Strafbarkeitsrisiken bei Zuwendungen an Betriebsratsmitglieder und Arbeitnehmervereinigungen

Zugleich Besprechung von BGH, Urt. v. 13.09.2010 – 1 StR 220/09**

von David Pasewaldt*

A. Einleitung

§ 119 BetrVG stellt die unlautere Einflussnahme auf Betriebsverfassungsorgane und ihre Mitglieder schon seit 1972 umfassend unter Strafe. In der Praxis spielte die Vorschrift allerdings lange Zeit allenfalls eine untergeordnete Rolle. Dies hat sich schlagartig geändert, seit sich in den Jahren 2007 und 2008 u. a. der frühere Personalvorstand der Volkswagen AG, Peter Hartz, sowie der ehemalige Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, Klaus Volkert, in der sogenannten Volkswagen-Affäre wegen entsprechender Verstöße vor dem Landgericht Braunschweig verantworten mussten. Nunmehr hat der BGH im Revisionsverfahren des früheren Bundesvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB), Wilhelm Schelsky, zur Auslegung von § 119 BetrVG Stellung bezogen und wichtige Ausführungen zum Verhältnis dieser Vorschrift zur Strafbarkeit wegen Untreue (§ 266 StGB) und Steuerhinterziehung (§ 370 AO) gemacht.

Dieser Beitrag analysiert die Entscheidung des 1. Strafsenats des BGH vom 13.09.2010 und untersucht ihre möglichen Auswirkungen auf die Praxis. Dabei werden zunächst der Regelungsgehalt des § 119 BetrVG skizziert (B.) und anschließend der Fall Siemens/AUB näher beleuchtet (C.). Ausgehend von einer summarischen Schilderung des Sachverhalts (C.I.) und dessen erstinstanzlicher Bewertung durch das Landgericht Nürnberg-Fürth (C.II.) werden hierbei die Kernaussagen des BGH zur Auslegung von § 119 I Nr. 1 BetrVG sowie zum Verhältnis dieser Strafnorm zu anderen Straftatbeständen des Kern- und Nebenstrafrechts herausgearbeitet (C.III.) und kritisch gewürdigt (C.IV.). Der Schwerpunkt der Ausführungen liegt dabei auf dem Verhältnis von § 119 I Nr. 1 BetrVG zur Untreue gemäß § 266 StGB (C.IV.1.) sowie zur Steuerhinterziehung nach § 370 AO (C.IV.2.). Sodann erfolgt die Erörterung ausgewählter Folgefragen, die sich aus der BGH-Rechtsprechung ergeben (C.V.). Eine Zusammenfassung und ein Ausblick (D.) schließen die Abhandlung.

B. Regelungsgehalt des § 119 BetrVG

§ 119 BetrVG ergänzt und verstärkt die in den §§ 20 und 78 BetrVG enthaltenen Vorschriften zum Schutz der Bildung der Betriebsverfassungsorgane sowie der Tätigkeit ihrer Mitglieder.1 Mit seinen Nummern 1 bis 3 enthält Absatz 1 der Vorschrift insgesamt drei Straftatbestände mit unterschiedlichen Angriffsobjekten. Mit Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird demnach bestraft, wer:

1. eine Wahl eines Betriebsrats […] behindert oder durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflusst,

2. die Tätigkeit des Betriebsrats […] behindert oder stört, oder

3. ein Mitglied oder ein Ersatzmitglied des Betriebsrats […] um ihrer Tätigkeit willen benachteiligt oder begünstigt.

Da die Vorschrift im Mindestmaß eine geringere Strafe als Freiheitsstrafe von einem Jahr androht, handelt es sich um ein Vergehen im Sinne von § 12 II StGB. Mangels ausdrücklicher Anordnung besteht daher keine Versuchsstrafbarkeit, § 23 I StGB. Ferner ist § 119 BetrVG ein absolutes Antragsdelikt, d.h. der für die Verfolgung der Tat notwendige Strafantrag eines nach Absatz 2 berechtigten Gremiums kann nicht durch Feststellung eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ersetzt werden.

C. Der Fall Siemens/AUB

In seiner aktuellen Entscheidung2 hat sich der BGH erstmals näher mit § 119 I BetrVG befasst. Anlass hierzu gab das Revisionsverfahren des ehemaligen Bundesvorsitzenden der AUB, Wilhelm Schelsky. Dieser war in Zusammenhang mit Millionenzahlungen der Siemens AG an die AUB gemeinsam mit dem früheren Mitglied des Siemens-Zentralvorstands, Johannes Feldmayer, vom Landgericht Nürnberg-Fürth in erster Instanz wegen Beihilfe zur Untreue (§ 266 StGB), wegen (Beihilfe zur) Steuerhinterziehung (§ 370 AO) und wegen Betrugs (§ 263 StGB) zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden.3

I. Sachverhalt

Dem Revisionsbeschluss des BGH lag nach den Feststellungen des Landgerichts Nürnberg-Fürth im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde: Johannes Feldmayer unter-


* Der Autor war von 2006 bis 2008 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Strafprozessrecht von Professor Dr. Thomas Rönnau (Bucerius Law School, Hamburg). Er ist derzeit als Rechtsanwalt im Frankfurter Büro der internationalen Anwaltssozietät Clifford Chance in der Praxisgruppe White Collar, Regulatory & Compliance tätig.

** Der Beitrag basiert auf dem Vortrag, den der Autor anlässlich seiner mündlichen Promotionsprüfung am 18.05.2011 an der Bucerius Law School, Hamburg, gehalten hat.

1 Ausführlich zum Schutzzweck und Rechtsgut von § 119 BetrVG Pasewaldt, Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (ZIS) 2007, 75 f. m.w.N.

