Die geplante ICO-Regulierung durch den MiCAR-E

Simon Bekele*

Initial Coin Offerings (ICOs), die öffentliche Emission von Kryptowerten (sog. Coins oder Token) zur Projekt- oder Unternehmensfinanzierung,1 haben 2017 und 2018 Schlagzeilen gemacht2 und galten als unregulierte Methode effizient und kostengünstig Projekte zu finanzieren.3 Nun befindet sich mit dem Entwurf einer Markets in Crypto Assets Regulation („MiCAR‑E“) die erste EU-ICO-Regulierung im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,4 weswegen sich ein erneuter Blick auf ICOs lohnt. Einleitend sollen kurz der Ablauf, einschließlich des Tokenbegriffs sowie die ökonomischen Grundlagen von ICOs erläutert werden (A). Daraufhin soll – nach einer kurzen Darstellung des aktuellen Meinungsstands hinsichtlich der Prospektpflichtigkeit von ICOs – die geplante Regulierung von ICOs durch den MiCAR‑E herausgearbeitet und bewertet werden (B), bevor die Ergebnisse der Arbeit abschließend in einem Fazit zusammengefasst werden (C).

A. ICOs

I. Ablauf

Anders als bei einem Initial Public Offering (IPO), an dem sich der Begriff ICO anlehnt,5 gibt es bei Letzteren keinen etablierten Standardablauf.6 Dennoch hat sich in der ICO-Praxis innerhalb kürzester Zeit ein Ablauf herausentwickelt, dem zumindest der Großteil der ICOs im Ansatz folgen.7 Im ersten Schritt setzt der Initiator ein Smart Contract auf einer Blockchain auf,8 der die benötigten Token generieren und im Rahmen des ICOs an die Investoren ausschütten soll.9 Regelmäßig findet zur ersten Teilfinanzierung des ICOs an sich ein sog. Private Sale statt, bei dem die Token mit einem enormen Abschlag von (institutionellen) Investoren erworben werden können.10 Vor der ersten öffentlichen Anbieten wird regelmäßig ein sog. Whitepaper veröffentlicht.11 Dieses dient einer mit dem Prospekt beim IPO vergleichbaren Funktion,12 basiert bisher aber nicht auf einer gesetzlichen Grundlage. Es beinhaltet grundsätzlich die Daten zum Projekt, den Token und dem Emittenten und dient als wichtigste Entscheidungsgrundlage für die potenzielle Investoren.13 Zusätzlich zum Whitepaper wird anfangs regelmäßig mit Werbung auf Social Media auf den ICO aufmerksam gemacht.14 Zur Finanzierung weiterer Werbekampagnen wird häufig ein öffentlicher Pre-Sale nach der kleineren Werbekampagne auf Social Media gemacht.15 Bei diesem werden die Token für bis zu 90% unter dem Ausgabepreis angeboten.16 Danach kommt es zum finalen öffentlichen Angebot der Token. Dabei werden häufig auch Unter- und Obergrenzen hinsichtlich der eingenommenen Mittel bzw. ausgegebenen Token festgelegt.17 Diese sowie der Ausgabepreis, die Dauer der Emission und weitere Bedingungen finden sich in den Angebotsbedingungen.18 Bei der Emission werden die Token durch Smart Contracts automatisch den Erwerbern bei Erfüllung sämtlicher Bedingungen zugeordnet und spiegelbildlich dem Emittenten die Einnahmen aus dem ICO.19 Die ausgegebenen Token sind nach der Emission regelmäßig am Sekundärmarkt handelbar.20

II. Token

Token stellen eine digitale Einheit dar, dem eine Funktion zugeordnet wird.21 Abhängig von der Ausgestaltung wird eine Unterteilung dieser in drei verschiedene Archetypen vorgenommen: Investment, Currency und Utility Token.22 In der Praxis weisen viele Token Charakteristika von mehreren Archetypen auf, dies sind die sog. hybriden Token.23 Investment Token können dem Inhaber u.a. Teilhaberechte am Gewinn, einen festen Zinsanspruch und/oder Stimmrechte am Emittenten gewähren.24 Utility Token gewähren ihrem Inhaber einen Anspruch auf eine bestimmte Leistung oder auf Zugang zu einer Plattform,25 es kommen allerdings auch nicht-monetäre Leistungen in Betracht.26 Currency Token sollen als Zahlungsmittel dienen27 und haben keinen inhärenten Wert, sondern ihnen wird von anderen Markt-


* Der Autor ist Student an der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Veil, ZHR 183 (2019), 346, 347 f.

