von Professor Dr. Hans-Joachim Priester*
Die GmbH ist eine deutsche Erfolgsstory. Sie wurde bekanntlich ohne historische Vorläufer im Jahre 1892 vom Gesetzgeber „erfunden“ und hat einen wahren Siegeszug angetreten, übrigens auch international: Rund hundert Länder haben sie zum Vorbild für entsprechende Gesellschaftstypen genommen. Ihre Verbreitung in Deutschland ist enorm, wir haben heute etwa eine Million GmbH. Man kann die GmbH mit Fug und Recht als das „Arbeitspferd“ unter unseren Rechtsformen bezeichnen.
Während es seit Schaffung der GmbH zwei durchgreifende Reformen des Aktienrechts gegeben hat (1937 und 1965), ist das GmbH-Gesetz in seinem Text weitgehend unverändert geblieben. Die Rechtsfortbildung wurde von Rechtsprechung und Schrifttum besorgt. Eine eher bescheidene Novelle 1980 hat daran letztlich nichts Entscheidendes geändert.
Jetzt ist der Gesetzgeber mobil geworden. Den Grund dafür bildet recht eigentlich die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes, die ausländischen Gesellschaften, in praxi allen voran der englischen Limited, die Türen nach Deutschland geöffnet hat. Im Schrifttum ist das zum Anlass genommen worden, die Kompliziertheit des geltenden GmbH-Rechts zu beklagen. Viele der von der Rechtsprechung entwickelten Regeln seien so ausdifferenziert, dass die Kaufleute ihnen ohne spezialisierten Rechtsrat („Fachanwalt für Eigenkapitalersatzrecht“) gar nicht entsprechen könnten. In ihrer heutigen Form sei die GmbH in Europa nicht mehr wettbewerbsfähig. Sie müsse dringend dereguliert werden. Weitere Motivationen waren zunehmende Missbrauchsfälle in Gestalt von gläubigerschädigenden „Bestattungen“ notleidender GmbH sowie – ein anderes Kapitel – der Wunsch, Existenzgründungen im Kleid der GmbH zu fördern.
Nach einer gescheiterten Einzelaktion im Jahre 2005 – schlichte Herabsetzung des Mindeststammkapitals auf 10.000 Euro – hat uns Berlin dann 2006 den (Referenten-) Entwurf eines „Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)“ beschert. Seine Schwerpunkte waren zunächst Gründungsvereinfachungen. Neben Technikalien wie dem Verzicht auf Vorlage behördlicher Genehmigungen war wiederum ein Mindeststammkapital von 10.000 Euro vorgesehen. Zugelassen hat man erstmals auch einen ausländischen Verwaltungssitz. Weiterhin gab es Neuregelungen zu den Geschäftsanteilen: Untergrenze 1 Euro, beliebig viele je Gesellschafter. Ermöglicht wurde ein gutgläubiger Erwerb der Anteile.
Vor allem aber enthielt der Entwurf wesentliche Änderungen im Bereich der Kapitalerhaltung. Das Cash Pooling sollte durch Rückkehr zur sog. bilanziellen Betrachtungsweise (vollwertige Forderungen gegen den Gesellschafter lassen das Stammkapital unberührt) erleichtert werden. Ferner wurden die Eigenkapitalersatzregeln abgeschafft: Die einschlägigen §§ 32a, 32b GmbHG wurden gestrichen und die von der Rechtsprechung entwickelten Instrumente des Rückzahlungsverbots bei Unterbilanz und der kapitalersetzenden Nutzungsüberlassung ausdrücklich untersagt. Die Gesellschafterdarlehen wurden in das Insolvenzrecht verlagert. Sie sollten immer nachrangig und Rückzahlungen innerhalb eines Jahres vor Insolvenzeröffnungsantrag anfechtbar sein. Das sollte für alle Gesellschafterdarlehen gelten, unabhängig davon, ob sie im bisherigen Sinne eigenkapitalersetzend sind. Verschärft wurde die Haftung der Geschäftsführer für „aus-
* Der Autor ist Notar a.D. und Honorarprofessor an der Universität Hamburg.
plündernde“ Zahlungen an Gesellschafter. Der Bekämpfung von Missbräuchen sollte eine Erweiterung der Ausschlussgründe vom Geschäftsführeramt dienen. Den „Bestattungen“ wurde mit Zustellungserleichterungen zu Leibe gerückt und Gesellschafterpflichten bei „führungsloser“ Gesellschaft, vor allem zur Stellung eines Insolvenzantrags.
