von Bastian Brinkmann*
Auf den ersten Blick klingt es wie eine gute Nachricht: Die Kaffeekette Starbucks verlegt ihren Europasitz. Das Mutterunternehmen für die Filialen in Deutschland, Frankreich und anderen Ländern soll künftig nicht mehr in den Niederlanden residieren — das Land ist eine notorische Steueroase für Konzerne. Denn eine EU-Richtlinie erlaubt es, Lizenzgewinne steuerfrei in die Niederlande zu transferieren. Der Staat wiederum hat lukrative Doppelbesteuerungsabkommen mit vielen Ländern abgeschlossen, darunter auch karibische Null-Steuer-Länder. So können die Konzerngewinne die EU verlassen, ohne dass die Finanzämter der Staaten etwas davon haben, in denen die Kaffees verkauft und getrunken werden.
Und jetzt möchte Starbucks diesen Vorteil aufgeben? Der Konzern hat im April angekündigt, den Sitz der Europazentrale nach Großbritannien zu verlegen. Dort hatte das Parlament Druck auf die Kaffeeverkäufer gemacht, endlich mehr Steuern zu zahlen. Der für Großbritannien verantwortliche Manager versprach bereits Ende 2012 in einem offenen Brief, dass Starbucks in dem Land mehr Steuern zahlen werde, obwohl rechtlich natürlich alles korrekt gelaufen sei. Ziemlich absurd — als seien Steuern nur eine Art Trinkgeld, über deren Höhe der Spender entscheiden könne.
Und nun gönnt der Konzern sich und dem britischen Fiskus den Umzug nach London. Ein Erfolg für mehr Steuergerechtigkeit, so scheint es. Ein großer Konzern verzichtet auf unfaire Wettbewerbsvorteile gegenüber kleinen und mittleren Kaffeeverkäufern, die sich keine Offshore-Konstrukte leisten können.
Doch tatsächlich schlägt auch hier wieder der Steuerwettbewerb zu: Dass Starbucks künftig nun tatsächlich mehr Steuern zahlt, ist keinesfalls gesichert. Denn die Regierung von David Cameron hat just eine neue Subvention eingeführt, die sogenannte Lizenzbox. Mit dieser locken auch Luxemburg und die Niederlande ausländische Konzerne. Eine Lizenzbox soll Innovationen fördern, deswegen werden Einnahmen durch Lizenzen kaum oder gar nicht besteuert. Das gleiche Modell gibt es für Patente, als Patentbox. Was auf den ersten Blick nach einer nicht reizlosen wirtschaftspolitischen Idee klingt, ist tatsächlich eine Einladung für Konzerne, Gewinne der Besteuerung zu entziehen.
Starbucks hat den Aktionären bereits Entwarnung gegeben. Der Konzern rechnet nicht damit, dass sich die konzernweite Belastung durch den Umzug der Europazentrale erhöhe, teilte er mit.
Wie sehr internationale Konzerne wirklich tricksen, würde erst eine Bilanz zeigen, die auf Länderebene ausweist, wie viel das Unternehmen dort verkauft, wie viele Menschen es beschäftigt, welchen Gewinn es erzielt. Dann wäre klar, ob ein Konzern nur deswegen keine Steuern zahlt, weil er Gewinne unfair verschiebt. Oder ob er doch nur auf Expansionskurs ist, und deshalb noch keinen Profit erwirtschaftet. Fachleute sprechen vom Country-by-Country-Reporting.
Eine transparente Länderbilanz führt nicht direkt zu fairen Steuerzahlungen. Sie führt aber der Politik und der interessierten Öffentlichkeit vor Augen, wo etwas im Argen liegt, wo neue Gesetze nötig sind.
Der Club der reichen Staaten, die OECD, diskutiert gerade ein Modell zum Country-by-Country-Reporting. Im Herbst will die Pariser Organisation erste Ergebnisse präsentieren. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften arbeiten daran, den Standard aufzuweichen, sodass er praktisch keine neuen Transparenzpflichten mit sich bringt. Dabei sprechen sich in Umfragen Konzernmanager sogar für ein solches Reporting aus. Die OECD lädt neben Wirtschaftsprüfern auch Aktivisten für mehr Steuergerechtigkeit ein, die auf öffentlichen Sitzungen für eine wirksame Lösung werben dürfen. Und die sind derzeit optimistisch, dass am Ende ein gutes Modell stehen könnte — auch wenn die Lobby der Offshore-Industrie dagegen arbeitet.
Doch bei allen Fortschritten: Wenn EU-Mitgliedsstaaten wie Großbritannien nun neue Schlupflöcher für Konzerne einführen, zeigt sich, dass der schädliche Steuerwettbewerb nur schwer einzudämmen ist. Auch Portugal, bisher nicht am Pranger für Steuertricks, hat vor kurzem eine solche Box eingeführt. Dabei sollten sich zumindest die EU-Staaten darauf einigen können, sich nicht gegenseitig auszuspielen.
Die Staaten könnten das Geld gut gebrauchen, auch das reiche Deutschland. Zwar konnte Finanzminister Wolfgang Schäuble zuletzt Rekordsteuereinnahmen in Aussicht stellen. Doch die Steuerquote im Vergleich zur Wirtschaftsleistung und zu den erzielten Einkommen ist bei weitem nicht auf Rekordhoch, sie sinkt sogar tendenziell. Und die Ausgaben des Staats für Infrastruktur und Bildung liegen deutlich unter dem Durchschnitt vergleichbarer Länder. Da bräuchte es etwas mehr als ein bisschen Trinkgeld vom Kaffeeverkäufer.
* Der Autor ist Redakteur für die Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung. Er schreibt ein Buch über Steuerflucht, das im September unter dem Titel „Die geprellte Gesellschaft“ im Verlag DVA erscheint. Sein Blog ist unter steuerflucht.tumblr.com abrufbar.