Abstimmungen mit den Füßen, Dezentralisierung und wirtschaftliche Entwicklung

Ilja Somin*

A. Einführung

Debatten über ökonomische Entwicklung konzentrieren sich zumeist auf die Frage, wie in einer bestimmten Region neuer Reichtum geschaffen werden kann, der den Wohlstand dort erhöht, wo sich die Menschen heute befinden. Aber historisch gesehen wurde die Entwicklung oft durch die Fähigkeit der Menschen angetrieben, sich mit den Füßen selbst für grünere Weiden zu entscheiden – und dorthin zu gehen, wo sie mehr Wachstum produzieren können. In vielen Fällen ist der beste Weg, neue wirtschaftliche Entwicklungen durch die Ermöglichung einer Abstimmung mit den Füßen zu erleichtern, indem politische Macht dezentralisiert und Mobilitätshindernisse abgebaut werden.

Wenn die Menschen in der Lage sind, mit den Füßen für Gebiete mit größeren Möglichkeiten zu stimmen, folgt die Entwicklung. Das gilt sowohl, wenn sie in einem föderalen System interne Fußwahlen durchführen, als auch, wenn sie dies über internationale Grenzen hinweg tun. Die Auswirkungen beider Arten von Abstimmung mit den Füßen sind oft spektakulär. Der Harvard-Volkswirt und ehemalige Finanzminister Larry Summers sagt dazu: „Ich glaube nicht, dass es ein wichtigeres Entwicklungsproblem gibt, als Fragen der Migration richtig zu stellen.1

Dieser Artikel diskutiert die Auswirkungen der Abstimmung mit den Füßen auf die Entwicklung und skizziert verschiedene institutionelle Strategien zur Erweiterung der Möglichkeiten der Abstimmung mit den Füßen. Er gibt einen allgemeinen Überblick über einige Themen, die in meinem Buch Free to Move: Foot Voting and Political Freedom2 vertieft werden.

Teil I fasst die enormen Entwicklungsvorteile der Abstimmung mit den Füßen zusammen. Migration kann u.a. die effektive Ausbeutung von Wanderungsprämien ermöglichen – Situationen, in denen ein bestimmtes Individuum an einem Standort produktiver sein dürfte als an einem anderen.3 Die Höhe der dieser Prämien ist oft enorm groß. Ihre effektive Nutzung kann mehr zur Förderung der Entwicklung beitragen als die meisten, wenn nicht sogar alle anderen politischen Reformen. Dies gilt sowohl für internationale als auch für inländische Prämien als Folge der freien Ortswahl.

Teil II erklärt, wie Abstimmungen mit den Füßen einen mächtigen Mechanismus der politischen Freiheit bieten können: Sie ermöglichen es Migranten, jene politische Strategie zu wählen, die ihren Bedürfnissen am besten entspricht. In einigen entscheidenden Punkten ist die Abstimmung mit den Füßen der herkömmlichen Stimmabgabe bei politischen Wahlen überlegen. Im Vergleich zu den Wählern an den Wahlurnen haben Fußwähler stärkere Anreize, relevante Informationen zu suchen und effektiv zu nutzen. Sie profitieren auch auf andere Weise von der Fähigkeit, eine Entscheidung über die politische Richtung zu treffen, unter der sie leben wollen, im Gegensatz zu einem System, in dem sie nur eine von vielen Tausenden oder Millionen Stimmen abgeben können. In autoritären Gesellschaften oder schlecht etablierten Demokratien kann die Abstimmung mit den Füßen für den Großteil der Bevölkerung der einzig realisierbare Mechanismus der politischen Wahl sein. Die überlegene Entscheidungsfindung, die durch eine Abstimmung mit den Füßen ermöglicht wird, erhöht die Fähigkeit der Menschen, Chancen zu suchen und die ökonomische Entwicklung zu fördern.

Teil III befasst sich mit den institutionellen Implikationen von Abstimmungen mit den Füßen. Im Inland können durch die Dezentralisierung der politischen Macht und den Abbau von Hindernissen für die interjurisdiktionale Mobilität die Wahlmöglichkeiten erweitert werden. Besondere Maßnahmen können erforderlich sein, um die Abstimmung mit den Füßen in föderalen Systemen zu erleichtern, in denen tiefe ethnische oder religiöse Spaltungen bestehen. Auf internationaler Ebene können die Möglichkeiten der Abstimmung mit den Füßen durch den Abbau von Einwanderungshindernissen und die Entwicklung institutioneller Mechanismen zur Bewältigung potenzieller negativer Nebenwirkungen der Freizügigkeit verbessert werden.

Die Abstimmung mit den Füßen ist kein Allheilmittel für alle Entwicklungsprobleme, und es ist sicherlich kein perfektes kostenfreies Geschenk ohne Nachteile. Aber wir sollten uns trotzdem bemühen, ihre wirklich enormen Vorteile zu nutzen. Es ist schwierig, sich eine andere Entwicklungsinitiative vorzustellen, die so vielen Menschen einen so großen Nutzen bringen kann.


* Professor of Law, George Mason University. Teile dieses Artikels beziehen sich auf mein Buch FREE TO MOVE: FOOT VOTING AND POLITICAL FREEDOM. Für hilfreiche Anregungen danke ich Michael Clemens, Richard Epstein, Bradley Gardner, Roderick Hills, Alex Nowrasteh und den Teilnehmern einer Konferenz der Hong Kong University über Dezentralisierung und Entwicklung. Urheberrecht © 2018 by Ilya Somin. Aus dem Englischen übersetzt von Ben Fuhrmann, Student der Bucerius Law School, Hamburg.

1 L. H. Summers, Rethinking Global Development Policy for the 21st Century, Rede am Ctr. for Glob. Dev. (8. November 2017).

2 (Oxford Univ. Press in Kürze) [nachstehend Somin, Free To Move].

3 Siehe allgemein Clemens et al., The Place Premium: Wage Differences for Identical Workers Across the US Border 1 (Ctr. for Glob. Dev., Working Paper No. 148, 2009) (Diskussion über die Wanderungsprämien, die sich Einwanderer aus verschiedenen Ländern durch den Umzug in die Vereinigten Staaten gesichert haben).

Somin, Abstimmungen mit den Füßen8

I. Wanderungsprämien und die Entwicklungsvorteile der Abstimmung mit den Füßen

Eine der wichtigsten Erkenntnisse der modernen Entwicklungsökonomie ist, dass Menschen oft produktiver sind, wenn sie an einen neuen Standort umziehen – auch wenn sich ihre persönlichen Eigenschaften und beruflichen Fähigkeiten nicht ändern.4 Dies kann geschehen, weil ein Standort mehr Kapital zur Verfügung hat, die mit der aufgewandten Arbeit kombiniert werden kann. Ein Fabrikarbeiter zum Beispiel könnte in eine Region ziehen, in der seine Arbeit produktiver ist, weil es dort mehr und bessere Produktionsanlagen gibt, die er nutzen kann. Alternativ kann der Migrant in einer neuen Region produktiver sein, weil er einen natürlichen Vorteil hat. Zum Beispiel wird ein Landwirt in einem Gebiet, in dem der Boden reicher ist, wahrscheinlich wertvollere Ernten produzieren.

