmensinsolvenzen gab, soll die Zahl in den nächsten zwei Jahren um zwölf Prozent steigen.2

Demgegenüber eröffnen sich für Investoren durch die Krise auch Chancen. Sie können zu niedrigen Preisen die materiellen und immateriellen Vermögenswerte der maroden Betriebe erwerben.3 Die Aussichten auf einen attraktiven „asset deal“ und eine erfolgreiche Sanierung werden jedoch durch § 613a BGB getrübt. Gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 BGB tritt der Erwerber bei einem Betriebsübergang in die Arbeitsverhältnisse des Veräußerers ein. Die hohen Personalkosten bleiben zunächst erhalten.4 Der Erwerber kann zwar aus betrieblichen Erfordernissen nach dem Betriebsübergang kündigen. Er trägt dann aber die Kosten von Sozialplänen, Interessen- oder Nachteilsausgleichen und Kündigungsschutzprozessen.5 Eine Sanierung wird entweder verhindert oder deutlich verlangsamt.6

Die Risiken sind für den Erwerber indes vermeidbar, wenn die Arbeitsverhältnisse bereits vor dem Betriebsübergang beendet werden. Der Veräußerer soll den Arbeitnehmern kündigen, für die auf der Grundlage des Erwerberkonzepts nach dem Betriebsübergang kein Bedarf bestehen wird. Diese sogenannte Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept soll als Sanierungsmittel fungieren. Die Betriebsübernahme wird in der Regel von den Kündigungen des Veräußerers abhängig gemacht.7 Allerdings verbietet § 613a Abs. 4 S. 1 BGB Kündigungen wegen des Betriebsübergangs. Die Zulässigkeit der Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept ist daher umstritten.

B. Inhalt und Methodik

Die Arbeit konzentriert sich auf die Prüfung der Zulässigkeit der Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept (C.II.2.).

Zunächst wird die rechtliche Ausgangslage beleuchtet (C.I.). Hierbei wird insbesondere die Reichweite des Kündigungsverbots gemäß § 613a Abs. 4 S. 1 BGB dargestellt. Anschließend widmet sich die Arbeit der zentralen Frage, ob die Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept mit dem Kündigungsschutzrecht vereinbar ist (C.II.). Es wird untersucht, ob die Kündigung durch den Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten beim Erwerber gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG gerechtfertigt werden kann. In diesem Rahmen muss ermittelt werden, ob ein Vorgriff auf die Erwerbersphäre gegen das Kündigungsverbot aus § 613a Abs. 4 S. 1 BGB verstößt (C.II.2.). Die Hauptansichten werden anhand der Fallgestaltungen des fortführenden und des eingliedernden Betriebsübergangs analysiert und bewertet (C.II.2.e.).

C. Hauptteil

I. Rechtliche Ausgangslage

1. Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept

Die Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept ist eine betriebsbedingte Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3 KSchG. Sie wird vor dem Betriebsübergang vom Veräußerer auf Initiative des Erwerbers nach dessen Konzept oder Sanierungsplan erklärt. Erst nach dem Übergang nimmt der Erwerber die Sanierungsmaßnahmen vor.8

Betriebsübergang § 613a BGB

Ein Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB liegt vor, wenn eine wirtschaftliche Einheit durch Rechtsgeschäft unter Wahrung ihrer Identität auf einen anderen Inhaber übertragen wird.9 Bei einem fortführenden Betriebsübergang wird der übergehende Betrieb(steil) durch den Erwerber als selbstständige Organisationseinheit weitergeführt. Wird die übergehende Einheit mit einem beim Erwerber bestehenden Betrieb fusioniert, spricht man von einem eingliedernden Betriebsübergang.10

Kündigungsverbot § 613a Abs. 4 BGB

Gemäß § 613a Abs. 4 S. 1 BGB ist die Kündigung eines Arbeitnehmers durch den Veräußerer oder den Erwerber „wegen“ des Betriebsübergangs unwirksam. Die Kündigung erfolgt wegen des Betriebsübergangs, wenn er der tragende Grund ist.


* Die Autorin ist Studentin an der Bucerius Law School, Hamburg. Der Beitrag stellt eine überarbeitete Fassung ihrer Examensseminararbeit dar

1 Euler Hermes, Calm before the storm: Covid-19 and the business insolvency time bomb, Allianz Research, 2020, S. 1.

2 Euler Hermes, Insolvenzupdate – Die Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland und weltweit, 2020, S. 1.

3 Schmädicke, NZA 2014, 515.

4 Löw/Schulz, BB 2020, 244.

5 Vgl. Döpner, Die Veräußererkündigung auf Erwerberkonzept beim Betriebsübergang, 2013, S. 22 f.

6 Vgl. Keller-Stoltenhoff, Die rechtstatsächlichen Auswirkungen des § 613a BGB im Konkurs, 1985, S. 64; Pietzko, Der Tatbestand des § 613a BGB, 1987, S. 184; Paulus, DStR 2004, 1568 (1570 f.).

7 Schumacher-Mohr, NZA 2004, 629; Döpner, S. 24 f.; Hanau, Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen durch Maßnahmen im Unternehmens-, Arbeits-, Sozial-, und Insolvenzrecht, 1982, S. E 39.

8 Schmädicke, NZA 2014, 515; Kliemt/Teusch, in: Schuldrecht, juris Praxiskommentar, Bd. 2, 2. Buch, 9. Aufl. 2020, § 613a BGB Rn. 206.

9 Vgl. RL 2001/23/EG Art. 1 Nr. 1; ausführl. BeckOGK ZivilR-Kokott, 2020, § 613a BGB Rn. 81 ff. m.w.N.

10 Falkenberg, BB 1987, 328 (329).

Gulde, Die Zulässigkeit der Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept beim Betriebsübergang23

§ 613a Abs. 4 S. 2 BGB stellt klar, dass das Recht zur Kündigung aus anderen Gründen unberührt bleibt. Es muss einen Sachgrund geben, der die Kündigung aus sich heraus rechtfertigt.11 Das arbeitgeberseitige Motiv, mithin ein subjektiver Ansatz, ist maßgeblich.12

Daraus folgt, dass der Betriebsübergang kein dringendes betriebliches Erfordernis im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG sein kann.13

II. Kündigung nach dem KSchG

Der allgemeine Kündigungsschutz des KSchG ist anwendbar, wenn gemäß § 1 Abs. 1 KSchG ein Arbeitsverhältnis mindestens sechs Monate in einem Unternehmen besteht und der Arbeitgeberbetrieb kein Kleinbetrieb nach § 23 Abs. 1 KSchG ist.14 Die Zulässigkeit der Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept im Anwendungsbereich des KSchG soll anhand des folgenden Beispiels untersucht werden:

Beispiel 1: Die V-GmbH ist stark überschuldet. Die E-GmbH ist bereit, einen Betrieb der V zu übernehmen. E plant, die Arbeitsabläufe nach dem Betriebsübergang durch Maschinen zu rationalisieren. Der Beschäftigungsbedarf wird gesenkt.15 Deswegen soll das Personal reduziert werden. Im Kaufvertrag macht E die Betriebsübernahme gemäß dem beigefügten Sanierungsplan von der Kündigung eines Sechstels der Arbeitnehmer abhängig. V verhandelt mit dem Betriebsrat gemäß §§ 111 ff. BetrVG und führt eine Sozialauswahl durch. Sie spricht die Kündigungen auf der Grundlage des Sanierungsplans aus. Danach geht der Betrieb gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 BGB auf E über.16

In Beispiel 1 ist fraglich, ob die Kündigungen der V aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt sind. Gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ist die Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Dazu muss ein inner- oder außerbetrieblicher Impuls eine unternehmerische Entscheidung auslösen. Die Unternehmerentscheidung muss kausal die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers dauerhaft entfallen lassen.17 Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Kündigung sind die Umstände beim Arbeitgeber im Zeitpunkt des Kündigungszugangs maßgeblich.18

