Big Law & Legal Tech

Dr. Hariolf Wenzler*

A. Herausforderung

Selten waren die Zeiten für große Anwaltskanzleien so spannend, so herausfordernd und gleichzeitig so chancen- und risikoreich wie im Hier und Jetzt.

Aus dem Blickwinkel eines archetypischen Unternehmers (oder einer Unternehmerin) lesen sich die Begriffe „herausfordernd“ und „chancenreich“ wie gemacht für die DNA des Entrepreneurs: Erobern neuer Märkte und Mandanten, neue Möglichkeiten der Geschäftsentwicklung und neue Ertragsquellen.

Aus dem Blickwinkel eines archetypischen Juristen (oder einer Juristin) lesen sich die Begriffe „spannend“ und „risikoreich“ wie ein Angriff auf das bewährte Geschäftsmodell, auf eine stabile Ordnung, wie eine Bedrohung des Status Quo mit der Folge von Unsicherheit und Angst vor dem Verlust der eigenen Komfortzone, die mitschwingt.

Die Partnerinnen und Partner und damit Entscheidungsträger in großen Sozietäten sind beides: Juristen und Unternehmer. Und auch der Rest ist nicht so einfach: die „Komfortzone“ ist oft ein 12- bis 16-Stunden-Arbeitstag unter hoher Anspannung in komplexen und komplizierten Mandaten, hinzu kommt das Entwickeln und Gewinnen von Mandatsbeziehungen, gestiegene Erwartungen an Profitabilität, an die Führung eines Teams und die erwartete „Sichtbarkeit im Markt“ in Form von Vorträgen und Veröffentlichungen.

Und jetzt auch noch Legal Tech…

B. Möglichkeiten durch Technologie

In einer Welt, in der das analoge Fernsehen von Netflix, der Schuhladen von Zalando, der Buchhandel von Amazon, der Musikhandel von Spotify, der Schulunterricht von YouTube (sic!), das Taxigewerbe von Uber und das Beherbergungsgewerbe von AirBnB bedroht sind, wird deutlich, dass viele weitere Industrien von der „Digitalisierung von Allem und Jedem“ betroffen sein werden.

Dabei stellt sich schon lange nicht mehr die Frage, ob Industrie 4.0, Agiles Arbeiten, Big Data und Digitalisierung der Arbeitswelt – Phänomene, zu denen wir jeden Tag unsere Mandanten beraten – auch die Rechtsberatung erreichen, denn sie sind längst da. Offen ist, wie sie unsere Arbeit in den Kanzleien verändern werden – und in welcher Geschwindigkeit.1

Fragt man Google Trend nach der Suchhäufigkeit des Begriffs „Legal Tech“ in Deutschland in den vergangenen zwölf Monaten, sieht man an der Verzehnfachung der Suchanfragen, dass das Thema einen bedeutenden Aufschwung genommen hat. Dass Legal Tech im Mainstream angekommen ist, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass der gesamte Deutsche Anwaltstag vom 24. bis 26. Mai 2017 in Essen unter der Überschrift „Innovationen und Legal Tech“ stand. Die Bandbreite der Erwartungen an das Thema ist groß: Während am einen Ende des Meinungsspektrums der gesamte Berufsstand kurz davor steht, durch künftige Intelligenz und „Robot Lawyers“ ersetzt zu werden, kämpfen am anderen Ende Anwälte in strukturschwachen Gegenden darum, überhaupt erst einen leistungsfähigen Internetzugang zu bekommen oder zögern Anwälte ernsthaft noch, sich einen LinkedIn Account zuzulegen. Sinnbildlich für den Stand der Entwicklung steht eine Sonderbeilage der NJW, die der Beck-Verlag passend zum Thema des Anwaltstags herausgebracht hat. Unter der Überschrift „Innovationen und Legal Tech“ wird ein guter Überblick aus verschiedenen Perspektiven auf das Thema geboten. Zugleich ist diese Beilage ausschließlich in Print erschienen: Digitalisierung zum Umblättern, sozusagen.