Ein noch wichtigerer Grund für die Platzierungsprämien ist jedoch, dass einige Gebiete über bessere wirtschaftliche und politische Institutionen verfügen als andere. Zum Beispiel kann ein Mexikaner seine Produktivität um ein Vielfaches steigern, indem er einfach in die Vereinigten Staaten einwandert.5 Der Hauptunterschied zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko ist nicht das Bestehen von mehr natürliche Ressourcen oder sogar mehr physischem Kapital, sondern überlegene rechtliche, politische und wirtschaftliche Institutionen.6

Wanderungsprämien entstehen auch durch interne Migration. Die Abwanderung der Afroamerikaner vom Süden der USA in den Norden ermöglichte es vielen, ihr Einkommen zu erhöhen, indem sie produktiver wurden.7 Ein Teil des Unterschieds war auf die größere Verfügbarkeit von Industriekapital in den nördlichen Bundesstaaten zurückzuführen, aber auch auf eine größere Freiheit für Schwarze in Bundesstaaten, in denen ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten durch Diskriminierung und rechtlich erzwungene Segregation weniger eingeschränkt waren.8

Heute erschweren größer werdende Barrieren für die interjurisdiktionale Mobilität das Wirtschaftswachstum in den Vereinigten Staaten erheblich, sie drücken das Einkommen der Armen künstlich nach unten.9

In armen Ländern wird die ökonomische Entwicklung oft zu einem großen Teil durch die Abwanderung der Landbevölkerung in die Städte getrieben, in denen es größere Beschäftigungsmöglichkeiten gibt. In China – dem dramatischsten aktuellen Beispiel des beschriebenen Phänomens – wanderten zwischen 1978 und 2012 etwa 260 Millionen Menschen, meist aus wirtschaftlichen Gründen, aus ländlichen in städtische Gebiete ab.10 Ein Großteil der Migrationsströme geht in Sonderwirtschaftszonen mit besseren Institutionen.11 Diese massive Migration war ein wichtiger Faktor für die rasante wirtschaftliche Entwicklung des Landes und machte zwischen 20-23 Prozent des sehr hohen Wirtschaftswachstums aus, das China von Ende der 1970er Jahre bis heute erlebt hat.12

Die Bedeutung der Wanderungsgewinne wird dadurch unterstrichen, dass das Ziel wirtschaftlicher Entwicklung nicht darin besteht, die Produktion an einem bestimmten Standort zu steigern, sondern das Wohlergehen der Menschen insgesamt zu steigern, unabhängig davon, wo sie sich befinden. Wie die Ökonomen Michael Clemens und Lant Pritchett es formulierten, sollten wir versuchen, das „Einkommen pro natürlicher [Person]“ statt des Pro-Kopf-Einkommens an einem bestimmten Standort zu maximieren.13 Selbst wenn das Pro-Kopf-Einkommen im Gebiet des Landes X oder der Region Y gleich bleibt, hat dennoch eine positive Entwicklung stattgefunden , wenn ein erheblicher Teil der Bevölkerung von X oder Y in der Lage ist, an einen anderen Ort zu ziehen, wo die Menschen produktiver sein, höhere Einkommen erzielen und dadurch ihr Wohlergehen steigern können.14

Eine größere Entwicklung kann durch die Erweiterung der Möglichkeiten für die Menschen, mit den Füßen zu wählen und Wanderungsgewinne besser zu nutzen, angeregt werden. Ökonomen schätzen, dass die Einführung freier Migration weltweit bis zu einer Verdoppelung des Welt-BIP führen könnte.15 Auch wenn diese Schätzung zu optimistisch ausfällt, impliziert sie doch, dass sich der Abbau von Migrationsbeschränkungen enorm auf die Entwicklung auswirken würde.16 Es ist schwer vorstellbar, dass eine andere politische Richtungsänderung auch nur annähernd vergleichbare Gewinne erzielen kann. Auch lediglich


4 Siehe id. bei 33-34 (Überprüfung der Nachweise).

5 Siehe Id. bei 41 Tab. 8 (Überprüfung der Daten).

6 Siehe allgemein Acemoglu/Robinson, Why Nations Fail: The Origins Of Power, Prosperity, And Poverty, 2013, (über die Bedeutung von Institutionen für die Entwicklung).

7 Für eine Diskussion einiger der relevanten Nachweise siehe beispielsweise Henri, Black Migration 1975, 133; Somin, Foot Voting, Federalism, and Political Freedom, in: Nomos: Federalism And Subsidiarity 83 (Jacob Levy & James Fleming eds., 2014) (im Folgenden Somin, Foot Voting).

8 Zitate zu relevanter Literatur siehe Somin, Foot Voting, oben Anmerkung 7.

9 Für einen guten Überblick über die Themen siehe Schleicher, Getting People Where the Jobs Are, DEMOCRACY, Herbst 2016, abrufbar unter: http://democracyjournal.org/ magazine/42/getting-people-where the-jobs-are; und Schleicher, Stuck! The Law and the Economics of Residential Stability, 127 Yale Law Journal (2017), 78, (im Folgenden Schleicher, Stuck!).

10 Siehe Gardner, China’s Great Migration: How The Poor Built A Prosperous Nation 5, 2017; vgl. Hu, China’s Young Rural-to-Urban Migrants: In Search of Fortune, Happiness, and Independence, Migration Policy Institute, 04.11.12, abrufbar unter: http://www.migrationpolicy.org/article/ chinas-young-rural-urban-migrants-search-fortune-happiness-and -Unabhängigkeit (Schätzung von insgesamt 145 Millionen Land-Stadt-Binnen-Migranten ab 2009).

11 Siehe Gries et al., Explaining Interprovincial Migration in China, 95 Papers in Regional Science (2016), 709, 713.

12 Gardner, oben Anmerkung 10, bei 72.

13 Clemens/Pritchett, Income Per Natural: Measuring Development for People Rather than Places, 34 Population & Development Review (2008), 395, 396.

14 Id.

15 Siehe Clemens, Economics and Emigration: Trillion-Dollar Bills Left on the Sidewalk?, 25 Journal of Economic Perspectives (2011), 83, 83.

16 Zu den Behauptungen, dass Migrationsbeschränkungen die Produktivität nicht wesentlich beeinträchtigen, da nur wenige zusätzliche Personen migrieren würden, wenn sie beseitigt würden, siehe BORJAS, Immigration Economics (2014), 168. Für eine Kritik der schwerwiegenden analytischen und empirischen Fehler in Borjas‘ Argumentation siehe Clemens/Pritchett, The New Economic Case for Migration Restrictions: An Assessment 12-13 (Ctr. for Glob. Dev., Working Paper. No. 423, 2016), https://www.cgdev.org/sites/default/files/CGD-Working-Paper-423 -Clemens-Pritchett-New-Econ-Case-Migration_0.pdf.

