Unfaire Ausnutzung (Art. 51) im Entwurf für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (GEKR)

von Dirk Hartung*

A. Einführung

I. Aktueller Stand des GEKR

Mit der Annahme des Kommissionsentwurfs für eine Verordnung über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht1 durch das Europäische Parlament am 26.02.2014 wurde die vorerst letzte Entwicklungsstufe auf dem langen Weg zu einem einheitlichen europäischen Zivilrecht erreicht.2 Das GEKR hat eine bewegte Geschichte hinter sich.3 Zuvor noch aufgrund von gravierenden Zweifeln vor allem im Vereinigten Königreich totgeglaubt,4 hat die überwältigende Unterstützung durch das Europäische Parlament dem Projekt neues Leben eingehaucht. Nächster und abschließender Schritt wäre nun die Verabschiedung durch den Rat der Europäischen Union, für die bisher jedoch kein Datum feststeht. In vielen Mitgliedsstaaten bestehen darüber hinaus noch erhebliche Bedenken gegen die aktuelle Fassung, sodass eine schnelle Verabschiedung der aktuellen Fassung nicht wahrscheinlich und die Zukunft unklar erscheint.5

II. Rechtsvergleichung als Methode zur Analyse von

Art. 51 GEKR

Die Vorschrift zur „Unfairen Ausnutzung“ in Art. 51 GEKR, welche im Zentrum dieses Beitrags stehen soll, hat im Konsultationsverfahren zur Feasibility Study (FS) die bei weitem größte Kontroverse aller Bestimmungen des 5. Kapitels ausgelöst.6

Es soll daher der Frage nachgegangen werden, weshalb diese Vorschrift so umstritten ist und wie ein zukunftsfähiges Verständnis aussehen könnte.

Methodisch soll dafür die Rechtsvergleichung in der Unterform der Mikrovergleichung7 dienen. Gewählt wurden das englische und das deutsche Recht, um einerseits zwei der großen innereuropäischen Rechtskreise8 und andererseits anhand der extremen Positionen die Sprengkraft der Vorschrift verständlich zu machen.

Der vorliegende Beitrag beginnt klassisch mit der Darstellung des hinter Art. 51 GEKR stehenden und von der Regelung zu lösenden gesellschaftlichen Konflikts (B.).

Die Darstellung der diesem Beitrag zugrunde liegenden Länderberichte sowie die Aufarbeitung der aus UN-Kaufrecht, GEKR-Vorstadien9 und den Principles of International Commercial Contracts (PICC) bestehenden Regelungen der sog. „Troika internationaler Modellregelungen im Vertragsrecht“10 im Rahmen einer multi-dimensionalen Vergleichung der Textstufen11 müssen ob der Kürze des Beitrags ausgespart werden. Die gewonnenen Erkenntnisse werden als geronnene Erkenntnis Art. 51 GEKR vergleichend gegenübergestellt und liegen der kritischen Betrachtung unter (C.) zugrunde. Am Ende steht eine kurzes Fazit und ein Ausblick (D.).

B. Problemstellung des Vergleichs

Um den von Art. 51 GEKR behandelten Konflikt zu erkennen, ist ein kurzer Blick auf die historischen Grundlagen des Vertragsrechts erforderlich.

Mit Aufkommen des Liberalismus im 18. Jahrhundert entstand in Europa erstmals eine Weltsicht, welche die Autonomie des Einzelnen in den Mittelpunkt stellt, und daraus im Verlauf des 19. Jahrhunderts in allen westlichen Ländern ein Vertragsrecht, dessen wesentliche Grundlage die Vertragsfreiheit war.12 Zwar ist die Vertragsfreiheit in den einzelnen Rechtsordnungen unterschiedlich ausgeprägt, sie bildet jedoch den wesentlichen, gemeinsamen Kern des europäischen Vertragsrechts.13 Die Vertragsfreiheit ermöglicht dem Individuum die selbstverantwortliche Ausgestaltung der


* Der Autor ist Student an der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, KOM(2011) 635 endgültig.

2 Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 26.02.2014,

MEMO/14/137.

3 Zur Entwicklung: Mansel, WM 2012, 1253, 1254; Limmer, DNotZ-Sonderheft 2012, 59,

4 Ministry of Justice, A Common European Sales Law for the European Union – A proposal for a Regulation from the European Commission – The Government Response, S. 33, 46 [Regierung des Vereinigten Königreichs], abrufbar unter: https://consult.justice.gov.uk/digital-communications/common-european-sales-law/results/cesl-government-response.pdf, letzter Abruf am 09.10.2014.

5 Savin/Trzaskowski, Research Handbook on EU Internet Law, 2014, S. 338.

6 Nahezu ein Viertel der Stellungnahmen beschäftigte sich mit der Vorgängervorschrift des Art. 48 FS, so Martens, AcP 211 (2011) 845, 871.

7 Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung3, 1996, S. 4, 5.

8 Der Begriff wird hier nach traditionellem Verständnis verwendet. Für die Einschränkung der Rechtskreislehre in manchen Bereichen der Rechtsvergleichung s. Kötz, ZEuP 1998, 493, 504.

9 Gemeint sind die Principles of European Contract Law, der Draft Common Frame of Reference und die sog. Feasibility Study.

10 Zimmermann, EuZW 2009, 319.

11 Für die Notwendigkeit der Textstufenanalyse aus der rechtshistorischen Forschung zur Analyse der unübersichtlich gewordenen Fülle von Modellregelungen zum Europäischen Vertragsrecht: Zimmermann, EuZW 2009, 319, 322; ebenso m.w.N. Nietner, Bucerius Law Journal (BLJ) 2011, 44.

12 Kötz, Europäisches Vertragsrecht, Bd I, 1996, S. 6-7; in diesem Zusammenhang ist auch die berühmte, die Rolle der Entwicklung der Vertragsfreiheit aus dem feudalistischen System betonende Formel des „Movement from Status to Contract“ bei Maine, Ancient Law, 1861, S. 165, 170 zu verstehen.