2 BGHSt 55, 288 ff.

3 LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 24.11.2008 (Az. 3 KLs 501 Js 1777/2008) = AuR 2010, 35 ff.; ausführlich dazu J. Fischer, AuR 2010, 4 ff.

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zeichnete im Januar 2001 für die Siemens AG eine Rahmenvereinbarung mit einer Unternehmensberatung, deren alleiniger Inhaber Wilhelm Schelsky war. Nach dieser Vereinbarung sollte die Unternehmensberatung gegen ein Honorar von EUR 500.000 pro Quartal verschiedene Dienstleistungen gegenüber der Siemens AG erbringen. Tatsächlich bestand jedoch von vornherein Einigkeit darüber, dass keine Dienstleistungen erbracht und das gleichwohl zu zahlende Honorar dazu verwendet werden sollte, die als arbeitgeberfreundlich geltende AUB zu fördern. Wilhelm Schelsky stellte der Siemens AG unter der Firma seiner Unternehmensberatung bis November 2006 Rechnungen über einen Gesamtbetrag von rund EUR 30 Mio. (zzgl. Umsatzsteuer). Johannes Feldmayer nahm diese Rechnungen entgegen und veranlasste ihre Bezahlung durch die Siemens AG, die diese Zahlungen gegenüber dem Finanzamt als Betriebsausgaben steuermindernd geltend machte.4

II. Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat das Verhalten von Johannes Feldmayer als Untreue (§ 266 StGB) in einem besonders schweren Fall sowie als Steuerhinterziehung (§ 370 AO) gewertet und ihn zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung sowie zu einer Geldstrafe verurteilt. Wilhelm Schelsky verurteilte das Landgericht wegen Beihilfe zu diesen Taten sowie wegen weiterer, für die nachfolgende Betrachtung jedoch unerheblicher Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten.

Eine Verurteilung wegen § 119 BetrVG erfolgte – trotz eines wirksamen Strafantrags der IG Metall – hingegen nicht, da schon die Anklage aus Opportunitätsgründen von vornherein auf die übrigen Delikte beschränkt war. Dennoch spielte der Straftatbestand in der Urteilsbegründung eine herausragende Rolle, und zwar in doppelter Hinsicht: Erstens begründete das Landgericht die Pflichtverletzung Johannes Feldmayers i. S. v. § 266 I StGB im Wesentlichen damit, dieser habe durch die Zahlungen an Wilhelm Schelsky bzw. dessen Unternehmensberatung „gegen […] § 119 I Nr. 1 BetrVG“ verstoßen.5 Zweitens war der Tatbestand insoweit von Bedeutung, als das Gericht mit seiner Verwirklichung das Eingreifen des Betriebsausgabenabzugsverbots gemäß § 4 V 1 Nr. 10 S. 1 EStG begründete.6 Der Verstoß gegen § 119 I BetrVG war also zugleich maßgeblich für die Unrichtigkeit der von der Siemens AG eingereichten Steuererklärungen und damit Voraussetzung für die Strafbarkeit der Angeklagten wegen (Beihilfe zur) Steuerhinterziehung nach § 370 AO.7

III. Die Entscheidung des BGH

Obwohl § 119 BetrVG somit nicht Gegenstand der erstinstanzlichen Verurteilung war, hatte sich der BGH im Revisionsverfahren aus den genannten Gründen ebenfalls mit dieser Vorschrift zu befassen.8

1. Zur Verfassungsgemäßheit und Auslegung von § 119 I Nr. 1 BetrVG

Der 1. Strafsenat bestätigt zunächst die Verfassungsgemäßheit von § 119 BetrVG im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot (Art. 103 II GG) und erteilt der gegenteiligen Auffassung des Beschwerdeführers und einiger Autoren9 eine Absage. Ausdrücklich tritt der Senat dabei den in der Literatur erhobenen Bedenken10 gegen eine weite Auslegung der Tatbestandsvariante „Beeinflussung der Wahl“ i. S. v. § 119 I Nr. 1 Var. 2 BetrVG entgegen und geht in seiner Auffassung über deren bereits extensive Interpretation in der bisherigen Rechtsprechung11 sogar noch hinaus. So verzichtet er auf jegliche zeitliche Verknüpfung der Beeinflussungshandlung zum Wahlvorgang und führt aus, dass für den Verstoß gegen § 119 I Nr. 1 Var. 2 (i.V.m. § 20 II) BetrVG „nicht auf den jeweiligen Zeitpunkt der Zahlung abgestellt und gefordert werden [kann], dass die Zahlung unmittelbar zeitlich zur Betriebsratswahl erfolgt“, da andernfalls die Beteiligten das Wahlbeeinflussungsverbot dadurch umgehen könnten, dass sie die Vorteile in einem zeitlichen Abstand zu der Wahl gewähren.12

Entsprechend großzügig interpretiert der 1. Strafsenat die Anforderungen an die „Beeinflussung“ der Wahl. Diese umfasse nicht nur die unmittelbare Beeinflussung des einzelnen – aktiv oder passiv – Wahlberechtigten, sein Wahlrecht in der einen oder anderen Art und Weise auszuüben (etwa in Form des Stimmenkaufs oder im Wege der Vorteilsgewährung für den Fall, dass sich ein Arbeitnehmer nicht als Wahlkandidat aufstellen lässt). Vielmehr erfasse die Vorschrift auch die Gewährung solcher Vorteile, die sich bloß mittelbar auf die Wahl auswirken, indem sie die innere Willensbildung der Wahlberechtigten beeinflussen. Die Vorteilsgewährung müsse dabei keineswegs zwingend gegenüber einem einzelnen Arbeitnehmer erfolgen. Eine ebenfalls unzulässige, mittelbare Wahlbeeinflussung liege vielmehr auch in der – gegen das


4 Eine ausführliche Darstellung des Sachverhalts bietet die Pressemitteilung 14/08 des OLG Nürnberg vom 03.07.2008, abrufbar unter http://www.justiz.bayern.de/gericht/olg/n/presse/archiv/2008/01493/index.php (abgerufen am 22.09.2011).

