Class Actions im Civil Law

Ist die Musterfeststellungsklage die Antwort?

Laura Felicia Vogt*

A. Einleitung

Schreckgespenst oder Schutzschild? Während Verbraucherverbände in Sammelklagen häufig ein Instrument zur Durchsetzung von Masseninteressen sehen, läuft die Wirtschaft Sturm.1 Zu sehr fürchtet man sich vor amerikanischen class actions, die mit horrenden Schadensersatzforderungen und kostspieligen Verfahren verbunden werden.

Die Hauptproblematik stellen Bagatellschäden dar. Sofern der Aufwand und die Kosten der Rechtsverfolgung den Nutzen übersteigen, neigen viele Verbraucher zu einem „rationalen Desinteresse“2 , das sie von der Verfolgung ihrer Ansprüche abhält und so Rechtsverstöße von Unternehmen belohnt.3 2011 gaben in einer Studie der Europäischen Kommission jedoch 79 % der Teilnehmer an, eher bereit zu sein, zu klagen, sofern sie dies in einem kollektiven Verfahren tun könnten.4 Aktuell wird im Rahmen der VW-Dieselaffäre5 die bestehende Lücke im kollektiven Rechtsschutz in Deutschland durch private Rechtsdienstleister wie myright.de6 gefüllt – dabei stellt sich die Frage: Was ist die Perspektive im kollektiven Verbraucherrechtsschutz in Deutschland?

B. Definition der class action – Sammelklage

Die amerikanische class action lässt sich im Deutschen als Gruppenklage oder Sammelklage bezeichnen.7 Die Sammelklage ist dadurch gekennzeichnet, dass Ansprüche einzelner Verbraucher gemeinsam geltend gemacht werden.8 Es divergieren jedoch die Zusammensetzung der Klägergruppe und die Klagebefugnisse.

I. Opt in- und opt out-Verfahren

1. Opt in

Bei einem opt in-Verfahren muss jeder Einzelne der klagenden Gruppe aktiv beitreten9 und das Urteil entfaltet nur subjektiv Rechtskraft gegenüber den Beteiligten.10 Es sind jedoch präjudizielle Bindungswirkungen denkbar.11 In diesem Fall sind umfangreiche Maßnahmen für die betroffene Gruppe notwendig, um diese zu informieren und zum Beitritt zu animieren.

2. Opt out

Demgegenüber steht das opt out-Verfahren, bekannt aus den USA, wobei zunächst anhand von Merkmalen die Gruppe definiert wird, die von der Klage erfasst werden soll.12 Im Anschluss wird diese Gruppe auf geeigneten Kanälen informiert und jedes Gruppenmitglied wird, soweit es nicht aktiv aus der Gruppe austritt, Teil des Prozesses.13 Opt out-Verfahren haben den Vorteil, dass von Anfang an Druck gegenüber den Unternehmen aufgebaut werden kann.14 Jedoch besteht die Gefahr, dass verfassungsrechtliche Grundsätze, etwa der Anspruch auf rechtliches Gehör, verletzt werden, da Einzelne Partei eines Verfahrens werden können, ohne davon Kenntnis zu haben.15

II. Klagebefugnis

Unterschiede ergeben sich auch in der Klagebefugnis zur Geltendmachung einer Maßnahme des kollektiven Rechtsschutzes: Manche Jurisdiktionen schränken die Klagebefugnis auf Verbände, Behörden und andere zugelassene Einrichtungen ein.16 Andere lassen auch eine Klagebefugnis für Einzelpersonen zu.

C. Empfehlung der EU-Kommission

Nach einem Grünbuch 200817 und einem gescheiterten Versuch, kollektiven Rechtsschutz im Rahmen einer Verordnung zu regeln, hat die Europäische Kommission 2013 die


* Die Autorin ist Studentin der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Bundesverband der deutschen Industrie e.V., Missbrauchsgefahr durch Sammelklagen verhindern, Berlin 2017.

2 Alexander, JuS 2009, 590 (590).

3 Vgl. Buchner, Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher in Europa, 2015, S. 33.

4 Europäische Kommission, Flash Eurobarometer: Consumer Attitudes towards Cross-Border Trade and Consumer Protection, Brüssel 2011, S. 55.

5 Vgl. z.B. Verbraucherzentrale Bundesverband e.V., Deutschland muss Gruppenklage einführen, Berlin 2015.

6 https://www.myright.de/ (zuletzt abgerufen am: 10.11.2017).

7 Collin/Janssen/Kornmüller/Livesey, PONS Fachwörterbuch Recht, 2005, S. 57 – class action. Teilweise werden die Klage durch eine Einrichtung als Sammelklage und die Klage durch eine vertretende Einzelperson als Gruppenklagen bezeichnet. Da die Terminologie jedoch nicht einheitlich ist, werden im Folgenden unter dem Begriff der Sammelklage beide Klageberechtigungen erfasst.

8 Buchner (Fn. 3), S. 42; Stadler, in: Micklitz (Hrsg.), Verbraucherrecht in Deutschland – Stand und Perspektiven, 2005, S. 327.

9 Buchner (Fn. 3), S. 42; Wagner, in: Caspar/Janssen/Pohlmann/Schulze (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 2009, S. 68.

