Die Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf arbeits- und tarifvertragliche sowie gesetzliche Ausschlussfristen

Nicklas Homuth*

A. Einleitung

„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“ – mit diesem Satz ging Michail Gorbatschow einst in die Geschichtsbücher ein. Ob er ihn im Zuge des Mauerfalls tatsächlich geäußert hat, sei dahingestellt.1 Seitdem ist dieser Satz die Pointe sehr vieler Situationen, in denen jemand etwas verpasst oder versäumt hat, weil er nicht schnell genug war. In der Rechtspraxis trifft er insbesondere auf Ausschlussfristen zu, bei denen ein Anspruch verfällt, sofern man ihn nicht rechtzeitig innerhalb einer Frist geltend gemacht hat.2

Um eine Ausschlussfrist zu wahren, reichen die Gläubiger häufig eine Klage bei Gericht ein, mit der sie ihre Ansprüche geltend machen.3 Damit haben sie die Fristwahrung nicht länger selbst in der Hand. Vielmehr kommt es darauf an, dass die Gerichte die Klage rechtzeitig zustellen.4 Allerdings kann es durch Verzögerungen im Geschäftsablauf der Gerichte dazu kommen, dass die Zustellung erst nach Ablauf der Frist erfolgt.5 Die Ansprüche vieler Arbeitnehmer würden verfallen, obwohl sie theoretisch nichts für die Verzögerung können.6

Daher könnte in solchen Fällen § 167 ZPO angewendet werden. Demnach wirkt die Zustellung auf den Zeitpunkt des Eingangs der Erklärung bei Gericht zurück, wenn durch die Zustellung unter anderem eine Frist gewahrt werden soll und die Zustellung demnächst erfolgt. Wenn § 167 ZPO auf Ausschlussfristen angewendet werden würde, hätte bereits eine rechtzeitige Klageeinreichung die Frist gewahrt und die Ansprüche des Arbeitnehmers bestünden fort.7

Die Frage der Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf Ausschlussfristen in Gesetzen, Arbeits- und Tarifverträgen hat auch die Rechtsprechung in der jüngeren Vergangenheit sehr beschäftigt und zu einer kontroversen Diskussion geführt.8 Die Arbeit greift diese Diskussion auf, indem untersucht wird, inwiefern § 167 ZPO auf arbeits- und tarifvertragliche sowie gesetzliche Ausschlussfristen anzuwenden ist.

B. Ausgangslage

I. Ausschlussfristen im Arbeitsrecht

Um den Zugriff auf die Problematik zu ermöglichen, erfolgt zunächst eine grundsätzliche Erläuterung von Ausschlussfristen im Arbeitsrecht.

1. Definition und Begriff der Ausschlussfrist

Ausschlussfristen sind in der Rechtspraxis inzwischen weit verbreitet.9 Auch in verschiedenen Bereichen des Arbeitsrechts sind sie gesetzlich verankert oder werden in Arbeitsverträgen, Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen vereinbart.10 Sie erfordern von einer Vertragspartei die gerichtliche oder außergerichtliche Geltendmachung ihrer Ansprüche innerhalb der vorgesehenen Frist gegenüber der anderen Partei.11 Andernfalls erlöschen die Ansprüche ipso iure.12 Ist die Frist abgelaufen, begründet sie eine rechtsvernichtende Einwendung gegen den Anspruch der anderen Vertragspartei.13 Daher ist die Ausschlussfrist von den Gerichten von Amts wegen zu beachten, weshalb der Schuldner sich nicht auf sie zu berufen braucht.14

Bei der Geltendmachung von Ansprüchen handelt es sich um eine rechtsgeschäftsähnliche Erklärung, auf welche die Vorschriften über Willenserklärungen entsprechend angewendet werden.15 Daher bedarf es für die Wahrung einer Ausschlussfrist grundsätzlich des tatsächlichen Zugangs der Erklärung beim Schuldner gem. § 130 I 1 BGB analog.16

2. Differenzierung zwischen verschiedenen Formen von Ausschlussfristen

Die erste Unterscheidung ist zwischen einfachen und qualifizierten Ausschlussfristen vorzunehmen. Einfache Ausschlussfristen verlangen von den Parteien nur die formlose oder schriftliche Geltendmachung ihrer Ansprüche innerhalb einer bestimmten Frist.17 Demgegenüber sind die Parteien bei qualifizierten Ausschlussfristen dazu verpflichtet, ihre Ansprüche gerichtlich einzuklagen.18

Die Praxis unterscheidet zudem zwischen einstufigen und zweistufigen Ausschlussfristen. Eine einstufige Ausschlussfrist kann als einfache oder qualifizierte Ausschlussfrist ausgestaltet sein und erfordert daher entweder eine gerichtliche oder eine außergerichtliche Geltendmachung.19 Bei zweistufigen Ausschlussfristen werden die Parteien auf der ersten Stufe zunächst zur Erklärung gegenüber der anderen


*Der Autor ist Student an der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Vgl. Bock, welt.de.

2 Vgl. SWK-Arbeitsrecht-Schönhöft, Ausschlussfristen Rn. 2.

3 Ulrici, jurisPR-ArbR 38/2016.

4 Laws, AuA 2016, 746.

5 BAG 04.11.1969 – 1 AZR 141/69, juris Rn. 12; BAG 18.11.2004 ­– 6 AZR 651/03, juris Rn. 31.

6 Vgl. BAG 23.08.2012 – 8 AZR 394/11, juris Rn. 31.

7 Vgl. Zöller-Greger, § 167 ZPO Rn. 3a.

8 Vgl. insb. BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15 mit ausführlicher Kritik an BGH 17.07.2008 – I ZR 109/05.

9 Vgl. u.a. BAG 08.03.1976 – 5 AZR 361/75, juris Rn. 29; vgl. Gehlhaar, NZA-RR 2011, 169, 170.

10 SWK-Arbeitsrecht-Schönhöft, Ausschlussfristen Rn. 2.

11 Weber, S. 14.

12 Reinhard, S. 5; Stenslik, DStR 2017, 938; Husemann, NZA-RR 2011, 337, 339.

13 Junker, Rn. 244.

14 Köhler/Schürgers, GWR 2021, 41.

15 Vgl. u.a. BAG 11.10.2000 – 5 AZR 313/99, juris Rn. 19.

16 Vgl. BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15, juris Rn. 17.

17 Preis/Roloff, RdA 2005, 144, 145; SWK-Arbeitsrecht-Schönhöft, Ausschlussfristen Rn. 3.

18 LAG Düsseldorf 17.11.2020 – 3 Sa 285/19, juris Rn. 136 ff.; SWK-Arbeitsrecht-Schönhöft, Ausschlussfristen Rn. 3; BeckOGK-BGB-Fehrenbach, § 307 BGB Verfallklausel Rn. 67.

19 Husemann, NZA-RR 2011, 337; SWK-Arbeitsrecht-Schönhöft, Ausschlussfristen Rn. 3.

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Partei aufgefordert.20 Sofern die andere Partei den Anspruch auf der ersten Stufe nicht erfüllt oder abgelehnt hat, muss der Gläubiger seinen Anspruch auf der zweiten Stufe gerichtlich einfordern.21

II. Rückwirkung nach § 167 ZPO

Neben einem grundsätzlichen Verständnis der Ausschlussfristen im Arbeitsrecht ist zur Untersuchung der Ausgangsfrage ein genereller Überblick über die Voraussetzungen von § 167 ZPO notwendig. Gem. § 167 ZPO wirkt die Zustellung eines Antrags oder einer Erklärung auf deren Eingang bei Gericht zurück, wenn durch die Zustellung eine Frist gewahrt, die Verjährung neu beginnen oder nach § 204 BGB gehemmt werden soll und die Zustellung des Antrags demnächst erfolgt.

