Die internationale Verbundszuständigkeit

Ruth Sander*

A. Einleitung

Ehen, die grenzüberschreitende Bezüge aufweisen, stellen längst keine Ausnahme mehr dar. Allein in Deutschland waren es 2020 rund 40.0001 – Tendenz steigend.2 Da diese Ehen ebenso wenig wie nationale gegen ihr Scheitern gefeit sind, nimmt auch die Anzahl der internationalen Scheidungen zu.3 Scheitert eine Ehe, so ist Konsequenz nicht allein die Ehescheidung an sich, vielmehr stellen sich eine ganze Reihe von Fragen, die einer rechtlichen, gar gerichtlichen Klärung bedürfen – etwa zum nachehelichen Unterhalt, zu güterrechtlichen Ansprüchen oder zur elterlichen Sorge.

Das deutsche Eherecht sieht vor, dass über diese wesentlichen Folgefragen im sogenannten Scheidungsverbund gem. § 137 FamFG gemeinsam verhandelt und entschieden wird. Hierzu stellt die Norm eine einheitliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts der Scheidungssache für alle Folgesachen her. Dieses Regelungsmodell erfüllt vorrangig eine Warn- und Schutzfunktion: Es warnt, weil den Ehegatten durch die Konzentration der Scheidungsfolgen im Verbund die weitreichenden Auswirkungen einer Ehescheidung – persönlicher, wirtschaftlicher und rechtlicher Art – vor Augen geführt werden. Es schützt, weil der Ehegatte, der an der Ehe festhalten will, bzw. der sozial schwächere davor bewahrt wird, dass es zur Scheidung kommt, ohne dass zugleich die wesentlichen Folgefragen geklärt sind.4

Ein europarechtliches Pendant zu diesem Modell existiert nicht. Im Gegenteil: Verfahrensgegenstände, die Teil des Scheidungsverbunds sein können, fallen in den Anwendungsbereich verschiedener Rechtsquellen. Resultat ist ein unübersichtliches und daher vielfach kritisiertes5 „Normendickicht“. Steht dieses dem Ideal eines effizienten und für die Betroffenen möglichst unkomplizierten Scheidungsverfahrens entgegen? Besteht Bedarf, das Regelungswerk zu komprimieren? Wäre dies de lege ferenda überhaupt möglich oder sprechen überzeugende Gründe von vornherein gegen eine allgemeine Regelung? Diesen Fragen widmet sich der folgende Aufsatz.

B. Überblick über die europäischen Zuständigkeitsregelungen

I. Ehescheidung – Brüssel IIa-VO

Die internationale Zuständigkeit in Ehesachen6, darunter die Ehescheidung, ist für die EU-Mitgliedstaaten durch die Brüssel IIa-VO einheitlich geregelt. Die Verordnung bezieht sich allein auf die Ehescheidung, d.h. auf das Statusverfahren als solches.7 Folgesachen sind hingegen nicht erfasst.

Welches Gericht für die Ehescheidung international zuständig ist, bestimmt sich vorrangig nach Art. 3 Brüssel IIa-VO, der einen abschließenden Katalog8 von sieben alternativen Anknüpfungsmomenten bereithält. Der Antragsteller hat also ein Wahlrecht, falls mehrere Zuständigkeiten gegeben sind.9

Die ersten sechs Regelungen (Art. 3 I lit. a) knüpfen allesamt in unterschiedlicher Weise an den gewöhnlichen Aufenthalt der Eheleute an: In Betracht kommen der gewöhnliche Aufenthalt beider Ehegatten in einem Mitgliedstaat (1. Str.) oder der letzte gewöhnliche Aufenthalt, sofern dieser von einem Ehegatten dort noch aufrechterhalten wird (2. Str.). Der klassische Beklagtengerichtsstand ist nach dem 3. Str. eröffnet. Bei gemeinsamer Antragsstellung ist auch am gewöhnlichen Aufenthalt eines Ehegatten die Zuständigkeit gegeben (4. Str.). Schließlich kann der Antragssteller an seinem mindestens einjährigen gewöhnlichen Aufenthalt die Scheidung einreichen (Str. 5). Die Frist verkürzt sich auf sechs Monate, sofern er die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaates besitzt bzw. dort sein domicile hat (6. Str.).

Schließlich sieht Art. 3 I lit. b eine Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaates vor, dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten besitzen.

II. Unterhaltsrechtliche Folgesachen – EuUntVO

Auf Unterhaltspflichten findet die EuUntVO Anwendung. Die Zuständigkeit bestimmt sich vorrangig nach III. Art. 3 EuUntVO, der dem Kläger vier gleichrangige, konkurrierende Gerichtsstände eröffnet: zwei Aufenthalts- und zwei Annexgerichtsstände.10

1. Aufenthaltsgerichtsstände, Art. 3 I lit. a, b

Zuständig sind sowohl das Gericht des Ortes, an dem der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, als auch das Gericht am gewöhnlichen Aufenthalt des Berechtigten. Letzterer Gerichtsstand dient dem Schutz des als strukturell unterlegen angesehenen Unterhaltsberechtigten, er trägt dem


*Die Autorin ist Studentin an der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Statistischen Bundesamt, Eheschließungen zwischen Deutschen und Ausländern, unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Eheschliessungen-Ehescheidungen-Lebenspartnerschaften/Tabellen/eheschliessungen-deutsch-auslaender.html [zul. abgerufen am 20.1.2022].

2 Rauscher/Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl. Brüssel IIa-VO, Rn. 2.

3 Vgl. Gottwald, FS Spellenberg (2006), 55, 56.

4 Vgl. Musielak/Borth/Borth/Grandel, FamFG § 137, Rn. 1.

5 Vgl. Rauscher/Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl. Brüssel IIa-VO, Rn. 7.

6 Die Ausführungen müssen sich auf die für heterosexuelle Ehen geltenden Normen beschränken.

7 Vgl. Erwgr. (8).

8 Vgl. Borrás Bericht, Rn. 29.

9 Vgl. MüKoFamFG/Gottwald, Brüssel IIa-VO Art. 3, Rn. 2.

10 MüKoFamFG/Lipp, EuUntVO Art. 3, Rn. 1.

Sander, Die internationale Verbundszuständigkeit17

Aspekt der Sachnähe Rechnung11 und führt regelmäßig zu einem Gleichlauf von ius und forum.12 Diese drei Gründe rechtfertigen es, dass der Gerichtsstand unabhängig davon begründet ist, ob der Unterhaltsberechtigte klagt oder verklagt wird.13

2. Annexzuständigkeit, Art. 3 I lit. c

Da Unterhaltsentscheidungen häufig erst als Neben- oder Folgeentscheidungen im Rahmen von Statusverfahren getroffen werden14, sieht Art. 3 I lit. c EuUntVO eine Annexzuständigkeit vor: Begründet ist die Zuständigkeit desjenigen Gerichts, das für das Verfahren in Bezug auf den Personenstand zuständig ist, also insbesondere die in Art. 1 I lit. a Brüssel IIa-VO genannten Ehesachen.

Allerdings ist gem. Art. 3 I lit. c EuUntVO die Zuständigkeit in der Ehesache nur dann taugliche Basis für die Annexzuständigkeit, wenn diese nicht lediglich auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien beruht.15 Bei Anwendung des Art. 3 Brüssel IIa-VO ist eine Zuständigkeitskonzentration damit nicht ausgeschlossen, da dieser keinen Gerichtsstand allein aufgrund der Staatsangehörigkeit eines Ehegatten vorsieht. Relevant wird die Ausschlusswirkung also erst dann, wenn die Scheidungszuständigkeit auf einer nationalen Restzuständigkeit gem. Art. 7 Brüssel IIa-VO beruht. Der dann im deutschen Recht maßgebliche § 98 I Nr. 1 FamFG gründet die Zuständigkeit allein auf die deutsche Staatsangehörigkeit eines Ehegatten, sodass eine Annexzuständigkeit für die Unterhaltssache gem. Art. 3 I lit. c EuUntVO ausgeschlossen wäre.

3. Gerichtsstandsvereinbarungen, Art. 4

Art. 4 EuUntVO eröffnet eine begrenzte Prorogationsmöglichkeit, in deren Zentrum die typischen Anknüpfungspunkte des gewöhnlichen Aufenthalts (lit. a) und der Staatsangehörigkeit einer oder beider Parteien (lit. b) stehen. Prorogiert werden kann zudem das bereits in der Ehesache zuständige Gericht oder die Gerichte desjenigen Staates, in dem die Ehegatten ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt für mindestens ein Jahr hatten (lit.c).