10 Buchner (Fn. 3), S. 42.

11 Vgl. Baart, Nederlaands Internationaal Privaatrecht (NIPR) 2013, 489,492.

12 Behrendt/Freiin von Enzberg, RIW 2014, 253 (254).

13 Behrendt/Freiin von Enzberg, RIW 2014, 253 (254) unter Verweis auf Rule 23 FRCP; Buchner (Fn. 3), S. 43; Stadler (Fn. 8), S. 333, 334.

14 Behrendt/Freiin von Enzberg, RIW 2014, 253, 254.

15 Vgl. Stadler, Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft (ZfPW) 2015, 61, 64; zum Eingriff in das Grundrecht auf faires Verfahre eingehend: Wendlandt, Zeitschrift für europarechtliche Studien (ZEuS) 2012, 161,165.

16 Hier sind insbesondere Frankreich mit der action de groupe (s.u.)und Spanien mit der acción colectiva, die im Ley de Enjuiciamento Civil geregelt ist, zu nennen.

17 Grünbuch KOM (2008) 94 der Europäischen Kommission vom 27.11. 2008 über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher.

Vogt, class action132

Empfehlung 2013/396/EU18 veröffentlicht, um die kollektive Rechtsdurchsetzung im Verbraucherschutz-, Wettbewerbs- und Umweltschutzrecht zu fördern.19 Mechanismen der kollektiven Rechtsdurchsetzung sollen dazu dienen, die Verletzung von Unionsrecht zu ahnden20 und den Zugang zur Justiz zu vereinfachen.21

I. Inhalt der Empfehlung

Klagebefugt sollen Vertreterorganisationen, Behörden, ad hoc zugelassene Institutionen22 und Einzelpersonen23 sein. Die Vertreterorganisationen müssen nachweisen, dass sie gemeinnützig handeln, ein hinreichender, inhaltlicher Bezug zur Sache besteht und sie über hinreichende finanzielle und ideelle Ressourcen verfügen.24

Die Kommission empfiehlt ein opt in-Verfahren, wobei bis zur Verkündung des endgültigen Urteils Verbraucher der Klagepartei noch bei- oder austreten können.25 Gleichzeitig sollen geeignete Informationskanäle, etwa Klageregister, geschaffen werden, um die Klägergruppe über die Vorhaben zu informieren.26

Weitergehend spricht sich die Kommission für das loser pays-principle aus, um leichtfertig erhobene Klagen zu verhindern.27 Weder Erfolgshonorare, noch Strafschadensersatzzahlungen sollen zulässig sein.28

II. Kritik

1. Klagebefugnis

Zu den Hauptkritikpunkten zählte das opt in-Prinzip: Das Problem des „rationalen Desinteresses“ 29 an kollektiven Verfahren mit niedrigeren Einzelstreitwerten besteht immer fort, sofern eine Anmeldung und ein Beitritt zum Prozess notwendig ist30 und beeinträchtigt so die Effektivität der Verfahren.31

Schließlich bestehen Bedenken gegenüber den klagebefugten Verbänden: Da diesen bei einer Verbandsklagebefugnis die Rechtsdurchsetzungskompetenz übertragen wird, müssen die Mitgliedsstaaten dafür Sorge tragen, dass die Verbände hinreichend fachlich und organisatorisch qualifiziert sind.32

2. Aufwand und Kosten

Weitergehend wird kritisiert, dass die Verordnung wenige Regelungen bezüglich der Kostentragungspflichten enthält.33 Unklar ist auch, wie Prozess- und Anwaltskosten auf die Gruppenmitglieder aufzuteilen sind. Dieses Problem wird auch dadurch verschärft, dass die Empfehlung eine lange Ausstiegsmöglichkeit für die Gruppenteilnehmer bietet.34

Weiterhin könnte das loser pays-principle das „rationale Desinteresse“35 vergrößern, da den Verbrauchern Prozesskosten drohen, die insbesondere bei Bagatellschäden abschreckend wirken können.36

Bei einer Verbandsklagebefugnis ist zudem ungeklärt, ob die Verbände ihre Kosten erstattet bekommen, um den Aufwand der Organisation einer Sammelklage auszugleichen.37 Dieser Aufwand wird durch die opt in-Teilnahme erhöht, da der Prozess den Gruppenmitglieder aufwendig bekannt zu machen ist.38

3. Grenzüberschreitende Fälle

Schließlich wird bemängelt, dass die Empfehlung keine Regelungen für Fälle mit grenzüberschreitendem Bezug enthält. So ist unklar, welches Gericht zuständig ist, wenn Verbraucher aus verschiedenen Mitgliedsstaaten gemeinsam klagen möchten.39 Man könnte erwägen, allein das Gericht am Sitz des Beklagten für zuständig zu erklären40 – dies wäre jedoch ein Widerspruch zu dem Verbrauchergerichtsstand in Art. 16 EuGVVO.41 Bei Verbandsklagebefugnissen ist weitergehend fraglich, inwieweit die Verbände dazu befugt und gewillt sind, ausländische Verbraucher zu vertreten.42

D. Regelungsbeispiele aus dem civil law

Maßnahmen des kollektiven Rechtsschutzes sind in Europa in verschiedenem Ausmaß präsent. Im Folgenden sollen die aktuellen Regelungen in Deutschland, Schweden und Frankreich vorgestellt werden. Frankreich und Schweden eignen sich insofern für eine rechtsvergleichende Analyse, als dass in beiden Systemen innovative Regelungen im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes gefunden wurden.


18 Empfehlung 2013/396/EU der Europäischen Kommission vom 11.06.2013: Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedsstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten, ABl. EU Nr. L 201.