2 Siehe z.B.: H. Murphy, European regulator latest to warn on initial coin offerings, in: Financial Times vom 03.11.2017, abrufbar unter: https://tinyurl.com/ewusxee5, zuletzt abgerufen am 05.04.2022.

3 Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, 2. Auflage, 2021, Kap. 4.2 Rn. 4.

4 Siehe https://tinyurl.com/3buzy68s, zuletzt abgerufen am 20.11.2022.

5 Kuntz, AcP 220 (2020), 51, 86 f.

6 Vgl. Wolf, Initial coin offerings, 2020, S. 34 f.

7 Wolf (Fn. 6), S. 34 f.

8 Für eine detaillierte Erläuterung der technischen Begriffe und weiteres erforderliches Hintergrundwissen siehe Siegel, Omlor/Link Kryptowährungen und Token, 2021, Kap. 3; Kuntz, AcP 220 (2020), 51.

9 Veil, ZHR 183 (2019), 346, 351; Zickgraf, AG 2018, 293, 294.

10 Vgl. Fromberger/Zimmermann, Maume/Maute Rechtshandbuch Kryptowerte, 2020, § 1 Rn. 84.

11 v. Aubel, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 4. Auflage, 2019, Rn. 20.49 ff.; Behme/Zickgraf, ZfPW 2019, 66, 67.

12 Vgl. Scherer, Blockchain, 2020, S. 108 f.; Behme/Zickgraf, ZfPW 2019, 66, 67.

13 Behme/Zickgraf, ZfPW 2019, 66, 67 f.; Hahn/Wilkens, ZBB 2019, 10, 13 f.

14 Ebd.

15 Hahn/Wilkens, ZBB 2019, 10, 13; Zickgraf, AG 2018, 293, 294.

16 v. Aubel (Fn. 11), Rn. 20.50.

17 Wolf (Fn. 6), S. 39 f.; Behme/Zickgraf, ZfPW 2019, 66, 68.

18 Fromberger/Zimmermann (Fn. 10), § 1 Rn. 85; v. Aubel (Fn. 11), Rn. 20.56.

19 Vgl. Veil, ZHR 183 (2019), 346, 351.

20 Fromberger/Zimmermann (Fn. 10), § 1 Rn. 70 ff.

21 Vgl. Brombach, BLJ 2020, 116, 116; Borkert, ITRB 2018, 39, 41.

22 BaFin, Zweites Hinweisschreiben zu Prospekt- und Erlaubnispflichten im Zusammenhang mit der Ausgabe sogenannter Krypto-Token, 2019, S. 5 f., abrufbar unter: https://tinyurl.com/59f3n7v4, zuletzt abgerufen am 25.04.2022; Kumpan, Schwark/Zimmer Kapitalmarktrechts-Kommentar, 5. Auflage, 2020, § 2 WpHG Rn. 83; Kuntz, AcP 220 (2020), 51, 87; Borkert, ITRB 2018, 39, 39; Zickgraf, AG 2018, 293, 295 f.

23 BaFin (Fn. 22), S. 6; Wolf (Fn. 6), S. 56; Spindler, WM 2018, 2109, 2110.

24 Spindler, WM 2018, 2109, 2110.

25 Fromberger/Zimmermann (Fn. 10), § 1 Rn. 70; Borkert, ITRB 2018, 39, 42.

26 Wolf (Fn. 6), S. 51 f.

27 Behme/Zickgraf, ZfPW 2019, 66, 70.


teilnehmern ein monetärer Wert zugeschrieben,28 welcher auf der endlichen Anzahl der Token und das Vertrauen in die Fälschungssicherheit der dahinterstehenden Blockchain basiert.29

III. Ökonomik

Die Bewertung des Regulierungsvorhabens erfordert zunächst das Nachvollziehen der ökonomischen Ratio von ICOs, somit ist zunächst zu betrachten, warum diese eine solche Beliebtheit zur Unternehmensfinanzierung erfahren haben, also insbesondere welche Vorteile sie bringen. Daran anknüpfend sollen die typischen mit ICOs verbundenen Risiken untersucht werden. Die so ermittelten Vorteile und Risiken werden als Anknüpfungspunkte für die Bewertung der Regulierung herangezogen. Dabei bietet sich eine Betrachtung der Vorteile und Risiken aus Perspektive der Emittenten und der Investoren an.30