III. Güterrechtliche Folgesachen – EuGüVO

Auf güterrechtliche Folgesachen, darunter auch Streitigkeiten über die Nutzungsbefugnis der Ehewohnung und Haushaltsgegenstände16 (vgl. § 137 II Nr. 3 FamFG), findet die EuGüVO Anwendung.

Da güterrechtliche Auseinandersetzungen typischerweise ebenfalls erst mit Scheitern der Ehe auftreten, ist auch hier der Gedanke der Verfahrenskonzentration prägend: Ist bereits ein mit der Güterrechtssache in Verbindung stehendes Scheidungsverfahren anhängig, so liegt die internationale Zuständigkeit für die Güterrechtssache gem. Art. 5 I EuGüVO ausschließlich in dem Staat, in dem dieses Verfahren bereits gem. Art. 3 ff. Brüssel IIa-VO betrieben wird. Anders als in der EuUntVO obliegt es hier allerdings den Mitgliedstaaten, eine tatsächliche Konzentration durch entsprechende Regelungen der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit zu schaffen.17

Art. 5 I EuGüVO folgt einem hierarchischen Zuständigkeitssystem: Die akzessorische Zuständigkeit ist eine ausschließliche18, die Vorrang genießt. Zudem ist sie derogationsfest.19 Abs. 2 setzt für die Zuständigkeit eine zusätzliche Vereinbarung der Ehegatten voraus, wenn sich die internationale Zuständigkeit auf Art. 3 I lit. a 5. und 6. Str. Brüssel IIa-VO gründet. Allerdings können die Ehegatten auch hier nicht frei über die Zuständigkeit disponieren; es bedarf nur ihrer – teils formgebundenen, 20 – Bekräftigung.21

Nur wenn keine Annexzuständigkeit nach Art. 5 EuGüVO gegeben ist, kommt eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 7 EuGüVO in Betracht. Subsidiär ist der hierarchisch ausgestaltete objektive Gerichtsstand des Art. 6 EuGüVO eröffnet.

IV. Sonstige Folgesachen

Für kindschaftsrechtliche Folgesachen bestehen zwar gleich mehrere internationale Rechtsquellen – die Brüssel IIa-VO, das MSA und das KSÜ. Sie haben sich aber in den meisten Rechtsordnungen vom Paarbeziehungsregime der Eltern gelöst und sind nicht zwingend Teil des Scheidungsverbunds.22

Einige wenige Folgesachen – etwa Teile des Versorgungsausgleichs (§ 137 II 1 Nr. 1 FamFG) – werden nicht von den europäischen Verordnungen erfasst, 23, und verbleiben damit für das autonome Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten.

V. Zwischenbilanz

Der Überblick zeigt, dass es dem Gesetzgeber ein Anliegen ist, Ehe- und Folgesachen vor den Gerichten eines einzigen Mitgliedstaats zu konzentrieren und somit die in vielen europäischen Rechtsordnungen bekannte Verbundszuständigkeit auch auf unionsrechtlicher Ebene zu verwirklichen.24

Rechtsaktübergreifend liegen dem Konzept folgende Überlegungen zu Grunde: Es soll der zunehmenden Mobilität von Paaren während ihres Ehelebens Rechnung tragen, die ein schützenswertes Interesse an einer gebündelten Verhandlung haben.25 Doppelte Gerichtsstände verursachen schließlich zusätzliche Kosten und führen zur Verschärfung der im Scheidungsfall ohnehin bestehenden emotionalen


11 Vgl. MüKoFamFG/Lipp, EuUntVO Art. 3, Rn. 17.

12 Vgl. Hausmann, IntEuFamR, C, Rn. 106.

13 Vgl. MüKoFamFG/Lipp, EuUntVO Art. 3, Rn. 17.

14 Vgl. Hausmann, IntEuFamR, C, Rn. 112.

15 Vgl. Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr/Reuß, EuUntVO Art. 3, Rn. 31.

16 Vgl. MüKoBGB/Looschelders, EuGüVO Art. 1, Rn. 18.

17 NK-BGB/Mankowski, EuGüVO Art. 5, Rn. 3.

18 Vgl. MüKoFamFG/Mayer, EuGüVO Art. 5, Rn. 4; Simotta, FS Geimer (2017), 672, 694.

19 Vgl. Launhardt, Europäisierung der internationalen Zuständigkeit, S. 131 f.

20 vgl. Art. 5 III EuGüVO

21 Vgl. HK-ZPO/Kemper, EuGüVO Art. 5, Rn. 4.

22 Vgl. Dutta in: Budzikiewicz, 73, 76.

23 vgl. Art. 1 II lit. f EuGüVO

24 Vgl. NK-BGB/Mankowski, EuGüVO Art. 5, Rn. 1.

25 Vgl. Erwgr. (32) EuGüVO.

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Belastungen.26 Insofern kann nicht allein die Verfahrenskonzentration das Ziel sein, sondern auch die Zuständigkeit eines Gerichts, welches möglichst im Interesse beider Ehegatten liegt.27 Zudem bezweckt das Konzept eine Stärkung der Rechtssicherheit28 und eine geordnete Rechtspflege, denn einander widersprechende Entscheidungen werden vermieden. Schließlich dient es der Prozessökonomie und Kosteneffizienz.29

Das umfassende „Gericht der Ehe in der Auflösung“30 wird wohl überwiegend schon durch die Verwendung identischer Anknüpfungsmomente zustande kommen, jedenfalls aber durch die in jedem Rechtsakt vorgesehenen Annexzuständigkeiten. Zu beachten ist, dass ein tatsächlicher Scheidungsverbund dennoch nicht besteht: Es bleibt i.d.R. dem nationalen Prozessrecht der Mitgliedstaaten überlassen, durch entsprechende Bestimmungen zur sachlichen und örtlichen Zuständigkeit eine tatsächlich gebündelte Verhandlung vor ein und demselben Gericht zu gewährleisten.

C. Billigkeit und Effizienz des geltenden Zuständigkeitssystems?

Ausgehend von der Prämisse, dass ein Verbundverfahren grundsätzlich das Ideal darstellt, ist zu untersuchen, ob der dazu konzipierte Regelungsmechanismus des europäischen Gesetzgebers, mehrere Verordnungen durch Annexzuständigkeiten zu verbinden, diesem und den dahinterstehenden Wertungen gerecht wird. Dazu sind drei potenzielle Schwachstellen des Zuständigkeitssystems in den Blick zu nehmen.

I. Zu weitreichende Wahlmöglichkeiten des Art. 3 I Brüssel IIa-VO

Bei Betrachtung der Verordnungen fällt zunächst auf, dass Art. 3 I Brüssel IIa-VO eine besonders großzügige Wahlmöglichkeit an Gerichtsständen eröffnet. Dieser Umstand verdient deshalb Beachtung, weil der Zuständigkeit in der Ehesache eine entscheidende Bedeutung zukommt:

Zum einen bildet Art. 3 I Brüssel IIa-VO den zuständigkeitsrechtlichen Ausgangspunkt eines jeden europäischen Ehescheidungsverfahrens, sodass sich die einmal begründete Zuständigkeit im Regelfall auf den gesamten Scheidungskomplex auswirkt. Zwar löst die Rechtshängigkeit der anhängig gemachten Scheidung nicht zugleich eine Rechtshängigkeitssperre etwa für güterrechtliche Scheidungsfolgen aus, solange diese ihrerseits noch nicht anhängig gemacht wurden.31 Gleichwohl müssen sich wegen der vorrangigen Annexzuständigkeit (Art. 5 I EuGüVO) die Gerichte in jedem anderen Mitgliedstaat im Hinblick auf die güterechtlichen Scheidungsfolgen für unzuständig erklären.