19 vgl. Empfehlung 2013/396/EU (Fn. 18), S. 60 EW (7).

20 vgl. Empfehlung 2013/396/EU (Fn. 18), S. 60 EW (6).

21 vgl. Empfehlung 2013/396/EU (Fn. 18), S. 61 EW (10).

22 vgl. Empfehlung 2013/396/EU (Fn. 18), S. 62, 63.

23 vgl. Empfehlung 2013/396/EU (Fn. 18), S. 61 EW (17).

24 vgl. Empfehlung 2013/396/EU (Fn. 18), S. 62.

25 vgl. Empfehlung 2013/396/EU (Fn. 18), S. 64.

26 vgl. Empfehlung 2013/396/EU (Fn. 18), S. 63.

27 vgl. Empfehlung 2013/396/EU (Fn. 18), S. 63.

28 vgl. Empfehlung 2013/396/EU (Fn. 18), S. 64, 65.

29 Alexander, JuS 2009, 590.

30 Stadler, Zeitschrift für Europäisches Unternehmens- und Verbraucherrecht (euvr) 2014, 80, 83.

31 Baart, NIPR 2013, 489, 496; Delatre, Competition Law Review (Comp. L. R.) Vol. 8 2011, 30, 46.

32 Stadler, euvr 2014, 80, 85.

33 Behrendt/Freiin von Enzberg, RIW 2014, 253, 258; Deutlmoser, EuZW 2013, 652, 655.

34 Behrendt/Freiin von Enzberg, RIW 2014, 253, 258.

35 Alexander, JuS 2009, 590.

36 Buchner (Fn. 3), S. 106.

37 Behrendt/Freiin von Enzberg, RIW 2014, 253, 258; Tamm, EuZW 2009, 439, 442.

38 Baart, NIPR 2013, 489, 497.

39 Vgl. Behrendt/Freiin von Enzberg, RIW 2014, 253, 259; Deutlmoser, EuZW 2013, 652, 655; Stadler, ZfPW 2015, 61, 79.

40 Deutlmoser, EuZW 2013, 652, 655; Stadler, ZfPW 2015, 61, 79; Wendt, EuZW 2011, 616, 622.

41 Behrendt/Freiin von Enzberg, RIW 2014, 253, 259.

42 Stadler, ZfPW 2015, 61, 79.

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I. Deutschland

1. Abtretung (§ 398 ff. BGB)

Während bei der Abtretung die Ansprüche mit materiellrechtlicher Wirkung bei einer Person zusammengezogen werden,43 behält in der Sammelklage jeder Einzelne seinen eigenen Anspruch. Die Klage wird auch nicht im Namen der Gruppe, sondern der Einzelperson erhoben.44

2. Streitgenossenschaft (§ 59, 60 ZPO)

Gemäß §§ 59, 60 ZPO können sich Kläger zu einer einfachen Streitgenossenschaft zusammenschließen. Dabei ist die notwendige Gleichartigkeit der Ansprüche weit auszulegen45 und umfasst auch Ansprüche gegen den gleichen Beklagten aus gleichen Verträgen oder dem gleichen Schadensereignis.46 Jedoch bestehen auch in der Streitgenossenschaft selbstständige Prozessrechtsverhältnisse zwischen den einzelnen Klägern und den Beklagten, sodass verschiedene Urteile gefällt werden können47 und die Wirkungen der Streitgenossenschaft größtenteils praktischer Natur sind.

Damit erlaubt die Streitgenossenschaft ein kollektives Vorgehen gegen einen Beklagten und ermöglicht eine erleichterte, gemeinsame Durchführung des Verfahrens.48 Jedoch müssen die Geschädigten voneinander wissen und sich gegenseitig informieren können.49 Somit ist die Entstehung einer Streitgenossenschaft häufig vom Zufall abhängig.50

3. Verfahrensverbindung (§ 147 ZPO)

Durch eine Verfahrensverbindung gemäß § 147 ZPO kann ein Gericht für mehrere anhängige Verfahren, die in einem rechtlichen Zusammenhang stehen, die gemeinsame Behandlung der Klagen anordnen. Die Beteiligten werden dadurch Streitgenossen (vgl. § 59, 60 ZPO).51 Die Entscheidung über die Verfahrensverbindung ist vom Ermessen des Gerichts abhängig und kann sich nur auf die beim selben Gericht anhängigen Klagen beziehen.52 Daher ist die praktische Wirkung von § 147 ZPO begrenzt. 53

4. Verbandsklagerecht

Die bekannteste Maßnahme des kollektiven Rechtsschutzes in Deutschland ist das Verbandsklagerecht. Dabei sind insbesondere der Gewinnabschöpfungsanspruch aus dem UWG und der Unterlassungsanspruch aus dem UKlaG von Bedeutung. Bei beiden Klagen liegt der relevante Unterschied gegenüber einer Sammelklage darin, dass die Verbandsklage nicht der Durchsetzung subjektiver Interessen dient, sondern objektive Interessen schützen soll.54 So kann nach § 10 I UWG die Herausgabe des Gewinns, der durch eine vorsätzliche, unzulässige geschäftliche Handlung und auf Kosten der Verbraucher erlangt wurde, an den Bundeshaushalt verlangt werden. Nach § 1 UKlaG kann die Unterlassung der Verwendung unwirksamer AGB erreicht werden.

