Gefährdungshaftung: Einzelgesetze oder Generalklausel?

von Jacqueline Metzing*

Eine rechtsvergleichende Analyse

A. Einleitung

Viele Tätigkeiten sind zulässig, obwohl von ihnen eine Gefahr für Rechtsgüter Dritter ausgeht. Sie werden vom Gesetzgeber nicht untersagt, da sie gesamtgesellschaftlich erwünscht sind.1 Um dennoch ein angemessenes Schutzniveau zu erreichen, sehen viele Rechtsordnungen eine außervertragliche, verschuldensunabhängige Haftung für entsprechende Tätigkeiten vor: die Gefährdungshaftung.2 Diese lässt sich entweder durch Einzelgesetze oder eine Generalklausel regeln. Die Frage nach der vorzugswürdigen Regelungstechnik ist Gegenstand des folgenden Beitrags.3 Über ihre Beantwortung wird derzeit in Europa auf nationaler und internationaler Ebene diskutiert.4

In den Ländern des germanischen Rechtskreises5 ist die Gefährdungshaftung durch Einzelgesetze geregelt, deren Ausgestaltung im Detail stark divergiert. Mit dieser Regelungstechnik stehen die betroffenen Länder im europäischen Umfeld weitestgehend allein da.6 Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wird von Rechtswissenschaftlern gefordert, die Einzelgesetze durch eine Generalklausel zu ersetzen.7 Der Vorschlag wurde seit 2002 in Reformvorschlägen für das Schadensersatzrecht in der Schweiz8 und in Österreich9 aufgegriffen. In Deutschland wurde die Frage nach der vorzugswürdigen Regelungstechnik zwar lange Zeit diskutiert. Sie steht nun aber nicht mehr im Fokus der politischen und rechtswissenschaftlichen Debatte.10

Auf europäischer Ebene wurden jüngst im Rahmen der Diskussion über eine Europäisierung des Privatrechts die Vor- und Nachteile einer Generalklausel gegenüber Einzelgesetzen auf rechtsvergleichender Grundlage erörtert. Aus den Diskussionen sind zwei verschiedene Modellregelungen hervorgegangen: Während in den von der European Group on Tort Law (EGTL) erstellten Principles of European Tort Law (PETL)11 eine Generalklausel die Gefährdungshaftung regeln soll, orientiert sich der Draft Common Frame of Reference (DCFR)12 am germanischen Modell der Einzelregelungen. Die Tatsache, dass die beiden rechtsvergleichenden Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen, macht deutlich, dass es bis heute keine einheitliche Auffassung gibt, welche Regelungstechnik sich auf dem Gebiet der Gefährdungshaftung am besten eignet.13

Um einen Beitrag zur Klärung dieser Problematik zu leisten, sollen zunächst die maßgeblichen Untersuchungskriterien herausgestellt werden (B.). Daraufhin ist zu analysieren, wie die Regelungstechniken diese Untersuchungskriterien verwirklichen. Zunächst sind dabei die Faktoren darzulegen, die das Untersuchungsergebnis verfälschen können (C.), sodass anschließend eine Einordnung vorgenommen werden kann (D.). Da Einzelgesetze und Generalklausel die Kriterien in unterschiedlichem Maße verwirklichen, ist für eine


*Die Autorin ist Studentin an der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Vgl. Bydlinski, Grundzüge des Privatrechts für Ausbildung und Wirtschaftspraxis², 1994, Rn. 795; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht, Bd. II, Besonderer Teil, 1975, S. 307.

2 Der Begriff geht auf Rümelin, Die Gründe der Schadenszurechnung und die Stellung des deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs zur objektiven Schadensersatzpflicht, Freiburg 1896, S. 45 zurück, vgl. Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 1438.

3 Im Grundsatz handelt es sich um eine grundlegende rechtstheoretische Frage. Die Generalklausel wird einerseits gewürdigt als „königlicher Paragraph“, andererseits kritisiert als „Flucht des Gesetzgebers“, vgl. Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, 1933, S. 66; Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, 2004, S. 30.

4 Jüngst Einführung einer um Einzelgesetze ergänzten Generalklausel im rumänischen Zivilgesetzbuch, übersetzte Auszüge in Alunaru/Bojin, Journal of European Tort Law (JETL) 2 (2011), 107-120. Mit der Reform des Obligationenrechts in der Türkei nun eine Generalklausel in Art. 71 NTurCO, übersetzte Auszüge in Büyüksagis, JETL 3 (2012), 90-100, Kurzkommentierung durch Büyüksagis, JETL 3 (2012), 44, 51; Burcuoğlu, ZSR 2013, 223, 229. Nachdem die Türkei im Jahr 1926 das schweizerische Obligationenrecht totalrezipiert hat, dreht sich die Lage nun um: die Schweiz wurde von der Türkei in Hinblick auf die Einführung einer Generalklausel überholt.

5 Deutschland, Österreich, Schweiz, in Abgrenzung zum romanischen Rechtskreis, vgl. ausführlich Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung: auf dem Gebiete des Privatrechts³, 1996, S. 68.

6 Kötz, AcP 170 (1970), 1, 18. Nur Griechenland sieht auch Einzelgesetze vor. Eine Generalklausel gibt es dagegen in Belgien, Italien, den Niederlanden und Portugal, übersichtlich. v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. II, 1999, Rn. 342.

7 Vgl. ausführlich Zweigert/Kötz (Fn. 5), S. 663.

8 Vgl aus dem Jahr 2002 Widmer/Wessner, Revision und Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts, Vorentwurf und Erläuternder Bericht, abrufbar unter: http://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/themen/wirtschaft/ref_gesetz-gebung/ref_abgeschlossene_projekte/ref_haftplicht.html (letzter Abruf am 25.08.2014), sowie aktuell Huguenin/Hilty (Hrsg.), Schweizer Obligationenrecht 2020, Entwurf für einen neuen allgemeinen Teil, 2013.