Zum anderen wählt der Antragsteller mit Anrufung des Gerichts u.U. nicht allein die Zuständigkeit, sondern nimmt mittelbar auch Einfluss auf das anwendbare Sachrecht und damit auf den Ausgang des Verfahrens. Daher bestehen erhebliche Anreize für die Ehegatten, die Scheidung zuerst einzureichen, um sich die verfahrens- und materiellrechtlichen Vorteile eines besonders günstigen Forums zu sichern. Diese Gefahr des „Wettlaufs zu den Gerichten“32 beruht freilich auf der Uneinheitlichkeit des Kollisionsrechts und ist auch insoweit zu relativieren, als mit Einführung der Rom III-VO eine einheitliche Vorschrift für das auf Ehestreitigkeiten anwendbare Recht vorgesehen ist. Allerdings gilt die Verordnung bis dato nur in 17 Mitgliedstaaten.33 Solange die hinkende Rechtsvereinheitlichung34 besteht, ist die unterschiedliche Beurteilung des Antragsbegehrens unvermeidlich, weil die verschiedenen Kollisionsregeln mitunter verschiedene Sachrechte zur Anwendung berufen.35 Dieses law shopping36 ließe sich selbst bei einer Vereinheitlichung des Kollisionsrechts nicht gänzlich vermeiden, denn es blieben die Unterschiede in der Auslegung und Anwendung eines vom inländischen abweichenden ausländischen Sachrechts. Gerade im Familienrecht bestehen hier erhebliche Divergenzen.37

Der weiten Wahlmöglichkeit des Antragstellers stehen umgekehrt kaum Steuerungsmöglichkeiten des Antragsgegners gegenüber.38 Für ihn ist der Gerichtsstand und damit auch das anwendbare Recht u.U. nur schwer vorhersehbar. Auch mag er zu der gewählten Rechtsordnung nur einen losen Bezug haben.39 Letztlich steht das Ziel, durch die Kumulation von Zuständigkeiten für jeden erdenklichen Fall ein sachnahes Forum bereitzustellen40, nicht immer im Einklang mit den schutzwürdigen Interessen des Antragsgegners.

II. Effizienter Umgang mit parallelen Anträgen?

Der vom Gesetzgeber geschaffene Anreiz, die Scheidung möglichst zuerst einzureichen, führt dazu, dass mitunter mehrere Verfahren gleichzeitig oder kurz nacheinander in unterschiedlichen Mitgliedstaaten anhängig gemacht werden.

a) Anhängigmachung mehrerer Verfahren

So ist denkbar, dass ein Ehegatte, der sich bereits von seinem Partner getrennt hat, einen Anspruch auf vorzeitigen Zugewinnausgleich gem. den §§ 1385, 1386 BGB isoliert gerichtlich geltend macht. Die Zuständigkeit für diesen güterrechtlichen Anspruch richtet sich dann nach III. Art. 6 EuGüVO. Möchte der andere Ehegatte eine Verhandlung vor dem gewählten Forum vermeiden, ist er angesichts der weiten Wahlmöglichkeiten womöglich nicht gehindert, anschließend ein Gericht eines anderen Mitgliedstaates in der Ehesache nach Art. 3 Brüssel IIa-VO anzurufen. Mangels Identität des Verfahrensgegenstandes steht die Rechtshängigkeitssperre des Art. 19 I Brüssel IIa-VO nicht entgegen.


26 Vgl. Mankowski in: Dutta/Weber, 11, 17 Rn. 7.

27 Vgl. Looschelders, FS Kropholler (2008), 329, 335.

28 Vgl. Mankowski in: Dutta/Weber, 11, 17 Rn. 7.

29 Vgl. BeckOGK/Wurmnest, EuUntVO Art. 3, Rn. 48.

30 Mankowski in: Dutta/Weber, 11, 17, Rn. 7.

31 Vgl. Antomo, in: Pfeiffer/Wittmann/Escher, 14, 20.

32 Vgl. KOM (2014) 225 endg., S. 5 f.

33 Vgl. JurisPK-BGB/Ludwig, Rom III Einl., Rn. 5 f.

34 Kohler, FamRZ 2008, 1673, 1673.

35 Vgl. Geimer/Geimer, IZVR, Teil 4, Rn. 1099.

36 Vgl. Rauscher/Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 3 Brüssel IIa-VO, Rn. 15.

37 Vgl. Schack, IZVR § 8, Rn. 245.

38 Vgl. Geimer/Geimer, IZVR, Teil 4, Rn. 1108.

39 Vgl. Antomo in: Pfeiffer/Wittmann/Escher, 14, 20 f.

40 Vgl. Borrás Bericht, Rn. 27.

Sander, Die internationale Verbundszuständigkeit19

b) Mögliche Vorgehensweisen

In diesem Fall sind zwei Vorgehensweisen denkbar. Die beiden Verfahren könnten entweder parallel durchgeführt werden – die Güterrechtssache in dem einen Staat, die Ehesache in dem anderen. Dafür spricht das Prinzip der perpetuatio fori (vgl. § 261 III Nr. 2 ZPO), das auch im IZVR weithin unangefochtene Geltung beansprucht41. Gestützt werden kann diese Lösung darauf, dass die EuGüVO gerade keine dem § 263 FamFG i.V.m. § 281 ZPO vergleichbare Regelung bereithält, die eine zwingende Verfahrenskonzentration dadurch bewirkt, dass sie ein Abgabeverfahren zugunsten des nachträglich in der Ehesache angerufenen Gerichts vorsieht.42

Die h.M.43 befürwortet hingegen, dass die Verfahren nachträglich gem. Art. 5 I EuGüVO gebündelt werden. Dies ist möglich, weil die Norm mit dem Verbindungserfordernis sehr geringe Anforderungen an die Annexzuständigkeit der Güterrechtssache aufstellt. Ein Antrag auf vorzeitige güterrechtliche Regelung kann also als güterrechtlicher Antrag „in Verbindung mit“ der Ehesache i.S.d. Art. 5 I EuGüVO qualifiziert werden.44

Die nachträgliche Begründung der Annexzuständigkeit nach Art. 5 I EuGüVO führt zur Durchbrechung des Grundsatzes der perpetuatio fori; dem später in der Ehesache angerufenen Gericht wird also der Vorrang eingeräumt. Damit entfällt die Zuständigkeit für die Güterrechtssache am Auffanggerichtsstand des Art. 6 EuGüVO ex nunc45 . Folglich hat sich das angerufene Gericht gem. Art. 15 EuGüVO für unzuständig zu erklären, um im Hinblick auf die Gütersache die Rechtshängigkeitssperre des Art. 17 EuGüVO aufzuheben.46 Freilich kann der Antragsteller die perpetuatio fori einseitig nur in den Fällen des Art. 5 I EuGüVO durchbrechen; Art. 5 II EuGüVO setzt den übereinstimmenden Willen der Parteien voraus.

Dieses Ergebnis wird auf den Wortlaut des Art. 5 EuGüVO gestützt, der schlicht die Anrufung des Gerichts in einer Ehesache voraussetzt und gerade nicht danach differenziert, zu welchem Zeitpunkt dies geschieht.47 Auch zeige in systematischer Hinsicht etwa der Art. 3 lit. c EuUntVO, dass der Gesetzgeber an anderer Stelle höhere Anforderungen an die Zuständigkeitskonzentration stelle48, indem er voraussetze, dass „in der Nebensache“ zum Scheidungsverfahren „über eine Unterhaltssache zu entscheiden ist“. Insofern zeige die Konzeption des Art. 5 I EuGüVO, dass dieser generellen Vorrang genieße.49 Der Gesetzgeber messe dem Konzentrationsgedanken eine höhere Bedeutung zu als der Stabilität der bereits in Anspruch genommenen Zuständigkeit.

c) Kritische Bewertung

Problematisch an der von der h.M. befürworteten Lösung ist, dass die spätere Anrufung des für die Scheidung zuständigen Gerichts nach der Brüssel IIa-VO bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung50 in der Güterrechtssache relevant werden kann. Ein Ehegatte, der angesichts des bisherigen Prozessverlaufs ein für sich ungünstiges Ergebnis in der Güterrechtsstreitigkeit befürchtet, kann also dem bisherigen Verfahrensgang durch die Eröffnung des Scheidungsverfahrens im Ausland die zuständigkeitsrechtliche Basis entziehen.51 Zwar gilt dies ebenso in Bezug auf die Regelung des § 263 FamFG i.V.m. § 281 ZPO. Allerdings sind die Bedenken im IZVR ungleich gewichtiger: Anders als im Bereich der örtlichen Zuständigkeit sind die bisherigen Prozessergebnisse vor einem neuen Forum im Ausland, welches ein anderes Prozessrecht anwendet und vor dem meist eine andere Sprache gesprochen wird, i.d.R. nicht mehr verwendbar.52 Dass nun auf diese Weise Arbeit, Kosten und Zeit verloren gehen, ist zum einen unter prozessökonomischen Gesichtspunkten kritisch zu bewerten. Zum anderen stellt dies ein unbilliges Ergebnis für den Antragsteller dar, der das Verfahren bei noch nicht anhängiger Ehesache außerhalb des potenziellen Scheidungsgerichtsstands eingeleitet hat.