5. Musterverfahren

Musterprozesse mit Bindungswirkung existieren derzeit lediglich für kapitalmarktrechtliche Streitigkeiten (KapMuG).55 In anderen Rechtsgebieten können die Parteien vor Erhebung der Klage oder nachträglich56 eine Musterprozessvereinbarung schließen, wonach ein Urteil kraft vertraglicher Einigung auch in den gleichgelagerten Fällen gelten soll.57

Prinzipiell bietet eine solche Musterprozessabrede somit eine Möglichkeit, eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle einheitlich und kostengünstig zu entscheiden,58 jedoch dürfte der Abschluss einer solchen Abrede im Regelfall problembehaftet sein:59 Eine solche Abrede stellt für den Beklagten ein hohes Risiko an weiteren Verpflichtungen dar, weshalb dieser sich regelmäßig nicht auf eine solche Vereinbarung einlassen wird.60 Zudem kann es schwierig sein, alle Geschädigten in einer Abrede zu erfassen.61

6. Verbraucherverbände nach RDG

Zuletzt ist es gemäß § 8 I Nr. 4 RDG i.V.m. § 79 II 2 Nr. 3 ZPO Verbrauchern möglich, Verbraucherverbände mit der prozessualen Geltendmachung ihrer Ansprüche zu beauftragen.62 Jedoch ist die Relevanz der Norm dadurch begrenzt, dass die Vertretungsbefugnis lediglich vor den Amtsgerichten gilt.63


43 Vgl. Roth/Kieninger,in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limpberg (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 2, Schuldrecht, Allgemeiner Teil7, 2016, § 398 Rn. 91.

44 Wendtland, ZEuS 161, 163.

45 BGH, NJW 1975, 1228; BGH, BeckRS 2013, 09526; Weth, in: Musielak/Voit, Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz – Kommentar14, 2017, § 60 Rn. 10 mit weiteren Nachweisen.

46 BGH, NJW 1975, 1228; 1986, 3209; Weth, in: Musielak/Voit (Fn. 45), § 60 Rn. 10.

47 Vgl. Dressler, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), Beck’scher Online Kommentar ZPO24, 2017, § 59 Rn. 1; Weth, in: Musielak/Voit (Fn. 45), § 61 Rn. 7.

48 Stadler, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht, 2001, S. 5.

49 Buchner (Fn. 3), S. 75.

50 Stadler (Fn. 48), S. 5.

51 Wendtland, in: BeckOK ZPO (Fn. 47), § 147 Rn. 5.

52 Stadler, in: Musielak/Voit (Fn. 45), § 147 Rn. 2,3; Wendtland, in: BeckOK ZPO (Fn. 47), § 147 Rn. 2.

53 Buchner (Fn. 3), S. 76.

54 Greger, Zeitschrift für Zivilprozeß (ZZP) 113 (2000), 399; zum UWG: vgl. Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, BT-Drs. 15/1487, S. 23 f.

55 Alexander, JuS 2009, 590, 592, zu dem Verfahren nach dem KapMuG ausführlich: E. I.

56 Gottwald, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung – Band 34, 2013, § 325 ZPO Rn. 95 mwN.

57 Kocher, in: Tamm/Tonner, Verbraucherrecht – Rechtliches Umfeld / Vertragstypen / Rechtsdurchsetzung2, 2016, Gruppenklagen etc., Rn. 7.

58 Heitzig, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz als Lösung zur Bewältigung von Massenverfahren, 2010, S. 65.

59 Buchner (Fn. 3),S. 89; Reuschle, WM 2004, 966, 969; Stadler (Fn. 8), S. 7, 8.

60 Stadler (Fn. 48),S. 7 – 8.

61 Buchner (Fn. 3), S. 89; Reuschle, WM 2004, 966, 969.

62 Schmidt, in: Krenzler (Hrsg.), Rechtsdienstleistungsgesetz, 2010,§ 8 RDG Rn. 59; Stadler, in: FS E. Schumann, S. 465, 475.

63 Behrendt/von Enzberg, RIW 2014, 253, 257.

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7. Zwischenergebnis

Im Ergebnis zeigt sich, dass in Deutschland bereits eine Vielzahl an Möglichkeiten zum kollektiven Rechtsschutz existiert, jedoch keine Sammelklage. Bei der Bewältigung von Massenschadensfällen kommen alle Instrumente organisatorisch oder aufgrund ihres Anwendungsbereiches an ihre Grenzen.

II. Schweden

Schweden war 2002 mit dem lag om grupprättegang (GrL) die erste Jurisdiktion der Europäischen Union, die eine Sammelklage eingeführt hat.64 Ziel war es, den effektiven, prozessualen Rechtsschutz zu stärken und das Ungleichgewicht zwischen den Parteien zu reduzieren.65

1. Rechtslage

Eine Sammelklage gemäß § 1 GrL66 beschreibt eine Klage, bei der der Kläger als Vertreter einer Gruppe auftritt. Dabei handelt es sich nicht um eine Prozessstandschaft oder Prozessbevollmächtigung.67 Das GrL weist viele Ähnlichkeiten mit der Empfehlung 2013/396/EU (Fn. 18) auf: So ist das GrL in der Klagebefugnis sehr großzügig68 und berechtigt einzelne Anspruchsinhaber (vgl. § 4 GrL), Verbände (vgl. § 5 GrL) 69 und Behörden (vgl. § 6 GrL)70 .