Für Emittenten steht der Unternehmensfinanzierungszweck im Vordergrund.31 Für diese stellen ICOs zunächst eine weiter Finanzierungsquelle dar.32 Darüber hinaus haben ICOs den Vorteil, dass enorme Beträge eingenommen werden können.33 Die wohl größten Vorteile für den Emittenten sind die geringen Kosten und die zeitliche Effizienz des Prozesses.34 Diese entstehen insbesondere durch die Abwicklung über die Blockchain35 und die mangelnde Durchsetzung regulatorischer Rahmen.36 Darüber hinaus können durch die Ausgabe von Token Netzwerkeffekte geschaffen werden, die durch Verknappung der Token verstärkt werden können.37

Aus der Perspektive der Investoren gibt es zwei Hauptvorteile. Zum einen lassen sich bereits mit geringen Investitionen enorme Renditen generieren und zum anderen ist die Investition hoch liquide, wodurch ein Ausstieg jederzeit möglich ist.38 Dafür herrschen enorme Informationsasymmetrien, da sich zum einen nur durch die vom Emittenten zur Verfügung gestellten Informationen informiert werden kann und zum anderen regelmäßig nur theoretische Geschäftsmodelle bestehen.39 Darüber hinaus ermöglicht die Blockchain-Technologie durch Pseudonyme in Form des Public Keys auch anonymes Handeln, was die Rechtsdurchsetzung in betrügerischen Fällen nahezu unmöglich macht, dies ist insbesondere dadurch hoch riskant, dass häufig der Emittent nicht bekannt ist.40 Dies wird dadurch verstärkt, dass es grundsätzlich nur eine Finanzierungsrunde gibt, in der der Preis vom Emittent intransparent festgesetzt und nicht wie bei IPOs ein Marktpreis durch das Bookbuilding-Verfahren ermittelt wird.41 Dabei ist der Zeitraum des ICOs begrenzt und die Investoren werden durch die Rabatte im Pre-Sale zum schnellen Handeln bewegt.42

B. Regulierungsvorhaben der EU

Mit dem MiCAR-E befindet sich nun ein Entwurf im ordentlich Gesetzgebungsverfahren, welcher Innovationen fördern und günstige Rahmenbedingungen für ICOs schaffen soll.43 Nachfolgend soll die Regulierung hinsichtlich des Anwendungsbereichs und der Whitepaper-Pflicht dargestellt und bewertet werden.

I. Derzeitige Prospektpflichtigkeit von ICOs

Nach Auffassung der wohl herrschenden Lehre und der Verwaltungsbehörden können ICOs abhängig von der Ausgestaltung emittierten Token grundsätzlich unter die Prospektpflicht nach Art. 3 Abs. 1 ProspektVO fallen, auch wenn für die Einordnung als übertragbares Wertpapier i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Nr. 44 MiFID II das Erfordernis der Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs nicht erfüllt wird, da dieses durch die Handelbarkeit auf der Blockchain erübrigt wird bzw. da es bereits aufgrund der Einheitlichkeit innerhalb der EU nicht darauf ankommen kann.44 Von den drei Archetypen fallen nach der herrschenden Ansicht Currency Token nie und Investment Token immer unter die Prospektpflicht.45 Dagegen kommt es bei Utility Token auf eine Einzelfallbetrachtung an.46 Wobei es verschiedene Ansichten hinsichtlich der relevanten Faktoren gibt, allerdings kommt es allen Ansichten darauf an ob die Investment- oder die Konsumfunktion überwiegt.47 Bei hybriden Token kommt es für die Prospektpflichtigkeit konsequenterweise auf die genaue Ausgestaltung an, insbesondere ob die Investmentfunktion überwiegt.


