Urlaubsabgeltung bei Tod des Arbeitnehmers

Hanna Jacobsohn*

A. Einführung

I. Problemaufriss

140 Tage. 140 Urlaubstage entsprechen gut sieben Monaten Arbeitszeit. Sieben Monate Arbeitszeit lassen sich auf mehr als ein halbes Jahresgehalt beziffern. Das liegt bei einem Durchschnittsverdiener in der Bundesrepublik Deutschland derzeit bei rund 22.600 € brutto.1

Es kann um solche Summen gehen, wenn sich Erben die Frage stellen, ob sie für noch offene Urlaubstage des Erblassers finanziell Abgeltung verlangen können.

In der rechtlichen Diskussion schien die Frage nach der Vererbbarkeit von Urlaubsabgeltungsansprüchen durch ein auf einen deutschen Vorlagebeschluss2 zurückgehendes Urteil3 des EuGH seit 2014 eigentlich geklärt: Stirbt ein Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis, entstehe ein Urlaubsabgeltungsanspruch der Erben.4

Die deutschen Instanzgerichte folgten dieser Auslegung.5 Zwar sah das BAG Urlaubsabgeltungsansprüche bis dato stets als unvererbbar an, wenn ein Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis verstarb.6 Im Zuge der EuGH‑Entscheidung erschien es aber sehr wahrscheinlich, dass sich auch das höchste deutsche Arbeitsgericht – wieder einmal – den europäischen Richtern beugen würde.7

Doch entgegen aller Erwartungen entschied sich das BAG, den EuGH im Oktober 2016 mittels Einleitung zweier Vorabentscheidungsverfahren8 zur Vererbbarkeit von Urlaubsabgeltungsansprüchen erneut von deutscher Seite aus anzurufen.

Aus diesem „Déjà-Vu“9 wird deutlich: Das BAG sträubt sich. Es sträubt sich gegen die Europäisierung des deutschen Urlaubsrechts, das seit der Schultz‑Hoff‑Entscheidung10 im Jahr 2009 heftig „durcheinandergewirbelt“11 wurde und seitdem unter dem stetigen Einfluss des „case law des EuGH12 nicht zur Ruhe kommt.

Zweifelhaft ist, ob der EuGH die erneuten Vorlagen als Chance zu einer möglicherweise erforderlichen Korrektur seiner Rechtsprechung nutzen wird.13 Vor diesem Hintergrund ist zu klären, ob das deutsche Urlaubsrecht sich von seinem bisherigen Verständnis von Urlaub und Urlaubsabgeltung lösen muss – und wie es das dogmatisch könnte.

B. Rechtliche Ausgangslage

I. Zentrale Ansprüche des Arbeitnehmers aus deutschem und europäischem Recht

1. Urlaubsanspruch

Nach §§ 1, 3 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf mindestens 20 Werktage bezahlten Erholungsurlaub pro Kalenderjahr. Auf Unionsebene ist der Urlaubsanspruch in Art. 7 I der Richtlinie 2003/88/EU über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ArbZ-RL) geregelt. Zudem ist er primärrechtlich in Art. 31 II der Charta der Grundrechte der europäischen Union (GRC) normiert. Der EuGH legte die beiden Rechtsquellen aus und erweiterte den Erholungszweck des Jahresurlaubs um eine Freizeit-Komponente: Zweck des Urlaubs sei es auch, über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen.14

Der Urlaubsanspruch verfällt grundsätzlich zum Ende des Kalenderjahres; nur ausnahmsweise besteht eine Übertragungsmöglichkeit bis zum 31. März des Folgejahres, § 7 III BUrlG. Eine wichtige Ausnahme von diesen Verfallsfristen besteht, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch wegen dauerhafter krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht geltend machen kann. So urteilte der EuGH in der Entscheidung Schultz-Hoff, dass der Mindesturlaub als „besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Gemeinschaft […], von dem nicht abgewichen werden darf […] [,]“15 nicht verfallen dürfe, wenn der Arbeitnehmer gar nicht die tatsächliche Möglichkeit hatte, Urlaub zu nehmen.16 Im zwei Jahre danach folgenden Urteil KHS stellte das Gericht aber klar, dass langzeiterkrankte Arbeitnehmer Urlaubsansprüche gleichwohl nicht unbegrenzt ansammeln können.17

2. Urlaubsabgeltungsanspruch

Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist in § 7 IV BUrlG normiert. Das europäische Pendant findet sich in Art. 7 II ArbZ-RL.


* Die Autorin ist Studentin der Bucerius Law School, Hamburg. Bei dem Beitrag handelt es sich um eine stark verkürzte Version ihrer im Rahmen des Schwerpunkts Arbeitsrecht angefertigten Examensseminararbeit.

1 Statistisches Bundesamt, „Durchschnittliche Bruttomonatsverdienste“, abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/VerdiensteArbeitskosten/VerdiensteVerdienstunterschiede/Tabellen/Bruttomonatsverdienste.html, zuletzt abgerufen am: 22.04.2018.

2 LAG Hamm, NJOZ 2013, 897.

3 EuGH, EU:C:2014:1755 = NZA 2014, 651 f. – Bollacke.

4 Vgl. EuGH, Bollacke, (Fn. 3), Rn. 30.

5 ArbG Berlin, BeckRS 2015, 73309; LAG Düsseldorf, BeckRS 2016, 67518; LAG Köln, BeckRS 2016, 72946.

6 BAG, NZA 2012, 326 ff.

7 Streßig/Renners, ZEV 2017, 313, 315.

8 BAG, BeckRS 2016, 74836; BAG, NZA 2017, 207 f.

9 Gooren/Rudkowski, NJW 2017, 1149.

10 EuGH, Slg. 2009, I-179 = NZA 2009, 135 ff. – Schultz-Hoff.

11 Jacobs, NZA-Beilage 2014, 82, 84.

12 Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht3, 2017, § 7 Rn. 39.