Kaum weniger problematisch wäre aber die andere Lösung: Zwei parallele Verfahren, vor allem wenn sie in unterschiedlichen Mitgliedstaaten geführt werden, bedeuten ebenfalls hohe Verfahrenskosten, u.U. eine längere Verfahrensdauer und sie begünstigen das Risiko, dass in den beiden Verfahren gegensätzliche Bewertungen getroffen werden.53

Letztlich offenbart die Konstellation ein Dilemma: Der Gesetzgeber ist gezwungen, abzuwägen zwischen dem Rechtsschutzinteresse des Antragsstellers, welches sich aus der einmal begründeten Zuständigkeit ergibt, und der rechtspolitisch wünschenswerten Verfahrenskonzentration. Interessengerecht wäre wohl, ausnahmsweise den Verbundsgedanken aufzugeben und es den Parteien freizustellen, die Annexzuständigkeit nachträglich herzustellen.54 Ob ein solches Einvernehmen in diesen Fällen realistisch ist, bleibt aber fraglich.

III. Qualifikations- und Abgrenzungsschwierigkeiten

Hat ein Ehegatte das Scheidungsverfahren anhängig gemacht, muss das Gericht zunächst prüfen, ob es für das Erkenntnisverfahren international zuständig ist. Die zutreffende Beantwortung dieser Frage ist zentral, werden doch mitgliedstaatliche Entscheidungen unabhängig von der Beachtung der Zuständigkeitsregeln in anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt.55 Erforderlich ist zunächst die richtige Einordnung des Streitgegenstandes. Dies ist regelmäßig unproblematisch, wenn die Scheidung


41 So MüKoFamFG/Mayer, EuGüVO Art. 5, Rn. 8; Schack, IZVR § 8, Rn. 451.

42 Vgl. Keidel/Giers, FamFG § 263, Rn. 1.

43 Siehe Dutta in: Budzikiewicz, 72, 90; Mankowski in: Dutta/Weber, 11, 14 f; MüKoBGB/Looschelders, EuGüVO Vor Art. 4, Rn. 27.

44 So Dutta, FamRZ 2019, 1390, 1392.

45 Vgl. MüKoBGB/Looschelders, EuGüVO Art. 5, Rn. 12.

46 Vgl. Dutta, FamRZ 2016, 1973, 1979.

47 Vgl. nur MüKoBGB/Looschelders, EuGüVO Art. 4, Rn. 11.

48 Vgl. Dutta, FamRZ 2019, 1390, 1392; Dutta in: Budzikiewicz, 73, 90.

49 Mankowski in: Dutta/Weber, 12, 13, Rn. 2.

50 Vgl. BGH 1.3.2011, NJW 2011, 2515, 2516.

51 Vgl. Magnus in: Pfeiffer/Lobach/Rapp, 193, 200.

52 Ebd.

53 Vgl. Wendland, IPRax 2019, 1, 2.

54 Vgl. Magnus in: Pfeiffer/Lobach/Rapp, 193, 201.

55 Bzw. bei Scheidungen Eintragung im Personenstandsregister; MüKoFamFG/Mayer, EuGüVO Art. 15, Rn. 1.

Sander, Die internationale Verbundszuständigkeit20

und ihre Folgesachen vor ein und demselben Gericht anhängig gemacht werden. Da dies aber nach geltendem Recht nicht immer zwingend ist, können sich hier schwierige Qualifikations- und Abgrenzungsfragen stellen.56

1. Nicht eindeutig einzuordnende Rechtsinstitute

Die Familienrechtsordnungen einiger Mitgliedstaaten sehen z.T. scheidungsfolgenrechtliche Institute im Graubereich zwischen Güterrecht, Unterhaltsrecht und Versorgungsausgleich vor57, die sich zunächst nicht eindeutig dem Anwendungsbereich einer Verordnung zuordnen lassen. Gleichwohl verpflichtet die Systematik des Zuständigkeitsrechts dazu, eine entsprechende Trennlinie zu ziehen, soweit für die Materien nicht dieselbe Zuständigkeit gegeben ist.58

Nicht unproblematisch ist z.B. der Umgang mit dem französischen Scheidungsfolgenrecht. Hiernach kann der eine Ehegatte dem anderen zur Zahlung eines Ausgleichsanspruchs, einer sog. prestation compensatoire gem. den Art. 270 ff. Code civil, verpflichtet sein. Zwecks endgültiger Regelung der finanziellen Verhältnisse59 kann die Leistung im Wege eines Pauschalbetrags erbracht werden, dessen Höhe im richterlichen Ermessen liegt.60 Denkbar ist aber ebenso, dass der Ehegatte die Leistung durch Zuteilung von Eigentum erbringt.61

2. Unproblematische Abgrenzung durch funktionale Qualifikation?

Ob die prestation compensatoire unterhalts- oder güterrechtlich zu qualifizieren ist, hängt von der Interpretation der beiden Systembegriffe „Unterhaltspflicht“ i.S.d. EuUntVO und „ehelicher Güterstand“ i.S.d. EuGüVO ab. Grundlage ist ein europarechtlich autonomen Begriffsverständnis62, wobei – so der EuGH63 – nach dem Zweck des Anspruchs zu fragen, also eine funktionale Abgrenzung64 vorzunehmen ist. Soll der Anspruch vornehmlich den Lebensbedarf eines Ehegatten sichern und sich an dessen Bedürftigkeit und der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten orientieren, ist eine unterhaltsrechtliche Qualifikation geboten. Erschöpft er sich hingegen in der Aufteilung der Gütergemeinschaft nach dem Scheitern der Ehe, ist er güterrechtlich zu qualifizieren.

Diese Vorgehensweise stößt mitunter an ihre Grenzen. Denn die prestation compensatoire verfolgt einerseits das Ziel, die durch die Zerrüttung der Ehe entstandenen ungleichen Lebensverhältnisse so weit wie möglich auszugleichen (vgl. Art. 270 II Cc). Andererseits orientiert sich die Höhe des Anspruchs an den Bedürfnissen des Berechtigten und den Mitteln des Verpflichteten.65 Damit ist der Anspruch also doppelfunktionaler66 Natur. Lässt er sich in einzelne Teile zerlegen, die jeweils einem bestimmten Zweck zugeordnet werden können, finden die EuGüVO bzw. die EuUntVO jeweils auf diese abgrenzbaren Teile Anwendung.67 Ist eine Unterteilung nicht möglich, wird man kaum umhinkommen, die Qualifikationsentscheidung mittels einer Schwerpunktbetrachtung zu treffen.68

Der EuGH hat die prestation compensatoire zwar als unterhaltsrechtlich eingeordnet.69 Dennoch zeigt sich, dass die Abgrenzung von Ausgleichsansprüchen eine Frage genauer funktionaler Qualifikation bleibt70 und sich nur schwer verallgemeinerbare, vom Einzelfall losgelöste Entscheidungshilfen für die richtige Einordnung formulieren lassen.71 In der Praxis werden daher ggf. Sachverständigengutachten zur Ermittlung der Rechtslage erforderlich sein. Das ist kostspielig, zeitaufwendig und wird der im Scheidungsverfahren gebotenen straffen Verfahrensführung kaum gerecht.

D. Grund für das Fehlen einer allgemeinen Regelung

Insgesamt zeigt sich, dass das Zuständigkeitsrecht die Ziele, die es mit einer Verfahrenskonzentration erklärtermaßen verfolgt, nicht immer uneingeschränkt erreichen kann. Da dies vorrangig darauf zurückführen ist, dass eine weite Auswahl an alternativen Zuständigkeiten eröffnet ist, erscheint eine allgemeine Regelung begrüßenswert, die eine einzige Zuständigkeit für Ehe- und Folgesachen vorsieht. Zwingende Voraussetzung für eine solche wäre allerdings, dass die bestehenden Normen derart kohärent ausgestaltet sind, dass sie sich problemlos „bündeln“ ließen. Existieren hingegen Divergenzen, so bestünde das Risiko, dass die den Unterschieden zugrunde liegenden gesetzgeberischen Wertungen unterminiert werden.

Im Folgenden sind die Zuständigkeitsregelungen auf ihre Einheitlichkeit hin zu untersuchen. Im Falle von Unterschieden ist zu beurteilen, ob diese durch Spezifika der verschiedenen Regelungsmaterien zu rechtfertigen sind. Wenngleich die Gemengelage primär das Produkt unterschiedlicher Entstehungszeitpunkte der einzelnen Rechtsakte ist72, lassen sich u.U. dennoch legitime Gründe für den status quo finden.

I. Divergierende Ausgestaltung der Annexzuständigkeiten

Während die maßgeblichen Normen im nationalen Recht (§ 98 III und § 102 Nr. 3 FamFG) die Zuständigkeit für Ehesachen bedingungslos auf die Folgesachen erstrecken, zeigt ein Vergleich der Verordnungen, dass der Unionsgesetzgeber einen solchen Automatismus nicht überall zulässt.