1. Ordnungsgemäßer Eingang bei Gericht

Voraussetzung ist zunächst der ordnungsgemäße Eingang der Dokumente bei Gericht. Hierfür kommt es anders als beim Zugang gem. § 130 BGB nicht darauf an, wann mit der Kenntnisnahme durch das Gericht zu rechnen ist.22 Maßgeblich ist vielmehr, in welchem Moment das Gericht Gewahrsam an dem Dokument begründet.23

2. Zustellung erfolgt „demnächst“

Neben dem ordnungsgemäßen Eingang bei Gericht ist es erforderlich, dass die Zustellung an den Empfänger demnächst erfolgt.24

Zunächst ist mit der Zustellung gem. § 167 ZPO die prozessrechtliche Zustellung gem. § 166 ZPO gemeint. Damit müssen die Dokumente im Sinne der Zustellungsvorschriften der ZPO einer Person gegenüber bekanntgegeben werden. Im Gegensatz zum Zugang gem. § 130 BGB ist es daher nicht erforderlich, wann die Dokumente in den Machtbereich des Empfängers gelangt sind und wann mit der Kenntnisnahme durch den Empfänger zu rechnen ist.25

Eine absolute zeitliche Grenze, nach der eine Zustellung nicht länger demnächst erfolgt, wurde nicht vorgesehen.26 Daher kann eine Zustellung nach über zwei Jahren noch „demnächst“ sein.27 Damit wird der Erklärende vor sämtlichen Nachteilen durch Verzögerungen im Geschäftsablauf bewahrt.28 Allerdings muss der Zustellende alles Erforderliche für eine zügige Zustellung getan haben.29

C. Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf arbeits- und tarifvertragliche sowie gesetzliche Ausschlussfristen

I. Rechtsprechungsgeschichte

Mit der Anwendbarkeit von § 167 ZPO und dessen Vorgängernormen auf einfache Ausschlussfristen, die direkt gerichtlich geltend gemacht wurden, haben sich in der Vergangenheit sowohl das BAG30 als auch der BGH31 eingehend auseinandergesetzt.

1. Ursprüngliches Regel-Ausnahme-Verhältnis

Zunächst bestand Einigkeit darüber, dass § 167 ZPO nur auf qualifizierte Ausschlussfristen anzuwenden ist. Bestand für den Gläubiger die Möglichkeit, die Frist durch außergerichtliche Geltendmachung gegenüber dem Schuldner zu wahren, wurde § 167 ZPO nicht angewendet.32 Dementsprechend wandte das BAG § 167 ZPO nicht auf einfache tarifvertragliche Ausschlussfristen an, sofern diese auch durch einen einfachen Brief an den Schuldner hätten gewahrt werden können, der Gläubiger aber trotzdem den Klageweg gewählt hat.33 Hiervon konnte eine Ausnahme gemacht werden, wenn sich aus der vertraglichen oder gesetzlichen Regelung ergab, dass die Rückwirkungsfiktion des § 167 ZPO dennoch gelten soll.34

2. Rechtsprechungsänderung des BGH

Die frühere ständige Rechtsprechung zur Anwendbarkeit von § 167 ZPO hat der BGH 2008 aufgegeben. Der I. Zivilsenat hat im Urteil vom 17.07.2008 entschieden, dass die Vorschrift auch in Bezug auf einfache Ausschlussfristen grundsätzlich anwendbar ist.35 Der I. Zivilsenat versicherte sich zudem darüber, dass auch der V. und VIII. Zivilsenat nicht länger an ihrer bisherigen Rechtsprechung festhalten würden. Dementsprechend halten nun alle Senate des BGH § 167 ZPO für grundsätzlich anwendbar.36 Allerdings könnte der Zweck der vereinbarten Regelungen ausnahmsweise einer Rückwirkung der Zustellung entgegenstehen, weshalb § 167 ZPO in diesen Fällen nicht angewendet werden würde.37 Somit wurde das bisherige Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt.38


20 Medem, NZA 2013, 345.

21 Matthiessen, NZA 2008, 1165.

22 MüKo-ZPO-Häublein/Müller, § 167 ZPO Rn. 7.

23 TP-Hüßtege, § 167 ZPO Rn. 7.

24 TP-Hüßtege, § 167 ZPO Rn. 10.

25 Vgl. BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15, juris Rn. 32.

26 TP-Hüßtege, § 167 ZPO Rn. 11; MüKo-Häublein/Müller, § 167 Rn. 10.

27 Vgl. für die demnächst erfolgte Zustellung nach zwei Jahren OLG Frankfurt 18.08.1987 – 3 UF 255/86, juris Rn. 36.

28 MüKo-ZPO-Häublein/Müller, § 167 ZPO Rn. 10.

29 Saenger-Siebert, § 167 ZPO Rn. 6.

30 So u.a. schon BAG 04.11.1969 – 1 AZR 141/69, juris Rn. 10 ff.; BAG 08.03.1976 – 5 AZR 361/75, juris Rn. 19 ff.

31 So u.a. schon BGH 11.10.1974 – V ZR 25/73, juris Rn. 15 ff.; BGH 21.10.1981 – VIII ZR 212/80, juris Rn. 14 ff.

32 Vgl. u.a. BAG 04.11.1969 – 1 AZR 141/69, juris Rn. 10 ff.; BGH 11.10.1974 – V ZR 25/73, juris Rn. 15 ff.; MüKo-ZPO-2008-Häublein, § 167 ZPO Rn. 3 ff.

33 Vgl. u.a. BAG 19.06.2007 – 1 AZR 541/06, juris Rn. 31; BAG 08.03.1976 – 5 AZR 361/75, juris Rn. 19 ff; BAG 04.11.1969 – 1 AZR 141/69, juris Rn. 10 ff.

34 Vgl. Ausführungen in BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15, juris Rn. 22; Ausnahmen wurden u.a. für die Frist des § 89b IV HGB gemacht, BGH 16.03.1970 – VIII ZR 125/68, juris Rn. 61.

35 BGH 17.07.2008 – I ZR 109/05, juris Rn. 23 ff.

36 BGH 17.07.2008 – I ZR 109/05, juris Rn. 26, allerdings hält der V. Zivilsenat daran fest, § 167 ZPO nicht auf die Anfechtungsfrist des § 121 BGB anzuwenden.

37 Vgl. BGH 17.07.2008 – I ZR 109/05, juris Rn. 25.

38 Nägele/Gertler, NZA 2010, 1377, 1378.

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3. Reaktion des BAG

Wegen der Rechtsprechungsänderung des BGH bezüglich einer wesentlichen Rechtsfrage musste auch das BAG seine bisherige Rechtsprechung überdenken. Daher schloss sich der achte Senat des BAG 2014 für die Wahrung der Frist des § 15 IV AGG der Auffassung des BGH an.39 Allerdings hat dieser Senat zwei Jahre zuvor und mithin bereits nach der Rechtsprechungsänderung des BGH in einem obiter dictum die gegenteilige Auffassung vertreten,40 weshalb die Entscheidung in der Literatur für Verwunderung gesorgt hat.41

Bisher hielt nur der achte Senat § 167 ZPO für grundsätzlich anwendbar. Der dritte Senat des BAG machte 2014 für die Rügefrist des § 16 BetrAVG von der Ausnahmemöglichkeit Gebrauch und hielt § 167 ZPO für nicht anwendbar.42 Hinzu kommt die Entscheidung des vierten Senats des BAG von 2016, in welcher dieser ausführlich die Rechtsprechungsänderung des BGH und mithin die grundsätzliche Anwendbarkeit auf einfache Ausschlussfristen in einem obiter dictum ablehnt.43 Allerdings unterließ der Senat trotz seiner ausführlichen Kritik an der Rechtsprechungsänderung die Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes gem. § 2 I iV.m. § 11 RsprEinhG oder den Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts gem. § 45 ArbGG.44