13 Gooren/Rudkowski, NJW 2017, 1149, 1150; vgl. Staudinger/Kunz, § 1922 Rn. 484.

14 EuGH, EU:C:2013:102 = NZA 2013, 369, 370 Rn. 18 – Maestre García.

15 EuGH, Schultz-Hoff, (Fn. 10), Rn. 22.

16 EuGH, Schultz-Hoff, (Fn. 10), Rn. 43 ff.

17 EuGH, Slg. 2011, I-11757 = NZA 2011, 1333, 1334 Rn. 30 – KHS.

Jacobsohn, Urlaubsabgeltung bei Tod des Arbeitnehmers33

a) Entstehung und Zweck

Der Urlaubsabgeltungsanspruch regelt das Schicksal von Urlaubsansprüchen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.18 Der Urlaub kann dann nicht mehr in natura genommen werden und ist deshalb in Geld auszubezahlen.19

Im bestehenden Arbeitsverhältnis ist eine Abgeltung verboten, vgl. Art. 7 II ArbZ-RL, arg. e contrario § 7 IV BUrlG. Damit soll das „Abkaufen“ von Urlaub verhindert und so der Arbeitnehmerschutz durch garantierte Erholungs- und Freizeitphasen gewährleistet werden.20

Zweck des Abgeltungsanspruchs ist es, den Arbeitnehmer finanziell zu entschädigen und es damit zu ermöglichen, den Urlaub zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen.21

b) Rechtsnatur

Die Rechtsprechung hat ihre Auffassung zur Rechtsnatur des Urlaubsabgeltungsanspruchs in den letzten Jahren grundlegend geändert.

Nach der sog. Surrogationstheorie, die über mehrere Jahrzehnte das deutsche Verständnis vom Charakter des Urlaubsabgeltungsanspruchs prägte, war der Abgeltungsanspruch Surrogat des Urlaubsanspruchs, das bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Ersatzanspruch an dessen Stelle trat.22 Der Abgeltungsanspruch war somit an die gleichen Voraussetzungen geknüpft wie der Urlaubsanspruch selbst.23

Dieses Verständnis konnte nach der Schultz-Hoff-Entscheidung24 des EuGH aus dem Jahr 2009 nicht aufrechterhalten werden. Es dauerte aber noch drei Jahre, bis sich das BAG endgültig von der Surrogationstheorie verabschiedete.25 Heute stellt der Abgeltungsanspruch einen reinen Geldanspruch dar.26 Als solcher „unterscheidet [er] sich in rechtlicher Hinsicht nicht von anderen Zahlungsansprüchen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber“27.

II. Vererbbarkeit der Ansprüche

Ausgehend von diesen Grundsätzen stellt sich die Frage nach der Vererbbarkeit beider Ansprüche. Im Folgenden wird die dazugehörige Rechtsprechung skizziert und aufgezeigt, welche Divergenzen zwischen deutschem und europäischem Rechtsverständnis bestehen.

1. Einigkeit über die (Nicht-)Vererbbarkeit des Urlaubsanspruchs

Grundlegende Einigkeit besteht dahingehend, dass der Urlaubsanspruch selbst nicht vererbbar ist, wenn der Arbeitnehmer – unabhängig vom konkreten Zeitpunkt – verstirbt.28

2. Uneinigkeit über die Vererbbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs

Für die Frage nach der Vererbbarkeit des Abgeltungsanspruchs ist danach zu unterscheiden, ob das Arbeitsverhältnis vor dem oder durch den Tod des Arbeitnehmers endet. Herrscht für den ersten Fall seit der Aufgabe der Surrogationstheorie Einigkeit (a)), ist Letzteres heftig umstritten und zentral für den weiteren Verlauf des Beitrags (b)).

a) Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Tod des Arbeitnehmers

Beispiel: A kündigt fristgerecht zum 21.08. Er verfügt über 33 Tage Resturlaub, die er zuvor krankheitsbedingt nicht hatte nehmen können. Am 22.08. verstirbt A.29

Das Arbeitsverhältnis von A wurde einen Tag vor seinem Tod durch die Kündigung beendet. Dadurch entstand nach § 7 IV BUrlG ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung i.H.v. 33 Tagen. Da der Abgeltungsanspruch nach Aufgabe der Surrogationstheorie ein reiner Geldanspruch ist, bleibt der bereits entstandene Abgeltungsanspruch Teil des Vermögens des A.30 Nach § 1922 I BGB geht er mit dem Tod des A auf dessen Erben über.

b) Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod des Arbeitnehmers

Beispiel: A stirbt an einem Herzinfarkt. Das Arbeitsverhältnis endet durch seinen Tod. A hatte noch 33 Tage Resturlaub, die er zuvor krankheitsbedingt nicht hatte nehmen können.31

aa) Kein Entstehen eines Urlaubsabgeltungsanspruchs (BAG)

Nach der Auffassung des BAG kann A auch nach Aufgabe der Surrogationstheorie keinen Urlaubsabgeltungsanspruch vererben. Mit seinem Tod ende das Arbeitsverhältnis, woraufhin der Anspruch des A auf 33 Tage Resturlaub erlösche.32 Ein mit dem Tod untergehender Urlaubsanspruch könne sich nicht zeitgleich in einen Abgeltungsanspruch wandeln.33


