Verfassungskonformität der Erbschaftsbesteuerung von Unternehmensvermögen

A. Problemaufriss und Zielsetzung

Am 17.12.2014 erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)1 zum dritten Mal2 das Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) mit Blick auf die Begünstigung von Unternehmensvermögen für unvereinbar mit dem Grundgesetz.3 Nach einem politisch konfliktanfälligen Gesetzgebungsprozess verkündete der Gesetzgeber zum 04.11.2016 im Rahmen einer „minimalinvasiven“4 Reform ein neues ErbStG. Herzstück dieser Reform sind die bemängelten Verschonungsregeln für Unternehmensvermögen.

Trotz der angestrebten Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung regte sich auch an ihr zahlreiche Kritik.5 Einige Kommentatoren prophezeien gar einen vierten erfolgreichen Gang zum BVerfG.6 Als Folge der „Veröffentlichungsflut“7 sind die vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken mittlerweile so zahlreich und ihre Ausführungen nicht nur auf einzelne Vorschriften beschränkt, sondern meist ganze Normenkomplexe umfassend,8 dass eine Erörterung der verfassungsrechtlichen Unstimmigkeiten im strikten Korsett einzelner Normen wenig sinnvoll erscheint.

Die Frage nach der Verfassungskonformität des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts im Hinblick auf die Begünstigung von Unternehmensvermögen betrifft im Schwerpunkt die §§ 13a, 13b, 13c und 28a ErbStG. Diese vereinen die wesentlichen Regelungen für Steuerverschonungen im Rahmen der Übertragung von Betriebsvermögen. Neben diesem normativen Kernkomplex werden weitere Vorschriften wie § 19 ErbStG als Klammernorm zur Berechnung der Steuerlast oder § 28 ErbStG als allgemeine Stundungsregel in das Feld der Begünstigung von Unternehmensvermögen miteinbezogen. Zudem ordnet § 37 Abs. 12 ErbStG die rückwirkende Anwendung dieser zentralen Paragraphen an. Die folgende Untersuchung wird sich sowohl mit Fehlern in einzelnen Normen, als auch mit den Regelungen zur Begünstigung von Unternehmensvermögen als Gesamtheit befassen.

Im Folgenden sollen daher die wichtigsten betroffenen Verfassungsprinzipien als Ordnungspunkte dienen, um die Verfassungskonformität des ErbStG im Hinblick auf die Begünstigung von Unternehmensvermögen zu beurteilen.

B. Regelungstechnik im Überblick

Zur Illustration der aktuellen Regelungstechnik bei der Begünstigung von Unternehmensvermögen im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht soll folgendes Beispiel dienen:

Antonia (A) erbt von ihrem Vater (V) 100 % der Anteile am familieneigenen Möbelfertigungsunternehmen (M-KG). Die M-KG beschäftigt 50 Mitarbeiter. A verfügt nicht über Privatvermögen. Der Wert der Anteile stellt vollständig begünstigtes Vermögen dar (Verwaltungsvermögensquote: 5 %) und beträgt:

a) 15 Millionen Euro.

b) 50 Millionen Euro.

c) 100 Millionen Euro.

Entscheidend für die Beurteilung eines solchen Falles sind die §§ 13a, 13b, 13c und 28a ErbStG. Sie bilden die zentralen Vorschriften zur Gewährung von Begünstigungen für Unternehmensvermögen im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht.9Systematisch fungieren die §§ 13a und 13c ErbStG als Normen zur Gewährung verschiedener Steuerverschonungen, die je nach Größe des übergegangenen begünstigten Vermögens unterschiedlich hoch ausfallen. Dabei lassen sich insoweit vier Varianten identifizieren:10

\begin \item § 13a Abs. 1 ErbStG gewährt einen 85-prozentigen Verschonungsabschlag auf das begünstigte Vermögen, wenn der Erwerb die Grenze von 26 Millionen Euro nicht übersteigt (Regelverschonung11).12


* Der Autor ist Student an der Bucerius Law School, Hamburg. Der nachfolgende Artikel stellt eine stark verkürzte Version der Examensseminararbeit zum Thema „Verfassungskonformität der Erbschaftsbesteuerung von Unternehmensvermögen“ dar. Die vollständige Version widmet sich weiteren konfliktträchtigen Problemfeldern des ErbStG, siehe Tann, Verfassungskonformität der Erbschaftsbesteuerung von Unternehemensvermögen, 2017.

1 Vgl. BVerfG, Urteil v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12 –, BVerfGE 138, 136 = BStBl. II 2015, 50.

2 1. Urteil: BVerfG, Beschluss v. 22.06.1995 – 2 BvR 552/91 –, BVerfGE 93, 165 = BStBl. II 1995, 671; 2. Urteil: BVerfG, Beschluss v. 07.11.2006 – 1 BvL 10/02 –, BVerfGE 117, 1 = BStBl. II 2007, 192; 3. Urteil: BVerfG v. 17.12.2014 (Fn. 1).

3 Vgl. BVerfG v. 17.12.2015 (Fn. 1), juris-Rn. 285 ff.

4 So die Ankündigung des Abteilungsleiters Sell des Bundesministeriums für Finanzen (BMF), siehe: Riedel, Handelsblatt, 08.01.2015.

5 Exemplarisch: Thonemann-Micker, DB 2016, 2322; Korezkij, DStR 2017, 745 ff.; Maier, ZEV 2017, 17; Wachter, FR 2016, 710 f.; Wartrin/Linnemann, DStR 2017, 574.

6 Dahingehend: Oppel, SteuK 2016, 477; Roth, GWR 2017, 96; Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2434.

7 Vgl. Korezkij, DStR 2017, 745.

8 Vgl. Seer/Michalkowski, GmbHR 2017, 614 f.; Seer, GmbHR 2015, 113 ff.; zur „Mehrfachprivilegierung“: Erkis, DStR 2016, 1447.

9 Vgl. Geck, in: Kapp/Ebeling (Hrsg.), ErbStG72, 2017, Vor §§ 13a, 13b, 13c Rn. 1 ff.; Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk (Hrsg.), ErbStG52, 2017, § 13a Rn. 16, 21; Crezelius, ZEV 2016, 543; Thonemann-Micker, DB 2016, 2312; zur Verwaltungspraxis: Koordinierter Ländererlass v. 22.07.2017, Abschnitt 13a.1 Abs. 1 S. 1.

10 Anmerkung: Die nachfolgenden Regelungen finden auf alle Erwerbsvorgänge nach § 1 ErbStG Anwendung, soweit eine Ausnahme im Text nicht aufgezeigt wird.

