Murphy und der Schwimmerschalter – Deliktische Haftung wegen Mängeln der gekauften Sache nach englischem und deutschem Recht

von Tilman Koops*

A. Einleitung

Als Haftungskategorien kennen das deutsche wie das englische Recht eine Haftung aus Vertrag und eine aus Delikt bzw. tort.1 Sowohl das deutsche als auch das englische Recht lassen Ansprüche beider Ordnungen miteinander konkurrieren.2 Daher webt der Kauf eines mangelhaften Produkts ein Netz unterschiedlicher Ansprüche,3 deren Schnittmenge von Rechtsordnung zu Rechtsordnung variiert. Je enger der Kreis der deliktisch geschützten Interessen ist, desto weniger Vertragsverletzungen werden tatbestandlich erfasst.4 Umgekehrt mag ein weites Deliktsrecht eine Rechtsordnung von der Notwendigkeit der Anerkennung und Ausdehnung vertraglicher Schutzpflichten entbinden.5 In Konstellationen, in denen sich beide Haftungsordnungen überschneiden, stellt sich die Frage, welchem Haftungsregime der Vorrang gebührt.6 Eine dieser Konstellationen ist die Haftung wegen Mängeln einer gekauften Sache. In Deutschland wie in England verschieben Gerichte hier die überkommenen Grenzen beider Haftungsregime: Mal offen, mal versteckt werden Haftungsgrenzen erweitert und wieder beschränkt.7 Im Folgenden wird zunächst die Rechtsentwicklung in diesem Bereich in England nachvollzogen (B.) und mit dem deutschen Recht verglichen (C.). Im Anschluss soll auf das Zusammenspiel von deliktischer und vertraglicher Haftung eingegangen werden (D.).

B. Rechtsentwicklung in England

Das englische Haftungsrecht kennt kein abstraktes der Haftung zugrundeliegendes Prinzip. Es handelt sich nicht um ein law of delict, sondern um ein law of torts.8 Jeder tort ist ein eigener spezifischen Regeln unterworfener Haftungsgrund für die Verletzung eines bestimmten Interesses.9 Fällt eine Schädigung nicht in die Grenzen eines bestimmten torts, kann kein Ersatz verlangt werden. Doch war das englische Haftungsrecht in seiner Geschichte stets bereit, die Anwendungsbereiche der einzelnen torts zu variieren.10 Einer der flexibelsten Tatbestände im englischen Haftungsrecht ist der tort of negligence. Ursprünglich nur ein Modus der Begehung eines anderen torts,11 emanzipierte und wandelte er sich zu einem eigenen einheitlichen tort, dem tort fahrlässigen Verhaltens.12

Zentrales Element einer Haftung aus negligence ist das Bestehen einer Sorgfaltspflicht (duty of care), deren Verletzung (breach) zu einem kausalen Schaden (damage and causality) geführt haben muss.13 Eine solche Pflicht bestand ursprünglich nur innerhalb bestimmter Fallgruppen.14 Doch in der Entscheidung Donoghue v Stevenson15 – ein Fall der Produkthaftung – gelang es Lord Atkins, ein allgemeines Kriterium zu definieren:16

„You must take reasonable care to avoid acts or omissions which you can reasonably foresee would be likely to injure your neighbour. Who, then, in law is my neighbour? (…) persons who are so closely and directly affected by my act that I ought reasonably to have them in contemplation as being so affected when I am directing my mind to the acts or omissions which are called in question.“17

Eine duty of care besteht also nun gegenüber jedem, dessen Schädigung durch das eigene Verhalten vernünftigerweise vorhersehbar ist.

I. Haftung für Sach- und Personenschäden und der Folgeschäden

Vor Donoghue v Stevenson haftete dem Käufer lediglich der Verkäufer vertraglich für Sach- und Personenschäden, die durch eine mangelhafte Sache verursacht wurden.18 Seitdem jedoch nicht mehr auf den Vertrag, sondern auf die Vorhersehbarkeit des Schadens abgestellt wurde, konnte der Kreis der haftenden Personen nach und nach ausgeweitet werden.19 Er umfasst nunmehr die gesamte Vertriebskette.20 Der Kreis der geschützten Personen umfasst neben dem Endabnehmer alle Personen, die mit der Sache in Berührung kommen,21 sei es zufällig22 oder absichtlich23.


* Der Autor is Student an der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Smith, University of British Columbia L.R. (1985), S. 95, 95; Zimmermann, The Law of Obligations, 1996, S. 903.

2 v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Band I, 1996, Rn. 415; Rogers, Winfield&Jolowitz on Tort18, 2010, Rn. 1-5, 1-8; Zimmermann (Fn. 1), S. 905 f.; Henderson v Merret [1995] 2 AC 145 (HL) 194.

3 Rogers (Fn. 2), Rn. 1-5.

4 v. Bar (Fn. 2), Rn. 418.

5 v. Bar (Fn. 2), Rn. 418; Zimmermann (Fn. 1), S. 11 ff.

6 v. Bar (Fn. 2), Rn. 413; Rogers (Fn. 3), Rn. 1-8.

7 Jaffey, Legal Studies (1985), S. 77, 77; Markesinis/Deakin, MLR (1992), S. 619, 619 ff.; Hutchinson/Zimmermann, ZVglRWiss 94 (1995), S.42, 65 f.

8 Hutchinson/Zimmermann, ZVglRWiss 94 (1995), S. 42, 42; Wagner, in: Zimmermann (Hrsg.), Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, 2003, S. 189, 199; Zimmermann (Fn. 1), S. 907.

9 Kötz/Wagner, Deliktsrecht12, 2013, Rn. 19; Rogers (Fn. 2), Rn. 2-1, 2-3; Zimmermann (Fn. 1), S. 907.

10 Rogers (Fn. 2), Rn. 2-3; Zimmermann (Fn. 1), S. 908.

11 Zimmermann (Fn. 1), S. 910.

12 Letang v Cooper [1965] QB 232 (HL) 239; Kötz/Wagner (Fn. 9), Rn. 20; Wagner (Fn. 8), S.189, 203 f.; Zimmermann (Fn. 1), S. 910.