13 Peel, in: Treitel, The Law of Contract, 2007, 1-004; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 22 f.

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Rechtsbeziehungen zu seiner Umwelt.14 Gegenstück dieser Freiheit ist die Bindungswirkung von Vereinbarungen.15 Durch sie werden Vereinbarungen verlässlich und damit ein gesellschaftlich anerkanntes Mittel der Interaktion. Beeinflusst durch die Willenstheorie werden Vereinbarungen als bindend angesehen, da sie das Ergebnis der Ausübung des freien Willens des Individuums sind.16 Dabei ist heute anerkannt, dass unbeschränkte Freiheit nicht zu einem Gleichgewicht, sondern zu einer ungleichen Verteilung wirtschaftlicher Macht führt.17 Dadurch entstehen im Verhältnis zum jeweiligen Vereinbarungspartner starke und schwache Parteien.18

Starke Parteien sind daran interessiert, dass Verträge, welche sie mit schwachen Parteien schließen, bindend sind. Regelmäßig werden sie es verstehen, ihre Stärke zu nutzen, um einen inhaltlichen Vorteil zu erlangen. Spiegelbildlich werden schwache Parteien häufig Verträge schließen, die für sie nachteiliger sind als sie es nach ihren Vorstellungen sein sollten.

An dieser Stelle ist der hinter Art. 51 GEKR stehende Interessenkonflikt zu verorten. Ein Rechtssystem, dessen Grundlage die Steigerung des Gemeinwohls durch Wettbewerb und individuellen Nutzen ist, muss einen Ausgleich finden zwischen der Beförderung des gesamtgesellschaftlich erwünschten Gewinnstrebens starker Parteien und dem Schutz schwacher Parteien vor Ausbeutung als Ausdruck eines modernen Verständnisses von Vertragsfreiheit.19

Ein liberales Verständnis der Vertragsfreiheit zugrunde gelegt, ergibt sich dies daraus, dass die schwache Partei regelmäßig aufgrund ihrer Schwäche nicht in der Lage ist, eine freie Willensentscheidung zu treffen. Das Recht kann den geschlossenen Vereinbarungen deshalb keine Wirkung zukommen lassen.20 Nach diesem Ansatz kommt es vor allem auf Mängel im formellen Verfahren des Vereinbarungsschlusses an (Abschlusskontrolle).21

Geht man hingegen von einem paternalistischen Verständnis des Vertragsrechts aus, so gilt es zu verhindern, dass die Vertragsfreiheit zum Instrument des Starken gegen den Schwachen wird.22 Danach steht nicht mehr primär das Verfahren, sondern vor allem der Inhalt der Vereinbarung im Fokus, da sich darin ausdrückt, ob das Recht in zu missbilligender Weise gegen den Schwachen eingesetzt wurde (Inhaltskontrolle).

Im Interesse der Rechtssicherheit muss jede Rechtsordnung außerdem im Voraus erkennbar wirksame von unwirksamen Vereinbarungen abgrenzen und eine eindeutige Rechtsfolge bieten.

Eine solche Abgrenzung erfolgt anhand von drei Schritten. Erstens bedarf es einer Festlegung anerkannter Schwächen. Zweitens muss das Ausmaß objektiver Nachteile, welche die schwache Partei ertragen muss, bestimmt werden. Drittens wird man die Vereinbarung entgegen den Interessen der starken Partei nur lösen können, wenn deren Verhalten gewisse Elemente enthält, die eine Rechtfertigung für die Auflösung des Vertrags darstellen. Schließlich ist zu untersuchen, welche Rechtsfolge sinnvollerweise an eine als solche erkannte unfaire Ausnutzung zu knüpfen ist.

C. Analyse von Art. 51 GEKR

Unter diesen Aspekten soll Art. 51 GEKR nachfolgend mit den (multi-)nationalen Regelungen verglichen und kritisch bewertet werden.

I. Anerkannte Schwächen

1. Gemeinsame Kennzeichen erheblicher Schwäche

Art. 51 GEKR folgt in seinem Aufbau den früheren Modellregelungen und enthält, ähnlich § 138 Abs. 2 BGB, eine Aufzählung von anerkannten Schwächen, die eine akzeptierte Erklärung dafür darstellen, warum sich die schwache Partei bei Vertragsschluss nicht besser um ihre Interessen gekümmert hat.23 Vergleicht man dies mit dem englischen und dem deutschen Recht, ist zu erkennen, dass beide grundsätzlich Schwächen aufgrund von Vertrauensverhältnissen, Zwangslagen und dringenden Bedürfnissen, Unwissenheit und mangelnder Erfahrung für erheblich halten. Es bestehen allerdings Unterschiede hinsichtlich der Anforderungen, welche die jeweiligen Rechtsordnungen an diese gemeinsamen Merkmale stellen, was von vielen Seiten zu einer gewissen Kritik geführt hat.

Häufig wird zunächst kritisiert, dass die Unbestimmtheit der in Art. 51 GEKR verwendeten Begriffe zur Beschreibung relevanter Schwächen sehr weite Auslegungsspielräume auf Kosten der Rechtssicherheit einräumen würde.24

Der Vergleich mit dem deutschen und englischen Recht zeigt, dass diese Rechtsordnungen ebenfalls mit generalisierenden, abstrakten Formulierungen und darunter liegenden Fallgruppen arbeiten, da eine detaillierte gesetzliche Festlegung gleichzeitig weitreichende Umgehungsmöglichkeiten eröffnen würde.25 Insofern erscheint es wenig überzeugend, Art. 51 GEKR ob der inhaltlichen Weite seiner Formulierung anzugreifen.


14 Bruns, JZ 2007, 385, 386.

15 Der Terminus Vereinbarungen wird als Begriff verwendet um eine Beschreibung ungeachtet der teilweise weitreichenden Unterschiede zwischen den deutschen Begriffen „Rechtsgeschäft“ und „Vertrag“ und dem englischen „contract“ zu ermöglichen, vgl. dazu Häcker, Consequences of Impaired Consent Transfers, 2009, S. 18.

16 Ibbetson, A Historical Introduction to the Law of Obligations, 2001,

S. 220.

17 Kötz (Fn. 12), S. 15.

18 Cartwright, L.Q.R. (109) 1993, S. 531-532.

19 Für ein solches modernes Verständnis Alpa, [2010] EBLR 21, 119, 134.

20 Jansen, in: Zimmermann (Hrsg.), Störungen der Willensbildung, 2005, S. 150; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts9, 2004, § 42 Rn. 2.