11 Zur Terminologie: Geck, in: Kapp/Ebeling (Fn. 9), ErbStG, § 13a Rn. 1; Höne, in: Lipprosse/Seibel (Hrsg.), ErbStG, § 13a ErbStG Rn. 3; Burwitz/Wobst, NZG 2016, 1179; Crezelius, ZEV 2016, 543.

12 § 13a Abs. 1 S. 1 ErbStG; Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk (Fn. 9), ErbStG, § 13a Rn. 46; Erkis, DStR 2016, 1445; Crezelius, ZEV 2016, 545; Haas, ZAP 2017, 634.

Tann, Verfassungskonformität der Erbschaftsbesteuerung von Unternehmensvermögen105

\item § 13a Abs. 9 ErbStG gewährt einen bis zu 30-prozentigen Vorababschlag auf das begünstigte Vermögen, wenn bestimmte Entnahme-, Übertragungs- und Abfindungsbeschränkungen im Gesellschaftsvertrag vorgesehen sind.13Die Bestimmungen sollen nach der Vorstellung des Gesetzgebers insbesondere Familienunternehmen den Generationenübergang erleichtern.14 Begrenzt ist der Vorababschlag auf maximal 30 %.15 Weitergehende Bedingungen, etwa die Einhaltung einer Lohnsumme nach § 13a Abs. 3 oder Abs. 10 ErbStG oder die Einhaltung einer Wertgrenze, sind nicht zu erfüllen. \item § 13a Abs. 10 ErbStG gewährt einen 100-prozentigen Verschonungsabschlag auf das begünstigte Vermögen, wenn der Erwerb die Grenze von 26 Millionen Euro nicht übersteigt und das begünstigungsfähige Vermögen zu höchstens 20 % aus Verwaltungsvermögen besteht (Optionsverschonung).16 Für die Optionsverschonung gelten darüber hinaus eine verschärfte Lohnsummenregelung17 und eine Behaltensfrist18. \item § 13c ErbStG gewährt einen „abschmelzenden“ Verschonungsabschlag auf das begünstigte Vermögen, wenn die Freigrenze von 26 Millionen Euro überschritten wird und die sonstigen Voraussetzungen aus § 13a Abs. 1 oder Abs. 10 ErbStG erfüllt sind.19 Ein entsprechender Abschlag wird nur bis zur Grenze von 90 Millionen Euro an begünstigtem Vermögen gewährt (im Fall des § 13a Abs. 10 ErbStG).20 \end

Für den vorliegenden Beispielsfall bedeutet dies: A könnte bei a) die Regel- und die Optionsverschonung in Anspruch nehmen. Im Fall b) könnte A einen abgeschmolzenen Verschonungsabschlag wählen. Für beide Fälle gilt, dass A die jeweiligen Lohnsummen- und Behaltenserfordernisse einhalten muss. Darüber hinaus könnte A in allen drei Fällen einen Vorababschlag erhalten, sofern der Gesellschaftsvertrag der M-KG entsprechende Beschränkungen im Sinne des § 13a Abs. 9 ErbStG enthält.

Für die Konstellation c) (begünstigtes Vermögen in Höhe von 100 Millionen Euro) wurde § 28a ErbStG im Zuge der Erbschaftsteuerreform 2016 geschaffen. § 28a ErbStG erfasst solche Fälle, in denen der Erwerb die Grenze von 26 Millionen Euro überschreitet und eine abschmelzende Verschonung nach § 13c ErbStG nicht vorteilhaft ist oder die Grenze von 90 Millionen Euro überschritten wird und damit keine Verschonung nach den § 13a Abs. 1 oder Abs. 10 ErbStG möglich ist.21 Voraussetzung für den Steuererlass ist der Nachweis durch den Erwerber, dass er persönlich nicht in der Lage ist, die anfallende Steuer aus seinem verfügbaren Vermögen zu begleichen.22 Verfügbares Vermögen wiederum entspricht 50 % des im Zuge der Schenkung oder Erbschaft übergegangenen Vermögens oder des dem Begünstigten bereits zugehörigen Vermögens, soweit nicht begünstigtes Vermögen nach § 13b Abs. 2 ErbStG vorliegt.23 Entsprechend könnte A im Fall c) eine Verschonungsbedarfsprüfung beantragen. Da A über kein Privatvermögen verfügt, würde in diesem Fall eine Verschonung gewährt werden.24 Gleiches gilt für eine optionale Prüfung im Fall b).

Zusammengefasst stellt sich die Systematik der Begünstigungsnormen wie folgt dar: § 13a ErbStG ermöglicht die Regel- und Optionsverschonung für Erwerbe bis zu 26 Millionen sowie einen Vorababschlag für Unternehmen mit bestimmten gesellschaftsvertraglichen Beschränkungen. § 13c ErbStG eröffnet eine abschmelzende Begünstigung für Erwerbe von mehr als 26 Millionen Euro und höchsten 90 Millionen Euro. § 28a ErbStG greift für alle Erwerbe über 26 Millionen Euro ein und ermöglicht einen Erlass der Erbschaftsteuer. § 13b ErbStG liefert die notwendigen Berechnungsschemata und Definitionen zur Prüfung der Voraussetzungen der vorhergehenden Normen. § 28 ErbStG schafft die Möglichkeit einer Stundung der anfallenden Erbschaftsteuer. § 37 Abs. 12 ErbStG deklariert die rückwirkende Anwendung unter anderem der Vorschriften zur Begünstigung von Unternehmensvermögen.

C. Ausgewählte verfassungsrechtliche Konfliktfelder

Im Rahmen der verkürzten Darstellung dieses Aufsatzes wird ein Fokus auf die verfassungsrechtlichen Probleme der Verständlichkeit und Normenklarheit (C. I.) sowie der Steuergerechtigkeit gelegt (C. II.). Über die hier dargestellten Konfliktfelder hinaus bestehen jedoch insbesondere Problemschwerpunkte bei der Rückwirkung des § 37 Abs. 12


13 § 13a Abs. 9 ErbStG; Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk (Fn. 9), ErbStG, § 13a Rn. 475; Geck, in: Kapp/Ebeling (Fn. 9), ErbStG, § 13a 195 f.; Reich, DStR 2016, 2447; Wartenburger, MittBayNot 2017, 225.

14 Vgl. Geck, in: Kapp/Ebeling (Fn. 9), ErbStG, § 13a Rn. 187 ff.; Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk (Fn. 9), ErbStG, § 13a Rn. 473; Roth, GWR 2017, 95; vgl. BT-Drs. 18/8911, 38.