1. Unternehmerentscheidung

a) Impuls

Das Sanierungskonzept wird in Beispiel 1 von E vorgelegt. Es bildet einen außerbetrieblichen Impuls.19 Dieser Impuls muss zu einer Unternehmerentscheidung der V geführt haben.

b) Unternehmerentscheidung des Veräußerers

Ausreichend für die Unternehmerentscheidung ist ein Entschluss im Sinne einer natürlichen Willensbildung über eine Organisationsveränderung.20 Mittels der Kündigungserklärungen beginnt der Veräußerer, die im Erwerberkonzept vorgesehenen Sanierungsmaßnahmen umzusetzen. Der Veräußerer hat das Erwerberkonzept gegenüber anderen Maßnahmen ausgewählt. Er hätte beispielsweise auf die Veräußerung verzichten oder den Kaufpreis reduzieren können.21 Das bewusste Auswählen zwischen den Varianten verdeutlicht, dass eine eigene Unternehmerentscheidung vorliegt.22

Die unternehmerische Entscheidungsfreiheit ist gemäß Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt. Die Entscheidung unterliegt lediglich einer gerichtlichen Missbrauchskontrolle.23 Bis zur Grenze der offensichtlichen Missbräuchlichkeit kann sich der Unternehmer entscheiden, organisatorische Maßnahmen vorzunehmen. Dazu gehört auch, sich fremder Konzepte zu bedienen. Es ist daher unerheblich, dass das Konzept vom Erwerber stammt.24

Folglich liegt in Beispiel 1 trotz des Erwerberkonzepts eine eigene Unternehmerentscheidung der V vor. Die Entscheidung zugunsten des Erwerberkonzepts führt kausal zum dauerhaften Beschäftigungswegfall.

2. Schaffung dringender betrieblicher Erfordernisse

Problematisch ist jedoch, dass nicht der Veräußerer, sondern der Erwerber die Sanierungsmaßnahmen vornehmen wird. Erst nach dem Betriebsübergang werden die Beschäftigungsmöglichkeiten wegfallen. Das dringende betriebliche Erfordernis wird in der Erwerbersphäre geschaffen. Demzufolge ist zu untersuchen, ob die betriebsorganisatorischen Maßnahmen des Erwerbers die Veräußererkündigung gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG rechtfertigen können oder die


11 BAG 27.9.1984 – 2 AZR 309/83, juris-Rn. 37; 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, juris-Rn. 14; 27.10.2005 – 8 AZR 568/04, juris-Rn. 36.

12 Vgl. Hillebrecht, NZA-Beil. 4 1989, 10 (13); Lipinski, NZA 2002, 75 (77 f.).

13 Zwanziger, in: Kündigungsschutzrecht – Kündigungen und andere Formen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, 9. Aufl., § 613a BGB Rn. 200 (KDZ-Bearbeiter).

14 Kaiser, in: Gesamtes Arbeitsrecht, Kommentar, 9. Aufl., 2019, § 1 KSchG Rn. 6, 10 (AR-Bearbeiter); Bayreuther, in: Kündigungsschutzgesetz, Kommentar, 16. Aufl., 2019, § 23 KSchG Rn. 19 ff. (LKB-Bearbeiter).

15 Vgl. Gaul et al., DB 2003, 1902.

16 Vgl. Döpner, S. 35; Willemsen, in: Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, Arbeitsrechtliches Handbuch, 5. Aufl., 2016, Kap. H Rn. 107 (WHSS-Bearbeiter).

17 BAG 7.12.1978 – 2 AZR 155/77, juris-Rn. 13; 18.1.1990 – 2 AZR 183/89, juris-Rn. 25; 24.6.2004 – 2 AZR 326/03, juris-Rn. 23.

18 AR-Kaiser, § 1 KSchG Rn. 20 m.w.N.; Becker, in: Arbeitsrecht, Handbuch für die Praxis, 10. Aufl., 2019, § 74 Rn. 24 (DHZ-Bearbeiter).

19 Picot/Schnitker, Arbeitsrecht beim Unternehmenskauf und Restrukturierung, 2001, S. 134; Döpner, S. 209; für eine Einzelfallbetrachtung: Daub, Das Erwerberkonzept – Arbeitsrechtliche Aspekte von Erwerberkonzepten bei der übertragenden Sanierung, 2012, S. 66.

20 Ascheid, Kündigungsschutzrecht – Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, 1993, Rn. 231 m.w.N.; Döpner, S. 208; LKB-Krause, § 1 KSchG Rn. 686.

21 Vgl. BAG 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, juris-Rn. 15; Döpner, S. 208.

22 Moll, NJW 1993, 2016 (2021); Kindscher, Die Kündigung wegen Betriebsübergangs, 1999, S. 151; Picot/Schnitker, S. 134; Daub, S. 62; a.A. Karthaus/Richter, in: Arbeitsrecht – Individualarbeitsrecht mit kollektivrechtlichen Bezügen, Kommentar, 4. Aufl., 2017, § 613a BGB Rn. 256 (DHSW-Bearbeiter).

23 BAG 30.4.1987 – 2 AZR 184/86; 17.6.1999 – 2 AZR 522/98.

24 Moll, NJW 1993, 2016 (2021); Schnitker/Grau, EWiR 2003, 909 (910); Daub, S. 62; Döpner, S. 208 f.; Annuß in: Staudinger, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, Buch 2, Neubearb., 2019, § 613a BGB Rn. 397 (Staudinger-Bearbeiter).

Gulde, Die Zulässigkeit der Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept beim Betriebsübergang24

Kündigung gegen § 613a Abs. 4 S. 1 BGB verstößt.25

a) Verstoß gegen § 613a Abs. 4 BGB

Nach einem Teil der Literatur verstößt die Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept unabhängig von ihren Voraussetzungen gegen das Kündigungsverbot.26 Das betriebliche Erfordernis trete nicht beim Veräußerer ein. Es sei unsicher, ob der Beschäftigungsbedarf zukünftig beim Erwerber entfiele.27 Der Kündigungsgrund werde mittels des Betriebsübergangs fingiert.28 Die Erweiterung der Kündigungsmöglichkeiten verstoße gegen den durch § 613a Abs. 4 BGB gesicherten Bestandsschutz.29 Der Veräußerer dürfe die Kündigung nicht auf betriebliche Umstände nach dem Betriebsübergang stützen.30

Hiernach könnte V die Kündigungen in Beispiel 1 wegen des Verstoßes gegen das Kündigungsverbot nicht mit den Sanierungsmaßnahmen des Erwerbers rechtfertigen.

b) Kein Verstoß gegen § 613a Abs. 4 BGB bei


alternativer Durchführbarkeit

Ein Teil der Rechtsprechung und Literatur differenziert. Gegen das Kündigungsverbot werde nicht verstoßen, wenn der Veräußerer das Erwerberkonzept bei einer eigenen Betriebsfortführung hätte durchführen können.31 Der Veräußerer könne das Konzept durchführen, solange es keiner „weitergehenden, betriebsübergreifenden Planung“32 bedürfe. Die Durchführbarkeit erfasse die betriebs- und arbeitsorganisatorischen sowie finanziellen Möglichkeiten, das Konzept umzusetzen.33

Wenn der Veräußerer das Konzept dagegen nicht durchführen könne, schaffe der Betriebsübergang den Kündigungsgrund.34 Das Kündigungsverbot solle den Bestandsschutz aus § 613a Abs. 1 BGB gewährleisten. Der Zweck werde ausgehöhlt, wenn sich der Veräußerer fremder Kündigungsmöglichkeiten nach dem Betriebsübergang bediene.35 Sofern der Veräußerer das Konzept durchführen könne, realisiere sich für die zu kündigenden Arbeitnehmer die allgemeine Arbeitsplatzgefährdung.36 Es sei zu prüfen, ob die Kündigung nach § 1 KSchG sozial gerechtfertigt wäre, wenn der Veräußerer das Konzept durchgeführt hätte. Das Telos des § 613a Abs. 4 S. 1 BGB sei dann nicht berührt.37