Was aber verändert sich konkret durch Legal Tech? Meine knappste Definition des Begriffes lautet: „Legal Technology ist der Einsatz digitaler Technologien zur Bewältigung juristischer Aufgaben“. Wenn dem so ist, dann umfasst der Einsatzbereich ein breites Spektrum an Software und Services, von der Unterstützung des Anwalts bis hin zur Übernahme ganzer Bereiche juristischen Denkens und Urteilens. Bei der Klassifizierung werden typischerweise drei Ebenen unterschieden2 :

1. Die erste Ebene wird mit „Office Technology“ bezeichnet und umfasst die Anwendungen, die in den Bereich der Digitalisierung allgemeiner Bürotätigkeit fallen. Dazu zählen beispielsweise Kommunikations- und Organisationsplattformen wie Slack oder Workplace, Projektmanagementtools wie Trello oder Asana, Microsoft Office und Sharepoint, aber auch Plattformen und Cloud Services, die vielen Anwendungen zugrunde liegen, aber nicht rechtspezifisch sind wie Microsoft Azure, Amazon Web Services oder SAPs Clea.

2. Darüber gibt es eine zweite Ebene, die als „LegalIT“ bezeichnet wird; Anwalts-, rechtsabteilungs- oder kanzleispezifische Software, die speziell auf deren Bedürfnisse hin entwickelt wurde. Anbieter wie RA Micro oder STP im deutschsprachigen Raum, Clio oder Thomson Reuters ELITE im angelsächsischen Raum und neuerdings cloud-based


* Dr. Hariolf Wenzler ist Chief Strategy Officer für die deutschen und österreichischen Büros von Baker McKenzie und zudem Präsident der European Legal Technology Association (ELTA). Dieser Text ist eine gekürzte Version eines Kapitels des Verfassers aus Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech: Die Digitalisierung des Rechtsmarkts, Verlag C. H. Beck, München 2018.

1 Eversheds Sutherland / Winmark: The Looking Glass Report 2016, Raising the Bar, Digital Technology and the Enhancement of Legal Services (http://lookingglassreport.eversheds.com/download-the-full-report.html; 1. Juni 2017)

2 In Anlehnung an Veith/Wenzler/Hartung u.a., How Legal Technology Will Change the Business of Law, Final Report of Bucerius Law School and The Boston Consulting Group on impacts of innovative technology in the legal sector, 2015/2016, Download hier: http://www.bucerius-education.de/fileadmin/content/pdf/studies_publications/Legal_Tech_Report_2016.pdf

Wenzler, Big Law158

Software wie Legal Trek, eine Software-as-a-Service (SaaS) Lösung, die das Kanzleimanagement von der Mandanten- und Aktenanlage über das Zeiterfassen, Organisieren, Kommunizieren, Dokumentieren bis hin zum Erstellen der Rechnung als komplette Dienstleistung abbildet, KanBan-Boards, CRM und Dashboards zur Visualisierung und zum Reporting inklusive.

3. Schließlich gibt es eine dritte Ebene der Anwendungen, die man als Legal Tech im eigentlichen Sinne bezeichnen würde. Hier finden sich Anwendungen, die, teilweise unter Einsatz selbstlernender Technologien, also künstlicher Intelligenz, im Kern juristische Fragestellungen beantworten. Dazu zählen automatisierte Vertragsanalysen wie von eBrevia, Kira, Luminance oder Leverton, eDiscovery Tools wie Relativity, intelligente Entscheidungslogiken wie NeotaLogic oder Tools zur Prognostik und Prädiktion wie Ravel, LexPredict oder IBM Watson.

In den meisten großen, international agierenden, wirtschaftsberatenden Kanzleien wird nach Kenntnis des Autors mit Software aller drei Ebenen gearbeitet, zumindest aber experimentiert. Fast überall gibt es Task Forces, Committees und Gruppen, die sich mit den Möglichkeiten und Herausforderungen beschäftigen. Idealerweise arbeiten hier Kolleginnen und Kollegen unterschiedlicher fachlicher Hintergründe (Juristen, Paralegals, IT-Fachleute, Projektmanager etc.), unterschiedlicher Senioritätsstufen und aus unterschiedlichen Jurisdiktionen zusammen.

