Verhandeln auf internationalem Parkett

– Die ICC International Commercial Mediation Competion

Claudia Kück (LL.B), Carl Grupe*

Zum 13. Mal fand diesen Februar die „ICC1 International Commercial Mediation Competition“ (ICC Mediation Competition) statt, die jährlich vom International Centre for ADR2 der Internationalen Handelskammer in Paris organisiert wird. An dem Event nahmen 65 Studierendenteams der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften aus 32 Nationen, sowie über 130 international renommierte Mediatoren teil.3

Die Veranstaltung ist dabei wie folgt aufgebaut: Jedes Team verhandelt mindestens viermal vier verschiedene Fälle und kann sich je nach Anzahl der Gewinne ggf. in den nach dem Knock-Out-Verfahren abgehaltenen Finalrunden mit weiteren Teams im Rahmen neuer Mediationsfälle messen. Dabei treten pro Mediation immer zwei Studierende an, wovon einer die Rolle des Mandanten („Client“) und der andere die seines Rechtsanwalts („Counsel“) übernimmt.

In den vier Vorrunden, die über drei Tage hinweg abgehalten werden und jeweils 85 Minuten dauern, traten dieses Jahr über 230 Studierende in über 100 Mediationen an. Damit ist die ICC Mediation Competition aktuell der weltweit größte Wettbewerb, der sich ausschließlich dem Thema der internationalen Wirtschaftsmediation widmet.4

Während des Wettbewerbs muss jedes Team seine Mediationsfähigkeiten unter Beweis stellen und zeigen, dass es mehrdimensionale Konflikte, die Probleme auf juristischer, wirtschaftlicher und ethischer Ebene beinhalten, lösen kann, ohne dabei die persönliche oder geschäftliche Beziehung mit der Partei zu zerstören, die mit am Verhandlungstisch sitzt. Die Fälle, die im Rahmen der ICC Mediation Competition simuliert werden, entwickelt eine spezialisierte Arbeitsgruppe, die aus erfahrenen, international tätigen Mediatoren besteht. Bei dem Entwerfen der Sachverhalte sind diese dazu angehalten, aktuelle Szenarien, die sie in ihrer Praxis beschäftigt haben, einfließen zu lassen.

Die Fälle entstammen in Grundzügen einem wirtschaftlichen Kontext, sind allerdings auch immer mit verschiedensten ethischen, sozialen und kulturellen Nuancen angereichert. Einer der diesjährigen Sachverhalte betraf beispielsweise einen Vertrag, der zwischen einem Nahrungsmittelkonzern und einer Nichtregierungsorganisation (NGO), die Flüchtlingslager betreibt, geschlossen wurde. Die Probleme zwischen diesen Parteien entstanden rund um eine Vertragspassage über die Lieferung von Lebensmitteln, die nach Ansicht der NGO die unverschriftlichte Bedingung enthielt, der Nahrungsmittellieferant würde die Produkte zum Produktionspreis bereitstellen. Gestiegene Stückkosten führten jedoch dazu, dass der Nahrungsmittellieferant einen höheren Preis von der NGO verlangen musste, um zumindest kostendeckend arbeiten zu können. Dies wiederum löste eine massive mediale Kritikwelle gegen den Lebensmittelkonzern aus.

Parallel hatte die NGO Spendengelder der UNO veruntreut und vertragswidrig in einem Drittland verwendet, um dort den Opfern eines neu ausgebrochenen Kriegs zu helfen. Dies resultierte darin, dass die NGO keine weiteren Zahlungen leisten konnte, was schließlich gemeinsam mit der Forderung nach einem höheren Preis durch den Nahrungsmittellieferanten, Auslöser des Disputs war.