18 Ehlers, Krank im Urlaub, S. 311.

19 Holthaus, in: Däubler/Hjort/Schubert/Wolmenrath (Hrsg.), BUrlG § 7 Rn. 95.

20 Neumann, in: Neumann/Fenski/Kühn (Hrsg.), BUrlG § 7 Rn. 102.

21 Generalanwältin Trstenjak, Schlussanträge Rs. C-214/10, juris, Rn. 67 – KHS.

22 Vgl. BAG, NZA 1989, 763, 763 f.

23 BAG, NZA 1995, 476, 477.

24 EuGH, Schultz-Hoff, (Fn. 10).

25 BAG, NZA 2012, 1087 Ls.

26 BAG, NZA 2012, 1087, 1089 Rn. 23.

27 BAG, NZA 2013, 1098, 1099 Rn. 14.

28 BAG, AP BGB § 611 Urlaubsrecht Nr. 7; ErfK/Gallner, BUrlG § 1 Rn. 23.

29 Fall angelehnt an Streßig/Renners, ZEV 2017, 313.

30 Vgl. BAG, NZA 2016, 37, 38 f. Rn. 14.

31 S. (Fn. 29), S. 314.

32 Vgl. BAG, NZA 2012, 326 Rn. 13.

33 Ebd. Rn. 22.

Jacobsohn, Urlaubsabgeltung bei Tod des Arbeitnehmers34

bb) \makebox[0.7

cc) Entstehen eines Urlaubsabgeltungsanspruchs

(EuGH)

Dieser Auffassung ist der EuGH mit seinem zwei Seiten kurzen Bollacke-Urteil entgegengetreten. Er entschied, dass Art. 7 ArbZ-RL so auszulegen sei, dass der Urlaubsanspruch auch dann nicht untergehen dürfe, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet.34

Zur Begründung führt er an, der restriktiv auszulegende Art. 7 II ArbZ-RL setze nur voraus, dass (1.) das Arbeitsverhältnis beendet sei und (2.) ein Resturlaubsanspruch bestehe.35 Zudem umfasse der Urlaubsanspruch auch die Fortzahlung der Vergütung, sodass auch der Beendigungstatbestand „Tod“ aus Gründen der praktischen Wirksamkeit des Art. 7 ArbZ-RL nicht verhindern dürfe, dass sich der Urlaubsanspruch in einen Anspruch auf finanzielle Vergütung umwandelt.36 Wäre ein Resturlaubsanspruch im Todesfall nicht finanziell abzugelten, würde ein „unwägbares, weder vom Arbeitnehmer noch vom Arbeitgeber beherrschbares Vorkommnis rückwirkend zum vollständigen Verlust des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub […] führen.“37

Die Wirkung von EuGH-Urteilen, die die Auslegung von Unionsrecht betreffen, ist bislang zwar nicht endgültig geklärt.38 Jedenfalls letztinstanzliche nationale Gerichte sind seit dem CILFIT-Urteil39 des EuGH aber faktisch an dessen Auslegung gebunden.40

dd) Aktuelle Vorlagen des BAG beim EuGH

Es kam deshalb überraschend, als das BAG den EuGH im Oktober 2016 erneut von deutscher Seite aus anrief. Es legte ihm die Frage vor, ob den Erben bei Tod des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis ein Urlaubsabgeltungsanspruch aus Art. 7 II ArbZ-RL oder Art. 31 II GRC auch dann zustehe, wenn nationales Erbrecht entgegenstehe.41

Hieraus wird deutlich, dass sich das BAG – anders als zuvor die Instanzgerichte – zu einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 IV BurlG vermeintlich nicht in der Lage sieht. Denn wie bereits gesehen, hielt das BAG auch nach Aufgabe der Surrogationstheorie daran fest, der Urlaubsabgeltungsanspruch sei auch dann nicht vererbbar, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet. Gleichwohl ist zweifelhaft, ob eine richtlinienkonforme Auslegung tatsächlich nicht möglich ist. Vielmehr scheint sich das BAG schlicht nicht erneut in Sachen Urlaubsrecht vom EuGH „über den Mund fahren“ lassen zu wollen. Es bedient sich daher in einem Schlenker des deutschen Erbrechts, nach dem es nicht möglich ist, Ansprüche aus einem zugrundeliegenden unvererbbaren Rechtsverhältnis zu vererben, die im Erbfall noch gar nicht entstanden sind, vgl. § 1922 Abs. 1 BGB.42 Das BAG macht dem EuGH mithin seinen gegenteiligen Standpunkt deutlich und erhofft sich dadurch eine Korrektur oder Nuancierung der europäischen Rechtsprechung.

C. Vererbbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs unter Einfluss europarechtlicher Vorgaben

Vor diesem Hintergrund gilt es zu klären, welche Gründe generell dafür und dagegen sprechen, den Tod als Beendigungstatbestand i.S.v. Art. 7 II ArbZ-RL anzuerkennen. Da nicht zu erwarten ist, dass der EuGH von seinem Bollacke-Urteil abweichen wird, muss sich im Anschluss damit beschäftigt werden, wie diese verbindliche Rechtsprechung dogmatisch in nationales Recht umgesetzt werden kann.

I. Abgeltungspflicht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gem. Art. 7 II ArbZ‑RL

Zunächst ist festzustellen, dass nach Art. 7 II ArbZ-RL eine Pflicht zur Urlaubsabgeltung besteht, wenn das Arbeitsverhältnis endet. Dem Wortlaut ist insoweit zwar nur zu entnehmen, dass eine Abgeltung des Urlaubs im bestehenden Arbeitsverhältnis ausgeschlossen ist, nicht aber, dass sie nach dessen Beendigung auch erfolgen muss.43 Demgegenüber sichert und ergänzt die Norm den Urlaubsanspruch aus Art. 7 I ArbZ-RL.44 Ebenso wie § 7 IV BUrlG liegt ihr die Wertung zugrunde, der Urlaub solle im laufenden Arbeitsverhältnis tatsächlich genommen und nicht vom Arbeitgeber „abgekauft“ werden. Das aber kann nur sichergestellt werden, wenn für den Arbeitgeber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich eine Pflicht besteht, offene Mindesturlaubstage in Geld auszuzahlen.

