Hannah Güntner*
A. Einleitung
Das Urteil der Rechtbank den Haag,1 in dem erstmals ein Carbon Major zur Emissionsreduktion verurteilt wurde, hat das Internationale Privatrecht verstärkt in den Fokus der Diskussion um internationale Klimahaftung gerückt. Das Gericht vergegenwärtigte die Frage, wie mit einer möglichen Haftung des Schädigers nach weltweit jeder Rechtsordnung umzugehen ist,2 die Art. 7 Rom II-VO3 unter dem Ubiquitätsprinzip ermöglicht. Diese Arbeit versucht, darauf eine Antwort zu finden.
B. Deliktsstatut bei Klimaschäden
I. Zielsetzung der Anknüpfung in Art. 7
Telos des Art. 7 ist die kollisionsrechtliche Absicherung des in Art. 191 II 1 AEUV verankerten materiell-rechtlichen Ziels eines hohen Umweltschutzniveaus, vgl. ErwG 25.4 Durch ein strenges Verursacherprinzip (polluter-pays-principle)5 soll der Schädiger angehalten werden, sein Handeln an möglichst hohen Standards zu orientieren.6
Dieses Ziel bestimmte auch die gesetzgeberische Entscheidung für das, den Geschädigten begünstigende, Ubiquitätsprinzip, das ihm ausnahmsweise ein Wahlrecht zwischen Erfolgs- und Handlungsortsrecht eröffnet.7 Über das Wahlrecht kann der Schädiger nach potenziell weltweit jedem Recht in Haftung genommen werden. Er muss folglich unabhängig seiner Niederlassung damit rechnen, dem strengsten Haftungsregime unterworfen zu werden. Dies erschwert Emittenten das Ausnutzen von Unterschieden in der Schutzintensität verschiedener Umweltrechtsregime durch kluge Standortwahl8 (Law-Shopping9).
II. Sachlicher Anwendungsbereich
1. Definition des Begriffs „Umweltschädigung“
a) Definition der Umweltschädigung
Einer der, den sachlichen Anwendungsbereich eröffnenden Verletzungserfolge, ist der Eintritt einer „Umweltschädigung“, Art. 7 Alt. 1,10 deren Definition allerdings Schwierigkeiten bereitet.11
Erste Konkretisierung bietet ErwG 24, der einen Umweltschaden abschließend12 als „eine nachteilige Veränderung einer natürlichen Ressource, wie Wasser, Boden oder Luft, eine Beeinträchtigung einer Funktion, die eine natürliche Ressource zum Nutzen einer anderen natürlichen Ressource oder der Öffentlichkeit erfüllt, oder eine Beeinträchtigung der Variabilität unter lebenden Organismen“ definiert. Da sich daraus aber nicht ergibt, wann eine solche nachteilige Veränderung oder Beeinträchtigung vorliegt, wird der inhaltlich ähnliche und fast wortlautgleiche Art. 2 UHRL hinzugezogen.
Allerdings ist bei dessen Übertragung Vorsicht geboten. Denn während es sich bei der Rom II-VO um privatrechtliches Kollisionsrecht handelt, ist die UHRL dem materiellen öffentlichen Recht zuzuordnen. Eine wortlautgetreue Anwendung würde gem. Art. 2 Nr. 1 lit. a) UHRL etwa bedeuten, dass Schäden durch genehmigte Tätigkeiten bereits begrifflich vom Anwendungsbereich des Art. 7 ausgenommen würden. Auf kollisionsrechtlicher Ebene wäre dieser generelle Haftungsausschluss aber ein systematischer Fehler, denn die Entscheidung, welche Wirkung einer Genehmigung zukommt, obliegt dem erst durch die Rom II-VO bestimmten materiellen Recht.
b) Klimawandel als Umweltschädigung?
Ob der Klimawandel eine Umweltschädigung darstellt, ist unklar. Konkret geht es um die Frage, ob die Anreicherung von Treibhausgasen in der Atmosphäre eine „nachteilige Veränderung einer natürlichen Ressource“ darstellt. Dass die Erhöhung des Treibhausgasanteils in der Atmosphäre deren Zusammensetzung verändert, ist messbar.13 Auch, dass in dieser Veränderung eine Kausalkette mit beachtlichen Folgen zwingend angelegt ist, ist heute Allgemeinwissen, sodass die Klimaerwärmung selbst und nicht erst deren Auswirkungen nachteilig ist.14 Zwar wird die Atmosphäre als Ressource nicht explizit aufgelistet,15 da ErwG 24 sowie Art. 2 UHRL aber nicht abschließend sind,16 wäre es indes möglich, sie als ungeschriebene Ressource aufzunehmen. Dafür herangezogen werden kann, dass laut ErwG 24 auch die „Funktion, die eine natürliche Ressource zum Nutzen einer anderen natürlichen Ressource […] erfüllt“ für Art. 7 bedeutsam ist. Denn die Anreicherung von Treibhausgasen beeinträchtigt die Funktion, die die Atmosphäre für die
*Die Autorin ist Studentin an der Bucerius Law School, Hamburg.
