Angriff auf den Rechtsstaat?

Dr. Jonas Hennig, M.M.*

Wenn Polizei und Staatsanwaltschaft unter politischen Druck geraten – Fallanalyse eines Freispruchs im Hamburger Silvester-Verfahren

Dieses Editorial soll anhand einer Fall- und Prozessanalyse aus Sicht der Strafverteidigung aufzeigen, dass der Rechtsstaat äußerst fragil ist und insbesondere von innen heraus gefährdet sein kann, wenn Staatsanwaltschaft und Polizei unter politischen Druck geraten. Erschreckende Folge einer derartigen Drucksituation ist nicht nur mangelnde Objektivität und Einseitigkeit, sondern auch manipulatives und suggestives Vorgehen seitens der Ermittlungsbehörden. Bei einer solchen Kumulation von Missständen kann nur engagierte Strafverteidigung und ein objektives sowie weisungsfreies Gericht Fairness und Objektivität zurück ins Verfahren bringen.

A. Ausgangslage und Diskussion

In der Silvesternacht 2015/16 kam es – dies ist insoweit unstreitig – zu einem bisher nicht bekannten und erschreckendem Massenphänomen in zahlreichen Großstädten Deutschlands. Insbesondere in Köln und Hamburg versammelte sich eine Vielzahl von Männern aus dem arabischen Raum, wobei es zu zahlreichen sexuell konnotierten Übergriffen auf Frauen kam. Niemand hatte das vorhergesehen und die Polizei war weitestgehend unvorbereitet. Die großen Menschenmengen erschwerten ein schnelles Durchgreifen und auch die spätere Aufklärungsarbeit.

Es schloss sich eine gesellschaftliche und rechtspolitische Diskussion an, die leider weniger in den Blick zu nehmen vermochte, wie künftig generalpräventiv derartige Erscheinungsformen von Kriminalität verhindert werden können. Vielmehr wurde ohne kriminologisch-empirische Basis, wie so oft in jüngster Zeit, das Strafrecht als Heilmittel von Parteien jeder Couleur bemüht. Nicht nur Stammtische, sondern auch die Politik waren schnell bemüht neue Straftatbestände zu fordern und für höhere Strafen einzutreten.

Verkannt wurde dabei, dass mit der Realisierung derartiger Vorhaben weder ein Beitrag zur Verhinderung noch ein Versatzstück zur besseren Aufklärung bei derartigen Phänomenen geleistet würde. Die Ermittlungsbehörden seiner Zeit hatten sich mit den bestehenden Strafrechtsnormen zu arrangieren und standen dabei – insoweit noch verständlich – unter enormen politischen Druck. Colorandi causa sei bemerkt, dass auch nach damaliger Gesetzesfassung selbstverständlich sexuelle Handlungen gegen den Willen des Opfers unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage unter Strafe standen.

Es ist also festzuhalten, dass das materielle Strafrecht auch vor der Reform des Sexualstrafrechts1 keine Lücken offenbarte und die in Rede stehenden Vorwürfe strafrechtlich erfasst waren.

Die entscheidende Frage ist vielmehr, ob die Strafverfolgungsbehörden sich seinerzeit so sehr haben unter Druck setzen lassen, dass das Interesse daran, irgendwelche Täter zu präsentieren – notfalls auch die falschen – das Interesse an objektiver und strafprozessual konformer Ermittlungsarbeit überwog.

Die nachstehende Fallanalyse lässt die Befürchtung besorgen, dass die Hamburger Staatsanwaltschaft und auch die Polizei Objektivität und das Gewicht der Unschuldsvermutung nicht (mehr) zum Postulat ihrer Arbeit machten, sondern dem politischen Druck zu Lasten von Unschuldigen erlegen waren.

B. Fallanalyse

Das hier zu besprechende Strafverfahren beginnt im Januar 2016 mit der Strafanzeige der in diesem Verfahren einzigen Belastungszeugin. Sie ist – dies dürfte auch nach Durchführung der späteren Hauptverhandlung unstreitig sein – in der Silvesternacht 2015 auf 2016 Opfer eines sexuell motivierten Übergriffs durch verschiedene, dem äußeren Erscheinungsbild nach dem arabischen Raum


* Der Autor ist Strafverteidiger und Fachanwalt für Strafrecht sowie Gründungspartner der Kanzlei Dr. Hennig \& Thum, die bundesweit schwerpunktmäßig im Strafrecht von den Standorten Hamburg, Lüneburg, Kiel agiert. Er ist ferner Lehrbeauftragter der Leuphana Universität Lüneburg für Straf- und Strafprozessrecht sowie Dozent beim juristischen Repetitorium Alpmann und Schmidt Hamburg/Kiel für Straf- und Strafprozessrecht.
1 Instruktiv und m.w.N. hierzu Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 177 Rn. 1 b ff.