Somin, Abstimmungen mit den Füßen9

bescheidene Liberalisierungen von Migrationsrechten könnten zu einer starken Beschleunigung der Entwicklung führen.

Hindernisse für eine freie Binnenmigration blockieren auch in vielen Ländern, sowohl in den ärmeren als auch in den fortgeschritteneren Ländern, weitere Entwicklungsmöglichkeiten. In China zum Beispiel werden viele Millionen Menschen durch das Hukou-System der Aufenthaltsgenehmigungen, das nur graduell reformiert wird, daran gehindert, attraktive Beschäftigungsmöglichkeiten zu finden.17 In den Vereinigten Staaten wird die arme und untere Mittelschicht oft durch restriktive Berufsregulierungen, die Neuankömmlinge von zahlreichen Berufen ausschließen, daran gehindert.18

Die Auswirkungen von Bebauungsplänen sind gravierend, weil sie arme und kleinbürgerliche Migranten besonders betrifft. 19 Eine aktuelle Studie legt nahe, dass, wenn die Regulierungsdichte der Bebauungsplanung in den Vereinigten Staaten auf das der medianen amerikanischen Stadt reduziert würde, die Nation einen Anstieg des BIP von 9,5% erreichen könnte.20 Landnutzungsbeschränkungen schränken die Möglichkeiten der Abstimmung mit den Füßen u.a. auch in China stark ein.21

Der Schaden, der durch Migrationsbeschränkungen entsteht, geht weit über das im engen Sinne „Ökonomische“ hinaus. Erweiterte Möglichkeiten der Abstimmung mit den Füßen können auch die Freiheit und das Wohlbefinden von Migranten im Allgemeinen massiv verbessern. Man denke beispielsweise an Frauen, die aus patriarchalischen Gesellschaften fliehen, an religiöse Minderheiten, die vor Unterdrückung fliehen, und an Menschen, die vor repressiven tyrannischen Regimes fliehen. In vielen Fällen sind die potenziellen Gewinne hier so groß oder größer als die rein wirtschaftlichen Vorteile der Abstimmung mit den Füßen.

Betrachtet man als Entwicklung im weiteren Sinne den Ausbau der menschlichen Fähigkeiten,22 dann sind die nichtwirtschaftlichen Vorteile der Wahlen mit den Füßen wahrscheinlich ebenso wichtig wie diejenigen, die sich auf die Steigerung der Produktivität im engeren ökonomischen Sinne beziehen. Die Flucht vor nichtwirtschaftlicher Unterdrückung ermöglicht es Migranten in vielen Fällen, ihre Fähigkeiten auf vielfältige Weise enorm zu erweitern. Besonders dramatisch ist dies, wenn Frauen aus patriarchalischen Gesellschaften fliehen, in denen sie wenig Gelegenheit der Ausbildung oder der Verwirklichung von Zielen haben. Gleiches gilt für religiöse und ethnische Minderheiten, die vor Verfolgung und Diskriminierung fliehen, politische Dissidenten, die vor Unterdrückung fliehen, und andere, deren Chancen durch repressive Regime künstlich eingeschränkt werden.

Was für die internationale Migration gilt, gilt oft auch für die interne Migration. In vielen Ländern bieten einige Regionen mehr Freiheit und Gleichheit als andere, und die Migration kann Millionen von Menschen helfen, die Vorteile der ersteren zu nutzen. Neben der ökonomischen Wanderungsprämie gibt es oft auch die sogenannte Freiheitsprämie oder Gerechtigkeitsprämie als Folge erweiterter Mobilität.

II. Abstimmung mit den Füßen als überlegener Mechanismus der politischen Entscheidung

Die Wahlurne wird gewöhnlich als das Wesen der politischen Freiheit und als der Hauptmechanismus angesehen, durch den die meisten gewöhnlichen Menschen ihre politische Entscheidung treffen. Der demokratische Prozess hat wichtige Vorteile, aber auch zwei gravierende Mängel: Einzelne Wähler haben fast keine Chance, das Ergebnis der meisten Wahlen tatsächlich zu beeinflussen; und sie haben in der Regel wenig oder gar kein Interesse daran, eine wohlinformierte Wahl zu treffen. Die Abstimmung mit den Füßen ist in beiden Punkten überlegen. Das macht sie zu einem mächtigen Mechanismus, um potenzielle Migranten in die Lage zu versetzen, nach Möglichkeiten zu suchen, Entwicklungsprozesse zu beschleunigen.

1. Einfluss einzelner Wähler

Üblicherweise würden wir nicht behaupten, dass eine Person mit einem sinnvollen Ausmaß von Freiheit ausgestattet ist, wenn sie nur eine Chance von eins zu einer Million oder eins zu Hundertmillion hat, eine Entscheidung zu treffen, die einen Unterschied macht. Zum Beispiel hat eine Person wenig, wenn überhaupt, Religionsfreiheit, wenn sie nur eine verschwindend geringe Wahrscheinlichkeit hat, zu bestimmen, welche Religion sie ausüben möchte. Dasselbe gilt für ihre politische Entscheidung. Wie der politische Theoretiker Russell Hardin es ausdrückte, „haben die meisten Bürger nicht die Freiheit, durch Politik tatsächlich etwas für ihr ei-


17 Siehe Tiezzi, China’s Plan for ‘Orderly’ Hukou Reform, DIPLOMAT, 03.02.16, abrufbar unter: http://thediplomat.com/2016/02/chinas-plan-for-orderly -hukou-reform; siehe auch Gardner, supra Fußnote 10, bei 19-21, 26-27 (beschreibt die Hindernisse, die das Hukou-System für potenzielle Migranten schafft).

18 Siehe Schleicher, Stuck!, supra Fußnote 9, at 117; Somin, Moving Vans More Powerful Than Ballot Boxes, USA TODAY, 18.10.16, abrufbar utner: http://www .usatoday.com/story/opinion/2016/10/18/mobility-zoning-licensing-voting -minorities-column/91990486.

19 Siehe Schleicher, Stuck!, oben Anmerkung 9, bei 129; siehe auch Glaeser, Reforming Land Use Regulations, Brookings Institution, 24.04.2017 abrufbar unter: https:// www.brookings.edu/research/reforming-land-use-regulations/amp (mit einem Überblick über die Nachweise).

20 Siehe Tai-Hsieh/Moretti, Housing Constraints and Spa-tial Misallocation, 2 (National Bureau of Econ. Research Working Paper No. 21154, 2015), abrufbar unter: http://www.nber.org/papers/w21154; siehe auch Ganong/Shoag, Why Has Regional Economic Convergence in the US Declined?, 30 (Nat’l Bureau of Econ. Research, Working Paper No. 23609, 2017), abrufbar unter: http://www.nber.org/papers/w23609 (Belege dafür, dass Zonierungsbarrieren das Wirtschaftswachstum stark verlangsamt und arme Arbeitskräfte von Beschäftigungsmöglichkeiten abgeschnitten haben). Für einen Überblick über die Nachweise siehe Glaeser, oben Anmerkung 19.