9 Griss/Kathrein/Koziol, Entwurf eines neuen österreichischen Schadensersatzrechts, Wien 2006. Gegenentwurf von Reischauer/Spielbüchler/Welser, Reform des Schadensersatzrechts, Bd. III, Vorschläge eines Arbeitskreises, 2008. Für einen kritischen Vergleich der beiden Entwürfe vgl. Taupitz/Pfeiffer, JBl 2010, 88 ff. und daraufhin scharf Reischauer, JBl 2010, 401. Fusionsentwurf von 2011, veröffentlicht in BMJ, 200 Jahre ABGB – RichterInnenwoche in Lochau, Bd. 151, 2012, S. 277. Vgl. dazu Reischauer, JBl 2013, S. 69 ff. Vermehrt nun auch Veranstaltungen im Parlament, vgl. Jarolim, Reform des Schadensersatzrechts, Dialog im Parlament, Bd. IV, 2012, S. 1 ff.

10 Vgl. Widmer, in: Zimmermann (Hrsg.), Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts1, 2003, S. 147, 170. Für einzelne ältere Reformentwürfe vgl. nur v. Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung, 1971; Kötz, AcP 170 (1970), 1, 19. Gegen eine Generalklausel Canaris, VersR 2005, 577, 584.

11 Veröffentlicht in European Group on Tort Law (Hrsg.), Principles of European Tort Law, Text and Commentary, 2005, S. 2-63.

12 Zum Deliktsrecht vgl. v. Bar/Clive (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, Draft Common Frame of Reference (DCFR), Full Edition, Volume 4, 2009, S. 3083-3842.

13 Das unterschiedliche Ergebnis vermag aufgrund der ähnlichen Zielsetzung und Arbeitsweise der Gruppen allein mit der unterschiedlichen Kompromissbereitschaft der beteiligten Wissenschaftler begründet werden. Innerhalb der Study Group konnte man sich vermutlich nicht auf eine Generalklausel einigen, vgl. v. Bar, ZEuP 2001, 515, 527.

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abschließende Beantwortung der Ausgangsfrage zu klären, welchen Untersuchungskriterien besondere Bedeutung zukommt (E.).

B. Spannungsfelder als Untersuchungskriterien

Zur Bewertung der Regelungsmethoden ist auf die Anforderungen abzustellen, die eine gesetzliche Regelung der Gefährdungshaftung idealtypisch erfüllen sollte. Optimal ist eine einzelfallgerechte und rechtssichere Regelung. Zudem muss die Regelung über eine ausreichende demokratische Legitimation verfügen, sollte aber auch der Judikative ausreichend Spielraum zur flexiblen Beurteilung von Einzelfällen lassen. Diese Ziele stehen jedoch in einem direkten Widerspruch zueinander.

I. Einzelfallgerechtigkeit vs. Rechtssicherheit

Zwischen den Idealen der Einzelfallgerechtigkeit und der Rechtssicherheit besteht ein Spannungsfeld.14 Die beiden sich gegenüberstehenden Ziele können nicht gleichzeitig vollständig erreicht werden.15 Rechtliche Normen gelten dann als besonders rechtssicher, wenn sie verlässlich, berechenbar und erkennbar sind.16 Hingegen ist ein Regelwerk besonders einzelfallgerecht, wenn es für jeden Sachverhalt eine angemessene Lösung bietet und besonderen Umständen des Einzelfalls ausreichend Rechnung trägt,17 – mit anderen Worten dann, wenn es flexibel ist.

II. Legislative vs. Judikative

Mit der möglichst einzelfallgerechten Ausgestaltung eines Regelwerks geht zwingend eine erhöhte Einbeziehung der Gerichte einher. Daraus ergibt sich das zweite Spannungsfeld. Es hat die Frage zum Gegenstand, ob die Ausgestaltung der konkreten Rechtslage stärker der Judikative oder der Legislative überlassen wird.

C. Das Untersuchungsergebnis verfälschende Faktoren

Im Folgenden soll analysiert werden, wie die beiden Regelungstechniken die dargestellten Zielkonflikte auflösen. Die beispielhafte Heranziehung von nationalen Rechtsordnungen und rechtsvergleichenden Modellregelungen kann dabei behilflich sein. Ein starres Festhalten an der konkreten Ausgestaltung der einzelnen Regelwerke verfälscht jedoch möglicherweise das Untersuchungsergebnis. Viele Charakteristika der Regelwerke hängen nicht unmittelbar mit der Art der Regelungstechnik zusammen. Sie sind vielmehr auf die Entstehungsgeschichte der Normen zurückzuführen. Die folgenden Beispiele verdeutlichen dies.

I. Beispiel Einzelgesetze: Deutschland (Tierhalterhaftung)

In Deutschland gibt es derzeit rund zwanzig verschiedene Einzelgesetze, die der Gefährdungshaftung zuzuordnen sind.18 Häufig lässt sich kein sachlicher Grund dafür finden, dass einzelne Gefahrenquellen in haftungsrechtlicher Hinsicht unterschiedlich behandelt werden. Eine besonders auffällige Ungerechtigkeit ergibt sich bei der Tierhalterhaftung.19 Für Schäden, die durch ein Luxustier entstehen, muss der Halter verschuldensunabhängig haften (§ 833 S. 1 BGB), trotz ähnlicher Gefährdungslage aber nicht für solche, die durch ein Nutztier verursacht werden (§ 833 S. 2 BGB). Die Differenzierung zwischen Nutz- und Luxustieren hat jedoch lediglich historische Ursachen. Sie ist auf den erfolgreichen Lobbyismus der Landwirtschaftsindustrie zurückzuführen, die im Jahr 1908 die Normierung des S. 2 des § 833 BGB, der für Nutztieren eine Ausnahme von der verschuldensunabhängigen Haftung vorsieht, durchsetzen konnte.20