1 Rechtbank den Haag, Urteil v. 26.5.2021, ECLI:NL:RBDHA:2021:5339.
2 Vgl. Kieninger, IPRax 2022, 1 (1 f.).
3 Sofern nicht anders bezeichnet, sind alle Normen oder ErwG solche der Rom II-VO.
4 KOM (2003) 427 endg., S. 21; NK-BGB/von Plehwe, Art. 7 Rn. 1.
5 KOM (2003) 427 endg., S. 22; Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (85).
6 BeckOGK/Huber, Art. 7 Rn. 5; MüKoBGB/Junker, Art. 7 Rn. 4.
7 BeckOGK/Huber, Art. 7 Rn. 4; kritisch: Wagner, IPRax 2008, 1 (9).
8 Vgl. MüKoBGB/Junker, Art. 7 Rn. 2; Matthes, GPR 2011, 146 (149).
9 KOM (2003) 427 endg., S. 21; Matthes, GPR 2011, 146 (148 f.).
10 Zeidler, S. 256.
11 Richtlinie 2004/35/EG (UHRL).
12 BeckOGK/Huber, Art. 7 Rom II-VO Rn. 11; Zeidler, S. 257.
13 Kahl/Weller/Weller/Nasse/Nasse, S. 393; Zeidler, S. 261.
14 Zeidler, S. 261 f.; a.A.: Kieninger, IPRax 2022, 1 (6); König/Tetzlaff, RIW 2022, 25 (30).
15 Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (94); Zeidler, S. 261 f.
16 NK-BGB/von Plehwe, Art. 7 Rn. 7.
Funktionsfähigkeit von beispielsweise Boden oder Wasser übernimmt.17 Um diese Auswirkungen zu erfassen, sollte auch die Atmosphäre eine natürliche Ressource i.S.d Art. 7 darstellen,18 sodass im Ergebnis auch der Klimawandel umweltschädlich ist.19
2. Aus einer Umweltschädigung herrührender Personen- oder Sachschaden
Art. 7 umfasst nicht nur Umweltschäden i.e.S., sondern auch den „aus einer solchen Schädigung herrührenden Personen- oder Sachschaden“.20
In favorem naturae genügt es, wenn diese Schäden aus einer bloßen Umwelteinwirkung, einer sog. „Einwirkung auf dem Umweltpfad“ resultieren,21 denn es wäre verfehlt, anzunehmen, dass nur Schädigungen die Umwelt beeinträchtigen könnten.22 Auch reine Einwirkungen können zu negativen Konsequenzen führen.23 Das von Art. 7 bezweckte hohe Schutzniveau gelingt mithin am besten durch eine weite Auslegung seines Anwendungsbereichs.24 So ist auch das Kausalitätserfordernis zwischen Umwelteinwirkung und Personen- oder Sachschaden weit zu verstehen. Es genügt, wenn zweiter aus ersterem „herrührt“, zwischen ihnen also irgendein ein Zusammenhang besteht.25
Auch Vermögensschäden unterfallen Art. 7,26 wenn sie als Folge eines Umwelteinflusses entstehen.27 Grund hierfür ist erneut das durch Art. 7 verfolgte hohe Umweltschutzniveau sowie die Vorteile für Verfahrensökonomie und Rechtssicherheit bei einer einheitlichen Anknüpfung von Vermögens-, Personen- und Sachschäden.28
III. Ubiquitätsprinzip
Ist der Anwendungsbereich des Art. 7 eröffnet, bestimmt sich das anwendbare Recht nach dem Ubiquitätsprinzip. Demnach kann bei Distanzdelikten sowohl das Recht des Erfolgs- als auch des Handlungsorts zur Anwendung kommen.
1. Regelanknüpfung: Recht des Erfolgsorts
Macht der Kläger von seinem Wahlrecht keinen Gebrauch, ist über die strenge Verweisung in Art. 7 Hs. 1 auf Art. 4 I das Recht am Erfolgsort anwendbar.29
Entscheidend ist damit, wo die Rechtsgutsverletzung bzw. die Verletzung des rechtlich geschützten Interesses eingetreten ist oder einzutreten droht,30 konkret der Ort des Primärschadens.31 Jedenfalls als Primärschäden werden Schädigungen an der Umwelt eingeordnet,32 sowie aufgrund ihrer expliziten Nennung in Art. 7 Individualschäden.33
Sind Primärschäden über mehrere Länder verteilt eingetreten, kommen deren Haftungsregime mosaikartig zur Anwendung, was bei Klimaklagen zur Anwendung einer Unzahl von Rechtsordnungen führen kann.34
2. Wahlrecht des Geschädigten: Recht des Handlungsorts
Abweichend kann der Kläger für das Recht des Handlungsorts, also dem Ort, an dem die Umweltschädigung ganz oder teilweise ausgeführt wurde, optieren.35
Werden Handlungen in verschiedenen Staaten vorgenommen, könnte das anwendbare Recht entweder über eine Schwerpunktbetrachtung bestimmt oder aber vom Kläger gewählt werden.36 Eine einzelne Anknüpfung für jeden Schädiger37 ist i.S.e. einheitlichen Anknüpfung abzulehnen. Für ein Wahlrecht spricht das Ziel des Art. 7, Schädigerverhalten durch Anwendung eines möglichst strengen Haftungsregimes zu steuern.38 Während dieses Ziel bei einer Schwerpunktbetrachtung außen vor bleibt, wird der Kläger es unbewusst verfolgen, indem er das für sich möglichst günstige Recht wählt.
C. Versuch eines gerechten Ausgleichs zwischen Umweltschutz und Rechtssicherheit
I. Problematik des Art. 7 Hs. 1 aus Schädigerperspektive
Wie bereits herausgestellt, führt die strenge Anknüpfung an den Erfolgsort zu einer potenziellen Haftung des Schädigers nach weltweit jeder Rechtsordnung.39 Der Schädiger könnte einem Haftungsregime unterworfen werden, dessen Anwendung für ihn nicht vorhersehbar war.40 Inwiefern dieser Vorwurf haltbar ist, ist insoweit fragwürdig, als der Schädiger sich seines grenzüberschreitenden Handelns bewusst sein wird.41 Allenfalls könnte argumentiert werden, er habe sein Verhalten nicht auf diesen Erfolgsort ausgerichtet.42 Dahinter steht die Befürchtung, einzelne Staaten könnten ein besonders strenges Umwelthaftungsregime einführen,
17 Kahl/Weller/Weller/Nasse/Nasse, S. 392; Zeidler, S. 261 f.
18 Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (94); Zeidler, S. 262.