21 Für eine Beschreibung des Falls China siehe Pritchett/Qiao, Exclusionary Megacities, 91 Southern California Law Review (erscheint 2018), abrufbar unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3000724.

22 Siehe z.B. Sen, Development As Freedom, 1999, 92 („[D]er Ausbau der menschlichen Fähigkeiten geht tendenziell auch mit einer Ausweitung der Produktivität und Ertragskraft einher. Diese Verbindung stellt eine wichtige indirekte Verbindung her, durch die die Verbesserung der Fähigkeiten sowohl direkt als auch indirekt dazu beiträgt, das Leben der Menschen zu bereichern und menschliche Entbehrungen seltener und weniger akut zu machen“).

Somin, Abstimmungen mit den Füßen10

genes Wohlergehen zu tun“.23 Hardin stellt fest, dass „wenn meine Stimme wertlos ist…, diese Wahlfreiheit ungefähr so wertvoll ist wie die Freiheit, darüber abzustimmen, ob die Sonne morgen aufgeht.“24

Es stimmt nicht, dass die Freiheit, bei politischen Wahlen eine Stimme abzugeben, völlig wertlos ist. Zumindest ex ante besteht eine sehr geringe Chance, dass sie für einen Wahlausgang entscheidend ist. Und wenn dieses Szenario tatsächlich eintritt, könnte eine Einzelstimme großen Wert haben.25 Dies ist wohl ein ausreichender Grund, um die Wahl als instrumentell rational zu sehen, solange die Kosten der Wahl niedrig sind.26 Aber eine Form der Freiheit, die nicht völlig wertlos ist, kann immer noch weit unterlegen sein gegenüber einer anderen Form, die bedeutungsvollere Wahlen ermöglicht.

Ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung hat die Möglichkeit, politische Ergebnisse durch andere Mittel als Abstimmungen zu beeinflussen. Zum Beispiel können einige dies durch Lobbyarbeit, Kampagnenbeiträge oder dadurch tun, dass sie einflussreiche politischer Aktivisten oder Führer werden.27 Allerdings haben nur sehr wenige tatsächlich mehr als eine minimale Chance, die öffentliche politische Richtung durch diese Mechanismen zu beeinflussen. Ihre effektive Nutzung erfordert in der Regel Zeit, Fähigkeiten und Ressourcen, über die die meisten Bürgerinnen und Bürger nicht verfügen.28 Darüber hinaus schmälert sie die Macht der übrigen Bevölkerung nur noch weiter, wenn einige wenige Menschen auf diese Weise einen unverhältnismäßigen politischen Einfluss ausüben.29

2. Fehlender Anreiz, eine fundierte Entscheidung zu treffen

Viele normative Auffassungen von Freiheit erfordern für deren effektive Ausübung eine vernünftig informierte Entscheidung, sowie eine echte Chance, etwas zu bewirken. Medizinethiker sind beispielsweise der Meinung, dass Ärzte in der Regel keine Operationen durchführen sollten, wenn sie nicht vorher die Einwilligung des Patienten eingeholt haben.30 Wie es der American Medical Association Code of Medical Ethics ausdrückt, „kann das Selbstbestimmungsrecht des Patienten nur dann wirksam ausgeübt werden, wenn der Patient über genügend Informationen verfügt, um eine informierte Entscheidung zu ermöglichen“.31 Wie medizinische Entscheidungen sind auch politische Entscheidungen oft buchstäblich eine Frage von Leben und Tod. Für Millionen von Menschen könnte das Ergebnis einer Wahl den Unterschied zwischen Krieg und Frieden, Reichtum und Armut oder Krankheit und Gesundheit ausmachen.

Leider schafft die geringe Wahrscheinlichkeit, bei einer Wahl den Unterschied zu machen, auch starke Anreize für die Wähler, schlecht informierte Entscheidungen zu treffen. Gerade weil es nur eine so geringe Chance gibt, dass ihre Stimme zählt, haben die Wähler starke Anreize, „rational unwissend“ zu sein.32 Das Phänomen der rationalen Unwissenheit betrifft die Wähler in den USA und weltweit.33 Es betrifft praktisch alle Demokratien, für die wir relevante Umfragedaten haben.34 Diese Unwissenheit mindert die Qualität der politischen Entscheidungsfindung und hemmt die Entwicklung.35

Umfragedaten zeigen, dass es den Wählern oft sogar an sehr grundlegenden Kenntnissen über die Kandidaten und politischen Fragen mangelt, um die es bei einer Wahl geht.36 Während der midterm election 2014 in den USA, die sich auf die Kontrolle des Kongresses konzentrierte, zeigten Umfragen, dass nur achtunddreißig Prozent der Öffentlichkeit wussten, welche Partei das Repräsentantenhaus vor der Wahl kontrollierte, und der gleiche Prozentsatz wusste, welche Partei den Senat kontrollierte.37 Die Wähler haben auch oft wenige Kenntnisse darüber, wie die Regierung ihr Geld ausgibt oder welche Amtsinhaber für welche Fragen verantwortlich sind.38

Abgesehen davon, dass die Wähler nur sehr wenige Informationen erhalten, haben sie wenig Anreiz, das, was sie lernen, konsistent und unvoreingenommen zu analysieren.39 Im Gegenteil haben die meisten starke Anreize, der „rationalen Irrationalität“ zum Opfer zu fallen: Wenn es nur wenige oder keine negativen Konsequenzen für Fehler gibt, ist es rational, fast alle Anstrengungen zu unterlassen, um eigene Vorurteile


23 Hardin, How Do You Know? The Economics Of Ordinary Knowledge,2009, 93.

24 Id.

25 Somin, Democracy And Political Ignorance: Why Smaller Government Is Smarter, 2. Auflage 2016, 80 [im Folgenden Somin, Democracy And Political Ignorance].

26 Für eine ausführliche Diskussion siehe id. bei 79-84; siehe auch Parfit, Reasons And Persons, 1984, 73-75 (mit der Begründung, dass eine extrem geringe Chance, ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen, eine rationale und moralische Bedeutung hat, wenn dieses Ergebnis eine große Anzahl von Menschen betrifft).

27 Verba et Al., Voice And Equality, 1995, 42.

28 Siehe z.B. id. bei 186 (beschreibt, wie politische Einflussnahme durch Mechanismen jenseits der Stimmabgabe nur von einer kleinen Minderheit der Bevölkerung wahrgenommen wird).

29 Id.

30 Opinion 8.08–Informed Consent, 14 American Medical Association Journal of Ethics (2012) 555, 555, abrufbar unter: http://journalofethics.ama-assn.org/2012/07/pdf/coet1-1207.pdf.

31 Id.

32 Somin, Rational Ignorance, in Routledge International Handbook Of Ignorance Studies, 2015, 274, 277, hrsg. Von Gross/McGoey. Die Theorie der rationalen Wählerunwissenheit wurde erstmals in Downs, An Economic Theory Of Democracy, 1957, 238-59 entwickelt.