Hennig, Angriff auf den Rechtsstaat2

Tätern geworden. In der Menschenmenge auf der großen Freiheit in Hamburg vor einem Club soll sie von mehreren Männern gezielt angefasst worden sein und sich aufgrund des Gedränges nicht haben entfernen können. Der Vorfall habe mehrere Minuten angedauert; ihr Mobiltelefon sei ebenfalls abhandengekommen. Weder soll im konkreten Fall die Tragik der äußerst unangenehmen Situation für die Geschädigte heruntergespielt werden, noch ist es zu verharmlosen, dass sehr viele Frauen in der Silvesternacht auf der großen Freiheit ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

C. Strafanzeige und Einleitung des Verfahrens – Versagen der Polizei

Einige Tage nach der Silvesternacht erstattete sie Anzeige bei der Polizei Hamburg. Zunächst gab sie am Telefon eine Täterbeschreibung ab.

Bemerkenswert ist, dass sich ein Fotograf im Zuge der medialen Berichterstattung bei der Polizei Hamburg meldete. Er hatte von einem Balkon aus mit Sicht auf die Große Freiheit Übersichtsaufnahmen in der Tatnacht gefertigt. Der spätere Zeuge bekundete, er habe eine Vielzahl von Bedrängnissituationen wahrgenommen; er konnte aber weder im Ermittlungsverfahren noch in der späteren Hauptverhandlung konkrete Täterbeschreibungen oder Tatsituationen schildern. Die von ihm gefertigten Übersichtsaufnahmen stellte er der Polizei zur Verfügung.

Während die Zeugin im Rahmen der Strafanzeige, also ihrer ersten Vernehmung, von sich aus eine Täterbeschreibung abgab, wurde ihr bei der zweiten Vernehmung bei der Polizei vor Ort, der mittlerweile die Übersichtsaufnahmen vorlagen, diese Gelegenheit nicht gegeben. Entgegen jeder aussagepsychologischen Lehre und entgegen der anerkannten Grundsätze der Vernehmung von Zeugen wurde sie vielmehr unmittelbar mit den Übersichtsaufnahmen konfrontiert. Zunächst sollte sich die Zeugin selbst auf den Übersichtsaufnahmen finden, was auch geschah. Daraufhin wurde sie unvermittelt aufgefordert, die Täter zu zeigen – ohne allerdings die Möglichkeit zuzulassen, dass auf den Bildern überhaupt nicht die Tatsituation abgebildet war. Wäre zu diesem Zeitpunkt, also vor Konfrontation mit den Übersichtsaufnahmen, nochmals nach dem Tatort gefragt worden, hätte das Verfahren möglicherweise zu diesem Zeitpunkt schon eine ganz andere Wendung genommen. Wie sich leider erst viel später herausstellte, zeigten die Übersichtsaufnahmen nämlich insoweit eine Situation, die sowohl örtlich als auch zeitlich gerade nicht das Tatgeschehen abbildete.

Wie die spätere Hauptverhandlung ergab, lieferten die Übersichtsaufnahmen für meinen Mandanten vielmehr einen wichtigen Entlastungsbeweis. Die vernehmende Polizeibeamtin hat allerdings bar jeder Grundlage unterstellt, auf den Bildern sei die Tatsituation abgebildet und dies der Zeugin als feststehende Wahrheit suggeriert.

Unter diesem suggestiven Einfluss fiel es der nachvollziehbar durch die Situation belasteten Zeugin leicht, nun alle umstehenden Personen als Täter zu klassifizieren. Weder vor noch während der Ansehung der Übersichtsaufnahmen hatte sie die Gelegenheit, die Tatsituation örtlich aus ihrer Erinnerung heraus zu schildern.

D. Die Rolle der Staatsanwaltschaft Hamburg

Basierend auf dieser Aussage ermittelte die Polizei die umstehenden Personen und legte die Akte der Staatsanwaltschaft zur weiteren Entscheidung vor.

Die Staatsanwaltschaft als sogenannte „Herrin“ des Ermittlungsverfahrens2, die stets objektiv die Ermittlungen zu führen hat3 und dabei auch verpflichtet ist, das Zustandekommen einer Aussage kritisch zu hinterfragen und zu würdigen, war offensichtlich derart über den vermeintlichen Ermittlungserfolg erfreut, dass sie ihrer im Gesetz postulierten Objektivitätsfunktion4 nun nicht mehr nachzukommen vermochte. Vielmehr beantragte sie beim zuständigen Amtsgericht Hamburg Haftbefehl wegen Sexualdelikten und eines Raubes, wobei es für den Raub, also die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache mit Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, weder nach der Zeugenaussage noch nach anderen Beweismitteln irgendeine Grundlage gab. Es lässt sich feststellen, dass die erste juristische Kontrollinstanz Staatsanwaltschaft versagt hatte und die massiven Suggestionen und die miserable Ermittlungsarbeit der Polizei nicht zum Anlass nahm, die voreiligen Ermittlungsergebnisse zu hinterfragen.