13 v. Bar (Fn. 2), Rn. 278; Kötz/Wagner (Fn. 9), Rn. 20; Percy/Walton, Charlesworth&Percy on Negligence9, 1997, Rn. 1-25; Zimmermann (Fn. 1), S. 911.

14 Hutchinson/Zimmermann, ZVglRWiss 94 (1995), S. 42, 44.

15 [1932] AC 562 (HL).

16 Hutchinson/Zimmermann, ZVglRWiss 94 (1995), S. 42, 44.

17 Donoghue v Stevenson [1932] AC 562 (HL) 580.

18 Winterbottom v Wright [1842] 152 Eng Rep 402; Smith, UBC L.R. (1985), S. 95, 95 f.

19 Percy/Walton (Fn. 13), Rn. 14-49; Rogers (Fn. 2), Rn. 10-2.

20 Percy/Walton (Fn. 13), Rn. 14-85; Rogers (Fn. 2), Rn. 10-4.

21 Percy/Walton (Fn. 13), Rn. 14-56.

22 Brown v Cotterill [1934] 51 TLR 21 (KB); Stennett v Hancock [1939] 2 All ER 578; Power v The Bedford Motor Co Ltd [1959] IR 391.

23 Barnett v H&J Packer & Co Ltd [1940] 3 All ER 575.

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II. Haftung für reine Vermögensschäden

Nicht immer beschädigt eine mangelhafte Sache jedoch absolute Rechtsgüter des Käufers. Mitunter ist der einzige Schaden, dass die Kaufsache nicht den vertraglich zugesicherten Erwartungen entspricht. Diesem Schaden geht keine Verletzung des Eigentums oder der Person des Geschädigten voran. Der Käufer erwirbt die Kaufsache bereits als mangelhafte. Sein Schaden ist reiner Vermögensschaden. Obwohl nirgends eindeutig niedergelegt, waren solche Schäden nach allgemeiner Ansicht außerhalb des Vertragsrechts nicht ersatzfähig.24

1. Der Weg zur Haftung für reine Vermögensschäden

Dieses Verständnis wurde durch die Entscheidung des House of Lords in Hedley Byrne & Co Ltd v Heller & Partner Ltd25 grundlegend erschüttert. Das Gericht hielt den reinen Vermögensschaden, den die Klägerin dadurch erlitt, dass sie sich auf eine fahrlässige Falschangabe einer Bank verlassen hatte, für ersatzfähig, obwohl keine vertragliche Beziehung zwischen ihnen bestand. Es brauche keinen Vertrag; ausreichend sei eine besondere Nähebeziehung (special relationship) zwischen Schädiger und Geschädigtem.26 Diese bestehe jedenfalls dann, wenn eine mit besonderen Fähigkeiten ausgestattete Partei einer anderen einen professionellen Rat erteile, sofern sie vernünftigerweise davon ausgehen müsse, dass die andere Partei auf ihren Rat vertraut.27

Schnell entwickelten sich – zunächst erfolglose28 – Tendenzen diesen Haftungsumfang auch auf fahrlässiges Verhalten auszudehnen. Anfang der 1970er Jahre wurde mit den Entscheidungen Dutton v Bognor Regis District Council29 und Anns v Merton London Borough Council30 gerade im Bereich der Haftung wegen einer mangelhaften Kaufsache der Widerstand schließlich gebrochen. Beide Entscheidungen betrafen nahezu identische Sachverhalte: Verklagt wurde eine Gemeinde, die ihre bauaufsichtsrechtlichen Pflichten bezüglich neu gebauter Wohnhäuser vernachlässigt hatte. Errichtet und verkauft wurden diese Häuser von privaten Baugesellschaften. Nach deren Erwerb traten infolge mangelhafter Fundamente – Mängel, die bei sorgfältiger Bauaufsicht hätten vermieden werden können – Schäden an der Bausubstanz auf. Da die Käufer aus unterschiedlichen Gründen keinen Ersatz von ihren Vertragspartnern oder Versicherungen erlangen konnten, wandten sie sich mit ihren Schadensersatzbegehren an die Gemeinde.

Zwar äußerte sich der Schaden in körperlicher Form, doch war diese nur Folge des eigentlichen Grundes, der ursprünglichen Mangelhaftigkeit des Gebäudes.31 Der Schaden beruhte darauf, dass das Haus nicht den Erwartungen der Käuferin entsprach. Er war somit reiner Vermögensschaden.32 Dies stellte die Gerichte vor zwei Probleme: Nach dem Hedley Byrne-Prinzip war ein solcher reiner Vermögensschaden zwar grundsätzlich ersatzfähig, doch fehlte das eine duty of care begründende Vertrauen. Nach dem Donoghue v Stevenson-Prinzip bestand zwar eine duty of care, allerdings nur in Bezug auf Sach-und Personenschäden.33

Um den Schaden dennoch ersetzen zu können, verzichteten die Gerichte auf das Erfordernis des Vertrauens.34 Der Sache nach wandten die Gerichte das Donoghue v Stevenson-Prinzip mit den Rechtsfolgen des Hedley Byrne-Prinzips an. In Anns v Merton London Borough Council fasste das House of Lords diese Entwicklung zusammen:

„[T]he position has now been reached that in order to establish that a duty of care arises in a particular situation, it is not necessary to bring the facts of that situation within those of previous situations in which a duty of care has been held to exist. Rather the question has to be approached in two stages. First one has to ask whether, as between the alleged wrongdoer and the person who has suffered damage there is a sufficient relationship of proximity or neighbourhood such that, in the reasonable contemplation of the former, carelessness on his part may be likely to cause damage to the latter?in which case a prima facie duty of care arises. Secondly, if the first question is answered affirmatively, it is necessary to consider whether there are any considerations which ought to negative, or to reduce or limit the scope of the duty or the class of person to whom it is owed or the damages to which a breach of it may give rise (…).“35