21 Martens (Fn. 6), 846, 850.

22 Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889, S. 18.

23 Vgl. Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, 2002, Art. 4:109 Kommentar B.

24 So zum Beispiel: City of London Corporation, Stellungnahme, S. 2, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/justice/contract/files/publication_ 2011_en.zip, letzter Abruf am 09.10.2014.

25 Royal Bank of Scotland Plc v Etridge (No.2) [2001] UKHL 44; [2002] 2 A.C. 773, 794-795; Martens (Fn. 6), 846, 852, der sehr treffend vom „unendlichen Erfindungsreichtum böswilliger Menschen” spricht.

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Neben den einzelnen Fallgruppen fehlt es allerdings an einer Auffangregelung. Martens möchte den Erwägungsgründen zu den Vorgängervorschriften die Aussage entnehmen, dass es sich bei der Aufzählung lediglich um Regelbeispiele handelt und eine entsprechende Ergänzung vornehmen,26 was aber mit dem aktuellen Wortlaut nicht zu vereinbaren sein dürfte. Die in Art. 51 GEKR gewählte Gestaltung mit sog. „kleinen Generalklauseln“27 kann jedoch ausschließlich dann der vielfach geforderten Rechtssicherheit zuträglich sein, wenn diese als abschließende Regelungen verstanden werden.

In England ist aus der Schwierigkeit, das Konzept des Schutzes vor unfairer Ausnutzung außerhalb der undue influence28 in eine möglichst allgemeine Formel zu fassen, zum Teil der Fehlschluss29 gezogen worden, es bestünde keine generelle Doktrin des Schutzes Schwächerer vor Ausbeutung.30 Dies dürfte zu der Auffassung beigetragen haben, dass Art. 51 GEKR die Vertragsfreiheit stärker einschränke als das englische Recht, was zu großer Skepsis gegenüber Art. 51 GEKR geführt hat.31 Tatsächlich zeigt eine genauere Betrachtung, dass alle in Art. 51 GEKR festgeschriebenen Kennzeichen erheblicher Schwäche auch von der, wenngleich häufig älteren, englischen Rechtsprechung anerkannt werden. Gleichwohl können sich von ihnen betroffene Parteien vor englischen Gerichten nur selten durchsetzen. Diese weitgehende Einschränkung der Aufhebungsmöglichkeiten erfolgt allerdings vor allem durch sehr hohe Anforderungen an das inhaltliche Kriterium. Erst an diesem Punkt bestehen also tatsächliche Unterschiede in den verglichenen Rechtsordnungen, sodass die Kritik einer zu unbestimmten Formulierung auch erst dort ansetzen kann.

2. Besonderheiten hinsichtlich des Vertrauensverhältnisses

In England nimmt die Kategorie des Nähe- bzw. Vertrauensverhältnisses unter der undue influence Doktrin eine in der Praxis herausragende Position ein. Dies hat zu einer sehr feinen Ausdifferenzierung bei der Bewertung verschiedener Nähebeziehungen und sinnvollen Beweiserleichterungen geführt. Die Überlegenheit zum deutschen Recht ist klar erkennbar: Hierzulande wird zwar anerkannt, dass bestimmte Näheverhältnisse missbrauchsanfällig sind.32 Viele Konstellationen werden allerdings über die Generalklauseln der §§ 138 BGB und 242 BGB oder wie bei der Eltern-Kind-Beziehung über völlig andere Rechtsmaterien wie das Stellvertretungsrecht gelöst. Lediglich im Rahmen der Mithaftung von Nahbereichspersonen33 kennt das deutsche Recht einen mit der englischen Doktrin vergleichbaren Differenzierungsgrad. Gerade in diesem Bereich gibt es interessanterweise Bestrebungen, die Erkenntnisse aus der englischen undue influence Doktrin zu importieren.34 Der weite Fortschritt der englischen Dogmatik lädt dazu ein, die Erkenntnisse weitgehend auch auf Art. 51 GEKR zu übertragen und Umwege zu vermeiden. Soweit andere europäische Rechtsordnungen bestimmte Nähebeziehungen als unerheblich einstufen,35 ist Art. 51 GEKR punktuell für die jeweilige Kollision der Regelungen durch den EuGH im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV zu konkretisieren.36 Übernimmt man jedoch die Fülle der in England für bedenklich gehaltenen Nähebeziehungen, so muss gleichzeitig auch die Möglichkeit der Entlastung der starken Partei beispielsweise durch unabhängige Beratung der schwachen Partei bestehen.37 Die früheren Modellregelungen enthielten entsprechende Beratungspflichten zumeist in den Abschnitten zu den besonderen Vereinbarungsarten.38 Da diese Regelungen aufgrund des Entschlusses, zunächst nur ein gemeinsames Kaufrecht zu entwerfen, nicht übernommen wurden, entsteht hier eine nicht hinnehmbare Lücke.

3. Irrelevanz mangelnden Verhandlungsgeschicks und mangelnder Vorsicht

Die Streichung von mangelndem Verhandlungsgeschick und mangelnder Vorsicht erscheint vor dem Hintergrund der verglichenen Rechtsordnungen überzeugend.

Verhandlungsgeschick bestimmt mehr als jeder andere Faktor den Erfolg einer Partei im wirtschaftlichen Leben. Tatsächlich werden sich auf einem Markt nur äußerst selten Parteien begegnen, die gleichermaßen geschickt bei den Verhandlungen sind. Unterschiede im Verhandlungsgeschick sind geradezu die Grundlage der Marktwirtschaft.39

Eine Anknüpfung an mangelndes Verhandlungsgeschick wäre auch systemwidrig. Denn fehlendes Verhandlungsgeschick beschränkt gerade nicht die freie Willensbildung. Ob eine Partei erkennt, welche Konsequenzen ein Vertragsschluss hat und ob dieser zu ihrem Vorteil ist, ist völlig unabhängig von ihrem Verhandlungsgeschick. Dieses hat auch keinen Einfluss darauf, ob eine Partei eine Vereinbarung abschließen muss oder glaubt, dies zu müssen. Verhandlungsgeschick wirkt sich lediglich darauf aus, wie gut eine Partei ihre Interessen gegenüber der anderen durchsetzt. Derjenige aber, welcher mit vollem Wissen und ohne Not einen nachteiligen Vertrag freiwillig eingeht, soll gerade nicht geschützt werden.