Je nach Innovationsfreude gibt es große Kanzleien, die signifikante Investments in Technologie, Infrastruktur und / oder Talente tätigen, um hier Motor einer Entwicklung zu sein, während andere tendenziell eher abwarten. Auffällig engagiert sind auch die vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die traditionell IT-affin sind und gelernt haben, in bestimmte Bereiche strategisch zu investieren. Einen guten Überblick gibt die Financial Times, die jährlich einen Bericht über „Innovative Lawyers“ veröffentlicht, Initiativen von Kanzleien und alternativen Anbietern von Rechtsdienstleistungen vorstellt und – im angelsächsischen Raum immer beliebt – Ranglisten in verschiedenen Kategorien erstellt. 3 Die Bereitschaft und die Fähigkeit zu investieren hängt neben dem „Mindset“ in Partnerschaften von vielen weiteren Faktoren ab, die Investitionen oft eher behindern anstatt sie zu fördern. Dazu zählen die partnerschaftliche Struktur und das Gewinnverteilungsmodell, bei dem für jede Investition auf Entnahme verzichtet werden muss, eine fehlende Historie und Kultur von institutioneller Forschung und Entwicklung auf Ebene der Kanzlei bzw. des Geschäftsmodells und häufig schlechte Erfahrungen mit Investitionen, weil Strukturen für und Erfahrungen mit straffem und ergebnisorientiertem Projektmanagement fehlen, welches wiederum Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung von Investitionsentscheidungen ist. Die Vorstellung, man sei lieber „smart follower“ statt „first mover“, weil man damit das Risiko der Geldverschwendung minimiere, ist daher auch ein häufig zu hörendes Diktum im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen.

C. Die Kanzlei der Zukunft

Wie sieht die Kanzlei der Zukunft aus? Der strategische Ansatz von Baker McKenzie als einer sehr großen, internationalen Full-Service Kanzlei ist, sich ein Bild von der Kanzlei der Zukunft zu machen und daraufhin Entscheidungen zu treffen, die den Weg dorthin ermöglichen. Der Umgang mit und der Einsatz von Legal Tech ist also eingebettet in die Strategie der Kanzlei, für die ein globales Executive Committee verantwortlich ist und die in Practice- und Industry Groups sowie in den verschiedenen Erdteilen, Ländern und Büros umgesetzt wird. Unser Ziel ist, für unsere Mandanten pragmatische und klare Lösungen in einer immer komplexer werdenden Welt zu finden, die ihnen helfen, ihre Strategien erfolgreich umzusetzen. Wie sehr Innovationen und technische Neuheiten die Welt unserer Mandanten verändern und wie wir als Kanzlei darauf reagieren, erarbeitet ein Global Innovation Committee, das Vorschläge unterbreitet, wie und wofür investiert werden soll und dem der Verfasser angehört. Mit zwei globalen Service Centers in Manila und Belfast hat Baker McKenzie bereits eine lange Tradition, in innovative Strukturen zu investieren. Wir arbeiten als erste Kanzlei überhaupt mit Methoden des Design Thinking und haben mit „Whitespace Collab“ in Toronto im Juni 2017 den weltweit ersten Legal Innovation Hub eröffnet – mit sehr positiver Resonanz nicht nur von Mandanten, sondern auch in der Öffentlichkeit. Die Investitionen in eine andere Infrastruktur, in andere als „nur“ juristische Fähigkeiten wie Design Thinking, Projekt- und Prozessmanagement, und in Technologien, die die Arbeit von Anwälten unterstützt, ist jedoch kein Selbstzweck, sondern wird entlang der künftigen Bedürfnisse unserer Mandanten entwickelt.