33 Siehe Perceptions Are Not Reality: Things the World Gets Wrong, IPSOS MORI (28. Oktober 2014), abrufbar unter: https://www.ipsos-mori.com/researchpublications/ researcharchive/3466/Perceptions-are-not-reality-Things-the-world-gets -wrong.aspx (Diskussion von Umfragedaten, die weit verbreitete öffentliche Unwissenheit in zahlreichen Demokratien zeigen).

34 Für eine aktuelle vergleichende Analyse von Ungenauigkeiten in der öffentlichen Wahrnehmung von politischen und wirtschaftlichen Fragen in zahlreichen Demokratien siehe id.

35 Siehe allgemein Caplan, The Myth Of The Rational Voter: Why Democracies Choose Bad Policies (2007) (diskutiert wie Unwissenheit und Irrationalität von Wählern zu schlechten politischen Entscheidungen führen); Somin, Democracy And Political Ignorance, supra Fußnote 25, (diskutiert das Ausmaß und die Gefahren von politischer Unwissenheit).

36 Siehe Somin, Demokracy And Political Ignorance, oben Anmerkung 25, 17-46 (zahlreiche Studien, die die Unwissenheit der Wähler zeigen).

37 Id. unter 17.

38 Id. unter 17–18, 117–19.

39 Siehe Caplan, supra Fußnote 35, bei 131-35 (Erklärung der rationalen Irrationalität im Zusammenhang mit Wahlen).

Somin, Abstimmungen mit den Füßen11

zu kontrollieren.40

3. Die Überlegenheit der Abstimmung mit den Füßen

Die Abstimmung mit den Füßen ist der Abstimmung an der Wahlurne systematisch überlegen, sowohl was die Entscheidungsfähigkeit als auch was die Anreize zur Informationsbeschaffung betrifft.41 Sie ermöglicht dem einzelnen Entscheidungsträger eine sinnvolle Wahl. Wenn ein potenzieller Migrant entscheidet, wo er wohnt, ist es sehr wahrscheinlich, dass seine Entscheidung einen echten Einfluss auf das Ergebnis für ihn hat. Selbst diejenigen, die sich die Zustimmung eines Ehepartners oder eines anderen Familienmitglieds versichern müssen, haben in der Regel noch viel mehr Einfluss als ein durchschnittlicher Wähler in einer Wahl.

Und gerade weil ihre Entscheidungen wirklich wichtig sind, haben Fußwähler starke Anreize, sich relevante Informationen zu beschaffen und diese sinnvoll einzusetzen. Eine Person, die entscheidet, wo sie lebt oder welche Entscheidungen sie auf dem Markt und in der Zivilgesellschaft trifft, weiß, dass ihre Entscheidungen reale Konsequenzen haben, und bemüht sich in der Regel mehr um die Beschaffung relevanter Informationen.

Erhebliche empirische Belege belegen diese theoretischen Schlussfolgerungen.42 Experimente zeigen zum Beispiel, dass Menschen dazu neigen, politische Informationen viel einseitiger und ungenauer zu verarbeiten als ähnliche Informationen über unpolitische Themen.43

Wähler können manchmal die Auswirkungen politischer Unwissenheit ausgleichen, indem sie sich auf Informationskürzel verlassen; kleine Wissensbrocken, die als Stellvertreter für größere Informationskörper dienen, die sie nicht kennen.44 In meinem Buch Democracy and Political Ignorance diskutiere ich eine Vielzahl von verschiedenen Abkürzungsmechanismen im Detail und erkläre, warum sie nicht annähernd so effektiv sind, wie Befürworter behaupten.45 In einigen Fällen machen sie die Situation sogar noch schlimmer, etwa wenn Wähler routinemäßig Amtsinhaber für Ergebnisse belohnen und bestrafen, die sie nicht verursacht haben.46 Ähnliche Schwächen weist die Behauptung auf, die Unwissenheit einzelner Wähler spiele keine Rolle, weil eine Art „Wunder der Aggregation“ es den Wählern ermöglicht, trotz allen Widrigkeiten eine Art kollektive Weisheit zu erlangen.47 Hier möchte ich nur betonen, dass, selbst wenn die Wähler manchmal recht gute Entscheidungen treffen können, die Fußwähler generell viel besser sind.48

In einigen Fällen besteht die Herausforderung sowohl für die Fußwähler als auch für die Wähler an den Wahlurnen nicht darin, bestehende Informationen effektiv zu nutzen, sondern neue Informationen zu finden, die noch niemandem bekannt sind.49 Auch hier haben die Fußwähler im Allgemeinen bessere Anreize als die Wähler der Wahlurnen.50 Aus dem gleichen Grund, aus dem sie starke Anreize haben, vorhandenes Wissen zu suchen und zu nutzen, werden sie auch dazu angeregt, neues relevantes Wissen zu finden.51

Wenn Fußwähler neue Informationen finden, die ihnen helfen, eine bessere Entscheidung zu treffen, wird die besser informierte Wahl wahrscheinlich einen wichtigen Unterschied in ihrem Leben machen. Im Gegensatz dazu hat eine Wählerin, die neue Informationen findet, die ihre Wahlurnenentscheidung verbessern könnten, weitaus weniger Chancen, etwas für ihre eigenen Probleme daraus zu gewinnen. Ihr besser informiertes Votum wird wohl kaum einen Unterschied bei der Wahl machen.

Wie Charles Tiebout in seinem klassischen Artikel über dieses Thema gezeigt hat, können die Möglichkeiten der Abstimmung mit den Füßen politische Wahlen verbessern, auch wenn die einzelnen Jurisdiktionen keine besonderen Anstrengungen unternehmen, um Migranten anzuziehen.52 In einer Welt, in der alle Jurisdiktionen eine Politik wählen, die ausschließlich den derzeitigen Einwohnern gefällt, kann die Abstimmung mit den Füßen die Wahl noch verbessern, indem sie potenziellen Migranten eine größere Auswahl an Optionen bietet, als sie es sonst hätten.53 Selbst wenn die politische Richtung jeder Jurisdiktion ohne besonderen Bezug auf die Bedürfnisse von Migranten bestimmt wird, kann die Möglichkeit, mit den Füßen zu wählen, vielen Menschen ermöglichen, eine Regierung zu finden, die besser zu ihren Präferenzen passt.54

Aber die Abstimmung mit den Füßen wird zu einem noch mächtigeren Mechanismus, um die Wahlmöglichkeiten zu


40 Id. unter 74.

41 Id. bei 138-45. Für eine Diskussion der beweglichen Kosten und anderer Faktoren, die wirkungsvolle Wahlen für Fußwähler hemmen konnten, sehen Sie Somin, Democracy Und PoLitical Ignorance, supra Anmerkung 25, bei 165-76; infra Teil III.

42 Siehe Somin, Democracy And Political Ignorance, oben Anmerkung 25, 136-81 (Diskussion relevanter Daten und Experimente).

43 Siehe z.B. Kahan et al., Motivated Numeracy and Enlightened Self-Government, 1 Behavioural Public Policy, 2017, 54, 54 (Erfahrungsberichte, in denen die Probanden ihre Fähigkeit zur quantitativen Argumentation nutzten, um ihre Interpretation der Daten selektiv an das Ergebnis anzupassen, das ihren politischen Aussichten besser entspricht).