II. Anwendbarkeit auf einfache Ausschlussfristen

Einfache Ausschlussfristen sind grundsätzlich durch Geltendmachung des Anspruchs gegenüber der anderen Partei zu wahren.45 Es steht dem Gläubiger jedoch frei, direkt Klage zu erheben, obwohl nur die Geltendmachung gegenüber der anderen Partei gefordert wird. Solange die Erklärung innerhalb der Frist beim Gericht eingegangen und zusätzlich fristgerecht dem Empfänger zugegangen ist, ist eine gerichtliche Geltendmachung von einfachen Ausschlussfristen unproblematisch.46

Fraglich ist die Rechtslage, wenn die Erklärung dem Empfänger nach Ablauf der einfachen Ausschlussfrist zugestellt wird. Insofern wird darüber diskutiert, ob in diesen Fällen, in denen eine gerichtliche Geltendmachung nicht gefordert ist, die Rückwirkungsfiktion des § 167 ZPO dennoch anzuwenden ist.47 Zur Untersuchung dieser Frage wird zunächst § 167 ZPO nach den allgemeinen Grundsätzen ausgelegt. Anschließend werden weitere Argumente für und gegen eine Anwendung vorgetragen.

1. Auslegung des § 167 ZPO

a) Historische Auslegung des § 167 ZPO

aa) Situation vor der Regelung der Rückwirkungsfiktion

Bevor die Vorgängerregelungen des § 167 ZPO in das Gesetz aufgenommen wurden, oblag die Zustellung der Klageschrift den Parteien selbst. Sie konnten eigenständig über den Zeitpunkt der Zustellung bestimmen. Zwischen dem Erklärenden und dem Empfänger galt die grundsätzliche Risikoverteilung nach der Empfangstheorie.48 Demnach musste eine Willenserklärung für ihre Wirksamkeit dem Empfänger tatsächlich gem. § 130 I 1 BGB zugegangen sein.49 Auf rechtsgeschäftsähnliche Erklärungen wie die Geltendmachung eines Anspruchs wurden die Vorschriften über Willenserklärungen und mithin die Empfangstheorie entsprechend angewendet.50

Der Erklärende war allein dafür verantwortlich, dass seine Erklärung innerhalb der Frist beim Empfänger ankommt. Selbst bei Zuhilfenahme eines Dritten trug der Erklärende das alleinige Risiko einer verspäteten Übermittlung. Mit dem Zugang der Erklärung war die Frist gewahrt, auch wenn der Empfänger erst nach Ablauf der Frist Kenntnis von der Erklärung erlangt hat.51 Die grundsätzliche Risikoverteilung zwischen Erklärendem und Empfänger nach der Empfangstheorie besteht bei der Zustellung von Willenserklärungen bis heute.52

bb) Notwendigkeit einer Regelung

Im Jahr 1909 wurde der Amtsbetrieb im Gerichtsverfahren für die Amtsgerichte und 1950 für die Landgerichte eingeführt. Fortan wurden die Gerichte mit der Zustellung gerichtlicher Dokumente betraut. Bestimmte Dokumente mussten daher den Gerichten zur Weiterleitung an den Beklagten übermittelt werden. Die Parteien hatten es nicht länger selbst in der Hand, stets für eine fristgerechte Zustellung der Dokumente zu sorgen. Stattdessen konnten Verzögerungen im gerichtlichen Zustellungsprozess dazu führen, dass Dokumente erst nach Fristablauf zugestellt wurden.53

Damit wurde der grundsätzlichen Risikoverteilung bei der Zustellung von Erklärungen durch die Einführung des Amtsbetriebs die Grundlage entzogen. Der Erklärende verlor nach der Einreichung der Klageschrift bei Gericht die Herrschaft über die rechtzeitige Zustellung des Dokuments. Weil dem Erklärenden daher das Risiko der rechtzeitigen Zustellung nicht länger auferlegt werden konnte, sah sich der Gesetzgeber zum Handeln gezwungen. Daher wurden § 261b III ZPO a.F. für das amtsgerichtliche Zustellungsverfahren und eine entsprechende Regelung in § 496 III ZPO a.F. für das landgerichtliche Zustellungsverfahren geschaffen. Mit diesen Regelungen sollte der neuen Risikoverteilung


39 BAG 22.05.2014 – 8 AZR 662/13, juris Rn. 14.

40 BAG 21.06.2012 – 8 AZR 188/11, juris Rn. 27.

41 So u.a. Arnold, FD-ArbR 2014, 360672; Bauer, NJW 2014, 2893, 2896.

42 BAG 21.10.2014 – 3 AZR 937/12, juris Rn. 16 ff.

43 BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15, juris Rn. 13 ff.; vgl. BJS-Schwaiger, § 48 Rn. 23.

44 BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15, juris Rn. 45 ff.

45 Vgl. u.a. Preis/Roloff, RdA 2005, 144, 145.

46 MHdB ArbR-Band 1-Krause, § 71 Rn. 48.

47 Vgl. insb. BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15, juris Rn. 13 ff.; Nägele/Gertler, NZA 2010, 1377 ff.; Gehlhaar, NZA-RR 2011, 167 ff.

48 BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15, juris Rn. 28 f.

49 Wertenbruch, JuS 2020, 481.

50 Vgl. u.a. BAG 11.10.2000 – 5 AZR 313/99, juris Rn. 19.

51 Vgl. BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15, juris Rn. 28.

52 Wertenbruch, JuS 2020, 481.

53 Für eine ausführliche Darstellung der historischen Entwicklung vgl. BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15, juris Rn. 29 f.

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dadurch begegnet werden, dass die Zustellung auf den Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht zurückwirkt, sofern durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden soll und sie demnächst erfolgt.54 Hierdurch würde der Zeitraum für die Bearbeitung der Erklärung keine Nachteile für den Erklärenden nach sich ziehen. Das sollte für die Fälle gelten, in denen eine rechtzeitige Zustellung durch das Gericht zur Fristwahrung erforderlich sei, wie sich aus der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs zu § 261b III ZPO a.F. ergibt.55

Beide Regelungen wurden schlussendlich in § 270 III ZPO a.F. zusammengefasst, welcher 2002 in § 167 ZPO überging. Seitdem steht § 167 ZPO in seiner entsprechenden Form an dieser Stelle im Gesetz.56

Daher sprechen die Erwägungen des Gesetzgebers, § 167 ZPO zu erlassen, gegen eine grundsätzliche Anwendung von § 167 ZPO auf einfache Ausschlussfristen. Wie sich aus der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs ergibt, sollte § 261b III ZPO a.F. den Erklärenden vor Nachteilen bewahren, wenn eine rechtzeitige Zustellung durch das Gericht erforderlich sei. Bei einfachen Ausschlussfristen fehlt es an dieser Erforderlichkeit. Sie können durch ein einfaches Schreiben an den Schuldner gewahrt werden, weshalb in diesen Fällen kein besonderer Schutz notwendig ist.57

Aus den Erwägungen des historischen Gesetzgebers zum Erlass der Vorschrift ergeben sich zwei Schlussfolgerungen. Gegen eine grundsätzliche Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf einfache Ausschlussfristen spricht zunächst, dass die gerichtliche Zustellung in diesen Fällen nicht erforderlich ist, weshalb ein gesonderter Schutz vor Nachteilen nicht notwendig ist. Trotzdem ist es zulässig, einfache Ausschlussfristen durch eine gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs zu wahren. Der Erklärende wird auch in diesen Situationen mit den Nachteilen des gerichtlichen Zustellungsprozesses konfrontiert. Vor diesen Nachteilen wollte der Gesetzgeber den Erklärenden bewahren. Insofern besteht in diesen Fällen zumindest ein grundsätzliches Schutzbedürfnis des Erklärenden. Aus der historischen Auslegung kann mithin keine klare Aussage bezüglich der Zulässigkeit der Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf einfache Ausschlussfristen getroffen werden. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber mit § 261b III ZPO a.F. auf einen zwangsweise vorgeschriebenen gerichtlichen Zustellungsprozess reagiert hat, spricht jedoch tendenziell eher gegen eine grundsätzliche Anwendbarkeit von § 167 ZPO.

b) Auslegung des Wortlauts des § 167 ZPO

Im Rahmen der Auslegung des § 167 ZPO ist zudem dessen Wortlaut zu untersuchen.