5 LG Nürnberg-Fürth (Fn. 3), Rn. 462 ff. = AuR 2010, 35, 39 f.; kritisch zu den Feststellungen des Landgerichts betreffend § 119 BetrVG (insbesondere im Hinblick auf die fehlende Subsumtion von Tatbestandsmerkmalen und die Bezugnahme auf veraltete Literaturquellen) Rieble, ZIP 2009, 1593, 1598 ff.

6 Nach § 4 V 1 Nr. 10 S. 1 EStG dürfen Betriebsausgaben in Form von Zuwendungen von Vorteilen und damit zusammenhängende Aufwendungen den Gewinn nicht mindern, „wenn die Zuwendung der Vorteile eine rechtswidrige Handlung darstellt, die den Tatbestand eines Strafgesetzes […] verwirklicht“. Zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der damit einhergehenden Durchbrechung des im Steuerrecht geltenden sogenannten objektiven Nettoprinzips Nacke, in: Littmann/Bitz/Pust (Hrsg.), Kommentar zum Einkommensteuerrecht (Loseblattsammlung), 92. Ergänzungslieferung, Stand: August 2011, §§ 4, 5 Rn. 2003 m.w.N.

7 LG Nürnberg-Fürth (Fn. 3), Rn. 473 ff. = AuR 2010, 35, 40.

8 Gegen das erstinstanzliche Urteil hatten zunächst beide Verurteilte sowie die Staatsanwaltsschaft Nürnberg-Fürth Revision eingelegt. Johannes Feldmayer und die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth haben ihre Revisionen später jedoch zurückgenommen. Damit wurde das Urteil insoweit rechtskräftig und der BGH hatte nur noch über die Revision Wilhelm Schelskys zu entscheiden.

9 Kritisch zur Weite und Unbestimmtheit des § 119 BetrVG etwa Schlünder, Die Rechtsfolgen der Missachtung der Betriebsverfassung durch den Arbeitgeber, 1990, S. 192; Dannecker, in: FS Gitter, 1995, S. 167, 168; Krumm-Mauermann, Rechtsgüterschutz durch die Straf- und Bußgeldbestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes, 1990, S. 54 ff.

10 Etwa Kudlich, in: FS Stöckel, 2010, S. 93, 108 ff.; Rieble, CCZ 2008, 121, 127; Zwiehoff, juris PraxisReport Arbeitsrecht (jurisPR-ArbR) 37/2009 Anm. 3 (B. II.); Joecks, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum StGB, Band 6/1 (Nebenstrafrecht II), 2010, § 119 BetrVG Rn. 18 m.w.N.

11 Etwa BayObLG, NStZ 1981, 30, wonach der Begriff „Wahl“ über den eigentlichen Wahlvorgang (i. S. v. Stimmabgabe und -auszählung) hinaus auch vorbereitende, aber mit dem späteren Abstimmungsvorgang in engem zeitlichem Zusammenhang stehende Maßnahmen umfasst, wie etwa die Bestellung eines Wahlvorstands.

12 BGHSt 55, 288, 311.

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den Arbeitgeber treffende Neutralitätsgebot des § 75 BetrVG verstoßenden – verschleierten Finanzierung eines Kollektivs von Arbeitnehmern, die es den aktiv Wahlberechtigten unmöglich mache, eine von Willensmängeln freie Entscheidung zu treffen.13 Dabei verlangt § 119 I Nr. 1 Var. 2 BetrVG nach Ansicht des Senats keine (kausale) Beeinflussung des Wahlergebnisses im Sinne einer modifizierten Stimmabgabe, sondern es genügt zur Erfüllung des Tatbestands unabhängig vom konkreten Wahlergebnis, dass die Zahlungen vom Empfänger zur Finanzierung der Wahlwerbung des betreffenden Kollektivs verwendet werden.14 Seine extensive Auffassung begründet der 1. Strafsenat dabei ausdrücklich damit, dass sich ein Kausalitätsnachweis in der Regel schon deshalb nicht führen lasse, weil der Betriebsrat in geheimer Wahl gewählt werde (§ 14 I BetrVG).15

Im Ergebnis folgt der 1. Strafsenat damit der Auffassung des Landgerichts Nürnberg-Fürth, wonach eine nach § 119 I Nr. 1 Var. 2 BetrVG strafbare Beeinflussung der Wahl des Betriebsrats jedenfalls dann vorliegt, wenn es der Arbeitgeber einer Wahlvorschlagliste durch Zuwendung von Geldmitteln ermöglicht, sich im Zusammenhang mit der Wahl nachhaltiger als sonst möglich zu präsentieren, und wenn dabei die finanzielle Unterstützung der Kandidaten durch den Arbeitgeber verschleiert wird.16

2. Verhältnis von § 119 BetrVG zu anderen Straftatbeständen

Vor allem jedoch nimmt der 1. Strafsenat in seiner Entscheidung zum Verhältnis von § 119 BetrVG zu zwei anderen wichtigen Straftatbeständen Stellung: § 266 StGB (Untreue) und § 370 AO (Steuerhinterziehung).