15 § 13a Abs. 9 S. 3 ErbStG; Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk (Fn. 9), ErbStG, § 13a Rn. 487; Moench/Weinmann, Erstkommentierung ErbStG, § 13a Rn. 54; Thonemann-Micker, DB 2016, 2313; Wartenburger, MittBayNot 2017, 225.

16 § 13a Abs. 10 ErbStG; Höne, in: Lipprosse/Seibel (Fn. 11), ErbStG, § 13a Rn. 3, 6; Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk (Fn. 9), ErbStG, § 13a Rn. 505; Erkis, DStR 2016, 1445; Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425.

17 Vgl. § 13a Abs. 10 Nr. 5, 6 ErbStG; Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk (Fn. 9), ErbStG, § 13a Rn. 58, 69 f.; Söffing, in: Götz/Meßbacher-Hönsch (Hrsg.), ErbStG, 2017, § 13a Rn. 85; Burwitz/Wobst, NZG 2016, 1179; Erkis, DStR 2016, 1445.

18 Vgl. § 13a Abs. 8 Nr. 2 ErbStG; Söffing, in: Götz/Meßbacher-Hönsch (Fn. 17), § 13a Rn. 163; Haas, ZAP 2017, 636 f.

19 § 13c Abs. 1 ErbStG; Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk (Fn. 9), ErbStG, § 13c Rn. 1; Geck, in: Kapp/Ebeling (Fn. 9), ErbStG, § 13c Rn. 1 ff.; Crezelius, ZEV 2016, 545; Oppel, SteuK 2016, 475.

20 § 13c Abs. 1 S. 2 ErbStG; Geck, in: Kapp/Ebeling (Fn. 9), ErbStG, § 13c Rn. 9; Höne, in: Lipprosse/Seibel (Fn. 11), ErbStG, § 13c Rn. 12; Burwitz/Wobst, NZG 2016, 1179; Erkis, DStR 2016, 1445.

21 Vgl. Eisele, in: Kapp/Ebeling (Fn. 9), ErbStG, § 28a Rn. 2; Moench/Weinmann (Fn. 15), § 28a Rn. 1; Erkis, DStR 2016, 1445; Wartenburger, MittBayNot 2017, 226.

22 Vgl. § 28a Abs. 1 S. 1 ErbStG; Jülicher, in: Troll\slash Gebel\slash Jülicher\slash Gottschalk (Fn. 9), ErbStG, § 28a Rn. 4; Oppel, SteuK 2016, 469; Theuffel-Werhahn, ZEV 2017, 17.

23 Vgl. § 28a Abs. 2 ErbStG; Eisele, in: Kapp/Ebeling (Fn. 9), ErbStG, § 28a Rn. 7; Jochum, in: Götz/Meßbacher-Hönsch (Fn. 17), ErbStG, § 28a Rn. 25; Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2432; Wartrin/Linnemann, DStR 2017, 570.

24 Anmerkung: § 28a ErbStG ist ermessensunabhängig auszuführen: vgl. Stalleiken, in: von Oertzen/Loose (Hrsg.), ErbStG1, 2017, § 28a Rn. 2.

Tann, Verfassungskonformität der Erbschaftsbesteuerung von Unternehmensvermögen106

EStG,25 im Hinblick auf ein strukturelles Vollzugsdefizit,26 mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip,27 hinsichtlich einer verdeckten Vermögensbesteuerung,28 bei der Besteuerung von Null- oder negativerwerben29 sowie bei der Einschränkung der Rechtsformneutralität30 und mit Blick auf die Benachteiligung von Einzelunternehmern31 und Frauen32 .33

I. Verständlichkeit und Normenklarheit

1. Problemorientierter Überblick

Die im Rahmen der Erbschaftsteuerreform abgeänderten Vorschriften zur Begünstigung von Unternehmensvermögen im ErbStG sind weitreichender Kritik hinsichtlich der Verständlichkeit und Normenklarheit ausgesetzt.34 Betrachtet man einzelne Vorschriften wie § 13b Abs. 2 S. 235 oder Abs. 4 Nr. 5 S. 4 ErbStG, die bereits sprachlich schwer zu entziffern sind,36 und nimmt man die zahlreichen unterschiedlichen Berechnungsmodelle hinzu, die im Schrifttum kursieren,37 verwundert die Kritik an der fehlenden Verständlichkeit und Normenklarheit nicht.

2. Verfassungsmaßstab

Um überkomplexen Regelungen Einhalt zu gebieten, zeigt der Grundsatz der Normenklarheit – oder auch der Bestimmtheitsgrundsatz im weiteren Sinne –38 Grenzen der gesetzlichen Unbestimmtheit auf.39 In Extremfällen kann eine unverständliche und unklare Norm daher verfassungswidrig sein.40

Der aktuelle Stand der Dogmatik zum Gebot der Normenklarheit stützt sich auf folgende Erkenntnis: Die Befolgung einer unverständlichen Norm kann nicht verlangt werden.41 Auch hier gilt der Grundsatz: ultra posse nemo obligatur. Diese Erkenntnis geht aus dem Rechtsstaatsprinzip und damit aus einer Zusammenschau der Art. 20, 28 Abs. 1 GG und dem Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1, 2 GG hervor.42

Der Grad der geforderten Bestimmtheit lässt sich nicht absolut bestimmen, sondern erfordert eine Annäherung im Einzelfall.43 Faktoren können unter anderem die Komplexität des zu regelnden Sachverhalts,44 die Schwere des Grundrechtseingriffs45 oder der Verständnishorizont der Betroffenen46 sein. Zu beachten ist auch, dass sich Präzision und Verständlichkeit im Grundsatz konträr verhalten und damit ein Ausgleich im Wege der praktischen Konkordanz zwischen beiden Anforderungen zu suchen ist.47 Damit fordert der Grundsatz der Normenklarheit im Steuerrecht die Gewährleistung eines Mindestmaßes an Orientierungssicherheit.48 Dabei ist eine hinreichende Bestimmtheit und Klarheit der Norm und der damit unmittelbar zusammenhängenden Vorschriften zu fordern.49 Ein Verstoß gegen die gebotene Normenklarheit wird vom BVerfG indes nur selten und in extremen oder evidenten Fällen festgestellt,50 um den Gesetzgeber im Rahmen der richterlichen Selbstbeschränkung keiner Stilkontrolle zu


25 Einführend: Crezelius, ZEV 2016, 543; Wachter, FR 2016, 710; Thonemann-Micker, DB 2016, 2322.

26 Einführend: Lüdicke, in: ifst-Stellungnahmen, 82; Rödder und Eigenthaler in der Anhörung des Finanzausschusses: BT-Protokoll-Nr. 18/54, 37 f.; Wachter, in: Fischer/Pahlke/Wachter (Hrsg.), ErbStG6, 2017, § 28a Rn. 32; Erkis, DStR 2015, 1415.