28 Fromberger/Zimmermann (Fn. 10), § 1 Rn. 70.

29 Ebd.

30 Vgl. Boulianne/Fortin, AP 2020, 19 (4), 413, 415; Ante/Sandner/Fiedler, JRFM 2018, 11 (4), 80, S. 1 f.

31 Ante/Sandner/Fiedler (Fn. 30), S. 1 f.

32 Miglo, 2021, 14 (6), 232, S. 1 f.

33 Vgl. v. Aubel (Fn. 11), Rn. 20.62; Ante/Sandner/Fiedler (Fn. 30), S. 3 ff.

34 Boulianne/Fortin (Fn. 30), S. 419 f.; v. Aubel (Fn. 11), Rn. 20.62.

35 So reichen auf der Ethereum-Blockchain bereits weniger als hundert Zeilen Code zur Programmierung eines für ICOs erforderlichen Smart Contracts, s. hierzu Fromberger/Zimmermann (Fn. 10), § 1 Rn. 83.

36 Vgl. Boulianne/Fortin (Fn. 30), S. 419 f.; v. Aubel (Fn. 11), Rn. 20.62.

37 Zickgraf, Maume/Maute Rechtshandbuch Kryptowerte, 2020, § 11 Rn. 9; Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2019, 89, 93.

38 v. Aubel (Fn. 11), Rn. 20.63 f.; Nica/Piotrowska/Schenk-Hoppe, Cryptocurrencies : Economic benefits and risks, 2017, S. 10 f., abrufbar unter SSRN: https://ssrn.com/abstract=3059856, zuletzt abgerufen am 25.04.2022.

39 Spindler, Möslein/Omlor FinTech-Handbuch, 2. Auflage, 2021, § 25 Rn. 12; Zickgraf (Fn. 37), § 11 Rn. 10.

40 v. Aubel (Fn. 11), Rn. 20.65 ff.

41 Spindler (Fn. 39), § 25 Rn. 12; v. Aubel (Fn. 11), Rn. 20.65.

42 Zickgraf (Fn. 37), § 11 Rn. 10; v. Aubel (Fn. 11), Rn. 20.65.

43 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates on Market in Crypto-assets, and amending Directive (EU) 2019/1937, vom 24.09.2020, COM(2020) 593 final, 2020/0265(COD), S. 160 f., abrufbar unter: https://tinyurl.com/524pfjv4, zuletzt abgerufen am 20.11.2022.

44 BaFin (Fn. 22), S. 7; Brombach, BLJ 2020, 116, 118 f.; Wolf (Fn. 6), S. 116 f.; v. Aubel (Fn. 11), Rn. 20.94 f.; Hahn/Wilkens, ZBB 2019, 10, 16 f.; Veil, ZHR 183 (2019), 346, 356 f.; Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2019, 89, 100 f.; Zickgraf, AG 2018, 293, 300 ff.; a.A. LG Berlin, AG 2021, 204, 205; Nathmann, BKR 2019, 540, 543; Schäfer/Eckhold, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 5. Auflage, 2020, § 16a Rn. 55 f.; Bialluch-von Allwörden/von Allwörden, WM 2018, 2118, 2120 f.

45 Stv. Wolf (Fn. 6), S. 117 ff., 124 f.; v. Aubel (Fn. 11), Rn. 20.103 ff., 20.120; Zickgraf, AG 2018, 293, 303, 306 f.

46 Brombach, BLJ 2020, 116, 119 f.; Wolf (Fn. 6), S. 126 ff.; v. Aubel (Fn. 11), Rn. 20.107 ff.; Zickgraf, AG 2018, 293, 303 ff.; a.A. Schwennicke, Omlor/Link Kryptowährungen und Token, 2021, Kap. 8 Rn. 68; Veil, ZHR 183 (2019), 346, 363 f., die beide stets die Prospektpflichtigkeit von Utility Token ablehnen.

47 Vgl. Brombach, BLJ 2020, 116, 119 f.; Wolf (Fn. 6), S. 126 ff.; Hacker/Thomale, ECFR 2018, 645, 673 ff.; Zickgraf, AG 2018, 293, 303 ff.