II. Ausnahme von der Abgeltungspflicht bei Beendigungstatbestand „Tod“

Es stellt sich somit die zentrale Frage, ob eine Ausnahme von dem Grundsatz der Abgeltungspflicht nach Art. 7 II ArbZ-RL für den Fall gemacht werden muss, dass ein Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet.

Würde man eine Ausnahme bejahen, entstünde bei Tod des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis mangels Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein Abgeltungsanspruch. Letzterer könnte dann auch nicht vererbt werden. Verneint man eine Ausnahme, entstünde mit dem Tod des Arbeitnehmers ein Abgeltungsanspruch, der als reiner Geldanspruch vererbt werden könnte.

Entscheidend ist somit nicht, ob ein Urlaubsabgeltungsanspruch als solcher vererbbar ist, sondern schon die vorgelagerte Frage, ob ein solcher Anspruch mit dem Tod des Arbeitnehmers überhaupt entstehen kann.45


34 Vgl. EuGH, Bollacke, (Fn. 3), Rn. 30.

35 EuGH, Bollacke, (Fn. 3), Rn. 22 f.

36 EuGH, Bollacke, (Fn. 3), Rn. 19, 21, 24.

37 EuGH, Bollacke, (Fn. 3), Rn. 25.

38 Schwarze, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo (Hrsg.), EU-Kommentar3, 2012, AEUV Art. 267 Rn. 71.

39 EuGH, Slg 1982, 3415 = NJW 1983, 1257, 1258 – CILFIT

40 Höpfner, in: Franzen/Gallner/Oetker (Hrsg.), Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht1, 2016, AEUV Art. 267 Rn. 94.

41 S. (Fn. 8).

42 Vgl. Staudinger/Kunz, § 1922 Rn. 81.

43 Kamanabrou, RdA 2017, 162.

44 Ebd.

45 Pötters, EuZW 2014, 591, 592.

Jacobsohn, Urlaubsabgeltung bei Tod des Arbeitnehmers35

1. Gründe für und gegen eine Ausnahme

a) Wortlaut des Art. 7 II ArbZ-RL

Der Wortlaut des Art. 7 II ArbZ-RL fordert für das Entstehen eines Urlaubsabgeltungsanspruchs lediglich, dass (1.) das Arbeitsverhältnis beendet ist und (2.) ein Resturlaubsanspruch des Arbeitnehmers besteht. Da das Arbeitsverhältnis mit dem Tod endet, sind beide Voraussetzungen erfüllt, wenn ein Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis verstirbt und noch über gesetzlichen Mindesturlaub verfügt. Eine Ausnahme von der Abgeltungspflicht wäre mithin nicht erforderlich.

b) Zweck des Urlaubsabgeltungsanspruchs

Die Reichweite des Abgeltungsanspruchs ist aber durch seinen Zweck begrenzt.46 Wie bereits gezeigt, soll der Anspruch den Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht in natura gewährten Urlaub entschädigen und es ihm ermöglichen, den Urlaub später nachzuholen.47

Es liegt nun auf der Hand, dass dieser Zweck bei einem Toten nicht verwirklicht werden kann.48 Ein Toter kann sich weder von seiner Arbeit erholen noch einer Freizeitbeschäftigung nachgehen oder seinen Urlaub nachholen. Auch beim Erben kann der Arbeitnehmerschutzzweck nicht verwirklicht werden, da dieser untrennbar mit der Person des Arbeitnehmers verbunden ist.49

Die Zwecksetzung des Urlaubsabgeltungsanspruchs bedeutet allerdings nicht zugleich auch eine strikte Zweckbindung.50 Der Arbeitnehmer ist schon im laufenden Arbeitsverhältnis nicht dazu gezwungen, sich während seines Urlaubs zu erholen; nach deutschem Recht muss er dafür lediglich die Grenzen des § 8 BUrlG einhalten.51 Erst Recht ist der Arbeitnehmer nicht dazu gezwungen, den Urlaub mit dem aus einem Abgeltungsanspruch erlangten Geld tatsächlich nachzuholen, sondern kann das Geld auch einfach sparen.52 Betont man demnach den – vom Erholungszweck losgelösten – Entgeltcharakter des Urlaubsanspruchs, spräche dieser für eine Abgeltungspflicht auch in dem Fall, dass der Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis verstirbt. Das gleiche Ergebnis ist auf den ersten Blick auch die logische Konsequenz daraus, dass es sich bei dem Urlaubsabgeltungsanspruch seit der Aufgabe der Surrogationstheorie um einen reinen Geldanspruch handelt.53

Allerdings lässt sich aus seiner Charakterisierung als reiner Geldanspruch nicht zwingend schließen, dass der Abgeltungsanspruch nach § 1922 I BGB vererbbar sei.54 Das zeigt bereits die unterschiedliche Behandlung von Geldentschädigungs- und Schmerzensgeldansprüchen, von denen der BGH erstere als unvererbbar und letztere als vererbbar ansieht.55

Richtigerweise kann auch nach Aufgabe der Surrogationstheorie nicht einfach übergangen werden, dass der Abgeltungsanspruch den Zweck verfolgt, es dem aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitnehmer zu ermöglichen, seinen Urlaub nachzuholen.56 Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruch lassen sich schon begrifflich nicht ohne jedweden Sachzusammenhang betrachten. Auch wenn der Abgeltungsanspruch nach jüngstem Verständnis einen reinen Geldanspruch darstellt, bleibt er immer noch Teil des Arbeitnehmerschutzrechts, vgl. Art. 1 I i.V.m. Art. 7 II ArbZ-RL. Dann muss für den Arbeitnehmer aber zumindest eine abstrakte Möglichkeit bestehen, das Geld für Erholung, Freizeit und Entspannung auszugeben.57 Als „Geldanspruch mit bestimmter Zwecksetzung“58 kann ein Abgeltungsanspruch deshalb nur dann entstehen, wenn es objektiv möglich ist, seinen Zweck zu erreichen.59 Ist der Arbeitnehmer tot, ist das ausgeschlossen.

