Paulina Große-Wöhrmann*
A. Einleitung
Im Zuge der Flexibilisierung der Arbeitswelt verändert sich auch das Verhältnis von Arbeitnehmern zu ihren jeweiligen Arbeitgebern stark. Während Arbeitnehmer früher meist ihr Leben lang bei einem einzigen Unternehmen angestellt waren, ist es heute größtenteils sogar notwendig, immer wieder den Arbeitgeber zu wechseln, um auf der Karriereleiter aufzusteigen. Das führt zu weniger emotionaler Bindung an das Arbeitgeberunternehmen und senkt die Hemmschwelle, Missstände anzuzeigen.
Demnach wird die Frage, wie aus arbeitsrechtlicher Perspektive mit dieser Entwicklung umzugehen ist, immer brisanter.
B. Problemstellung
I. Begriff Whistleblowing
Unter Whistleblowing versteht man die Anzeige von Gesetzesverstößen,1 sowie das an die Öffentlichkeit bringen von anderen Missständen im Unternehmen, jeweils durch einen Arbeitnehmer des angezeigten Unternehmens.2
Dabei wird zwischen internem und externem Whistleblowing unterschieden. Internes Whistleblowing bezeichnet die unternehmensinterne Meldung von Fehlverhalten von Kollegen oder Vorgesetzen.3 Externes Whistleblowing bezeichnet die Weitegabe von Informationen über Missstände im Unternehmen Strafverfolgungs- und Aufsichtsbehörden oder sonstige Stellen, wie zum Beispiel die Presse.4 Letzte Form des Hinweisgebens ist aus arbeitsrechtlicher Sicht besonders problematisch.\medskip
II. Interessenlage
Grundsätzlich unterscheiden sich die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht so sehr, wie auf den ersten Blick zu vermuten ist. Im Regelfall sind sowohl Arbeitnehmer, als auch Arbeitgeber daran interessiert, das Unternehmen frei von Missständen, zu halten, ohne dass dieses durch Reputationsschäden beeinträchtigt wird.5
Es kommt jedoch vor, dass Probleme auftreten, welche entweder von Handlungen oder Entscheidungen auf Arbeitgeberseite herrühren oder trotz Kenntnis durch diese nicht beseitigt werden. Dann entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse des Arbeitgebers an der Geheimhaltung innerbetrieblicher Abläufe und Daten und dem berechtigten Anliegen der Arbeitnehmer, mit Informationen aus der internen Sphäre des Arbeitsverhältnisses herauszutreten und die Öffentlichkeit zu informieren.6
Demnach entsteht auf grundrechtlicher Ebene ein Konflikt zwischen der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG der Arbeitnehmer und den Unternehmer-Grundrechten aus Art. 12 und 14 GG.7
1. Interesse des Arbeitgebers
Durch die frühzeitige Aufdeckung von Korruption und Untreue können interne wirtschaftliche Schäden für das Unternehmen verhindert und durch die Aufdeckung von Fehlverhalten mit Außenwirkung externe Schäden wie Schadensersatzansprüche Dritter oder Geldstrafen verringert werden.8 Dies ist insbesondere durch interne Hinweise von Arbeitnehmern möglich, da schnell und effektiv Gegenmaßnahmen eingeleitet und so etwaige Schäden schon frühzeitig aufgefangen werden können.9
Auf der anderen Seite kann die externe Offenlegung von Informationen jedoch vernichtende Konsequenzen für ein Unternehmen haben. Durch die ungesteuerte Kommunikation von Missständen kann das öffentliche Image des Unternehmens massiv geschädigt werden und im schlimmsten Fall den Fortbestand des Unternehmens gefährden.10 Dies kann insbesondere passieren, wenn sich der Arbeitnehmer direkt an die Öffentlichkeit wendet und dem Unternehmen keine Möglichkeit bleibt, den Sachverhalt intern aufzuklären und sich gegebenenfalls zu verteidigen.11
Zudem kann eine externe Anzeige des Arbeitnehmers zur Offenbarung von Betriebsgeheimnissen führen, was Unternehmen stark schaden kann, deren Umsatz aus Knowhow herrührt.12 Demnach hat der Arbeitgeber ein großes Interesse an der Verschwiegenheit der Arbeitnehmer.
Fraglich ist, ob die Wahrung des Verschwiegenheitsinteresses in diesem Kontext zu den Loyalitätspflichten des Arbeitnehmers zählt.13
Grundsätzlich ist die Erwartung von Loyalitätspflichten in gegenseitigen Verträgen nicht selbstverständlich. Vergleichsweise kommt im Mietrecht nicht die Frage auf, ob der Mieter rechtswidriges Verhalten des Vermieters anzeigen darf oder nicht, obwohl wie im Arbeitsverhältnis eine Abhängigkeit besteht.14
* Die Autorin ist Studentin der Bucerius Law School, Hamburg.