In zahlreichen Gesprächen mit Mandanten, mit vielen im Silicon Valley beheimateten Technologiefirmen, mit europäischen und deutschen Global Playern, mit Marktforschern, Start-Ups, Venture Capital-Gebern und großen Mandanten aller Industrien, die sich der Digitalisierung aktiv stellen, sowie durch die Auseinandersetzung mit der vielen Literatur4 rund um die Veränderungen der „Legal Profession“, haben wir eine Vorstellung davon herausdestilliert, was eine Anwaltskanzlei der Zukunft auszeichnet.

Nach unserer Auffassung werden die globalen Anwaltskanzleien künftig geographisch noch breiter aufgestellt sein, also in noch mehr Ländern eigene Büros und Expertise vorhalten und ihren Mandanten ein noch umfassenderes Spektrum an Beratungsdienstleistungen anbieten, das mithilfe immer fortgeschrittener technologischer Lösungen erstellt werden wird. Dadurch wird es im Back-end anspruchsvoller sein, während es im Front-end (User Experience) bedienerfreundlicher sein wird. Die zunehmende Komplexität der Welt des Handels, der Wirtschaft und der Technologie wird sich in einer ebenfalls zunehmenden Komplexität rechtlicher Regelungen, Vorschriften und Gestaltungsmöglichkeiten ausdrücken. Mandanten werden immer mehr erwarten, Handreichungen zu erhalten, wie sie diese Komplexität beherrschen und in geschäftliche


3 https://www.ft.com/reports/innovative-lawyers

4 Statt vieler: besonders lesenswert und aktuell: The Law Society of England and Wales: Capturing Technological Innovation in Legal Services, January 2017 (https://ncmedia.azureedge.net/ncmedia/2017/04/capturing-technological-innovation-report.pdf; 1. 6. 2017)

Wenzler, Big Law159

Opportunitäten umsetzen können. Die Beratungsleistung muss sich also für den Mandanten zunehmend als einfach zu verstehende, einfach zu bedienende oder einfach zu navigierende Oberfläche anfühlen, die von „commercial pragmatism“ geprägt ist. Darunter verbirgt sich dann wiederum juristische Expertise und Exzellenz, die man nicht an der Oberfläche sieht, die das Produkt aber qualitativ ausmacht. Weil die Erstellung von solchen Beratungsprodukten immer komplexer werden wird, braucht es arbeitsteilige Teams aus Juristen und Nichtjuristen, die mit Hilfe von Office Technology, Legal IT und Legal Technology gemeinsam an Lösungen entlang definierter Prozesse und messbarer Qualitätskriterien arbeiten. Maßgeblich hierfür ist das Bild, das eine Studie der Boston Consulting Group und der Bucerius Law School im Jahr 2016 prägte: die Entwicklung der Kanzleistruktur von der Pyramide zur Rakete. 5 Während das klassische Organisationsmodell von Kanzleien einer Pyramide glich, bei der unten viele Associates und oben wenige Partner arbeiteten bei deralle Leistungserbringer (oder Time-Keeper) Juristen waren, und die von einem „Up or Out“ auf dem Weg von unten nach oben gekennzeichnet war, wird die Kanzlei der Zukunft sehr viel eher einer Rakete ähneln: Die Juristen-Pyramide wird ein Juristen-Zylinder, an den sich Flügel anflanschen, die aus Nichtjuristen bestehen: Paralegals, Legal Project Managers, Legal Technicians, Wirtschaftsjuristen und weitere Qualifikationen, die gebraucht werden, um eine insgesamt komplexere Beratungsleistung zu erstellen.

D. Die Bedeutung von Technologie, Daten und Arbeitsteilung

Der Technologie kommt die Rolle eines Katalysators zu. Technologie ermöglicht es, Routinearbeit mithilfe intelligenter Systeme zu automatisieren. Künstliche Intelligenz wird Urteilskraft entwickeln, die das menschliche Judiz unterstützt. Vorhersagen und Wahrscheinlichkeiten werden anhand großer Datenmengen berechnet werden können und die Einschätzung, das Bauchgefühl und die Erfahrung einer Anwältin und eines Anwalts stützen, verfeinern, ergänzen und teilweise ersetzen. Viele Legal Process Outsourcing-Firmen, alternative Anbieter von Rechtsdienstleistungen, die heute noch im Wesentlichen Personalgestellung betreiben, werden künftig durch den Einsatz von Technologie entlang einer Lernkurve mit weit weniger Menschen ihre Dienste bereitstellen können.