27 Einführend vgl.: BVerfG v. 17.12.2014 (Fn. 1), juris-Rn. 1 ff. (abweichendes Votum); Sachs, NJW 2015, 601.

28 Einführend: Wachter, in: Fischer/Pahlke/Wachter (Fn. 26), ErbStG, § 28a Rn. 31; Maier, ZEV 2017, 12; Englisch, DB 2015, 640; Crezelius, ZEV 2016, 545 f.; Hey, in: Zukunft der Erbschaftsteuer, 49;

29 Einführend vgl.: Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk (Fn. 9), ErbStG, § 10 Rn. 246; Piltz, ZEV 2017, 256.

30 Einführend: Thonemann-Micker, DB 2016, 2315 f.; vgl. auch: Uhl-Ludäscher, ErbStB 2017, 43.

31 Einführend vgl.: Wachter, in: Fischer/Pahlke/Wachter (Fn. 26), ErbStG, § 13a Rn. 57, 587; Thonemann-Micker, DB 2016, 2316.

32 Einführend vgl.: Wachter, FR 2016, 698; Thonemann-Micker, DB 2016, 2313; Kaminski, Stbg. 2016, 444.

33 Weitergehende Untersuchungen zu den aufgezeigten Problemkreisen finden sich in der vollständigen Arbeit: Tann, Verfassungskonformität der Erbschaftsbesteuerung von Unternehmensvermögen, 2017

34 Zu nennen sind etwa: Seer/Michalkowski, GmbHR 2017, 614 ff.; Wachter, in: Fischer/Pahlke/Wachter (Fn. 26), ErbStG, § 13 Rn. 48; Wachter, FR 2016, 710; Wachter, FR 2015, 205; Wartenburger, MittBayNot 2017, 227; mit Hinweis auf die Notwendigkeit der Einhaltung des Gebotes der Normenklarheit: Papier, in: ifst-Stellungnahmen, 31; Gegusch, in: ifst-Stellungnahmen, 43.

35 Anmerkung: § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG: „Abweichend von Satz 1 ist der Wert des begünstigungsfähigen Vermögens vollständig nicht begünstigt, wenn das Verwaltungsvermögen nach Absatz 4 vor der Anwendung des Absatzes 3 Satz 1, soweit das Verwaltungsvermögen nicht ausschließlich und dauerhaft der Erfüllung von Schulden aus durch Treuhandverhältnisse abgesicherten Altersversorgungsverpflichtungen dient und dem Zugriff aller übrigen nicht aus diesen Altersversorgungsverpflichtungen unmittelbar berechtigten Gläubiger entzogen ist, sowie der Schuldenverrechnung und des Freibetrags nach Absatz 4 Nummer 5 sowie der Absätze 6 und 7 mindestens 90 Prozent des gemeinen Werts des begünstigungsfähigen Vermögens beträgt.“

36 Vgl. Wachter, in: Fischer/Pahlke/Wachter (Fn. 26), ErbStG, § 13a Rn. 48; Seer/Michalkowski, GmbHR 2017, 614 f.

37 Dazu: Wachter, in: Fischer/Pahlke/Wachter (Fn. 26), ErbStG, § 13a Rn. 48.

38 Zur synonymen Verwendung beider Begriffe: Grefrath, JA 2008, 711; Waldhoff/Grefrath, IStR 2013, 477; vgl. auch: Papier/Möllers, AöR 122 (1997), 184 f.; Durner, in: Maunz/Dürig, GG79, 2016, Art. 10 Rn. 136.

39 Vgl. Towfigh, in: Preprints Max Planck Institut 2008, 10; Birk, DStR 2014, 72 f.; Papier/Möllers, AöR 122 (1997), 184 f.

40 Vgl. BVerfG, Urteil v. 26.07.2005 – 1 BvR 782/94 – BVerfGE 114, 1 = BStBl. I 2005, 2420, juris-Rn. 186 ff.; Grefrath, JA 2008, 714; Towfigh, in: Preprints Max Planck Institut 2008, 17.

41 Towfigh, in: Preprints Max Planck Institut 2008, 10; vgl. auch: Birk, DStR 2014, 72; Hey, in: Tipke/Lang22 (Hrsg.), § 3 Rn. 243, 245.

42 Grefrath, JA 2008, 711; vgl. auch: Hey, in: Tipke/Lang (Fn. 41), § 3 Rn. 243; Jehke, Bestimmtheit und Klarheit im Steuerrecht, 178 ff.; Bethge, in: M/SB/K/B, BVerfGG, § 91 Rn. 66a; Anmerkung: dass auch abweichende Ableitungen diskutiert werden zeigt auf: Papier/Möllers, AöR 122 (1997), 178 ff.

43 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 24.11.1981 – 2 BvL 4/80 – BVerfGE 59, 104 = BGBl. I 1982, 327, juris-Rn. 14; Papier/Möllers, AöR 122 (1997), 185; Waldhoff/Grefrath, IStR 2013, 478 f.; vgl. zur verwandten Dogmatik bei Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG: Mann, in: Sachs, GG, Art. 80 Rn. 24 ff.

44 BVerfG v. 24.11.1981 (Fn. 43), juris-Rn. 14; Papier/Möllers, AöR 122 (1997), 185; vgl. zur verwandten Dogmatik bei Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG: Mann, in: Sachs, GG, Art. 80 Rn. 29.

45 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130 = BGBl. I 1991, 127 juris-Rn. 39, 45; Papier/Möllers, AöR 122 (1997), 187 f.

46 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 12.10.1978 – 2 BvR 154/74 – BVerfGE 49, 343 = DVBl. 1979, 52, juris-Rn. 71; Hey, in: Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht22, 2015, § 3 Rn. 245.