Für eine einen Haftungsumfang wie nach Hedley Byrne begründende Nähebeziehung genügte nun wie nach Donoghue v Stevenson reine Vorhersehbarkeit. War die Vorhersehbarkeit einmal festgestellt, musste die Vermutung einer duty of care nur hinter public policy Erwägungen zurückstehen.36 Prinzipiell waren somit nun auch reine Vermögensschäden stets ersatzfähig.37

Die Entscheidungen betrafen zwar grundsätzlich nur die Haftung der Gemeinde, doch die Gerichte machten deutlich, dass diese Haftung jeden treffe, der für den Schaden verantwortlich ist, einschließlich des Bauunternehmers.38 Somit schufen Dutton und Anns nicht nur eine umfassende gemeindliche Haftung, sondern gleichzeitig ein Einfallstor des law of torts in den Kernbereich des Vertragsrechts.39


24 v. Bar (Fn. 2), Rn. 283; Hutchinson/Zimmermann, ZVglRWiss 94 (1995), S. 42, 51; Rogers (Fn. 2), Rn. 10-10.

25 [1964] AC 465 (HL).

26 Hutchinson/Zimmermann, ZVglRWiss 94 (1995), S. 42, 55.

27 Hedley Byrne & Co Ltd v Heller & Partner Ltd [1964] AC 465 (HL) 502-504.

28 Weller & Co v Foot and Mouth Disease Research Institute [1966] 1 QB 569 (QB); Electrochrome Ltd v Welsh Plastics Ltd [1968] 2 All ER 205 (QB); SCM (United Kingdom) Ltd v WJ Whittall & Son Ltd [1971] 1 QB 337 (CA); Spartan Steel & Alloys Ltd v Martin & Co (Contractors) Ltd [1973] 1 QB 27 (CA).

29 [1972] 1 QB 373 (CA).

30 [1978] AC 728 (HL).

31 Hutchinson/Zimmermann, ZVglRWiss 94 (1995), S. 42, 65.

32 Hutchinson/Zimmermann, ZVglRWiss 94 (1995), S. 42, 63.

33 Hutchinson/Zimmermann, ZVglRWiss 94 (1995), S. 42, 63.

34 Dutton v Bognor Regis District Council [1972] 1 QB 373 (CA) 395; Anns v Merton London Borough Council [1978] AC 728 (HL) 730.

35 Anns v Merton London Borough Council [1978] AC 728 (HL) 730 (per Lord Wilberforce).

36 Anns v Merton London Borough Council [1978] AC 728 (HL) 730 (per Lord Wilberforce); Hutchinson/Zimmermann, ZVglRWiss 94 (1995), S. 42, 47, 61.

37 Dutton v Bognor Regis District Council [1972] 1 QB 373 (CA) 396; Anns v Merton London Borough Council [1978] AC 728 (HL) 731 ff.; Hutchinson/Zimmermann, ZVglRWiss 94 (1995), S. 42, 65; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 2003, S. 526.

38 Dutton v Bognor Regis District Council [1972] 1 QB 373 (CA) 397 f.

39 Hutchinson/Zimmermann, ZVglRWiss 94 (1995), S. 42, 63 f.

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2. Die Hochphase der Haftung für reine Vermögensschäden

Es liegt auf der Hand, dass eine Haftungsvoraussetzung, die von der Vorhersehbarkeit eines Schadens ausgeht und den Kreis der Anspruchsinhaber nur durch policy Erwägungen zu begrenzen sucht, die Gefahr birgt, die Zahl der akzeptierten Sorgfaltspflichten stark zu erhöhen.40 Tatsächlich begannen die Gerichte im Anschluss an Anns v Merton London Borough Council immer häufiger reine Vermögensschäden zu ersetzen.41 Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung in der Entscheidung Junior Books Ltd v Veitchi Co Ltd42 .43 Das House of Lords gestand dem Auftraggeber eines Fabrikbaus einen Schadensersatzanspruch wegen des Mangelunwerts der Werkleistung gegen einen Subunternehmer des Auftragnehmers zu. Das Gericht war überzeugt, dass es für eine Nähebeziehung bereits ausreichte, dass der Architekt des Auftraggebers die Subunternehmer ausgesucht hatte.44

3. Der Abschied von der Haftung für reine Vermögensschäden

Als sei man sich erst durch Junior Books Ltd v Veitchi Co Ltd der Konsequenzen der Entscheidung Anns v Merton London Borough Council bewusst geworden, versuchte das House of Lords die Reichweite der deliktischen Haftung für reine Vermögensschäden zurückzudrängen und Vertrag und Delikt wieder klarer voneinander abzugrenzen.45 Zuerst wurde die Entscheidung Junior Books Ltd v Veitchi Co Ltd zu einem Unterfall der Haftung aus besonderer Beziehung nach Hedley Byrne v Heller reduziert;46 danach das alte Dogma bekräftigt, dass für reine Vermögensschäden wegen Sachmängeln grundsätzlich nur aus Vertrag gehaftet wird.47 Obiter wurde allerdings der Versuch unternommen, der alten Rechtsprechung ihre Schärfe zu nehmen:48 In einer complex structure sei es möglich, dass nur einzelne Bestandteile mangelhaft seien, die die übrigen – noch mangelfreien – Bestandteile beschädigten. Letztlich handelte es sich dann doch um einen Sachschaden und nicht um einen reinen Vermögensschaden.49 In den Worten von Lord Bridge in D & F Estates Ltd v Church Commissioners for England:

„[I]t may well be arguable that in the case of complex structures (…) one element of the structure should be regarded (…) as distinct from another element, so that damage to one part of the structure caused by a hidden defect in another part may qualify to be treated as damage to other property“50