Ein wachsender Anteil der Arbeit, die heute in Vollzeit angestellte Associates erbringen, wird durch Menschen in hybriden Formen der Beschäftigung erbracht werden, die vom Heimarbeitsplatz bis hin zu projektgebundenen Arbeitsformen auf Plattformen wie Lawyers on Demand reicht. Diese „liquid workforce“ wird helfen, Probleme von Unter- und Überkapazitäten zu minimieren und es Kanzleien und Unternehmen ermöglichen, mit einer „atmenden Belegschaft“ zu arbeiten. In der „Gig-Economy“ wird es zunehmend Arbeitskräfte geben, die örtlich und zeitlich flexibles Arbeiten schätzen.

Vielleicht am wichtigsten aber ist, dass in Zukunft die Daten im Mittelpunkt jedes anwaltlichen Geschäftsmodells stehen werden. Kanzleien werden „data driven businesses“ sein. Die datengestützte Kenntnis von Mandantenbedürfnissen und Kundenhistorie, der Zugriff auf Daten zu Beratungszwecken, etwa Kenntnisse über Industrien und die Verfügbarkeit früherer Beratungsinhalte werden entscheidend für den Kanzleierfolg sein. Mandanten werden erwarten, dass ihre Anwälte über relevante Daten ad hoc verfügen. Rechtsanwälte und Inhouse-Juristen werden fortgeschrittene Kenntnisse im intelligenten Umgang mit Daten auch deshalb benötigen, weil Kanzleien und Rechtsabteilungen selbst mit Informationen in Echtzeit gesteuert werden können: Pricing, Fees, Collections, Außenstände, Auslastung und Profitabilität ermöglichen ein fein granuliertes und aktuelles Performance Management. Im Business Development ist es das Kennen, Auswerten und Nutzen von Mandantendaten, die deren Verhalten in der Vergangenheit und damit eine Mandantenhistorie beschreiben, um daraus künftige Bedarfe zu ermitteln und vorherzusagen. Das von vielen Full-Service-Kanzleien angestrebte Cross-Selling geht nicht mehr alleine von der absenderorientierten Idee des „Verkaufens der mannigfaltigen Fähigkeiten einer Kanzlei“ aus, sondern basiert auf der Kenntnis und Prognose künftiger Mandantenbedarfe, für die passgenaue Angebote entwickelt werden. Im materiellen Bereich sind es wiederum Schriftsätze, Präzedenzfälle, Vertragsmuster und Klauseln, die künftig viel intelligenter verknüpft und genutzt werden können. Dies setzt Standardisierung und Prozesse voraus, um mit Datenbeständen entsprechend arbeiten zu können. Eine große Herausforderung wird das Speichern von Daten in der Cloud sein, um die langfristig kein Weg herumführt. Damit stabile und saubere, datenschutzrechtlich sichere und verfügbare Cloud-Lösungen möglich sind, bedarf es erheblicher Anstrengungen, insbesondere unter dem neuen europäischen Datenschutzrecht, aber auch den nationalen Berufsrechten der wirtschaftsberatenden Berufe.