56 Vgl. MüKoBGB/Looschelders, EuGüVO Art. 1, Rn. 46.

57 Vgl. Dutta in: Budzikiewicz, 73, 92.

58 Martiny, ZfPW 2010, 1, 10.

59 Vgl. Döbereiner, ZEuP 2007, 521, 526.

60 Vgl. Art. 270 II al. 2, 3 Cc: « Cette prestation a un caractère forfaitaire. […] dont le montant est fixé par le juge. »

61 Vgl. Art. 274 Cc: « attribution de biens en propriété […]».

62 Vgl. Palandt/Thorn, EuGüVO Art. 1, Rn. 3.

63 Siehe EuGH 27.2.1997, Rs. C-220/95, Slg. 1997 I-01147 – Van den Boogaard; EuGH 6.3.1980, Rs. 130/79, Slg. 1980-00731 – de Caval II.

64 Vgl. BeckOK BGB/Wiedemann, EuGüVO Art. 1, Rn. 28.

65 Vgl. Art. 271 CC; MüKoBGB/Looschelders, EuGüVO Art. 1, Rn. 47.

66 Vgl. Rauscher/Andrae, EuZPR/EuIPR, Art. 1 EuUntVO, Rn. 72.

67 EuGH 27.2.1997, Rs. C-220/95, Slg. 1997 I-01147, Rn. 22 a.E. – Van den Boogaard; Hausmann, IntEuFamR, C, Rn. 50.

68 So NK-BGB/Magnus, EuGüVO Art. 1, Rn. 34; Andrae, IntFamR § 4, Rn. 24.

69 Vgl. EuGH 6.3.1980, Rs. 130/79, Slg. 1980-00731 – de Caval II.

70 Heiderhoff, IPRax 2018, 1, 2.

71 MüKoFamFG/Mayer, EuGüVO Art. 1, Rn. 17.

72 Maultzsch in: v. Hein/Rühl, 153, 159.

Sander, Die internationale Verbundszuständigkeit21

1. Bestätigung durch Gerichtsstandsvereinbarung

Teilweise handelt es sich um gewillkürte Gerichtsstände73, die eine flankierende Gerichtsstandsvereinbarung der Beteiligten voraussetzen. So fordert Art. 5 II EuGüVO im Falle der Klägergerichtsstände (Art. 3 I lit. a 5. und 6. Str. Brüssel IIa-VO) und der Restzuständigkeiten gem. Art. 7 Brüssel IIa-VO eine Zustimmung des Antragsgegners. Dass der Gesetzgeber mit diesem ungewöhnlichen opt-in-Modell74 die Begründung der Annexzuständigkeit an vergleichsweise hohe Voraussetzungen knüpft, zeugt wohl davon, dass er gegen die dort genannten Zuständigkeiten der Brüssel IIa-VO gewisse Vorbehalte hegt. In Bezug auf die Klägergerichtsstände manifestiert sich dies schon in dem Ausdruck „spezielle Zuständigkeitsregeln“75. Tatsächlich handelt es sich hierbei um sehr weitreichende Gerichtsstände, die den Antragsteller begünstigen76 und eine Abkehr von dem im IZVR verbreiteten Grundsatz des actor sequitur rei darstellen. Soweit also das Scheidungsgericht innere Legitimationsprobleme hat, muss die güterrechtliche Gerichtsstandsvereinbarung als zusätzliches Kriterium dieses Defizit ausgleichen.77

Freilich vernachlässigt eine solche Wertung, dass der kontradiktorische Charakter eines Zivilverfahrens auf ein Ehescheidungsverfahren nach heutigem Verständnis nur sehr bedingt übertragbar ist; Eheverfahren liegt vielmehr ein verursachungs- und rollenneutrales Verständnis zugrunde.78 Daher ist auch die Abweichung vom Grundsatz des forum rei nicht per se als problematisch anzusehen. Vielmehr stellen die Klägergerichtsstände einen ausgleichenden Gegenpol zum Antragsgegnergerichtsstand (Art. 3 I lit. a 3. Str. Brüssel IIa-VO) dar.

Dass Kritik an diesen Gerichtsständen mithin nicht restlos überzeugt, spricht dennoch nicht gegen das zusätzliche Erfordernis einer Gerichtsstandsvereinbarung. Die weitreichenden Konsequenzen, die sich aus der Anhängigmachung der Ehesache ergeben, können auf diese Weise zum Schutz des Antragsgegners sinnvoll eingedämmt werden. Dieser legitimiert durch seine Zustimmung, dass auch die güterrechtlichen Folgesachen in jenen Staat gezogen werden, in dem der Antragsteller seinen „Erstschlag“79 durchgeführt hat. Will der Antragsgegner keine gebündelte Verhandlung, so kann er dies verhindern, indem er keine auf diesen Mitgliedstaat lautende Gerichtsstandsvereinbarung schließt.80 Dass damit das sinnvolle forum connexitatis81 ein Stück weit seiner Wirksamkeit beraubt wird, muss dabei in Kauf genommen werden – jedenfalls, solange das großzügige Alternativverhältnis der Zuständigkeiten in Art. 3 Brüssel IIa-VO keine Änderung erfährt.

Gleiches gilt für das besondere Erfordernis einer Vereinbarung in Bezug auf jene Fälle, in denen die Zuständigkeit auf einer Restzuständigkeit nach Art. 7 Brüssel IIa-VO beruht (vgl. Art. 5 II lit. d): Hier besteht die Möglichkeit, dass das von Art. 7 Brüssel IIa-VO berufene nationale Recht zusätzliche exorbitante Gerichtsstände schafft,82 (vgl. § 98 I Nr.1 FamFG). Vor diesen Gerichtsständen wird der Antragsgegner auf diese Weise geschützt.

2. Zusätzlicher Anknüpfungspunkt

Außerdem macht der Gesetzgeber einige Annexzuständigkeiten von einem zusätzlichen Anknüpfungskriterium abhängig: So ist etwa nach Art. 3 lit. c EuUntVO die Zuständigkeit in der Ehesache nur dann taugliche Basis für eine unterhaltsrechtliche Annexzuständigkeit, wenn diese sich nicht einzig auf die Staatsangehörigkeit einer der Parteien gründet.83

Erklärt werden kann dies damit, dass der Gesetzgeber auf diese Weise eine besondere Nähe des Gerichts der Ehesache zum Verfahrensgegenstand der Unterhaltssache garantiert. Bei einer Zuständigkeit, die allein auf die Staatsangehörigkeit eines Ehegatten gründet, bestünde oftmals keinerlei faktische Bindung zu dem betreffenden Staat. Zudem würde auf diese Weise ein reines forum auctoris begründet.84 Zwar besteht ein solches in Art. 3 I lit. a 5. und 6. Str. Brüssel IIa-VO auch, ist dort aber an das qualifizierende Element der bestimmten Aufenthaltsdauer geknüpft. Diese Überlegungen werden nun durch den Staatsangehörigkeitsvorbehalt des Art. 3 lit. c EuUntVO auf die mit der Ehe in Verbindung stehenden Unterhaltssachen übertragen. Schließlich wird durch Art. 3 lit. c EuUntVO nicht in jedem Fall die Brüssel IIa-VO berufen, sondern u.U. auch nationales Recht.

II. Unterschiedlich weitreichende Prorogationsmöglichkeiten

Unterschiedlich ausgestaltet sind schließlich die in den einzelnen Verordnungen vorgesehenen Prorogationsmöglichkeiten: Die Brüssel IIa-VO schließt eine Prorogationsmöglichkeit für die Ehesache kategorisch aus. Während die EuGüVO die Möglichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung für Güterrechtssachen i.V.m. einer Ehesache nicht vorsieht, ist eine solche in der EuUntVO gem. Art. 4 gegeben – unabhängig davon, ob über diese in einer Nebensache in einem bereits anhängigen Eheverfahren zu entscheiden ist.