Die Rechtssache Murphy v Brentwood District Council51 ermöglichte es dem House of Lords schließlich, der deliktischen Haftung für Sachmängel endgültig ihre Grundlage zu entziehen.52 Wieder führten vom Bauunternehmer fehlerhaft geplante und gelegte Fundamente zu Schäden an der Bausubstanz, wieder hätte die Gemeinde bei Besichtigung der Pläne einschreiten müssen und wieder wurde die Gemeinde auf Schadensersatz verklagt. Der Schaden bestand allein darin, dass das Gebäude nicht den vertraglich gesicherten Erwartungen des Käufers entsprach.53 Nach Ansicht des Gerichts war der Schaden also reiner Vermögensschaden.54 Die complex structure theory wurde als künstlich zurückgewiesen.55 Das Gericht verneinte daraufhin eine deliktische Haftung der Gemeinde56 und des Verkäufers: Sowohl die vertragliche Risikoallokation als auch die speziellen Regeln für Ansprüche nach dem Defective Premises Act 197257 würden unterlaufen, wenn man neben ihnen noch eine deliktische Haftung zulasse.58

III. Zusammenfassung

Der Versuch des englischen Rechts ein belastbares Prinzip für den Ersatz reiner Vermögensschäden zu finden, fand mit Murphy v Brentwood District Council sein vorläufiges Ende.59 Wie zuvor konnte danach grundsätzlich nur Ersatz für Sach- und Personenschäden verlangt werden.60 Seitdem zerfällt das englische Haftungsrechts wieder in zwei Teile: einen deduktiven Ansatz beim Ersatz von Sach- und Personenschäden und einen induktiven, auf Fallgruppen konzentrierten Ansatz bezüglich des Ersatzes reiner Vermögensschäden.61

C. Rechtslage in Deutschland

Auch im deutschen Recht werden reine Vermögensschäden gegenüber Schäden an absoluten Rechtsgütern benachteiligt:62 Von den drei allgemeinen Deliktstatbeständen des deutschen Rechts, § 823 Abs. 1, § 823 Abs. 2 und § 826 BGB, eröffnen nur die letzten beiden einen Anspruch auf den Ersatz reiner Vermögensschäden. Diese unterliegen aber den zusätzlichen Voraussetzungen eines Verstoßes gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB) bzw. gegen die guten Sitten (§ 826 BGB). Doch wie auch im englischen Recht haben die Gerichte diese Diskriminierung überwunden und Ausgleich geschaffen, wenn sie es für notwendig erachtet haben.


40 v. Bar, RabelsZ 58 (1992), S. 410, 417.

41 v. Bar, RabelsZ 58 (1992), S. 410, 418 f.; Hutchinson/Zimmermann,

ZVglRWiss 94 (1995), S. 42, 65 f.

42 [1983] 1 AC 520 (HL).

43 v. Bar, RabelsZ 58 (1992), S. 410 (422); Hutchinson/Zimmermann,

ZVglRWiss 94 (1995), S. 42, 67.

44 Junior Books Ltd v Veitchi Co Ltd [1983] 1 AC 520 (HL) 533.

45 Hutchinson/Zimmermann, ZVglRWiss 94 (1995), S. 42, 68 f.

46 Muirhead v Industrial Tank Specialities Ltd [1986] QB 507 (CA) 528; D & F Estates Ltd v Church Commissioners for England [1989] 1 AC 177 (CA); Murphy v Brentwood District Council [1991] 1 AC 398 (HL) 466, 481.

47 Pirelli General Cable Works Ltd v Oscar Faber & Partners (A Firm) [1983] 2 AC 1 (HL); D & F Estates Ltd v Church Commissioners for England [1989] 1 AC 177 (HL) 194.

48 v. Bar, RabelsZ 56 (1992), S. 410 (439).

49 D & F Estates Ltd v Church Commissioners for England [1989] 1 AC 177 (HL) 204, 214.

50 D & F Estates Ltd v Church Commissioners for England [1989] 1 AC 177 (HL) 206 f. (per Lord Bridge).

51 [1991] 1 AC 398 (HL).

52 Das Gericht berief sich dabei auf das Practice Statement von 1966 (3 All ER 77), das festhielt, dass das House of Lords von eigenen Entscheidungen abweichen durfte.

53 Murphy v Brentwood District Council [1991] 1 AC 398 (HL) 408.

54 Murphy v Brentwood District Council [1991] 1 AC 398 (HL) 466.

55 Murphy v Brentwood District Council [1991] 1 AC 398 (HL) 478, 484.

56 Murphy v Brentwood District Council [1991] 1 AC 398 (HL) 406;

Rogers (Fn. 2), Rn. 7-4, 7-13.

57 Rogers (Fn. 2), Rn. 5-16.

58 Murphy v Brentwood District Council [1991] 1 AC 398 (HL) 469, 480.

59 Hutchinson/Zimmermann, ZVglRWiss 94 (1995), S. 42, 76;

Weir, Cambridge L.J. 1991, S. 24, 24.

60 Murphy v Brentwood District Council [1991] 1 AC 398 (HL) 468.

61 Hutchinson/Zimmermann, ZVglRWiss 94 (1995), S. 42, 51, 73 ff..

62 Kötz/Wagner (Fn. 9), Rn. 96 f.

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I. Haftung für Sach- und Personenschäden und der Folgevermögensschäden

Wie nach englischem Recht haftet der Verkäufer dem Käufer deliktisch für Sach- und Personenschäden. Sind diese Rechtsgüter verletzt, so sind nicht nur die Substanzschäden, sondern sämtliche Folgeschäden zu ersetzen. Die deliktische Haftung derjenigen, die in der Lieferkette vor dem Endabnehmer stehen, hatte das englische Recht bereits vorgezeichnet.63 Diesem Weg ist der BGH 1968 in seinem Hühnerpest-Urteil64 gefolgt. Er gestand der Klägerin, der Betreiberin einer Hühnerfarm, einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB gegen den Hersteller eines Impfmittels zu, das in der Hühnerfarm der Klägerin einen Ausbruch der Hühnerpest verursacht hatte.