19 MüKoBGB/Junker, Art. 7 Rn. 12; Zeidler, S. 263.
20 MüKoBGB/Junker, Art. 7 Rn. 11.
21 Kahl/Weller/Weller/Nasse/Nasse, S. 394 f; Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (94); Zeidler, S. 271.
22 Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (94).
23 Zeidler, S. 271.
24 Kahl/Weller/Weller/Nasse/Nasse, S. 394 f; Zeidler, S. 271.
25 Kieninger, IPRax 2022, 1 (6); Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (95); Zeidler, S. 272.
26 MüKoBGB/Junker, Art. 7 Rn. 12; Thorn, Ius Europaneum 52, 139 (157).
27 Juris-PK/Wurmnest, Art. 7 Rn. 37.
28 Zeidler, S. 269.
29 Erman BGB/Stürner, Art. 7 Rn. 10; MüKoBGB/Junker, Art. 7 Rn. 20.
30 NK-BGB/von Plehwe, Art. 7 Rn. 17; Juris-PK/Wurmnest, Art. 7 Rn. 50.
31 EG 17 Rom II-VO; Erman BGB/Stürner, Art. 7 Rn. 10.
32 BeckOK BGB/Spickhoff, Art. 7 Rn. 4; MüKoBGB/Junker, Art. 7 Rn. 20.
33 MüKoBGB/Junker, Art. 7 Rn. 20; Zeidler, S. 275; a.A.: Matthes, GPR 2011, 146 (147).
34 BeckOGK/Huber, Art. 7 Rn. 31; BeckOK BGB/Spickhoff, Art. 7 Rn. 4.
35 Juris-PK/Wurmnest, Art. 7 Rn. 52; Matthes, GPR 2011, 146 (148).
36 Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (96).
37 MüKoBGB/Junker, Art. 7 Rn. 22.
38 BeckOGK/Huber, Art. 7 Rn. 38; a.A.: König/Tetzlaff, RIW 2022, 25 (38); Zeidler, S. 276.
39 Weller/Tran, ZEuP 2021, 573 (595); Zeidler, S. 299.
40 Vgl. Zeidler, S. 299.
41 Matthes, GPR 2011, 146 (148).
42 Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (96); Zeidler, S. 299.
dem durch die Erfolgsortsanknüpfung zu einer weltweiten Geltung verholfen würde.43 Schädiger könnten für eine Tätigkeit haften, die am Handlungsort erlaubt oder sogar gesellschaftlich gewünscht ist.44 Deshalb gibt es Versuche, Haftungsrisiken durch eine Auflockerung der Erfolgsortsanknüpfung zu minimieren und Rechtssicherheit zu erhöhen.45
II. Anwendung der Mosaiktheorie
Eine Einschränkung der Anzahl anwendbarer Rechtsordnungen wird durch die Übertragung der Mosaiktheorie kaum möglich sein, da die überwiegende Zahl der Umwelthaftungsfälle keine Streudelikte darstellen.46 Sollte ein solches ausnahmsweise vorliegen, würde selbst dann eine Anwendung der Mosaiktheorie das Risiko für Schädiger nicht begrenzen, da sie nur die Kognitionsbefugnis der Gerichte beschränkt, nicht aber die potenziell anwendbaren Rechtsordnungen.47
III. Analogie zu Art. 5 I UAbs. II Rom II-VO
Ebenfalls angedacht wird eine analoge Anwendung des Vorhersehbarkeitsvorbehalts aus der Produkthaftung, Art. 5 I UAbs. II.48 Das Recht eines Erfolgsorts würde demnach keine Anwendung finden, soweit der Schädiger einen Schadenseintritt an diesem Ort nicht vorhersehen konnte.49
Zwar könnte eine vergleichbare Interessenslage vorliegen, da in beiden Fällen für Schädiger das Risiko besteht, aufgrund der Globalisierung einerseits oder komplexer Kausalverläufe andererseits, nach einer für sie nicht vorhersehbaren Rechtsordnung haften zu müssen.50
Indes scheitert eine Analogie mangels planwidriger Regelungslücke. Zwar wird in historischer Auslegung zum Teil angeführt, der Gesetzgeber hätte vor allem die Konstellation grenzüberschreitender Emissionen in Nachbarstaaten vor Augen gehabt,51 bei denen die Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts ohnehin durch einen räumlichen Bezug vorläge.52 Jedoch kam es bereits (vor) 2009 zu Umwelt-Streuschäden,53 Klimaklagen in den USA54 sowie zu EU-weiten Diskussionen über den Klimawandel,55 sodass dem Gesetzgeber kein mangelndes Wissen über potenziell globale Umweltschäden unterstellt werden kann.56
Ohnehin wäre fraglich, inwieweit der Vorbehalt tatsächlich eingreifen würde, da sich die meisten Emittenten der weltweiten Auswirkungen ihres Handelns bewusst sein dürften.57
IV. Berücksichtigung ausländischer Genehmigungen
Ein gerechter Ausgleich könnte indes durch die Berücksichtigung ausländischer Genehmigungen erreicht werden. Wird für eine Tätigkeit eine Genehmigung des Belegenheitsstaats erteilt, entfaltet diese neben öffentlich-rechtlichen dort häufig auch privatrechtliche Wirkungen, indem sie deliktische Ansprüche begrenzt oder ausschließt.58 Damit stellt sich bei grenzüberschreitenden Umweltdelikten die Frage, inwiefern auch ausländische Genehmigungen (insbesondere Anlagegenehmigungen) im anwendbaren Deliktsrecht Wirkungen entfalten. Relevant ist dies vor allem bei Unterlassungsansprüchen, wo sogar die Stilllegung der Anlage im Raum steht.59 Eine Antwort darauf findet sich weder in Art. 7 noch seinen ErwG.60 Bei der Anerkennung ausländischer Genehmigungen ist ein Spannungsverhältnis zu navigieren: Während auf der einen Seite der Vertrauensschutz des Klägers in seine Genehmigung steht, sollen auf der anderen Seite erstens ein hohes Umweltschutzniveau und zweitens die Rechte des Klägers gewahrt bleiben.61 Zu unterscheiden ist dabei zwischen drei Sachverhaltskonstellationen.