Für eine grundsätzliche Anwendbarkeit von § 167 ZPO spricht, dass sich dem Wortlaut des § 167 ZPO nichts Gegenteiliges entnehmen lässt. Die Vorschrift selbst enthält keine Anhaltspunkte darüber, ob die zu wahrende Frist gerichtlich oder außergerichtlich geltend gemacht werden muss. Eine Person, die das Gesetz beim Wort nimmt, kann erwarten, dass die Zustellung durch die Vermittlung des Gerichts Rückwirkung entfaltet und nicht zwischen der Art der zu wahrenden Frist unterschieden wird.58

Diesen Erwägungen steht entgegen, dass § 167 ZPO erfordert, dass die Frist „durch die Zustellung“ gewahrt werden soll. Mit der Zustellung ist die prozessuale Zustellung im Sinne des § 166 I ZPO gemeint, die als Staatshoheitsakt von dem materiell-rechtlichen Zugang einer Willens- oder rechtsgeschäftlichen Erklärung zu unterscheiden ist. Die prozessual zuzustellende Urkunde enthält zwar auch die materiell-rechtlichen Erklärungen, diese sind aber regelmäßig nicht Gegenstand der Zustellung.59

Zudem besteht der Grund dafür, dass die Frist bei einfachen Ausschlussfristen gewahrt wird, darin, dass die Geltendmachung des Anspruchs als rechtsgeschäftsähnliche Erklärung dem Empfänger innerhalb der Frist gem. § 130 BGB zugeht. Dieser Zugang kann zwar bei Gelegenheit der prozessualen Zustellung erfolgen, aber nicht „durch“ diese. Demgegenüber besteht der Grund dafür, dass die Frist bei gerichtlich geltend zu machenden Ausschlussfristen gewahrt wird, in der fristgerechten Zustellung der Klage durch das Gericht an den Empfänger. Hier ist die Einschaltung eines Gerichts zwingend gefordert. Nur „durch die Zustellung“ gem. § 166 ZPO kann die Frist in diesen Fällen gewahrt werden.60

Daher besteht einerseits ein schützenswertes Vertrauen in den Wortlaut des Gesetzes, welches nicht zwischen der gerichtlichen und der außergerichtlichen Geltendmachung zur Wahrung der Fristen differenziert. Allerdings nimmt der Wortlaut eine ausdrückliche Differenzierung zwischen dem Zugang und der Zustellung vor, indem er sich für die Formulierung „durch die Zustellung“ entschieden hat. Nur, wenn die gerichtliche Geltendmachung ausdrücklich gefordert ist, wird eine Frist durch die Zustellung gewahrt. Wird jedoch im Rahmen einer einfachen Ausschlussfrist nur die Geltendmachung gegenüber der anderen Partei gefordert, gelten die grundsätzlichen Vorschriften über den Zugang von Willenserklärungen gem. § 130 BGB. Daher spricht in der Gesamtschau der Wortlaut gegen eine grundsätzliche Anwendbarkeit von § 167 ZPO.

c) Systematische Auslegung des § 167 ZPO

Im Übrigen kann die systematische Auslegung des § 167 ZPO Aufschluss darüber geben, ob die Vorschrift auf einfache Ausschlussfristen anwendbar ist.

aa) Vergleichbare Situation mit der Zustellung durch den Gerichtsvollzieher

Für eine Anwendbarkeit spricht, dass die Rückwirkungsfiktion des § 167 ZPO auf die Vermittlung durch den


54 BGH 08.11.1979 – VII ZR 86/79, juris Rn. 21.

55 Vgl. Verhandlungen des Reichstages 1908, Band 246 Aktenstück Nr. 735, S. 4568.

56 BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15, juris Rn. 29.

57 Vgl. BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15, juris Rn. 29; a.A. BGH 08.11.1979 – VII ZR 86/79, juris Rn. 21.

58 BGH 17.07.2008 – I ZR 109/05, juris Rn. 25; zustimmend, Nägele/Gertler, NZA 2010, 1377 ff.

59 BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15, juris Rn. 32.

60 Ebenda.

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Gerichtsvollzieher gem. § 132 I 2 BGB angewendet wird.61 Durch dessen Zustellung können Fristen gewahrt werden, die wie bei einfachen Ausschlussfristen nicht durch eine gerichtliche Geltendmachung gewahrt werden müssen, weshalb eine vergleichbare Situation vorliegt.62

(1) Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf § 132 I 2 BGB

Allerdings ist schon fraglich, ob § 167 ZPO auf die Zustellung durch den Gerichtsvollzieher gem. § 132 I 2 BGB angewendet werden kann.

Dafür spricht in erster Linie der Verweis des § 132 I 2 BGB auf die Vorschriften über die Zustellung nach der ZPO und damit auch auf § 167 ZPO.63 Außerdem besteht ein schützenswertes Vertrauen des Erklärenden darauf, dass seine Übergabe an den Gerichtsvollzieher die Frist wahrt. Wie bei der gerichtlichen Zustellung zur Wahrung einer Ausschlussfrist hat er nach der Übergabe keine Macht mehr darüber, dass die Zustellung der Dokumente fristwahrend erfolgt.64

Andererseits steht einer Anwendung von § 167 ZPO der Zweck des § 132 BGB entgegen. Die Rückwirkungsfiktion soll hauptsächlich eine Risikoentlastung des Erklärenden für die Fälle gewährleisten, in denen eine gerichtliche Zustellung erforderlich ist. Demgegenüber soll der Erklärende mit der Zustellung durch einen Gerichtsvollzieher nur eine effektive Möglichkeit zur Bekämpfung von Zugangsverhinderungen und Beweiserleichterung erhalten. Die Rückwirkungsfiktion des § 167 ZPO ist zu dieser Zweckerreichung nicht notwendig. Vielmehr tritt die Fiktion des rechtzeitigen Zugangs schon über die Regeln der Zugangsverhinderung ein.65 Daher bedarf es keiner Anwendung von § 167 ZPO auf die Zustellung durch den Gerichtsvollzieher.

(2) Trotzdem eine vergleichbare Situation?

Trotzdem wendet die Rechtsprechung § 167 ZPO auf die Zustellung nach § 132 BGB entsprechend an.66 Fraglich ist daher, ob die gerichtliche Zustellung der qualifizierten Ausschlussfristen mit der Zustellung durch den Gerichtsvollzieher gem. § 132 BGB vergleichbar ist.