26 Martens (Fn. 6), 846, 872-874 unter Verweis auf: Bar/Zimmermann

(Fn. 23), Art. 4:109 Kommentar B.

27 Martens (Fn. 6), 846, 852.

28 Grundgedanke dieser Doktrin ist, dass in Nähe- oder Vertrauensverhältnissen stets ein bestimmter Einfluss (influence) eines Beteiligten auf den anderen besteht und dieses die Willensentscheidung in zu missbilligender Weise beeinflussen kann, vgl. Burrows, The Law of Restitution, 2002, S. 252.

29 Tatsächlich ist eine solche Doktrin nachweisbar, ihre Anwendung wird jedoch stark beschränkt, s. Enonchong, Duress, Undue Influence and Unconscionable Dealing, 20-016.

30 So McMurtry, The Conveyancer and Property Lawyer, 2000, S. 573.

31 Eine Übersicht der Kritik findet sich bei Martens (Fn. 6), 846, 871 (dortige Fn. 85).

32 Beispielsweise enge familiäre Bindung oder Arzt-Patienten-Beziehungen, Kempermann, Unlautere Ausnutzung von Vertrauensverhältnissen im englischen, französischen und deutschen Recht, 1975, S. 118-119.

33 Bekannt sind vor allem die Angehörigenbürgschaften, vgl. allgemein Wagner, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung (ZRG RA) 123 (2006), 248-296.

34 Wagner, ZRG RA 123 (2006), 248; Blaurock, ZEuP 4/1996, 314, 322.

35 Art. 1437 Codice civile, Art. 1114 Code civil und Art. 1267 Abs. 4 Código civil stufen Verwandtschaft ausdrücklich als unerheblich ein.

36 Martens, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Ein einheitliches europäisches Kaufrecht?, 2012, S. 179, 191.

37 Zum sog. independent advice s. Bamforth, [1995] LMCLQ 538, 551 f.

38 Vgl. bspw. Art. IV – 4:103 Abs. 2 DCFR.

39 Martens (Fn. 6), 846, 872.

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Gleiches muss für den grundlos Unvorsichtigen gelten.

II. Handlung der starken Partei

Zunächst bedarf es einer Ausnutzung der Schwäche der anderen Partei. Dieses Erfordernis findet sich sowohl im deutschen als auch im englischen Recht und entspricht der Formulierung der früheren Modellregelungen. Dies deutet zunächst darauf hin, dass die starke Partei die Schwäche gekannt haben muss, da das Wort „Ausnutzung“ ein bewusstes, sogar vorwerfbares Vorgehen impliziert. Dem widerspricht jedoch die weitere Formulierung von Art. 51 lit. b., welche auch Konstellationen erfassen soll, in denen die starke Partei von der Schwäche hätte wissen müssen.40 Das kann nur überzeugend konsolidiert werden, wenn durch das Wort „Ausnutzung“ die erforderliche Kausalität zwischen Schwäche und nachteiligem Vertragsschluss zum Ausdruck gebracht werden soll.41 Ausreichend für Art. 51 GEKR ist mithin fahrlässige Unkenntnis. Dies steht in einem Kontrast zur Rechtsprechung englischer Gerichte, welche, im Unterschied zu anderen Common Law Jurisdiktionen,42 in einem Großteil der Fälle ausschließlich positive Kenntnis genügen lassen.43 Allerdings existiert höchstrichterliche Rechtsprechung, die unter bestimmten Umständen fahrlässige Unkenntnis ausreichen lässt.44 Somit wäre das Erfordernis fahrlässiger Unkenntnis durchaus mit dem englischen Recht zu vereinbaren, wenngleich es der aktuellen Rechtsprechungslinie widerspricht. In Deutschland ist im Rahmen des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts anerkannt, dass fahrlässige Unkenntnis ausreichend ist und nur für den in der Praxis fast irrelevanten Zivilrechtswucher wird tatsächliche Kenntnis gefordert.45 Insgesamt erscheint die Entscheidung zur Relevanz fahrlässiger Unkenntnis in Art. 51 GEKR daher konsequent, auch wenn der Wortlaut an dieser Stelle weniger widersprüchlich sein könnte.

III. Inhalt der Vereinbarung

1. Übermäßiger Nutzen

Art. 51 GEKR übernimmt hinsichtlich des inhaltlichen Kriteriums eines übermäßigen Nutzens die Formulierung aus den europäischen Vorgängerregelungen. Gleichzeitig kennen sowohl das deutsche als auch das englische Recht inhaltliche Unausgewogenheit als einen zentralen Faktor bei der Frage nach der Wirksamkeit einer Vereinbarung zwischen unterschiedlich starken Parteien. Alle untersuchten Regelungen haben gemeinsam, dass sie keine starre Grenze angeben,46 sondern eine offene Formulierung wählen.47 Denn grundsätzlich besteht Konsens, dass die Kontrolle von Preisen nicht Aufgabe der Gerichte ist.48 Im deutschen Recht kann aus einer besonders stark ausgeprägten Unausgewogenheit auf das Vorliegen der subjektiv erforderlichen, sittenwidrigen Gesinnung geschlossen werden.49 Dies ist wiederum vor dem Hintergrund zu verstehen, dass das deutsche Recht solche Vereinbarungen für mit dem Billigkeitsgefühl der Gesellschaft nicht vereinbar hält und dafür maßgeblich an den Vertragsinhalt und nicht an die sich darin ausdrückende Gesinnung anknüpft.50 In England ist ein solcher Schluss nur sehr eingeschränkt möglich.51 Es wird stets betont, dass die Unausgewogenheit einer Vereinbarung allein nicht zu deren Unwirksamkeit führen kann.52 Dies ist verständlich, da das englische Recht solchen Vereinbarungen die Wirksamkeit aufgrund mangelhaften Willens einer Partei oder einem missbilligten Verhalten der anderen Partei, nicht jedoch aufgrund genereller Missbilligung des Inhalts versagt.53

Die sehr hohen Anforderungen an die Unausgeglichenheit haben die Anwendung der unconscionable bargain54 Doktrin in England stark beschränkt. Dies ist allerdings eine moderne Entwicklung, welche insbesondere in anderen Common Law Staaten völlig anders verlaufen ist und dort zu einem sehr viel weiteren Verständnis von unconscionable bargain geführt hat.55 Dies zeigt, dass die ursprüngliche Doktrin durchaus in eine Richtung geringerer Anforderungen fortentwickelt werden kann und eine Ablehnung von Art. 51 GEKR aus Sicht der englischen Dogmatik jedenfalls nicht zwingend ist.