1. Inländische Genehmigung und ausländisches Erfolgsortsrecht
Erhebt der Geschädigte seine Klage am Handlungsort wegen einer im Ausland eingetretenen Schädigung, kommt, vorbehaltlich seines Wahlrechts, gem. Art. 7 Hs. 1 das Recht des ausländischen Erfolgsorts zur Anwendung.
Die Einheit der Rechtsordnung,62 die Gewaltenteilung,63 und vor allem die Bindung des Richters an Recht und Gesetz, Art. 20 III GG, verlangen, dass in diesem Fall eine inländische Genehmigung auch bei Anwendung ausländischen Erfolgsortrechts Berücksichtigung findet.64 Im Kollisionsrecht lässt sich dieses Ergebnis mit einer Einordnung der Genehmigung als Eingriffsnorm, Art. 16, erreichen, die zwingend zu beachten ist.65
2. Ausländische Genehmigung und ausländisches Handlungsortsrecht
Wird vor den Gerichten des Erfolgsorts geklagt, liegt der Handlungsort aber im Ausland, kann der Kläger über sein Wahlrecht dieses ausländische Recht zur Anwendung bringen.
43 Vgl. Kieninger, IPRax 2022, 1 (6); Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (96 f.).
44 Kieninger, IPRax 2022, 1 (7).
45 Weller/Tran, ZEuP 2021, 573 (595).
46 Zeidler, S. 299.
47 Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (97); Zeidler, S. 300.
48 Weller/Tran, ZEuP 2021, 573 (595).
49 Zeidler, S. 300.
50 Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (107); a.A.: MüKoBGB/Junker, Art. 7 Rn. 20; Zeidler, S. 302.
51 KOM (2003), 427 endg., S. 21.
52 Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (106).
53 Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (46).
54 Bereits 2007 entschied z.B. Supreme Court in Massachussets v. EPA, 549 U.S. 497 (2007), dass die US-Umweltbehörde EPA Emissionen regulieren musste.
55 Zeidler, S. 301 f.
56 Zeidler, S. 302.
57 Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (46); Kieninger, IPRax 2022, 1 (7).
58 MüKoBGB/Junker, Art. 7 Rn. 28; Juris-PK/Wurmnest, Art. 7 Rn. 63.
59 BeckOK BGB/Spickhoff, Art. 7 Rn. 6.
60 Mankowski, IPRax 2010, 389 (390).
61 Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (99); Zeidler, S. 313.
62 Juris-PK/Wurmnest, Art. 7 Rn. 65.
63 Buschbaum, S. 150.
64 MüKoBGB/Junker, Art. 7 Rn. 30; JurisPK/Wurmnest, Art. 7 Rn. 65; a.A.: Buschbaum, S. 150.
65 MüKoBGB/Junker, Art. 7 Rn. 30; Zeidler, S. 310 f.
Auch bei Anwendung des ausländischen Handlungsortsrechts herrscht weitgehend Einigkeit, dass eine Genehmigung aus dieser Rechtsordnung Berücksichtigung findet. Begründet wird dies mit verschiedenen Anknüpfungsideen.66
Abzulehnen ist jedenfalls die Ansicht, welche die privatrechtsgestaltende Wirkung und damit diesen Teil der Genehmigung als Privatrecht und somit von der Verweisung in Art. 7 umfasst qualifiziert.67 Zwar erstrecken sich die Wirkungen einer Genehmigung häufig auch in das Privatrecht, indes sind Ursprung, Erteilung und damit einheitlich die Genehmigung stets öffentlich-rechtlich einzuordnen.68
Plausibler scheint, im Gleichlauf mit der Behandlung inländischer Genehmigungen bei ausländischem Erfolgsortrecht, eine Berücksichtigung über Art. 16.69 Begründen lässt sich dies mit der Einheit der zur Anwendung berufenen Rechtsordnung.70 Allerdings herrscht bzgl. der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen in der Rom II-VO erhebliche Rechtsunsicherheit.71 Ob es möglich ist, ausländische Eingriffsnormen über Art. 16 durchzusetzen, lässt sich dem Wortlaut nicht entnehmen.72 Während einige dies unter Verweis auf das Fehlen einer Parallelvorschrift zu Art. 9 III Rom I-VO ablehnen, plädieren andere für eine analoge Anwendung.73 Eine Lösung über Art. 16 ist deshalb zugunsten größerer Rechtssicherheit abzulehnen.74
Die Anwendbarkeit der Genehmigungen ist vielmehr selbstständig mit der hoheitlichen und territorial gebundenen Geltung des öffentlichen Rechts zu begründen,75 sodass eine ausländische Genehmigung unabhängig des Forumsstaates bei Anwendung des Handlungsortsrechts Berücksichtigung finden muss.76
3. Ausländische Genehmigung und inländisches Erfolgsortsrecht
Liegt der Handlungsort im Ausland und hat der Geschädigte Klage vor den Gerichten des inländischen Erfolgsorts erhoben, richtet sich sein Anspruch, vorbehaltlich seines Optionsrechts, nach dem Recht des Erfolgsorts, Art. 7 Hs. 1. Fraglich ist, ob und unter welchen Voraussetzungen auch bei Auseinanderfallen von anwendbarem Recht und Recht des Erlassstaats eine Genehmigung anerkannt werden soll.