47 Grefrath, JA 2008, 712; Waldhoff/Grefrath, IStR 2013, 478.

48 Hey, in: Tipke/Lang (Fn. 41), § 3 Rn. 246; vgl. auch: Birk, DStR 2014, 73.

49 Von einer „Gesamtunschärfe“ des Normenkomplexes spricht: Hey, in Tipke/Lang (Fn. 41), § 3 Rn. 244.

50 Anmerkung: z. B. wurde die BFH-Vorlage zum Verlustausgleich, trotz überwältigend konträrer Auffassung in der Literatur, zurückgewiesen: BFH, Vorlagebeschluss v. 06.09.2006 – XI R 26/04 – BFHE 214, 430 = BStBl. II 2007, 167; BVerfG, Beschluss v. 12.10.2010 – 2 BvL 59/06 – BVerfGE 127, 335 = BFH/NV 2010, 2387; zur Auffassung im Schrifttum etwa: Hey, in Tipke/Lang (Fn. 41), § 3 Rn. 247; Birk, DStR 2014, 73.

Tann, Verfassungskonformität der Erbschaftsbesteuerung von Unternehmensvermögen107

unterwerfen.51

3. Anwendung des Verfassungsmaßstabs

Überträgt man diese Leitlinien auf den Fall des ErbStG, so bewegen sich die getroffenen Regelungen noch unterhalb der Grenze zum Verstoß und damit zur Verfassungswidrigkeit. Auch wenn einige Regelungen wie der § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG überkomplex52 oder sogar fehlerhaft in der gesetzgeberischen Regelungstechnik erscheinen,53 ist dafür doch vor allem die besondere Komplexität des Lebensbereiches „unternehmerische Tätigkeit“ und „Bewertung und Besteuerung von Betriebsvermögen“ verantwortlich. Die angesprochene Diversität der Berechnungsmodelle deutet zwar auf eine Auslegungsbedürftigkeit der Normen hin, jedoch lässt sich die Modellvielfalt auf die ohnehin schon ausgeprägte Komplexität des Unternehmensrechts und Unternehmenssteuerrechts zurückführen. Die Vielzahl der Unternehmensausgestaltungsmöglichkeiten für den Steuerbürger führt daher zwangsläufig zu einer erhöhten Präzisionsnotwendigkeit aufseiten der Legislative, um die gewollten von den ungewollten Konstellationen zu trennen. Dieser Präzisierungsbedarf führt zu einem Rückgang der sofort erfassbaren Verständlichkeit einer Norm.54 Darüber hinaus betreffen die Regelungen normalerweise versierte Steuerpflichtige, da bei den angesprochenen Unternehmern von einer gegenüber der Normalbevölkerung erhöhten Kenntnis des Wirtschaft- und Steuerrechts ausgegangen werden kann. Bündelt man diese Faktoren und vergleicht die dargestellte Situation (komplexer Lebensbereich und versierter Anwender) mit der Situation im Urteil zur Einschränkung des Verlustausgleichs55 (einfacher Lebensbereich und kein versierter Anwender),56 in dem kein Verstoß festgestellt wurde, so kann vorliegend a maiore ad minus kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot und das Gebot der Normenklarheit angenommen werden.57

Die erforderliche Orientierungssicherheit ist damit gewährleistet und eine Konformität mit dem Gebot der Normenklarheit gegeben.

II. Steuergerechtigkeit

Ein weiteres verfassungsrechtliches Konfliktfeld liegt in den Bedenken hinsichtlich der Steuergerechtigkeit von Begünstigungen für Unternehmensvermögen im ErbStG. Aufgrund umfangreicher Steuerverschonungen für Betriebsvermögen über das System der §§ 13a, 13b, 13c, 28a ErbStG stellt sich die Frage nach einer ungerechten steuerlichen Bevorzugung dieser Vermögensform gegenüber anderen Vermögensarten. Die Gerechtigkeit im Steuerrecht findet ihre Ausprägung in verschiedenen Prinzipien. In Anlehnung an Tipke ist Steuergerechtigkeit in der Systemhaftigkeit und damit in der Unterwerfung des Gesetzgebers unter Prinzipien und Regeln, zu erkennen.58 Der „Schlüsselbegriff der Gerechtigkeit“59 ist demnach der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.60 Aber auch das Sozialstaatsprinzip fungiert als Dimension der Steuergerechtigkeit und vermag übermäßigen Steuerverschonungen, die die soziale Chancengleichheit beeinträchtigen, Grenzen zu ziehen.61 Die Begünstigungen für Unternehmensvermögen scheinen im Konflikt mit beiden Prinzipien zu stehen.

1. Problemorientierter Überblick zu §§ 13a, 13b, 13c, 28a ErbStG

Die §§ 13a, 13b ErbStG ermöglichen weitreichende steuerliche Verschonungen für den Übergang von Unternehmensvermögen.62 Im Zusammenspiel mit den Regeln der §§ 13c, 28a ErbStG können Betriebsvermögen aller Größenklassen potenziell Subjekt teilweiser bis vollumfassender Steuerverschonungen sein. Beispielhaft sei erneut auf A und ihren Vater (V) verwiesen (siehe Beispiel unter B.). So ist der Übergang der M-KG in den Erwerbszenarien a) bis c) durch verschiedenste Begünstigungen abgesichert und profitiert als Übergang eines Familienunternehmens sogar unabhängig von der Einhaltung weiterer gemeinwohlverpflichteter Auflagen (Lohnsummenregelung, Behaltensfristen) von einem 30-prozentigen Vorababschlag nach § 13a Abs. 9 ErbStG. Würde V der A hingegen ein Barvermögen in gleicher Höhe übertragen, kämen entsprechende Steuerverschonungen nicht in Betracht. Eine Überprivilegierung von Unternehmensvermögen im ErbStG scheint daher greifbar. Eine solche Ungleichbehandlung war auch Anknüpfungspunkt der Unvereinbarkeitserklärung der Regeln zur Begünstigung von Unternehmensvermögen a. F. mit dem Art. 3 Abs. 1 GG im jüngsten Urteil des BVerfG zum ErbStG.63

2. Verfassungsmaßstab

Der Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verlangt die Gleichbehandlung von wesentlich Gleichem und die Ungleichbehandlung von wesentlich Ungleichem.64 Eine Ausprägung dieses Grundgedankens ist das Folgerichtigkeitsgebot im Steuerrecht.65 Danach hat der Gesetzgeber bereichsspezifische und sachgerechte Wertungen konsequent


51 Grefrath, JA 2008, 714; Papier/Möllers, AöR 122 (1997), 196 ff.

52 Vgl. Wachter, FR 2015, 205; Seer/Michalkowski, GmbHR 2017, 614 f.; Roth, GWR 2017, 94 f.

53 Vgl. Wachter, in: Fischer/Pahlke/Wachter (Fn. 26), ErbStG, § 13a Rn. 588, 590; Wartenburger, MittBayNot 2017, 228.

54 Vgl. Grefrath, JA 2008, 712; Waldhoff/Grefrath, IStR 2013, 478.

55 BVerfG v. 12.10.2010 (Fn. 50).

56 Zur Situation im Urteil zum Verlustausgleich: Hey, in: Tipke/Lang (Fn. 41), § 3 Rn. 247.

57 A. A. Seer/Michalkowski, GmbHR 2017, 622.

58 Vgl. Tipke, StRO I-III, 2015; Hey, in: Tipke/Lang (Fn. 41), § 3 Rn. 4; Tipke, in: Kube (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts, § 146 Rn. 2; dahingehend auch: Birk, StuW 2011, 362 f.