II. Beispiel Generalklausel: PETL (common usage)

Auch in den PETL lässt sich ein zwar problematisches, jedoch nicht auf die Regelungstechnik zurückzuführendes Charakteristikum ausmachen. Die PETL sehen zur Regelung der Gefährdungshaftung in Art. 5:101 eine Generalklausel vor. Danach haftet der Schädiger verschuldensunabhängig für „besonders gefährliche Aktivitäten“. Hiervon konstituiert Art. 5:101 II (b) PETL einen weitreichenden, abstrakt formulierten Ausschluss. Eine Aktivität unterfällt nur dann der Gefährdungshaftung, wenn sie „nicht allgemein gebräuchlich“ (not a matter of common usage) ist.21 Diese Bereichsausnahme ist einzelfallungerecht:

Laut eigener Kommentierung der EGTL handelt es sich unter anderem dann um ein matter of common usage, wenn die Tätigkeit der Allgemeinheit zugutekommt – der Gesamtnutzen für die Gesellschaft sei dann so hoch, dass eine strenge Haftung nicht zu rechtfertigen ist.22 Somit soll beispielsweise die Veranstaltung eines professionellen Feuerwerks von der Generalklausel umfasst sein.23 Hingegen genügt möglicherweise der Gesamtnutzen, der durch den Betrieb öffentlicher Schienenbahnen oder gar eines Atomkraftwerks generiert wird, für die Annahme eines Haftungsausschlusses. Die von der Generalklausel erfassten Tätigkeiten zeichnen sich daher nicht dadurch aus, dass sie gefährlicher sind als die dem Ausschlusstatbestand unterfallenden Tätigkeiten.24


14 Vgl. Ohly, AcP 201 (2001), 1, 7. Anerkennung der Ideale in allen europäischen Rechtsordnungen sowie auf europäischer Ebene, vgl. Arnauld, Rechtssicherheit: perspektivische Annäherungen an eine „idée directrice“ des Rechts, 2006, S. 497, 625 f.

15 Streinz, in: FS Häberle, 2004, S. 745, 747; nach Arnauld (Fn. 14), S. 637 f. handelt es sich um „antithetische Forderungen“.

16 Einteilung nach Arnauld (Rn. 14), S. 104.

17 Der Terminus bietet selbst eine Erklärung seiner Bedeutung, vgl. Weinberger, in: FS Marcic, 1974, S. 409, 425.

18 Genannt seien nur §§ 7 StVG; 1 HPflG; 33 LuftVG; 25, 26 AtG; 2 HPflG; 32 GenTG; 84 AMG; 1, 2 UmweltHG; 89 I, II WHG; 833 S. 1 BGB.

19 So auch i.E. Taupitz/Pfeiffer, JBl 2010, 88, 90.

20 Vgl. Wagner, in: Zimmermann (Fn. 10), S. 189, 275; Gesetz betreffend die Änderung des § 833 vom 30.05.1908.

21 Die Ausnahmevorschrift wurde wortidentisch dem American Restatement 3rd of Torts entnommen, vgl. Koch, in: Principles (Fn. 11), S. 103.

22 Vgl. Koch, in: Principles (Fn. 11), S. 107 m.w.N.

23 Vgl. Koch, in: Principles (Fn. 11), S. 107 m.w.N.

24 Koch, in: Principles (Fn. 11), S. 104 bezeichnet die Generalklausel als „admittedly narrow“.

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Auch dieses Charakteristikum hängt jedoch nicht mit der Regelungstechnik, sondern mit der Entstehungsgeschichte des rechtsvergleichenden Normenwerks zusammen. Das Ziel der EGTL bestand maßgeblich darin, gemeinsame europäische Prinzipien herauszuarbeiten25 und für Aspekte, die innerhalb Europas unterschiedlich geregelt sind, einen Kompromiss zu finden.26 Die fragliche Bereichsausnahme wurde auf Druck Englands und der Niederlande, die einen besonders restriktiven Umgang mit der Gefährdungshaftung pflegen, in die Generalklausel aufgenommen.27

D. Zwingende Eigenschaften der Regelungstypen

Ein Gesetzgeber, der unabhängig von Partikularinteressen handelt und nicht zu Kompromissen gezwungen ist, kann die aufgezeigten Schwächen von vorneherein vermeiden. Auch er kann allerdings nur solchen Defiziten vorbeugen, die nicht zwingend mit einer bestimmten Regelungstechnik einhergehen. Im Folgenden wird daher anhand der unter B. erläuterten Kriterien untersucht, welche Eigenschaften die beiden Regelungstechniken auszeichnen. Dabei bleiben Charakteristika außer Acht, die allein auf die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Normen zurückzuführen sind (siehe oben C.).