a) Anerkennung einer ausländischen Genehmigung?
aa) Versagung jeglicher Beachtung aufgrund des Territorialitätsprinzips
Vor Einführung der Rom II-VO wurde von der deutschen Rechtsprechung die Beachtung ausländischer Genehmigungen unter dem nationalen IPR, Art. 44 EGBGB, mit Verweis auf das Territorialitätsprinzip abgelehnt.77 Da die Geltung eines Hoheitsaktes auf das Gebiet des Erlassstaats begrenzt sei, entfalteten Genehmigungen als Verwaltungsakte ebenfalls nur innerhalb seiner Grenzen Wirkung.78 Allerdings geht es bei der Berücksichtigung ausländischer Genehmigungen nicht um die Frage der Ausübung von Hoheitsgewalt eines fremden Staates, sondern um die Anwendung von Genehmigungen in privatrechtlichen Streitigkeiten, insoweit es vom Gericht für sachgerecht erachtet wird.79 Dieser Berücksichtigung kraft eigener Hoheitsmacht steht das Territorialitätsprinzip nicht entgegen.80 In diesem Sinne haben auch andere nationale Gerichte bereits entschieden.81 Eine strikte Ablehnung würde letztlich zu einer Entwertung gerichtlicher Entscheidungen für den Kläger führen, indem sie die Wahrscheinlichkeit ihrer Anerkennung im Erlassstaat deutlich verringert.82 Zudem würde der Vertrauensschutz des Schädigers komplett unterlaufen,83 sodass eine Nicht-Berücksichtigung keinen Ausgleich schafft, sondern für beide Seiten nachteilig ist.
bb) Anerkennungspflicht wegen Diskriminierungsverbots
Zwischen den Mitgliedsstaaten der EU könnte darüberhinausgehend aus dem Diskriminierungsverbot in Art. 18 AEUV sogar eine Anerkennungspflicht resultieren.84 Dass die Nichtbeachtung einer Anlagegenehmigung eine Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 18 AEUV darstellt, hat der EuGH in der Temelín II-Rechtssache entschieden.85 Da das Urteil allerdings auf dem Gebiet des Atomrechts erging, das über Art. 1 II lit. f) Rom II-VO von deren Anwendungsbereich ausgenommen ist, lässt sich ihm keine Anerkennungspflicht auch unter der Rom II-VO entnehmen.86
Dennoch könnte für eine Übertragung der Ansätze des EuGHs in das Umwelthaftungsrecht plädiert werden. Fraglich ist aber, ob bei Nichtberücksichtigung einer ausländischen Genehmigung überhaupt eine Diskriminierung i.S.d. Art. 18 AEUV vorliegt. Wie der EuGH folgerichtig argumentiert, wäre ein ausländischer Schädiger stärkeren Ansprüchen ausgesetzt, wenn seine Genehmigung nicht beachtet wird, obwohl eine inländische Wirkung entfalten würde.87 Allerdings muss zusätzlich zwischen Fällen mit In- und Auslandsbezug differenziert werden. Wird in allen Fällen mit reinem Inlandsbezug eine Genehmigung beachtet, in Fällen mit Auslandsbezug nicht, wird Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt.88
66 Zeidler, S. 311.
67 a.A.: NK-BGB/von Plehwe, Art. 7 Rn. 24; Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (49).
68 MüKoBGB/Junker, Art. 7 Rn. 32; Juris-PK/Wurmnest, Art. 7 Rn. 67.
69 MüKoBGB/Junker, Art. 7 Rn. 32.
70 Ebd.
71 Zeidler, S. 311.
72 Vgl. MüKoBGB/Junker, Art. 7 Rn. 32.
73 NK-BGB/Knöfel, Art. 16 Rn. 6; Freitag, NJW 2018, 430 (432).
74 Juris-PK/Wurmnest, Art. 7 Rn. 67; Zeidler, S. 311.
75 Erman BGB/Stürner, Art. 7 Rn. 16; Juris-PK/Wurmnest, Art. 7 Rn. 67; Zeidler, S. 311.
76 Zeidler, S. 311.
77 BGH, B. v. 10.03.1978 – V ZR 73/76, BeckRS 1978, 31117453; OLG Saarbrücken, Urt. v. 22.10.1957 – 2 U 45/57, NJW 1958, 752 (754); Hager, RabelsZ 53 (1989), 293 (302).
78 BGH, B. v. 10.03.1978 – V ZR 73/76, BeckRS 1978, 31117453; Juris-PK/Wurmnest, Art. 7 Rn. 69.
79 Buschbaum, S. 170 f; Matthes, GPR 2011, 146 (150).
80 Ebd; Althammer, S. 9 (17); Rüppell, S. 126.
81 Rechtbank Rotterdam v. 16.12.1983 – 3789/77; OLG Linz v. 15.06.1987 – 4 R 93, 84/87.
82 Althammer, S. 9 (17); Grazinao, RabelsZ 73 (2009), 1 (49).
83 Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (99); Zeidler, S. 313.