II. Anwendungsbereich

Die Verordnung soll hinsichtlich ICOs nach Art. 2 Abs. 1 MiCAR-E für Personen gelten, die Kryptowerte in der Union ausgeben.48 Kryptowerte sind in Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 MiCAR‑E weit definiert als „digitale Darstellung von Werten oder Rechten, die unter Verwendung der Distributed-Ledger-Technologie oder einer ähnlichen Technologie elektronisch übertragen und gespeichert werden können“, womit grundsätzlich sämtliche Token in den Anwendungsbereich fallen.49 Allerdings scheiden nach Art. 2 Abs. 2 lit. a MiCAR‑E Kryptowerte, die als Finanzinstrumente i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Nr. 15 MiFID II gelten, aus, also nach Anhang I Abschnitt C Abs. 1 MiFID II auch übertragbare Wertpapiere.50

Entsprechend der bisherigen Ergebnisse müssten also Investment Token grundsätzlich und Utility sowie hybride Token abhängig von der konkreten Ausgestaltung vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sein, während Currency Token stets in den Anwendungsbereich fallen. Dennoch fallen nach Zickgraf sämtliche Utility Token in den Anwendungsbereich des MiCAR-E,51 obwohl dieser hinsichtlich der Wertpapiereigenschaft von Utility Token ebenfalls zum Ergebnis kommt, dass dies vom Einzelfall abhängt.52 Dies begründet er damit, dass es nur aufgrund mangelnden speziellen Regelungsregimes für Kryptowerte näher gelegen habe, bestimmte Utility Token unter den Wertpapierbegriff zu fassen.53 Dabei handelt es sich allerdings um einen Zirkelschluss, schließlich ist der Anwendungsbereich des MiCAR‑E aufgrund des Ausschlusses von Finanzinstrumenten subsidiär gegenüber den der Prospekt-VO, während nach Zickgrafs Begründung Utility Token nicht der Prospekt-VO unterfallen würden aufgrund des vermeintlich spezielleren MiCAR‑E, was nicht mit dem Art. 2 Abs. 2 lit. a MiCAR‑E vereinbar ist. Die Argumentation könnte nur überzeugen, wenn die Einordnung von Utility Token als Wertpapiere aufgrund einer Regelungslücke vorgenommen wurde, da eine vergleichbare Interessenlage vorlag, also eine analoge Anwendung gemacht worden wäre. Dies wird soweit ersichtlich nicht nur nicht vertreten, sondern würde aufgrund des Ordnungswidrigkeitscharakters eines Verstoßes gegen die Prospektpflicht gemäß § 23 Abs. 3 Nr. 1 WpPG nicht mit dem Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar sein.54 Dementsprechend kann man die Wertpapiereigenschaft von Utility Token nicht mit der Begründung ablehnen, dass – im Zusammenhang mit einem ICO – eine Prospektpflicht zum Abbau von Informationsasymmetrien nicht erforderlich ist, da die Whitepaper-Plicht aus Art. 4 Abs. 1 lit. b MiCAR-E diesen Zweck erfüllt,55 insbesondere unter Berücksichtigung der Technologieneutralität i.S.d. Erwägungsgrunds (6) MiCAR‑E.56 Somit fallen Currency Token57 und lediglich die Utility sowie hybride Token, die den Wertpapierbegriff nicht erfüllen, in den Anwendungsbereich des MiCAR‑E nach Art. 2 Abs. 2 lit. a MiCAR‑E.

Daraus ergibt sich, dass sich die Rechtslage für alle bisher regulierten ICOs nicht ändert und sämtliche kritisierten Aspekte der Regulierung fortbestehen. Dieser Anwendungsbereich wird zwar mit der Technologieneutralität begründet, dabei wird aber übersehen, dass die Regulierung nicht aufgrund der technischen Ausgestaltung der Token als Wertpapiere angepasst werden muss, sondern aufgrund der daraus resultierenden zusätzlichen Informationsasymmetrien, weswegen zumindest der Prospektinhalt einer Anpassung bedarf, was durch die neue Regulierung allerdings nur hinsichtlich der bisher nicht regulierten Token geschieht.58 Dies sind insbesondere bei Utility Token die, bei denen die Konsum- und nicht die Investmentkomponente überwiegt und welche dementsprechend nicht von einer kapitalmarktrechtlichen Regulierung profitieren.59 Dadurch, dass bereits der Anwendungsbereich die Anforderungen effizienter Regulierung nicht erfüllt, tut dies der ganze Entwurf hinsichtlich ICOs auch nicht, da bereits die falschen ICOs reguliert bzw. nicht reguliert werden.