Diese Argumentation darf nicht dahingehend missverstanden werden, es ginge hierbei um eine „Wiederbelebung“60 der Surrogationstheorie. Von ihr hat man sich in europarechtskonformer Weise zu Recht verabschiedet und es so ermöglicht, einen mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits entstandenen Abgeltungsanspruch zu vererben. Entscheidend ist vielmehr, dass in dem Fall, in dem ein Arbeitnehmer erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verstirbt, der Arbeitnehmer bis zum Erbfall grundsätzlich zumindest eine abstrakte Möglichkeit hatte, die finanzielle Abgeltung zweckgemäß in Erholung, Entspannung und Freizeit zu investieren.

Den Abgeltungsanspruch vom Urlaubsanspruch „bis in den Tod hinein“ völlig zu entkoppeln, ist mithin nicht schlüssig. Stirbt ein Arbeitnehmer, kann der originäre Zweck des Abgeltungsanspruchs nie erreicht werden.61 Dann aber ist nicht ersichtlich, warum ein solcher Anspruch entstehen sollte, um ausschließlich Dritten – sprich, den Erben – eine Geldleistung zukommen zu lassen. Dass eine Arbeitszeitrichtlinie „Erbenschutz“62 vermitteln soll, überzeugt nicht. Nach Erwägungsgrund 2 ArbZ-RL stützt sich die Richtlinie auf Art. 137 EGV (heute: Art. 153 AEUV) und seine Kompetenzzuweisung an die Union, die Tätigkeiten der Mitgliedstaaten insbesondere zum Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu verbessern.63 Ist Arbeitnehmerschutz damit zentraler Zweck der ArbZ-RL, verliert die Richtlinie ihre Rechtfertigung dann, wenn kein Arbeitnehmer mehr geschützt werden kann. Der einzige Fall, in dem Arbeitnehmerschutz nicht möglich ist, ist der Tod.

Es ist mithin negative Tatbestandsvoraussetzung des Abgeltungsanspruchs, dass der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch lebt. Wie kurz oder lang


46 Kamanabrou, RdA 2017, 162, 163.

47 Trstenjak, (Fn. 21).

48 BAG, NZA 2013, 678, 679 Rn. 13.

49 Hock/Hock, ZTR 2015, 253, 258.

50 Schubert, RdA 2014, 9, 15.

51 Ebd.

52 Schipper/Polzer, NZA 2011, 80, 82.

53 Vgl. Joussen, RdA 2015, 305, 320 f.

54 Staudinger/Kunz, § 1922 Rn. 481.

55 Ebd. m.w.N.

56 Staudinger/Richardi/Fischinger, § 613 Rn. 18.

57 Fischinger, AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 92 unter III. 2. d).

58 Ebd.; a.A. LAG Hamm, NZA 2011, 106, 108.

59 Fischinger, (Fn. 57).

60 Schubert, RdA 2014, 9, 13.

61 Fischinger, (Fn. 57).

62 Seel, NWB 2016, 362, 366.

63 RL 2003/88/EG, ABl. L 299, S. 9.

Jacobsohn, Urlaubsabgeltung bei Tod des Arbeitnehmers36

das ist, ist unerheblich.

Nicht zu bestreiten ist die sich daraus für § 7 IV BurlG ergebende Rechtsunsicherheit, da im Ergebnis für jede einzelne Fallgestaltung (Tod durch / nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses) eine erneute Auslegung nach den europarechtlichen Vorgaben vorzunehmen ist.64 Mit Blick auf die vorhergehenden Ausführungen ändert das allerdings nichts daran, dass allein so sachgerechte Ergebnisse erzielt werden, die in der Lage sind dem Arbeitnehmerschutz zu dienen. Bestehende Rechtsunsicherheiten sind grundsätzlich vom Gesetzgeber zu beseitigen.

Die Charakterisierung des Urlaubsabgeltungsanspruchs als „Geldanspruch mit bestimmter Zwecksetzung“ spricht folglich dafür, von der Abgeltungspflicht abzusehen, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet.

c) Vergleich zur Argumentation des EuGH im Urteil KHS

Für eine Ausnahme von der Abgeltungspflicht bei Tod des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis spricht darüber hinaus ein Vergleich zur Argumentation des EuGH im eingangs erwähnten Urteil KHS.65

Zur Erinnerung: Im Urteil KHS stellte der EuGH klar, dass langzeiterkrankte Arbeitnehmer Urlaubsansprüche nicht unbegrenzt ansammeln können, sondern spätestens 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfallen.66 Grund dafür sei, dass der Urlaubsanspruch nach Überschreiten einer gewissen zeitlichen Grenze seine positive Wirkung als Erholungszeit verliere und dem Arbeitnehmer lediglich die Zeit für Entspannung und Freizeit verbliebe.67 Wenn allerdings schon eine teilweise Zweckerledigung es rechtfertigt, den Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruch im Fall der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit zu verlieren, muss das erst recht gelten, wenn der Zweck wie im Fall des Todes des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis nie mehr erreicht werden kann – sprich, wenn der Arbeitnehmer weder die Möglichkeit hat, sich zu erholen, noch sich zu entspannen und seine Freizeit zu gestalten.