I. Generalklausel: Rechtsunsicher und großer Einfluss der Judikative

Am Beispiel eines aktuellen Reformentwurfs für das Schweizer Obligationenrecht (E OR), welcher im letzten Jahr veröffentlicht wurde,28 lässt sich veranschaulichen, dass eine Generalklausel zwar einzelfallgerecht sein kann, jedoch auch zwingend mit Rechtsunsicherheit einhergeht. Gleichzeitig delegiert der Gesetzgeber die Entscheidung über Einzelfälle an die Rechtsprechung (Delegationsfunktion der Generalklausel).29

Nach der in Art. 60 E OR normierten Generalklausel30 unterliegen alle „besonders gefährlichen Tätigkeiten“ einer verschuldensunabhängigen Haftung.31 Innerhalb ihres Anwendungsbereichs ist das Entstehen von sachwidrigen, ungerechten Lücken somit ausgeschlossen. Der rechtsunsicheren Formel soll eine gewisse Konkretisierung verliehen werden, indem die bisherigen Einzelgesetze der Schweizer Rechtsordnung zu Regelbeispielen erklärt werden.32 Beispielsweise für das Skifahren findet sich jedoch keine ausdrückliche Regelung.33 Insoweit ist unklar, ob es sich um eine „besonders gefährliche Tätigkeit“ handelt. Im Vergleich zu den explizit geregelten Fällen kann es beim Skifahren zwar zu besonders hohen Schäden kommen, jedoch entsteht das Schädigungspotential nicht durch eine fehleranfällige Technik, sondern allein durch die erhöhte Geschwindigkeit der Fortbewegung eines Menschen. Eine Klärung der Rechtslage bliebe der Rechtsprechung überlassen.34

II. Einzelgesetze: Einzelfallungerecht und großer Einfluss der Legislative

Demgegenüber sind Einzelgesetze am anderen Ende der aufgezeigten Spannungsfelder anzusiedeln. Aufgrund der kasuistischen Regelung durch den Gesetzgeber bleibt der Judikative insgesamt weniger Spielraum als bei einer ausfüllungsbedürftigen Generalklausel. Darüber hinaus sind Einzelgesetze zwar rechtssicher, dafür aber weniger einzelfallgerecht. So sehen die Einzelgesetze in Deutschland und Österreich zwar eine Haftung für den Betrieb von KFZ, nicht jedoch von Motorbooten vor.35 In Österreich existiert eine verschuldensunabhängige Haftung für den Betrieb von Schleppliften und in Deutschland für die Luxustierhaltung. Entstehen Schäden durch Schusswaffengebrauch oder die Veranstaltung eines Feuerwerks, haftet der Verantwortliche in beiden Ländern jedoch nur bei Verschulden.36

III. Annäherung der Regelungstypen durch die Rechtsprechung

Die aufgezeigten Charakteristika werden von Einzelgesetzen und Generalklausel jedoch nicht im Extrem verwirklicht. Vielmehr kommt es durch die Rechtsprechung zu einer weitgehenden Annährung beider Regelungstypen. Die Frage nach der vorzugswürdigen Regelungstechnik verliert dadurch an Brisanz.

1. Annäherung einer Generalklausel an Einzelgesetze

Die Rechtssicherheit einer Generalklausel erhöht sich mit der Dauer, die sie in Kraft ist. Zur Konkretisierung der Generalklausel entstehen im Laufe der Zeit zahlreiche richterrechtliche Einzelregelungen.37 Im Fall des Schweizer Reformvorschlags könnte dieser Prozess sogar durch die Heranziehung ausländischer Rechtsprechung beschleunigt werden:38 In Art. 2050 des italienischen Codice Civile


25 Vgl. Koziol, ZEuP 2004, 234.

26 Vgl. Spier, in: Principles (Fn. 11), S. 14; Wurmnest, ZEuP 2003, 714, 726. Es handelt sich damit nicht um ein bloßes restatement, vgl. Spier, in: Principles (Fn. 11), S. 16.

27 Vgl. Koziol, ZEuP 2004, 234, 251; Magnus, ZEuP 2004, 562, 571. In England gibt es eine ähnliche Bereichsausnahme des sog. non-natural use, entwickelt in Rylands v. Flechter (1868) L.R. 3 H.L. 330, vertiefend dazu v. Bar (Fn. 6), Rn. 358.

28 Vgl. Huguenin/Hilty (Fn. 8).

29 Vgl. Rüthers/Fischer, Rechtstheorie: Begriff, Geltung und Anwendung des Rechts5, 2010, Rn. 836; Ohly, AcP 201 (2001), 1, 7. Dies wird häufig kritisch als „Flucht [des Gesetzgebers] in die Generalklausel“ bezeichnet, vgl. Hedemann, (Fn. 13), S. 66 ff. Kritisch zur Delegationsfunktion Röthel (Fn. 3), S. 31.

30 Übernommen aus dem Vorentwurf von Widmer und Wessner aus dem Jahr 1999, vgl. Fn 8.

31 Die Anknüpfung an Tätigkeiten statt an Sachen erfolgt nach ital. Vorbild (Art. 2050 CC I), vgl. Widmer/Wessner (Fn. 8), S. 139; Widmer (Fn. 10), S. 147, 170.

32 So zwar nicht explizit, aber konkludent durch die Bezugnahme auf den Vorentwurf (Fn. 8) und die beschriebene Zwecksetzung durch Fellmann/Müller/Werro, in: Huguenin/Hilty (Fn. 8), S. 154, 188.

33 Die Schweizer Bundesgericht hat in BGE 82 II 25, 28 f. dafür die Verschuldenshaftung ausgedehnt. Für Deutschland und Österreich dazu näher unter D.III.2.

34 Nach Reischauer, JBl 2009, 405, 417 ist die Generalklausel „viel zu beliebig“. Es sei „beinahe alles dem richterlichen Ermessen überlassen“, vgl. Reischauer, ÖJZ 2006, 391, 398.

35 Für eine vergleichbare Gefährlichkeit auch BGH, NJW 2009, 1875 f.

36 In der fehlenden Gefährdungshaftung für Schusswaffen sehen auch Taupitz/Pfeiffer, JBl 2010, 88, 90 eine sachwidrige Lücke.