84 Vgl. Zeidler, S. 313.
85 EuGH, Urt. v. 27.10.2009 – C-115/08, EuZW 2010, 26 (30).
86 Juris-PK/Wurmnest, Art. 7 Rn. 70; Zeidler, S. 313.
87 EuGH, Urt. v. 27.10.2009 – C-115/08, EuZW 2010, 26 (30).
88 Matthes, GPR 2011, 146 (150); im Ergebnis auch: Mankowski, IPRax 2010, 389 (293).
Als Zwischenfazit festhalten lässt sich mithin, dass weder eine strikte Ablehnung, noch eine vollständige Anerkennung geboten ist.89 Eine bedingungslose Durchsetzung einerseits könnte das Ziel des Art. 7, den Schutz der Umwelt, durchkreuzen, indem ein Schädiger durch die Berücksichtigung seiner Genehmigung indirekt dennoch von den niedrigeren Schutzstandards seines Handlungsorts profitieren könnte (race to the bottom)90 und außerdem die Rechte des Geschädigten, die im Genehmigungsverfahren eventuell überhaupt kein Gehör erfahren haben, beschneiden.91 Eine generelle Nicht-Beachtung andererseits wäre mit dem Vertrauensschutz des Schädigers unvereinbar92 und aufgrund der sehr wahrscheinlichen Ablehnung der Vollstreckung unter Berufung auf den ordre public zudem wenig sinnvoll.93 Somit bedarf es einer offen ausgestalteten Berücksichtigungsmöglichkeit, um diesen Konflikt im Einzelfall gerecht aufzulösen.94
cc) Kollisionsrechtliche Berücksichtigung über Art. 17 Rom II-VO
Eine solche könnte sich in der für Ermessen offenen Vorschrift des Art. 17 finden.95 Er soll gerade der „Wahrung eines angemessenen Interessensausgleichs zwischen den Parteien“ dienen.96 Eine Genehmigung müsste dann von Gerichten „soweit angemessen“ einbezogen werden.97
Fraglich ist aber, ob Art. 17 nicht nur eine für die Problematik passende Rechtsfolge bietet, sondern auch seine Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind.
Auf den ersten Blick bietet sich Art. 17 an, denn er soll die Einbeziehung lokaler Standards sicherstellen.98 Diese Möglichkeit sah auch die Kommission in ihrer Begründung zum Vorschlag für die Rom II-VO.99 In den finalen Gesetzesmaterialien findet die Idee zwar keine Erwähnung mehr, stattdessen nimmt ErwG 34 Bezug auf Straßenverkehrsregeln. Daraus lässt sich aber nicht schließen, die Norm gelte nur für Ge- oder Verbote, wie lokale Verkehrsregeln, nicht aber für reine Handlungsmöglichkeiten wie Genehmigungen.100 Dagegen spricht schon der Wortlaut des ErwG, der mit Straßenverkehrsregeln nur einen Anwendungsbereich beispielhaft erwähnt,101 die Norm aber weiterhin allgemein für Sicherheits- und Verhaltensregeln gültig erklärt.102
Auch die Kritik, dass Art. 17 eine Kollisionsnorm sei und deswegen nur auf Rechtsnormen, nicht aber auf Verwaltungsakte verweise,103 geht fehl. Art. 17 spricht von Regeln. Im Umwelthaftungsrecht wird durch das Genehmigungsverfahren der abstrakte gesetzliche Rahmen auf den Einzelfall angewandt. Die Grenzen einer Genehmigung stellen damit eine für den jeweiligen Schädiger konkretisierte Verhaltensregel und damit eine Regel i.S.d. Verordnung dar.104
Ferner wird eingewandt, dass eine Berücksichtigung von Genehmigungen die Grenze zwischen Kollisions- und Anerkennungsrecht verwische. Man würde nicht nur das Recht eines anderen Staates anwenden, sondern die erlaubende Wirkung einer behördlichen Einzelfallentscheidung übertragen.105 Dies würde aber voraussetzen, dass es bei Art. 17 systemwidrig um die Wirkungsanerkennung einer Genehmigung geht. Gerade dies ist nicht der Fall, da nur die privatrechtliche Wirkung als Tatbestandselement faktisch Berücksichtigung findet.106
Im Ergebnis unterfällt somit die Beachtung von Genehmigungen dem Anwendungsbereich des Art. 17.
Erwähnt werden muss allerdings, dass eine Berücksichtigung über Art. 17 versagt, wenn, wie im Shell-Urteil,107 der Sitz des Unternehmens als Handlungsort angesehen wird. Denn eine Genehmigung, die Tochtergesellschaften außerhalb des Sitzstaates von einem dritten Staat erteilt wurde, würde dann, da Art. 17 nur auf das Recht des Handlungsorts verweist, automatisch unbeachtlich.108 Damit würde sich dem Zufall bzw. sogar dem Geschädigten die Möglichkeit eröffnen, durch das Wahlrecht eine Berücksichtigung der Genehmigung von vorneherein auszuschließen. Hier sollte der EU-Gesetzgeber tätig werden.109
b) Voraussetzung einer Berücksichtigung
Vorgelagert steht die Frage, ob Art. 17 nur Anwendung finden sollte, wenn der Schädiger einen Schadenseintritt am Erfolgsort nicht vorhersehen konnte.110 Begründet wird diese Einschränkung mit seiner Schutzwürdigkeit. Habe er mit der Anwendung des Erfolgsortsrechts gerechnet, sei er nicht schutzwürdig.111 Dem ist nicht zuzustimmen; eine Schutzwürdigkeit des Schädigers ergibt sich schon aus seinem Vertrauen in die erteilte Genehmigung.112
Damit bedarf es zugunsten von Vorhersehbarkeit113 einer weiteren Konkretisierung, wie das von Art. 17 eröffnete tatrichterliche114 Ermessen auszufüllen ist. Herrschend vorgeschlagen wird, das Ermessen dann zugunsten einer Genehmigung auszuüben, wenn sie Völkerrecht
89 Matthes, GPR 2011, 146 (150); Zeidler, S. 314.
90 Althammer, S. 9 (18); Rüppell, S. 186.
91 Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (99); Zeidler, S. 313 f.; Rüppell, S. 186 f.