Zunächst spricht für eine vergleichbare Situation von der Rückwirkung der Zustellung durch den Gerichtsvollzieher gem. § 132 I 2 BGB i.V.m. §§ 191, 192 II 1, 167 ZPO und der Rückwirkung der gerichtlichen Geltendmachung bei einfachen Ausschlussfristen, dass auch in diesen Fällen der Kläger darauf vertraut, dass seine Übergabe der Dokumente die Frist wahrt. Schließlich hat er in beiden Fällen nach der Übergabe keine Macht mehr über den Zustellungszeitpunkt.67

Gegen eine vergleichbare Situation spricht, dass § 191 ZPO eine Unterscheidung zwischen der vorgeschriebenen und der zugelassenen Parteizustellung vorsieht. Eine vorgeschriebene Zustellung durch einen Gerichtsvollzieher ist beispielsweise in § 929 II ZPO geregelt, wonach es zur Wahrung einer Vollziehungsfrist bei einer Unterlassungsverfügung der Zustellung durch einen Gerichtsvollzieher bedarf. In diesen Fällen ist der Kläger zur Inanspruchnahme eines Gerichtsvollziehers gezwungen. Ein derartiger Zwang liegt bei qualifizierten Ausschlussfristen vor, die eine gerichtliche Geltendmachung ausdrücklich erfordern. Bei einfachen Ausschlussfristen ist sie hingegen nur eine zugelassene Form der Geltendmachung. Im Grundsatz ist sie jedoch nicht erforderlich. Ein einfaches Schreiben genügt zur Geltendmachung.68

(3) Zwischenergebnis

Das Argument der vergleichbaren Situation zwischen der gerichtlichen Zustellung bei einfachen Ausschlussfristen und der Vermittlung durch den Gerichtsvollzieher ist nicht überzeugend. Es ist bereits fraglich, ob § 167 ZPO auf die Vermittlung durch den Gerichtsvollzieher anzuwenden ist. Ist das der Fall, liegt nur auf den ersten Blick eine vergleichbare Interessenlage vor. Bei genauer Betrachtung differenziert das Gesetz zwischen zugelassenen und vorgeschriebenen Formen der Zustellung. Bei einfachen Ausschlussfristen ist die gerichtliche Zustellung allerdings nur zulässig und nicht vorgeschrieben. Daher steht die Systematik in dieser Hinsicht einer generellen Anwendung ebenfalls entgegen.

bb) Einordnung in die Zivilprozessordnung

Im Rahmen der systematischen Auslegung des § 167 ZPO empfiehlt sich zudem eine Betrachtung der Einordnung der Vorschrift in die ZPO. § 167 ZPO ist im Buch 1 (Allgemeine Vorschriften), Titel 2 (Verfahren bei Zustellungen), Untertitel 1 (Zustellung von Amts wegen) geregelt.

Gegen eine grundsätzliche Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf einfache Ausschlussfristen spricht daher, dass sich ihr Anwendungsbereich ausdrücklich auf das Verfahren bei der Zustellung von Amts wegen bezieht. Sofern die Parteien wie bei qualifizierten Ausschlussfristen auf die Mitwirkung der Gerichte angewiesen sind, liegt eine Zustellung von Amts wegen vor. Ist die gerichtliche Geltendmachung jedoch nicht ausdrücklich erforderlich und eine Fristwahrung auch durch einen einfachen Brief zu erreichen, kann die Zustellung zwar durch das Gericht erfolgen, jedoch mangels Angewiesenheit auf die gerichtliche Mitwirkung nicht von Amts wegen. In diesen Fällen erfolgt zwar eine gerichtliche Zustellung, allerdings auf das Betreiben der hin, welche in §§ 191-195 ZPO geregelt ist.69

Dementsprechend spricht die vom Gesetzgeber gewählte Einordnung der Vorschrift in die ZPO gegen eine grundsätzliche Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf einfache Ausschlussfristen.


61 Vgl. BGH 17.07.2008 – I ZR 109/05, juris Rn. 24; BAG 22.05.2014 – 8 AZR 662/13, juris Rn. 15 ff.; Glatzel, NZA-RR 2014, 667, 668; a.A. BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15, juris Rn. 34 f.; Gehlhaar, NZA-RR 2011, 167, 172.

62 Vgl. BGH 17.07.2008 – I ZR 109/05, juris Rn. 24.

63 Vgl. Staudinger-Singer/Benedict, § 132 BGB Rn. 4.

64 Vgl. BGH 17.07.2008 – I ZR 109/05, juris Rn. 24.

65 So u.a. BeckOGK-BGB-Gomille, § 132 BGB Rn. 32.

66 BGH 17.07.2008 – I ZR 109/05, juris Rn. 24; BAG 22.05.2014 – 8 AZR 662/13, juris Rn. 15 ff.

67 Vgl. Moll-Boewer, § 48 Rn. 128.

68 Vgl. BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15, juris Rn. 34.

69 Köhler, EWiR 2014, 759, 760.

Homuth, Die Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf arbeits- und tarifvertragliche sowie gesetzliche Ausschlussfristen60

d) Teleologische Auslegung des § 167 ZPO

Der Zweck des § 167 ZPO wurde bereits im Rahmen der historischen Auslegung ausführlich beschrieben. Durch § 167 ZPO soll der Erklärende von dem Verzögerungsrisiko der gerichtlichen Zustellung in den Fällen befreit werden, in denen eine gerichtliche Zustellung erforderlich ist. Bei einfachen Ausschlussfristen fehlt es an dieser Erforderlichkeit.70 Daher spricht die teleologische Auslegung des § 167 ZPO eher gegen eine grundsätzliche Anwendbarkeit der Vorschrift auf einfache Ausschlussfristen.

e) Zwischenergebnis

Insgesamt steht die Auslegung des § 167 ZPO einer grundsätzlichen Anwendbarkeit auf einfache Ausschlussfristen entgegen. Während im Rahmen der Auslegung von Wortlaut, Historie und Zweck zwar gute Argumente für eine Anwendbarkeit sprechen, werden diese von stärkeren Gegenargumenten überlagert. Außerdem steht insbesondere die systematische Auslegung einer grundsätzlichen Anwendbarkeit entgegen.

2. Zweck der Ausschlussfristen

Zudem könnte der Zweck der Ausschlussfristen einer grundsätzlichen Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf einfache Ausschlussfristen zuwiderlaufen.

a) Rechtssicherheit und Rechtsfrieden

Durch die in der Regel kurz gehaltenen Fristen sollen die Parteien Rechtssicherheit erlangen. Zudem sorgen Ausschlussfristen dafür, dass durch das schnelle Verfallen offener Ansprüche Rechtsfrieden geschaffen wird. Der Schuldner soll durch die Ausschlussfristen in einer angemessenen Frist darauf hingewiesen werden, ob Ansprüche gegen ihn erhoben werden und um welche Ansprüche es sich handelt. Er soll daher darauf vertrauen dürfen, dass er nach dem Fristablauf keinen Ansprüchen mehr ausgesetzt wird.71

Von besonderer Bedeutung ist das Bedürfnis nach Rechtsfrieden und Rechtssicherheit im Arbeitsrecht, da die Einhaltung von Fristen gravierende Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis haben kann. Beide Parteien müssen daher regelmäßig mit Sicherheit feststellen können, ob Fristen gewahrt wurden oder nicht. Es ist dem Arbeitnehmer nicht zumutbar, auf den besonderen Schutz des Kündigungsschutzgesetzes zu verzichten, weil er sich wegen einer verzögert zugegangenen Kündigung innerhalb eines Schriftsatzes behandeln lassen müsste, als sei die Kündigung innerhalb der sechsmonatigen Frist zugegangen.72

b) Planungssicherheit

Gegen eine generelle Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf die erste Stufe zweistufiger Ausschlussfristen spricht zudem, dass die Parteien nach Ablauf der Ausschlussfrist grundsätzlich davon befreit werden, Rückstellungen zu bilden, Beweismittel zu sammeln und zu dokumentieren.73 Öffentliche Arbeitgeber sollen planmäßig notwendige Haushaltsmittel veranschlagen können.74 In diesen Fällen ist erneut der Informationszweck der ersten Stufe der Ausschlussfrist von Bedeutung. Wenn eine Partei keine Kenntnis von offenen Ansprüchen hat, kann sie keine weiteren Maßnahmen und Überprüfungen einleiten und der Informationszweck wäre bedeutungslos. Dem Zweck der ersten Stufe muss insofern dahingehend entsprochen werden, dass die andere Partei innerhalb der Frist Kenntnis von dem Anspruch erlangt, um Beweise zu sammeln und Kosten veranschlagen zu können.75