1 Eufinger, NJ 2016, 458.
2 Kania, in: Küttner (Begr.), Personalbuch 2017, Whistleblowing Rn. 1; Müller, NZA 2002, 424, 426.
3 Kania, (Fn.2), Whistleblowing, Rn. 9; Eufinger, NJ 2016, 458.
4 Eufinger, NJ 2016, 458; Schmolke, RIW 2012, 224, 226.
5 Vgl. Simonet, RdA 2012, 236 f.
6 Ausführlich Bauschke, öAT 2012, 271.
7 Bauschke, öAT 2012, 271; Klasen/Schaefer, BB 2012, 641, 643.
8 Vgl. Simonet, RdA 2013, 236,237.
9 Schmolke, RIW 2012, 224, 226.
10 Schmolke, RIW 2012, 224, 227.
11 Vgl. v. Busekist/Fahrig, BB 2013, 119, 120.
12 Weitergehend Müller, NZA 2002, 424, 428 ff.
13 Ausführlich zu Verschwiegenheitspflichten des Arbeitnehmers Müller, NZA 2002, 424, 428 ff.
14 So Müller, NZA 2002, 424, 428.
Im Arbeitsverhältnis wird aber die besondere und weitergehende Treuepflicht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben als geschuldete Nebenpflicht angesehen. Besonders bei der Handhabung von Missständen müssen beide Parteien zusammenarbeiten, da sie aufeinander angewiesen sind.15 Demnach entstehen in dieser Situation besondere weitergehende Pflichten – für beide Parteien. Der Arbeitgeber hat somit Rücksicht auf die geschäftlichen Interessen des Arbeitgebers zu nehmen, also das Interesse am Geheimhalten von betrieblichen Vorgängen und das Unterlassen von schädlichen Äußerungen.16
2. Interesse des Arbeitnehmers
Das Interesse des Arbeitnehmers liegt in der Beseitigung der Missstände, die entweder sein Arbeitsumfeld betreffen oder dem Unternehmen oder der Allgemeinheit langfristig schaden können. Dabei hat der Arbeitnehmer im Wesentlichen das Interesse an schnellstmöglicher und effektiver Abhilfe. Es sollte aus objektiver Perspektive für ihn nicht von Bedeutung sein, ob die Behebung des Problems aufgrund einer internen Meldung oder öffentlichen Anzeige geschieht. Natürlich spielen neben dem Interesse an Abhilfe häufig auch „Genugtuung“ und im schlimmsten Falle „Rache“ eine Rolle, sodass Hinweisgeber teilweise auch mit explizitem Schädigungsinteresse handeln.
Für Bereiche, in denen sich der Arbeitnehmer durch Stillschweigen sogar wegen § 138 StGB strafbar machen würde, besteht ein besonderer Interessenkonflikt zwischen Loyalitätspflichten und Anzeigepflicht.17 Regelmäßig macht das Bestehen einer solchen Pflicht jedoch arbeitsrechtliche Sanktionen unzulässig, die aufgrund der Anzeige ausgesprochen werden.18
Bei der Anzeige von Missständen stellt sich für den Arbeitnehmer das Problem, dass er aufgrund der Verletzung von Verschwiegenheitspflichten mit Vergeltungsmaßnahmen des Arbeitgebers rechnen muss.19 Darunter fallen die sogenannte „Vergeltungskündigung“ – Verhaltensbedingte Kündigung wegen Pflichtverletzung –, eine Abmahnung, die Versagung von Aufstiegsmöglichkeiten oder Gratifikationen, sowie die Versetzung auf ein betriebliches „Abstellgleis“.20 Diese Gefahr ist besonders präsent, wenn Führungskräfte Verursacher oder Beteiligte des angezeigten Sachverhalts sind. Bei innerbetrieblichen Meldungen setzt sich der Hinweisgeber zudem der Gefahr von Mobbing und Ausgrenzung durch die Kollegen aus.
C. Gesetzliche Vorschriften zum Schutz von Hinweisgebern
Momentan finden sich nur wenige, auf spezielle Sachverhalte zugeschnittene gesetzliche Regelungen zur Anzeige von Missständen. Diese haben einen eingeschränkten Regelungsbereich.
§ 17 II ArbSchG gewährt beispielsweise dem Arbeitnehmer das Recht, sich bei Verstößen gegen die Vorschriften über den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz mit einer Anzeige an die zuständige Behörde zu wenden, soweit der Fehler durch den Arbeitgeber nicht behoben bzw. aufgeklärt wurde.21
Zudem sind Beamte durch § 37 II Nr. 3 BeamtStG von ihrer Treu- und Verschwiegenheitspflicht entbunden, wenn sie einen durch Tatsachen begründeten Verdacht einer Korruptionsstraftat bei der zuständigen obersten Dienstbehörde oder den Strafverfolgungsbehörden anzeigen.22
Weiterhin bestehen spezielle Regelungen im Bereich der Umweltstraftaten, die die Einrichtung von Betriebsbeauftragten (explizit im Bereich des Immissions-, Wasser-, und Abfallrechts) vorsehen, welchen gegenüber entsprechenden Missständen angezeigt werden können.23
In 2016 hat der Gesetzgeber dann mit der Einführung des FinDAG den Schutz auf Hinweisgeber in der Finanzdienstleistungsbranche erweitert. § 4d FinDAG schützt Hinweisgeber, die Anzeigen über kapitalmarktrechtliche Gesetzesverstöße gegenüber der BaFin machen, vor arbeits- und strafrechtlichen Konsequenzen24
Ausgenommen dieser Einzelfälle wird der Schutz von Whistleblowern aber anhand der allgemeinen Regeln zum Kündigungsschutz und des Maßregelungsverbots in § 612a BGB beurteilt.