a) Untreue, § 266 StGB

Zunächst äußert sich der Senat zu der Frage, ob ein strafbarer Verstoß gegen das Wahlbeeinflussungsverbot des § 119 I Nr. 1 Var. 2 BetrVG zugleich einen Pflichtverstoß i. S. v. § 266 I StGB begründet. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung war diese – vom Landgericht Nürnberg-Fürth in erster Instanz bejahte17 – Frage bisher nicht entschieden worden.18 Für die Tatbestandsvariante der Begünstigung eines Betriebsratsmitglieds gemäß § 119 I Nr. 3 Var. 2 BetrVG hingegen war sie vom Landgericht Braunschweig in den beiden Verfahren in Zusammenhang mit der sogenannten Volkswagen-Affäre positiv beantwortet worden19 und der 5. Strafsenat des BGH hatte diese Auffassung später bestätigt.20

Für § 119 I Nr. 1 BetrVG tritt der 1. Strafsenat einer entsprechend weiten Auslegung des Untreuetatbestands nunmehr entgegen. Dabei folgt er explizit der Vorgabe des BVerfG, das die Strafgerichtsbarkeit jüngst zu einer Begrenzung des § 266 StGB im Wege „hinreichend restriktiv[er] und präzisierend[er]“ Auslegung aufgefordert hatte, um das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot (Art. 103 II GG) zu wahren.21 Konkret kommt der Senat dieser Aufforderung nach, indem er eine Gleichstellung der Strafbarkeit gemäß § 119 BetrVG mit dem Vorliegen einer Pflichtverletzung im Sinne des § 266 I StGB unter Rekurs auf die Schutzzwecke beider Vorschriften ablehnt. Als Vermögensdelikt verlange § 266 I StGB die evidente Verletzung einer vermögensbezogenen Pflicht. Eine solche ließe sich aus Zahlungen an eine Arbeitnehmervereinigung, die zwar dem Tatbestand des § 119 I Nr. 1 BetrVG unterfielen, nicht ohne Weiteres herleiten. Wörtlich führt der Senat aus: „Der Senat hat […] Bedenken, dass die Annahme des Landgerichts zutrifft, der Mitangeklagte […] habe die ihn treffende Vermögensbetreuungspflicht auch deshalb verletzt, weil die Zahlungen an das Unternehmen des Angeklagten S. gegen die Vorschrift des § 119 I Nr. 1 BetrVG verstoßen. Denn bei dieser Norm handelt es sich nicht um eine das zu betreuende Vermögen […] schützende Vorschrift. Schutzzweck dieser Vorschrift ist vielmehr – allein – die Integrität der Wahl des Betriebsrats, namentlich die Freiheit der Willensbetätigung der Wahlbeteiligung i.S.d. § 20 BetrVG“22 . Und weiter: „Eine Normverletzung – hier eine Straftat i.S.d. § 119 I Nr. 1 BetrVG – ist deshalb in der Regel nur dann pflichtwidrig i. S. v. § 266 StGB, wenn die verletzende Rechtsnorm ihrerseits – wenigstens auch, und sei es mittelbar – vermögensschützenden Charakter für das zu betreuende Vermögen hat […]. Nur dann, wenn die unmittelbar verletzte Rechtsnorm selbst vermögensschützenden Charakter hat, liegt der untreuespezifische Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und geschütztem Rechtsgut i. S. v. § 266 I StGB vor“.23 § 119 BetrVG diene jedoch „allein dem Schutz der Wahl und der Funktionsfähigkeit der im Gesetz aufgeführten betriebsverfassungsrechtlichen Organe“, weshalb der Verstoß gegen § 119 I Nr. 1 Var. 2 BetrVG für sich allein nicht geeignet sei, eine Pflichtverletzung i. S. v. § 266 I StGB zu begründen.24

Wichtige Aussagen macht der Senat auch zur Feststellung des Vermögensnachteils i. S. v. § 266 I StGB. Hierbei betont er zunächst die Qualität des Vermögensnachteils als Tatbestandsmerkmal, das selbständig neben dem der Pflichtwidrigkeit stehe und nicht in diesem aufgehen dürfe, weshalb


13 BGHSt 55, 288, 307 f.; a.A. etwa Rieble, CCZ 2008, 121, 127; Kudlich (Fn. 10), S. 93, 110 f.; Joecks, in: MüKoStGB (Fn. 10), § 119 BetrVG Rn. 16; Zwiehoff; jurisPR-ArbR 37/2009 Anm. 3 (B. II.).

14 BGHSt 55, 288, 310 f. Sogar noch weitergehend insoweit die Vorinstanz, wonach es allein auf den von dem Zuwendenden mit der Zahlung verfolgten Zweck ankommen soll, s. LG Nürnberg-Fürth (Fn. 3), Rn. 483 (insoweit nicht abgedruckt in AuR 2010, 35 ff.).

15 BGHSt 55, 288, 311.

16 Zur Klarstellung, falls ein Abstellen beider Gerichte auf die Tatbestandsvariante der Wahlbeeinflussung i. S. v. § 119 I Nr. 1 Var. 2 BetrVG verwundern sollte: Der auf den ersten Blick näher liegende Straftatbestand des § 119 I Nr. 3 BetrVG in der Variante der Betriebsratsbegünstigung ist hier nicht einschlägig. Dieser sanktioniert nur die Vorteilsgewährung unmittelbar an einzelne Betriebsratsmitglieder, nicht aber die an das Betriebsratsgremium als Kollektiv oder – wie hier – an eine Arbeitnehmervereinigung, der das Betriebsratsmitglied angehört, Annuß, in: Richardi (Hrsg.), BetrVG mit Wahlordnung12, 2010, § 119 Rn. 25; Rieble, ZIP 2009, 1593, 1598; ders., CCZ 2008, 121, 126 f. m.w.N.; a.A. Schemmel/Slowinski, BB 2009, 830, 832, die insoweit § 119 I Nr. 3 (Var. 2) BetrVG für einschlägig halten.