Dem Art. 4 EuUntVO liegt der Gedanke der Parteiautonomie zu Grunde. Telos der Prorogationsmöglichkeit ist es, größere Rechtssicherheit, Vorhersehbarkeit und Eigenständigkeit der Parteien zu fördern85. Gerichtsstandsvereinbarungen schaffen schon im Vorfeld eines Rechtsstreits Klarheit darüber, welche Gerichte eines Staates zuständig sind. Zudem können die Parteien durch eine kombinierte Wahl von Gerichtsstand und anwendbarem Recht für einen Gleichlauf von Zuständigkeit und Unterhaltsstatut sorgen.86 Dass die Rechtswahl auf jene Gerichtsstände beschränkt bleibt, zu denen eine gewisse sachliche Beziehung besteht, soll das


73 Dutta in: Budzikiewicz, 73, 85.

74 Wendland, IPRax 2019, 1, 5.

75 Vgl. Erwgr. (34).

76 Vgl. Mankowski in: Dutta/Weber, 12, 18, Rn. 8.

77 Mankowski in Dutta/Weber, 12, 18, Rn. 8.

78 Vgl. Rauscher/Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 3 Brüssel IIa-VO, Rn. 40.

79 Mankowski in: Dutta/Weber, 12, 18, Rn. 8.

80 Vgl. Simotta, in: FS Geimer (2017), 672, 678.

81 Mankowski in: Dutta/Weber, 12, 18 f., Rn. 9.

82 Vgl. Staudinger/Spellenberg, Brüssel IIa-VO Art. 6, Rn. 3.

83 Vgl. Dutta in: Budzikiewicz, 73, 82.

84 Vgl. Borrás Bericht, Rn. 33.

85 Vgl. Erwgr. (19).

86 Vgl. MüKoFamFG/Lipp, EuUntVO Art. 4, Rn. 4.

Sander, Die internationale Verbundszuständigkeit22

forum shopping auf ein Minimum reduzieren87 und eine Benachteiligung des Unterhaltsberechtigten verhindern, der zur Deckung seines Lebensbedarfs auf den Unterhalt angewiesen ist.88

In der EuGüVO hingegen wiegt der Konzentrationsgedanke schwerer als die Möglichkeit einer Prorogation: Das güterrechtliche Verfahren ist i.d.R. zwingend an das bereits anhängige Scheidungsverfahren gekoppelt. Dass die Brüssel IIa-VO für dieses wiederum keine Prorogationsmöglichkeit eröffnet, ist kaum überzeugend zu begründen: Bereits der umfassende Katalog alternativer Zuständigkeiten in der Verordnung zeugt wohl von der Einsicht, dass auch ein ausgeklügeltes System ausschließlicher Kompetenzregeln, die für jeden Fall ein einziges passendes Forum bereitstellen, auch im Rahmen eines internationalen Ansatzes kaum realisierbar ist.89 So ist es nicht verwunderlich, dass in anderen europäischen Verordnungen Gerichtsstandsvereinbarungen seit jeher vorgesehen sind. Innerhalb des IZVR und IPR – selbst im Familienrecht – herrscht inzwischen eine allgemeine Tendenz hin zu einer stärkeren Berücksichtigung des Parteiwillens.90 Die Brüssel IIa-VO, die dem gemeinsamen Parteiwillen der Ehegatten einzig in Art. 3 I lit. a 4. Str. Beachtung schenkt, hinkt in der Entwicklung damit auffallend hinterher. Dabei scheint es gerade angezeigt, der Parteiautonomie der Ehegatten mehr Raum einzuräumen, wenn deren einvernehmlicher Scheidungswille gegeben ist. Im Übrigen kann nur auf diese Weise der auf kollisionsrechtlicher Ebene inzwischen zugelassenen Wahlmöglichkeit (vgl. Art. 5 Rom III-VO) vollständig zur Geltung verholfen werden.

III. Zwischenergebnis

Insgesamt zeigt der Vergleich, dass die Regelungen nicht unerhebliche Unterschiede aufweisen. Der Gesetzgeber schiebt einem automatischen Verbund von Ehe- und Folgesachen in den ganz überwiegenden Fällen verschiedenartig ausgestaltete Riegel vor, denen teilweise überzeugende Erwägungen zugrunde liegen. Festhalten lässt sich damit zweierlei: Zum einen ist es nicht ohne weiteres denkbar, eine allgemeine Regelung für Ehe- und Folgesachen zu schaffen. Zum anderen ist die Zuständigkeitskonzentration nicht uneingeschränkt erstrebenswert, nämlich dann nicht, wenn schützenswerte Interessen entgegenstehen.

E. Lösungsansatz: Möglichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung

Etwaige Reformen des geltenden Rechts müssten sinnvollerweise zunächst darauf abzielen, die bestehenden Regelungen kohärenter auszugestalten und „kritikwürdige Binnendiskrepanzen“91 zu beseitigen. Einer der in Betracht kommenden Ansatzpunkte ist die Einführung einer Prorogationsmöglichkeit für Ehesachen, welche die Parteien parallel zum anwendbaren Recht ausüben können. Auf diese Weise würden die oben genannten Problematiken des Zuständigkeitsrechts zumindest partiell entschärft: Gerichtsstandsvereinbarungen schaffen Konzentration und vermeiden somit, dass schwierige Qualifikationsfragen gelöst werden müssen. Die Gefahr des forum shoppings wird reduziert, da eine Gerichtsstandsvereinbarung die ausschließliche Zuständigkeit eines Gerichts bewirkt. Insofern ist auch das Risiko ineffizienter Verfahrensführung durch spätere Anhängigmachung einer Ehesache eingedämmt.

I. Gegenstand und Reichweite der Vereinbarung

Parteien, die sich aufgrund der internationalen Einbettung ihrer Ehe für eine parteiautonome Regelung entscheiden, streben typischerweise umfassendere Lösungen an, die sich auch auf verschiedene Teilmaterien erstrecken sollen.92 Insofern ist eine Vereinbarung anzudenken, die sowohl die Ehesache als auch die mit ihr verbundenen Folgesachen umfassen darf.

Freilich sind bei Konzipierung einer Regelung zu einer derart weitreichenden Gerichtsstandsvereinbarung sämtliche zuständigkeitsrechtliche Wertungen der Brüssel IIa-VO, der EuGüVO und der EuUntVO zu berücksichtigen und damit auch ihre jeweiligen kollisionsrechtlichen Pendants, d.h. die Rom III-VO und das HUP. Die ihnen zugrundeliegenden Wertungen dürfen nicht auf dem Umweg der Prorogationsmöglichkeit unterlaufen werden.

II. Interessenlage

Die konkreten Anforderungen, die an eine solche Gerichtsstandsvereinbarung im Falle des Ehescheidungsprozesses zu stellen sind, hängen zunächst von den Interessen der beteiligten Parteien ab.

Die originären Parteiinteressen abstrakt zu konkretisieren, ist im Ehescheidungsrecht nicht ganz unproblematisch: Während eine Schwächesituation etwa im Verbraucherrecht ex ante leicht zu bestimmen ist, weil hier die verallgemeinerungsfähige Annahme besteht, dass der Verbraucher die strukturell unterlegene Partei und daher besonders schutzwürdig ist93, wäre eine solch typisierende Betrachtung im Eherecht verfehlt. Eine ausgleichsbedürftige Unterlegenheit ist hier angesichts der oftmals ambivalenten Parteirollen per se nicht auszumachen94 ; sie ergibt sich vielmehr situativ, etwa durch wirtschaftliche Abhängigkeit oder die Betreuung der Kinder. Dieser einzelfallabhängigen Unterlegenheit ist entsprechend mit einzelfallbezogenen Schutzinstrumenten zu begegnen, um zu gewährleisten, dass die Prorogation nicht Ausdruck einer auf ungleichen Verhandlungspositionen basierenden einseitigen Dominanz eines Ehepartners ist.95

Auch wenn der Zivilprozess primär Parteiinteressen verpflichtet ist, ist zu beachten, dass eine Prorogation die Souveränitätsinteressen eines Staates berührt.96 Dieser hat u.a. ein legitimes Interesse daran, unnötige Belastungen seines Gerichtssystems zu verhindern. Ebenso kann ihm


87 Vgl. BeckOGK/Wurmnest, EuUntVO Art. 4, Rn. 3.

88 Ebd.

89 Hau, FamRZ 2000, 1333, 1339.

90 Vgl. Magnus, IPRax 2013, 393, 398.

91 Maultzsch in: v. Hein/Rühl, 153, 179.

92 Vgl. Maultzsch in: v. Hein/Rühl, 153, 159.

93 Vgl. Hoffmann/Thorn, IPR § 3, Rn. 235.

94 Vgl. Rauscher/Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 3 Brüssel IIa-VO, Rn. 16.

95 BGH 11.2.2004, NJW 2004, 930, 932.

96 Maultzsch in: v. Hein/Rühl, 153, 154; vgl. Schack, IZVR § 8, Rn. 236.

Sander, Die internationale Verbundszuständigkeit23

aber bei familienrechtlichen Streitigkeiten seiner Bürger an der eigenen Zuständigkeit gelegen sein.97