59 Hey, in: Tipke/Lang (Fn. 41), § 3 Rn. 110.

60 Vgl. Tipke, StRO I, 284; Grolig, Folgerichtigkeitsgebot und Erbschaftsteuer, 90.

61 Dahingehend: BVerfG v. 17.12.2014 (Fn. 1), juris-Rn. 1 (abweichende Meinung); vgl. Tipke, StRO I, 284 f.

62 Siehe bereits C.

63 Vgl. BVerfG v. 17.12.2014 (Fn. 1), juris-Rn. 220, 285 ff.

64 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 14.04.1959 – 1 BvL 23/57 – BVerfGE 9, 237, juris-Rn. 26; BVerfG, Beschluss v. 08.06.2004 – 2 BvL 5/00 – BVerfGE 110, 412 = BFH/NV 2005, Beilage 1, 33, juris-Rn. 62; BVerfG, Beschluss v. 12.10.2010 – 1 BvL 12/07 – BVerfGE 127, 224 = BGBl. I 2010, 1766, juris-Rn. 50; m. w. N.: Hey, in: Tipke/Lang (Fn. 41), § 3 Rn. 116 (Fn. 1).

65 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 12.05.2009 – 2 BvL 1/00 – BVerfGE 123, 111 = BStBl. II 2009, 685, juris-Rn. 31; Hey, in: Tipke/Lang (Fn. 41), § 3 Rn. 118; Grolig, Folgerichtigkeitsgebot und Erbschaftsteuer, 62 ff.; a. A. Lepsius, JZ 2009, 262; Wendt, NVwZ 1988, 783.

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und damit folgerichtig umzusetzen.66 Im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht liegt der folgerichtig umzusetzende Belastungsgrund in der gesteigerten Leistungsfähigkeit des Erben durch den Erbanfall.67 Je größer das ererbte Vermögen, desto größer ist auch die Leistungsfähigkeit des Erben und entsprechend größer auch die Steuerlast.68 Mit der Privilegierung von Unternehmensvermögen weicht der Gesetzgeber von dieser getroffenen Belastungsentscheidung ab.69 Der Systembruch liegt in der Verschonung des begünstigten Unternehmensvermögens auf Ebene des ErbStG (§§ 13a, 13b, 13c, 28a ErbStG), obwohl die Verminderung der Leistungsfähigkeit bereits auf Ebene der Bewertung nach gemeinen Werten oder Verkehrswerten berücksichtigt wurde.70 Damit wird dem Erben von Unternehmensvermögen eine über die verminderte Leistungsfähigkeit hinausgehende Begünstigung gewährt. Eine solche Abweichung kann durch außerfiskalische Lenkungs- und Förderungsziele des Gemeinwohls zu rechtfertigen sein,71 sie bedingt jedoch mit steigender Ungleichbehandlung auch eine stärkere Rechtfertigungslast.72 Mithin unterliegt die Stärke der Privilegierung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung.73 Der Förderungszweck ist in ein Verhältnis zu dem Ausmaß der Verschonung zu setzen.74

3. Anwendung des Verfassungsmaßstabs

Dieser Beurteilungsmaßstab wirft zunächst Fragen hinsichtlich des verfolgten Lenkungs- und Förderungsziels der Begünstigungen für Unternehmensvermögen auf. Insoweit führt der Gesetzgeber im Rahmen seiner weiten Einschätzungsprärogative75 die Bewahrung von kleinen und mittelständischen Familienunternehmen vor Liquiditätsengpässen in Zusammenhang mit der Erbschaftsteuerbelastung und die Sicherung der damit verbundenen Arbeitsplätze an.76 Eine solche abstrakte Gefahreneinschätzung seitens des Gesetzgebers stellt trotz unklarer empirischer Grundlage77 eine im Rahmen der Einschätzungsprärogative zu respektierende Zielsetzung der Legislative dar.78 Im Weiteren sind die Begünstigungen auch geeignet, Liquiditätsengpässe zu verhindern, da die Reduzierung der Steuerlast den Druck auf die Entnahme von Liquidität aus dem Unternehmen reduziert. Trotz der Geeignetheit ist jedoch fraglich, ob die getroffenen Maßnahmen in den §§ 13a, 13b, 13c, 28a ErbStG auch erforderlich sind, da bereits die Alternative der Stundung der Steuerschuld nach § 28 ErbStG besteht.79 Die gewährten Steuerverschonungen nach §§ 13a, 13b, 13c, 28a ErbStG zielen jedoch im Gegensatz zu § 28 ErbStG speziell auf den Erhalt des Betriebsvermögens ab und sind daher konzeptionell besser geeignet, den erstrebten Förderungs- und Lenkungszweck zu erreichen.

Letztlich müssen die getroffenen Regelungen jedoch nicht nur geeignet und erforderlich sein. Bei den gewährten Begünstigungen muss vielmehr auch eine Verhältnismäßigkeit zur resultierenden Ungleichbehandlung im engeren Sinne gewahrt sein. Eine solche Unverhältnismäßigkeit könnte dann bestehen, wenn die Kombinationsfähigkeit der verschiedenen Begünstigungen nach § 13a ff. ErbStG zu einer vollständigen Verschonung führt, ohne dass die begünstigten Unternehmen Restriktionen im Hinblick auf das gesetzliche Förderungsziel einhalten müssen (z. B. Lohnsummenregelung).