In Beispiel 1 könnte V das Konzept ohne finanzielle Ressourcen nicht durchführen. Die Kündigung wäre unzulässig.

c) Kein Verstoß gegen § 613a Abs. 4 BGB

Nach der aktuellen Rechtsprechung38 und herrschenden Literaturansicht39 ist die Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept mit § 613a Abs. 4 S. 1 BGB vereinbar. Der Zweck des Kündigungsverbots bestehe nicht darin, das Arbeitsverhältnis künstlich zu verlängern. Bei einer greifbaren Konzeptumsetzung sei der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeiten prognostizierbar. Ein betriebliches Erfordernis läge vor. Der Erwerber müsse nicht erst nach dem Betriebsübergang kündigen.40

Das BAG hat für das Insolvenzverfahren auf das Erfordernis der alternativen Durchführbarkeit verzichtet.41 Es sei bei sanierungsbedürftigen Betrieben charakteristisch, dass der Veräußerer das Erwerberkonzept nicht umsetzen könne.42 Die Mehrheit der Literatur plädiert dafür, dass das Erwerberkonzept auch außerhalb des Insolvenzverfahrens nicht alternativ durchführbar sein müsse.43

In Beispiel 1 könnte V die Kündigungen mit den betrieblichen Umständen der E rechtfertigen.


25 Vgl. Döpner, S. 25 f.

26 Posth, Arbeitsrechtliche Probleme beim Betriebsinhaberwechsel (§ 613a BGB), 1977, S. 111 ff.; Schwerdtner, FS G. Müller 1981, 557 (582); Hüper, Der Betrieb im Unternehmerzugriff – Arbeitnehmerinteresse und Mitbestimmung bei Betriebsübergang, Betriebsaufspaltung und Betriebsparzellierung, 1985, S. 79; Habscheid, RdA 1989, 88 (94); Richardi, NZA 1991, 289 (292); DHSW-Karthaus/Richter, § 613a BGB Rn. 253 ff.; Kreitner, in: Arbeitsrecht, Lohnsteuerrecht, Sozialversicherungsrecht, Personalbuch, 27. Aufl., 2020, Rn. 90 (Küttner-Bearbeiter); so noch Trittin, in: Arbeitsrecht bei Unternehmensumwandlung und Betriebsübergang, 4. Aufl., 2012, § 6 Rn. 200 f. (BKMT-Bearbeiter).

27 Vgl. Schwerdtner, FS G. Müller 1981, 557 (582); Habscheid, RdA 1989, 88 (94); Richardi, NZA 1991, 289 (292).

28 DHSW-Karthaus/Richter, § 613a BGB Rn. 251.

29 Habscheid, RdA 1989, 88 (94); BKMT-Trittin, § 6 Rn. 200; Küttner-Kreitner, Rn. 90.

30 Trittin, in: Kündigungsschutzgesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 4. Aufl., 2009, § 613a BGB Rn. 168 (BTM-Bearbeiter); 174 ff.; DHSW-Karthaus/Richter, § 613a BGB Rn. 253.

31 Vgl. BAG 2.10.1974 – 5 AZR 504/73, juris-Rn. 33; 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, juris-Rn. 43; LAG Köln 17.6.2003 – 9 Sa 443/03, juris-Rn. 17; Schaub, ZIP 1984, 272 (276); Hillebrecht, ZIP 1985, 257 (263); Hess/Knörig, Das Arbeitsrecht bei Sanierung und Konkurs, 1. Aufl. 1991, S. 249; Weimar/Alfes, DB 1991, 1830 (1831); Kindscher, S. 154 ff.; Döpner, S. 211; KDZ-Zwanziger, § 613a BGB Rn. 204; mittlerweile Gerhardt, in: Arbeitsrecht bei der Umstrukturierung von Unternehmen und Betrieben, 5. Aufl., 2018, § 6 Rn. 214; AR-Bayreuther, § 613a BGB Rn. 110.

32 BAG 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, juris-Rn. 43.

33 Kindscher, S. 155; Döpner, S. 206; zur Ausnahme bei einer mangelnden finanziellen Durchführbarkeit siehe e.cc.

34 Kindscher, S. 155; DHSW-Karthaus/Richter, § 613a BGB Rn. 252.

35 BAG 26.5.1983 – 2 AZR 477/18 juris-Rn. 43.

36 Vgl. Borngräber, Arbeitsverhältnis bei Betriebsübergang – Der Eintritt des neuen Betriebsinhabers in die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen beim Betriebsübergang durch Rechtsgeschäft, 1977, S. 69 f.; Willemsen, ZIP 1983, 411 (416).

37 Vgl. Borngräber, S. 70; Seiter, Betriebsinhaberwechsel – Arbeitsrechtliche Auswirkungen eines Betriebsübergangs unter besonderer Berücksichtigung des § 613 a BGB, in: Schriften zur Arbeitsrechts-Blattei, Bd. 9, 980, S. 113; Willemsen, ZIP 1983, 411 (416).

38 Für das Insolvenzverfahren: BAG 20.3.2003 – 8 AZR 97/02; 20.9.2006 – 6 AZR 249/05; vgl. BAG 15.11.2012 – 8 AZR 827/11, juris-Rn. 27; LAG Schleswig-Holstein 23.11.2010 – 5 Sa 247/10; außerhalb des Insolvenzverfahrens: LAG Rheinland-Pfalz 11.3.2013 – 5 Sa 556/12.

39 Exemplarisch Boecken, Unternehmensumwandlungen und Arbeitsrecht, 1996, S. 179; WHSS-Willemsen, Kap. H Rn. 108; Steffan, in: Kündigungsrecht – Großkommentar zum gesamten Recht der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, 5. Aufl., 2017, § 613a BGB Rn. 189 f. m.w.N. (APS-Bearbeiter); Preis, in: Arbeitsrecht, Erfurter Kommentar, 20. Aufl., 2020, § 613a BGB Rn. 169 f. m.w.N. (EK-Bearbeiter); Müller-Glöge, in: Bürgerliches Gesetzbuch, Münchener Kommentar, Bd. 5, 8. Aufl., 2020, § 613a Rn. 193 m.w.N. (MüKo BGB-Bearbeiter).

40 BAG 20.3.2003 – 8 AZR 97/02; juris-Rn. 20.

41 A.a.O., Rn. 23.

42 Hanau, ZIP 1984, 141 (143).

43 Exemplarisch APS-Steffan, § 613a BGB Rn. 190; Staudinger-Annuß, § 613a BGB Rn. 400; Gussen, in: Arbeitsrecht, Beck’scher Onlinekommentar, 56. Edition, 2020, § 613a BGB Rn. 133 (BeckOK ArbR-Bearbeiter); EK-Preis, § 613a BGB Rn. 170; Müller-Bonanni, in: Arbeitsrecht, Kommentar, 9. Aufl., 2020, § 613a BGB Rn. 314 (HWK-Bearbeiter); a.A. LAG Köln 17.6.2003 − 9 Sa 443/03.

Gulde, Die Zulässigkeit der Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept beim Betriebsübergang25

d) Darstellung der Ansichten

Es ergibt sich die folgende Übersicht:

Auf der Grundlage der Übersicht ist zu untersuchen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept zulässig ist.

e) Analyse und Kritik der Ansichten

Zur besseren Analyse und Kritik der Ansichten wird im Folgenden zwischen dem fortführenden und dem eingliedernden Betriebsübergang unterschieden.

aa) Fortführender Betriebsübergang

Beispiel 2: In Abwandlung zu Beispiel 1 (II.) hat die V-GmbH noch finanzielle Reserven. Sie kündigt in Umsetzung des Sanierungsplans der E einem Sechstel der Arbeitnehmer. Danach geht der Betrieb auf E über.