Schweden hat sich für ein opt in-Verfahren entschieden.71 Gemäß § 14 GrL muss jedes Mitglied der definierten Gruppe seine Teilnahme dem zuständigen Gericht innerhalb einer bestimmten Frist melden.72 Anders als in der Empfehlung vorgesehen, ist ein Austritt nach Erhebung der Klage nur erschwert und verbunden mit hohen Kosten möglich.73

Sofern die Sammelklage als geeignetste Prozessform (vgl. § 8 GrL)74 erscheint, kann gemäß § 2 GrL jeder Anspruch, der auch bei ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden könnte, in Form einer Sammelklage geltend gemacht werden (gemäß § 8 GrL).

Außerdem bietet das schwedische Recht die Möglichkeit, Erfolgshonorare in Form eines „Risikovertrages“ (vgl. § 38 GrL) für den vertretenden Anwalt zu vereinbaren. Um das daraus hervorgehende Missbrauchsrisiko zu begrenzen, muss der Risikovertrag durch das Gericht bestätigt werden und die Vergütung in einem angemessenen Verhältnis zur erbrachten Leistung stehen.75 In Schweden gilt das loser pays principle76 zum Schutz gegen leichtfertig erhobene Klagen.77

2. Kritik

Schweden hat mit der Einführung der Gruppenklage 2002 einen großen Schritt im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes gemacht. Seit Einführung der Gruppenklage wurden verschiedene Verfahren als Gruppenklagen geführt.78 Aufgrund der Ähnlichkeiten sind die oben genannten Nachteile und Kritikpunkte, insbesondere bezüglich des opt in-Verfahrens und des loser pays principles übertragbar.79

Weitergehend werden die Folgen der Erhebung einer Gruppenklage in Schweden kritisiert: Die Ansprüche aller Mitglieder der definierten Gruppe werden zunächst bis zum Ablauf der zur Eintragung definierten Frist rechtshängig, sodass die Einzelnen ihre Ansprüche nicht mehr selbstständig durchsetzen können. Erst im Anschluss beschränkt sich die Rechtshängigkeit auf die beigetretenen Gruppenmitglieder.80 Diese Einschränkung der individuellen Möglichkeiten zur Durchsetzung eigener Ansprüche ist verfassungsrechtlich bedenklich.81

Bezüglich der Kostentragungsregeln hat das schwedische Recht eine ausgleichende Lösung gefunden: Prinzipiell sind die Kosten durch den Kläger zu tragen, eine Umverteilung auf die Gruppe geschieht nur durch Vereinbarung oder aufgrund Zahlungsunfähigkeit des Klägers.82 Die Regelung zum Erfolgshonorar dient der Schaffung von Anreizen zur Organisation der Sammelklagen.

III. Frankreich

Frankreich hat 2014 mit dem Loi n*2014 – 344 du 17 mars 2014 relative à la consommation (1) die action de groupe in den Code de la consommation aufgenommen.

1. Rechtslage

In Frankreich sind zugelassene, französische Verbände83 dazu befugt, eine action de groupe zu erheben (vgl. Art. L. 623 – 1 C. cons.). Dabei kann der Ersatz materieller Vermögensschäden, die von einer großen Gruppe ähnlich erlitten wurden (vgl. Art. L. 623 – 1 C. cons.)84, eingeklagt werden.

Auch in Frankreich hat man sich für das opt in-Prinzip entscheiden.85 Neuartig an der action de groupe ist die Auftei-


64 Stengel/Hakemann, RIW 2004, 221.

65 Stengel/Hakemann, RIW 2004, 221, 222.

66 Alle Zitationen des GrL sind Übersetzungen der englischen Fassung des GrL verfügbar unter: http://bit.ly/2sm2srO.

67 Stengel/Hakeman, RIW 2004, 221, 223.

68 Stadler, JZ 2009, 121, 128; Persson, in: Europäische Kommission,Evaluation of the effectiveness and efficiency of collective redress mechanisms in the European Union, Country report Sweden, 2008,S. 3.

69 Persson (Fn. 68), S. 3. – insbesondere Verbraucher- und Arbeitnehmerverbände.

70 Hier ist der Ombudsmann für Verbrauchersachen zu nennen (Persson (Fn. 68), S. 3).

71 Stadler, JZ 2009, 121, 128; Stengel/Hakeman, RIW 2004, 221, 222.

72 Stengel/Hakeman, RIW 2004, 221, 225.

73 Stengel/Hakemann, RIW 2004, 221, 225.

74 Stengel/Hakeman, RIW 2004, 221, 224; der Wortlaut von § 8 GrL lautet: “A group action may only be considered if …”.

75 Stengel/Hakemann, RIW 2004, 221, 226.

76 Persson (Fn. 68), S. 7; Kap. 18 § 1 RB (Schwedische Zivilprozessordnung).

77 Stengel/Hakeman, RIW 2004, 221, 223; Lindblom, in: The Globalizatioin of Class Actions, 2007, S. 16. Demnach sind auch die Gruppenmitglieder im Normalfall nicht an den Prozesskosten und den Anwaltskosten der obsiegenden Partei beteiligt.

78 Eine Übersicht bis 2008 in Persson (Fn. 68), S. 29.

79 S.o. III. 2.

80 Stengel/Hakeman, RIW 2004, 221, 226; Buchner (Fn. 3), S. 106; a.A. Stadler, JZ 2009, 121, 130.

81 Buchner (Fn. 3), S. 106.

82 vgl. Klein, RIW 2015, 60, 61.