92 Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (99).
93 Rüppell, S. 126.
94 Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (100).
95 Mankowski, IPRax 2010, 389 (390); Zeidler, S. 316.
96 ErwG 34; Keßenich, S. 50 ff.
97 Matthes, GPR 2011, 146 (150).
98 KOM (2003), 427 endg., S. 28; MüKoBGB/Junker, Art. 7 Rn. 36.
99 KOM (2003), 427 endg., S. 22; im Ergebnis auch: Dicksinson, S. 442 Rn. 7.29; Keßenich, S. 121; Rüppell, S. 164.
100 a.A.: NK-BGB/von Plehwe, Art. 7 Rn. 23; Matthes, GPR 2011, 146 (151).
101 ErwG 34.
102 Juris-PK/Wurmnest, Art. 7 Rn. 71; Keßenich, S. 58; a.A.: Mankowski, IPRax 2010, 389 (391).
103 Mankowski, IPRax 2010, 389 (391).
104 Kahl/Weller/Weller/Nasse/Nasse, S. 396; Rüppell, S. 174.
105 Mankowski, IPRax 2010, 389 (391).
106 Rüppell, S. 172.
107 Rechtbank den Haag, Urt. v. 26.5.2021, ECLI:NL:RBDHA:2021:5339, Rn. 4.3.6.
108 Kieninger, IPRax 2022, 1 (8).
109 Mankowski, IPRax 2010, 389 (395).
110 Matthes, GPR 2011, 146 (151).
111 Rüppell, S. 182.
112 Keßenich, S. 97.
113 Rüppell, S. 189.
114 Keßenich, S. 83 ff.; Rüppell, S. 187 ff.
achtet (Völkerrechtsvorbehalt), ihre Voraussetzungen und Grenzen im Wesentlichen mit denen des Erfolgsortsrechts vergleichbar sind (Äquivalenzerfordernis) sowie die Rechte von Betroffenen im In- und Ausland Gehör fanden (Partizipationserfordernis).115 Teilweise wird zudem eine ausreichende Einbeziehung des Umweltschutzes im Genehmigungsverfahren gefordert (Umweltschutzerfordernis).116
Dass ein Staat sich bei der Erteilung einer Genehmigung i.R. völkerrechtlicher Grenzen hält, ist nötig, um ein für den Nachbarstaat nachteiliges automatisches Überwirken der Genehmigung zu verhindern.117 Das Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen oder Informations- und Konsultationspflichten der Staaten untereinander sind Beispiele hierfür.118
Zugunsten eines hohen Umweltschutzniveaus, Art. 191 AEUV, darf ein Schädiger sich zudem nur auf seine Genehmigung verlassen, wenn sie den (möglicherweise) strengeren Regeln des Erfolgsortrechts entspricht.119 Entscheidend sollte eine funktionale Gleichwertigkeit, also eine vergleichbare Funktion bzgl. Gefahrenabwehr und Risikovorsorge, sein.120 Eine funktionale Äquivalenz entspricht einem Ausgleich zwischen den Interessenspolen in Umwelthaftungsfällen. Ausgefüllt werden könnte der Begriff der Gleichwertigkeit gegebenenfalls über einen Rückgriff auf andere Regeln des EU-Primärrechts, wie die der Warenverkehrsfreiheit in Art. 25 AEUV.121
Zusätzlich ist zu verlangen, dass vom zuständigen Gericht geprüft wird, ob im Genehmigungsverfahren Aspekte des Umweltschutzes einbezogen wurden.122 Denn ein pauschaler Verweis des Geschädigten darauf, der Erlassstaat habe die Folgen der umweltschädigenden Tätigkeit gegen ihren gesellschaftlichen Nutzen bereits abgewogen,123 ist aufgrund der möglicherweise bis zum Anspruchsausschluss reichenden Folgen einer Berücksichtigung abzulehnen.124
Aufgrund des – in Deutschland in Art. 103 I GG verbürgerten – Anspruchs auf rechtliches Gehör, kann eine Genehmigung weiterhin nur dann Beachtung erfahren, wenn im Genehmigungsverfahren auch Betroffenen, die keinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz im Erlassstaat haben, eine Möglichkeit zur Beteiligung eröffnet wurde.125 Andererseits käme es zu einer unionsrechtswidrigen Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, Art. 18 I AEUV, würde eine Person, obwohl sie im gleichen Umkreis der Anlage wohnt, im Gegensatz zu Personen im Inland, nicht einbezogen.126 Innerhalb Europas und teilweise darüber hinaus wurden mit der Aarhus, -sowie der Espoo-Konvention der UNECE bereits Ansätze geschaffen, (grenzüberschreitende) Informations- und Beteiligungsrechte sicherzustellen.127 Außerdem sollte das Verfahren rechtsstaatliche Grundsätze erfüllen.128
Ob von diesem Erfordernis bei Fällen der Klimahaftung eine Ausnahme zu machen ist, ist strittig.129 Während eine Verfahrensbeteiligung für Nachbarstaatskonstellationen eine sinnvolle Lösung darstellt, ist sie nicht auf die globale Konstellation der Klimaschäden zugeschnitten.130 Die Voraussetzung eines Verfahrens mit globaler Beteiligung würde eine grenzüberschreitende Wirkung einer Genehmigung faktisch unerreichbar machen,131 sodass eine Einschränkung, möchte man eine Genehmigung nicht komplett entwerten, notwendig ist. Denkbar ist eine Begrenzung auf Staaten, in denen ein Schadenseintritt für den Schädiger vorhersehbar war. Dieses Kriterium ist aber hochgradig unbestimmt und könnte entweder als die Vorhersehbarkeit globaler Schadenseintritte im Allgemeinen oder als die Vorhersehbarkeit der konkret eingetretenen Schadensart an einem konkreten Ort verstanden werden. Sinnvoller scheint, die direkte Beteiligung von Betroffenen durch Vertreter vulnerabler Gruppen zu substituieren, wobei ein solches Verfahren indes erst etabliert werden müsste.132 Bis dahin scheint es am besten, auf das vorherige Erfordernis zurückzufallen und im Rahmen dieser Prüfung zu fordern, dass die weltweiten Auswirkungen der schädigenden Tätigkeit in die Abwägung eingepreist wurden.