E. Die Rolle des Amtsgerichts Hamburg

Nun ließe sich vermuten, dass für solche Fälle, in denen die Staatanwaltschaft ihrer – als Anklagebehörde naturgemäß nur schwer einzuhaltenden – Objektivitätsverpflichtung nicht nachkommt, dem nun im gerichtlichen Verfahren Einhalt geboten werde. Anders als die durch das Justizministerium weisungsgebundene Staatsanwaltschaft, hatte sich jetzt das weisungsfreie Amtsgericht Hamburg mit dem Antrag auf Erlass des Haftbefehls zu beschäftigen. Im März 2016 folgte die Festnahme aufgrund des vom Amtsgericht Hamburg in Gemäßheit der staatsanwaltschaftlichen Forderung erlassenen Haftbefehls. Eine weitere Begründung des Amtsgerichts oder eine wünschenswerte kritische Auseinandersetzung mit den bisherigen Ermittlungsergebnissen erfolgte nicht. Vielmehr wurde sogar der Raub, für den es nach Aktenlage keinerlei Anhaltspunkte gab, in den Haftbefehl übernommen. Das Gericht behauptete bar jeder Grundlage einen dringenden Tatverdacht.

Glücklicherweise sieht das Gesetz bei Untersuchungshaft nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO zwingend eine anwaltliche Vertretung des Beschuldigten vor. In dieser Situation meldete sich für meinen Mandanten, der zu diesem Zeitpunkt


2 Der Staatsanwaltschaft steht die Anklagebefugnis zu, §§ 152 Abs. 1, 170 StPO. Sie kann unter den Voraussetzungen der §§ 153 ff. und nach § 170 Abs. 2 StPO das Verfahren einstellen. Zur Erforschung des Sachverhalts kann sie sich der Polizei bedienen, vgl. insb. §§ 160 Abs. 1, 163 Abs. 1 und 2 StPO.

3 Die Staatsanwaltschaft ist gemäß § 160 Abs. 2 StPO dazu verpflichtet, belastende und entlastende Umstände zu ermitteln.

4 Der BGH spricht von der Staatsanwaltschaft als einem zur Objektivität verpflichteten Rechtspflegeorgan (BGH, NStZ 2008, 231).

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noch Heranwachsender war, eine engagierte Person aus der Flüchtlingshilfe, die meinen Mandanten aus seiner Flüchtlingsunterkunft gut kannte, bei unserer Kanzlei. Das zunächst eher als pro bono-Mandat geführte Verfahren wurde durch mich übernommen und ich besuchte einen jungen, völlig verschüchterten Mann in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg. Er hatte die Tatvorwürfe bereits vehement bestritten und versicherte auch mir seine Unschuld.

Für mich als rechtsstaatlichen Vertreter, aber auch zugleich einseitigen Interessenvertreter von Beschuldigtenrechten – nur so kann ein Strafverteidiger einen effektiven Ausgleich zur Machtüberlegenheit der Strafverfolgungsbehörden bieten und somit seiner gesetzgeberischen Funktion gerecht werden5 – kam es weniger auf die Versicherung, sondern vielmehr auf die Aktenlage an. Nach dieser ließ sich ohne weiteres feststellen, dass es zunächst für die Annahme eines mittäterschaftlichen Raubes keinerlei Anhaltspunkte gab und auch die Täterbeschreibung der Belastungszeugin nicht zu meinem Mandanten passte. Lediglich die durch massive Suggestion zustande gekommene Behauptung anhand der Übersichtsaufnahmen hatte das Amtsgericht veranlasst, den Haftbefehl zu erlassen.

F. Der Rechtsstaat kehrt zurück

Glücklicherweise wurde bereits Anfang April Anklage erhoben, sodass die von mir sodann umgehend beantragte Haftprüfung beim später zuständigen Gericht, nämlich dem Landgericht Hamburg, stattfand. Der Haftprüfungstermin unter Leitung der Vorsitzenden Richterin Meier-Göhring gab nun für mich die Gelegenheit, die Aufhebung des Haftbefehls zu beantragen. In meinem Antrag wies ich auf die vorgenannten Mängel der Ermittlungsarbeit, aber auch auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Nullhypothese6, zur Aussagepsychologie7 und die sogenannten Realkennzeichen8 hin und erläuterte die aktenkundige, massive Suggestion der Polizei gegenüber der Belastungszeugin.

Die Kammer hatte von sich aus erkannt, dass die bisherigen Ermittlungen einseitig und nur bruchstückhaft erfolgt waren und sich auf diese nicht die Annahme eines dringenden Tatverdachts für einen Raub stützen ließ. Sie erkannte ferner, dass auch ein dringender Tatverdacht für ein Sexualdelikt bezogen auf meinen Mandanten (aber auch alle übrigen Beschuldigten) erheblichen Zweifeln begegnete. Das Landgericht verfügte daher Nachermittlungen, die im Ermittlungsverfahren längst hätten vorgenommen werden müssen.