3. Klage als stärkste Form der Geltendmachung

Für eine grundsätzliche Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf einfache Ausschlussfristen könnte das schützenswerte Vertrauen sprechen, welches derjenige genießt, der zur Geltendmachung seiner Ansprüche die Klage als stärkste Form der Anspruchsgeltendmachung wählt. Insofern muss sich der Erklärende darauf verlassen können, dass die rechtzeitige Einreichung einer Klage die Frist wahren wird.76

Gegen derartige Erwägungen kann angeführt werden, dass es für die Wahrung materiell-rechtlicher Ausschlussfristen keines qualitativen Stufenverhältnisses bezüglich der verschiedenen Geltendmachungsmöglichkeiten bedarf. Das gilt insbesondere für Erklärungen, die für ihre Wirkung in einer bestimmten Frist ausgesprochen werden müssen, was bei einer fristlosen Kündigung gem. § 626 BGB deutlich wird. In diesem Fall ist die Kündigungserklärung innerhalb eines Schriftsatzes keine stärkere Form der Willensäußerung, das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der Kündigungsfrist zu beenden. Im Interesse beider Parteien muss die zweiwöchige Erklärungsfrist in Form eines Kündigungsschreibens tatsächlich gewahrt werden und eine rechtzeitige Einreichung der Klage reicht nicht aus.77

Außerdem kann argumentiert werden, dass man als Kläger die Konsequenzen und damit das Verspätungsrisiko bei der Zustellung hinzunehmen hat, sofern man sich direkt für die Klage als stärkste Form der Geltendmachung entscheidet. Wenn eine Klage nicht gefordert ist und dennoch ohne Not geklagt wird, versetzt sich der Kläger in eine Schwebelage und eine Situation der Ungewissheit, die er selbst geschaffen und daher auch hinzunehmen hat.78 Das Gericht agiert in diesen Situationen lediglich als Bote einer Nachricht, dessen Verzögerungen sich der Erklärende auch zurechnen lassen muss.79

In dieser Hinsicht sprechen gute Argumente für beide Seiten. Ein schützenswertes Vertrauen des Erklärenden in die fristwahrende Wirkung kann nicht abschließend widerlegt


70 BeckOGK-BGB-Gomille, § 132 BGB Rn. 32.

71 Hierzu ausführlich Weber, S. 16 ff.

72 BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15, juris Rn. 34.

73 Vgl. u.a. BAG 14.01.2009 – 5 AZR 154/08, juris Rn. 15.

74 BAG 18.11.2004 – 6 AZR 512/03, juris Rn. 16.

75 BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15, juris Rn. 42.

76 So schon BGH 08.11.1979 – VII ZR 86/79, juris Rn. 28; BGH 17.07.2008 – I ZR 109/05, juris Rn. 25.

77 BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15, juris Rn. 42.

78 Frank/Singbartl, EWiR 2016, 611, 612.

79 Vgl. Gehlhaar, NZA-RR 2011, 167, 172.

Homuth, Die Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf arbeits- und tarifvertragliche sowie gesetzliche Ausschlussfristen61

werden. Dennoch versetzt sich der Kläger selbst in eine Situation der Ungewissheit darüber, ob seine Klage rechtzeitig zugeht. Daher kann an dieser Stelle keine klare Aussage bezüglich der Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf einfache Ausschlussfristen getroffen werden, wenngleich tendenziell die Argumente gegen eine Anwendbarkeit überzeugender sind.

4. „Demnächst“-Rechtsprechung

Gegen eine grundsätzliche Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf einfache Ausschlussfristen könnte zudem die Rechtsprechung bezüglich des Tatbestandsmerkmals „demnächst“ in Verbindung mit der Entscheidung des Gesetzgebers für die Empfangstheorie sprechen.

Mit der Entscheidung für die Empfangstheorie hat sich der Gesetzgeber für eine grundsätzliche Risikoverteilung zwischen Erklärendem und Empfänger entschieden. Hierbei ist der Zugang der Willenserklärung gem. § 130 I 1 BGB von entscheidender Bedeutung, denn mit dem Zugang der Erklärung trägt der Erklärende nicht länger das Risiko einer verspäteten Kenntnisnahme. Auf rechtsgeschäftsähnliche Erklärungen wie die Geltendmachung von Ansprüchen zur Wahrung von Ausschlussfristen ist § 130 I 1 BGB analog anzuwenden.80

§ 167 ZPO ist eine Ausnahme von dieser Risikoverteilung, da der Erklärende nicht länger das Risiko für Verzögerungen im gerichtlichen Zustellungsprozess tragen muss. Dieser Ausnahmecharakter der Norm wird durch die Rechtsprechung bezüglich des Tatbestandsmerkmals „demnächst“ bestätigt. Sofern der Kläger die Verzögerung der Zustellung nicht hauptsächlich mitverursacht hat, wird auch eine gerichtliche Zustellung von mehr als zwei Jahren als „demnächst“ anerkannt. Daher ist für die Beurteilung, ob eine Zustellung fristgerecht erfolgt, nicht der verstrichene Zeitraum maßgeblich, sondern das Mitverschulden des Erklärenden an der verzögerten Zustellung.81

Damit unterstreicht die Rechtsprechung, dass Verspätungen im gerichtlichen Zustellungsprozess unabhängig von ihrer Dauer für den Erklärenden nicht nachteilig sein sollen. Sofern er auf ein Gericht angewiesen ist und alles für eine zeitnahe Zustellung getan hat, kann er das Risiko von Verspätungen nicht tragen, unabhängig von deren Länge. Insofern ist es unangemessen, einer Partei, die nicht auf die Mitwirkung eines Gerichts zur Wahrung einer Ausschlussfrist zurückgreifen muss und zur Fristwahrung auch nur einen Brief an die andere Partei schreiben kann, einen entsprechenden Schutz zu gewährleisten. Die Rechtsprechung zum Merkmal „demnächst“ und der Ausnahmecharakter des § 167 ZPO sprechen daher ebenfalls gegen eine grundsätzliche Anwendbarkeit auf einfache Ausschlussfristen.

5. Zwischenergebnis

In der Gesamtschau ist somit eine grundsätzliche Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf einfache Ausschlussfristen abzulehnen.

III. Anwendbarkeit auf qualifizierte Ausschlussfristen

Qualifizierte Ausschlussfristen erfordern von den Parteien die gerichtliche Geltendmachung ihrer Ansprüche. Sie sind die zweite Stufe der zweistufigen Ausschlussfristen oder können als einstufige Ausschlussfristen auftreten.82 In diesen Fällen, in denen die Gerichte ausdrücklich in den Zustellungsprozess involviert werden müssen, kommt es regelmäßig zu Verzögerungen im gerichtlichen Zustellungsverfahren. Mithin kommt die Frage einer Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf, um die Rückwirkungsfiktion auf den fristgerechten Eingang bei Gericht zu erreichen.

Qualifizierte gesetzliche und vertragliche Ausschlussfristen erfordern ausdrücklich die Erhebung einer Klage bei Gericht. Für eine Anwendbarkeit von § 167 ZPO spricht somit, dass es unangemessen wäre, Verzögerungen im gerichtlichen Bearbeitungs- und Zustellungsprozess dem Zustellenden anzulasten.83 Schließlich hat er keine andere Wahl, als Klage vor Gericht zu erheben und die Herrschaft über den Zustellungszeitpunkt aus der Hand zu geben. Außerdem handelt es sich in solchen Fällen um eine Zustellung, die von Amts wegen zu erfolgen hat,84 weshalb auch die Gesetzessystematik für eine Anwendbarkeit von § 167 ZPO spricht.