44 Für Argumente, die tragfähig sind, siehe z.B. Fiorina, Retrospective Voting In American National Elections 1-44 (1981) (eine detaillierte Analyse der retrospektiven Abstimmung, eine wichtige Art der Informationsverknüpfung); Lupia/Mccubbins, The Democratic Dilemma: Can Citizens Learn What They Need To Know?, 1998 (Verteidigung verschiedener Abkürzungen); Popkin, The Reasoning Voter, 1991 (mit der Begründung, dass Abkürzungen wirksam sind).

45 Somin, Democracy And Political Ignorance, supra Anmerkung 25, unter 106–35.

46 Id. unter 117–19.

47 Id. unter 127-34. Für eine wichtige aktuelle Verteidigung einer Version der „Wunder der Aggregation“-Theorie, siehe Landemore, Democratic Reason: Politics, Collective Intelligence, And The Rule Of The Many, 2013, 156-60. Für meine Kritik siehe Somin, Why Political Ignorance Under-mines the Wisdom of the Many, 26 Critical Review, 2014, 151.

48 Für einen Überblick über die Nachweise siehe Somin, Democracy And Political Ignorance, supra Fußnote 25, bei 148-58 (Vergleich mehrerer Beispiele, bei denen die Abstimmung mit den Füßen effektiver war als die Abstimmung in der Wahlurne).

49 Id. unter 164-65.

50 Id.

51 Ich diskutiere dieses Thema im Detail in id.

52 Tiebout, A Pure Theory of Local Expenditures, 64 Journal of Political Economy (1956) 416, 418.

53 Vgl. dazu 418 („Je größer die Zahl der Gemeinden und je größer die Varianz unter ihnen, desto näher kommt der Konsument seiner Präferenzposition“).

54 Id.

Somin, Abstimmungen mit den Füßen12

verbessern, wenn die Regionalregierungen Anreize haben, um die Einwohner zu werben.55 Der Wettbewerb um Steuereinnahmen führt zu einer Politik, die potenzielle Migranten, sowohl Einzelpersonen als auch Unternehmen, anspricht.56 Das wiederum kann ihre Wahlmöglichkeiten verbessern und eine größere wirtschaftliche Entwicklung fördern.57 Historisch gesehen gehören Beschäftigungsmöglichkeiten und ein günstiges Wirtschaftsklima zu den Hauptdeterminanten der regionalen Migration.58

Schließlich ist es wichtig anzuerkennen, dass die Abstimmung mit den Füßen für einen Großteil der Weltbevölkerung, die unter autoritären Regimen oder schwach etablierten Demokratien lebt, der einzig mögliche Mechanismus zur Ausübung politischer Entscheidungen sein kann. Freedom House schätzt, dass etwa 25 Prozent der Weltbevölkerung in „nicht freien“ und undemokratischen Nationen leben und weitere 30 Prozent in solchen, die nur „teilweise frei“ (d.h. nur teilweise demokratisch) sind.59

III. Ein institutionelles Design für eine Welt der Abstimmungen mit den Füßen

Die Entwicklungsvorteile der erweiterten Abstimmung mit den Füßen sind enorm. Was können Länder tun, um Institutionen zu entwerfen, um von diesen Vorteile zu profitieren und gleichzeitig mögliche Nachteile minimieren?

Im Idealfall sollten deren Institutionen in der Lage sein, eine stark erweiterte Abstimmung mit den Füßen über nationale und internationale Zuständigkeitsgrenzen hinweg zu ermöglichen. Um die Entwicklung zu maximieren, müssen die Länder vor allem versuchen, die Wahlmöglichkeiten für die Armen und Unterdrückten der Welt zu erweitern. Hier können die größten Gewinne erzielt werden, sowohl in wirtschaftlicher als auch in anderer Hinsicht.

1. Erleichterung der inländischen Abstimmung mit den Füßen

Die Förderung der Abstimmung mit den Füßen hat eine Reihe von Auswirkungen auf staatliche Verfassungsstrukturen. Die offensichtlichste und am breitesten akzeptierte Idee ist die, dass sich die Bürger eines Nationalstaats frei zwischen den subnationalen Gerichtsbarkeiten bewegen können und dass diese nicht in der Lage sein sollten, sie daran zu hindern.60 In den Vereinigten Staaten und anderen fortgeschrittenen Demokratien wird diese Freizügigkeit weitgehend als selbstverständlich angesehen. Bereits 1867 kassierte der Oberste Gerichtshof der USA ein Staatsgesetz, das eine Ausreisesteuer für Personen vorsah, die in andere Staaten auswandern wollten.61

Vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg waren staatliche Beschränkungen der Binnenmigration jedoch alles andere als ungewöhnlich, da viele Staaten freie Afroamerikaner und einige andere Kategorien von Ausländern von der Freizügigkeit ausschlossen.62 Heute sind Beschränkungen der Binnenmigration in armen Ländern weitaus häufiger anzutreffen. Chinas Hukou-System ist ein besonders bekanntes und wichtiges Beispiel, weil es so viele Menschen im bevölkerungsreichsten Land der Welt betrifft.63 Aber auch Regionalregierungen in anderen Entwicklungsländern versuchen, die Migration auf unterschiedliche Weise einzuschränken. Zum Beispiel versuchen einige indische Staaten, Migranten von ethnischen Minderheiten aus anderen Teilen Indiens fernzuhalten.64

Einige ethnonationalistische politische Führer, wie die der Shiv Sena Partei in Maharashtra, Indien, haben sogar Gewalt gegen Einwanderer gefördert, um sie zu vertreiben und andere von einer Zuwanderung abzuhalten.65

Gut konzipierte Verfassungssysteme können viel dazu beitragen, die Möglichkeiten der Abstimmung mit den Füßen zu verbessern und gleichzeitig mögliche Nachteile zu minimieren.66 Eine effektive Abstimmung mit den Füßen erfordert zumindest, dass Regionalregierungen daran gehindert werden, Einwanderer entweder gewaltsam auszuschließen oder ihre eigene Bevölkerung am Verlassen des Landes zu hindern. Sie erfordert auch die Unterdrückung von Gewalt gegen Migranten. Letzteres kann in Gebieten, in denen die rechtlichen Institutionen schwach oder korrupt und ethnische oder religiöse Feindseligkeiten zwischen Einwanderern und Einheimischen schwerwiegend sind, schwierig zu erreichen sein.

Die interne Abstimmung mit den Füßen kann durch die Durchsetzung relativ enger Grenzen für den Geltungsbereich der zentralen Regierungsgewalt zusätzlich erleichtert werden, wodurch mehr Kompetenzen auf die regionale oder lokale Ebene verlagert werden.67 Dadurch wird sichergestellt, dass mehr Sachthemen der Abstimmung mit


55 Für eine ausführlichere Diskussion siehe Somin, Foot Voting, supra Fußnote 7, at 84. Siehe auch Somin, Democracy And Political Ignorance, oben Anmerkung 25, 145-46.