Aufgrund der nur bruchstückhaften und teilweise widersprüchlichen Täterbeschreibung der Zeugin drängte sich nämlich die Vorlage einer Wahllichtbildmappe auf. Bei einer sogenannten Wahllichtbildvorlage9 geht es um die Frage der Wiedererkennung durch die Belastungszeugin. Ihr werden Lichtbilder verschiedener Personen vorgelegt, wobei eine der Personen der mutmaßliche Täter ist und die anderen Personen nachweislich mit dem Tatvorwurf nichts zu tun haben. Wichtig ist freilich, dass die dort abgebildeten Personen eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen, um es der Zeugin nicht zu leicht zu machen und eine echte Wiedererkennung zu gewährleisten. Eine solche Wahllichtbildvorlage wurde sodann im Zuge der Nachvernehmungen der einzigen Belastungszeugin vorgelegt. Bemerkenswert war, dass die Zeugin nicht nur keinen der Beschuldigten wieder erkannte, sondern auch einige explizit ausschloss. Spätestens jetzt sollte für alle Verfahrensbeteiligten ersichtlich gewesen sein, dass die Annahmen der Polizei, der Staatsanwaltschaft und des Amtsgerichts Hamburg nicht aufrecht zu erhalten waren und ein dringender Tatverdacht fern lag.

Dies zugrunde gelegt wurde der verfahrensgegenständliche Haftbefehl durch die Kammer auf meinen Antrag hin aufgehoben und ich konnte meinen Mandanten, der nachvollziehbar sehr erleichtert über diese rechtstaatliche Wendung des Verfahrens war, aus der Untersuchungshaft abholen und zu seiner Flüchtlingsunterkunft begleiten. Lediglich am Rande sei bemerkt, dass dieser heimatlose Flüchtling abgesehen von der Hilfe unserer Kanzlei kaum Unterstützung bekam, seine Unterkunft wieder aufzusuchen.


5 Zur Rolle der Strafverteidigung als einseitige Interessenvertretung und entscheidenden Faktor für ein faires Verfahren sowie zur Funktion durch Strafverteidigung einen Ausgleich für das bestehende Machtgefälle zwischen Strafverfolgung und Angeklagten zu schaffen siehe statt vieler: Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 8. Aufl., Rn. 23 ff.

6 Bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer belastenden Aussage ist bei einer „Aussage gegen Aussage-Situation“ nach der Rechtsprechung des BGH von der Null­hypothese auszuge­hen (BGHSt 45, 164, 168; Könken in Deckers/Könken, die Erhebung von Zeugenaussagen im Strafprozess 2007, 1, 3f.) Das methodische Grundprinzip besteht darin, einen zu überprüfenden Sach­verhalt – hier also die Glaubhaftigkeit einer spezifischen Aus­sage – solange zu ne­gieren, bis die Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Zur Prüfung der Annahme, die Aussage sei unwahr, sind weitere Hypothesen zu bilden. Erst wenn die Unwahrheitshypothese mit den erhobenen Fakten nicht mehr in Übereinstimmung stehen kann, so wird sie verworfen und es gilt die Alternativhy­pothese, nach der es sich dann um eine wahre Aussage han­delt (BGH, Urteil vom 30.07.1999 – AZ: 1 StR 618/98, NStZ 2000, 100). In dubio pro reo ist also zunächst von der Unglaubhaftigkeit der Belastungsaussage auszugehen.

7 Die Rechtsprechung stellt wegen der reduzierten Verteidigungsmöglichkeiten er­höhte Anforderungen an die Beweiswürdigung in Konstellationen, in denen „Aus­sage gegen Aussage“ steht und zu entscheiden ist, welcher der wi­derstreitenden Angaben – derjenigen des Beschuldigten oder der einzigen Belas­tungszeugen für die jeweilige Tat (BGHSt 44, 153, 158 ff.; BGH NStZ-RR 2010, 317; OLG Koblenz, NStZ-RR, 2005, 79, 80.) – das Gericht folgt (BeckOK, StPO, Eschelbach, § 261 Rn. 55; Meyer, NStZ 2005, 246 f.). Dann darf das Gericht den Bekundungen einer Auskunftsperson, die quasi eine Parteirolle einnimmt (Wille, Aussage gegen Aussage in sexuellen Missbrauchsverfahren 2012, 48 f.) nicht schon deshalb, weil sie ggfs. Opfer der Tat ist, entscheidend höheres Gewicht bei­messen, als den Angaben des Angeklagten (BGH NStZ 2004, 635, 636). Diese Grundsätze gelten auch im Ermittlungsverfahren und sind demnach für die staatsanwaltliche Abschlussentscheidung gleichermaßen maßgeblich. Erforderlich ist daher nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine sorg­fältige Aussageinhaltsanalyse sowie eine genaue Untersuchung der Entstehungsge­schichte der Aussage (BGH NStZ 2010, 228; Deckers, FS Eisenberg 2009, 473, 484, 485.), Bewertung der Aussagemotive sowie Prüfung von Kon­stanz (BGH, Urteil vom 25.01.2011 – 5 StR 418/10; Beschluss vom 30.08.2012 – 5 StR 394/12; Schmand, StraFo 2010, 446, 447) und Detailliertheit und eine Überprüfung der Plausibilität der Angaben (BGH NStZ 2009, 107, 108).