37 Zur Präjudizienbindung im deutschen Recht vgl. Ohly, AcP 201 (2001), 1, 33 ff.

38 Vgl. Widmer/Wessner, Erläuternder Bericht (Fn. 8), S. 144 f.

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ist eine Generalklausel normiert, welche der im E OR ähnlich ist und zu der bereits zahlreiche Urteile gesprochen sind.39

2. Annäherung von Einzelgesetzen an eine Generalklausel

Ist die Gefährdungshaftung durch Einzelgesetze geregelt, kommt es durch die Rechtsprechung zu einer Steigerung der Einzelfallgerechtigkeit. Dies soll anhand der Rechtslage in Deutschland und Österreich näher beleuchtet werden.

a) Deutschland

Um sachwidrige Regelungslücken zu schließen, liegt die Bildung von (Gesamt-)Analogien zu bestehenden Haftungstatbeständen nahe. In Deutschland wird diese Rechtsmethode auf dem Gebiet der Gefährdungshaftung allerdings in ständiger Rechtsprechung abgelehnt.40 Da die Verschuldenshaftung die Regel und die Gefährdungshaftung die Ausnahme sei,41 seien die Gefährdungshaftungstatbestände abschließend geregelt und nur durch den Gesetzgeber zu erweitern.42

Anstelle der Analogiebildung behilft sich der BGH jedoch, indem er im Rahmen von § 823 I BGB objektive Verkehrssicherungspflichten etabliert und die Beweislast umkehrt, wodurch die Verschuldenshaftung ausgedehnt wird. Viele Autoren kritisieren, dass dieses Vorgehen in Fällen, für die der Gesetzgeber gerade keine Einzelgesetze geschaffen hat, zu einer faktischen Gefährdungshaftung führe.43

Eine derart pauschale Kritik vermag jedoch nicht zu überzeugen. Vielmehr muss differenziert werden: Nur in Fällen, in denen kumulativ die objektiven Sorgfaltspflichten überdehnt werden und dafür die Beweislast umgekehrt wird, wird eine unwiderlegliche Vermutung und damit eine faktische Gefährdungshaftung geschaffen.44 Dies trifft in Deutschland auf die Produzentenhaftung nach § 823 I BGB zu.45 Im Rahmen der Haftung für alle anderen Gefahrenquellen werden hingegen lediglich die Verkehrssicherungspflichten angehoben.46 Deren Verletzung gilt als Anscheinsbeweis für das Verschulden.47 Beim Abbrennen von Feuerwerkskörpern genügt es beispielsweise nicht, sich auf die Funktionstüchtigkeit der Raketen zu verlassen. Man muss in jedem Fall von einem Fehlgehen ausgehen. Daher darf man Raketen nur dort abfeuern, wo eine Schädigung fremder Rechtgüter keinesfalls zu erwarten ist.48 Zwar rückt damit die Verschuldenshaftung nah an die Gefährdungshaftung heran. Jedoch kann nicht von einer vollkommenen Gleichsetzung gesprochen werden.49 Während bei der Gefährdungshaftung eine Ersatzpflicht bereits bei Erfolgseintritt angenommen wird, muss der Geschädigte im dargestellten Fall beweisen, dass der Schädiger eine ihm obliegende Pflicht verletzt hat.

b) Österreich

Im Gegensatz zum BGH hat der OGH bereits vereinzelt Analogien gebildet und dadurch Lücken im Anwendungsbereich der Gefährdungshaftung geschlossen. Begründet werden kann dieser Unterschied insbesondere mit einer abweichenden Beurteilung der Frage, ob der Gesetzgeber die Gefährdungshaftungstatbestände abschließend regeln wollte.

Der OGH hat im Bereich der Gefährdungshaftung den Begriff des „gefährlichen Betriebs“ entwickelt, der die Grundlage für alle Gesamtanalogien bildet.50 Danach müssen eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und die Gefahr eines besonders hohen Schadens gegeben sein.51 Der OGH sah diese Voraussetzungen beim Abbrennen eines Feuerwerks als gegeben und schloss somit die sachwidrige Lücke in den Einzelgesetzen mittels einer Analogie.52 In jüngerer Zeit nahm der OGH einen „gefährlichen Betrieb“ jedoch nur noch selten an.53 Zuletzt klassifizierte er beispielsweise eine Rolltreppe als ungefährlich.54 Im Ergebnis handelt es sich bei der Figur des „gefährlichen Betriebs“ um eine durch die Rechtsprechung geschaffene, jedoch von ihr besonders restriktiv ausgelegte Generalklausel. Eine Ausweitung der Verschuldenshaftung findet aufgrund der Analogiebildung nicht im gleichen Ausmaß statt wie in Deutschland.55

c) Ergebnis

In Rechtsordnungen, die die Gefährdungshaftung durch Einzelgesetze regeln, wird trotz lückenhafter Normstrukturen im Ergebnis nahezu der gleiche Grad an Einzelfallgerechtigkeit


39 Die Schweizer Formulierung erfolgte gar nach ital. Vorbild, vgl. Widmer/Wessner (Fn. 8), S. 139; Widmer (Fn. 10), S. 147, 170.

40 Vgl. RGZ 78, 171, 172; 99, 96, 98 f.; 147, 353, 355; BGHZ 55, 229, 234; 63, 234, 237; BGH, VersR 1958, 194; BGH, NJW 1960, 1345, 1346. So auch in der Schweiz – zwar nicht höchstrichterlich vom Bundesgericht, aber durch den Cour de Justice de Genève, U.-L.v. SNG v. 24.04.1998, La Semaine Judiciaire, 1999, S. 11-14.