83 Derzeit sechzehn Verbraucherverbände gemäß Klein, RIW 2014, 1.

84 Bien,Neue Zeitschrift für Kartellrecht (NZKart) 2014, 465.

85 Bien, NZKart 2014, 465; Buchner (Fn. 3),S. 119.

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lung des Prozesses in verschiedene Phasen:86 Zunächst erhebt ein Verbraucherverband die Sammelklage. Der Verband muss nicht ermächtigt worden sein und die Gruppe der teilnehmenden Verbraucher nicht feststehen. Gemäß Art: 623-3 C. cons. erlässt der Richter auf Basis repräsentativer Fälle ein Grundurteil mit den relevanten Feststellungen, die die Schadensersatzverpflichtung des Unternehmens begründen. Zudem bestimmt das Gericht nach Art. 632-4 C. cons. die Gruppe von Verbrauchern, für die das Urteil gelten soll und wie diese zu informieren sind. Erst im Anschluss können innerhalb einer Frist Verbraucher dem Prozess beitreten (vgl. Art. 623-4 C. cons.). Die Rechtskraft des Urteils erstreckt sich nach Art. 623-9 C. cons. auch gegenüber den nun beitretenden Verbrauchern. Abschließend kann der Richter gemäß Art. 623-19 C. cons., sofern nötig, über einzelne, strittige Forderungen entscheiden.

Mit Anhängigkeit der Sammelklage tritt eine Verjährungshemmung der betroffenen Ansprüche ein. Es ist jedoch noch unklar, ob sich diese nur auf die späteren Gruppenmitglieder oder alle in Frage kommenden Anspruchsinhaber bezieht.87

2. Kritik

Auch in der französischen Lösung bestehen aufgrund der opt in-Teilnahme Einschränkungen hinsichtlich der Effizienz des Rechtsschutzes. Die Effektivität der action de groupe wird auch durch den geringen Anwendungsbereich eingeschränkt. So sind insbesondere Produkthaftungsfälle nicht erfasst.88

Schwierig bleibt auch hier die Finanzierung der Prozesse:89 Das Gesetz sieht lediglich eine Erstattung der Kosten vor,90 weitere finanzielle Vorteile bestehen für die Verbände jedoch nicht, sodass kaum Anreize zur Durchführung solcher Prozesse bestehen.91

Durch die alleinige Klagekompetenz für französische Verbraucherverbände stellt sich auch hier die Schwierigkeit bei grenzüberschreitend gelagerten Fällen.92

IV.

V. Schlussfolgerungen der rechtsvergleichenden Analyse

Alle bisher gefundenen Lösungswege weisen Schwächen und Stärken auf, die bei der Konzeption kollektiver Rechtsschutzmechanismen zu beachten sind.

1. Opt in oder opt out?

Die Empfehlung der Europäischen Kommission, Frankreich und Schweden haben sich für opt in-Lösungen entschieden. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber opt out-Lösungen nach dem amerikanischen Modell, scheint lediglich ein freiwilliges Beitreten der Mitglieder zu einer Gruppenklage derzeit möglich. Die Nachteile einer opt in-Lösung93 auszugleichen, ist Aufgabe des Gesetzgebers. An dieser Stelle ist auch der Schadenswert von Relevanz: Bei niedrigen Bagatellschäden wird aufgrund des Verbotes von Strafschadenszahlungen im civil law der Klageanreiz auch bei sehr einfachen Verfahren gering bleiben.

Um dem „rationalen Desinteresse“ 94 zu begegnen, scheint trotzdem die französische action de groupe derzeit das überzeugendste Konzept zu liefern: Durch die späte Beteiligung der Verbraucher an den Prozessen, bestehen weniger Entscheidungs-, Prozess- und Kostenrisiken.95

2. Klagebefugnis

Die weite Klagebefugnis in Schweden eröffnet mehr Rechtsschutzmöglichkeiten. Andererseits sorgt eine Einschränkung der Klagebefugnis auf Verbraucherverbände für eine Qualitäts- und Verfahrensgarantie, da die Prozesse so von Einzelpersonen unabhängig sind. Um ein Maß an juristischem Sachverstand zu gewährleisten, muss jedoch die fachliche Qualifikation der Verbände gewährleistet sein.

3. Kosten

Sowohl in Schweden als auch in Frankreich soll der Gruppenkläger, nur im Ausnahmefall die Gruppenteilnehmer, die Kosten des Verfahrens tragen.96 Dies dient dem Schutz der Gruppenteilnehmer. Andererseits kann gerade in einer solchen Regelung eine Gefahr liegen: In den USA liegt einer der Klage- und Organisationsanreize für den Gruppenkläger in den vereinbarten Erfolgshonoraren.97 Aufgrund der Verantwortung des Gruppenklägers die Kosten zu tragen, könnten sich die Anreize eine solche Klage zu erheben, verringern. Diese Problematik besteht auch bei anderen Verbandsklagen, wie der Gewinnabschöpfung nach dem UWG.98

E. Die Musterfeststellungklage für Verbraucher als deutsche class action?

Inspiriert von der Kommissionsempfehlung hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 2013 einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Sammelklage vorgelegt.99 Die Koalitionsfraktionen lehnten die Einführung einer Gruppenklage ab – der Vorschlag „schaffe zusätzliches Streitpotenzial“100 , zudem „gebe es bereits hinreichende Möglichkeiten des kollektiven Rechtsschutzes“101 .