Das Erwerberkonzept bezieht sich nur auf die übergehende Einheit. Ohne organisatorische Besonderheiten und wegen der finanziellen Ressourcen kann V das Erwerberkonzept selbst durchführen. Bei einer eigenen Betriebsfortführung könnte V die Kündigungen durch dringende betriebliche Erfordernisse rechtfertigen.44

Trotz der Durchführbarkeit des Konzepts geht nur die strengste Ansicht davon aus, dass die Kündigung unzulässig sei.45 Es ist daher zu untersuchen, ob § 613a BGB die Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept generell verbietet.

(1)Wortlaut

Der Wortlaut des § 613a Abs. 4 S. 1 BGB ist weit. Er lässt zu, dass die Kündigung durch zukünftige Umstände nach dem Betriebsübergang gerechtfertigt werden kann.46 Insofern gilt das kündigungsrechtliche Prognoseprinzip. Auf der Grundlage des greifbaren Sanierungsplans ist vorhersehbar, dass die Sanierungsmaßnahmen umgesetzt werden und der Beschäftigungsbedarf entfallen wird.47 Im Wortlaut bestehen keine Anhaltspunkte, dass § 613a BGB die Prognose verbieten würde.48 Auch hinsichtlich der Urheberschaft des Sanierungskonzepts sind keine Einschränkungen erkennbar.49

(2)Systematik

(1) Kündigungsgrund gemäß § 613a Abs. 4 S. 2 BGB

Aus § 613a Abs. 4 S. 2 BGB ergibt sich, dass auch Kündigungen im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang zulässig sind. Die unternehmerische Handlungsfreiheit soll gewährleistet bleiben.50 Aus dem Vorgriff auf die betrieblichen Umstände des Erwerbers kann deswegen nicht automatisch ein Verstoß gegen das Kündigungsverbot geschlussfolgert werden. In der Erwerbersphäre werden Rationalisierungsmaßnahmen auf der Grundlage eines betriebswirtschaftlichen Konzepts vorgenommen. In dem Konzept wird umfangreich dargelegt, warum, wie, wann und in welchem Umfang der Beschäftigungsbedarf bei der Sanierung entfallen wird.51 In Beispiel 2 könnte der Veräußerer das Konzept auch ohne den Betriebsübergang bei einer eigenen Betriebsfortführung umsetzen. Wenn er das Konzept selbst durchführt, ist die Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG unabhängig von der Erwerbersphäre gerechtfertigt. Jedenfalls bei der alternativen Durchführbarkeit ist der Betriebsübergang folglich kein notwendiges Element für den Arbeitsplatzwegfall. Er ist lediglich ein äußerer Anlass. Die Sanierung ist der tragende Kündigungsgrund im Sinne des § 613a Abs. 4 S. 2 BGB.52 Das Heranziehen der betrieblichen Umstände in der Erwerbersphäre erweitert die Kündigungsmöglichkeiten des Veräußerers nicht.

(2) Keine Einschränkung durch die Richtlinie 77/187/EWG

Die voranstehende Auslegung des § 613a Abs. 4 BGB wird durch die zugrundeliegende Richtlinie 77/187/EWG gestützt.53 Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie sind wirtschaftliche, technische oder organisatorische Kündigungsgründe zulässig. Demnach erkennt die Richtlinie betriebliche Erfordernisse als anderen Grund im Sinne von § 613a Abs. 4 S. 2 BGB an.54 Sie bestimmt nicht, aus welcher Sphäre die Kündigungsgründe stammen müssen.55

(3)Telos

(1) Keine Arbeitsplatzgarantie

§ 613a Abs. 4 BGB gewährt keine Arbeitsplatzgarantie. Vom Betriebsübergang unabhängige Kündigungen sollen nicht verhindert werden.56 Jedenfalls wenn der Veräußerer das Erwerberkonzept durchführen kann, könnte er ohne den Betriebsübergang kündigen. Insofern realisiert sich für den Arbeitnehmer ein allgemeines Arbeitsplatzverlustrisiko.57 Er wird nicht schlechter gestellt, als er ohne


44 Vgl. Döpner, S. 206; WHSS-Willemsen, Kap. H Rn. 109.

45 Vgl. 2.a).

46 Vossen, BB 1984, 1557 (1559); Birkholz, Betriebsübergang nach § 613a BGB in der Insolvenz, 1995, S. 61.

47 Vgl. LAG Rheinland-Pfalz 11.3.2013 – 5 Sa 556/12, juris-Rn. 44; Hiekel, BAG Report 2005, 161 (162); Döpner, S. 63; Kappenhagen, BB 2003, 2180 (2183).

48 Vossen, BB 1984, 1557 (1559 f.); vgl. Gaul, FS Schwerdtner 2003, 653 (657) m.w.N.

49 Moll, NJW 1993, 2016 (2021); vgl. LKB-Krause, § 1 KSchG Rn. 819.

50 Vgl. Borngräber, S. 70.

51 Vgl. LAG Düsseldorf 23.1.2003 – 11 (12) Sa 1057/02, juris-Rn. 28 ff.

52 BAG 20.3.2003 − 8 AZR 97/02, juris-Rn. 24; LAG Schleswig-Holstein 23.11.2010 – 5 Sa 247/10, juris-Rn. 27; Moll, NJW 1993, 2016 (2021); Wittenberg, Der Bestandsschutz von Arbeitsverhältnissen im Umwandlungsrecht, 2001, S. 79; Treber, in: Kündigungsschutzgesetz und sonstige kündigungsschutzrechtliche Vorschriften, Gemeinschaftskommentar, 12. Aufl., 2019, § 613a BGB, Rn. 69 (KR-Bearbeiter)

53 Neu verkündet als RL 2001/23/EG v. 12.3.2001.

54 APS-Steffan, § 613a BGB Rn. 176.

55 Vossen, BB 1984, 1557 (1559); Birkholz, S. 61.

56 Vgl. BAG 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, juris-Rn. 33; LAG Rheinland-Pfalz 11.3.2013 – 5 Sa 556/12, juris-Rn. 43; Grunsky, ZIP 1982, 772 (776); Vossen, BB 1984, 1557 (1559); Döpner, S. 62.

57 Vgl. Willemsen, ZIP 1983, 411 (416).

Gulde, Die Zulässigkeit der Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept beim Betriebsübergang26

den Betriebsübergang stünde. Allein wegen des zeitlichen Zusammenhangs mit dem Betriebsübergang darf die Kündigung nicht ausgeschlossen werden. Das Arbeitsverhältnis muss nicht bis nach dem Betriebsübergang künstlich verlängert werden.58

(2) Keine Arbeitnehmerselektion

Gemäß der Plessers-Entscheidung59 des EuGH ist es nicht mit dem Schutzzweck der Art. 3, 4 der Richtlinie vereinbar, dass sich der Erwerber die zu übernehmenden Arbeitnehmer aussuchen kann.60 Zur Vermeidung einer Arbeitnehmerselektion muss dargelegt werden, warum die nicht-übernommenen Arbeitnehmer gekündigt werden.61 Auf der Grundlage einer europarechtskonformen Auslegung soll auch § 613a Abs. 4 S. 1 BGB verhindern, dass sich der Erwerber sozial schwacher Arbeitnehmer entledigen kann.62

Bei der Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept besteht kein erhöhtes Risiko einer Arbeitnehmerselektion. In dem Konzept wird dargelegt, inwiefern durch die Sanierungsmaßnahmen der Beschäftigungsbedarf für die Arbeitnehmer entfällt. Es liegt somit keine Kündigung nach einem willkürlichen Erwerberverlangen vor.63 Im Anwendungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes des KSchG ist eine Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG durchzuführen. Der Erwerber kann sich nicht sozial schutzbedürftiger Arbeitnehmer entledigen. Die Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept stimmt mit dem Schutzzweck überein.64

(4)Schlussfolgerung anhand von Beispiel 2

In Beispiel 2 kann der Veräußerer das Erwerberkonzept selbst umsetzen. Unabhängig vom Betriebsübergang könnte er das dringende betriebliche Erfordernis nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG schaffen. Die Sanierung ist der Kündigungsgrund. Wertungsmäßig entspricht die Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept einer Veräußererkündigung nach einem Veräußererkonzept.65 Jedenfalls bei der alternativen Durchführbarkeit des Konzepts ist die Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept daher mit § 613a BGB vereinbar. Die Ansicht, die generell einen Verstoß annimmt, ist abzulehnen.