41 RGZ 78, 171, 172; BGHZ 55, 229, 234. Das Verhältnis von Verschuldenshaftung und Gefährdungshaftung ist in der Literatur umstritten. Für eine Übersicht des Streitstandes vgl. Apathy, JBl 2007, 205, 207. De lege ferenda für die Regelung der Haftungsregime in einem sog. flexiblen System allen voran Jansen, RabelsZ 70 (2006), 732, 749 ff.

42 Vgl. RGZ 147, 353, 355, i.E. von der h.L. de lege lata i.E. für richtig gehalten, vgl. Fuchs/Pauker, Delikts- und Schadensersatzrecht8, 2012, S. 257; Kötz/Wagner, Deliktsrecht12, 2013, Rn. 514; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II, BT, 2. Halbbd.13, 1994; Wagner (Fn. 20), S. 189, 286; Canaris, JBl 1995, 2, 11; Deutsch, NJW 1992, 73, 74; a.A. Bauer, FS Ballerstedt, S. 305, 322 ff.

43 Vgl. Koziol, Grundfragen des Schadensersatzrechts, 2010, Rn. 6/145; Honsell, JuS 1995, 211, 214; Rohe, AcP 201 (2001), 117, 134.

44 Vgl. Kolb, Auf der Suche nach dem Verschuldensgrundsatz, 2008, S. 126.

45 BGHZ 51, 91; BGHZ 104, 323.

46 Für eine Zusammenstellung praxisrelevanter Fallgruppen vgl. Mergner/Matz, NJW 2014, 186 ff.

47 Vgl. Hager, in: Staudinger (Begr.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2009, § 823 Rn. E 72. Nach einer Studie aus dem Jahr 2008 nahm der BGH in 104 von 108 Fällen bei Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht auch ein Verschulden an, vgl. Kolb (Fn. 44), S. 84.

48 Vgl. BGH v. 22.2.1966, VI ZR 206/64. Anders in der Silvesternacht, vgl. BGH, NJW 1986, 52, 53.

49 Vgl. auch Larenz/Canaris (Fn. 42), S. 353.

50 OGH 1 Ob 500/47 = SZ 21/46; 7 Ob 13/58 = SZ 31/26; 5 Ob 50/73 = SZ 46/36; 8 Ob 22/85 = JBl 1986, 252 ff.; 3 Ob 508/93 = SZ 68/180; vgl. auch Apathy/Riedler, Bürgerliches Recht III, Schuldrecht, BT², 2002, Rn. 14/48; v. Bar (Fn. 6), Rn. 353.

51 OGH 5 Ob 50/73 = SZ 46/36.

52 OGH 5 Ob 50/73 = SZ 46/36.

53 Z.B. keine Analogie für die Binnenschifffahrt (OGH, JBl 2010, 653), Pistengeräte (OGH, JBl 2005, 469) und ein Selbstbedienungs-Sonnenstudio (OGH v. 22.02.2000, 1 Ob 26/00f).

54 OGH 8 Ob 84/12d = JZ 2013, 49 f.

55 Vgl. Koch/Koziol, Unification of Tort Law, Strict Liability, 2002, S. 14; a.A. in Bezug auf die Verkehrssicherungspflichten bei Pistenfahrzeugen Neumayr, in: Schwimann (Hrsg.), ABGB: Taschenkommentar, 2010, § 2 EKHG Rn. 11.

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erzielt wie mit einer Generalklausel. Die Rechtsprechung bildet entweder wie in Österreich Analogien und schafft damit letztlich eine richterrechtliche Generalklausel. Sieht sie sich wie in Deutschland einem „Analogieverbot“ ausgesetzt, so dehnt sie die Verschuldenshaftung aus, um gerechte Ergebnisse zu erzielen.56 Dabei ist es letztlich auf das vermeintliche Regel-Ausnahme-Verhältnis von Verschuldens- und Gefährdungshaftung zurückzuführen, dass eine Ausdehnung der Verschuldenshaftung überhaupt möglich ist. In einem ersten Schritt wird mit dem Regel-Ausnahme-Verhältnis die Ablehnung von Analogieschlüssen begründet. In einem zweiten Schritt ermöglicht jedoch gerade der Umstand, dass die „Regel“ in einer Generalklausel normiert ist,57 die Ausdehnung der Verschuldenshaftung. Im Ergebnis steht der Rechtsprechung somit bei Einzelgesetzen immer eine Möglichkeit zur Schließung von Haftungslücken zur Verfügung. Entweder nimmt sie Analogieschlüsse vor oder sie dehnt die auf einer Generalklausel beruhende Verschuldenshaftung aus.58 Letztere Alternative ist freilich dogmatisch unsauber und geht mit größerer Rechtsunsicherheit einher.59

E. Einzelgesetze oder Generalklausel?

Zwar erfolgt eine Annäherung der beiden untersuchten Regelungstypen. Es kommt jedoch nicht zu einem Gleichlauf. Die Frage nach der vorzugwürdigen Regelung stellt sich also weiterhin. Zu klären ist zum einen, ob man der Legislative oder der Judikative die Kompetenz zur Ausgestaltung der Gefährdungshaftung überlassen sollte (I.). Zum anderen ist zu untersuchen, ob dem Ideal der Einzelfallgerechtigkeit oder der Rechtssicherheit auf dem Gebiet der verschuldensunabhängigen Haftung ein besonders hoher Stellenwert zukommt (II.).

I. Legislative vs. Judikative

Die besseren Gründe sprechen dafür, der Judikative die maßgebliche Ausgestaltung der Gefährdungshaftung zu überlassen.