2. Unfairer Vorteil

Wie die bisherigen Modellregelungen enthält Art. 51 GEKR mit dem unfairen Vorteil ein weiteres inhaltliches Kriterium. Es soll Vereinbarungen erfassen, bei denen die schwache Partei zwar eine objektiv angemessene Gegenleistung erhält, sie sich die Vereinbarung aufgrund anderer Umstände aber dennoch nicht leisten kann.56 Zur Illustration dient das berühmte Witwenbeispiel,57 in welchem eine Witwe mit vielen Kindern auf Anraten eines Freundes ihr Haus zu einem angemessenen Preis an diesen verkauft und später feststellt, dass es (wie der Freund wusste) zu diesem Preis keine andere


40 Nach deutschem Verständnis also Fälle fahrlässiger Unkenntnis.

41 Martens (Fn. 6), 874.

42 Beispielhaft sei auf die Akzeptanz von constructive notice in der australischen Entscheidung Commercial Bank of Australia v Amadio (1983) 151 C.L.R. 447 verwiesen.

43 Enonchong (Fn. 29), 17-005.

44 Owen and Gutch v Homan, (1853) 4. H.L. Cas. 997.

45 BGH NJW 1985, 3006, 3007; Wendtland, in: Bamberger/Roth, BGB32, 2014, § 138 Rn. 55; Armbrüster, in MüKo BGB6, 2012, § 138 Rn. 154; a.A.: noch BGHZ 80, 153, 159, wonach auch hier grobe Fahrlässigkeit ausreicht.

46 Gleichwohl ist gerade dies teilweise kritisiert worden: Vgl. Clifford Chance, Stellungnahme (Fn. 24), S. 17.

47 Eine solch starre Grenze war charakteristisch für die römischrechtliche laesio enormis, zu deren Auswirkung im deutschen Recht grundlegend: Becker, Die Lehre von der laesio enormis in der Sicht der heutigen Wucherproblematik, 1993, S. 1-23.

48 Ackermann/Frank, ERCL 2012, 113, 129.

49 BGH NJW 2010, 363, 364; BGHZ 146, 298, 305, Armbrüster, in: MüKo BGB (Fn. 45), § 138 Rn. 116, wodurch allerdings die bedenkliche Gefahr einer Entwertung des subjektiven Elements besteht.

50 RGZ 80, 219, 221; BGHZ 10, 228, 232.

51 Vgl Chesterfield v Janssen (1751) 2 Ves. Sen. 125; Enonchong (Fn. 29), 17-027.

52 Alec Lobb (Garages) Ltd and Others v Total Oil (Great Britain) Ltd [1985] 1 W.L.R. 173, 182; Beale, in Chitty (Begr.), Chitty on Contracts, 2008, 7-132. Einschränkend sei jedoch auf die Vermutung ungebührlichen Verhaltens bei massiver Unausgeglichenheit verwiesen.

53 Mason, [1998] AALR 1, S. 6 f.; Birks/Yin, in: Beatson/Friedmann (Hrsg.), Good faith and fault in Contract Law, 1995, S. 57, 59.

54 Diese Doktrin beruht auf dem Grundsatz, dass sich die Parteien einer Vereinbarung nach vernünftigem Maß auf Augenhöhe befinden müssen, also kein massives Machtungleichgewicht zwischen ihnen besteht, vgl. Longmate v Ledger (1860) 2. Gift. 157; Wiltshire v Marshall (1866) 14 L.T. 396, 397, 163.

55 Für Irland: Capper, [2010] L.Q.R. 403, 408 f.; für Australien: Enonchong (Fn. 29), 20-016 ff.; für Neuseeland: Mason, 27 Anglo-Am. L. Rev. 1998, 1, 7 f.

56 Ackermann/Franck, ERCL 2012, 113, 131.

57 Bar/Zimmermann (Fn. 23), Art. 4:109 Kommentar E.

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Unterkunftsmöglichkeit in der Nähe gibt. Kommen in der wissenschaftlichen Diskussion Witwen mit vielen Kindern vor, so ist Vorsicht geboten, da zumeist an Emotionen appelliert wird, um Schwächen in der Argumentation zu überspielen.58 In der Sache handelt es sich um eine Möglichkeit der Vertragsaufhebung trotz eines völlig intakten Äquivalenzverhältnisses. Dies ist in den verglichenen Rechtsordnungen, die beide gerade das Missverhältnis betonen,59 ausgeschlossen und lässt sich auch nicht mit dem Telos des Schutzes der Willensfreiheit vereinbaren. Sie führt auch zu erheblicher Rechtsunsicherheit, da die starke Partei hier mangels messbaren Vorteils schlicht nicht wissen kann, dass die Vereinbarung anfechtbar ist.60 Sofern Fälle wie der im Witwenbeispiel beschriebene nicht ohnehin über andere Willensmängel – zu denken wäre an eine Täuschung nach Art. 49 GEKR – gelöst werden können, wird durch die Integration in Art. 51 GEKR eine bedenklich weite, in den Rechtsordnungen ausdrücklich abgelehnte Möglichkeit der Vertragsaufhebung geschaffen, die mangels universeller Ablehnung nicht aufrechtzuerhalten sein kann.61

IV. Rechtsfolge

1. Gestaltungsrechtslösung oder ipso-iure-Totalnichtig-keit

Die verglichenen Rechtsordnungen und Regelungsmodelle bieten hinsichtlich der Rechtsfolge drei verschiedene Möglichkeiten: Das deutsche Recht geht grundsätzlich von einer Nichtigkeit der unfairen Vereinbarung aus (Nichtigkeitslösung), wohingegen das englische Recht das Schicksal der Vereinbarung in die Hände der schwachen Partei legt (Gestaltungsrechtslösung). Die internationalen Modellregelungen folgen zunächst letzterem Ansatz, ergänzen diesen jedoch um die Möglichkeit einer auf Antrag einer der Parteien vorzunehmenden Vertragsanpassung durch das Gericht. Diese große Vielfalt lässt sich vor dem Hintergrund der in den einzelnen Rechtskreisen zur Missbilligung der unfairen Vereinbarung führenden Konzepte verstehen.