In einen weiteren Widerspruch verstrickt sich der EuGH, wenn er den Verfall von Abgeltungsansprüchen dauerhaft krankheitsbedingt arbeitsunfähiger Arbeitnehmer mit dem Zweck der Ansprüche rechtfertigt, den Verfall von Abgeltungsansprüchen bei Tod des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis aber verneint, weil der Tod ein unwägbares, von den Arbeitsvertragsparteien nicht zu beeinflussendes Ereignis sei.68 Eine solche Unterscheidung ergibt keinen Sinn, weil auch das Krankwerden und -sein regelmäßig unwägbare, von den Arbeitsvertragsparteien nicht zu beeinflussende Ereignisse sind.69

d) Sozial- und arbeitsmarktpolitische Erwägungen

\s(1) Kein unerwarteter Vorteil beim Arbeitgeber

Zum Teil wird in der Literatur vertreten, dass der Tod unter den Beendigungstatbestand i.S.d. Art. 7 II ArbZ-RL gefasst werden müsse, um zu verhindern, dass der Arbeitgeber einen unerwarteten Gewinn erzielt.70 Das sei der Fall, weil der Arbeitgeber den Urlaub auch dann hätte abgelten müssen, wenn das Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen geendet hätte.71 Der Arbeitgeber solle aus dem oftmals zufälligen Tod des Arbeitnehmers keine Vorteile ziehen.72

Gegen diese Ansicht wendet Giesen ein, dass der Tod eines langzeiterkrankten Arbeitnehmers keineswegs rein zufällig sei und die Sterbewahrscheinlichkeit dem Arbeitgeber keinen Anreiz zur Kündigung bieten solle.73

Ihm ist im Ergebnis zuzustimmen. Die Begründung überzeugt jedoch nicht, weil der letztliche Todeszeitpunkt in der Regel für beide Vertragsparteien tatsächlich nicht vorhersehbar ist. Zudem werden von der Argumentation alle denkbaren Todesfälle ausgeschlossen, die nicht auf einer Langzeiterkrankung beruhen.

Überzeugender ist deshalb, darauf abzustellen, dass der Tod eines Arbeitnehmers für beide Vertragsparteien unerwartet kommt. Es ist nämlich gerade auch der umgekehrte Fall denkbar, in dem der Arbeitnehmer vor seinem Tod „zu viel“ Urlaub genommen hat.74 Der Todeszeitpunkt kann somit auch dem Arbeitnehmer finanziell „zugutekommen“. Wenn aber beide Parteien wegen des nicht vorhersehbaren Todeszeitpunkts die gleiche Möglichkeit auf „unerwartete Gewinne“ haben, ist nicht einzusehen, warum ein solcher einseitig zulasten des Arbeitgebers verhindert werden soll.

(2) Sogar unbillige Belastung des Arbeitgebers

Vielmehr wäre es sogar eine unbillige finanzielle Belastung des Arbeitgebers, wenn man den Tod unter „Beendigung“ i.S.d. Art. 7 II ArbZ-RL subsumierte. Führt man dagegen wieder pauschal an, der Arbeitgeber hätte den Urlaub auch dann abgelten müssen, wenn das Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen geendet hätte,75 geht dieser Einwand fehl. Das Arbeitsverhältnis hat eben gerade nicht aus anderen Gründen geendet, beide Vertragsparteien haben das Ende weder vorhergesehen noch gewollt. Dieser entscheidende tatsächliche Unterschied zu Beendigungstatbeständen wie z.B. Kündigung oder Aufhebungsvertag rechtfertigt es, den Tod als Beendigungstatbestand rechtlich anders zu behandeln.76

Gerade sozialpolitische Erwägungen gebieten es sogar, den Tod als Beendigungstatbestand i.S.d. Art. 7 II ArbZ-RL auszunehmen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts


64 Vgl. LAG Hamm, NZA 2011, 106, 108.

65 Hohmeister, AP RL 2003/88/EG Nr. 14.

66 EuGH, KHS, (Fn. 17), Rn. 35 ff.

67 EuGH, KHS, (Fn. 17), Rn. 33.

68 Vgl. (Fn. 37).

69 Kamanabrou, RdA 2017, 162, 163 f.

70 Forst, FA 2014, 226, 228.

71 Schipper/Polzer, NZA 2011, 80, 82.

72 Ebd.

73 Vgl. Giesen, FA 2014, 231, 232.

74 A.A. Lingemann, in: Bauer/Lingemann/Diller/Haußmann, Anwalts-Formularbuch Arbeitsrecht6, 2017, Kap. 14 Rn. 3.

75 Polzer, Befristung des Urlaubsanspruchs, S. 200.

76 Höpfner, RdA 2013, 65, 70.

Jacobsohn, Urlaubsabgeltung bei Tod des Arbeitnehmers37

wird in Deutschland bereits im Jahr 2060 jeder Dritte mindestens 65 Jahre alt sein.77 Angesichts dieser demographischen Entwicklung muss davon ausgegangen werden, dass das Rentenalter erneut angehoben wird und auch darüber hinaus immer mehr Menschen bis ins hohe Alter hinein einer Erwerbstätigkeit nachgehen werden (müssen).78 Ein dahingehender Trend ist bereits heute erkennbar: Im Jahr 2016 ging in Deutschland jede neunte Person (11%) zwischen 65 und 74 Jahren einer Erwerbstätigkeit nach.79 Zehn Jahre zuvor waren es gerade einmal halb so viele (5%).80

Gehen nun aber immer mehr ältere Menschen einer Erwerbstätigkeit nach, steigt statistisch gesehen auch das Sterberisiko im laufenden Arbeitsverhältnis. Fasste man den Tod nun unter die „Beendigung“ des Arbeitsverhältnisses nach Art. 7 II ArbZ-RL, müssten Arbeitgeber hohe Rücklagen zu bilden, um eine steigende Zahl möglicher Urlaubsabgeltungsansprüche der Erben verstorbener Arbeitnehmer erfüllen zu können.81 Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen werden dazu aber kaum in der Lage sein oder jedenfalls ihre Ausgaben nicht ohne große Unsicherheiten kalkulieren können. Das aber widerspräche der ArbZ-RL, nach deren Erwägungsgrund 2 sie der Gründung und Entwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen nicht entgegenstehen soll.82 Es spricht angesichts des demographischen Wandels somit viel dafür, Arbeitgeber neben all den Schwierigkeiten, die eine alternde Bevölkerung mit sich bringt, nicht auch noch zusätzlich mit dem schwer kalkulierbaren Risiko von Urlaubsabgeltungsansprüchen der Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers zu belasten.