56 Somin, Democracy And Political Ignorance, oben Anmerkung 25, 145-46.

57 Id.

58 Siehe z.B. Teil I; vgl. Somin, Democracy And Political Ignorance, supra Anmerkung 25, 166-67 (die Gründe für Migrationen zwischen US-Bundesstaaten).

59 Freiheit in der Welt 2018: Demokratie in der Krise, FREEDOM HOUSE, abrufbar unter: https://www.freedomhouse.org/report/freedom-world/freedom-world -2018 (zuletzt besucht am 29.03.18).

60 Siehe z.B. Somin, Foot Voting, Political Ignorance and Constitutional Design, 28 Social Philosophy and Policy (2011), 202 (zur Diskussion dieser Notwendigkeit)[im Folgenden Somin, Foot Voting, Political Ignorance, and Constitutional Design].

61 Crandall v. Nevada, 73 U.S. 35, 49 (1867).

62 Siehe Baseler, Asylum For Mankind: America 1607-1800, um 190-309 (1998); Neuman, The Lost Century of American Immigration Law, (1776-1875), 93 Columbia Law Review 1833, 1841-80 (1993) (auf der Suche nach dem US-Einwanderungsgesetz im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert).

63 Siehe Diskussion oben Teil I.

64 Für einen aktuellen Überblick siehe Abbas/Varma, Internal Labor Migration in India Raises Integration Challenges for Migrants, Migration Policy Institute (03.03.14), http://www.migrationpolicy.org/article/ nternal-labor-migration-india-raises-integration-challenges-migrants.

65 Id.; siehe auch Banerjee, Warriors In Politics: Hindu Nationalismus, Violence, And The Shiv Sena In India (2000) 35-52 (mit ähnlichen Ausschreitungen der Shiv Sena Party in Jogeshwari, Behrampada, Dharavi und Govandi/Deonar).

66 Dieser Abschnitt baut auf Ideen auf, die zuerst in Somin, Foot Voting, Political Ignorance und Constitutional Design, supra Anmerkung 60, entwickelt wurden.

67 Somin, Democracy And Political Ignorance, oben Anmerkung 25, zu 167.

Somin, Abstimmungen mit den Füßen13

den Füßen mit geringeren Mobilitätskosten unterliegen.68 In vielen Situationen können die Mobilitätskosten weiter gesenkt werden, indem die Zuständigkeit auf die lokale Ebene und nicht auf die regionalen Behörden übertragen wird. Es ist viel einfacher und billiger, von einer Stadt in eine andere zu ziehen, als in eine andere Region.

Nicht alle politischen Entscheidungen können auf untere Ebenen verlagert werden. Einige Probleme sind so groß, dass sie nur von einer nationalen Regierung oder vielleicht sogar nur durch internationale Zusammenarbeit gelöst werden können. Die globale Erwärmung ist ein Beispiel dafür.

Aber eine große Bandbreite von Kompetenzen, die derzeit von der US-Bundesregierung und anderen zentralen nationalen Regierungen ausgeübt werden, können auch von kleineren regionalen oder lokalen Regierungen übernommen werden, wie der Erfolg von kleinen Nationen wie der Schweiz, Luxemburg, Dänemark, Neuseeland und anderen zeigt.69

Diese Länder – die kleiner sind als viele US-Bundesstaaten und sogar einige US-Städte – haben eine unabhängige Politik in den Bereichen Gesundheitsfürsorge, Bildung, soziale Sicherheit und vielen anderen Bereichen, sind jedoch relativ gut aufgestellt und scheinen nicht unter einer unzureichenden Größe zu leiden.70 Eine systematischere Forschung zeigt auch, dass größere Demokratien im Allgemeinen nicht besser abschneiden als kleinere, was darauf hindeutet, dass Größe kein Vorteil ist, zumindest nicht für die Bewältigung der meisten Probleme.71

Die optimale Machtverteilung zwischen den verschiedenen Regierungsebenen lässt sich nicht allein anhand der Abstimmung mit den Füßen bestimmen, sondern es müssen auch eine Vielzahl anderer Faktoren abgewogen werden. Aber die Verbesserung der Möglichkeiten für Abstimmungen mit den Füßen ist eine wichtige Überlegung zugunsten einer stärkeren Dezentralisierung.

Die Abstimmung mit den Füßen kann auch durch politische Institutionen verstärkt werden, die eher Wettbewerbsföderalismus als den kooperativen Föderalismus fördern.72 Wenn regionale und lokale Regierungen verpflichtet sind, alle oder den größten Teil ihrer eigenen Mittel durch die Besteuerung ihrer eigenen Einwohner aufzubringen, wie im Modell des Wettbewerbsföderalismus, werden sie stärkere Anreize haben, Maßnahmen zu ergreifen, potenziellen Migranten attraktive Optionen bieten, um ihre Einnahmen zu steigern.73 Im Gegensatz dazu untergräbt der kooperierende Föderalismus, bei dem die Regierungen der unteren Ebene die gesamte oder den größten Teil ihrer Mittel von der Zentralregierung erhalten, Anreize für eine wirksame Politik, die die eigene Entwicklung fördert.74

In manchen Situationen besteht die Gefahr, dass der Wettbewerb zum race to the bottom führt, bei dem die Jurisdiktionen versuchen, Unternehmen auf eine Art und Weise zu gewinnen, die den Bürgern schadet: zum Beispiel, indem sie es den Unternehmen erlauben, Maßnahmen zu ergreifen, die der Umwelt schaden.75 Allerdings werden die Bedenken des Wettlaufs nach unten sowohl aus theoretischen als auch aus empirischen Gründen stark überbewertet.76

Das theoretische Manko des Arguments des race to the bottom ist, dass rationale einkommensorientierte Jurisdiktionen sich nicht nur darauf konzentrieren müssen, Unternehmen anzuziehen, sondern auch Arbeitnehmer und andere Steuerzahler, von denen sich viele um die Umweltqualität und andere ähnliche Fragen der Lebensqualität sorgen.77 Diese Präferenzen werden auch oft von Geschäftsinteressen geteilt, die versuchen, solche Arbeitnehmer, insbesondere hochqualifizierte, einzustellen, wenn auch nur deshalb, weil sie höhere Löhne zahlen müssten, um solche Arbeitnehmer an Orte mit schlechten Umwelteigenschaften zu locken.78 Wohlhabendere Arbeitnehmer und Steuerzahler (die Regierungen sind oft besonders darauf bedacht, sie anzuziehen) sind besonders wahrscheinlich bereit, zusätzliche Einnahmen für die Umweltqualität zu opfern.79 Empirisch gesehen haben subnationale Regierungen oft schneller Formen des Umweltschutzes eingeführt als Zentralregierungen und scheinen potenzielle Umweltverschmutzer nicht systematisch auf Kosten anderer potenzieller Einwanderer zu begünstigen.80


68 Siehe Somin, Foot Voting, Political Ignorance, and Constitutional Design, supra Anmerkung 60, at 221-23; siehe auch Somin, Democracy And Political Ignorance, supra Anmerkung 25, unter 167.