86 Zu folgendem Ablauf eingehend: Bien, NZKart 2014, 465; Buchner (Fn. 3), S. 120; Klein, RIW 2014, 1; Stadler, ZfPW 2015, 61, 67; Tilp/Schiefer, Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht (NVZ) 2017, 14, 17.

87 Klein, RIW 2014, 1.

88 Stadler, ZfPW 2015, 61, 68.

89 Buchner (Fn. 3), S. 121.

90 Klein, RIW 2014, 1; Bien, NZKart 2014, 507, 509.

91 Bien, NZKart 14, 507, 509; Klein, RIW 2014, 1.

92 Stadler, ZfPW 2015, 61, 79.

93 S.o. II. 1. b) opt in – Insbesondere ist hier an die geringe Zahl der teilnehmenden Verbraucher und dem Charakter als Druckmittel zu denken.

94 Alexander, JuS 2009, 590 (590).

95 Tilip/Schiefer, NVZ 2017 14, 17.

96 S.o. IV. 2. a) bzw. 3. b).

97 Behrendt/Freiin von Enzberg, RIW 2014, 253, 254.

98 S.o. IV. 1. c) (2).

99 Entwurf eines Gesetzes über die Einführung von Gruppenverfahren, BT-Drs. 18/1464 vom 21.05.2014; vgl. insbesondere §§ 606, 610, 611, 617, 628.

100 Zitat Dirk Wiese, in: Deutscher Bundestag, Nein zur Einführung von Gruppenverfahren, 2015.

101 Zitat Sebastian Steineke, in: Deutscher Bundestag (Fn. 100).

Vogt, class action136

Nach dem VW-Skandal 2015 wurde die Einführung einer Musterfeststellungsklage diskutiert.102 Im Juli 2016 hat das Bundesministerium der Justiz einen Diskussionsentwurf veröffentlicht,103 jedoch konnte die Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode zu keiner Einigung kommen. Der Diskussionsentwurf sieht eine Musterfeststellungsklage für Verbraucher, angelehnt an das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG), vor.104 Eine solche Lösung ist bereits mehrfach in der Literatur vorgeschlagen worden,105 sodass eine Umsetzung in dieser Form auch unter einer neuen Regierung nicht unwahrscheinlich erscheint.

I. Musterfeststellungsklage im KapMuG

Das KapMuG wurde 2005 unter dem Eindruck der rund 17 000 anhängigen Klagen von Aktionären gegen die Deutsche Telekom verabschiedet106 und 2012 reformiert.107 Ziel des KapMuG ist die „effektivere gerichtliche Handhabung von Massenklagen mit kapitalmarktrechtlichem Bezug“108.

Das Musterfeststellungsverfahren ist in drei Phasen geteilt:109 Zunächst wird gemäß § 2 KapMuG das Verfahren durch den Musterverfahrensantrag eingeleitet. Auf dieser Basis wird der Antrag in das Klageregister eingetragen. Sofern sich innerhalb von sechs Monaten mindestens neun weitere Kläger gefunden haben, erlässt das Prozessgericht gemäß § 6 I 2 KapMuG einen Vorlagebeschluss, der die Feststellungsziele enthält. Dieser wird im Klageregister veröffentlicht und leitet das Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht ein. Gemäß § 8 I KapMuG werden durch die Veröffentlichung alle bereits anhängigen oder noch anhängig werdenden Verfahren ausgesetzt. Das Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht endet mit einem Musterbescheid (§ 16 I KapMuG), welcher die Prozessgerichte gemäß § 22 I 1 KapMuG in den ausgesetzten Einzelprozessen innerprozessual bindet.

Ob der Gesetzgeber sich im KapMuG für ein opt in– oder opt out-Modell entschieden hat, ist umstritten.110 Da der Musterentscheid lediglich Bindungswirkung für die im Klageregister eingetragenen Verfahren entfaltet, sollte aber eine Ähnlichkeit zu einem opt in-Verfahren angenommen werden.111 Jedoch geht die faktische Bindungswirkung des Musterentscheides gleichzeitig darüber hinaus und entfaltet eine Präjudizwirkung in Parallelverfahren, soweit kein abweichender Vortrag vorliegt.112

II. Regelung für Verbraucher durch den Gesetzentwurf

Zur Anwendung des Musterfeststellungsverfahren auf Verbraucher sind relevante Anpassungen vorgenommen worden: Klageberechtigt sollen ausschließlich qualifizierte Einrichtungen entsprechend § 4 UKlaG sein,113 um das „rationale Desinteresse“114 zu überwinden.115 Verbrauchern steht die Möglichkeit offen, ihre Ansprüche in ein elektronisches Klageregister eintragen zu lassen, um sich später auf die Feststellungen des Musterbescheides berufen zu können.116

Der Musterprozess soll der Feststellung relevanter Tatsachen und Rechtsfragen dienen, nicht aber Leistungsansprüche begründen. Diese sind in anschließenden Individualverfahren festzustellen.

III. Bewertung

1. Effektivität des Rechtsschutzes

Während in Frankreich und Schweden bereits durch die opt in-Lösung Einbußen in der Effektivität der Maßnahme gefürchtet werden, wäre in Deutschland die Eigenverantwortlichkeit der Verbraucher deutlich höher: Zwar ist die Anmeldung zur Teilnahme im aktuellen Regierungsentwurf einfach, jedoch muss jeder einzelne Anmelder im Anschluss noch Individualverfahren gegen das Unternehmen führen.117 Dieses Risiko ist gerade der Auslöser für das „rationale Desinteresse“118, das Verbraucher von der Rechtsdurchsetzung abhält. Der Erfolg von Anbietern wie myright.de basiert darauf, dass den Verbrauchern die Risiken und Mühen eines Prozesses abgenommen werden. Insoweit wäre eine Lösung, in der direkt ein Leistungsanspruch für gleichgelagerte Fälle begründet wird, vorzuziehen.