c) Wirkungen beachtlicher Genehmigungen
Art. 17 ordnet eine faktische Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln an. Wirkung entfaltet eine Genehmigung demnach als sog. Datum,133 und damit ausschließlich als Tatbestandselement im Rahmen des Erfolgsortsrechts.134 Dessen Regelungen entscheiden, inwiefern eine Genehmigung berücksichtigt wird und welche Rechtsfolgen an ihr Vorliegen geknüpft werden.135 Angedacht werden könnte allenfalls zugunsten des Umweltschutzes eine Beschränkung der haftungsausschließenden Folgen der Genehmigung auf solche, die ihr auch nach dem Recht des Erlassstaats zugesprochen würden.136 Schließlich wird der Schädiger nur auf die Wirkung der Genehmigung vertrauen, die ihm durch den Erlassstaat in Aussicht gestellt wurde.
115 Für viele: MüKoBGB/Junker, Art. 7 Rn. 36; Juris-PK/Wurmnest, Art. 7 Rn. 72; Kieninger, IPRax 2022, 1 (8f.).
116 Vgl. Kieninger, IPRax 2022, 1 (8).
117 Mankowksi, IPRax 2010, 389 (391); Matthes, GPR 2011, 146 (151); Hager, RabelsZ 53 (1989), 293 (312 f.).
118 Hager, RabelsZ 53 (1989), 293 (315); Epiney, JuS 2003, 1066.
119 Matthes, GPR 2011, 146 (151).
120 NK-BGB/von Plehwe, Art. 7 Rn. 24; Matthes, GPR 2011, 146 (151); Mankowski, IPRax 2010, 389 (392).
121 Mankowski, IPRax 2010, 389 (392); EuGH, Urt. v. 8.11.1997 – Rs. 251/78.
122 Vgl. Rechtbank den Haag, Urt. v. 26.5. 2021, ECLI:NL:RBDHA:2021:5339, Rn. 4.4.48; Kieninger, IPRax 2022, 1 (8); Zeidler, S. 317.
123 Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (100).
124 Vgl. Kieninger, IPRax 2022, 1 (8).
125 Für viele: BeckOGK/Huber, Art. 7 Rn. 66; Nassr-Esfahani, S. 135; Rüppel, S. 200.
126 Mankowski, IPRax 2010, 389 (391); Matthes, GPR 2011, 146 (151).
127 Thorn, Ius Europaneum 52, 139 (162); ´Rüppell, S. 213 ff.
128 Mankowski, IPRax 2010, 389 (391); Rüppel, S. 200; Zeidler, S. 316.
129 Kieninger, IPRax 2022, 1 (9).
130 Lehmann/Eichel, RabelsZ 83 (2019), 77 (100); Zeidler, S. 317.
131 Kieninger, IPRax 2022, 1 (9); Weller/Tran, ZEuP 2021, 573 (596 f.).
132 Ebd.
133 BeckOGK/Huber, Art. 7 Rn. 66; die Verwendung des Begriffs ist allerdings umstritten; siehe: Harms.
134 Zeidler, S. 319; Diehl, S. 172 f; Rüppell, S. 178.
135 Dickinson, S. 442 Rn. 7.29; Weller/Tran, ZEuP 2021, 573 (596 f.); Rüppell, S. 177 f.
136 Vgl. Thorn, Ius Europaneum 52; 139 (163).
D. Ergebnis
Art. 7 dient der Umsetzung des von Art. 191 AEUV gesteckten Ziels eines hohen Umweltschutzniveaus. Sein Anwendungsbereich ist deshalb möglichst weit auszulegen und umfasst insbesondere auch Schäden durch den Klimawandel. Aus gleichem Grund ist auch die Privilegierung des Geschädigten zumindest im Grundsatz gerechtfertigt, da der Schädiger nur so angehalten wird, sein Handeln an möglichst strengen Standards auszurichten und law-shopping effektiv entgegengewirkt wird.
Dass damit allerdings unkalkulierbare Haftungsrisiken und Rechtsunsicherheit für den Schädiger miteinhergehen, kann nicht außenvorbleiben. Einen guten Interessenausgleich ermöglicht die Berücksichtigung ausländischer Genehmigungen. Dies erlaubt in favorem naturae die Anwendung des strengsten Haftungsregimes bei gleichzeitiger Wahrung des Vertrauensschutzes des Schädigers in eine, ihm genehmigte, Tätigkeit.