Sofern der Zustellende die Verzögerung nicht mitverschuldet hat, ist die Rückwirkungsfiktion des § 167 ZPO auf die qualifizierten vertraglichen Ausschlussfristen unstreitig anzuwenden.85 Entsprechendes gilt für qualifizierte gesetzliche Ausschlussfristen wie beispielsweise die gerichtliche Geltendmachung gem. § 61b I ArbGG für Ansprüche aus § 15 AGG86 und die Erhebung der Kündigungsschutzklage gem. § 4 S. 1 KSchG.87

IV. Besonderheiten gesetzlicher Ausschlussfristen

1. Anwendbarkeit auf § 2 S. 2 KSchG

§ 2 S. 2 KSchG fordert, dass ein Arbeitnehmer, der eine Änderungskündigung erhalten hat, innerhalb der Kündigungsfrist, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen, seinen Vorbehalt bezüglich der Wirksamkeit der Änderungskündigung gegenüber dem Arbeitgeber anzuzeigen hat, sofern er das Angebot nicht annimmt oder direkt ablehnt. Fraglich ist, ob § 167 ZPO auf diese einfache Ausschlussfrist angewendet werden kann.

aa) Bisheriger Umgang mit der Problematik

Ursprünglich wurde mangels Erforderlichkeit einer gerichtlichen Geltendmachung § 167 ZPO auf die gerichtliche Erklärung des Vorbehalts nicht angewendet.88 Wenn der Arbeitnehmer jedoch gleichzeitig hilfsweise zu der Vorbehaltserklärung eine Kündigungsschutzklage erhob, die


80 Vgl. u.a. BAG 11.10.2000 – 5 AZR 313/99, juris Rn. 19.

81 BAG 16.03.2016 – 4 AZR 421/15, juris Rn. 31.

82 SWK-Arbeitsrecht-Schönhöft, Ausschlussfristen Rn. 2.

83 MüKo-ZPO-Häublein/Müller, § 167 ZPO Rn. 1 f.

84 Vgl. BAG 13.11.2014 – 6 AZR 896/13, juris Rn. 46.

85 So auch MHdB ArbR-Band 1-Krause § 71 Rn. 50; Schaub-Ahrendt, § 36 Rn. 134.

86 Schaub-Ahrendt, § 36 Rn. 134.

87 Moll-Boewer, § 48 Rn. 112.

88 Vgl. u.a. BAG 17.06.1998 – 2 AZR 336/97, juris Rn. 16.

Homuth, Die Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf arbeits- und tarifvertragliche sowie gesetzliche Ausschlussfristen62

dem Arbeitgeber ebenfalls verfristet zuging, war sie wegen der Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf § 4 S. 1 KSchG nicht verfristet. Sofern die Änderungsschutzklage verspätet erklärt wurde, konnte der Arbeitnehmer diese auch in eine allgemeine Kündigungsschutzklage umwandeln.89

bb) Beurteilung nach der Rechtsprechungsänderung des BGH

Allerdings ist fraglich, ob vor dem Hintergrund der Rechtsprechungsänderung des BGH an dieser Rechtsprechung festgehalten werden kann.

Für eine Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf § 2 S. 2 KSchG spricht, dass hierdurch ein Gleichlauf der Fristen des § 4 S. 1 KSchG und des § 2 S. 2 KSchG geschaffen werden kann. Zwar soll die Frist des § 2 S. 2 KSchG dem Arbeitgeber in erster Linie schnell Klarheit über die weitere Zukunft des Arbeitnehmers verschaffen. Trotzdem würde die Rückwirkung nach § 167 ZPO diesem Zweck nicht widersprechen. Ein Gleichlauf der Fristen ist deshalb wünschenswert, weil der Arbeitgeber wegen häufig parallel erhobener Kündigungsschutzklagen den Arbeitnehmer bei erfolgreicher Kündigungsschutzklage ohnehin weiterbeschäftigen muss.90

Allerdings spricht der klare Wortlaut des § 2 S. 2 KSchG gegen den Wunsch und das Erfordernis eines solchen Gleichlaufs der Fristen. Während der Wunsch zwar nachvollziehbar ist und einige Vorteile zu bieten hätte, erfordert die Vorschrift ausdrücklich die Erklärung des Vorbehalts gegenüber dem Arbeitgeber. Daher kommt auch eine teleologische Reduktion des § 2 S. 2 KSchG nicht in Betracht.91

Gegen eine Anwendung von § 167 ZPO spricht zudem, dass für eine Rückwirkung nach § 167 ZPO die Geltendmachung eines Anspruchs in Form eines Klageantrags ergehen können muss. Zunächst ist zu beachten, dass nur Forderungen und die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechtsverhältnissen Gegenstand einer Klage sein können. Bei der Vorbehaltserklärung handelt es sich hingegen um die Übermittlung einer privatschriftlichen Erklärung. Genauer gesagt ist sie eine empfangsbedürftige Willenserklärung, welche den Abschluss eines Änderungsvertrags herbeiführen soll, sofern die soziale Rechtfertigung der Arbeitsbedingungen gerichtlich festgestellt wird.92

Obwohl diese Willenserklärung auch Bestandteil einer Klageschrift sein kann, ist sie strikt von dem Feststellungsbegehren zu unterscheiden und darf mit diesem nicht verwechselt werden. Zuvorderst soll festgestellt werden, dass die Arbeitsvertragsänderungen sozial ungerechtfertigt sind. Die Klage dient insofern nur dem „Transport“ der Erklärung, weshalb § 167 ZPO nicht anzuwenden ist, da die Arbeitsgerichte nicht für die fristgerechte Übermittlung privatschriftlicher Erklärungen verantwortlich sind.93

2. Fristen zur Geltendmachung der Ansprüche aus § 15 AGG

Fraglich ist weiterhin, ob § 167 ZPO auf § 15 IV AGG anzuwenden ist. Während die Anwendung auf die anschließende gerichtliche Geltendmachung gem. § 61b I ArbGG anerkannt ist,94 spalten sich die Meinungen bezüglich § 15 IV AGG.95 In diesem Fall gelten zunächst die bereits grundsätzlich gemachten Erwägungen für und gegen eine Anwendung von § 167 ZPO auf Ausschlussfristen.

Gegen eine Anwendung spricht zusätzlich, dass § 15 IV AGG den Arbeitgeber eigentlich zeitnah von seiner Dokumentationspflicht befreien soll.96 Allerdings hat der Arbeitnehmer weiterhin die Möglichkeit zur Geltendmachung anderer Ansprüche. Gem. § 15 V AGG werden Rechte aus anderen Vorschriften nicht von der Frist erfasst, weshalb grundsätzlich eine Dokumentation über die zweimonatige Frist hinaus erforderlich ist. Zudem läuft die Frist bei Bewerbungen erst zu dem Zeitpunkt an, in dem der Bewerber von der Benachteiligung erfährt.97

Außerdem spricht der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz für eine Anwendung von § 167 ZPO auf die Frist des § 15 IV AGG. Das AGG soll unter anderem die Richtlinie 2000/78/EG umsetzen, welche den Schutz vor Diskriminierungen am Arbeitsplatz bezweckt. Deshalb müssen die Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz bei der Auslegung von § 167 ZPO herangezogen werden, da die Vorschrift die Geltendmachung von Schadensersatzforderungen wegen Diskriminierungen am Arbeitsplatz direkt beschränkt. Insofern ist neben der bezweckten Rechtssicherheit der Schutz des Arbeitnehmers vor Diskriminierungen besonders zu berücksichtigen. Daher spricht die unionsrechtliche Betrachtung für eine Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf § 15 IV AGG.98

Zusätzlich zu den grundsätzlichen Erwägungen sprechen einige weitere Argumente für eine Anwendung von § 167 ZPO auf die Frist des § 15 IV AGG. Trotzdem ist auch die Frist des § 15 IV AGG als einfache Ausschlussfrist den grundsätzlichen Gegenargumenten ausgesetzt. Daher muss berücksichtigt werden, dass die erste Stufe hauptsächlich der Information des Arbeitgebers über offene Ansprüche dient. Die Klage hat in einem weiteren Schritt zu erfolgen. Damit kommt auch eine Anwendung von § 167 ZPO auf § 15 IV AGG eher nicht in Betracht, wenngleich eine Ausnahme diesbezüglich nachvollziehbar wäre.