17 LG Nürnberg-Fürth (Fn. 3), Rn. 427 und 461 ff. = AuR 2010, 35, 39 f.; kritisch dazu Rieble, ZIP 2009, 1593, 1596 f.

18 Dazu etwa Joecks, in: Franzen/Gast/Joecks (Hrsg.), Steuerstrafrecht7, 2009, § 370 AO Rn. 219 f.

19 LG Braunschweig, CCZ 2008, 32, 33; Urt. v. 22.02.2008 (Az. 6 KLs 20/07) (unveröffentlicht), Rn. 338 ff.

20 BGH, NJW 2010, 92, 94 = wistra 2009, 468, 471, jedoch unter ausdrücklicher Bezugnahme auf (den inhaltsgleichen) § 78 S. 2 BetrVG, dazu Corsten, wistra 2010, S. 206 ff.; s. auch Fitting, Handkommentar BetrVG mit Wahlordnung25, 2010, § 119 Rn. 9 m.w.N.

21 BVerfGE 126, 170 ff., dazu Hugger, BB 2010, 2121 und ausführlich zuletzt Krüger, NStZ 2011, 369 ff.

22 BGHSt 55, 288, 299 f.

23 BGHSt 55, 288, 300 f.

24 BGHSt 55, 288, 303.

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insoweit stets eigenständige Feststellungen erforderlich seien.25 In der Konsequenz verwirft er die Auffassung des Landgerichts Nürnberg-Fürth, wonach die Zahlungen der Siemens AG an die AUB auf der Grundlage von Scheinrechnungen einen endgültigen „Schaden“ i. S. v. § 266 StGB verursacht haben sollen, da kein den Geldabfluss kompensierender Vermögensvorteil bei der Siemens AG gegeben gewesen sei. Unzutreffend habe das Landgericht die der Siemens AG infolge der Zusammenarbeit mit der AUB erwachsenen finanziellen Vorteile nicht als unmittelbaren Vermögenszuwachs qualifiziert, sondern lediglich als nicht konkret messbare, „vage Chance“ angesehen. Ein „unmittelbarer“ Vermögenszuwachs, der den durch eine Pflichtverletzung i. S. v. § 266 I StGB ausgelösten Vermögensverlust kompensiert, sei nicht nur dann gegeben, wenn die schadensausschließende Kompensation in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Pflichtverletzung stehe. Vielmehr liege eine unmittelbare Schadenskompensation bereits dann vor, wenn keine weitere, selbständige Handlung mehr hinzutreten muss, damit der kompensationsfähige Vermögenszuwachs entsteht.26 Der so festgestellte wirtschaftliche Vorteil, den der Arbeitgeber infolge der Zuwendung erzielt, sei in betriebswirtschaftlicher Hinsicht – erforderlichenfalls unter Heranziehung eines Sachverständigen – zu bewerten und mit den vom Arbeitgeber geleisteten Zahlungen zu verrechnen.27

b) Steuerhinterziehung, § 370 AO

Schließlich äußert sich der 1. Strafsenat erstmals zu der – im Schrifttum kontrovers diskutierten28 – Frage, inwiefern Zahlungen, die gegen § 119 I BetrVG verstoßen, das steuerliche Betriebsausgabenabzugsverbot des § 4 V 1 Nr. 10 S. 1 EStG29 auslösen. Für die Praxis ist diese Frage von herausragender Bedeutung, denn mit ihr steht und fällt in vielen Fällen die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO.30

Der Senat bestätigt nunmehr, dass bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 119 I Nr. 1 Var. 2 BetrVG das Betriebsausgabenabzugsverbot des § 4 V 1 Nr. 10 S. 1 EStG ausgelöst wird. Auch insoweit vertritt er eine weite Auffassung und führt aus, dass es auf die eigenständige Verfolgbarkeit der Straftat nach § 119 BetrVG für das Betriebsausgabenabzugsverbot nicht ankomme. Insbesondere sei unbeachtlich, ob der nach § 119 II BetrVG erforderliche Strafantrag (wirksam) gestellt wurde oder ob hinsichtlich dieser Straftat Verfolgungsverjährung eingetreten sei.31 Werden nach § 119 I Nr. 1 Var. 2 BetrVG verbotene Zahlungen wissentlich als gewinn- und damit steuermindernde Betriebsausgaben geltend gemacht, werden demnach Steuern verkürzt. Folglich begehen die für eine ordnungsgemäße Steuererklärung verantwortlichen Personen des betreffenden Unternehmens bei entsprechender Kenntnis des Sachverhalts in diesem Fall eine (wenigstens versuchte) Steuerhinterziehung gemäß § 370 I Nr. 1 AO.

IV. Kritische Würdigung der BGH-Entscheidung und Praxisfolgen

Schon wegen der vom 1. Strafsenat befürworteten weiten Auslegung des § 119 BetrVG bergen Zahlungen an Mitglieder des Betriebsrats oder andere Vereinigungen von Arbeitnehmern ein erhebliches Strafbarkeitsrisiko. Mit dem Verzicht auf einen konkreten Beeinflussungserfolg und einen entsprechenden Kausalitätsnachweis konterkariert der BGH indes nicht nur die herrschende Einordnung des § 119 I Nr. 1 BetrVG als Erfolgsdelikt,32 sondern verwischt auch die Grenzen zwischen strafbarer Tatvollendung und straflosem Versuch. Dogmatisch zweifelhaft erscheint in diesem Zusammenhang vor allem die Begründung der extensiven Auslegung des Tatbestands durch den Senat mit praktischen Beweisproblemen.33