Die Rechtslage ist bei den verschiedenen Problemen im Rahmen des Wettbewerbs immer zugunsten beider Parteien auslegbar. Es lassen sich also gut hörbare Argumente für die jeweiligen rechtlichen Standpunkte finden. Daher liegt hier auch nicht unbedingt das Hauptaugenmerk des Wettbewerbs. Entscheidendes Charakteristikum der Mediations-Fälle sind vielmehr die komplexen Interessenlagen. Der Blick soll weg von mit juristischen Argumenten untermauerten Schuldzuweisungen auf die nicht zwangsweise gegenläufigen Interessen gerichtet werden. Nur der Fokus auf die hinter den Positionen liegenden Interessen eröffnet in der ICC Mediation Competition in der Regel den Weg zu einer beidseitig befriedigenden und somit erfolgreichen Lösung.

Seit dem Jahr 2012 befindet sich auch die Bucerius Law School unter den im Wettbewerb konkurrierenden Teams.

Um aber mit einer etwas persönlicheren Note zu beleuchten, was für ein Wissen man sich in Vorbereitung auf und während des Wettbewerbs aneignen kann und auf welche Art und Weise er die juristische Ausbildung bereichert sowie möglicherweise die berufliche Zukunft beeinflusst, soll in diesem Artikel vor allem das ICC Mediation Team 2017/2018 der Bucerius Law School zu Wort kommen.

A. Was genau kann man im Rahmen der Teilnahme an der ICC Mediation Competition über Mediation lernen?

Claudia Kück5: Vor allem erwirbt man Kenntnisse im Hinblick auf die fünf Phasen einer Mediation6.


* Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin von Prof. Dr. Ulla Gläßer, Lehrstuhl für Mediation, Konfliktmanagement und Verfahrenslehre, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder). Der Autor ist Student der Bucerius Law School, Hamburg.

1 International Chamber of Commerce.

2 ADR = Amicable/Appropriate Dispute Resolution.

3 Aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung wird in diesem Artikel die Schreibweise von generischen Personen- und Berufsbezeichnungen in der männliche Form gewählt, wobei die weiblichen(Berufs-)Gruppenangehörigen immer mitgemeint sind.

4 Vgl. https://iccwbo.org/event/13th-icc-international-commercial-mediation-competition/ (zuletzt abgerufen: 03.04.2018).

5 Coach des Bucerius Mediation Teams 2017/2018; Teilnahme an der 9. ICC Mediation Competition mit dem Team der Bucerius Law School 2013/2014.

6 Für eine detaillierte Beschreibung der Mediationsphasen, siehe u.a.: Alexander/Ade: Mediation und Recht, 2. Aufl. 2013; Haft/Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 3. Aufl. 2016; Trenczek/Berning/Lenz/Will (Hrsg.), Mediation und Konfliktmanagement, 2. Auflage 2017; Klowait/Gläßer (Hrsg.), Mediationsgesetz – Handkommentar, 2. Aufl. 2018.

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Eine Mediation beginnt typischerweise7 mit einer Eröffnungsphase, in der der Mediator eine kurze Einführung gibt, in der er seine Rolle erläutert und bestimmte Kommunikationsregeln für die Verhandlung festlegt, und die Parteien sowie ihre Anwälte die Möglichkeiten haben, den Ausgangspunkt des Konflikts aus ihrer Sicht in „Opening Statements“ kurz zu schildern.

Daran schließt sich die Phase der Sachverhaltsklärung an. Sie dient dem Mediator und den Parteien dazu, Fragen zu den Einzelheiten des Konflikts zu stellen, mit dem Ziel eine Faktenlage zu etablieren, auf die sich beide Parteien einigen können. Selbst wenn eine solche Einigung erzielt werden kann, sind die Parteien zu diesem Zeitpunkt aber grundsätzlich noch weit von einer Lösung des Kernkonflikts entfernt. Sie sind meist ausschließlich darauf fokussiert, die eigene Position in Form eines bestimmten Geldbetrags weitestmöglich durchzusetzen und diese mit einer juristischen Argumentation zu untermauern – ähnlich einem Gerichtsverfahren.