Inzwischen liegt der Regierungsentwurf vom Mai 2007 vor. Er präsentiert uns weitere Neuerungen: Als erstes das Angebot einer Standardsatzung mit „Gründungsset“. Sehr viel wichtiger ist eine Einstiegs-Variante zur GmbH, die
„Unternehmergesellschaft/UG (haftungsbeschränkt)“, die das Mindeststammkapital bis auf 1 Euro unterschreiten darf. Der Bundesrat will sie deshalb „GmbH o. M.“ (ohne Mindeststammkapital) nennen. Sie muss eine gesetzliche Rücklage bilden und darf ihren Zusatz „o.M.“ streichen, wenn sie ihr Kapital auf das Normal-Minimum erhöht hat. Im übrigen wird sie aber wie jede GmbH behandelt. Daneben führt der RegE im Bereich der Kapitalaufbringung zu einem deutlichen Kurswechsel: Bareinlagen sollen künftig auch dann erfüllt sein, wenn sie sofort als Darlehen an einen – solventen – Gesellschafter wieder zurückfließen. Die verdeckte Sacheinlage soll dadurch entschärft werden, dass den Inferenten wie bei offener Sacheinlage lediglich eine Differenzhaftung trifft, wenngleich mit Beweislast bei ihm. Das Haftungsmodell des Kommanditisten – Prüfung der Einlageleistung erst in einem späteren Haftungsprozess – ist da nahe.
Die Entwürfe haben – wen wird das wundern – ein unterschiedliches Echo gefunden. Wer eine „Entrümpelung“ unseres GmbH-Rechts verlangt, fordert allenfalls weitergehende Maßnahmen. Genannt wird insbesondere der völlige Verzicht auf ein gesetzliches Mindeststammkapital sowie auf die Registerprüfung von Sacheinlagen. Die Befürworter des Regierungsentwurfs haben nicht zuletzt die Entschärfung der Rechtsfolgen von verdeckten Sacheinlagen positiv aufgenommen. Auf diese Weise werde die bisherige „Überreaktion des Rechts“ beseitigt, die im wirtschaftlichen Ergebnis nicht selten zu einer doppelten Einlageleistung geführt habe. Zutreffend sei auch die Rückkehr zur bilanziellen Betrachtungsweise.
Die Gegenseite differenziert. Sie begrüßt eine Reihe von Einzelregelungen, etwa den gutgläubigen Erwerb von Geschäftsanteilen. Für verfehlt halten dagegen viele die Unternehmergesellschaft. Sie bilde einen Fremdkörper im GmbHRecht und biete zudem – vielleicht weil mit heißer Nadel genäht – eine Reihe von legislatorischen Angriffspunkten. Gewarnt wird sodann vor einer weiteren Verschärfung der Geschäftsführerhaftung. Es gehe nicht an, ihnen ein ständig wachsendes Maß an Risiken aufzubürden. Vor allem aber richten sich die Einwände gegen eine Preisgabe des bisherigen Kapitalschutzsystems. Insoweit sei der Entwurf weder Fisch noch Fleisch: Einerseits solle an unserem – ausdrücklich als „bewährt“ bezeichneten – System festgehalten werden, andererseits werde die Eigenbeteiligung der Gesellschafter am Unternehmensrisiko durch eine Senkung des Mindeststammkapitals deutlich verringert und die Beachtung der Einlageregeln zu guten Teilen in ihr Belieben gestellt. Hinsichtlich der Kapitalerhaltung werden zwar die Vereinfachungen begrüßt, jedoch nicht ohne Hinweis auf einen künftig später eingreifenden Schutz.
Der Verfasser zählt sich zur Fraktion der kritischen Betrachter. Das Prinzip: Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung als Preis der Haftungsbeschränkung hat sich im Grundsatz bewährt. Seine Regeln sind für die große Mehrzahl der praktischen Anwendungsfälle nicht so kompliziert, dass man sie nicht einhalten könnte. Ihnen kommt durchaus eine präventive Funktion zu. Vor die Gerichte gelangen nur die kranken Fälle und – Insolvenzen wird es immer geben. Das MoMiG bringt hier zumindest starke Einschränkungen. Wenn stattdessen die Haftung beim Scheitern der Gesellschaft ausgebaut wird, ersetzt man – angelsächsischem Vorbild folgend – Prävention durch Reaktion. Vorsorge erscheint jedoch besser als Nachsorge.
Wer speziell etwas für Existenzgründer tun will oder eine „deutsche Limited“ erforderlich findet, sollte eine selbständige neue Rechtsform schaffen. Das mag mehr Zeit kosten, würde sich aber lohnen: Den Wünschen der Deregulierer, die sich an dem Projekt ja beteiligen könnten, wäre Genüge getan und unsere gestandene GmbH bliebe unbeschädigt.
Interessant sein wird die Reaktion der Praxis: Werden sich die Unternehmergesellschaften dauerhaft etablieren können? Wird es zu Prestigeverlusten bei der „normalen“ GmbH kommen? Werden wir einen Boom der „kleinen“ AG erleben? Für Spannung scheint gesorgt.