Wie gezeigt, knüpft das deutsche Recht maßgeblich an den Inhalt der Vereinbarung an (Inhaltskontrolle) und hält diese bei einem zu starken Missverhältnis für sittenwidrig. In England ergibt sich die Missbilligung der Vereinbarung zumindest im Rahmen von undue influence daraus, dass der Willensbildungsprozess und damit der Abschluss der Vereinbarung, nicht deren Inhalt, als mangelhaft angesehen werden (Abschlusskontrolle).62 Dies erklärt die jeweilige Rechtsfolge. Da bei der Abschlusskontrolle nur die Art und Weise der Willensbildung missbilligt wird, kann es der schwachen Partei überlassen werden, sich zu einem Zeitpunkt, zu dem die Beeinträchtigung der Willensbildung beseitigt ist, für eine Aufrechterhaltung des Vertrages zu entscheiden, da somit der Grund für die Missbilligung weggefallen ist. Die Missbilligung des Inhalts hingegen ist unabhängig vom Willen der Partei. Hält man die Vereinbarung aufgrund inhaltlicher Bestimmungen für sittenwidrig, so kann die Wirksamkeit nicht von der Entscheidung einer Partei abhängen, da diese den Grund der Missbilligung nicht beseitigen kann.63

Um zu entscheiden, welche Rechtsfolge zweckmäßiger ist, gilt es außerdem zu bedenken, dass die Gestaltungsrechtslösung der schwachen Partei eine freie Entscheidung über das Schicksal der Vereinbarung ermöglicht. Dies beinhaltet die Möglichkeit, unter besonderen Umständen an der Vereinbarung festzuhalten, woran im Einzelfall ein Interesse bestehen kann.64 Die schwache Partei muss allerdings im Gegenzug innerhalb bestimmter Fristen tätig werden, um sich vom Vertrag lösen zu können und trägt somit das Risiko ihrer Untätigkeit. Sie wird jedoch insoweit geschützt, als diese Frist erst zu laufen beginnt, sobald sie wieder frei handeln kann. Daher erscheint die Anfechtungslösung jedenfalls für die Fälle der auf mangelhafter Willensbildung beruhenden Missbilligung einer Vereinbarung angemessen.65 Die aktuelle Diskussion im deutschen Recht zu möglichen Einschränkungen der Nichtigkeitslösung sowie die von der Rechtsprechung vorgenommenen Einschränkungen66 bestätigen darüber hinaus das praktische Bedürfnis einer flexiblen Regelung wie der Gestaltungsrechtslösung.

Art. 51 GEKR wählt eine Gestaltungsrechtslösung nach englischem Vorbild. Da das GEKR durch unfaire Ausnutzung betroffene Verträge ausweislich des Erwägungsgrundes 27 V-GEKVO, welcher Regelungen der Sittenwidrigkeit den nationalen Rechtsordnungen überlässt, offenbar nicht für sittenwidrig hält, erscheint dies zunächst nachvollziehbar, da mithin an den Willensbildungsprozess und damit an den formellen Schluss der Vereinbarung angeknüpft werden soll.

Tatsächlich ist aber ein bloßer Mangel bei der Willensbildung, wie oben gezeigt, nicht ausreichend, da es zusätzlich eines Missverhältnisses auf inhaltlicher Ebene bedarf. Daraus folgt, dass im System der GEKR nur jene Verträge in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt werden sollen, die auch ob ihrer inhaltlichen Unausgewogenheit zu missbilligen sind, Art. 51 GEKR mithin doch an inhaltliche Unfairness anknüpft. Dies würde den Schluss nahelegen, dass nicht nur die Willensfreiheit geschützt werden soll, was einer Gestaltungsrechtslösung widersprechen würde.67

Der Schutzzweck und die Rechtsfolgenregelung erscheinen jedoch nur widersprüchlich, wenn man davon ausgeht, dass Art. 51 GEKR entweder die Willensfreiheit der schwachen Partei oder aber die inhaltliche Angemessenheit einer Vereinbarung schützt. Tatsächlich dient das Merkmal des übermäßigen Nutzens bzw. der unfairen Ausnutzung allerdings lediglich der Ausgrenzung jener Fälle, in denen die Schwäche einer Partei gar nicht zu missbilligtem Verhalten geführt hat. Liegt


58 Sog. argumentum ad misericordiam, welches versucht, durch Mitleid eine rationale Evaluation der Behauptung zu unterbinden.

59 Vgl. für das deutsche Recht BGHZ 146, 298, 303. Für das englische Recht: Royal Bank of Scotland v Etridge (No. 2) [2002] A.C. 773, 796 bzw. Alec Lobb (Garages) Ltd and Others v Total Oil (Great Britain) Ltd [1983] 1 W.L.R. 87, 94 f.

60 Zwar muss die schwache Partei dies wie Ackermann/Franck, ERCL 2012, 113, 131 anführen, noch immer beweisen, dies ist jedoch nicht geeignet, ausreichend Schutz vor Missbrauch zu bieten.

61 So auch: Riesenhuber/Karakostas, Inhaltskontrolle im nationalen und Europäischen Privatrecht, 2009, S. 67 f.; a.A.: Ackermann/Franck, ERCL 2012, 113, 131.