Um sich von diesem sog. distributiven Verhandlungsstil8 zu lösen, wird in der dritten Phase mithilfe des Mediators ermittelt, welche tiefergehenden Interessen hinter den Positionen der Streitenden liegen. Dieser Verhandlungsabschnitt bildet das Herzstück der Mediation. Es gibt verschiedene Techniken, die der Mediator nun einsetzen kann, um die Interessen der Parteien zu ermitteln. Zu den effektivsten Methoden zählt das „Looping“9, eine Kommunikationstechnik, bei der der Anwender das zuvor vom Gegenüber Gesagte in Form einer Frage paraphrasiert, in deren Formulierung er die Interessen und Gefühle der Beteiligten miteinbezieht. Dieses Zurückspielen an die betroffene Person im Rahmen einer Frage dient dem Zweck, sich zu vergewissern, ob richtig verstanden wurde, was ausgedrückt werden sollte. So stellt der Mediator nicht nur sicher, dass sich derjenige besonders gut verstanden fühlt, sondern hilft der Partei mittels seines Paraphrasierens idealerweise auch dabei im Anschluss ihr Interesse selbst besser formulieren zu können. Bei der Interessenerforschung ist darüber hinaus insbesondere zu beachten, dass ein Interesse nie einfach nur Geld sein kann. Der Mediator wird immer eine komplexere Umschreibung einfordern, um ein integratives, d.h. wertschöpfendes und kooperatives Verhandeln10 zu befördern. So kann hinter der Position „Mir stehen 1 Mio. € aufgrund meiner Kaufvertragsforderung zu“ etwa das Interesse der betroffenen Partei liegen, zukünftig ausreichend Geld zur Verfügung zu haben, um ein bereits entwickeltes Produkt ihres Unternehmens auf den Markt zu bringen oder aber etwa das Interesse, eine Insolvenz zu vermeiden. Die Arbeit des Mediators ist hier aber bei Weitem nicht abgeschlossen. Ein weiterer wichtiger Schritt in dieser Phase besteht schließlich darin, die ermittelten Interessen zu priorisieren, um eine maßgeschneiderte Streitklärung sicherzustellen.

Das Wissen um ihre gegenseitigen Interessen und deren Gewichtung bietet den Parteien am Ende aber auch noch keine Lösung ihres Konflikts. In einem vierten Schritt werden sie daher vom Mediator angehalten, möglichst viele verschiedene kreative Einigungsoptionen zu entwickeln.

In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass der Mediator selbst den Parteien – entgegen einer weitverbreitet anzutreffenden Fehlvorstellung11 – grundsätzlich keinerlei konkrete Einigungsvorschläge unterbreitet. Bewegt er sich innerhalb des „facilitative style12, dem in Europa, Nordamerika und Australien gängigen Ausbildungsmodell13, ist er darauf trainiert, den Beteiligten der Mediation zu ermöglichen, die Verhandlung selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu führen. Dem Mediator kommt also vorrangig eine moderierende Funktion zu. Demgegenüber steht der „evaluative style“, der teilweise in den USA verbreitet ist, in dem der Mediator den Beteiligten die eigene Einschätzung vermittelt, um ihnen auf diesem Wege zu einer besseren Entscheidungsgrundlage zu helfen. Dieser Mediationsstil darf wiederum nicht mit der Schlichtung verwechselt werden, in deren Rahmen der Schlichter zuletzt – ähnlich einem Urteil – einen Vergleichsentwurf vorlegt, den die Parteien optional akzeptieren können.14

Sobald die Parteien innerhalb der vierten Phase eine zufriedenstellende Vielzahl an Optionen erarbeitet haben, erfolgt eine Bewertung der Lösungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung der zuvor erforschten Interessen, um zuletzt idealerweise eine Option zu finden, die eine „Win-Win“-Situation für beide Parteien herstellt.