Eine weitere wichtige Voraussetzung auf dem Weg zur Kanzlei der Zukunft ist, die Bereitschaft, arbeitsteiliger zu arbeiten, als bisher. Ein komplexeres Beratungsprodukt erfordert andere Fähigkeiten. Programmierkenntnisse, Kenntnisse in Datenvisualisierung und Datenanalyse werden ein wichtiger Bestandteil des Beratungsprodukts sein. Daher stellt sich die Frage, ob dies Kenntnisse sind, die Juristen zusätzlich zu ihren juristischen Fähigkeiten erwerben müssen oder ob dies Fähigkeiten „sui generis“ sind und von Nicht-Juristen eingebracht werden. Nach Auffassung des Verfassers werden es Letztere sein, die zugleich auf einen neuen Typus von Juristen treffen müssen, der mit ihnen kommunizieren und arbeitsteilig Produkte erstellen kann. Angesichts der Juristenausbildung, in der methodisch Teamarbeit keine Rolle spielt und inhaltlich Arbeitsteilung als Konzept ebenfalls nicht vorkommt, stellt dies sicherlich eine besondere Herausforderung dar.

Inhaltlich stellt dies die zweite Welle der Professionalisierung in Anwaltskanzleien dar. Die erste Welle war die Professionalisierung des Kanzleimanagements. Lange gehörten Anwaltskanzleien zu den „undermanaged professions“, vergleichbar mit Kliniken, die bis vor einigen Jahren von Ärzten geführt


5 Veith/Wenzler/Hartung u.a., How Legal Technology Will Change the Business of Law, Final Report of Bucerius Law School and The Boston Consulting Group on impacts of innovative technology in the legal sector, 2015/2016, Download hier: http://www.bucerius-education.de/fileadmin/content/pdf/studies_publications/Legal_Tech_Report_2016.pdf

Wenzler, Big Law160

wurden oder Hochschulen, die von Professoren geleitet werden. Viele Organisationen im Non-Profit-Bereich gehören ebenfalls dazu, weil „Management“ in einer vormodernen Sicht zu den Funktionen gehört, die vermeintlich nur zur Kostenbasis beitragen, aber keinen eigenen Wert schaffen, während erfolgreiche Unternehmen umgekehrt gute Unternehmens- und Mitarbeiterführung als zentralen Wert ihrer Unternehmung begreifen. Das gilt auch für viele erfolgreiche internationale Sozietäten, deren Management oft in einer Mischung aus gewählten Partnern und professionellen Managern besteht, die eng und arbeitsteilig mit Verantwortung für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich zusammenarbeiten.

Die zweite Welle der Professionalisierung bringt ebenfalls andere als juristische Fähigkeiten in die Kanzleien. Der Unterschied aber ist, dass es nun nicht um Back-Office-Funktionen geht, sondern um „Zulieferer“ für den Kernbereich juristischer Beratung. Neben der Aufgabe für die Personalabteilungen der Kanzleien, sehr unterschiedliche Profile für komplexere Teams zu erkennen und einzustellen, fordert dies das Geschäftsmodell heraus, weil es Stundensätze für nicht-juristische Tätigkeiten festzulegen gilt, die künftig fester Bestandteil der „delivery“ sein werden.

Eine weitere, wesentliche Herausforderung stellt schließlich die Fähigkeit zu investieren dar. Das klassische Geschäftsmodell der partnerschaftlich strukturierten Anwaltskanzlei erschwert Investitionen dadurch, dass sie den unmittelbar entnehmbaren Anteil für Partner am Jahresende reduzieren. In besonderem Maße gilt dies für Kanzleien, die nach dem so genannten Cash-Accounting bilanzieren. Weil der Veränderungsprozess aber Investitionen erfordert, und zwar in Technologie, Aus- und Weiterbildung und möglicherweise in unternehmerische „Experimente“, deren Return on Invest ex ante unsicher ist, wird dies einen Veränderungsprozess im Investitionsverhalten herbeiführen. In Deutschland würde das erfordern, dass das anwaltsspezifische Gesellschaftsrecht modernen Anforderungen angepasst wird und Investitionen steuerlich so wie in anderen Unternehmen behandelt werden können. Dabei steht zudem zu vermuten, dass mit der Größe der Anwaltskanzlei die Fähigkeit zum Investieren zunimmt und größere Kanzleien Erfahrungen mit größeren Investitionen wie z.B. in IT-Systeme haben. Dies stellt umgekehrt kleinere und mittlere Kanzleien vor große Herausforderungen. Andererseits ist auch nicht sichergestellt, dass nur aufgrund der Größe einer Anwaltskanzlei die Investitionsbereitschaft steigt, noch ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass mit steigender Bereitschaft auch die Qualität der Investitionsentscheidungen besser wird.