D. Eingreifen der Legislative
Eine explizite Regelung zum Schutz von Hinweisgebern wurde in zahlreichen Gesetzesentwürfen angestrebt, jedoch konnte sich bisher noch kein Entwurf durchsetzen.
I. Verankerung des Anzeigerechts im BGB
Im Jahr 2008 stellten die Bundesministerien der Justiz, für Arbeit und Soziales, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz einen Gesetzesentwurf vor, der darauf abzielte, eine klare und eindeutige Regelung im Bereich des Informantenschutzes zu schaffen.25 Der Entwurf sah vor, den derzeitigen § 612a BGB zu § 612b BGB zu machen und durch eine Norm zu ersetzen, in der die bestehende Rechtsprechung des BAG26 und BVerfG27 normiert und die Grundsätze des Vorrangs der innerbetrieblichen Klärung von Missständen verankert werden sollten.28
Dabei wurden die Schwellen zur Notwendigkeit der innerbetrieblichen Klärung sehr niedrig gesetzt und dadurch die Bedeutung und der Vorrang der innerbetrieblichen Klärung erheb-
15 Simonet, RdA 2013, 236, 237.
16 Krit. zu weitgehender Treuepflicht Müller, NZA 2002, 424, 428 ff.
17 S. Seel, MDR 2012, 9, 10.
18 Ausführlich Müller, NZA 2002, 424, 432.
19 Schmolke, RIW 2012, 224, 227.
20 So v. Busekist/Fahrig, BB 2013, 119, 120.
21 Ausführlich Wank, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht 17, 2017, § 17 ArbSchG Rn. 2.
22 Leppek, in: Beck’scher Online-Kommentar Beamtenrecht7, 2017, § 37 BeamtStG Rn. 16.
23 Müller, NZA 2002, 424, 431.
24 Eufinger, NJ 2016, 458, 459.
25 Zum vollständigen Entwurf s. BT-Drs. 16 (10)849.
26 Beispielhaft BAG, NZA 2004, 427.
27 Beispielhaft BVerfG, NZA 2001, 888.
28 Simonet, RdA 2013, 236, 237.
lich geschwächt.29 Beispielsweise wurde die Grenze der Zumutbarkeit der innerbetrieblichen Klärung dort gezogen, wo der Arbeitnehmer der Auffassung ist, diese brächte keine Abhilfe mehr. Es ist kaum möglich, hierfür feste Kriterien zu normieren, da diese Entscheidung vom Einzelfall abhängt und auf die subjektive Einschätzung des Arbeitnehmers ankommt. Zwar kann der Arbeitnehmer seine Einschätzung auf ähnliche Fälle in der Vergangenheit stützen, hat jedoch kein Wissen über die Entscheidungsgründe des Arbeitgebers bei der Handhabung vergangener ähnlicher Meldungen.30 Der Entwurf erfuhr daher starken Gegenwind und wurde als zu arbeitnehmerinteressenorientiert abgelehnt.\medskip
II. Hinweisgeberschutzgesetz
Trotz Scheitern der vorherigen Gesetzesinitiativen wurde im Jahr 2012 von der SPD der Entwurf des HinwGebSchG eingereicht, um den Schutz für Whistleblower gesetzlich festzuhalten.31 Hierbei sollte der Schutz nicht allein in die bestehenden Gesetze eingefügt werden, sondern ein Sondergesetz für die Rahmenbedingungen des Whistleblowing geschaffen. Der Gesetzesentwurf erfuhr starke Ablehnung. Der Fokus der Kritik lag hierbei auf dem geringen Wert, der innerbetrieblichen Klärungsmöglichkeit zugemessen wurde.32 Dies erscheint nicht nachvollziehbar, da sie das vorschnelle Herantragen von intern leicht aufklärbare Unstimmigkeiten an die Aufsichtsbehörden fördern würde,33 was die unnötige Schädigung des Verhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu Folge hätte.\medskip
III. Whistleblower-Schutzgesetz
Der überwiegend von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen getragene Entwurf des Whistleblower-Schutzgesetz sieht unter anderem Änderungen im BGB vor.34 Der Entwurf sieht zunächst die Ergänzung des § 612a BGB um einen zweiten Absatz vor, der die Beweislast bezüglich des Vorliegens von Benachteiligungen i.S.d. Norm regelt. Demnach ist diese dem Arbeitgeber auferlegt, sofern der Arbeitnehmer Tatsachen glaubhaft machen kann, aufgrund derer eine Benachteiligung zu vermuten ist.35 Weiterhin sieht der Entwurf den Vorrang der innerbetrieblichen Meldung vor, sofern dies dem Arbeitnehmer zumutbar ist. Die Unzumutbarkeit soll jedoch nach der subjektiven Auffassung des betroffenen Arbeitnehmers beurteilt werden. Im Zuge dessen differenzieren die Verfasser zwischen der Anzeige an außerbetriebliche Stellen und die Öffentlichkeit. Dies erscheint unter dem Gesichtspunkt des Arbeitgeberschutzes und dem Ziel der effektiven Beseitigung von Missständen sinnvoll, da die Meldung an die Öffentlichkeit meist das größte Schadenspotential birgt und oft schon durch Einschaltung der zuständigen Behörde Abhilfe geschaffen werden kann.