III. Whitepaper-Pflicht

Nach Art. 4 Abs. 1 lit. b MiCAR‑E dürfen Kryptowerte, mit Ausnahme von wertreferenzierten Token oder E-Geld-Token, die Unterkategorien von Currency Token darstellen, nur öffentlich angeboten werden, wenn ein Whitepaper gemäß Art. 5 MiCAR-E erstellt wurde. Nach Veröffentlichung des Whitepaper dürfen die Kryptowerte innerhalb der EU gemäß Art. 10 Abs. 1 MiCAR‑E angeboten werden und die Emittenten unterliegen gemäß Art. 10 Abs. 2 MiCAR‑E keinen weiteren Informationspflichten.60

Aus dem Anwendungsbereich ist bereits hervorgegangen, dass der Entwurf hinsichtlich ICOs eine ineffiziente Regulierung darstellt. Dennoch lohnt sich ein näherer Blick auf die Whitepaper-Pflicht unter der Annahme, dass sämtliche Token, die den Wertpapierbegriff erfüllen, davon umfasst sind.

Art. 5 Abs. 1 MiCAR-E sieht vor, dass im Whitepaper u.a. der Emittent, das Projekt, die wichtigsten Akteure, die zugrunde liegende Technologie und die Risiken detailliert beschrieben und vorgestellt werden. Es werden also sowohl Blockchain als auch Start-Up spezifische Informationen offengelegt, was die dahingehend bestehenden Informationsasymmetrien61 auflösen kann. Zudem dürfen nach Art. 5 Abs. 1 MiCAR-E keine Aussagen über die zukünftige Wertentwicklung enthalten sein, außer diese können vom Emittenten garantiert werden. Dies wirkt dem Herdenverhalten der Anleger entgegen62 und ist somit wohlfahrtsteigernd. Es wird auch auf ein Genehmigungsverfahren verzichtet und ICOs unterliegen lediglich einem Anzeigevorbehalt nach Art. 7 Abs. 1, 2 MiCAR‑E. Dies kann unter Berücksichtigung der im Vergleich zu IPOs geringen Volumina von ICOs


48 Siadat, RdF 2021, 12, 13; Zickgraf, BKR 2021, 196, 198.

49 Zickgraf, BKR 2021, 196, 198.

50 Siadat, RdF 2021, 12, 13 f.; Zickgraf, BKR 2021, 196, 198.

51 Zickgraf, BKR 2021, 196, 198 f.; s. auch Siadat, RdF 2021, 12, 14.

52 Zickgraf (Fn. 37), § 11 Rn. 64 ff.

53 Zickgraf, BKR 2021, 196, 198 f.

54 Vgl. Remmert, in Dürig/Herzog/Scholz Grundgesetz-Kommentar, 2021, Art. 103 Rn. 56 ff., 79 ff.

55 So aber Zickgraf, BKR 2021, 196, 198 f.

56 Siehe auch Fn. 43.

57 So auch Siadat, RdF 2021, 12, 14.

58 A.A. Zickgraf, BKR 2021, 196, 199 f.

59 Vgl. Wolf (Fn. 6), S. 126 f.; Zickgraf, AG 2018, 293, 304.

60 Siadat, RdF 2021, 12, 18; Zickgraf, BKR 2021, 196, 199 f.

61 Vgl. Hahn/Wilkens, ZBB 2019, 10, 23; Veil, ZHR 183 (2019), 346, 366.

62 Zickgraf, BKR 2021, 196, 202.


wohlfahrtssteigernd wirken, da administrative Transaktionskosten gespart werden bei geringerem Schadenspotential.63 Somit wäre die Whitepaper-Pflicht für momentan als Wertpapiere eingestufte Token eine wohlfahrtssteigernde Regulierung.

C. Fazit

Über ein halbes Jahrzehnt nachdem ICOs das erste Mal Schlagzeilen gemacht haben, befindet sich mit dem MiCAR-E zwar endlich ein Verordnungsentwurf zur Regulierung dieser im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren. Diesem mangelt es aber bereits an einem geeigneten Anwendungsbereich, der dafür sorgt, dass nicht durch das Kapitalmarktrecht regulierungsbedürftige ICOs durch eben dieses mit klassischen Instrumenten wie die Whitepaper-Pflicht reguliert werden, während die bisher unter die klassische Prospektpflicht fallenden ICOs weiterhin unter ein Regime fallen, was nicht ihre Besonderheit berücksichtigt. Dieser Makel lässt sich glücklicherweise allerding durch eine simple Überarbeitung des Entwurfs beheben, wozu entsprechend dringend geraten wird.


63 Vgl. Zickgraf, BKR 2021, 362, 362 f.