III. Konkrete Ausgestaltung

1. Eingeschränkter Vereinbarungszeitraum?

Zu konkretisieren ist zunächst der Zeitraum, innerhalb dessen die Ehegatten eine Gerichtsstandsvereinbarung schließen können sollten. Größtmöglicher Schutz des im Einzelfall unterlegenen Ehepartners würde gewährleistet, wenn die Vereinbarung allein nach Entstehen der Streitigkeit möglich wäre. Dies hat zwar den Vorzug, dass zu diesem späten Zeitpunkt auch die schutzbedürftige Partei hinreichend sensibilisiert ist und die Tragweite ihres Handelns überblicken kann, überzeugt aber letztlich nicht, weil eine strukturelle Unterlegenheit hier gerade nicht besteht (s.o.). Vor allem würde die Regelung so eines Großteils ihres praktischen Anwendungsbereichs beraubt: Denn von den schon bestehenden Möglichkeiten, etwa das auf die Scheidung anwendbare Recht zu wählen, wird üblicherweise im Rahmen von Eheverträgen und Scheidungsfolgenvereinbarungen Gebrauch gemacht98, d.h. bei, kurz nach oder schon im Vorfeld der Eheschließung. Daher erscheint es sinnvoll, den Zeitraum zugunsten des Planungsinteresses der Ehegatten großzügig auszugestalten. Dies entspricht auch den bereits bestehenden Regelungen: In 99 und 100 ist der Zeitpunkt nicht ausdrücklich geregelt. Dem Schweigen der Vorschriften lässt sich aber entnehmen, dass die Vereinbarung jederzeit getroffen werden kann.101 Auch in der Rom III-VO ist eine Rechtswahl jederzeit möglich, spätestens jedoch zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts muss sie vorliegen (vgl. Art. 5 II).

2. Gebundene Wahlmöglichkeit?

Fraglich ist außerdem, welche Wahlmöglichkeiten den Ehegatten offenstehen sollten. Ein Vergleich mit anderen Verordnungen zeigt, dass die Reichweite der Parteiautonomie, sofern sie im Familienrecht gewährt wird, von vornherein wesentlich eingeschränkter ist als etwa im Schuldrecht. Insgesamt lässt sich den Verordnungen entnehmen, dass eine begrenzte Wahlmöglichkeit verhindern soll, dass die Vereinbarung zu zuständigkeitsfremden Zwecken missbraucht und die schwächere Partei übervorteilt wird.102 Auch wird die Gefahr des forum shoppings eingedämmt. Ferner sollen nur Gerichtsstände in Betracht kommen, zu denen mindestens eine Partei eine engere Beziehung hat. So wird die insbesondere für unterhaltsrechtliche Folgesachen bedeutsame Sachnähe gewährleistet. Nicht zuletzt hat der Staat ein Interesse daran, dass die Parteien die Wahl nicht beliebig zugunsten der Gerichte jenes Mitgliedstaates treffen können, der im Durchschnitt die kürzeste Verfahrensdauer aufweist und dessen Gerichte dann über Gebühr beansprucht würden.103

Insofern ist eine eingeschränkte Wahlmöglichkeit vorzuziehen. Dabei ist der Nachteil in Kauf zu nehmen, dass sich die den objektiven Anknüpfungsprinzipien ggf. innewohnenden Schwächen auf Ebene der Parteiautonomie fortsetzen.104

a) Wählbare Gerichtsstände

Es liegt nahe, die wählbaren Gerichtsstände an die Anknüpfungsmomente der Rom III-VO anzupassen, um nach Möglichkeit einen Gleichlauf von ius und forum zu erzielen. Dies hat schon den prozessökonomischen Vorteil, dass das Verfahren beschleunigt wird und kostengünstiger abläuft, denn die Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts ist aufwendig.105

Die Rom III-VO fordert einen Bezug der Ehegatten zum gewählten Recht und erlaubt dementsprechend folgende Wahlmöglichkeiten: das Recht des Staates, in dem die Ehegatten ihren gewöhnlichen oder ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt zur Zeit der Rechtswahl hatten (lit. a, b), das Recht der Staatsangehörigkeit eines der Ehegatten (lit. c) und die lex fori (lit. d). Letztere erweitert die Anzahl wählbarer Rechtsordnungen angesichts des weit ausgestalteten Zuständigkeitssystems der Brüssel IIa-VO erheblich.106 Die Kritik, die Norm gefährde daher den internationalen Entscheidungseinklang107, hätte sich en passant immerhin im Fall einer wirksamen Prorogation erledigt. Denn diese lässt nach der hier vorgeschlagenen Lösung weniger Gerichtsstände zu als Art. 3 Brüssel IIa-VO.

Im Übrigen werden durch eine Wahl der genannten Gerichtsstände auch nicht die von Art. 4 EuUntVO und 108 festgelegten Begrenzungen der Prorogationsmöglichkeiten unterlaufen: Diese Wahlmöglichkeiten sind entweder deckungsgleich (vgl. etwa 109, Art. 4 I lit. b EuUntVO und Art. 7 I i.V.m. Art. 22 I lit. b EuGüVO) oder sogar weiter ausgestaltet.

Es liegt regelmäßig im Interesse der Parteien, ein konkretes Gericht zu prorogieren. Wird lediglich die internationale Zuständigkeit vereinbart, so bleibt es dem jeweiligen nationalen Verfahrensrecht des Staates überlassen, passende Tatbestände für die örtliche Zuständigkeit aufzustellen.

b) Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Anknüpfungsmomente

Ferner ist zu bestimmen, zu welchem Zeitpunkt die wählbaren Anknüpfungsmomente vorliegen müssen. Im Bereich des Familienrechts bemerkenswert ist, dass auf international-privatrechtlicher Ebene nach der Rom III-VO110 der Zeitpunkt der Rechtswahl maßgeblich ist, während es auf zivilverfahrensrechtlicher Ebene111 genügt, wenn diese Verbindung erst zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts besteht.


97 Vgl. Schack, IZVR § 8, Rn. 238.

98 Vgl. Andrae, IntFamR § 10, Rn. 57; MüKoFamFG/Mayer, EuGüVO Art. 7, Rn. 2.

99 Art. 7 EuGüVO

100 Art. 4 EuUntVO

101 Vgl. MüKoBGB/Looschelders, EuGüVO Art. 7, Rn. 15.

102 Vgl. MüKoFamFG/Lipp, EuUntVO Art. 4, Rn. 23.

103 Vgl. Sonnentag in: Pfeiffer/Wittmann/Escher, 9, 23.

104 Vgl. Kroll-Ludwigs, NZFam 2016, 1061, 1063.

105 Vgl. Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstandsvereinbarung, S. 11.

106 Palandt/Thorn, Rom III Art. 5, Rn. 5.

107 Vgl. Hausmann, IntEuFamR, A, Rn. 380; Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, S. 206.

108 Art. 7 EuGüVO

109 Art. 5 I lit. c Rom III-VO

110 Vgl. Art. 5.

111 Vgl. Art. 4 EuUntVO.

Sander, Die internationale Verbundszuständigkeit24

Alternativ auf beide Zeitpunkte abzustellen – Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung und Anrufung des Gerichts –, dient entscheidend dem Vertrauensschutz, der Planungssicherheit und der Prozessökonomie112: So können die Parteien einerseits darauf vertrauen, dass eine bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung bestehende Zuständigkeit Bestand hat, auch wenn sich die Umstände später ändern und die Verknüpfung wieder entfällt.113 Freilich wird das Argument der Sachnähe, das zur Begründung der beschränkten Wahlmöglichkeit bemüht wurde (s.o.), für diese Fälle untergraben. Denn diese Sachnähe besteht nicht mehr, wenn etwa an den gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten in einem Mitgliedstaat angeknüpft wird, ebendieser aber bei Anrufung des Gerichts nicht mehr besteht.

Wird andererseits auch auf den Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts abgestellt, führt die Vereinbarung auch dann zu dem beabsichtigten Ergebnis, wenn die Verknüpfung zum Zeitpunkt des Abschlusses noch nicht bestand und erst durch die Veränderung der tatsächlichen Umstände hergestellt wird.114 Allerdings sollten die Parteien in ihrer Vereinbarung bereits einen bestimmten Mitgliedstaat oder ein Gericht benennen müssen. Die bloße Festlegung eines der von den Normen bereitgestellten Anknüpfungsmomente, z.B. der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt, sollte also nicht genügen. In einem solchen Fall stünde das Gericht erst bei Anrufung desselbigen fest, was der im Rahmen von Rechtswahlvereinbarungen diskutierten, aber überwiegend abgelehnten floating choice of law115 nahekäme. Zwar ist die dadurch eröffnete Manipulationsgefahr sehr gering: Angesichts der ohnehin eingeschränkten Wahlmöglichkeiten wird ein Ehepartner kaum die Möglichkeit haben, einen Gerichtsstand gegen den Willen des anderen zu begründen.116 Auch ginge die Einschränkung zulasten der Flexibilität. Sie erscheint aber dennoch geboten, da andernfalls dem Erfordernis einer Vereinbarung in voller Sachkenntnis (dazu sogleich) kaum je Genüge getan würde. Der beklagte Mangel an Flexibilität ist recht unkompliziert dadurch zu kompensieren, dass es den Parteien freisteht, ihre Vereinbarung zu modifizieren oder erneut zu schließen, sollte sie ihren Planungen oder tatsächlichen Lebensverhältnissen nicht mehr gerecht werden.