8 Diese dienen der Überprüfung der Glaubhaftigkeit einer Aussage. Eingehend dazu Köhnken, MAH Strafverteidigung, 2. Aufl. 2014, Rn. 95 ff.

9 Zum Beweiswert bei Wahllichtbildvorlagen vgl. OLG Düsseldorf, StV 2007, 347, 348.

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G. Beschwerde der Staatsanwaltschaft

Unter Verkennung der Argumente der Verteidigung und der Kammer des Landgerichts fertigte die Staatsanwaltschaft Hamburg sodann eine ausführliche Beschwerdeschrift gegen die Aufhebung der verfahrensgegenständlichen Haftbefehle. Dabei stützte die Staatsanwaltschaft ihre Argumentation auf die Angaben der Zeugin zu den Übersichtsaufnahmen sowie das von der Zeugin geschilderte „arabische Aussehen“ der Täter. Widersprüche zwischen dem tatsächlichen Erscheinungsbild und der Aussage der Zeugin über die Täterbeschreibung, das Nichtwiedererkennen auf der Wahllichtbildvorlage, aber auch die massiven Suggestionen durch die Polizei bei der Befragung im Kontext der Übersichtsaufnahmen wurden gar nicht erwähnt oder aber als unbeachtlich abgetan.

Spätestens jetzt legte ich meiner Arbeit die Prämisse zugrunde, dass die Staatsanwaltschaft hier keine objektive Führung des Ermittlungsverfahrens gewillt zu leisten war, sondern irgendeine Person in Haft bringen und als Täter der nach Strafe fordernden Öffentlichkeit präsentieren wollte. Den Erfolg dieser Beschwerde hielt ich zum damaligen Zeitpunkt – diese Naivität war für mich und meine künftige Arbeit als Strafverteidiger prägend – für ausgeschlossen.

H. Die Rolle des Oberlandesgerichts Hamburg

Umso entsetzter war ich, dass Mitte Juli das Oberlandesgericht Hamburg der staatsanwaltlichen Beschwerde zum Erfolg verhalf und die Haftbefehle wieder in Kraft setzte. Diese naturgemäß rein auf der Aktenlage beruhende Entscheidung war für mich, spätere Prozessbeobachter aber auch andere Verfahrensbeteiligte der Justiz, in Gänze nicht nachvollziehbar.

Einzig positiver Aspekt dieser oberlandesgerichtlichen Entscheidung war, dass auch das Oberlandesgericht erkannte, dass es keinerlei Grundlage für die Annahme eines Raubes gab. Gleichwohl wurde entgegen aller vorgenannten Bedenken und entgegen der plausiblen und gut nachvollziehbaren Argumentation der landgerichtlichen Kammer, die die Haftbefehle aufgehoben hatte, der staatsanwaltschaftlichen Beschwerde zum Erfolg verholfen.

So einseitig wie sich die Argumentation hinsichtlich der Schuldfrage bzw. des dringenden Tatverdachts in der oberlandesgerichtlichen Entscheidung wiederspiegelte, so grotesk muteten auch die Ausführungen zur Fluchtgefahr, die bei meinem Mandanten bejaht wurde, an. Fluchtgefahr liegt vor, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher macht, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde.10 Eine hohe Straferwartung bildet zwar den Ausgangspunkt der Erwägungen zur Fluchtgefahr, darf allerdings nicht alleiniger Umstand zur Begründung dieser sein.11 Das Oberlandesgericht kam in Bezug auf meinen Mandanten sowohl hinsichtlich einer potenziellen Strafe als auch bei der Würdigung der sonstigen Umstände, die eine Fluchtgefahr begründen könnten, zu Ergebnissen, die sich meines Erachtens der Nachvollziehbarkeit der allgemeinen Rechtspraxis in Deutschland entziehen.

Um dies zu illustrieren, sei zunächst der von der Staatsanwaltschaft sowie dem Oberlandesgericht fehlerhaft angenommene dringende Tatverdacht für den in Rede stehenden sexuellen Übergriff und das Ausnutzen der schutzlosen Lage als wahr unterstellt. Welche Strafe hat ein Heranwachsender, der nicht vorbestraft ist, zu erwarten, wenn er aus einer Menge heraus eine Frau sexuell belästigt, indem er sie mit anderen aufgrund eines gemeinsamen Tatplans sexuell konnotiert oberhalb der Kleidung anfasst und dabei die Bedrängnissituation bewusst ausnutzt?