II. Haftung für reine Vermögensschäden

Wie im englischen Recht ist das Vermögen als solches deliktisch nicht geschützt. Grundsätzlich steht dem Käufer bezüglich des Mangelunwerts der gekauften Sache also kein Deliktsschutz zu. Dennoch wird ihm von den Gerichten unter bestimmten Umständen Deliktsschutz gewährt. Wegen des numerus clausus der geschützten Rechtsgüter in § 823 Abs. 1 BGB konnte kein neues Schutzgut „Vermögen“ eingeführt werden. Es stellte sich daher die Frage, unter welchen Umständen ein Schaden, der der Sache selbst anhaftet, als eine Verletzung eines geschützten Rechtsguts qualifiziert werden kann. Wie für das House of Lords65 kam für den BGH vor allem eine Eigentumsverletzung in Betracht.66

Die heutige deutsche Praxis geht auf das Schwimmerschalter-Urteil67 des BGH aus dem Jahr 1976 zurück.68 In dem zugrundeliegenden Fall war eine Reinigungsanlage zerstört worden, weil ein von Beginn an mangelhafter Schwimmerschalter nicht funktionierte. Der BGH hielt eine Verletzung des Eigentums an der Anlage selbst für gegeben. Begründet wurde die Eigentumsverletzung damit, dass der ursprüngliche Mangel auf ein „funktionell abgrenzbares“ Einzelteil beschränkt war und sich dann auf das im übrigen mangelfreie Eigentum des Käufers ausdehnt, also „weitergefressen“ habe.69 Die in Murphy v Brentwood District Council als „künstlich“70 zurückgewiesene complex structure theory hatte sich somit in Deutschland in Form der „Weiterfresserschäden“ etabliert.71 Doch wie schon das House of Lords in Murphy v Brentwood District Council sorgte sich der BGH um das Alleinstellungsmerkmal der vertraglichen Haftung: dass nur in deren Rahmen Ersatz für enttäuschte Vertragserwartungen verlangt werden kann. Anders als das House of Lords bewegte diese Sorge den BGH jedoch nicht dazu, von dieser Fallgruppe Abstand zu nehmen. Stattdessen formulierte er im Gaszug-Urteil72 das Haftungskriterium neu:73 Für eine Eigentumsverletzung komme es nicht mehr auf eine funktionelle Abgrenzbarkeit des Bestandteils von der Restsache an, sondern auf die normative Unterscheidung zwischen äquivalenz- und Integritätsinteresse.74 Betrifft der Schaden das vertragliche äquivalenzinteresse, ist der Schaden also „stoffgleich“ in der Sprache des BGH, ist eine Eigentumsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ausgeschlossen und der Käufer auf das Vertragsrecht verwiesen.75 „Stoffgleichheit“ besteht dann, wenn die Beseitigung oder zumindest die Entdeckung des Fehlers technisch unmöglich oder völlig unwirtschaftlich ist, sodass die Kaufsache von Anfang an völlig wertlos war.76

III. Zusammenfassung

Murphy v Brentwood District Council wäre vor einem deutschen Gericht nicht anders entschieden worden. Jedoch aus anderen Gründen: Was unter englischem Recht ein Fall allgemeinen Deliktsrechts war, wäre unter deutschem Recht ein Fall der Staatshaftung.

Auch unter dem Aspekt der Haftung des Verkäufers ähneln sich die in Deutschland und England erzielten Ergebnisse stark. Deliktische Sorgfaltspflichten sind grundsätzlich auf den Schutz von Körper und Eigentum beschränkt.77 Steht allerdings eine Verletzung dieser Schutzgüter in Rede, muss die Haftung nicht weiter legitimiert werden, sondern wird nur durch das großzügige Donoghue v Stevenson-Prinzip begrenzt.78 Ebenso bedarf die Haftung für die in § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter keines erhöhten Begründungsaufwands: Die Rechtswidrigkeit – so sagt man – wird indiziert.79 Reine Vermögensschäden sind grundsätzlich auf das Vertragsrecht verwiesen. Im deutschen Recht hat sich jedoch die Ausnahme der „Weiterfresserschäden“, dem deutschen äquivalent der complex structure theory, etabliert.

D. Das Verhältnis der Haftung aus Delikt und Vertrag

Für den Einzelnen ist diese Differenzierung zwischen Sach- und Personenschaden, Folgeschäden und reinen Vermögensschäden indes ohne Bedeutung. Für ihn ist jeder Schaden, gleich ob Sach-, Personen- oder Vermögensschaden, ein Verlust80 Hier bedeutete die Jedermannhaftung des Deliktsrechts eine immense Verbesserung der Rechtsstellung des Einzelnen.81 Somit mag es zwar sein, dass


63 Kötz/Wagner (Fn. 9), Rn. 609.

64 BGHZ 51, 91, 91.

65 D & F Estates Ltd v Church Commissioners for England [1989] 1 AC 177 (HL) 206 f., 212, 214.

66 Kötz/Wagner (Fn. 9), Rn. 150.

67 BGH, NJW 1977, 379, 380.

68 v. Bar (Fn. 2), Rn. 442.

69 Kötz/Wagner (Fn. 9), Rn. 151; Wagner, in: MüKoBGB, Band 56, 2013, § 823 Rn. 189.

70 Murphy v Brentwood District Council [1991] 1 AC 398 (478, 484).

71 v. Bar, RabelsZ, 56 (1992), S. 410, 439, 442; Cane, RabelsZ 58 (1994) S. 430, 433; Hutchinson/Zimmermann, ZVglRWiss 94 (1995), S. 42 (72).

72 BGH, NJW 1983, 810, 811.

73 Kötz/Wagner (Fn. 9), Rn. 151; Wagner, in: MüKoBGB (Fn. 69), § 823 Rn. 191.

74 Kötz/Wagner (Fn. 9), Rn. 151; Wagner, in: MüKoBGB (Fn. 69), § 823 Rn. 191.

75 Kötz/Wagner (Fn. 9), Rn. 151; Wagner, in: MüKoBGB (Fn. 69), § 823 Rn. 191.

76 Kötz, RabelsZ 58 (1994), S. 423, 425; Wagner, in: MüKoBGB (Fn. 69), § 823 Rn. 191.

77 Wagner (Fn. 8), S. 189, 223.

78 Wagner (Fn. 8), S. 189, 223.

79 statt vieler Spindler, in: Bamberger/Roth, Stand 01.11.2013. § 823 Rn. 10.