Somit ist im Folgenden anhand des eingliedernden Betriebsübergangs zu untersuchen, ob die Kündigung auch ohne die alternative Durchführbarkeit zulässig ist.

bb) Eingliedernder Betriebsübergang

Beispiel 3: Abwandlung zu Beispiel 1 (II.): Die E-GmbH hat einen Betrieb mit ähnlichen Produktlinien wie denen der V. Der übergehende Betrieb soll in den Betrieb der E eingegliedert werden. Es entstehen Überkapazitäten in der Produktion. Die Produktpalette des übergehenden Betriebes soll erheblich reduziert werden. Ein Drittel der Arbeitnehmer soll vor dem Betriebsübergang entlassen werden.66

Hier liegt ein eingliedernder Betriebsübergang vor. Das Konzept wird auf den beim Erwerber vorhandenen Betrieb gestützt. Das dringende betriebliche Erfordernis gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG entsteht aus der Betriebsfusion. Die Kündigungen werden exklusiv mit den betrieblichen Verhältnissen des Erwerbers nach dem Betriebsübergang begründet. Bei einer eigenen Betriebsfortführung könnte V das Konzept in betriebsorganisatorischer Hinsicht nicht durchführen.67

Ob die Kündigung ohne die alternative Durchführbarkeit zulässig ist, richtet sich nach der Auslegung des § 613a BGB.

(1)Wortlaut

Der Wortlaut des § 613a Abs. 4 BGB lässt keine Schlussfolgerung zu, ob eine Kündigung mit fremder Unterstützung nach einem Drittkonzept erfolgen kann.68

(2)Telos

(1) Keine Schlechterstellung durch den Betriebsübergang

§ 613a Abs. 1, 4 BGB schützt vor Risiken, die aus dem Betriebsübergang erwachsen.69 Der Arbeitnehmer soll so gestellt sein, wie er bei der Betriebsfortführung durch den bisherigen Inhaber gestanden hätte.70 Der Veräußerer kann seine Kündigung demnach nur durch betriebliche Umstände rechtfertigen, die auch ohne den Betriebsübergang hätten eintreten können.71 Mithin kann er nur Maßnahmen zur Rechtfertigung der Kündigung heranziehen, die er selbst hätte durchführen können. Es bedarf des Kriteriums der alternativen Durchführbarkeit.72

In Beispiel 3 wäre der Veräußererbetrieb ohne den Betriebsübergang nicht mit dem Erwerberbetrieb zusammengeschlossen worden. Mangels alternativer Durchführbarkeit stützt der Veräußerer seine Kündigung auf betriebliche Umstände, die nur durch den Betriebsübergang eintreten. Der Veräußererbetrieb ist ohne die Produktionsabteilung nicht überlebensfähig. Deswegen könnte und würde der


58 BAG 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, juris- Rn. 20.

59 In der Rechtssache Plessers wurde die Kündigung durch den Veräußerer nach dem Betriebsübergang erklärt. Das Arbeitsverhältnis war bereits auf den Erwerber übergegangen. Die Kündigung war unwirksam. Aus der Entscheidung kann daher nicht geschlussfolgert werden, ob die Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept europarechtskonform ist; vgl. EuGH 16.5.2019 – C 509/17, juris-Rn. 16 f.; Szpunar, Schlussanträge 23.1.2019 – C-509/17 Rn. 73.

60 EuGH 16.5.2019 – C-509/17, juris-Rn. 56 ff.

61 Caspers, EuZA 2020, 236 (242).

62 BAG 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, juris-Rn. 42; 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, juris- Rn. 20.

63 Vgl. BAG 26.5.1983 – 2 AZR 477/81; 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, juris-Rn. 30 m.w.N.

64 Ebenso Willemsen, ZIP 1983, 411 (416); Moll, NJW 1993, 2016 (2021); Picot/Schnitker, S. 135; Kappenhagen, BB 2003, 2180 (2182); vgl. Haase, FS Arbeitsgemeinschaft ArbR 2006, 613 (619); a.A. BTM-Trittin, § 613a BGB Rn. 174.

65 Vgl. Borngräber, S. 70; WHSS-Willemsen, Kap. H Rn. 109.

66 Vgl. WHSS-Willemsen, Kap. H Rn. 112.

67 Vgl. A.a.O., Rn. 112 f.; Döpner, S. 206.

68 Vgl. Picot/Schnitker, S. 135.

69 Vgl. EuGH 16.5.2019 – C-509/17, juris-Rn. 52 m.w.N.; AR-Bayreuther, § 613a BGB Rn. 106.

70 Willemsen, ZIP 1983, 411 (413).

71 Vgl. Borngräber, S. 70; Seiter, S. 113; Hanau, FS Gaul 1992, 287 (290); Kindscher, S. 155; Döpner, S. 210.

72 BAG 2.10.1974 – 5 AZR 504/73, juris-Rn. 33; Kindscher, S. 155 f.; Döpner, S. 210; KDZ-Zwanziger, § 613a BGB Rn. 204.

Gulde, Die Zulässigkeit der Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept beim Betriebsübergang27

Veräußerer den Arbeitnehmern aus der Produktion nicht kündigen.73

Die Kündigung wird durch den Betriebsübergang ermöglicht.74 Wenn sich der Veräußerer unabhängig von der alternativen Durchführbarkeit auf die Umstände aus der Erwerbersphäre berufen könnte, würden seine Kündigungsmöglichkeiten erweitert.75 Zugleich kann der Erwerber seine zum Beschäftigungswegfall führende Entscheidung stets im Rahmen eines Konzepts festhalten und damit den gesetzlich angeordneten Übergang des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 BGB verhindern.76 Infolgedessen wird der Arbeitnehmer schlechter gestellt, als er ohne den Betriebsübergang stünde.77 Unabhängig vom Betriebsübergang läge für ihn kein Arbeitsplatzverlustrisiko vor.78 Das Arbeitsverhältnis wird durch das Durchführbarkeitserfordernis daher nicht künstlich verlängert, sondern in seinem Bestand gewahrt.79

Demzufolge verstößt die Kündigung, bei welcher der Veräußerer das Konzept nicht durchführen kann, gegen das Telos des § 613a Abs. 1, Abs. 4 S. 1 BGB.80

(2) Sonstige Kündigungsmöglichkeiten

Dem widerspricht die herrschende Ansicht. Oftmals könne der Veräußerer unabhängig vom Betriebsübergang betriebsbedingt kündigen. Es bestünde keine Gefahr, dass sich der Veräußerer fremde Kündigungsmöglichkeiten verschaffe. Der Bestandsschutz aus § 613a Abs. 1 S. 1 BGB sei nicht gefährdet.81

Der Annahme ist partiell zuzustimmen. Es ist richtig, dass auch der Veräußerer aus anderen Gründen kündigen kann. Beispielsweise kann er Rationalisierungsmaßnahmen im Sinne einer Personalverdichtung vornehmen.82

Jedoch sagt die Betrachtung von anderen Kündigungsgründen erstens nichts über die Zulässigkeit aus, sich fremder Umstände zur Kündigungsrechtfertigung zu bedienen.