3. Formerfordernisse

Da eine Prorogation gewisse Risiken birgt, sind formale Anforderungen von Bedeutung. Ein Blick in die europäischen Verordnungen zeigt jedoch, dass die unionsrechtlichen Anforderungen an Form und Information niedrig, in Bezug auf Beratung nicht vorhanden sind117 : Für die Möglichkeit der Rechts- oder Gerichtsstandsvereinbarung ist bislang nur ein Schriftformerfordernis vorgesehen, wobei selbst eine elektronische Übermittlung genügt, sofern sie eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglicht.118 Den Mitgliedstaaten steht es zum Teil frei, hiervon abweichend strengere Regelungen aufzustellen119. Der deutsche Gesetzgeber hat von dieser Möglichkeit z.B. im Falle der Rechtswahl nach der Rom III-VO Gebrauch gemacht: Eine solche setzt nach Art. 46e I EGBGB eine notarielle Beurkundung voraus. Allerdings steht Deutschland damit eher allein dar.120 Ein vergleichbar strenges Formerfordernis müsste für die Gerichtsstandsvereinbarung somit zwingend vorgeschrieben werden und dürfte nicht gänzlich der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten unterliegt.121

Die europäischen Rechtsakte machen außerdem zwar deutlich, dass das Informationsparadigma den Schlüssel für den Schwächerenschutz im Familienrecht darstellt. So betonen die Erwägungsgründe 17 und 18 der Rom III-VO, dass es für eine Rechtswahl in voller Sachkenntnis wichtig sei, zuvor auf sachdienliche und qualitativ hochwertige Informationen zurückgreifen zu können. Der Zugang zu solchen sei daher zu gewährleisten. Gleichwohl hat diese Aussage eher appellativen Charakter122. Insbesondere ist der bloße Zugang zu Informationen nicht gleichzusetzen mit einer informierten Selbstbestimmung123. Hier wären restriktivere Regelungen, etwa eine verpflichtende dokumentierte und unabhängige Rechtsberatung, notwendig.124

4. Einführung einer Missbrauchskontrolle?

Schließlich ist angesichts der Reichweite der Zuständigkeitsvereinbarung die Einführung einer Missbrauchskontrolle zu erwägen. Regelungen im IZVR, die als Vorbild dienen könnten, sind rar. Immerhin sieht Art. 8 V HUP eine Missbrauchskontrolle für die von den Parteien getroffene Rechtswahl vor: Das gewählte Recht ist nicht anzuwenden, wenn dies für die Parteien „offensichtlich unbillige oder unangemessene Folgen hätte“. Dies gilt nach der besonderen Sachnorm125 des S. 2 nur dann nicht, wenn die Parteien umfassend unterrichtet und sich der Folge ihrer Wahl vollständig bewusst sind. Wollte man diese Kontrolle auf Gerichtsstandsvereinbarungen im Ehescheidungsrecht ausdehnen, dürfte nicht auf individuelle nationale Billigkeitsmaßstäbe zurückgegriffen werden, da das Unionsrecht hier Vorrang vor dem autonomen mitgliedstaatlichen Recht beansprucht.126 Die konkreten Maßstäbe einer stattdessen gebotenen autonom-unionsrechtlichen Missbrauchskontrolle127 wären vom EuGH angesichts der rudimentären Regelungen zur materiellen Wirksamkeit von Vereinbarungen erst noch zu definieren.128

Von vornherein gegen eine solche Kontrolle spricht indes, dass sie der Rechtssicherheit und der Parteiautonomie abträglich wäre.129 Auch wenn dies allein kaum den Verzicht auf ein solches Schutzinstrumentarium rechtfertigen kann,


112 Vgl. Abendroth, Parteiautonome Zuständigkeitsbegründung, S. 314 f.

113 Vgl. HK-ZPO/Dörner, Art. 4 EuUntVO, Rn. 3.

114 Ebd.

115 Vgl. Palandt/Thorn, Rom III Art. 5, Rn. 5.

116 A.A. Sonnentag in: Pfeiffer/Wittmann/Escher, 9, 22.

117 Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 179.

118 Vgl. z.B. Art. 7 I Rom III-VO, Art. 4 EuUntVO, Art. 7 II EuGüVO.

119 Z.B. gem. Art. 7 II-IV Rom III-VO.

120 Vgl. Hilbig-Lugani in: Pfeiffer/Wittmann/Escher, 55, 69.

121 So auch Sonnentag in: Pfeiffer/Wittmann/Escher, 9, 24.

122 Vgl. Rösler, RabelsZ 78 (2014), 155, 179.

123 BeckOK BGB/Heiderhoff, HUP Art. 8, Rn. 19.

124 So auch Becker, NJW 2011, 1543, 1544 f; Kohler/Pintens, FamRZ 2011, 1433, 1434.

125 Palandt/Thorn, HUP Art. 8, Rn. 33; Bonomi-Report, Rn. 150: „Ausweichklausel“.

126 Vgl. Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr/Reuß, EuUntVO Art. 4, Rn. 34.

127 Maultzsch in: v. Hein/Rühl, 153, 178.

128 Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr/Reuß, EuUntVO Art. 4, Rn. 34.

129 So Maultzsch in: v. Hein/Rühl, 153, 178 f.

Sander, Die internationale Verbundszuständigkeit25

so gewährleisten doch die strengen Formerfordernisse, hohe Anforderungen an die bereitgestellten Informationen und die beschränkte Wahlmöglichkeit, die eine institutionalisierte Missbrauchskontrolle130 darstellt, bereits ein hinreichendes Schutzniveau. Dieses ist notwendig, denn die Ehegatten treffen die Vereinbarung ggf. bereits zu Beginn der Ehe, wenn die Scheidung also noch weit entfernt und das Problembewusstsein entsprechend gering ist.131 Gleichwohl ist ein angemessener Ausgleich zwischen Schwächerenschutz und Parteiautonomie anzustreben, denn zu strenge Anforderungen bergen das Risiko, dass die Prorogationsmöglichkeit nicht mehr praxistauglich ist.

IV. Abschließende Bemerkung

Eine Prorogationsmöglichkeit für Ehesachen würde zumindest eine Lücke im Zuständigkeitssystem schließen und zu einer kohärenteren Ausgestaltung der Verordnungen führen. Freilich bleiben die dargestellten Problematiken uneingeschränkt bestehen, sofern die Ehegatten von der Möglichkeit keinen Gebrauch machen. Insofern ist eine Ausgestaltung des Zuständigkeitssystems am Vorbild der Kegel´schen Leiter zu erwägen132. Auch genügt eine isolierte Ausbesserung des Zuständigkeitsrechts nicht, steht dieses doch in untrennbarem Zusammenhang mit dem anwendbaren Recht.133 Ziel wäre also eine umfassendere Vereinheitlichung des internationalen Scheidungsrechts als es bislang im Wege der verstärkten Zusammenarbeit erreicht werden konnte.134 Die Hürden hierfür sind zwar hoch: Nicht nur gilt im Familienrecht das Einstimmigkeitserfordernis (Art. 81 III AEUV). Auch handelt es sich um eine Regelungsmaterie, die nach wie vor in besonderem Maße durch das kulturelle und politische Selbstverständnis der jeweiligen Mitgliedstaaten geprägt ist. Die weltanschaulichen Unterschiede sind groß – eine Konsensfindung schwierig. Gleichwohl zeigen zunehmende Annäherungen der Familienrechtsordnungen, dass das Potenzial für mehr Vereinheitlichung besteht.


130 Abendroth, Parteiautonome Zuständigkeitsbegründung, S. 309.

131 Vgl. NK-BGB/Lugani, Rom III Art. 5, Rn. 31.

132 So Antomo, in: Pfeiffer/Wittmann/Escher, 14, 20 f.

133 Vgl. Gottwald, FS Spellenberg (2006), 55, 58.

134 Basedow in: v. Hein/Rühl, 4, 10.