In der fünften und letzten Phase gilt es dann das Verhandlungsergebnis in eine angemessene schriftliche Einigung zu gießen. Die Feinheiten einer solchen Ergebnisvereinbarung werden meist erst im Anschluss an die Mediation durch die Anwälte der jeweiligen Parteien festgehalten. In der ICC Mediation Competition kommt man in der Regel allerdings nie bis in diese Abschlussphase15, da es innerhalb der begrenzten Zeit einer Wettbewerbsrunde schon herausfordernd genug ist, die Interessen der Parteien herauszuarbeiten sowie sinnvolle Lösungsoptionen zu finden.

Abschließend bleibt zu sagen, dass die Einteilung einer Ver-


7 Es gibt viele verschiedene Ausbildungsmodelle und Mediationsstile (vgl. etwa: Riskin: Mediator Orientations, Strategies and Techniques, 12 Alternatives to the High Cost of Litigation (1994), 111); hier wird auf das Modell Bezug genommen, das die Verordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren (ZMediatAusbV) beinhaltet.

8 Klowait/Gläßer, MediationsG, Teil 1 Nr. 1 Rn. 29.

9 Oder auch “Loop of Understanding”, siehe Friedmann/Himmelstein, Challenging Conflict: Mediation through Understanding, 2008, S. 63 f.

10 Grundlegend: Fisher/Ury, Getting to Yes: Negotiating Agreement Without Giving In, 1981.

11 So wurde der Begriff „Mediation“ etwa in der Berichterstattung zu „Stuttgart 21“ oftmals unzutreffend verwendet, siehe: Wörner, Mediation ist kein Zauberwerk, Süddeutsche Zeitung, 10. Oktober 2010; Wittrock/ Weiland, Stuttgart-21-Mediator Geißler: Entgleister Schlichter, SpiegelOnline, 8. Oktober 2010.

12 Riskin: Mediator Orientations, Strategies and Techniques, 12 Alternatives to the High Cost of Litigation (1994), 111, 111 f.

13 Lang-Sasse: Mediationsstile und deren Merkmale, ZKM 2013, 54, 54.

14 Vgl. Prütting, Außergerichtliche Streitbeilegung – Ein Handbuch für die Praxis, 2003, Rn. 5.

15 Der Abschluss einer solchen Ergebnisvereinbarung ist auch ausdrücklich kein Ziel, das die Teilnehmer anstreben müssen und bringt dementsprechend keinerlei Punkte bei der Teambewertung, siehe: 13th ICC International Commercial Mediation Competition Rule 2.2.

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handlung in diese fünf Phasen, meiner Meinung nach, auch außerhalb des Mediationskontexts einen großen Mehrwert hat und es sich daher definitiv lohnt sich genauer mit ihnen auseinanderzusetzen.

B. Was für Hindernisse und Probleme ergeben sich, wenn man mit Menschen verhandelt, die aus anderen Kulturkreisen stammen bzw. einen anderen juristischen Hintergrund haben? Wie kann man diese angemessen überwinden?

Katharina Tisch16: Wir standen im Wettbewerb z.B. einem türkischen Team gegenüber, deren Vorgehen während der Verhandlung uns immer wieder überrascht hat. Die Darstellung des Sachverhalts in den Eröffnungsstatements erfolgte auf eine extrem ausgeschmückte Art und Weise und das Team nahm sich eine Auszeit zu einem Punkt in der Verhandlung, an dem wir nie damit gerechnet hätten. Entsprechend waren wir anfangs sehr überrumpelt.

In dem Moment wurde mir aber bewusst, dass wir uns abseits jeder Taktik darauf zurückbesinnen müssen: Was möchte die Person auf anderen Seite uns hier genau mitteilen? Denn nur, wenn man alle Nuancen des Problems herausfindet und versteht, d.h. welche Interessen hinter welcher Position stecken, dann kann man zu einer Konfliktlösung gelangen. Wenn Menschen aus einem anderen Kulturkreis stammen, kommunizieren sie ihren Standpunkt aber ganz anders.

In dieser Wettbewerbsrunde haben wir also gemerkt, dass wir erst einmal diese Kommunikationsmuster kennen lernen müssen. Dazu gehört auch, dass man manche Verhaltensweisen nicht automatisch als unhöflich einordnen darf, sondern seine Wahrnehmung des Gesagten immer wieder überprüfen muss.