Zweitens mag der Veräußerer zwar kündigen können. Seine hypothetische Kündigung muss aber nicht deckungsgleich mit der Kündigung nach dem Erwerberkonzept sein. Zur Verdeutlichung dient folgender Vergleich: In Beispiel 3 entstehen durch die Betriebszusammenlegung Doppelbesetzungen in der Produktion. Aufgrund des Erwerberkonzepts sollen Arbeitnehmer aus dem Produktionsbereich gekündigt werden. Auch der Veräußerer kann unabhängig vom Betriebsübergang rationalisieren. Aus seiner betriebswirtschaftlichen Analyse ergäbe sich beispielsweise, dass die Verwaltung überbesetzt ist. Der Veräußerer würde den dortigen Arbeitnehmern kündigen. Dagegen sind die Arbeitnehmer in der Produktion ausgelastet. Solange der Veräußerer den Betrieb fortführt, würde er ihnen nicht kündigen. Der Vergleich zeigt, dass der Verweis auf andere Kündigungsgründe nicht zielführend ist. Ein Arbeitnehmer, der einzig nach dem Erwerberkonzept zu kündigen ist, wird aufgrund des Betriebsübergangs schlechter gestellt. Für ihn besteht ohne den Betriebsübergang kein Risiko, den Arbeitsplatz zu verlieren. Diese Schlechterstellung will § 613a Abs. 4 BGB verhindern.83

Drittens mündet das Vorbringen von sonstigen Kündigungsgründen in einer „kündigungsrechtlichen Wahlfeststellung“.84 Der Veräußerer könnte stets im Kündigungsschutzprozess darauf verweisen, dass er theoretisch andere Kündigungsgründe gehabt hätte. Der Kündigungsschutz würde durch hypothetische Szenarien unterlaufen werden.

(3) Betriebsstilllegung als Alternativszenario

Zur Erwiderung verweist die herrschende Ansicht auf die Betriebsstilllegung. Das Durchführbarkeitserfordernis sei nicht mit dem Wesen von Sanierungsfällen vereinbar.85 Der Veräußererbetrieb könne sich nicht aus eigener Kraft sanieren,86 mithin nicht das Erwerberkonzept umsetzen. Sanierende Betriebsübergänge würden stark erschwert.87 Ohne die Betriebsveräußerung werde der Betrieb stillgelegt. Das Telos des § 613a BGB werde pervertiert. Statt die Kontinuität der Arbeitsverhältnisse zu sichern, würden alle beendet werden.88

Der Verweis auf die Betriebsstilllegung ist nicht haltbar. Wie bereits unter (2) gezeigt, wird mit einer Hypothese argumentiert. Hypothetische Kausalverläufe können eine Kündigung nicht rechtfertigen.89 Die Unternehmerfreiheit erlaubt dem Arbeitgeber, jederzeit seinen Betrieb stillzulegen.90 Er kann somit immer ein betriebliches Erfordernis schaffen. Die Prüfung der Kündigungsrechtfertigung wird ad absurdum geführt, wenn man die Betriebsstilllegung als Reserveursache zuließe.91

Außerdem zieht die herrschende Literatur auch die Betriebsstilllegung heran, um in Sanierungsfällen für die Zulässigkeit der Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept zu argumentieren. Der Begriff des Sanierungsfalls ist weit. Eine gefährdete Rentabilität reicht aus.92 In einfachen Sanierungsfällen ist die Betriebsstilllegung indes keine betriebswirtschaftlich realistische Alternative. Der Verweis auf die Stilllegung kann daher gerade außerhalb des Insol-


73 Vgl. Borngräber, S. 70; WHSS-Willemsen, Kap. H Rn. 112.

74 BTM-Trittin, § 613a BGB Rn. 168, 174 ff.

75 A.a.O., Rn. 174 ff.; Willemsen, ZIP 1983, 411 (416); Kindscher, S. 155; vgl. AR-Bayreuther, § 613a BGB Rn. 110.

76 Kindscher, S. 156; vgl. Habscheid, RdA 1989, 88 (93).

77 Kindscher, S. 155; KDZ-Zwanziger, § 613a BGB Rn. 204; Staudinger-Annuß, § 613a BGB Rn. 399.

78 Vgl. Willemsen, ZIP 1983, 411 (416).

79 Kindscher, S. 156; KDZ-Zwanziger, § 613a BGB Rn. 204.

80 Kindscher, S. 155; vgl. BTM-Trittin, § 613a BGB Rn. 174 ff.; KDZ-Zwanziger, § 613a BGB Rn. 204; AR-Bayreuther, § 613a BGB Rn. 110.

81 Vgl. Henssler, NZA 1994, 913 (922); Birkholz, S. 62; C. Meyer, NZA 2003, 244 (246); Schumacher-Mohr, NZA 2004, 629 (632).

82 APS-Kiel, § 1 KSchG Rn. 523; HWK-Quecke, § 1 KSchG Rn. 316.

83 Angedeutet von Habscheid, RdA 1989, 88 (93).

84 Döpner, S. 210.

85 BAG 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, juris-Rn. 23 m.w.N.

86 Hanau, ZIP 1984, 141 (143).

87 Ebd.; Sieger/Hasselbach, DB 1999, 430 (432).

88 Vgl. Willemsen, ZIP 1983, 411 (415); Hanau, ZIP 1984, 141 (143 f.); Vossen, BB 1984, 1557 (1559); Kappenhagen, BB 2003, 2180 (2182); Cohnen, in: Arbeitsrecht, Münchener Anwaltshandbuch, 4. Aufl., 2017, § 54 Rn. 173 (MAH-Bearbeiter).

89 Vgl. Habscheid, RdA 1989, 88 (94).

90 Vgl. BeckOK ArbR-Rolfs, § 1 KSchG Rn. 412 f. m.w.N.

91 Ebenso Döpner, S. 211.

92 Grunsky, ZIP 1982, 772 (775).

Gulde, Die Zulässigkeit der Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept beim Betriebsübergang28

venzverfahrens nicht tragen.

Das Extrem der Betriebsstilllegung zeigt nur, dass die Kündigung nach dem Erwerberkonzept in kollektiver Hinsicht ein milderes Mittel ist.93 Insofern greift die herrschende Ansicht auf eine pragmatische Erwägung zurück: Eine Betriebsfortführung mit wenigen Arbeitnehmern sei besser als eine Stilllegung.94 Der § 613a BGB bezweckt aber den Schutz des individuellen Arbeitnehmers.95 Für den gekündigten Arbeitnehmer ist die Stilllegung kein milderes Mittel. Ihm wird entweder aufgrund der Stilllegung oder aufgrund des Erwerberkonzepts gekündigt.96 Dass sich der Arbeitnehmer opfern soll, damit der Betrieb vom Erwerber übernommen wird, verstößt gegen den intendierten Schutz des § 613a Abs. 4 S. 1 BGB.

Zudem hat sich der Gesetzgeber dazu entschieden, § 613a BGB im Insolvenzverfahren anzuwenden. Selbst in wirtschaftlich prekären Situationen soll demnach der individuelle Bestandsschutz eingreifen.97 Daraus resultiert zwar, dass übertragende Sanierungen erschwert werden. § 613a Abs. 4 BGB bezweckt jedoch nicht, Betriebssanierungen zu erleichtern.98 Ohnehin ist die Norm keine absolute Sanierungssperre. Der Veräußerer kann aufgrund eines eigenen Konzepts kündigen.99 Der Erwerber kann sein Konzept nach dem Betriebsübergang umsetzen und Kündigungen erklären.100

(4) Betriebsbezogenheit

Die Gegenansicht bringt weiterhin vor, dass einzig der Betrieb die relevante Bezugsgröße sei. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB solle in dem Betrieb die Kontinuität des Arbeitsverhältnisses wahren. Auch gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG sei allein maßgeblich, dass in dem Betrieb die Beschäftigungsmöglichkeiten entfielen.101 Ob die Person des Arbeitgebers oder Betriebsinhabers das Konzept durchführen könne, sei irrelevant.102

Das Argument ist abzulehnen. Beim eingliedernden Betriebsübergang bleibt „der Betrieb“ als Bezugspunkt der Konzeptverwirklichung nicht erhalten.103 Zwar ist der Betriebsübergang ein identitätswahrender Inhaberwechsel. Es entsteht jedoch eine funktionelle Verknüpfung zum Betrieb des Erwerbers.104 Das betriebliche Erfordernis nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG tritt meist nicht in dem übergehenden (Veräußerer)Betrieb, sondern in dem fusionierten Betrieb beim Erwerber ein.105

Zudem ist ein Betriebsübergang ein Inhaber-, mithin ein Arbeitgeberwechsel.106 § 613a BGB soll vor den Risiken schützen, die aus diesem Wechsel resultieren. Die betriebsbezogene Betrachtungsweise darf kein Risiko begründen, vor dem § 613a BGB schützen soll.107 Ohne den Betriebsübergang bestünde für den Arbeitnehmer nicht das konkrete Arbeitsplatzverlustrisiko. Auch der kündigungsrechtliche Grundsatz der Betriebsbezogenheit kann das Telos des autonomen § 613a BGB nicht einschränken.