Der Tatvorwurf bewegt sich im unteren Bereich der Deliktsschwelle und erheblich strafmildernd wäre die bisherige Straffreiheit meines Mandanten zu berücksichtigen gewesen. Hinzu käme sein junges Alter, insbesondere sein Heranwachsenden-Status. Wie auch das Landgericht später ausführte, ist in solchen Fällen allenfalls eine bewährungsfähige Haftstrafe von unter zwei Jahren zu erwarten, wobei man aufgrund der geringen Intensität des in Rede stehenden Übergriffs im Vergleich zu anderen Tatbildern dieses Delikts, aber auch aufgrund der Kurzzeitigkeit des Geschehens, sicherlich eine Strafe weit unter der Zweijahresgrenze (bei einer Haftstrafe über zwei Jahre ist eine Bewährung nicht möglich) zu erwarten gewesen wäre.

All das soll die Vorwürfe keineswegs verharmlosen, aber es darf hier nicht der Blick dafür verloren gehen, dass nach allgemeiner Rechtspraxis bei einem derartigen Vorwurf für einen nicht vorbestraften Heranwachsenden schlicht nicht mit einer nicht mehr bewährungsfähigen Strafe zu rechnen ist. Das Oberlandesgericht Hamburg hat indes ohne weitere Begründung für den in Rede stehenden Tatvorwurf auch in Bezug auf meinen Mandanten proklamiert, im Falle der Verurteilung sei eine mehrjährige Haftstrafe zu erwarten.

Aber auch wenn man dies entgegen aller üblichen Rechtspraxis unterstellt, stellt sich die Frage, welche weiteren Umstände zur Begründung der Fluchtgefahr herangezogen werden konnten. Dabei ist zu beachten, dass mein Mandant in den zurückliegenden Monaten in Freiheit nach der ersten Haft wusste, dass trotz Aufhebung des Haftbefehls ein Verfahren vor dem Landgericht Hamburg auf ihn zukommen wird. Nach seiner Entlassung hat er sich wieder in seine Flüchtlingsunterkunft begeben und war dort ohne jeden Fluchtversuch zuverlässig aufhältig; es gab keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass er sich dem Verfahren nicht zur Verfügung stellen werde. Insbesondere war ihm daran gelegen, eine Abschiebung in sein Heimatland zu verhindern.

Warum das Oberlandesgericht trotz dieses wenig intrikaten Sachverhalts zur Annahme einer Fluchtgefahr gelangt ist, bleibt nicht nur für den Unterzeichner, sondern auch für die landgerichtliche Kammer, die den Haftbefehl zuvor sowohl mangels dringenden Tatverdachts als auch mangels substantiierter Grundlage einer Fluchtgefahr aufhob, unerfindlich.

Da nun mit der oberlandesgerichtlichen Fehlentscheidung ein Vorgehen gegen den Haftbefehl nicht mehr erfolgsver-


10 Vgl. statt vieler BGH NJW 2014, 2372.

11 Vgl. statt vieler OLG Hamburg StV 2002, 490.

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sprechend war, musste die Hauptverhandlung und der damit verbundene Kampf für einen Freispruch abgewartet werden. Der zu diesem Zeitpunkt stark verunsicherte Mandant befand sich nun wieder in Haft, sodass nichts anderes übrig blieb als auf eine möglichst schnelle Hauptverhandlung zu drängen.

I. Erneute Rückkehr des Rechtstaats

Im Rahmen der medial mit größter Aufmerksamkeit verfolgten Hauptverhandlung vor der landgerichtlichen Kammer stellte sich schnell heraus, dass alle Angeklagten unschuldig waren und ein Tatnachweis prima vista nicht geführt werden konnte. Zunächst konnte die Belastungszeugin keinen der Angeklagten identifizieren und schloss diese zum Teil sogar explizit als Täter aus.

Erstmalig hatte die Zeugin nun frei und in aller Ruhe die Möglichkeit zu schildern, wann und wo die Übergriffe stattgefunden haben. Auch die Staatsanwaltschaft konnte nun nicht mehr wegschauen, als allen Verfahrensbeteiligten gewahr wurde, dass die Übergriffe vor der Lokalität „Superfly“ stattgefunden haben; mein Mandant sich allerdings – nachgewiesen durch die Übersichtsaufnahmen – zum Zeitpunkt der Übergriffe vor der Lokalität „Halo“ befand. Die von der Zeugin aufgrund der suggestiven Beeinflussung durch die Polizei anhand der Übersichtsaufnahmen als vermeintliche Täter identifizierten Personen konnten diese überhaupt nicht sein, da sie sich, wie der Entlastungsbeweis der Übersichtsaufnahmen nun zeigte, an anderen Orten befanden. Die vermeintlichen Täter befanden sich also zum Tatzeitpunkt gar nicht am Tatort.