Dementsprechend denke ich, dass man interkulturelle Kommunikationshindernisse überwinden kann, indem man zunächst einmal realisiert und akzeptiert, dass es sie gibt. In einem zweiten Schritt sollte man mit viel Verständnis auf das vom Verhandlungspartner Gesagte reagieren und zugleich die eigenen Aussagen mit viel Bedacht darauf wählen, wie sie von der anderen Seite aufgefasst werden könnten. Wir Deutschen neigen z.B. von Natur aus eher dazu, sehr direkt zu sein, was tendenziell in einem krassen Gegensatz zu der ausgesprochen höflichen Sprachwahl von anglo-amerikanischen oder auch asiatischen Teams steht und diese deshalb leicht verunsichern kann.

Anna Brombach17: Wenn man am Verhandlungstisch Leuten aus anderen Kulturkreisen gegenübersitzt, muss man erstmal eine gewisse Basis schaffen, in der man sich von beiden Seiten der Herkunft aus unterschiedlichen Kulturen bewusst ist. Nur dann kann man den Grundstein der offenen und positiven Kommunikation legen und das eigentliche Problem bearbeiten. Barrieren aus unterschiedlicher Kommunikationskultur können sich sehr stark auf das Konfliktlösungsverfahren auswirken. Gerade bei Mediation ist der Streitbelegungsprozess auf die gemeinsame Erarbeitung von Lösungen ausgelegt. Da ist effektive Kommunikation essentiell.

Ist man sich der kulturellen Unterschiede bewusst, dann kann man sie auch leichter überwinden. Zum einen durch direktes Ansprechen, zum anderen durch ein korrigiertes Einordnen der von der Gegenseite kommunizierten Inhalte. Zudem spielt der Gedanke der Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle in der Mediation. Durch ein reines Umschiffen von schwierigen Botschaften oder Problemfeldern würde man dem nicht gerecht werden.

C. Was war der beste und einprägsamste Ratschlag, der euch während des Wettbewerbs gegeben wurde?

Katharina Tisch: Bei mir war das letztlich ein relativ einleuchtender Ratschlag, der mich aber in meine Rolle als „Counsel“ über den ganzen Wettbewerb immer wieder begleitet hat: Als Anwalt kannst du grundsätzlich noch so nett und höflich mit der anderen Seite umgehen, aber sobald dein Klient attackiert wird, musst du dich vor ihn stellen, gegen den Angriff angehen und dann auch einfach mal den „Bad Cop“ spielen.

Anna Brombach: Es wurde wirklich sehr viel Feedback gegeben. Der beste Ratschlag kam für mich persönlich von einer spanischen Mediatorin im Rahmen einer der Vorrundenverhandlungen. Sie hat mir den Ratschlag gegeben, dass man, wenn man verhandelt, trotz eigener Zielvorstellungen mit einer gewissen Offenheit an den Tisch kommen sollte. Obgleich man sich bewusst ist, was man erreichen möchte und welche Ziele und Interessen dahinterstehen, sollte man offen für Lösungsvorschläge der anderen Partei sein und diese unvoreingenommen abwägen.

Carl Grupe18: Das stimmt. Andernfalls läuft man Gefahr, eben kein interessen- sondern positionsbasiertes Verhandeln durchzuführen.

Ein Hinweis, der von unterschiedlichsten Seiten immer wieder kam, war, dass man von Anfang an in der Verhandlung versuchen sollte, einen Deal zu strukturieren. Sich auf die umstrittenen Themen, insbesondere die Allokation von Schuld zu konzentrieren, ist kontraproduktiv. Gerade das will man vermeiden, wenn man den Weg in die ordentliche Gerichtsbarkeit bewusst nicht einschlägt.