(5) Unterschiedliche Behandlung der Betriebsübergangsarten

Der differenzierenden Ansicht wird vorgeworfen, dass sie den fortführenden und den eingliedernden Betriebsübergang willkürlich unterschiedlich behandle.108 Beim fortführenden Betriebsübergang stützt sich das Konzept auf die übergehende Einheit. Der Veräußerer kann es prinzipiell durchführen. Dagegen beruht das Konzept beim eingliedernden Betriebsübergang auf der Betriebsfusion. Der Veräußerer kann es nicht umsetzen.109 Deswegen wird geschlussfolgert, dass die differenzierende Ansicht die Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept auf den fortführenden Betriebsübergang beschränke.110

Der Vorwurf der willkürlichen Unterscheidung trägt nicht. Das Durchführbarkeitserfordernis ergibt sich aus dem Telos des § 613a Abs. 4 BGB. Außerdem kann das Konzept auch beim eingliedernden Betriebsübergang auf die übertragene Einheit beschränkt sein. Es kann etwa vorsehen, dass die Arbeitsabläufe durch neue Maschinen in dem übergehenden Betrieb rationalisiert werden. Unabhängig von der späteren Eingliederung stammt das dringende betriebliche Erfordernis aus der abgeschlossenen organisatorischen Sphäre der übergehenden Einheit. Der Veräußerer kann das Konzept durchführen. Die Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept ist trotz des Durchführbarkeitserfordernisses auch beim eingliedernden Betriebsübergang möglich.111

(3)Zwischenergebnis: Erfordernis alternativer Durchführbarkeit

Das Erwerberkonzept muss alternativ beim Veräußerer durchführbar sein. Demzufolge ist die Ansicht abzulehnen, die auf das Durchführbarkeitserfordernis verzichtet. In Beispiel 3 ist die Kündigung unwirksam.


93 Vgl. Loritz, RdA 1987, 65 (83); Birkholz, S. 61 f.; Breinlinger, in: Gesamtes Arbeitsrecht, Kommentar, 1. Aufl., 2016, § 613a BGB Rn. 133 (NK ArbR-Bearbeiter).

94 Birkholz, S. 63; NK ArbR-Breinlinger, § 613a BGB Rn. 133.

95 Döpner, S. 213.

96 Daub, S. 52.

97 Vgl. Döpner, S. 114; Lembke, BB 2007, 1333 (1339).

98 Döpner, S. 214; BTM-Trittin, § 613a BGB Rn. 174 ff.

99 BAG 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, juris-Rn. 33 m.w.N.

100 Kindscher, S. 156 f.; BTM-Trittin, § 613a BGB Rn. 174 ff.; Döpner, S. 214.

101 Wickler, Die Arbeitgeberkündigung beim rechtsgeschäftlichen Betriebsinhaberwechsel, 1985, S. 95; Lipinski, Sonderkündigungsschutz bei Betriebsübergang, 2001, S. 58.

102 Birkholz, S. 62; Picot/Schnitker, S. 134; Moll, NJW 1993, 2016 (2021); C. Meyer, NZA 2003, 244 (245); A.A. Habscheid, RdA 1989, 88 (93).

103 Vgl. Lipinski, S. 62.

104 Vgl. EuGH 12.2.2009 – C-466/07 (Ls.); Daub, S. 83.

105 Ebenso damals noch Bachner, in: Arbeitsrecht, Handbuch für die Praxis, 8. Aufl., 2015, § 96 Rn. 80.

106 Sieg/Maschmann, Unternehmensumstrukturierung aus arbeitsrechtlicher Sicht, 2. Aufl., 2010, S. 5; Mansel, in: Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 17. Aufl., 2018, § 613a BGB Rn. 3a m.w.N.

107 Döpner, S. 214.

108 Kreitner, Kündigungsrechtliche Probleme beim Betriebsinhaberwechsel, 1989, S. 113; Lipinski, NZA 2002, 75 (79); vgl. C. Meyer, NZA 2003, 244 (245).

109 Döpner, S. 206; WHSS-Willemsen, Kap. H Rn. 112 f.

110 Fn. 107.

111 Siehe auch Daub, S. 56; vgl. Hess/Gotters, BlStSozArbR 1984, 74 (75); Hillebrecht, ZIP 1985, 157 (264).

Gulde, Die Zulässigkeit der Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept beim Betriebsübergang29

cc) Problem der finanziellen Durchführbarkeit

Beispiel 4: Im Gegensatz zu Beispiel 2 (aa.) ist die V stark überschuldet. Sie hat keine verfügbaren Finanzmittel. V kündigt den Arbeitnehmern aufgrund des Erwerberkonzepts. Danach geht der Betrieb auf E über.

Eine Unteransicht nimmt in solchen Fällen eine Ausnahme von dem Durchführbarkeitserfordernis an. Die Veräußererkündigung sei zulässig, wenn die Durchführbarkeit lediglich an einer schlechten Finanzlage des Betriebes, begrenzten Betriebsgröße oder einer mangelnden Sanierungsfähigkeit scheitere.112 Andernfalls würden sanierende Betriebsübergänge erschwert.113 Der von § 613a BGB gewährte Bestandsschutz sei sonst in finanzschwachen Betrieben stärker.114 Es sei allein maßgeblich, dass der Veräußerer das Konzept organisatorisch durchführen könne.115

Allerdings ist der Regelungsgehalt des § 613a BGB nicht von faktischen Umständen abhängig.116 Das Arbeitsverhältnis soll vor allen Risiken geschützt werden, die aus dem Betriebsübergang resultieren.117 Ohne die finanzielle Durchführbarkeit besteht das konkrete Arbeitsplatzverlustrisiko nicht.118 Eine Ausnahme ist abzulehnen. In Beispiel 4 ist die Kündigung unwirksam.

dd) Zulässigkeit im Insolvenzverfahren

Eine Ausnahme vom Erfordernis der alternativen Durchführbarkeit könnte sich aber für das Insolvenzverfahren ergeben. Gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 InsO wird die Anwendung der §§ 125 bis 127 InsO nicht dadurch ausgeschlossen, dass eine Betriebsänderung erst nach der Betriebsveräußerung erfolgt. Der Insolvenzverwalter kann ein Verfahren nach §§ 125, 126 InsO durchführen und den Arbeitnehmern kündigen.119 Die Betriebsänderung kann vom Betriebserwerber vorgenommen werden. Folglich erlaubt § 128 Abs. 1 S. 1 InsO, dass die Betriebsänderung nach dem Betriebsübergang die Kündigungen des Insolvenzverwalters rechtfertigen kann.120 Die Vermutungs- oder Feststellungswirkung der §§ 125, 126 InsO erstreckt sich darauf, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse gerechtfertigt ist und nicht wegen des Betriebsübergangs erfolgt (§ 128 Abs. 2 InsO). Demgemäß wird teilweise angenommen, dass die Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept im Insolvenzverfahren durch § 128 InsO gesetzlich anerkannt sei.121