1. Untreue, § 266 StGB

Im Übrigen darf die BGH-Entscheidung im Hinblick auf § 266 StGB keineswegs als „Entwarnung“ dahingehend interpretiert werden, dass eine Strafbarkeit wegen Untreue bei gegen § 119 BetrVG verstoßenden Zahlungen generell ausscheidet. Die Aussage des Senats erschöpft sich vielmehr darin, dass nicht in jedem (strafbewehrten) Verstoß gegen die Rechtsordnung zugleich eine – „evidente“ – Pflichtverletzung i. S. v. § 266 I StGB zu erblicken ist.34 Folglich ist es im Einzelfall Tatfrage, ob nach Auffassung des Gerichts hinreichende weitere Umstände vorliegen, um die Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht zu begründen. So sieht auch der Senat eine für § 266 I StGB relevante Pflichtverletzung des (Mit-)Angeklagten Johannes Feldmayer darin, dass dieser weder selbst eine ausreichende inhaltliche Kontrolle darüber durchgeführt hat, ob die Zahlungen der Siemens AG in einem adäquaten Verhältnis zu den mit der Rahmenvereinbarung erlangten Vermögensvorteilen des Unternehmens stehen, und er eine entsprechende Überprüfung durch Dritte mittels einer Verschleierung der tatsächlichen Rechtsverhältnisse durch Scheinrechnungen vereitelt bzw. erschwert hat.35

2. Steuerhinterziehung, § 370 AO

a) Begehen durch aktives Tun

Weitreichende Auswirkungen für die Praxis haben vor allem die Ausführungen des 1. Strafsenats zum Betriebsausgaben-


25 BGHSt 55, 288, 304.

26 BGHSt 55, 288, 305.

27 BGHSt 55, 288, 306.

28 Bejahend für § 119 I Nr. 1 BetrVG etwa Graf/Link, NJW 2009, 409, 411 (aber ablehnend für Nr. 3); Kaiser, in: Löwisch/Kaiser, Kommentar zum BetrVG6, 2010, § 119 Rn. 53; Söhn, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff (Hrsg.), Kommentar zum EStG (Loseblattsammlung), 218. Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2011, § 4 Rn. Q 60; bejahend für Nr. 3 hingegen Schemmel/Slowinski, BB 2009, 830, 832; Rieble, BB 2009, 1612, 1617; ders., NZA 2008, 276, 278 f.; ders./Klebeck, NZA 2006, 758, 768; s. auch Heinicke, in: Schmidt, Kommentar zum EStG30, 2011, § 4 Rn. 611 („Der Abzug rechtswidriger Betriebsratsbegünstigungen ist [strittig]“).

29 Bei Körperschaften: i.V.m. § 8 I 1 KStG.

30 Etwa Joecks, in: Franzen/Gast/Joecks (Fn. 18), § 370 AO Rn. 219f.

31 BGHSt 55, 288, 313; ebenso Söhn, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff (Fn. 28), § 4 Rn. Q 68 m.w.N.; s. auch Schemmel/Slowinski, BB 2009, 830, 832; Rieble, BB 2009, 1612, 1613; ders., NZA 2008, 276, 278 f.

32 Etwa LAG Köln NZA 1994, 431; Rieble, ZfA 2003, 283, 313 f.; Pasewaldt, ZIS 2007, 75, 77 m.w.N.

33 Dazu oben C.III.1.

34 BGHSt 55, 288, 300 f.

35 BGHSt 55, 288, 303. Eine Verurteilung wegen Untreue ist gleichwohl deshalb nicht erfolgt, weil der Senat nicht erkennen konnte, dass dem Vermögen der Siemens AG durch das Verhalten Johannes Feldmayers ein Nachteil entstanden ist. Als Folge dessen hat der Senat die Verfolgung Wilhelm Schelskys mit Zustimmung des Generalbundesanwalts insoweit gemäß § 154a II StPO „aus verfahrensökonomischen Gründen“ auf die Strafbarkeit wegen Betrugs beschränkt, BGHSt 55, 288, 297. Für die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth, an das die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen wurde, ist diese Beschränkung bindend, so dass über die Strafbarkeit Wilhelm Schelskys wegen (Beihilfe zur) Untreue nun nicht mehr entschieden werden wird.

Pasewaldt, Strafbarkeitsrisiken bei Zuwendungen an Betriebsratsmitglieder und Arbeitnehmervereinigungen (BLJ 2011, 106)110

abzugsverbot des § 4 V 1 Nr. 10 S. 1 EStG. Dessen Eingreifen führt in vielen Fällen zu einer Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO, dem eigentlichen Risiko der Gewährung von Vorteilen an Betriebsratsmitglieder und Arbeitnehmervereinigungen. Dies insbesondere deshalb, weil aufgrund der Höhe der hinterzogenen Steuern häufig das Regelbeispiel eines besonders schweren Falls gemäß § 370 III Nr. 1 AO (Steuerverkürzung „in großem Ausmaß“) erfüllt sein wird,36 was den erhöhten Strafrahmen von Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren indiziert. Auswirkungen hat der Tatbestand allerdings auch im Hinblick auf den Kreis der möglichen Täter: Im Gegensatz zu den Straftaten nach § 119 BetrVG und § 266 StGB kann Täter einer Steuerhinterziehung nicht nur sein, wer die verbotenen Vorteile unmittelbar gewährt oder verspricht. Potenziell strafbar ist vielmehr jeder, der aufgrund der Organisation innerhalb des Unternehmens bei der Erstellung von Steuererklärungen mitwirkt und eine Steuerverkürzung wenigstens billigend in Kauf nimmt.

b) Begehen durch Unterlassen

Gemäß § 153 I Nr. 1 AO trifft den Erklärungspflichtigen auch die Pflicht zur unverzüglichen Abgabe einer Berichtigungserklärung gegenüber den Finanzbehörden, wenn er vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennt,37 dass eine bereits abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist. Unterlässt er eine solche Erklärung (vorsätzlich), begründet dies wiederum eine eigenständige Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung nach § 370 I Nr. 2 AO.38 Dieses Strafbarkeitsrisiko trifft insbesondere den, der infolge personeller Umgestaltungen neu in die verantwortliche Position innerhalb des Unternehmens tritt. Namentlich ist hier an den neuen Vorstand oder Geschäftsführer einer Gesellschaft zu denken, der auf Nachweise über verbotene Zahlungen in dem betreffenden Veranlagungszeitraum stößt.