80 Dari Mattiacci, van Boom et al. (Hrsg.), Pure Economic Loss, Tort and Insurance Law Vol. 9, 2004, S. 167, 169.

81 Cane, RabelsZ 58 (1994), S. 430, 432 f.

Koops, Mangelhaftung (BLJ 2015, 2)68

Murphy v Brentwood District Council von einem deutschen Gericht nicht anders entschieden worden wäre. Doch stellt sich die Frage, ob Murphy so auch richtig entschieden worden ist und wäre.

I. Zuweisungsgehalt von Rechten

Dabei ist es hilfreich, die Frage nach der Haftung nicht auf die Frage zu reduzieren, ob die Haftung für reine Vermögensschäden nun originär vertraglich ist, oder ob tatsächlich in einer complex structure eine Eigentumsverletzung an einem abgrenzbaren Teil vorliegen kann. Stattdessen sollte die wirtschaftliche Bedeutung der jeweiligen Haftungsregime in den Vordergrund gestellt werden. Beide Haftungsregime schützen subjektive Rechte. Subjektive Rechte stellen die Verbindung zwischen zwei Anknüpfungspunkten her: zwischen Berechtigten aus dem Recht (Zuordnungsgehalt des Rechts) und dem Vermögensgegenstand, an dem das Recht besteht (Zuweisungsgehalt des Rechts). Subjektive Rechte grenzen also einen bestimmten Rechtsraum ab und weisen ihn ihrem Inhaber zur alleinigen Bewirtschaftung zu.82

1. Absolute Rechtsgüter

Nicht alle Rechte wirken jedoch gegenüber der Allgemeinheit. Nur absolute Rechte schaffen diesen persönlichen Schutzraum mit Wirkung erga omnes.83 Der Gesetzgeber hat beispielsweise dem Eigentümer einer Sacher die alleinige Nutzungsbefugnis zugedacht. Nur ihm gebührt es, mit diesem Gut zu wirtschaften. Aus diesem Grund ist nach § 816 Abs. 1 BGB nicht nur die Herausgabe des Gegenwerts der Befreiung von einer Verbindlichkeit, sondern die erhaltene Gegenleistung geschuldet.84 Und aus diesem Grund zieht ein rechtswidriger schuldhafter Eingriff in diesen Bereich eine umfassende Haftung nach sich, die im Rahmen der Schadensberechnung (Haftungsausfüllung) keine Unterscheidung zwischen den betroffenen Interessen mehr trifft. Der Eingreifende ist in einen Wirtschaftsraum eingedrungen, der ihm nicht zusteht.85

2. Vermögen

Als Rechtsposition ist das Vermögen zwar ebenfalls einer Person zugeordnet. Dieser Person zur ausschließlichen Disposition zugewiesen ist es allerdings nicht. Es ist vielmehr Grundlage einer ökonomisch liberalen Gesellschaft, dass alle Marktteilnehmer darum konkurrieren können, sich gerade dieses Vermögen zu eigen zu machen.86 Die Verantwortung für dieses Vermögen trägt also grundsätzlich jeder Marktteilnehmer selbst.87 Wie dieser andere nicht an seinem persönlichen Gewinn beteiligen muss, müssen jene sich nicht an seinem persönlichen Verlust zu beteiligen.88 Hier eine duty of care oder eine drittbezogene Amtspflicht anzunehmen, hieße den Staat zur Versicherungsgesellschaft zu machen.89 Der Einzelne muss sich vertraglich absichern oder die Kosten tragen.90

3. Die Rolle des Vertrags

In diesem freien Spiel der Kräfte schafft der Vertrag eine neue Güterzuordnung. Ihm ist zu entnehmen, welche Gegenstände und Interessen inter partes bereits dem Gegenüber zugewiesen und damit vom Vertragspartner zu schützen sind.91 Dies erklärt, warum im Rahmen des § 285 BGB das für den Vertragsgegenstand Erhaltene und nicht nur der Wert, der der Befreiung von der Leistungspflicht nach § 275 BGB entspricht, als stellvertretendes commodum geschuldet wird.92 Nicht zuletzt greift derselbe Gedanke bei der Haftung im Rahmen eines Rückgewährschuldverhältnisses. Hier haftet der Rückgewährschuldner nach § 346 BGB dem Rückgewährgläubiger nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB, wenn er in Kenntnis seiner Rückgewährpflicht die Rückgabe der Sache schuldhaft vereitelt.93 Zwar ist der Rückgewährschuldner noch Eigentümer der zurückzugebenden Sache, doch inter partes ist sie bereits dem Gegenüber zugewiesen.94 Inter partes nimmt der Vertrag also diejenige Stellung ein, die erga omnes die absoluten Rechtsgüter einnehmen.

Wenn der Vertrag eine Sache inter partes als Schutzgut individualisiert, könnte inter partes also ebenso ein Schutz durch das Deliktsrecht geboten sein. Der deliktische Integritätsschutz bezöge sich dann auf die Integrität der versprochenen Sache. Die Besonderheit des Vertrages ist aber, dass die Parteien Art und Umfang der Zuweisung selbst bestimmen. Ebenso wie die Parteien eine Haftung für die Kaufsache vereinbaren können, können sie Haftungsansprüche wegen der Verletzung absoluter Rechtsgüter ausschließen. Sie sind frei in ihrer Gestaltung. Dabei ist das Nicht-Vereinbaren ist ebenso wichtig wie das Vereinbaren eines Schadensersatzanspruchs.

4. Zusammenfassung

Sowohl bei der Haftung aus Delikt als auch bei der Haftung aus Vertrag ist also ein Eingriff in Rechtsgüter, die einem anderen zugewiesen sind, der Grund der Haftung.

II. Auswirkungen auf die Haftung wegen Mängeln der gekauften Sache

Natürlich verliert der Käufer, wenn er eine Vertragsbeziehung eingeht, nicht den Schutz seiner erworbenen Rechte.95 Die erga-omnes-Zuweisung durch die absoluten Rechtsgüter bleibt bestehen. Dementsprechend haftet auch der Vertragspartner für Verletzungen der Person oder des Eigentums. Liegt daher der BGH richtig, wenn er fragt, ob durch einen weiterfressenden Schaden Eigentum verletzt wurde?