Zwar wird vielfach argumentiert, dass die Judikative nicht die geeignete Instanz sei, um Risiken abzuwägen und Gefahren zu vergleichen.60 Das entscheidende Gericht habe häufig nur einen konkreten Einzelfall vor Augen und vernachlässige die Auswirkungen seines Urteils auf die zukünftige Rechtslage der Gefährdungshaftung insgesamt. Nach van Boom wird dies sogar durch empirische Studien belegt.61 Die Untersuchung der Rechtsprechung Österreichs hat allerdings gezeigt, dass zumindest der OGH in der Lage ist, sachgerechte Entscheidungen zu treffen.62

Auch Gründe der demokratischen Legitimation der Gefährdungshaftung sprechen nicht zwingend gegen eine generalklauselartige Regelung.63 Die strenge Haftung führt zwar zu einer Einschränkung der Handlungsfreiheit der Gefährdenden. Zöllner geht deshalb so weit, dass er in Hinblick auf die Gefährdungshaftung eine Erweiterung der Wesentlichkeitstheorie auf das Verhältnis zwischen Judikative und Legislative für erforderlich hält.64 Jedoch genügt selbst der Wesentlichkeitstheorie für Eingriffe in die Handlungsfreiheit eine Generalklausel als Ermächtigungsgrundlage.65

Ein großer Einfluss der Judikative wird vielfach mit dem Argument gefordert, die Legislative sei mit der Schnelllebigkeit des Rechtsgebiets, die ständig zu neuem Regelungsbedarf führt, überfordert. Sie hinke der technischen Entwicklung hinterher.66 Diese Kritik muss jedoch zunächst relativiert werden. Die Geschwindigkeit, mit welcher der Gesetzgeber auf technische Entwicklungen reagiert, schwankt seit Einführung der Gefährdungshaftung stark. Während das preußische Gesetz über Eisenbahnunternehmungen im Jahr 1838 nur vier Tage nach der Einweihung der ersten Eisenbahnstrecke in Preußen verabschiedet wurde,67 ließ eine grundlegende Reform des deutschen Arzneimittelgesetzes lange auf sich warten. Es bedurfte zunächst dem Bekanntwerden des Contergan-Skandals im Jahr 1961, damit der Gesetzgeber überhaupt auf die Gefährlichkeit von Arzneimitteln aufmerksam wurde.68 Daraufhin vergingen weitere 15 Jahre bis zur Einführung des heutigen § 84 AMG.69 In jüngerer Zeit lassen sich hingegen Belege dafür finden, dass der Gesetzgeber in der Lage ist, schnell auf neue Gefahrenquellen zu reagieren. Beispielsweise hat der Deutsche Bundestag im Jahr 2012 einen Gefährdungshaftungstatbestand für das neue Verfahren „Carbon Capture and Storage“ (CCS)70 verabschiedet und somit zeitgleich mit der Gestattung der unterirdischen Speicherung von Kohlendioxid die zugehörige Gefährdungshaftung eingeführt.

Die Untersuchung hat jedoch gezeigt, dass die Gesetzgeber in Deutschland und Österreich bis heute einige Regelungslücken nicht geschlossen haben. So fallen in Österreich sowie Deutschland Motorboote und in Deutschland Feuerwerke nach wie vor nicht unter die Gefährdungshaftung, obwohl die damit einhergehenden Risiken seit Jahrzehnten bekannt


56 Gleiches gilt in der Schweiz, vgl. Widmer/Wessner (Fn. 8), S. 137; Widmer, ZBJV 106 (1970), 289, 322.

57 So auch Art. 41 OR in der Schweiz.

58 Eine Lückenschließung wäre allein dann nicht möglich, wenn Gefährdungs- und Verschuldenshaftung in Einzelgesetzen geregelt sind und man eine Analogiebildung i.R.d. Gefährdungshaftung aus dem Grund ablehnt, dass keine vergleichbare Interessenlage gegeben ist.

59 Dazu allgemein erstmals Esser, JZ 1953, 129. Vgl. auch Koziol (Fn. 43), Rn. 6/146; Widmer/Wessner (Fn. 8), S. 138; v. Caemmerer, RabelsZ 42 (1978), 5, 12.

60 Van Boom, ZEuP 2005, 618, 632.

61 Van Boom, ZEuP 2005, 618, 632. Nach v. Bar (Fn. 6), Rn. 331 besteht deshalb die Gefahr, dass das Richterrecht nach uneinheitlichen Linien wächst.

62 Vgl. unter D. III. 2. b). A.A. in Bezug auf die italienische Rechtsprechung Schönenberger, in: Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 2004, 2004, S. 171, 178.

63 So aber van Boom, ZEuP 2005, 618, 632.

64 Vgl. Zöllner, in: FS Krejci, 2001, S. 1355, 1363.

65 Vgl. allgemein BVerfGE 54, 143, 144 f.; Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht8, 2012, Rn. 293.

66 V. Caemmerer (Fn. 10), S. 17; Zweigert/Kötz (Fn. 5), S. 663; Kötz, RabelsZ 170 (1970), 1, 15; Taupitz/Pfeiffer, JBl 2010, 88, 90.

67 Vgl. Wagner, JZ 1991, 175; Zimmermann, The Law of Obligations, 1996, S. 1131.

68 Vgl. Kügel, in: Kügel/Müller/Hoffmann, Arzneimittelgesetz, Kom-mentar1, 2012, Einführung Rn. 11.

69 Gesetz zur Neuregelung des Arzneimittelrechts v. 24. 08. 1976, BGBl. I S. 2445.

70 § 29 KSpG, Gesetz zur Demonstration und Anwendung von Technologien zur Abscheidung, zum Transport und zur dauerhaften Speicherung von Kohlendioxid v. 17.08.2012, BGBl. I S. 1726 (Nr. 38). Vgl. auch Dieckmann, NVwZ 2012, 989.