V. Folgefragen

Ferner wirft die BGH-Entscheidungen einige praxisrelevante Folgefragen auf.

1. Strafbarkeit der Freistellung gewerkschaftlicher Vertrauensleute?

Zunächst legt der BGH-Beschluss eine Prüfung nahe, inwieweit die darin enthaltenen rechtlichen Ausführungen auf ähnliche Sachverhalte übertragbar sind. Rieble etwa bejaht die Übertragbarkeit der Aussagen des 1. Strafsenats zu § 119 I Nr. 1 Var. 2 BetrVG auf gewerkschaftliche Vertrauensleute. Als Mitglieder von betriebsratsähnlichen Gremien, den sogenannten Vertrauenskörpern, werden diese Gewerkschaftsmitglieder aufgrund entsprechender Vereinbarungen, beispielsweise in Tarifverträgen, zur Wahrnehmung ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit von ihrer Arbeitspflicht bezahlt freigestellt. Rieble hält eine Gleichbehandlung dieses Sachverhalts mit den Zahlungen der Siemens AG an die Unternehmensberatung Wilhelm Schelskys nach den Maßstäben des BGH für konsequent und erforderlich, andernfalls „sozialpolitisches Gesinnungsstrafrecht“ drohe und die „Strafjustiz zum Instrument einer sozialen Korrektheit“ werde.39

Die Auffassung Riebles erscheint zweifelhaft. Es ist in der höchstrichterlichen (Arbeits-)Rechtsprechung anerkannt, dass die Tätigkeit der Vertrauensleute zu der durch Art. 9 III GG geschützten Koalitionsfreiheit zählt.40 Zudem ist die Zulässigkeit der bezahlten Freistellung von Vertrauensleuten aufgrund von Tarifverträgen zur Erfüllung ihrer koalitionsspezifischen Tätigkeit von der Rechtsprechung bisher nie bezweifelt worden.41 Speziell für den Fall einer Betriebsratswahl hat das LAG Niedersachsen im Jahr 2008 sogar ausdrücklich festgestellt, dass die Freistellung gewerkschaftlicher Vertrauensleute allein keine unzulässige Wahlbeeinflussung begründet.42 Die hier besprochene Entscheidung des BGH steht dieser Auffassung jedoch auch nicht entgegen. Nach dem 1. Strafsenat liegt eine strafbare Beeinflussung der Wahl des Betriebsrats lediglich „jedenfalls“ dann vor, wenn „die finanzielle Unterstützung […] durch den Arbeitgeber verschleiert wird.“43 Ob dasselbe gilt, wenn es an einer Verschleierung der finanziellen Förderung fehlt, hat der Senat damit ausdrücklich offen gelassen. Des Weiteren ist von Bedeutung, ob die Freistellungen ausschließlich den Angehörigen eines bestimmten Arbeitnehmerkollektivs zuteilwerden oder den Mitgliedern sämtlicher in dem betreffenden Unternehmen vertretenen Gewerkschaften unter gleichen Voraussetzungen gewährt werden. Soweit Letzteres der Fall ist, wird ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das in § 75 BetrVG normierte Neutralitätsgebot, auf den der Senat zur Begründung des Verstoßes gegen § 119 I Nr. 1 Var. 2 BetrVG abstellt,44 kaum zu begründen sein.

2. Geltung des Betriebsausgabenabzugsverbots in Fällen von § 119 I Nr. 3 BetrVG?

Überdies stellt sich die Frage, inwieweit § 4 V 1 Nr. 10 S. 1 EStG, den der BGH ausdrücklich nur auf gegen § 119 I Nr. 1 Var. 2 BetrVG verstoßende Zahlungen für anwendbar erklärt, auch für die übrigen Tatbestandsvarianten von § 119 I BetrVG gilt. Graf/Link etwa lehnen die Anwend­barkeit des Betriebsausgabeabzugs­verbots – jedenfalls bisher – namentlich auf die in § 119 I Nr. 3 Var. 2 BetrVG geregelte Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern ab.45 Zur Begründung verweisen Sie auf den Willen des (Einkommensteuer-)Gesetzgebers, wonach § 4 V 1


36 Dieses Merkmal ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung erfüllt, wenn der Hinterziehungsbetrag EUR 50.000 übersteigt, etwa BGHSt 53, 71, 84.

37 Erforderlich ist dabei positive Kenntnis, fahrlässige Unkenntnis genügt nicht, vgl. Seer, in: Tipke/Kruse (Hrsg.), Kommentar zur AO mit FGO (Loseblattsammlung), 126. Ergänzungslieferung, Stand: Juli 2011, § 153 AO Rn. 12; Schemmel/Slowinski, BB 2009, 830, 833 m.w.N.

38 BGHSt 53, 210, 216 = BB 2009, 1903, 1905; Joecks, in: Franzen/Gast/Joecks (Fn. 18), § 370 Rn. 179 ff.; s. auch Seer, in: Tipke/Kruse (Fn. 37), § 153 Rn. 18; ders., in: Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht20, 2010, § 21 Rn. 191 und § 23 Rn. 26.