82 Jansen (Fn. 37), S. 476.

83 Jansen (Fn. 37), S. 477 ff.

84 Wendehorst, in: Bamberger/Roth, Stand: 01.02.2015, § 816 Rn. 16. A.A. Schwab, in: MüKoBGB (Fn. 69), § 816 Rn. 42 f.

85 Jansen (Fn. 37), S. 479 ff..

86 Jansen (Fn. 37), S. 527.

87 Jansen (Fn. 37), S. 527.

88 Jansen (Fn. 37), S. 527.

89 Henderson v Merrett Syndicates Ltd (No.1) [1995] 2 AC 145 (HL) 161.

90 Kötz, RabelsZ 58 (1994), S. 423 (428 f.).

91 Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 399 f.; ders., JZ 1987, S. 1041, 1044 f.

92 statt vieler Emmerich, in: MüKoBGB, Band 27, 2016, § 285 Rn. 30.

93 statt vieler H. Schmidt, in: Bamberger/Roth, Stand 01.08.2015, § 346 Rn. 58 f.

94 Picker, JZ 1987, S. 1041, 1044.

95 Wagner (Fn. 8), S. 189, 232.

Koops, Mangelhaftung (BLJ 2015, 2)69

1. Haftung des Verkäufers gegenüber dem Käufer

Die Achilles-Ferse der Doktrin der „Weiterfresserschäden“ liegt jedoch darin, dass sich die erga-omnes-Vermögenszuweisung und die inter-partes-Vermögenszuweisung hinsichtlich des Vertragsgegenstandes überlagern.96 Durch eine deliktische Haftung würde zwar eventuell die erga-omnes-Verteilung aufrechterhalten, doch haben die Parteien durch Vertrag gerade deutlich gemacht, dass diese zwischen ihnen nicht gelten solle. Eine Haftung nach einem anderen als dem in der inter-partes-Zuordnung zugrunde gelegten Haftungsregime würde diese Vermögensverteilung aus den Angeln heben. Dabei ist nicht von Bedeutung, dass dieser Anspruch deliktisch ist, sondern, dass dieser anderen Regeln folgt als das Haftungsregime, das bei der Vermögensverteilung zugrunde gelegte wurde. Somit sollte der Haftung aus Vertrag derjenigen aus Delikt Vorrang eingeräumt werden.97

2. Haftung gegenüber Dritten

Dieser Konflikt divergierender Vermögensordnungen entsteht insbesondere im Verhältnis zu Dritten. Die vertragliche Vermögensordnung besteht nur inter partes. Daher sind andere Parteien frei, dieselbe Sache zum Gegenstand ihrer vertraglichen Allokation zu machen, einer Allokation, die der Sache unter Umständen einen völlig anderen Wert beimisst. Wird eine Haftung über die Grenzen dieser Beziehung hinaus zugelassen, wird das fein austarierte System, dessen sich die Parteien im Verhältnis zueinander unterworfen haben, durchkreuzt.98

Ausgangspunkt sei folgender Fall:99 Händler A bezieht seine Maschinen von Hersteller H. A verkauft diese für 100 an B, B wiederum für 300 an C. Die Sache erweist sich als infolge eines schuldhaften Fehlverhaltens des H völlig wertlos. Daraufhin verweigert C dem B die Zahlung. Zwar kann B die Zahlung von 100 an A verweigern, doch entgeht im nichtsdestoweniger ein Gewinn in Höhe von 200. Wäre ein reiner Vermögensschaden auch über das Deliktsrecht ersatzfähig, könnte B neben seinem Vertragspartner auch den H auf diesen Betrag in Anspruch nehmen. Angenommen aber, der Markt hätte sich nach dem Verkauf durch H an A nach unten entwickelt und B hätte das Produkt nicht mehr für 300, sondern nur für 30 an C verkaufen können. Durch seinen Weiterverkauf hätte B also einen Verlust von 70 gemacht. Wäre B Vertragspartner des H könnte B diesen auf Schadensersatz in Höhe von 30 in Anspruch nehmen, was dem tatsächlich entstandenen Schaden entspricht. Im oben beschriebenen Fall steht indes A zwischen B und H. Diesem schuldet H wegen der Mangelhaftigkeit der Sache Schadensersatz in Höhe von 100. Um einen Ausgleich in Höhe des tatsächlich entstanden Schadens zu erreichen, müsste B dem H seine ersparten 70 als Vorteilsausgleich zur Verfügung stellen. Dazu besteht indes keine Möglichkeit. B wird dem A vielmehr nur die Zahlung verweigern und sich ansonsten still verhalten und niemanden wissen lassen, welch unerwarteten Gewinn er durch die schädigende Handlung erzielt hat.100

Der Schädiger müsste also für Aufwärtsentwicklungen des Marktes zahlen, während er bei Abwärtsentwicklungen nicht entlastet würde, weil er mit seinem Vertragspartner ein festes Entgelt vereinbart hatte.101 Dies führt dazu, dass der Schädiger Schadensersatz in einer Höhe zu leisten hätte, die regelmäßig über dem Erwartungswert des Schadens liegt.102 In einer Vertragsbeziehung wäre dieser Effekt eingepreist. Um diese übermaßhaftung zu vermeiden, sollte die dem Kaufpreis zwischen H und A zugrundeliegende Risikoallokation auch im Deliktsrecht respektiert und ein direkter Anspruch über die Lieferkette hinweg abgelehnt werden.103

3. Zusammenfassung

Eine deliktische Haftung für Mängel der gekauften Sache zerstört die vertragliche Vermögensallokation. Dieser normative Grund und nicht die Frage, ob eine Selbstschädigung eines Produkts eine Eigentumsverletzung darstellt, ist der eigentliche Grund, warum eine deliktische Haftung für Risiken, die durch die vertragliche Risikoallokation abgedeckt sind, nicht zugelassen werden sollte.104 Entsprechend hat auch das House of Lords in Murphy v Brentwood District Council seine Entscheidung nicht mit vertieften überlegungen zu einer Eigentumsverletzung, sondern mit der Sorge um das Vertragsrecht begründet.105

III. Fazit: Das Verhältnis der Haftungen aus Delikt und Vertrag

Der Gedanke der Vermögensallokation kann zur weiteren Klärung der Beziehung zwischen der Haftung aus Vertrag und Delikt fruchtbar gemacht werden. Der Grund, warum innerhalb einer Vertragsbeziehung gehaftet wird, ist, dass dem Käufer der Schutz auf Grund eines autonom vereinbarten oder gesetzlichen Haftungsregimes zugewiesen ist.