Insgesamt erscheint dieser Entwurf als der Beste der bisher in den Bundestag eingebrachten Gesetzesvorlagen zum Thema Hinweisgeberschutz.\medskip
IV. Fragliche Notwendigkeit gesetzgeberischen Handelns
Bisher konnte sich jedoch kein Gesetzesvorhaben durchsetzen, was damit zu begründen ist, dass viele ein Gesetz zur Regelung des Hinweisgeberschutzes gar nicht erst als notwendig erachten.
1. Vermeidung von Rechtsunsicherheit durch gesetzlicher Regelung?
Einerseits ist das maßgebliche Argument der Entwurfsteller für die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung zum Whistleblowing die Rechtsunsicherheit, die Arbeitnehmer dadurch erfahren, dass es keine konkreten Kriterien gibt, anhand denen sie ihr Handeln ausrichten können. Die Rechtsunsicherheit folgt jedoch nicht von fehlenden rechtlichen Anhaltspunkten, sondern aus der Tatsache, dass allen gerichtlichen Entscheidungen eine Einzelfallabwägung der tatsächlichen Umstände zugrunde liegt.36 In den Gesetzesentwürfen wird diese Einzelfallabwägung jedoch gerade beibehalten.
Im Grunde ist dies auch nicht anders zu lösen, da das Problem eine typische Situation im Arbeitsrecht wiederspiegelt, in der eine Einzelabwägung geboten ist. Bei einer verhaltensbedingten Kündigung wird immer eine Prüfung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls vorgenommen um die erforderliche Einzelfallgerechtigkeit zu erreichen.37 Den Gerichten bleibt demnach immer ein gewisser Entscheidungsspielraum, der für den Arbeitnehmer nicht zur Gänze vorhersehbar ist.
Es erscheint somit verfehlt anzunehmen, dass durch die Schaffung eines Gesetzes vollständige Rechtsklarheit und die Vorhersehbarkeit der Konsequenzen einer Anzeige erzielt werden könnte.
2. Schaffung eines unnötigen Spezialgesetzes?
Zum anderen wurde von Seiten der Gegner einer gesetzlichen Schutzregelung im Bundestag angeführt, dass es bereits zahlreiche Spezialgesetze gäbe, die das Anzeigerecht für Arbeitnehmer beinhalte.38 Neben diesen Regelungen und der Rechtsprechung des BVerfG, des BAG und des EGMR sei kein weiteres Sondergesetz mehr nötig. Hiergegen kann jedoch angeführt werden, dass diverse Spezialnormen, die explizit auf externe Anzeigen von Missständen durch Arbeitnehmer zugeschnitten sind, eben Spezialnormen für ganz ausgewählte Fälle sind. Beispielsweise gibt § 17 ArbSchG dem Arbeitnehmer zwar ein Anzeigerecht, zielt aber nur auf Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes für Arbeitnehmer am Arbeitsplatz ab.39 Außerdem ermöglicht § 4d FinDAG die Anzeige von Fehlverhalten einzelner Personen oder ganzer Unternehmen innerhalb des Finanzdienstleistungssektors an die Bun-
29 Sasse, NZA 2008, 990, 992.
30 Sasse, NZA 2008, 990, 993.
31 Zum vollständigen Entwurf s. BT-Drs. 17/8567.
32 Vgl. Simonet, RdA 2013, 236, 237; Klasen/Schaefer, BB 2012, 641, 647.
33 Vgl. LAG Köln, BeckRS 2012, 75713; Hier hatte eine Erzieherin vorschnell gegen ihren Arbeitgeber Anzeige beim Jugendamt erstattet, die sich zwar als falsch herausstellte, dem Arbeitgeber als trotzdem stark schadete.
34 Zum vollständigen Entwurf s. BT-Drs. 18/3039.
35 BT-Drs. 18/3039, S. 3.
36 So Simonet, RdA 2013, 236, 237.
37 Vossen, in: Ascheid/Preis/Schmidt (Hrsg.), Großkommentar zum gesamten Recht der Beendigung von Arbeitsverhältnissen5, 2017, § 1 KSchG Rn. 80.
38 Stellungnahme der CDU/CSU Fraktion im Beratungsverfahren der zuständigen Ausschüsse für den Entwurf des HinwGebSchG (BT-Drs. 17/12577 S. 5).