In Anbetracht der Gewährung des 30-prozentigen Vorababschlags nach § 13a Abs. 9 ErbStG neben den sonstigen Verschonungen könnte sich eine solche Akkumulation von Vergünstigungen als übermäßig erweisen.80 Möglich ist etwa die Kombination des 30-prozentigen Abschlags nach § 13 Abs. 9 ErbStG mit der nachfolgenden 85-prozentigen Steuerverschonung nach § 13 Abs. 1 ErbStG, die wiederum einen 10 prozentigen „Kulanzpuffer“81 nach § 13b Abs. 7 ErbStG enthält, der nicht begünstigtes Vermögen als begünstigtes Vermögen behandelt. Eine solche Summierung von Begünstigungen führt zu einer fast vollständigen Verschonung des Betriebsvermögens, ohne dass hierbei die strengeren Erfordernisse für die Lohnsummen- und Behaltensregelung im Rahmen der Optionsverschonung82 nach § 13a Abs. 10 ErbStG eingehalten werden müssen. Besonders problematisch erscheint dabei, dass der Vorababschlag an keine Wertgrenzen gebunden ist und entsprechend über das Ziel der Förderung von kleinen und mittelständischen Unternehmen hinausgeht.83 Eine solche Vorschrift wurde vom BVerfG im jüngsten Urteil auch nicht angemahnt und stellt damit eine nicht erzwungene Erweiterung der Begünstigungen seitens des Gesetzgebers dar.84

Auch wenn die Privilegierung von Unternehmensvermögen


66 Hey, in: Tipke/Lang (Fn. 41), § 3 Rn. 118; vgl. Grolig, Folgerichtigkeitsgebot und Erbschaftsteuer, 24 ff.; Pondelik, SteuK 2012, 496; Wernsmann, NJW 2000, 2078.

67 Vgl. Meincke, ErbStG, § 10 Rn. 6; Seer, in: Tipke/Lang (Fn. 41), § 14 Rn. 1 f.; Grolig, Folgerichtigkeitsgebot und Erbschaftsteuer, 112.

68 Grolig, Folgerichtigkeitsgebot und Erbschaftsteuer, 113.

69 Vgl. Seer, GmbHR 2015, 114; dahingehend auch am Beispiel des § 13a Abs. 9 ErbStG: Erkis, DStR 2016, 1446.

70 Grolig, Folgerichtigkeitsgebot und Erbschaftsteuer, 113.

71 BVerfG v. 07.11.2006 (Fn. 2), juris-Rn. 98; Meincke, ErbStG, § 13a Rn. 2 f.; vgl. Reich, DStR 2015, 2751; Richter/Welling, FR 2015, 498; Gutachten Wissenschaftlicher Beirat BMF 2012, 26.

72 Vgl. BVerfG v. 17.12.2014 (Fn. 1), juris-Rn. 125, 172; Seer, GmbHR 2015, 113.

73 Vgl. BVerfG v. 17.12.2014 (Fn. 1), juris-Rn. 119 ff.; Richter/Welling, FR 2015, 498; Seer, GmbHR 2015, 114.

74 Vgl. Seer, GmbHR 2015, 114.

75 Vgl. BVerfG v. 17.12.2014 (Fn. 1), juris-Rn. 159; strukturell: Wernsmann, NJW 2000, 2079.

76 BT-Drs. 18/5923, 16 ff., 21; vgl. auch: Wachter, in: Fischer/Pahlke/Wachter (Fn. 26), ErbStG, § 13a Rn. 2 ff.; Stalleiken, in: von Oertzen/Loose (Fn 25.), ErbStG, § 13a Rn. 14; Blumers, DStR 2015, 1286;

77 Vgl. Gutachten DIW, 113; Gutachten Wissenschaftlicher Beirat BMF 2012, 11, 30, 32; BT-Drs. 16/1350, Fragen 13 ff.; Erkis, DStR 2016, 1447; sowie die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung beim BVerfG: BVerfG v. 17.12.2014 (Fn. 1), juris-Rn. 149.

78 Vgl. BVerfG, v. 17.12.2014 (Fn. 1), juris-Rn. 143 ff.; Birk, in: Zukunft der Erbschaftsteuer, 55 ff.; kritisch: vgl. BFH, Vorlagebeschluss v. 27.09.2012 – II R 9/11 – BFHE 238, 241 = BStBl. II 2012, 899, juris-Rn. 84 ff.;Pondelik, SteuK 2012, 496.

79 BFH, Vorlagebeschluss v. 27.09.2012 – II R 9/11 – BFHE 238, 241 = BStBl. II 2012, 899, juris-Rn. 84; Pondelik, SteuK 2012, 496.

80 Wachter, in: Fischer/Pahlke/Wachter (Fn. 26), ErbStG, § 13a Rn. 585; dahingehend auch: BR-Drs. 344/1/16, 3 f.

81 Geck, in: Kapp/Ebeling (Fn. 9), ErbStG, § 13b Rn. 180 f.; Anmerkung: auch als „Schmutzzuschlag“ bezeichnet: Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk (Fn. 9), ErbStG, § 13b Rn. 386 ff.; Korezkij, DStR 2017, 745.

82 Vgl. Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk (Fn. 9), ErbStG, § 13a Rn. 504 ff.; Wachter, in: Fischer/Pahlke/Wachter (Fn. 26), § 13a Rn. 732 ff.

83 Siehe bereits: C.

84 Wachter, in: Fischer/Pahlke/Wachter (Fn. 26), ErbStG, § 13a Rn. 585.

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daher auf den ersten Blick unverhältnismäßig erscheint, ist zu bedenken, dass jede der Einzelvergünstigungen für sich gerechtfertigt werden kann. § 13a Abs. 9 ErbStG trägt der verminderten Leistungsfähigkeit durch weitreichende Beschränkungen bei der Beteiligung, die nicht im Rahmen der Bewertung nach § 9 BewG berücksichtigt werden, Rechnung.85 Diese Verminderung der Leistungsfähigkeit lässt sich ausschließlich auf die vorliegenden Beschränkungen zurückzuführen und liegt daher bei großen wie bei kleinen Unternehmen gleichermaßen vor.