62 Royal Bank of Scotland Plc v Etridge (No.2) [2001] UKHL 44; [2002] 2 A.C. 773, 794 f.

63 Bundesregierung, Stellungnahme (Fn. 24), S. 17-18.

64 Grigoleit, in: Zimmermann (Fn. 20), S. 171.

65 Grigoleit, in: Zimmermann (Fn. 20), S. 190.

66 BVerfGE 89, 214, 229-232; BGH NJW 1981, 1439, 1440; Looschelders/Olzen, in: Staudinger (Begr.), Buch 2, 2014, § 242 Rn. 495.

67 Ackermann/Franck, ERCL 2012, 113, 132.

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nur das inhaltliche Element vor, so führt dies nach der Konzeption von Art. 51 GEKR nicht ohne das Vorliegen einer Schwächelage zu einer unfairen Ausnutzung.68 Es kann folglich davon ausgegangen werden, dass trotz dieses objektiven Merkmals der Schutz der Willensfreiheit der schwachen Partei im Vordergrund steht. Konsequenterweise muss diese dann die Möglichkeit haben, ihre Willensfreiheit auch durch Aufrechterhaltung des Vertrages auszuüben.69

2. Die Abkehr von der Vertragsanpassung

Eine weitere Erklärung für die bestehende Anfechtbarkeit trotz teilweise bestehender Inhaltskontrolle ergibt sich aus dem Vergleich mit den früheren Modellregelungen. In Art. 51 GEKR wurde das in den Vorgängervorschriften durchgehend vorgesehene richterliche Moderationsrecht aufgegeben. Dieses erlaubte auf Antrag einer Partei die Anpassung des Äquivalenzverhältnisses der Vereinbarung.70 Damit konnten die Gerichte eine direkte Kontrolle des Vereinbarungsinhalts vornehmen. Ein Mangel in der Willensbildung der schwachen Partei bei Vertragsschluss lässt sich durch ein solches Moderationsrecht jedenfalls nicht heilen, da dieses keinen Einfluss auf die Willensbildung der Parteien haben kann. Damit erscheint nun doch wieder fraglich, ob Art. 51 GEKR tatsächlich hauptsächlich der Schutz der Willensfreiheit zugrunde liegt. Geht man von einem darüber hinausgehenden Schutz der schwachen Partei vor unverhältnismäßig nachteiligen Vertragsinhalten aus, so stellt sich die Frage, ob es zu deren Erreichung nicht eines solchen Moderationsrechts bedarf und dieses vielleicht vorschnell abgeschafft worden ist.

Der Vergleich mit den nationalen Rechtsordnungen zeigt, dass sowohl in England – im Rahmen der Bergungsrechtsprechung71 – als auch in Deutschland eine Anpassung des Vereinbarungsinhalts durchgeführt wird.72 Tatsächlich sind Konstellationen denkbar, in denen der Schutz der schwachen Partei am wirksamsten durch Anpassung erreicht werden kann. Dies ist immer dann der Fall, wenn die schwache Partei die Leistung unbedingt benötigt, insbesondere also wenn sich ihre Schwäche aus dringenden Bedürfnissen oder einer wirtschaftlichen Notlage ergibt. Ihr ist in diesem Fall mit einer Anfechtung des Vertrages nicht geholfen, da sie die Leistung der starken Partei herausgeben oder darauf verzichten müsste, gerade dies allerdings nicht kann oder will. Alternativ bietet die Gestaltungsrechtslösung zwar die Möglichkeit, an der Vereinbarung festzuhalten, dies wird jedoch ebenfalls mit einer unfairen Ausnutzung verbunden sein. Ein richterliches Anpassungsrecht gäbe der schwachen Partei hier die Möglichkeit, die so dringend benötigte Leistung zu behalten und die Härte des gestörten Äquivalenzverhältnisses zu verringern.73 Der damit einhergehende richterliche Eingriff in die Vereinbarung würde dadurch gerechtfertigt, dass der Vertrag nicht das Ergebnis freier Willensausübung sei und dementsprechend auch kein wirklicher Eingriff in die aus der Selbstbestimmung folgende Vertragsfreiheit vorliege.74

Wie die umfangreiche Kritik an Art. 48 FS im Rahmen des Konsultationsverfahrens gezeigt hat,75 sprechen jedoch gewichtige Gründe gegen eine solche Lösung. Zunächst führt ein richterliches Anpassungsrecht auch auf Antrag der starken Partei dazu, dass diese nicht länger das Nichtigkeitsrisiko der unfairen Ausnutzung trägt (sog. Risikoeliminierungsgedanke).76 Denn die Vereinbarung bleibt in jedem Fall wirksam und die starke Partei erhält eine angemessene Gegenleistung. Zwar verliert sie die Differenz zum höheren, auf Ausnutzung beruhenden Preis. Dies wird jedoch kaum einen nennenswerten Effekt im Rahmen der Verhaltenssteuerung haben.77 Dem wäre zu begegnen, indem nur die schwache Partei im Rahmen eines Wahlrechts die Möglichkeit erhält, die Anpassung des Vertrages zu verlangen. Denn dann trüge die starke Partei weiterhin das Risiko der Nichtigkeit und würde somit von der Ausnutzung im Rahmen der Generalprävention abgehalten.78 So waren die Vorgängervorschriften von Art. 51 GEKR jedoch nicht ausgestaltet.

Darüber hinaus spricht allerdings auch der internationale Charakter des GEKR gegen eine maßgeblich auf richterlicher Einschätzung beruhende Modifikation der Vereinbarung. In den einzelnen Rechtsordnungen bestehen erheblich unterschiedliche Auffassungen, ob ein solcher Eingriff überhaupt zulässig ist.79 Unter dem Eindruck der verschiedenen Herangehensweisen wäre daher eine europaweit im Ergebnis einheitliche Rechtsprechungspraxis sehr unwahrscheinlich.80 Gerade die Vermeidung von den Nutzen des Binnenmarktes hindernden Unterschieden in der vertragsrechtlichen Bewertung identischer Sachverhalte in Europa ist jedoch maßgebliches Ziel des GEKR.81 Da die inhaltlichen Ergebnisse einer richterlichen Vertragsanpassung darüber hinaus kaum vorhersagbar sind, ist auch im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ein Anpassungsrecht abzulehnen.82


68 Martens (Fn. 6), 846, 879.

69 Jansen, in: Zimmermann (Fn. 20), 147.

70 Das deutsche Recht kennt eine vergleichbare Regelung in § 313 Abs. 1 BGB, dem englischen Recht ist eine Anpassung unbekannt, ins GEKR könnte sie über Treu und Glauben konstruiert werden: vgl. insgesamt Cartwright/Schmidt-Kessel in: Dannemann/Vogenauer (Hrsg.), The Common European Sales Law in Context, 2013, S. 406.