39 Wank, in: ErfK (Fn. 21), § 17 ArbSchG Rn. 1.
desanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.40 Dieses Recht bezieht sich jedoch nur auf die vom FinDAG betroffenen Branche und kann somit nicht den Schutz aller potentiellen Hinweisgeber gewährleisten, die zur Aufklärung von Missständen beitragen könnten.\medskip
Ein spezielles Schutzgesetz könnte aber die Hemmschwelle für Arbeitnehmer verringern, leichtfertig Anzeigen zu erheben, da die Konsequenzen solcher Handlungen weniger stark wiegen. Dies könnte dazu führen, dass aufgrund von unbedachter Weitergabe von Informationen enorme Reputationsschäden für die betroffenen Unternehmen entstehen, die durch spätere Berichtigung nicht zu revidieren sind.41\medskip
3. Signalwirkung einer gesetzlichen Normierung des Hinweisgeberschutzes
Für die Notwendigkeit einer gesetzlichen Festschreibung des Hinweisgeberschutzes spricht die hohe Bedeutung, die interne Hinweisgeber für die Vermeidung und Aufklärung von Missständen haben.\medskip
Zudem ist von der Rechtsprechung derzeit nur die Kündigung wegen Verletzung der Verschwiegenheit umfassend erfasst. Sanktionen, die im Bereich des § 612a BGB liegen (beispielsweise Versagung von Aufstiegschancen im Unternehmen, Übergehung bei unternehmensinternen Gratifikationen und dergleichen mehr) und Nachteile, die von Kollegen herrühren, haben jedoch auch großen Einfluss auf eine Entscheidung des potentiellen Hinweisgebers für oder gegen eine Anzeige und müssen daher mitberücksichtigt werden.42 Das Maßregelungsverbot allein kann hier keine Abhilfe verschaffen, da der betroffene Arbeitnehmer sich nur darauf berufen kann, wenn er beweisen kann,43 das die zulässige Rechtsausübung der tragende Beweggrund für die Maßnahmen des Arbeitgebers war.44\medskip
Die Signalwirkung, die ein Gesetz – wie auch immer es ausgestaltet sein mag – auf die Anerkennung der Notwendigkeit von Hinweisgebern haben kann, darf nicht unterschätzt werden. Durch die Schaffung einer Regelung – selbst wenn diese nur stellenweise weitergehenden Schutz und höhere Rechtssicherheit bietet als die Rechtsprechung – wird helfen, die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Hinweisgebern zu verändern und die negative Einstellung gegenüber „Denunzianten“ aufzuweichen.45\medskip
Deutschland steht Hinweisgebern historisch bedingt negativ gegenüber. Aber ähnlich wurde auch das europaübergreifende kartellrechtliche Kronzeugenprogramm in Deutschland aufgenommen, bei dessen Einführung zu Beginn auch Empörung über die „Förderung des Denunziantentums“ herrschte. Mittlerweile ist Regelung als ein sehr erfolgreiches Instrument der Kartellbekämpfung gesellschaftlich weitgehend anerkannt. Als Indiz für die positive Wirkung einer gesetzlichen Schutzregelung steht zudem die wesentliche Änderung der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Whistleblowern in Großbritannien nach der Einführung des Public Interest Disclosure Act in 1998.46\medskip
Zusammenfassend bleibt: eine gesetzliche Regelung kann zwar gegenüber der Rechtsprechung keinen nennenswerten Mehrwert an Kriterien für die Entscheidung bringen, jedoch kann sie die bestehenden Wertungen der Rechtsprechung konkretisieren und dauerhaft in der Werteordnung des Arbeitsrechts verankern. Eine solche Entscheidung des Gesetzgebers für den Schutz von Hinweisgebern hat eine starke Hinweisfunktion und kann nachhaltig dazu beitragen, die Rezeption von Hinweisgebern in der Gesellschaft zu verbessern.\medskip
E. Ausgestaltung einer zu treffenden Regelung in zentralen Punkten
Fraglich ist, wie eine gesetzliche Normierung des Hinweisgeberschutzes auszusehen hätte. Bei dieser Entscheidung müssen die Erfahrungen vorangegangener Entwürfe beachtet werden und aufgrund der Kritik an einzelnen Punkten Verbesserungen erarbeitet werden. Im Folgenden werden einige Punkte aufgezeigt, die Beachtung finden sollten und angedacht werden könnten.\medskip
I. Vorrang innerbetrieblicher Meldung
Externes Whistleblowing darf nur schwerwiegende Systembrüche thematisieren, an deren Offenbarung und staatlicher Verfolgung die Allgemeinheit ein erhebliches Interesse hat. Ist dies der Fall sollte umfassender Schutz garantiert werden. Es muss allerdings die Ausnahme bleiben. Der vertrauensvolle Umgang miteinander stellt in den meisten Betrieben die Grundlage einer produktiven Unternehmenskultur und damit eine Voraussetzung für effektive Arbeit dar.47 Dies ist gefährdet, wenn jeglicher Alltagsfehler oder wenig erhebliches Fehlverhalten zu einer Anzeige an die Öffentlichkeit führen kann, ohne dass die Hinweisgebenden Konsequenzen zu fürchten hätten. Zudem wird in den Wertungen der Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG die öffentliche Anzeige als „ultima ratio“ der Arbeitnehmerrechte angesehen und betont, dass der Arbeitnehmer vorerst interne Anzeigemöglichkeiten ausschöpfen muss, es sei denn, dies ist ihm unzumutbar.48\medskip
Um zu gewährleisten, dass Arbeitnehmer sich erfolgsversprechend an eine unternehmensinterne Meldestelle wenden können erscheint es sinnvoll, die Rahmenbedingungen für Stellen gesetzlich festzuschreiben. Hierbei muss vor allem die Ausgestaltung solcher Stellen in verschiedenen Unternehmenstypen geregelt werden, damit die Hinweisgebenden Arbeitnehmer ausreichend geschützt sind. Eine funktionierende Compliance Strategie ist zudem für Unternehmen zur Vermeidung von Haftungsrisiken und Schäden essentiell.49
1. Ausgestaltung zuständiger Stellen oder Einrichtung in Unternehmen
Um zu gewährleisten, dass dem Arbeitnehmer die Anrufung einer internen Meldestelle zumutbar ist muss gewährleistet werden, dass das Anzeigesystem so eingerichtet ist, dass der Arbeitnehmer mit einer zeitnahen Prüfung der Missstände
40 Näher zu den Voraussetzungen des Anzeigerechts im FinDAG Laars, Erläuterungen zum FinDAG4, 2017, § 4d Rn. 1 ff.
41 Simonet, RdA 2013, 236, 239.
42 Stellungnahme des SPD-Fraktion im Beratungsverfahren der zuständigen Ausschüsse für den Entwurf des HinwGebSchG (BT-Drs. 17/12577 S. 6).