Julia Müller19 : Mein bester Ratschlag war, mir immer wieder klar zu machen, warum ich eigentlich am Verhandlungstisch sitze und was ich erreichen will. Also immer realistisch zu bleiben und keine Scheu zu haben, jegliche Fragen zu stellen


16 Coach des Bucerius Mediation Teams 2017/2018; Teilnahme an der 12. ICC Mediation Competition mit dem Team der Bucerius Law School 2016/2017.

17 Teilnahme an der 13. ICC Mediation Competition mit dem Team der Bucerius Law School 2017/2018.

18 Teilnahme an der 13. ICC Mediation Competition mit dem Team der Bucerius Law School 2017/2018.

19 Teilnahme an der 13. ICC Mediation Competition mit dem Team der Bucerius Law School 2017/2018.

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oder auch unangenehme Tatsachen auszusprechen.

D. Was ist eurer Meinung nach der Schlüssel zum Erfolg bei der ICC Mediation Competition?

Anna Brombach: Neben einer intensiven inhaltlichen Vorbereitung der Fälle sind vor allem zwei Dinge entscheidend. Zum einen muss man sich immer wieder auf die Interessen, die hinter den sichtbaren Positionen der anderen Partei stehen, zurückbesinnen und fortlaufend versuchen so viel wie möglich über diese herauszufinden. Zum anderen ist es wahnsinnig hilfreich, sich (insbesondere als Klient) so intensiv mit der Rolle zu identifizieren und in dieser zu stecken, dass man problemlos auch auf unvorhergesehene, spontane und unangenehme Fragen der Gegenseite antworten kann. Des Weiteren sollte man immer für spontane Änderungen im Verhandlungsverlauf in Form von ungewöhnlichen, kreativen Lösungsvorschlägen offen sein bzw. sich von diesen nicht überrumpeln zu lassen. Hier kommt der Counsel immer wieder ins Spiel. Er agiert überlegt und behält den Überblick, auch wenn Verwirrung am Verhandlungstisch entsteht. Dementsprechend ist ein gutes Zusammenspiel von Client und Counsel – neben einem vorteilhaften Verhandlungsergebnis – extrem wichtig für den Erfolg beim Wettbewerb.

Carl Grupe: Exzellente Kenntnis des Sachverhalts, starker Wille und rhetorisch schlagfertiges Auftreten.

Julia Müller: Hier hat letztlich jeder eine unterschiedliche Meinung. Ich glaube man muss eine Balance aus den Bewertungskriterien und einem authentischen Auftreten finden. Sich selbst treu zu bleiben und nicht zu arg zu schauspielern, ist auf jeden Fall sehr wichtig. Sonst wirkt der Auftritt gestellt, und das fällt schnell negativ auf.

E. Welche Kenntnisse und Fähigkeiten erwirbt man im Laufe der Vorbereitung auf den Wettbewerb, die für das Jura-Studium im Allgemeinen hilfreich sind?

Anna Brombach: Man lernt sehr gut, einen Sachverhalt, in sinnvolle Teile herunterzubrechen. Man splittet ihn u.a. auf in die Interessen der beiden Parteien und identifiziert, welche Informationen wichtig und welche eher nebensächlich sind. Man lernt also letztlich eine effektive Art der Priorisierung. Diese hilft dabei, sich sehr viel schneller bewusst zu werden, was man wirklich erreichen will und wie man dieses Ziel am besten erreicht. Im nächsten Schritt entwickelt man dann Strategien um das gesteckte Ziel zu erreichen. Im Alltag des Jura-Studiums merke ich jetzt, dass ich auch an juristische Sachverhalte ganz anders herangehe und diese viel strukturierter und vor allem mit einem veränderten Problembewusstsein aufarbeite.

Darüber hinaus übt das Verhandeln wirtschaftlich komplexer Sachverhalte auf englischer Sprache während des Wettbewerbs ungemein. Frei und ungehemmt vor Leuten sprechen zu können, hilft einem in jedem Lebensbereich.

Carl Grupe: Vor allem bezogen auf Verhandlungsstrategie und Konfliktanalyse ist die Wettbewerbsvorbereitung sehr lehrreich. Die Wettbewerbsrunden finden zwar im Format der Mediation statt, aber die Parteien, in deren Schuhen man in diesem Moment steckt, sitzen letztlich da, um ein für sie günstiges Settlement zu erlangen.