Der habituell größte Anpassungsschritt wird die nächste Stufe interdisziplinärer Zusammenarbeit sein. Rechtsanwälte werden mit Menschen, die über komplementäre Kompetenzen verfügen, noch intensiver und routinemäßig zusammenarbeiten. Je größer und je grenzüberschreitender Mandate werden, desto wahrscheinlicher werden sich die Teams aus Juristen unterschiedlicher Seniorität und Fachkenntnis mit beispielsweise Datenanalytikern, Visualisierern und Projektmanagern zusammensetzen, die allesamt von Maschinen, Software und Algorithmen unterstützt werden, die die eher repetitiven Aufgaben übernehmen. Die erfolgreichsten Anwaltskanzleien werden darauf ausgerichtet sein, eine bessere „User Experience“ (UX) für Mandanten zu schaffen. Dabei werden allerlei Anleihen bei anderen Beratern und Serviceindustrien gemacht werden, die heute bereits mit Start-Ups kooperieren, um deren Arbeitsweise kennenzulernen, die Innovation Hubs betreiben, mit Universitäten kooperieren und eine Arbeitsweise des „experiment, collaborate and co-create“ pflegen.

Für Baker McKenzie bedeutet das, einen Weg zu beschreiten, an dessen Anfang die Kenntnis von Daten und der Einsatz von Technologien und modernen Arbeitsmethodiken steht, und an dessen Ende eine Kanzlei neuen Typs stehen kann. Aus diesem Grund ist die Kernaussage dieses Beitrags, dass die elementare Veränderung durch Legal Tech nicht in der Anwendung neuer Software oder dem Einsatz neuer Tools und Apps liegt. Legal Tech ist ein ermöglichender Faktor, ein Treiber oder Katalysator für eine Entwicklung, die die Umwälzung einer ganzen Branche vorantreiben wird. Der arbeitsteilig organisierten, datenzentrierten, agilen, mit modernen Tools und Methoden sowie interdisziplinär arbeitenden Kanzlei neuen Typs wird diese Zukunft gehören. Das ist die eigentliche Herausforderung, weil sie an den Grundfesten des Anwaltsberufs, des Bilds der Juristen von sich selbst, der Ausbildung und hergebrachten Rollenbildern rüttelt.

E. Fazit

Legal Tech ist ein Treiber zur weiteren Professionalisierung der großen Anwaltskanzleien. Eine engere und inhaltlich weitgehende Zusammenarbeit mit Nicht-Juristen, die Beherrschung effizienter Prozesse und die mandantenzentrierte Entwicklung neuartiger, komplexerer und zugleich bedienerfreundlicher Beratungsprodukte stellt Kanzleien und ihre Personalabteilungen sowie die Ausbildungslandschaft vor Veränderungen und Herausforderungen. Am meisten gefordert aber sind die Juristen selbst: Auf dem Weg zum Anwalt im 21. Jahrhundert gilt es, Gewohnheiten und (Selbst-) Zuschreibungen zu hinterfragen, sich für eine noch weitergehende Arbeitsteilung mit „Professionals“ zu öffnen, Geschäftsmodelle und Arbeitsmethodiken der Mandanten zu durchdringen und dem Einsatz von Technologie mit Interesse und Neugierde zu begegnen. Das Juristische wird im Kern seine Bedeutung in den großen Kanzleien behalten, das menschliche Judiz sogar wichtiger werden. Das Unternehmensmodell Big Law um diesen Kern herum wird zugleich noch unternehmerischer werden, professioneller und mit mehr Technologie als heute. Am Ende steht ein „Augmented Lawyer“, der oder die datenbasiert und technologiegestützt ein noch besserer unternehmerischer Berater seiner Mandanten ist als heute.