43 Preis, in: ErfK (Fn. 21), § 612a BGB Rn. 22.
44 Preis, in: ErfK (Fn. 21), § 612a BGB Rn. 11.
45 Stellungnahme des SPD-Fraktion im Beratungsverfahren der zuständigen Ausschüsse für den Entwurf des HinwGebSchG (BT-Drs. 17/12577 S. 6).
46 Weiterführend Fleischer/Schmolke, NZG 2012, 361, 365.
47 So auch Dieseroth/Derleder, ZRP 2008, 248, 250.
48 Bauschke, öAT 2012, 271, 273-274.
49 Göpfert/Landauer, NZA-Beil. 2011, 16, 21-22.
durch eine objektive Partei und einer effektiven Beseitigung dieser Missstände rechnen kann, sollten sie tatsächlich bestehen.50
Ein innerbetriebliches Regelwerk zur Anzeige, das den Ablauf, die zuständigen Personen und Maßnahmen vorsieht, wäre hierfür eine Möglichkeit. In großen Konzernen, könnte eine interne Meldestelle mit speziellen Qualitätsstandards als verpflichtend festgeschrieben werden,51 wobei die meisten Konzerne, insbesondere internationale Konzerne solche Abteilungen bereits eingerichtet und positive Ergebnisse damit erzielt haben.52 Für kleinere Unternehmen könnte die Zusammenarbeit mit externen Organisationen, die als erste Anlaufstelle für die Anzeige von Missständen fungieren und einer strikten Verschwiegenheitspflicht unterliegen, angedacht werden.53 Hier kommen beispielsweise Anwaltskanzleien als Ombudsmänner in Betracht. Hierbei müssen jedoch datenschutzrechtliche Probleme beachtet werden und gegebenenfalls müssten Datenschutzvorschriften in dieser Hinsicht vom Gesetzgeber überarbeitet werden.54
2. Unzumutbarkeit der internen Klärung
Die Regelung der Anforderungen an eine innerbetriebliche Stelle und vor allem deren nachvollziehbare Kontrolle könnte eine gesetzliche Regelung rechtfertigen, in der die Beurteilung der Zumutbarkeit der innerbetrieblichen Kontrolle streng gehandhabt wird.55 Wenn die hinreichende Ausgestaltung einer innerbetrieblichen Stelle bewiesen wird, könnte die Regelung zur Beurteilung der Unzumutbarkeit ähnlich wie im Entwurf des Whistleblower-Schutzgesetzes so ausgestaltet werden, dass konkrete Anhaltspunkte sie Annahme der Unzumutbarkeit belegen müssen,56 mit dem Zusatz, dass diese Anhaltspunkte auch nach der Ansicht eines objektiven Dritten zum diesem Ergebnis gekommen wäre.
Als Voraussetzung für das Vorliegen der Unzumutbarkeit wurden von der Rechtsprechung sinnvolle Kriterien erarbeitet. Diese sollten nicht verändert oder „wegdefiniert“ werden. Hier könnte man sich am Entwurf des Whistleblower-Schutzgesetzes orientieren. Dieser würde dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen, da zwar Spielraum bei der Auslegung bleibt, dieser aber durch Auslegung handhabbar ist. Auf der anderen Seite bleibt eine einzelfallbezogene Abwägung möglich, wie sie für diese Fälle nötig ist.
Außerdem sollte der Ansatz des Whistleblower-Schutzgesetzes übernommen werden, der eine Stufung der Hinweisadressaten nach Art und Schwere der Missstände vorsieht.57 Als Zusatz zu den „zuständigen Behörden“ könnte angedacht werden, ähnlich der Umsetzung des FinDAG eine externe Meldestelle (wie die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) zu schaffen, die anonym Hinweise entgegennehmen und Hinweisgeber in ihrem weiteren Vorgehen beraten soll58 .
Die jeweiligen Umstände des Einzelfalls sollten jedoch jedenfalls als Grundlage der Abwägung beibehalten werden und festgeschriebenen Gesetzeskriterien nur als Wertungshilfe fungieren.
3. Erweiterung des § 84 I 1 BetrVG
Zur Förderung der innerbetrieblichen Meldung könnte zudem angedacht werden, den § 84 I 1 BetrVG dahingehend zu erweitern, dass der Arbeitnehmer sein beschwerderecht nicht nur bei persönlicher Betroffenheit durch Missstände, sondern auch dann ausüben darf, wenn er sich generell gegen betriebsinterne Probleme wenden möchte.59 Bei Bestehen eines Betriebsrats könnte dieser dann gemäß § 85 II 1 BetrVG durch Einwirkung auf den Arbeitgeber oder letztlich Einschaltung einer Einigungsstelle auf die Beseitigung der Missstände hinwirken. Bei einem solchen Verfahren ist der Arbeitnehmer durch § 84 III BetrVG vor Nachteilen, die aufgrund der Erhebung der Beschwerde entstehen könnten geschützt.