Wird diese Allokation unterlaufen, soll nicht gehaftet werden. Umgekehrt kann aber Haftung in solchen Fällen zugelassen werden, in der diese Allokation nicht gestört, sondern gerade verwirklicht wird.106 Der BGH fragt bei der Anwendung der Weiterfresserschaden-Doktrin zwar nach einer Eigentumsverletzung, der Sache nach erhält der Geschädigte jedoch


96 Kötz/Wagner (Fn. 9), Rn. 152.

97 v. Bar (Fn. 2), Rn. 443; Kötz/Wagner (Fn. 9), Rn. 152; Wagner (Fn. 8), S. 189, 231 f., 234.

98 v. Bar (Fn. 2), Rn. 443; Kötz/Wagner (Fn. 9), Rn. 152; Wagner (Fn. 8), S. 189, 231 f.

99 Der Fall folgt im wesentlichen Goldberg, Legal Studies (1991), S. 249, 262 f.; Kötz/Schäfer, Judex oeconomicus, 2003, S. 50; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts4, 2014, S. 337.

100 Goldberg, Legal Studies (1991), S. 249, 262 f.; Kötz/Schäfer (Fn. 99), S. 50; Schäfer/Ott, (Fn. 98), S. 337.

101 Goldberg, Legal Studies (1991), S. 249, 262 f.; Kötz/Schäfer (Fn. 99), S. 50; Schäfer/Ott (Fn. 98), S. 337.

102 Wagner (Fn. 8), S. 189, 234.

103 v. Bar (Fn. 2), Rn. 443; Kötz/Wagner (Fn. 9), Rn. 152; Wagner (Fn. 8), S. 189, 231 f., 234.

104 v. Bar (Fn. 2), Rn. 443; Kötz/Wagner (Fn. 9), Rn. 152; Wagner (Fn. 8), S. 189, 231 f., 234.

105 Murphy v Brentwood District Council [1991] 1 AC 398 (HL) 469.

106 Dies ist der Grund, warum gehaftet werden sollte, wenn – wie in den Testamentsfällen (dazu Janoschek, in: Bamberger/Roth, Stand 01.08.2015, § 328 Rn. 60; Zimmermann, FamRZ 1980, 99 ff.) – der ursprüngliche Gläubiger wegfällt oder – wie in den Auskunftsfällen (dazu Gottwald, in: MüKoBGB (Fn. 92), § 328 Rn. 215 ff.) – nur ein anderer Gläubiger neben den ursprünglichen tritt. In beiden Fällen wurde für einen haftungsrechtlichen Schutz bezahlt, nur wurde der Zahlende selbst nicht geschädigt (Wagner (Fn. 8), S. 189, 237 f.).

Koops, Mangelhaftung (BLJ 2015, 2)70

deliktischen Ersatz für eine enttäuschte Vertragserwartung.107 Er hält sich somit die Möglichkeit offen, zu fragen, ob das Deliktsrecht als Haftungsregelung in einem Fall nicht vielleicht angemessener ist, in dem sich beispielsweise ein Mangel typischerweise immer erst nach Eintritt der vertraglichen Verjährung zeigt, ein deliktsrechtlicher Anspruch allerdings noch nicht verjährt ist.108 Ebenso wie sich innerhalb einer Leistungsbeziehung die Frage stellen kann, ob der gezahlte Preis der verlangten Haftung entspricht, kann sich also umgekehrt auch die Frage stellen, ob die angebotene Haftung auch dem gezahlten Preis entspricht oder ob beispielsweise eine längere Verjährung – beispielsweise im Deliktsrecht – die vertragliche Zuweisung nicht vielleicht besser abbildet.109

Die wichtigste Differenzierung ist demnach nicht diejenige zwischen einer Haftung aus Vertrag oder aus Delikt, sondern zwischen einer Haftung innerhalb und außerhalb von Leistungsbeziehungen. Das entscheidende Haftungskriterium lautet also nicht, ob ein Vertrag, der Wille zur Haftung oder ein enger sozialer Kontakt besteht, sondern, ob die geschützte Person oder ein Dritter für die geschützte Person für einen haftungsrechtlichen Schutz bezahlt hat und ob der Haftende liefert, wofür er bezahlt wurde.110 Ist dies der Fall, führt die Rechtsordnung mit der Haftung nur den fehlenden Teil eines Geschäfts durch.111 Ob hier ein Ausgleich durch eine Haftung aus Vertrag oder aus Delikt verwirklicht wird, ist irrelevant. In dieser Hinsicht lag Lord Roskill richtig, als er in seinem Leitvotum zu Junior Books Ltd v Veitchi Co Ltd anmerkte:

„I think today the proper control lies not in asking whether the proper remedy should lie in contract or instead in delict or tort, (…) [but] in establishing the relevant principles and then deciding whether the particular case falls within or without those principles.“112


107 Cane, RabelsZ 58 (1994), S. 430, 433.

108 Cane, RabelsZ 58 (1994), S. 430, 433.

109 Cane, RabelsZ 58 (1994), S. 430, 433.

110 Kötz/Schäfer (Fn. 99), S. 115.

111 Kötz/Schäfer (Fn. 99), S. 115 f.

112 Junior Books Ltd v Veitchi Co Ltd [1983] 1 AC 520 (HL) 545.