39 Rieble, BB 16.2011, Die Erste Seite.

40 BAGE 31, 166, 171 f.

41 BAGE 49, 334, 344 f.; BAG, ArbuR 1984, 220, 222 f.

42 LAG Niedersachsen, Urt. v. 16.06.2008 (Az. 9 TaBV 14/07), Rn. 67 (insoweit nicht abgedruckt in AiB 2009, 586).

43 BGHSt 55, 288, 308 f. und ähnlich 310 f., wo der Senat auf die „nach außen nicht erkennbare“ Gewährung des Vorteils abstellt.

44 BGHSt 55, 288, 308 f.; s. aber Rieble, ZfA 2003, 283, 295 f., wonach § 75 BetrVG kein Neutralitätsgebot für den Arbeitgeber bei Betriebsratswahlen begründen soll.

45 Graf/Link, NJW 2009, 409, 411; wohl auch Nacke, in: Littmann/Bitz/Pust (Fn. 6), §§ 4, 5 Rn. 2021 („Vorteilsgewährung in Bezug auf Betriebsratswahlen“); a.A. Rieble, NZA 2008, 276, 278; ders., BB 2009, 1612 f. und 1617; wohl auch Wied, in: Blümich (Hrsg.), Kommentar zum EStG (Loseblattsammlung), 111. Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2011, § 4 Rn. 906.

Pasewaldt, Strafbarkeitsrisiken bei Zuwendungen an Betriebsratsmitglieder und Arbeitnehmervereinigungen (BLJ 2011, 106)111

Nr. 10 S. 1 EStG der Korruptionsbekämpfung dienen soll.46 § 119 I Nr. 3 Var. 2 BetrVG hingegen fehle – im Gegensatz zu Nr. 1 Var. 2 – die für die „klassischen“ Korruptionstatbestände typische „Verknüpfung der Vorteilsgewährung mit der Amts- oder Geschäftsführung des Betriebsrats im Sinne einer Unrechtsvereinbarung“.47

Für § 119 I Nr. 1 Var. 2 BetrVG legen Graf/Link ihren Ausführungen (unausgesprochen) offenbar den Fall zugrunde, dass ein Wahlberechtigter sein Wahlrecht infolge der Gewährung oder des Versprechens von Vorteilen aus einer (gefühlsmäßigen) Verpflichtung heraus in der vom Zuwendenden gewünschten Weise ausübt.48 Der 1. Strafsenat wendet die Tatbestandsvariante des § 119 I Nr. 1 Var. 2 BetrVG nunmehr allerdings gerade auf einen Sachverhalt an, in dem den wahlberechtigten Arbeitnehmern selbst weder Vorteile gewährt noch in Aussicht gestellt wurden, woraus eine entsprechende gefühlsmäßige Verpflichtung hätte folgen können. Gleichwohl fühlt sich der Senat nicht gehindert, das steuerrechtliche Betriebsausgabenabzugsverbot auf diesen Sachverhalt anzuwenden. Vor diesem Hintergrund ist jedenfalls nicht zu erwarten, dass die Rechtsprechung im Hinblick auf § 119 I Nr. 3 Var. 2 BetrVG künftig anders entscheiden wird.

D. Zusammenfassung und Ausblick

Die Ausführungen verdeutlichen die erheblichen Strafbarkeitsrisiken, die der Vorteilsgewährung an Betriebsratsmitglieder und Arbeitnehmervereinigungen anhaften. Im Zusammenspiel mit dem Betriebsausgabenabzugsverbot des § 4 V 1 Nr. 10 S. 1 EStG bildet der Straftatbestand des § 119 I Nr. 1 Var. 2 BetrVG, zu dessen Merkmalen der BGH eine sehr extensive Auslegung vertritt, das Einfallstor für eine mögliche Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO. Gemeinsam mit der Untreue (§ 266 StGB), die in einschlägigen Fällen keineswegs generell ausscheidet, bildet dieses Delikt das eigentliche Risiko von Zuwendungen des Arbeitgebers an Betriebsratsmitglieder und Arbeitnehmervereinigungen. Dies einerseits wegen des vergleichsweise hohen Strafrahmens beider Tatbestände, der – in besonders schweren Fällen – jeweils die Verhängung von Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren ermöglicht. Eine besondere Gefahr stellt die Steuerhinterziehung andererseits deshalb dar, weil mit ihr eine Strafbarkeit auch für Personen droht, die an der Gewährung oder dem Versprechen von Vorteilen selbst nicht beteiligt waren. Dabei droht bisher (Tat-)Unbeteiligten im Fall einer Verletzung der Berichtigungspflicht nach § 153 AO eine Strafbarkeit durch Unterlassen gemäß § 370 I Nr. 2 AO. Inwieweit die Rechtsprechung zu § 119 I Nr. 1 Var. 2 BetrVG auf Fälle der nicht verschleierten Vorteilsgewährung durch den Arbeitgeber übertragbar ist und ob die Ausführungen des 1. Strafsenats zum Betriebsausgabenabzugsverbot auch für § 119 I Nr. 3 Var. 2 BetrVG gelten, bedarf hingegen noch einer abschließenden Klärung.


46 BT-Drs. 14/23, S. 5.

47 Graf/Link, NJW 2009, 409, 411 (unter Verweis auf die §§ 299, 331 ff. StGB); s. auch Pasewaldt, ZIS 2007, 75, 78 f. (zum Erfordernis einer Unrechtsvereinbarung bei § 119 I Nrn. 1 und 3 BetrVG). Grundlegend zur Unrechtsvereinbarung als (konstitutives) Merkmal der Korruptionsdelikte zuletzt Kindhäuser, ZIS 2011, 461, 463.

48 So etwa BGHSt 33, 336, 338 zu den Anforderungen an die „Unrechtsvereinbarung“ in Fällen der Wählerbestechung gemäß § 108b StGB.