71 The Port Caledonia and the Anna [1903] P. 184, 190, heute festgelegt im Merchant Shipping Act 1995 s. 224 i.V.m. Art. 7 des Internationalen Übereinkommens über Bergung von 1989; a.A. offenbar Cartwright/Schmidt-Kessel (Fn. 68), S. 406, welche die genannte Entscheidung wahrscheinlich aufgrund der besonderen Stellung des Court of Admiralty nicht einbeziehen.

72 Für eine detaillierte Darstellung der einzelnen Fallgruppen: Sack/Fischinger, in: Staudinger (Begr.) Buch 1, 2011, § 138 Rn. 128 ff.; weiterhin sei auf § 313 Abs. 1 BGB hingewiesen.

73 Bar/Zimmermann (Fn. 23), Art. 4:109 Kommentar G.

74 Du Plessis, in: Vogenauer/Kleinheisterkamp (Hrsg.), Commentary on the Unidroit principles of international commercial contracts, 2009, Art. 3.10 Rn. 22.

75 Vgl. zur Übersicht Martens (Fn. 6), 846, 871, (dortige Fn. 87).

76 Vgl. BGH NJW 1997, 3089, 3090.

77 Dafür gilt es vielmehr „(…) auf einen groben Klotz einen groben Keil zu setzen.“ Canaris, in: FS Steindorff, 1990, S. 519, 525.

78 So im Rahmen der Diskussion zum deutschen Recht auch: Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, 1998, S. 282-283.

79 Ablehnend aus englischer Sicht: Hamblen, Stellungnahme (Fn. 24), S. 15; bekannt ist ein solches Recht in den nordischen Rechtsordnungen, vgl. Linnainmaa, Stellungnahme (Fn. 24), S. 2; sowie in Österreich, Luxemburg und Belgien sowie partiell Frankreich, vgl. Norguet, Stellungnahme (Fn. 24), S. 13.

80 Martens (Fn. 6), 846, 871.

81 Erwägungsgründe 1 bzw. 6 V-GEKVO.

82 Vor diesen Gesichtspunkten im Ergebnis auch: Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, 1979, S. 201-202.

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Schließlich bestehen auch von Seite der Vertragsfreiheit Vorbehalte gegen ein richterliches Moderationsrecht. Anstatt der geschlossenen Vereinbarung lediglich die Wirksamkeit zu versagen (Beschränkung der positiven Vertragsfreiheit), werden die Parteien an eine Vereinbarung gebunden, deren Inhalt sie nie zugestimmt haben (Beschränkung der negativen Vertragsfreiheit).83 Darin liegt ein ungleich schwerwiegenderer Eingriff in die Vertragsfreiheit der Parteien. Letztlich würde eine Moderationsrechtslösung aufgrund der obligatorischen, gerichtlichen Beteiligung zu einem erhöhten Aufwand und einer größeren Verfahrensmenge führen, was wiederum nicht dem erklärten Ziel der Transaktionskostenvermeidung des GEKR entspräche.84

Insgesamt ist daher die Streichung des Moderationsrechts zu begrüßen und Indiz für eine Besinnung auf die Ziele des GEKR und ein primär am Schutz der Willensfreiheit ausgerichteten Verständnis von Art. 51 GEKR.

D. Zusammenfassung und Ausblick

Berücksichtigt man die im Rahmen des Vergleichs ausgeführten Änderungsvorschläge und gibt dem EuGH die nötige Zeit um für eine in den wesentlichen Fragen einheitliche Auslegung zu sorgen, so erscheint Art. 51 GEKR – trotz aller Kritik – als ein gelungenes Beispiel für Rechtsvereinheitlichung. Die Konzeption schlägt eine Brücke zwischen einzelnen Rechtsordnungen und beruht weitgehend auf Grundlagen, die in den einzelnen Rechtsordnungen bekannt sind. Zwar bestehen hinsichtlich der Anforderungen an die inhaltliche Unausgewogenheit und die subjektive Komponente der starken Partei durchaus beträchtliche Unterschiede. Hier kann die gemeinsame Regelung im Laufe der Zeit zu einer Angleichung des Rechts in den einzelnen Ländern führen, die aufgrund des Charakters als optionales Instrument nicht als Eingriff seitens der Kommission in die jeweiligen Rechtssysteme wahrgenommen wird. Vielmehr besteht die Möglichkeit, dass die Parteien das GEKR wählen und ihm somit imperio rationis85 Geltung verschaffen. Mithin würden die mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen „von unten“, also durch die von ihrer Bevölkerung getroffene Wahl weiterentwickelt. Art. 51 GEKR kann und wird dem jedenfalls konzeptionell nicht entgegenstehen.

Sir Nicholas Hamblen hat die Bemühungen um Schwächerenschutz mit folgenden Worten in seiner Stellungnahme zu Art. 48 FS kritisiert: „There are very many contracts which are based on the improvidence, ignorance, inexperience or bargaining skill of one of the contracting parties relative to the other.” Er endet mit der vermeintlich apodiktischen der Feststellung: „That is business.”86 .

Nach den vorgeschlagenen Änderungen und vor dem hier entwickelten Verständnis von Art. 51 GEKR kann man voller Überzeugung in Verteidigung der Vorschrift erwidern:

This is law.“


83 Hamblen, Stellungnahme (Fn. 24), S. 15.

84 Vgl. Kom (2011) 635, S. 2 f.; Law Society of Scotland, Stellungnahme (Fn. 24), S. 17.

85 Als Ausdruck für Aussagekraft durch Akzeptanz, vgl. Nietner, BLJ 2011, 44, 45; unter Verweis hinsichtlich der Terminologie auf: Röthel, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der Gemeinsame Referenzrahmen, 2009, S. 287, 308.

86 Hamblen, Stellungnahme (Fn. 24), S. 15.