Die Entstehungsgeschichte des § 128 InsO stützt diese Annahme. Die Kommission für Insolvenzrecht schlug vor, dass sich das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG nach den Bedürfnissen des Erwerbers richten könne.122 Die Kündigung des Insolvenzverwalters könne auf den Sanierungsplan des Erwerbers gestützt werden.123

Fraglich ist, ob auch die endgültige Fassung des § 128 InsO die Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept anerkennt. Der Wortlaut des § 128 Abs. 1 S. 1 InsO lässt nicht auf den Urheber des Konzepts der Betriebsänderung schließen.124 Der Gesetzentwurf der Bundesregierung führt lediglich aus, dass der Betrieb „auf die Erfordernisse des Erwerbers umgestellt werden“ solle.125 Der Erwerber will zwar oftmals kein Konzept des Insolvenzverwalters umsetzen. Der Normwortlaut erfasst jedoch auch Konzepte des Insolvenzverwalters oder Gemeinschaftskonzepte.126 Im Unterschied zu der Kommissionsbegründung erwähnt die Regierungsbegründung das Erwerberkonzept nicht.

Daher ist zwar zu vermuten, dass die Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept dem § 128 Abs. 1 InsO als Leitgedanke zugrunde liegt. Es mangelt aber an einem eindeutigen Wortlaut. Aus § 128 InsO kann keine Anerkennung der Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept hergeleitet werden.127 Auch der 8. Senat des BAG stützte sich in seiner Entscheidung zur Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept nicht auf § 128 InsO.128

ee) Gesetzentwurf

Um sämtliche Zweifel bezüglich der Zulässigkeit zumindest für das Insolvenzverfahren auszuräumen, ist eine Ausnahme zu § 613a Abs. 4 S. 1 BGB erwägenswert. Der europäische Gesetzgeber hat es den Mitgliedstaaten in Art. 5 Nr. 1 der Richtlinie 2001/23/EG freigestellt, die Betriebsübergangsregelungen in Verfahren mit dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers nicht anzuwenden. Eine Einschränkung des § 613a BGB für Insolvenzverfahren wäre europarechtskonform.129 Hingegen werden Sanierungsverfahren nicht mit dem Ziel der Auflösung, sondern der Betriebsfortführung betrieben. Eine Anwendungsausnahme für Sanierungsverfahren ist europarechtswidrig.130 Auf der Grundlage des Kommissionsentwurfs131 kann die folgende Formulierung als Ergänzung zu § 613a BGB angedacht werden,


112 Vgl. Hanau, ZIP 1984, 141 (143); KDZ-Zwanziger, § 613a BGB Rn. 204; AR-Bayreuther, § 613a BGB Rn. 110.

113 Hanau, ZIP 1984, 141 (143); C. Meyer, NZA 2003, 244 (246).

114 Vgl. Döpner, S. 213.

115 KDZ-Zwanziger, § 613a BGB Rn. 204.

116 Kindscher, S. 155; Daub, S. 51.

117 AR-Bayreuther, § 613a BGB Rn. 106.

118 Kindscher, S. 155; Döpner, S. 213; vgl. Argumentation unter bb).(2).(1).

119 Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Insolvenzordnung, Drs. 12/2443, 1992, S. 150.

120 Hanau, ZIP 1998, 1817 (1820); Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, Kommentar, 3. Aufl., 2006, § 128 InsO Rn. 18; Daub, S. 178.

121 LAG Berlin 30.11.2001 – 8 Sa 1601/01 juris-Rn. 38; Birkholz, S. 190 ff.; Lipinski, S. 60; Müller-Limbach, Arbeitsgerichtliche Überprüfung betriebsbedingter Kündigungen durch den Insolvenzverwalter (§§ 126 – 128 InsO), 2001, S. 142; Kappenhagen, BB 2003, 2180 (2182); ausführlich Döpner, S. 254 f.; Vossen, in: Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 11. Aufl., 2015, Rn. 2345 (SPV-Bearbeiter); MAH-Cohnen, § 54 Rn. 172; KR-Treber, § 613a BGB Rn. 96; BeckOK ArbR-Gussen, § 613a BGB Rn. 134.

122 KfI, Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1985, S. 380.

123 A.a.O., S. 381.

124 Daub, S. 178.

125 Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Insolvenzordnung, Drs. 12/2443, 1992, S. 150.

126 Daub, S. 179; vgl. Mückl, in: Arbeitsrecht in der Umstrukturierung – Strategie, Praxis, Vertragsgestaltung, 4. Aufl., 2017, Kap. 6 Rn. 649 (MFNOS-Bearbeiter), der von der Anerkennung der Erwerberkündigung nach Veräußererkonzept ausgeht.

127 Ebenso Daub, S. 180; vgl. Annuß, ZInsO 2001, 49 (57 Fn. 93).

128 Vgl. BAG 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, juris-Rn. 13, 16, 20, 23.

129 Vgl. Bergwitz, DB 1999, 2005 (2006 f.); Caspers, EuZA 2020, 236 (238, 240).

130 Vgl. EuGH 22.6.2017 – C-126/16, juris-Rn. 47 f. m.w.N.; Bergwitz, DB 1999, 2005 (2007) m.w.N.

131 Vgl. KfI, S. 380.

Gulde, Die Zulässigkeit der Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept beim Betriebsübergang30

um die Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept für das Insolvenzverfahren anzuerkennen:

§ 613a BGB n.F.

(4a) § 613a Abs. 4 S. 1 BGB ist bei einer Kündigung nicht anwendbar, bei der

1. das Insolvenzverfahren nach dem ersten Abschnitt des zweiten Teils der Insolvenzordnung eröffnet wurde,

2. der Insolvenzverwalter die Kündigung vor dem Betriebsübergang erklärt,

3. Sanierungs- oder Rationalisierungsmaßnahmen zur Erhaltung des zu übernehmenden Betriebes notwendig sind,

4. die vom Erwerber nach dem Betriebsübergang durchgeführten Sanierungs- oder Rationalisierungsmaßnahmen ein dringendes betriebliches Erfordernis im Sinne von § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG begründen, und

5. das dringende betriebliche Erfordernis einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in dem Betrieb entgegensteht.
A. Fazit

Die Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept ist zulässig, sofern der Veräußerer das Konzept selbst durchführen könnte. Die Argumentation der herrschenden Ansicht zu einer darüberhinausgehenden Zulässigkeit ist maßgeblich vom praktischen Bedürfnis geprägt, Sanierungen zu fördern. Dabei wird eine präzise dogmatische Auslegung von § 613a BGB und § 1 KSchG vernachlässigt. Vielmehr wird bei einer entsprechenden Anwendung dogmatischer Prinzipien erkennbar, dass der Verzicht auf das Erfordernis der alternativen Durchführbarkeit gegen das Telos des § 613a Abs. 1, 4 BGB verstößt. Die Durchführbarkeit erfasst daher auch die finanziellen Umsetzungsmöglichkeiten. Dadurch wird der Anwendungsbereich der Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept erheblich verkürzt.

Der Umfang und die Intensität der dargestellten Diskussion verdeutlicht noch einmal die Bedeutung der gegenüberstehenden Interessen in Rahmen von Betriebsübergängen. Sowohl die Sanierungsmöglichkeiten in Krisensituation als auch der Schutz des individuellen Arbeitsverhältnisses haben einen wesentlichen Stellenwert. Um eine angemessene Balance wahren zu können, ist eine eindeutige gesetzliche Regelung unerlässlich. Andernfalls besteht die Gefahr, entweder wertvolle Sanierungsinstrumente zu blockieren oder eine beliebige Arbeitsplatzvernichtung zu ermöglichen.