2. Problematik der qualifizierten Einrichtungen

Wie in Frankreich wirft die alleinige Klagebefugnis durch qualifizierte Einrichtungen Probleme auf. Dies dient zwar der Qualitätsgarantie, jedoch können auch Verbände sowohl organisatorisch als auch finanziell mit der Durchführung von Prozessen mit signifikantem Streitwert und einer großen Gruppe an Anspruchsinhabern überfordert sein.119

Daher wäre auch in einer deutschen Lösung zu diskutieren, ob die Klagebefugnis nicht, wie in Schweden, auch für Einzelpersonen geöffnet werden sollte. Dazu müsste jedoch zur Überwindung des „rationalen Desinteresses“120 ein finanzielles


102 Vgl. Beck-aktuell, Koalition streitet über Musterklagen für Verbraucher, 2017.

103 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Musterfeststellungsklage (Diskussionsentwurf), 2017.

104 Vgl. Windau, Einer klagt für alle, 2016.

105 Wanner, Das KapMuG als allgemeine Regelung für Massenverfahren, 2010, S. 89 – 93; Habbe/Gieseler, BB 2016, 3018, 3021; Keßler, Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 2016, 2, 3; Heitzig (Fn. 57), S. 313.

106 Tamm, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (ZHR) 174 (2010), 525, 530.

107 Vgl. Art. 1 des Gesetzes zur Reform des KapMuG vom 19.10.2012, BT-Drs. 17/8799.

108 Vgl. BT-Drs. 17/8799 (Fn. 119), S. 1.

109 Als Überblick zum Ablauf des Musterfeststellungsverfahrens durch das KapMuG eingehend: Hess, in: Hess/Reuschle/Rimmelspacher (Hrsg.), Kölner Kommentar zum KapMuG2, 2014, Einl. Rn. 27ff.

110 Vgl. Wolf/Lange, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG), Kommentar, Einl. Rn 40, 42.

111 Hess, in: Hess/Reuschle/Rimmelspacher (Fn. 109), Einl. Rn. 33.

112 Hess, in: Hess/Reuschle/Rimmelspacher (Fn. 109),Einl. Rn. 30.

113 vgl. Diskussionsentwurf (Fn. 103), S. 2.

114 Alexander, JuS 2009, 590.

115 vgl. Diskussionsentwurf (Fn. 103), S. 16.

116 vgl. Diskussionsentwurf (Fn. 103), S. 3.

117 In Fällen unter dem KapMuG hat sich gezeigt, dass Unternehmen auch nach Feststellungen im Musterbescheid Verzögerungstaktiken in den Einzelprozessen angewendet haben. Als Beispiel kann hierbei das Verfahren zwischen der Telekom und ihren Aktionären genannt werden (BGH XI ZB 12/12) (vgl. DAV Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz für ein Gesetz zur Einführung der Musterfeststellungsklage, S. 7).

118 Alexander, JuS 2009, 590.

119 DAV Stellungnahme (Fn. 117), S. 5 ff.

120 Alexander, JuS 2009, 590.

Vogt, class action137

Anreizsystem geschaffen werden. Auch Unternehmen wie myright.de sind nur bereit, die relevanten Prozessrisiken zu übernehmen, da ihnen im Erfolgsfall Abschläge der Ansprüche zustehen. Als Vorbild könnte etwa der Risikovertrag nach § 38 GrL gewählt werden.

3. Kosten

Auch die Finanzierung der Musterfeststellungsklagen dürfte sich noch als schwierig erweisen. Da die Betroffenen nicht selbst klagen würden, sind die bestehenden Regelungen zum KapMuG nicht übertragbar. Wie jedoch bereits in Frankreich zu beobachten ist, stellt die Finanzierung solcher Klagen auch für etablierte Verbände ein Problem und einen fehlenden Klageanreiz dar.121 Hierbei wäre etwa an einen Kostenerstattungsanspruch, ähnlich der Regelung im UWG, aus Steuermitteln im Rahmen des Verbraucherschutzes zu denken.

F. Ergebnis

Die Frage eines angemessenen und funktionierenden kollektiven Rechtsschutzes ist noch nicht abschließend beantwortet, der goldene Mittelweg nicht gefunden. Einigkeit besteht darin, kollektive Rechtsschutzmöglichkeiten weiter ausbauen zu wollen. Auf der anderen Seite sollen Erfolgshonorare, opt out-Systeme und Strafschadensersatz vermieden werden, was zu Effektivitätsverlusten führt.

Viele Mitgliedsstaaten der EU haben in den letzten Jahren Sammelklagen eingeführt. Deutschland bleibt bei dieser Entwicklung bisher zurück. Die Diskussion über die Einführung einer Musterfeststellungsklage zeigt auch, dass noch ein weiter Weg zu gehen ist, bis Verbraucher kollektiv ihre Rechte auch hier effektiv durchsetzen können.

Aktuell sind Prozesse zur kollektiven Durchsetzung von Rechten abhängig von externen Prozessfinanzierern und kosten die betroffenen Verbraucher im Erfolgsfall 35 % ihres Anspruches.


121 S.o. IV. 3. b).