II. Beweislastverteilung
Die Beweislast bezüglich des Vorliegens einer Benachteiligung wurde im Entwurf des Whistleblower-Schutzgesetzes für den aktuellen § 612a BGB so verteilt, dass, sofern der Arbeitnehmer Tatsachen glaubhaft machen kann, die eine Benachteiligung vermuten lassen, der Arbeitgeber einen Gegenbeweis führen muss, um sich zu entlasten.60 Dies steht zwar entgegen der momentanen Rechtsprechung zu § 612a BGB, jedoch ist diese Wertung zu begrüßen.61 Die Kausalität zwischen einer Maßnahme des Arbeitgebers und der Ausübung der Rechte ist für den Arbeitnehmer zumeist sehr schwer zu beweisen, selbst wenn sie wirklich gegeben ist.62 Für den Arbeitgeber ist es jedoch einfach einen Gegenbeweis zu führen, da er für Maßnahmen, wie Versetzung oder Kündigung in der Regel einen nachvollziehbaren Grund hat oder haben sollte.
Da eine Beweislastregelung im § 612a BGB auch auf Benachteiligungen anwendbar ist, die aus einer Anzeige von Missständen entstanden sind, braucht eine etwaige Norm zum Schutz von Hinweisgebern eine solche Regelung nicht.
50 Für eine hohe Schwelle zur Zumutbarkeit des innerbetrieblichen Meldeverfahrens Dieseroth/Derleder, ZRP 2008, 248, 251.
51 Vgl. Bauschke, öAT 2012, 271, 273-274; So auch die Daimler AG in ihrer Stellungnahme zum Whistleblower-Schutzgesetz in der öffentlichen Sachverständigenanhörung im Rahmen der Beratung des Gesetzes (BT-Drs. 18/5148, S. 7).
52 Simonet, RdA 2013, 236, 240.
53 Reufels/Deviard, CCZ 2009, 201, 208.
54 Ausführlich zu datenschutzrechtlichen Problemen bei der Einrichtung von internen Anzeigesystemen, insb. von Whistleblowe-Hotlines Reufels/Deviard, CCZ 2009, 201.
55 Im Ansatz so auch Kraushaar, in: Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath (Hrsg.), NomosKommentar zum Arbeitsrecht2, 2010, § 612 a BGB Rn. 30-31.
56 BT-Drs. 18/3039, S. 3.
57 So auch Kraushaar, in: NK-Arbeitsrecht (Fn. 55), § 612 a BGB Rn. 31.
58 Im Ansatz auch Prof. Wedde als Sachverständiger in der Beratung des Whistleblower-Schutzgesetzes (BT-Drs. 18/5148).
59 Dieseroth/Derleder, ZRP 2008, 248, 249.
60 Preis, in: ErfK (Fn. 21), § 612a BGB Rn. 22.
61 So auch der Bund der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit in der Sachverständigenanhörung des Beschlussempfehlungsverfahren zum Whistleblower-Schutzgesetz (BT-Drs. 18/5148, S. 6).
62 Müller-Glöge, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB6, 2012, § 612 a Rn. 24.
III. Arbeitgeberschutz
Wie bereits herausgearbeitet besteht die Möglichkeit, dass Unternehmen durch übereilte Anzeigen wegen fehlendem Risikobewusstsein der Arbeitnehmer großen Schaden nehmen könnten. Mit der strengen Durchsetzung der primären unternehmensinternen Aufklärung von Missständen wird die Gefahr voreiliger und unreflektierter Hinweise gemindert. Problematisch ist jedoch, welche Anforderungen im Falle eines Prozesses an die Annahme eines Missstandes zu stellen sind.\medskip
Einerseits könnte auf die subjektive Wahrnehmung des Hinweisgebers abgestellt werden, der aufgrund von konkreten Anhaltspunkten zu dem Schluss kommt, dass ein Missstand vorliegt, andererseits könnte wie bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit eine objektive Herangehensweise angezeigt sein. Um den Arbeitgeber vor leichtfertigen und gegebenenfalls unwahren Anzeigen zu schützen ist eine Regelung vorzugswürdig, die nur den Hinweisgebern Schutz gewährt, die aufgrund von konkreten Anhaltspunkten handeln, die auch für einen objektiven Dritten in der Lage des Hinweisgebers die Annahme eines Missstandes begründet hätte.63\medskip
IV. Beachtung des Motivs des Arbeitnehmers bei der Anzeige
Im Gesetzesentwurf, der die Einführung eines neuen § 612a BGB vorsah wurde die Indizwirkung des Motivs des Arbeitnehmers bei der Anzeige explizit ausgenommen, obwohl die Kriterien der Rechtsprechung ansonsten größtenteils übernommen wurden. Fraglich ist, ob diese Kriterium Beachtung finden sollte, oder der Zweck einer Schutzregelung gerade die Aussparung gebietet.\medskip