Auch konnte durch Befragung der Verteidigung nochmals in der Hauptverhandlung herausgearbeitet werden, was schon aktenkundig war: nämlich, dass die ursprünglich von der Zeugin abgegebene Täterbeschreibung überhaupt nicht zu den Angeklagten passte. Man hatte seitens der Ermittlungsbehörden verkannt, dass allein das arabische Aussehen – in der Silvesternacht waren auf der Großen Freiheit überwiegend arabisch aussehende Männer – gerade nicht zur Identifizierung ausreichen kann und es sehr viel differenziertere Beschreibungen der Zeugin gab, die dann aber nicht zu den Angeklagten passten.

Es rächte sich die Ignoranz der Ermittlungsbehörden insbesondere hinsichtlich der Ersttäterbeschreibung („Bärtige Männer mit buschigen Augenbrauen“), die die Zeugin in der Hauptverhandlung wiederholte. Auf keinen Angeklagten traf diese Beschreibung zu. Weder in der Tatnacht, noch zu einem späteren Zeitpunkt.

Ferner zeigte sich, dass die Angeklagten zum Teil aus unterschiedlichen Herkunftsländern kamen, unterschiedliche Sprachen sprachen und sich nachweislich nicht kannten. Vor diesem Hintergrund war auch die Annahme eines gemeinsamen Tatplans in kürzester Zeit in sich zusammengefallen. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass alle Angeklagten die Tat von Beginn an bestritten hatten.

Die Wochenzeitschrift „Die Zeit“ hat das Verfahren und den Prozess von Beginn an begleitet und dokumentiert. Dort wird die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden trefflich beschrieben:

„Unbegreifliche Kette von Fehlleistungen von Polizei und Staatsanwaltschaft“.

Als passender Mosaikstein in dieses Gesamtbild fügen sich auch die Ausführungen einer vernommenen Polizeibeamtin aus der Hauptverhandlung ein. Es konnte durch die Verteidigung herausgearbeitet werden, dass sie mit verbotenen Vernehmungsmethoden im Sinne des § 136a StPO bei einer der Beschuldigtenvernehmungen gearbeitet hatte. Sie hatte gegenüber dem Beschuldigten behauptet, er sei anhand der Übersichtsaufnahmen bereits überführt, wobei, wie sich aus den bisherigen Ausführungen ergibt, diese bei richtiger Würdigung gerade den entscheidenden Entlastungsbeweis darboten. Von einem Einsehen oder gar einer Entschuldigung war von Seiten der Beamtin im Rahmen der Hauptverhandlung bedauerlicherweise nichts zu hören.

Auch die Staatsanwaltschaft fühlte sich nicht veranlasst, die Zügellosigkeit der polizeilichen Ermittlungsarbeit, derer die Staatsanwaltschaft hätte Einhalt gebieten müssen, selbstkritisch zu reflektieren.

Nachdem nun aber alle Verfahrensbeteiligten im Rahmen der Hauptverhandlung erkannten, dass eine Verurteilung ausgeschlossen war, gab die Verteidigung der Staatsanwaltschaft die Gelegenheit, selbst die Aufhebung des Haftbefehls zu beantragen, was diese sodann auch tat. Noch vor dem letzten Hauptverhandlungstag wurde der Haftbefehl aufgehoben. Es folgte am 01.11.2016 der Freispruch des Landgerichts Hamburg für alle Angeklagten, der rechtskräftig wurde und auch von der Staatsanwaltschaft so beantragt war.

Obwohl die Staatsanwaltschaft immerhin die Aufhebung des Haftbefehls beantragte und für einen Freispruch plädierte, kann von Seiten der Verteidigung nicht konstatiert werden, dass bei der Staatsanwaltschaft mit diesem Anträgen ein Einsehen in die eigene Fehlerkette erfolgt wäre. Vielmehr erschöpfte sich das Plädoyer der Staatsanwältin in einer Rechtfertigung für die über das gesamte Verfahren hin geäußerten Fehlannahmen – durch schlichtes Verlesen der oberlandesgerichtlichen Haftentscheidung. Das auch eine oberlandesgerichtliche Fehlentscheidung nicht in der Lage ist, die manipulative, einseitige und suggestive Vorgehensweise der Polizei, die Unschuldige für mehrere Monate in Haft gebracht hat, zu heilen, sah die Staatsanwaltschaft nicht.

Wie weit sich die Staatsanwaltschaft in diesem Verfahren vom Objektivitätsgebot entfernt hatte, wurde auch in der mündlichen Urteilsbegründung der Kammer deutlich. Ich habe in meiner Laufbahn als Strafverteidiger noch nie erlebt, dass sich eine Vorsitzende oder ein Vorsitzender für das Verfahren bei den Angeklagten entschuldigte. So geschah es aber – und dies meines Erachtens zu Recht. Die Vorsitzende Richterin entschuldigte sich im Namen der Justiz bei allen Angeklagten dafür, was man mit ihnen gemacht hatte.