Die Options- und Regelverschonungen nach den § 13a Abs. 1 und Abs. 10 ErbStG rechtfertigen sich über die gemeinwohlbezogenen Restriktionen der Lohnsummenregel und Behaltensfrist sowie die Begrenzung der maximalen Erwerbsgröße auf kleine und mittlere Unternehmen.86 Darüber hinaus ist die Gewährung eines „Kulanzpuffers“ im Rahmen der Berechnung des begünstigten Vermögens nach § 13b Abs. 7 ErbStG mit der Freiheit des Gesetzgebers zur Typisierung zu begründen.87 Dem Gesetzgeber ist insoweit bekannt, dass jedes Unternehmen über einen bestimmten Anteil an Verwaltungsvermögen verfügt, der etwa zur Kapitalstärkung dient oder einen Finanzierungspuffer darstellt, und gewährt deshalb aus Praktikabilitätserwägungen eine 10-prozentige Pauschale.88 Diese scheint auch in ihrer Höhe von 10 % gerade in Anbetracht der früheren 50-%-Regelung für unschädliches Verwaltungsvermögen nicht unverhältnismäßig.89

Als letzter Kritikpunkt verbleibt damit die Lohnsummenregelung des § 13a Abs. 3 ErbStG. Diese greift erst ab einer Zahl von mehr als fünf Beschäftigten.90 Unter dieser Grenze findet die Lohnsummenregelung keine Anwendung.91 Als primäres gesetzlich inkorporiertes Instrument zur Sicherung der Arbeitsplätze, das ein Element der Förderungsziele ist, bedarf die Unanwendbarkeit der Lohnsummenregelung daher einer besonderen Rechtfertigung. Zur Begründung kann herangezogen werden, dass Betriebe mit nicht mehr als fünf Beschäftigten einen Ausnahmefall bilden. In dieser Größenkategorie kann bereits der Wegfall eines einzelnen Beschäftigten zur Nichteinhaltung der Lohnsumme führen. Die Tätigkeit des Unternehmers selbst steht außerdem deutlich stärker im Vordergrund, weshalb eine Erfassung mithilfe der starren Lohnsumme nicht angemessen erscheint.92 Kritisch ist insoweit, dass durch die Beschäftigtengrenze etwa 80 % der Betriebe in Deutschland nicht erfasst sind und damit eine Umkehrung des vom BVerfG geforderten Regel-Ausnahme-Verhältnis erfolgt.93 Legt man jedoch richtigerweise die Zahl der tatsächlich im Rahmen des ErbStG übertragenen Betriebe und nicht pauschal die aller Betriebe in Deutschland zugrunde, wird das Regel-Ausnahme-Verhältnis gewahrt.94 Eine Rechtfertigung ist daher gegeben.

Fernerhin können auch die §§ 13c und 28a ErbStG im Lichte der Folgerichtigkeit gerechtfertigt werden. Während ersterer der steigenden Rechtfertigungslast entsprechend bei steigender Erwerbsgröße die Vergünstigung abschmelzen lässt und damit dem dargestellten Verfassungsmaßstab Folge leistet, trägt § 28a ErbStG den gesteigerten Anforderungen der Gemeinwohlzwecke durch eine weitgehende Einzelfallprüfung Rechnung, die sogar das Privatvermögen des Betroffenen einbezieht.

Damit stellen die Privilegierungen des Betriebsvermögens nach den §§ 13a Abs. 1, Abs. 9, Abs. 10, 13c, 28a ErbStG verbunden mit der Berechnung des begünstigten Vermögens nach § 13b ErbStG keine gleichheitswidrige Überprivilegierung von Betriebsvermögen dar. Die Regelungen sind diesbezüglich verfassungskonform.

D. Ausblick

Die vorgestellten Konfliktfelder verdeutlichen die Bedenken hinsichtlich der Verfassungskonformität des neugefassten Erbschafts- und Schenkungsteuerrechts. Bezieht man in die hier dargestellten Problemfelder etwa die rückwirkende Anwendung der §§ 13a, 13b, 13c, 28a ErbStG über den § 37 Abs. 12 ErbStG oder den in mehrfacher Hinsicht gegen das Grundgesetz verstoßenden § 28a ErbStG ein, so ist offensichtlich das ein weiterer, wahrscheinlich erfolgreicher, Gang zum BVerfG droht. Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass die regelhafte steuerliche Verschonung von Unternehmensvermögen nach § 13a Abs. 1 ErbStG unverhältnismäßig hoch ist und damit im Konflikt mit dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG steht.95 Eine Gewährleistung der Verfassungskonformität über einzelne Gesetzesänderungen ist möglich. Im Grundsatz ist jedoch eine weitreichende Reform der Begünstigungsregeln zu fordern, die das Konvolut an Ausnahmen und Rückausnahmen der aktuellen Regelung reduziert.


85 Stalleiken, in: von Oertzen/Loose (Fn 25.), ErbStG, § 13a Rn. 221; Wachter, in: Fischer/Pahlke/Wachter (Fn. 26), ErbStG, § 13a Rn. 578 ff.; Anmerkung: Die Vorschrift stellt insoweit eine Vermengung von Bewertung und Verschonung dar: Erkis, DStR 2016, 1446; Hannes, ZEV 2016, 554; Seer/Michalkowski, GmbHR 2017, 613.

86 Siehe auch: BT-Drs. 18/5923, 21; einige Autoren empfinden diese Beschränkungen sogar als zu weitreichend: vgl. Wachter, in: Fischer/Pahlke/Wachter (Fn. 26), ErbStG, § 13a Rn. 247 f.

87 Zur Typisierungsbefugnis: vgl. BVerfG v. 07.11.2006 (Fn. 2), juris-Rn. 96; Hey, in: Tipke/Lang (Fn. 41), § 3 Rn. 147; Grolig, Folgerichtigkeitsgebot und Erbschaftsteuer, 175 f.

88 9]Vgl. BT-Drs. 18/8911, 43; Wachter, in: Fischer/Pahlke/Wachter (Fn. 26), ErbStG, § 13b Rn. 662; kritisch: Erkis, DStR 2016, 1444.

89 Wachter, in: Fischer/Pahlke/Wachter (Fn. 26), ErbStG, § 13b Rn. 662.

90 Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk (Fn. 9), ErbStG, § 13a Rn. 69; Höne, in: Lipprosse/Seibel (Fn. 11), ErbStG, § 13a Rn. 18.

91 Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk (Fn. 9), ErbStG, § 13a Rn. 69; Höne, in: Lipprosse/Seibel (Fn. 11), ErbStG, § 13a Rn. 18.

92 Vgl. BT-Drs. 18/8911, 37.

93 Zum geforderten Regel-Ausnahme-Verhältnis: vgl. BVerfG v. 17.12.2014 (Fn. 1), juris-Rn. 220; zur Umkehrung durch die aktuelle Regelung: Erkis, DStR 2016, 1442.

94 Wachter, in: Fischer/Pahlke/Wachter (Fn. 26), ErbStG, § 13a Rn. 262; BT-Drs. 18/8911, 37.

95 Weitergehende Untersuchungen zu den aufgezeigten Problemkreisen finden sich in der vollständigen Arbeit: Tann, Verfassungskonformität der Erbschaftsbesteuerung von Unternehmensvermögen, 2017