89 Nägele/Gertler, NZA 2010, 1377, 1378.

90 Vom BAG selbst wurde die Schaffung eines Gleichlaufs der Fristen als „wünschenswert“ bezeichnet, BAG 17.06.1998 – 2 AZR 336/97, juris Rn. 16; vgl. zudem Nägele/Gertler, NZA 2010, 1377, 1378.

91 So das BAG im selben Urteil, in welchem es Gleichlauf als „wünschenswert“ bezeichnet hat, BAG 17.06.1998 – 2 AZR 336/97, juris Rn. 16; vgl. auch Gehlhaar, NZA-RR 2011, 167, 172.

92 Gehlhaar, NZA-RR 2011, 167, 172; i.E. auch SK-Koch, Änderungskündigung, II.

93 Gehlhaar, NZA-RR 2011, 167, 172.

94 U.a. Schaub-Ahrendt, § 36 Rn. 134.

95 Die Anwendbarkeit bejahend BAG 22.05.2014 – 8 AZR 662/13, juris Rn. 14; Nägele/Gertler, NZA 2010, 1377, 1379; a.A. Gehlhaar, NZA-RR 2011, 167, 174; Köhler, EWiR 2014, 759, 760.

96 Vgl. BT-Drs. 16/1780 S. 38.

97 Vgl. BAG 22.05.2014 – 8 AZR 662/13, juris Rn. 14.

98 Vgl. Nebe, RdA 2015, 353, 356.

Homuth, Die Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf arbeits- und tarifvertragliche sowie gesetzliche Ausschlussfristen63

D. Untersuchungsergebnis und Ausblick

Eine einfache Antwort auf die Frage, inwiefern § 167 ZPO auf arbeits- und tarifvertragliche sowie gesetzliche Ausschlussfristen anzuwenden ist, ist zusammenfassend nicht möglich. Vielmehr ist eine differenzierte Betrachtung notwendig.

Sofern es sich um eine qualifizierte Ausschlussfrist handelt, die eine Mitwirkung der Gerichte zwingend erfordert, ist die Rückwirkungsfiktion des § 167 ZPO nahezu uneingeschränkt anzuwenden. Insofern besteht auch eine grundsätzliche Einigkeit in Rechtsprechung und Literatur.

Derartig leicht fällt die Beantwortung der Frage nach der Anwendbarkeit von § 167 ZPO auf einfache Ausschlussfristen nicht, welche die Geltendmachung gegenüber der anderen Partei erfordern. Hier stehen sich im Wesentlichen zwei Positionen gegenüber. Einerseits vertreten der BGH und der achte Senat des BAG seit der Rechtsprechungsänderung des BGH die Ansicht, dass § 167 ZPO grundsätzlich auf einfache Ausschlussfristen anzuwenden ist. Andererseits beharren der dritte und der vierte Senat des BAG auf der ursprünglichen Rechtsprechung, wonach § 167 ZPO nicht auf einfache Ausschlussfristen anwendbar ist. Während beide Senate in den jeweiligen Urteilen von der Ausnahmemöglichkeit des neuen Regel-Ausnahme-Verhältnisses Gebrauch gemacht haben, hat der vierte Senat zusätzlich in einem sehr ausführlichen obiter dictum der Rechtsprechungsänderung des BGH widersprochen.

Insgesamt ist der ursprünglichen Rechtsprechung des BAG zu folgen. Das alte Regel-Ausnahme-Verhältnis entsprach dem Willen des Gesetzgebers und hat die Interessen aller Parteien in einen angemessenen Ausgleich gebracht. Der Schuldner muss nach Ablauf der Frist nicht länger mit der Geltendmachung eines Anspruchs rechnen. Der Gläubiger bedarf hingegen keines zusätzlichen Schutzes, sofern ihm auch das Schreiben eines einfaches Briefs als Mittel zur sicheren und fristgerechten Geltendmachung zur Verfügung steht.

Das neue Regel-Ausnahme-Verhältnis des BGH, wonach § 167 ZPO grundsätzlich anwendbar ist, aber der Zweck der Regelung einer Anwendung von § 167 ZPO entgegenstehen kann, besteht zum jetzigen Zeitpunkt ohnehin nur theoretisch. Da das BAG für § 16 BetrAVG und insbesondere tarifvertragliche Ausschlussfristen von der Ausnahmemöglichkeit Gebrauch gemacht hat, wird § 167 ZPO auf die Vielzahl aller Ausschlussfristen nicht angewendet. Wegen der Ähnlichkeit zu arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen ist es vermutlich nur noch eine Frage der Zeit, bis das BAG für diese eine entsprechende Anwendbarkeit ebenfalls ablehnt. Daher besteht zwar theoretisch das neue Regel-Ausnahme-Verhältnis, praktisch ist die Nichtanwendbarkeit von § 167 ZPO inzwischen wieder die Regel.

Außerdem ist es interessant, dass sich zwei der obersten Gerichtshöfe Deutschlands mit einem Rechtsinstitut auseinandersetzen, welches in erster Linie der Rechtssicherheit dient, während sie selbst die Unsicherheit bezüglich dieser Thematik herbeigeführt haben. Zwar begründen alle urteilenden Senate stets sehr ausführlich, weshalb eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder an den Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts entbehrlich ist. Trotzdem widersprechen sich zwei der obersten Gerichtshöfe des Bundes und die Senate eines dieser Gerichte grundsätzlich bezüglich einer wesentlichen zivilrechtlichen Rechtsfrage. Für den Rechtsanwender bleibt unklar, wie die Gerichte im Hinblick auf die übrigen Ausschlussfristen entscheiden werden. Mit einer Vorlage durch das BAG hätte diese Unsicherheit vermieden und abschließend Klarheit geschaffen werden können.

Zum jetzigen Zeitpunkt bleibt dem Rechtsanwender daher keine andere Wahl, als einfache Ausschlussfristen immer auch durch ein separates Schreiben an den Beklagten zu wahren. Schließlich steht die Rechtsprechungsänderung des BGH vor einer unklaren Zukunft. Es wird interessant zu sehen sein, wie der BGH und die anderen Senate des BAG auf das Urteil des vierten Senats reagieren und für andere Ausschlussfristen entscheiden werden. Auf lange Sicht werden die Gerichte eine einheitliche Rechtsprechung nach einem der Regel-Ausnahme-Verhältnisse etablieren müssen. Nach den Erwägungen dieser Untersuchung kommt hierfür nur das ursprüngliche Regel-Ausnahme-Verhältnis in Betracht und damit die grundsätzliche Nichtanwendbarkeit der Rückwirkungsfiktion des § 167 ZPO auf einfache Ausschlussfristen.

Insofern gilt, was schon Gorbatschow (vermeintlich) einst sagte: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“