III. Dogmatische Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung in deutsches Recht

Es wäre somit zu hoffen, dass der EuGH anlässlich der Vorlage des BAG sein Verständnis zur Entstehung eines Urlaubsabgeltungsanspruchs für den Fall überdenkt, dass ein Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet. Bleibt der EuGH jedoch bei seiner Auffassung, werden sich die Mitgliedstaaten auch fortan darauf einstellen müssen, dass ein Urlaubsabgeltungsanspruch auch bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers entsteht. Im Folgenden wird deshalb untersucht, wie diese – nach der hier vertretenen Ansicht nicht überzeugende – Rechtsprechung dogmatisch in das deutsche Recht umgesetzt werden könnte.

1. Richtlinienkonforme Auslegung

In Betracht kommt zunächst eine richtlinienkonforme Auslegung des § 7 IV BUrlG. Sie verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen diejenige vorzuziehen, die zu einem europarechtskonformen Ergebnis führt.83 Zu diesem Zweck sind die gleichen Methoden anzuwenden, wie sie für die Auslegung nationalen Rechts zur Verfügung stehen.84

a) Wortlaut des § 7 Abs. 4 BUrlG

Sowohl die Instanzgerichte als auch der ganz überwiegende Teil der Literatur halten eine richtlinienkonforme Auslegung des § 7 IV BUrlG für möglich.85 Hauptargument ist dabei stets, dass die Norm nicht zwischen verschiedenen Beendigungstatbeständen unterscheide. Grundsätzlich könne deshalb auch der Tod eine Beendigung i.S.d. Norm darstellen, weil das Arbeitsverhältnis unstrittig mit ihm endet.

Dem ist nichts hinzuzufügen. Dass der Zweck des Abgeltungsanspruchs nach hier vertretener Ansicht gegen eine solche Auslegung spricht, wäre dann unerheblich, weil im Wege der vorrangigen richtlinienkonformen Auslegung die Normdeutung vorzuziehen ist, die mit dem Europarecht in Einklang steht.

b) Konkrete Konstruktion nach deutschem Recht

Für die konkrete rechtliche Konstruktion bestehen daher bereits zahlreiche Vorschläge.

Das LAG Düsseldorf begründet die Vererbbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs damit, dass bis zur tatsächlichen Freistellung von der Arbeitsleistung ein Anwartschaftsrecht auf die Zahlung von Urlaubsentgelt bestünde.86 Diese Konstruktion überzeugt jedoch nicht, da wegen des Abgeltungsverbots des § 7 IV BUrlG im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht von einer gesicherten Rechtsposition des Erben gesprochen werden kann.87 Ein Anwartschaftsrecht der Erben könnte mit dem Tod des Arbeitnehmers gerade nicht zu einem Vollrecht auf Urlaubsabgeltung erstarken.88

Andere bedienen sich zur Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung des Einsatzes einer sog. „juristischen Sekunde“. Durch sie sollen die todesbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die Unmöglichkeit der Urlaubsgewährung voneinander getrennt werden, sodass zunächst ein (vererbbarer) Urlaubsabgeltungsanspruch entstehen kann.89 Auch dieses Konstrukt überzeugt nicht. Wenn Pötters meint, das Praktische an juristischen Sekunden sei, „das[s] man sie beliebig im Raum-Zeit-Kontinuum verteilen kann, um logische Brüche zu kitten“90 ist das nicht der Anspruch, der in der Rechtswissenschaft zu Grunde gelegt werden sollte.

Insbesondere die Instanzgerichte vertreten daher die Auffassung, der Urlaubsabgeltungsanspruch entstehe unmittelbar


77 Statistisches Bundesamt, Generation 65+, S. 5.

78 Vgl. Vogel, NJ 2015, 273, 279.

79 Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts v. 12.07.2017, abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2017/07/PD17_240_122.html, zuletzt abgerufen am: 23.04.2018.

80 Ebd.

81 Vogel, (Fn. 78).

82 S. (Fn. 63).

83 Metallinos, Europarechtskonforme Auslegung, S. 1.

84 EuGH, Slg. 2004, I-8835 = NZA 2004, 1145, 1151 Rn. 116 – Pfeiffer.

85 S. (Fn. 5); Gallner, in: Franzen/Gallner/Oetker (Fn. 10), RL 2003/88/EG Art. 7 Rn. 37.

86 LAG Düsseldorf, ZTR 2016, 462, 463.

87 Vgl. BAG, NZA 2012, 326, 329 Rn. 38.

88 Ebd. Rn. 39.

89 Gooren/Rudkowski, NJW 2017, 1149, 1151; a.A. Staudinger/Richardi/Fischinger, § 613 Rn. 18.

90 Pötters, EuZW 2014, 591, 592.

Jacobsohn, Urlaubsabgeltung bei Tod des Arbeitnehmers38

in der Person des Erben.91 So seien dem Arbeitsrecht nachwirkende Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht unbekannt, soweit sie im laufenden Arbeitsverhältnis angelegt sind.92 Als ein solches Recht bestehe im laufenden Arbeitsverhältnis ein „Stammrecht auf Urlaub“93. Dieses gehe im Zeitpunkt des Erbfalls auf den Erben über und wandle sich dann, weil der Urlaubsanspruch selbst höchstpersönlicher Natur ist, in der Person des Erben in einen Abgeltungsanspruch.94 Gegenstand der Universalsukzession nach § 1922 I BGB ist mithin nicht der Abgeltungsanspruch, sondern das arbeitsrechtliche Stammrecht auf Urlaub.95