Die Herangehensweise, sich in der Vorbereitung sowie als auch in der Verhandlung selbst intensiv auf die Interessen der Gegenseite zu fokussieren, ist auch in Verhandlungssituationen außerhalb des Wettbewerbs oder des Jura-Studiums sehr hilfreich. Es gibt da dieses schöne Bild von zwei Kindern, die sich um eine Orange streiten. Dass einer das Fleisch und der andere die Schale begehrt, darauf kommt aber keiner der beiden, weil sie keine offene Kommunikation praktizieren.20 Während der ICC Mediation Competition lernt man demgegenüber, sich immer wieder die Frage zu stellen, was will mein Gegenüber hier wirklich und warum handelt er so, wie er handelt. Gibt es vielleicht etwas, das ich bisher übersehe?

Wenn man einen Überblick über die Interessen am Tisch hat, kristallisiert sich nach und nach eine „Zone of Possible Agreement“ (ZOPA)21 heraus. Es wird bestimmte, von den Interessen abgeleitet Punkte geben, bei denen man weder selbst, noch die andere Seite Zugeständnisse machen wird und andere Punkte, bei denen beide bereit sind aufeinander zuzugehen. Diese ZOPA kann man nutzen, um realistische Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten und anzufangen die eigenen Zugeständnisse zu planen. Hier stellen sich dann wiederum psychologische Fragen: Biete ich gleich am Anfang einen „Package-Deal“ an, der viele gegenseitige Zugeständnisse beinhaltet und signalisiere so, dass ich besonders kompromissbereit bin, um damit auch besonders stark an die Kooperationsbereitschaft der anderen Seite zu appellieren? Oder entscheide ich mich dafür, asymmetrisch Druck zu erzeugen, indem ich dem Standpunkt der anderen Seite in mehreren kleinen Schritten entgegenkomme, um meinen Verhandlungspartner im Gegenzug dazu zu bringen, mir ein großes Zugeständnis zu machen, das das Gesamtvolumen meiner vielen, geringfügigen Zugeständnisse idealerweise sogar übersteigt.

Wie man letztlich genau vorgeht, hängt dabei nicht nur vom persönlichen Stil, sondern auch davon ab, wer auf der Gegenseite sitzt, welche Strategie er fährt und wie er kulturell geprägt ist.

Während und in Vorbereitung auf die Verhandlung muss man darüber hinaus immer seine eigene „Best Alternative To a Negotiated Agreement“ (BATNA)22 und „Worst Alternative To a Negotiated Agreement“ (WATNA)23 sowie die BATNA und WATNA der anderen Seite im Hinterkopf behalten. So bewahrt man sich davor, einen Deal abzuschließen, der unverhältnismäßig unvorteilhaft für die eigene Seite ist. Auch kann man so ggf. Oberhand über die andere Seite erlangen, indem man ihr respektvoll die Alternativlosigkeit


20 Vgl. Fisher/Ury, 2. Aufl. 1991, S. 31.

21 Siehe etwa Brown/Marriott, ADR Principles and Practice, 3. Aufl. 2011, Rn. 4-046 ff.

22 Siehe etwa dies., Rn. 10-191 ff.

23 Ebd.

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ihres Vorgehens aufzeigt.

Diese ganzen Themen spielen tendenziell auch immer eine Rolle in Alltagskonflikten. Mit den Verhandlungstools gut umgehen zu können, bedeutet also nicht nur eine Bereicherung und einen Vorteil im Hinblick auf die Verhandlungen in Paris.

Julia Müller: Ich finde, dass die intensive Vorbereitung sehr viele wichtige Fähigkeiten für den Karriereweg des Juristen lehrt. Im Beruf wird man nicht selten mit Verhandlungssituationen konfrontiert sein. Hierauf bereitet das Mediation Training unheimlich gut vor.