Sollte das Unternehmen aufgrund von falschen Hinweisen Schaden nehmen spielt die Gutgläubigkeit oder die Absicht des Hinweisgebenden letztendlich keine Rolle mehr. Zudem ist der ausdrückliche Zweck des Schutzes von Whistleblowern die Erreichung einer besseren Aufklärung von Wirtschaftsstraftaten. Bei der Aufklärung von Straftaten ist es in erster Linie unerheblich, mit welcher Motivation die Hinweise gegeben wurden, solange sie wahrheitsgemäß sind. Der Zweck einer Regelung wäre also nicht gefährdet, wenn ein Arbeitnehmer eine wahre Tatsache anzeigt, dies jedoch nicht tut um dem Allgemeinwohl zu dienen oder um das Unternehmen zu schützen, sondern dem Arbeitgeber explizit Schaden zufügen möchte. Selbst für das Unternehmen spielt es im Grundsatz keine Rolle, mit welcher Motivation der Hinweisgeber gehandelt hat.\medskip
Auf der anderen Seite hat der verminderte Schutz von Hinweisgeber, die Anzeigen mit Schädigungsabsicht setzen die Wirkung, dass weniger Hinweise überstürzt und emotionsgetragen gegeben werden. Die Gefahr der Übermittlung falscher Tatsachen – ob gut- oder bösgläubig – ist dabei um einiges höher. Außerdem würde die Vertrauenskultur in Unternehmen geschädigt und sich negativ auf das Arbeitsumfeld auswirken, wenn Arbeitnehmer vor arbeitsrechtlichen Maßnahmen geschützt werden, die dem Unternehmen explizit Schaden zufügen wollen. Letztlich kann auch ein Vergleich mit vergleichbarem Beamtenrecht64 dafür herangezogen werden, dass die Motivation des Arbeitnehmers sich weiterhin auf die Interessenabwägung auswirken sollte.65\medskip
Trotzdem führt die Beachtung des Motivs zu Rechtsunsicherheit. Es ist sehr schwierig im Prozess die wirkliche innere Motivation des Arbeitnehmers zur Schädigung zu beweisen. Ein gut beratener und wortgewandter Arbeitnehmer wird seine Motive im Prozess gut verbergen können, während ein anderer Arbeitnehmer sich durch eine unbedachte Äußerung sogleich aus dem Schutzbereich katapultiert.66 Zudem darf die Rechtsordnung bei der Gewährung von Schutz nicht auf die innere Gesinnung des Schutzbedürftigen gestellt werden.67 Eine etwaige Schädigungsabsicht des Arbeitnehmers kann im Prozess zwar mit in die Bewertung des Einzelfalls einfließen, sollte aber nicht im Gesetz festgeschrieben werden.68\medskip
V. Verortung
Grundsätzlich bietet § 612a BGB Schutz vor Benachteiligungen durch den Arbeitgeber, im dem Fall, dass der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Recht ausübt. Demnach wäre es am ökonomischsten, eine Norm zu schaffen, in der das Recht des Arbeitnehmers normiert würde, unter bestimmten Voraussetzungen Missstände im Unternehmen anzuzeigen.\medskip
Diese könnte entweder in einem Spezialgesetz festgeschrieben werden oder in bestehende Gesetze miteingefügt werden. Wenn der Gesetzgeber sich dafür entschieden würde, die Rahmenbedingungen und Verpflichtungen für interne Meldestellen gesetzlich festzuschreiben, würde sich ein eigenes Gesetz anbieten. Wenn aber allein das Recht auf Anzeige festgeschrieben würde, wäre die einfachste Lösung, dieses als § 612b BGB an das Maßregelungsverbot anzuhängen, wie die Verfasser des Whistleblower-Schutzgesetz geplant hatten.\medskip
F. Fazit
Eine Entscheidung des Gesetzgebers für den festgeschriebenen Schutz von Whistleblowern wäre zu begrüßen. Jedoch nur, wenn in dieser Regelung ein ausgewogenes Gleichgewicht von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen beachtet wird. Sinnvoll erscheint bezüglich des Schutzes bei externem Whistleblowing eine Regelung, die umfassenden Schutz gewährt, jedoch streng am Vorrang der unternehmensinternen Klärung ausgerichtet ist und Spielraum für Einzelfallgerechtigkeit durch die Rechtsprechung lässt. Je strenger der Vorrang der internen Klärung gesetzt wird, desto besser muss indes gewährleistet, werden, dass interne Meldesysteme (ggf. mithilfe einer Verlagerung auf spezielle externe Stellen) dem Standard entsprechen, der es für Arbeitnehmer zumutbar macht, sich an diese zu halten.
63 Kraushaar, in: NK-Arbeitsrecht (Fn. 55), § 612 a BGB Rn. 32.; a.A. Verfasser des Whistleblower-Schutzgesetzes in der Gesetzesbegründung mit dem Argument, dass auch ein subjektiver Maßstab eine echte Überzeugung voraussetzt. (BT-Drs. 18/3039, S. 15).
64 In der Begründung des BeamStG wird ausdrücklich die redliche Absicht erwähnt, die bei der Anzeige eines Korruptionsverdacht vorliegen muss (BT-Drs. 16/4027); S. auch Sasse, NZA 2008, 990, 992.
65 So auch der Deutsche Gewerkschaftsbund bei der Anhörung der Sachverständigen zum Whistleblower-Schutzgesetz (BT-Drs. 18/5148, S. 6).
66 So auch Kraushaar, in: NK-Arbeitsrecht (Fn. 55), § 612 a BGB Rn. 32.
67 Kraushaar, in: NK-Arbeitsrecht (Fn. 55), § 612 a BGB Rn. 32.
68 Kraushaar, in: NK-Arbeitsrecht (Fn. 55), § 612 a BGB Rn. 32.