Diese Ansicht ist vorzugswürdig. Wenn nicht der Abgeltungsanspruch selbst, sondern nur ein Stammrecht auf Urlaub nach § 1922 I BGB vererbt wird, kann einer erstmaligen Entstehung des Abgeltungsanspruchs beim Erben nicht mehr entgegengehalten werden, der Abgeltungsanspruch sei noch nicht beim Erblasser entstanden und könne deshalb nicht nach § 1922 I BGB auf den Erben übergehen. Wertet man insofern den Urlaubsanspruch aus § 1 BUrlG richtlinienkonform zu einem „Stammrecht auf Urlaub“ auf, entspricht das zudem dem europarechtlichen Arbeitnehmerschutzgedanken des Urlaubs, vgl. Art. 7 ArbZ‑RL, Art. 31 II GRC.

2. Unmittelbare Anwendung des Unionsrechts

Mit etwaigen Direktansprüchen aus Art. 7 II ArbZ-RL oder Art. 31 II GRC muss sich folglich nicht mehr auseinandergesetzt werden. Ist – wie hier – eine richtlinienkonforme Auslegung möglich, geht diese der unmittelbaren Anwendung von Unionsrecht vor, weil dadurch die Souveränität der Mitgliedstaaten bestmöglich gewahrt wird.96

D. Fazit und Ausblick

Luxemburg hat gesprochen: Erben haben einen Urlaubsabgeltungsanspruch – und das selbst dann, wenn ein Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet. Dieses Ergebnis werden die deutschen Rechtsanwender akzeptieren müssen, denn ein Sinneswandel des EuGH ist auch mit Blick auf die aktuelle Vorlagen des BAGs in nächster Zeit nicht zu erwarten. Das deutsche Urlaubsrecht muss sich insofern von seinem Verständnis lösen, nach dem ein Urlaubsabgeltungsanpruch nur dann entstehen kann, wenn mit ihm der Zweck des Urlaubsanspruchs noch erreicht werden kann.

Überzeugend ist das allerdings nicht. Auch ein Geldanspruch verfolgt regelmäßig einen bestimmten Zweck. Dann aber begrenzt der Zweck zugleich die Reichweite des Anspruchs. Für den Abgeltungsanspruch hieße das, dass er nur entstehen kann, wenn zumindest noch eine abstrakte Möglichkeit besteht, dass der Arbeitnehmer Erholung, Entspannung und Freizeit verwirklichen kann. Endet das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers, ist das nicht möglich. Der Tod ist ein Sonderfall, der gewissermaßen über dem Tatbestandsmerkmal der „Beendigung“ i.S.v. sowohl Art. 7 II ArbZ-RL als auch § 7 IV BUrlG steht und folglich nicht darunter gefasst werden kann.

Es ist bedauernswert, dass der EuGH sich mit seinem Ergebnis nicht nur selbst widerspricht, sondern jenes auch noch unverfroren mit dem Arbeitnehmerschutzzweck der ArbZ-RL begründet. Im Tod lässt sich Arbeitnehmerschutz nicht verwirklichen. Das allein rechtfertigt es, den Tod als anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal auszuklammern. Ebenfalls statuiert die Arbeitszeit-RL keinen Erbenschutz. Der Tod sollte deshalb als Ausnahme von der Abgeltungspflicht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses anerkannt werden und nicht Tür und Tor für Erben öffnen, sich auf Kosten des Arbeitgebers zu bereichern.

Und dennoch sind den deutschen Juristen die Hände gebunden. Eine Umsetzung der verbindlichen EuGH-Rechtsprechung muss sogar noch nicht einmal mit „Biegen und Brechen“ in das deutsche Urlaubsrecht hineingelesen werden, da die „Beendigung“ des Arbeitsverhältnisses i.S.d. § 7 IV BUrlG bereits vom Wortlaut her auch den Tod umfassen kann. Dogmatisch ist es dann überzeugend, von einem Stammrecht auf Urlaub auszugehen, das gem. § 1922 I BGB auf den Erben übergeht. Der Abgeltungsanspruch entsteht dann unmittelbar in der Person des Erben. Da § 7 IV BUrlG mithin richtlinienkonform ausgelegt werden kann, kommt es auf eine unmittelbare Wirkung des Unionsrechts nicht mehr an.

Der „Wirbelsturm“, mit dem der EuGH seit Jahren durch das deutsche Urlaubsrecht fegt, hat deutliche Spuren hinterlassen. Ein Ende ist nicht in Sicht. Als weitere Zwischenbilanz lässt sich jedoch festhalten: Der Arbeitgeber muss Erben den nicht genommenen Urlaub eines verstorbenen Arbeitnehmers auch dann in Geld auszahlen, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet. Das können dann auch mal 140 Urlaubstage sein. In jedem Fall aber sind es 140 Tage zu viel.


91 LAG Köln, BeckRS 2016, 72946 Rn. 25; LAG Düsseldorf, BeckRS 2016, 67518 Rn. 24.

92 Ebd.

93 Ebd.

94 Ebd.

95 Ricken, NZA 2014, 1361, 1363.

96 Haratsch/Koenig/Pechstein (Hrsg.), Europarecht10, 2016, Rn. 398.