Traurige Randnotiz ist, dass die Entschädigung für die zu


Hennig, Angriff auf den Rechtsstaat6

Unrecht erlittene Untersuchungshaft bei meinem Mandanten über 10 Monate auf sich warten ließ. Ein Umstand für den das Landgericht, das hier gemeinsam mit der Verteidigung den Rechtsstaat zurück ins Verfahren gebracht hat, nicht verantwortlich ist.

J. Welche Lehren können aus dem Verfahren gezogen werden?

Wichtigste Kernerkenntnis dürfte sein, dass ein rechtstaatliches und faires sowie objektives Verfahren, wie es die Strafprozessordnung für jeden Beschuldigten zwingend vorsieht, nur sichergestellt ist durch engagierte und effektive Verteidigung und durch ein objektives unvoreingenommenes Gericht. Diesem Postulat der StPO ist die Kammer des Landgerichts Hamburg in diesem Verfahren gerecht geworden; nach unserer Auffassung aber weder das Amtsgericht im Ermittlungsverfahren noch das Oberlandesgericht Hamburg im Beschwerdeverfahren.

Dieses Verfahren zeigt zweitens eindrücklich die Fragilität des Rechtstaats. Der Rechtstaat ist ein normativ manifestiertes Denkgebilde, das aber im Strafprozess erst durch Menschen, nämlich durch die Verfahrensbeteiligten, zum Leben erweckt wird. Sperren sich die Verfahrensbeteiligten, wie hier die Staatsanwaltschaft, gegen das Objektivitätsgebot, so ist der Rechtstaat gefährdet. Im Rahmen der heutigen rechtpolitischen Diskussion, in der immer mehr die Bedrohung des Rechtstaats von außen, etwa durch Terrorgefahren, forciert wird, gilt es für Strafverteidiger, Gerichte aber auch die Staatsanwaltschaft zu erkennen, dass eine Gefährdung von innen, nämlich durch einseitige, zügellose und rechtswidrige Polizeiarbeit aber auch durch die Verletzung des Objektivitätsgebots der Staatsanwaltschaft, droht.

Das dritte Anliegen dieses Editorials ist es, vor politischem Druck auf die Justiz zu warnen. Dieser hat ganz offensichtlich erschreckende Auswirkungen auf die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft. Im Kleinen ist dies in dem hier vorgestellten Fall zu erkennen; im Großen illustriert beispielsweise ein Blick in die Türkei wie gefährlich politische Einflussnahme auf die Justiz sein kann.

Wenn dieser politische Druck zu derartigen Fehlleistungen wie in diesem Silvesterverfahren führt, ist dies zum einen für den Rechtsstaat, zum anderen vor allem für zu Unrecht Beschuldigte, aber nicht zuletzt auch für die Opfer von Straftaten, verheerend. Im hiesigen Verfahren ist nämlich dem Opferschutz durch die Polizeiarbeit gerade nicht geholfen. Hätte man die Ermittlung von vornherein offen und objektiv geführt, wären die Chancen zur Ergreifung der richtigen Täter, die nunmehr ausgeschlossen erscheint, deutlich größer gewesen.

Der gesetzgeberische Wille, nach der die Staatsanwaltschaft „Herrin“ des Ermittlungsverfahrens ist und die Polizei bei den Ermittlungen zu kontrollieren und zu leiten hat, ist ein zartes Pflänzchen, das nur zur Blüte gelangt, wenn die verantwortlichen Personen diesen Auftrag ernst nehmen. Ignoranz gegenüber Suggestionen und Manipulationen, Ignoranz gegenüber Täterbeschreibungen und Abweichungen, Ignoranz gegenüber Rechtsprechungsvorgaben zur Aussagepsychologie und Entlastungsbeweisen ist mit dem Postulat der Objektivität unvereinbar.

Dieser Beitrag soll alle Juristen und künftigen Juristen der Justiz zur Objektivität, Rechtstaatlichkeit und Fairness im Verfahren motivieren und ein Gefühl dafür vermitteln, wie schnell diese Grundsätze zur leeren Hülse werden, wenn sie durch die tatsächlichen Akteure missachtet werden. Er soll Strafverteidiger und künftige Strafverteidiger zur engagierten Durchsetzung von Beschuldigtenrechten auch gegen die Justiz motivieren.

Nicht zuletzt darf dieses Editorial als Hoffnungsschimmer gewertet werden, denn immerhin endete dieses Verfahren zu Recht mit einem Freispruch; dies zum einen aufgrund engagierter Verteidigung – aber auch aufgrund der zutreffenden Wertungen der Kammer des Landgerichts Hamburg.