Metzing, Gefährdungshaftung (BLJ 2014, 80)85

sind.71 Gesetze werden nur erlassen, wenn hierzu ein Anreiz besteht und sie politisch durchsetzbar sind.72 Die Rechtsprechung ist diesen Hürden nicht ausgesetzt. Sie kann auf der Grundlage von Generalklauseln auch in Bereichen, die nicht im politischen Interessenzentrum stehen, für gerechte Ergebnisse sorgen.

II. Einzelfallgerechtigkeit vs. Rechtssicherheit

Auch die Abwägung zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit hat zum Ergebnis, dass die Regelungstechnik der Generalklausel vorzugswürdig ist. Zwar hat Rechtsunsicherheit auf dem Gebiet der Gefährdungshaftung negative Auswirkungen. Diese lassen sich jedoch minimieren.

Durch Rechtsunsicherheit wird die Versicherbarkeit von gefährlichen Tätigkeiten negativ beeinträchtigt.73 Besteht Rechtsunsicherheit über die anwendbaren Haftungsnormen, haben Versicherungen keine zuverlässige Kalkulationsbasis zur Berechnung einer angemessenen Prämie und werden diese daher mit einem Risikozuschlag versehen.74 Manche Betreiber von Gefahrenquellen können sich dann eine Versicherung nicht mehr leisten. Ist ihnen das Risiko zu groß, die Tätigkeit unversichert auszuüben, kann dies dazu führen, dass bestimmte Tätigkeiten unterlassen werden, obwohl sie gesellschaftlich erwünscht sind. Führen sie die Tätigkeit ohne Versicherungsschutz durch, kann dies im Falle der finanziellen Überforderung des Schädigers zur Folge haben, dass der Geschädigte keinen Schadensersatz erhält. Die Rechtsunsicherheit wirkt sich dann negativ auf die Einzelfallgerechtigkeit aus.

Rechtsunsicherheit kann auch aus einem weiteren Grund zu einer Einbuße an Einzelfallgerechtigkeit führen. Bei den meisten Betreibern von Gefahrenquellen handelt es sich um Unternehmen.75 Ist der Geschädigte eine Privatperson, besteht ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen Schädiger und Geschädigtem. Wenn die Rechtslage aus einer Generalklausel nicht eindeutig hervorgeht, wird es der Schädiger in den meisten Fällen auf einen Prozess ankommen lassen. Für den Geschädigten können aufgrund des Prozesskostenrisikos und seiner strukturellen Unterlegenheit erhebliche Hemmschwellen bestehen, sein Recht durchzusetzen.

Diese nachteiligen Auswirkungen der Generalklausel können jedoch minimiert werden. Zum einen lässt sich die Rechtssicherheit durch die Einführung von positiven und negativen Regelbeispielen, welche die Generalklausel konkretisieren, erhöhen. Wünschenswert ist dies vor allem für Fälle, in denen die Versicherbarkeit eine Rolle spielt. Darüber hinaus ist es sinnvoll, zusätzliche Einzeltatbestände zu schaffen. Dies gilt insbesondere für Bereiche mit hohem Schadensaufkommen. Die Anzahl an Rechtsstreitigkeiten kann dann von Vorneherein gering gehalten werden. Eine Erhöhung der Rechtssicherheit wirkt sich damit ausnahmsweise nicht negativ auf die Einzelfallgerechtigkeit aus. Vielmehr erhöht sie die Chance des Geschädigten auf Erhalt des ihm zustehenden Schadensersatzes.

III. Ergebnis

Die abstrakte Analyse der Vor- und Nachteile der Regelungstechniken zeigt, dass grundsätzlich eine Generalklausel für die Gefährdungshaftung besser geeignet ist. Um die Generalklausel so rechtssicher wie möglich auszugestalten, ist die Einführung von Regelbeispielen und zusätzlichen, harmonisierten Einzeltatbeständen sinnvoll. Die Antwort auf die Frage „Einzelgesetze oder Generalklausel?“ lautet damit für den Bereich der Gefährdungshaftung „Generalklausel mit Einzelgesetzen“.

F. Ausblick

Vor dem Hintergrund dieses Ergebnisses drängt sich aus der Perspektive der deutschen Rechtswissenschaft die Frage auf, ob es sinnvoll wäre, die in Deutschland enumerativ geregelte Gefährdungshaftung entsprechend zu reformieren. Berücksichtigt man, dass in der deutschen Rechtspraxis die Rechtsprechung weitgehend einzelfallgerechte Ergebnisse erzielt, ist eine Reform mit all den Kosten, die mit ihr einhergehen würden, nicht zwingend erforderlich. Aus dogmatischer Perspektive wäre es hingegen zweifelsohne zu begrüßen, wenn es überflüssig würde, Lücken in der Gefährdungshaftung durch die Hintertür der Verschuldenshaftung zu schließen.


71 Der Gesetzgeber gebe sich wenig Mühe, die Gesetze auf dem neuesten Stand zu halten, vgl. van Boom, ZEuP 2005, 618, 633.

72 Vgl. Wagner, JBl 2008, 2, 15.

73 So auch Zöllner (Fn. 64), S. 1355, 1362.

74 Vgl. auch Reisinger, in: Jarolim (Hrsg.), Reform des Schadensersatzrechts, 2012, S. 38. Dies gilt jedoch nur in Konstellationen, die von der Versicherung aufgrund der Rechtsunsicherheit fälschlicherweise für Fälle der Gefährdungshaftung gehalten werden. Nur dann erhöht sich die Risikoprämie im Vergleich zur rechtssicheren Situation.

75 Z.B. Betriebsunternehmer einer Schienenbahn, § 1 HPflG; Besitzer einer Atomanlage, § 26 I AtG. Meist jedoch nicht bei Haltern von KFZ, § 7 StVG, und Tieren, § 833 S. 1 BGB.