69 Siehe Somin, Democracy And Political Ignorance, oben Anmerkung 25, 227-28 (über die Fähigkeit der kleinen Länder, erfolgreich mit diesen Kompetenzen umzugehen).

70 Id.

71 Siehe allgemein Dahl/Tufte, Size And Democracy (1973) (mit einer grundlegenden Diskussion des Themas).

72 Für eine Diskussion des Wettbewerbs- und Kooperationsföderalismus siehe z.B. Dye, American Federalismus: Competition Among Governments (1990) 1-33.

73 Siehe z.B. Somin, Foot Voting, supra Anmerkung 7; Weingast, The Economic Role of Political Institutions: Market-Preserving Federalism and Economic Development, 11 Journal of Law, Economics & Organisation (!995) 1 (Erörterung der Vorteile des Wettbewerbsföderalismus für die Entwicklung).

74 Siehe Weingast, oben Anmerkung 73.

75 Für eine Zusammenfassung und Verteidigung der Race-to-the-Bottom-Theorie siehe Engel, State Environmental Standard-Setting: GIs There A “Race” and Is It “To The Bottom?,”, 48 Hastings Law Journal (1997) 274, 274-369. Für andere moderne Verteidigungen, siehe zum Beispiel Engel/Saleska, Facts are Stubborn Things: An Empirical Reality Check in the Theoretical Debate Over the Race-to-the-Bottom in State Environmental Standard-Setting, 8 Cornell Journal of Law & Public Policy (1998), 55; Sarnoff, The Continuing Imperative (But Only from a National Perspective) for Federal Environmental Protection, 7 Duke Environmental Law & Policy Forum (1997) 225.

76 Für führende theoretische Kritiken siehe Revesz, The Race to the Bottom und Federal Environmental Regulation: A Response to Critics, 82 Minnesota Law Review (1997), 535 (als Antwort auf Kritiker und zur Verteidigung seiner früheren Herausforderung der Race-to-the-Bottom-Argumente)[nachstehend Revesz, The Race to the Bottom]; Revesz, Rehabilitating Interstate Competition: Rethinking the „Race-to-the-Bottom“-Rationale for Federal Environmental Regulation, 67 New York University Law Review (1992), 1210 (Hinterfragung der Stärke der Race-to-the-Bottom-Argumente).

77 Siehe Revesz, The Race to the Bottom, oben Anmerkung 76, bei 538-40. Ich diskutiere diese Fragen ausführlicher in Somin, Democracy And Political Ignorance, oben Anmerkung 25, unter 168-69.

78 Siehe Somin, Democracy And Political Ignorance, oben Anmerkung 25, unter 168-69.

79 Für eine Zusammenfassung der relevanten Nachweisee zu diesem Punkt siehe Somin/Adler, The Green Costs of Kelo: Economic Development Takings and Environmental Protection, 84 Washington University Law Review (2006) 623, 663–65.

80 Siehe Somin, Democracy And Political Ignorance, supra Anmerkung 25, unter 168-69 (unter Berufung auf relevante Studien).

Somin, Abstimmungen mit den Füßen14

Dies bedeutet nicht, dass subnationale Regierungen immun sind gegen den Einfluss von Geschäftsinteressen, die sich für übermäßige Umweltverschmutzung oder andere politische Entscheidungen einsetzen könnten, die es ihnen ermöglichen, auf Kosten der Interessen der Allgemeinheit zu profitieren. Weit gefehlt.81 Aber es gibt keinen Grund, warum eine solche Einflussnahme auf lokaler und regionaler Ebene gefährlicher sein sollte als bei Zentralregierungen. Die Möglichkeit der Abstimmung mit den Füßen stellt auch Einschränkungen für solche Profitsuchenden dar, da besonders anfällige Jurisdiktionen mit der Zeit Investoren und Steuerzahler verlieren können.82

In den vielen föderalen Systemen, in denen Minderheiten in einigen Regionen die Mehrheit bilden, haben Abstimmungen mit den Füßen diesen weniger zu bieten, wenn sie anderswo weithin verachtet werden. Viele föderale Systeme wurden eingerichtet, um regional konzentrierten Minderheiten eine eigene Rechtsprechung zu geben und damit ethnische Konflikte zu mildern.83 In solchen Situationen kann es für Einzelpersonen schwierig oder sogar unmöglich sein, in eine von einer anderen ethnischen Gruppe dominierte Region zu ziehen.

Beispielsweise könnte ein irakischer Kurde, der in eine mehrheitlich arabische Provinz zieht, vernünftigerweise Gewalt oder zumindest Diskriminierung befürchten. Selbst wenn es keine offene Feindseligkeit gibt, könnten solche Minderheitengruppen mit schmerzhaften kulturellen und sprachlichen Anpassungen konfrontiert werden, wenn sie aus ihren Heimatregionen auswandern. Ein Französisch-Kanadier, der von Quebec nach Alberta zieht, wird kaum ethnischer Gewalt oder gar Diskriminierung ausgesetzt sein. Dennoch könnte der Umzug in eine mehrheitlich anglophone Provinz eine schwierige Entscheidung mit erheblichen Mobilitätskosten sein.

Nichtsdestotrotz ist die Abstimmung mit den Füßen unter solchen Bedingungen immer noch potenziell nützlich. Ein entsprechendes föderales System kann – und sollte – mehrere Minderheits-Bezirke umfassen, zwischen denen die Minderheiten dann wählen können.84 Beispielsweise kann die französischsprachige Minderheit in der Schweiz zwischen mehreren französischen Mehrheits-Kantonen wählen. Ebenso hat der Irak drei mehrheitlich kurdische Provinzen, wenn auch teilweise unter der kurdischen Regionalregierung vereint.85

Wo es nur eine Mehrheits-Minderheitsregion gibt, lohnt es sich, über die Möglichkeit nachzudenken, sie in mehrere Jurisdiktionen aufzuteilen. Französisch-Kanadier würden wahrscheinlich eine breitere Palette von Möglichkeiten der Abstimmung mit den Füßen genießen, wenn Quebec in mehrere kleinere Provinzen aufgeteilt würde, anstatt eine große zu bleiben.

Ich schlage nicht vor, dass eine für Minderheiten bestimmte politische Einheit zwangsläufig geteilt werden muss, um die Abstimmung mit den Füßen zu erleichtern; auch andere Überlegungen müssten abgewogen werden, bevor man zu diesem Schluss kommt. Aber die Vorteile von Aufteilungen im Rahmen der Abstimmung mit den Füßen sollten nicht vernachlässigt werden.

Solche Regelungen können auch regional konzentrierten Minderheiten eine gewisse Wahlmöglichkeit lassen. Diese Auswahl kann noch weiter ausgebaut werden, wenn mehr Macht auf die lokalen Regierungen und nicht nur auf die regionalen übertragen wird. Selbst wenn es unmöglich ist, mehr als eine Mehrheitsregierung zu bilden, kann diese Region viele lokale Regierungen haben, die potentiell miteinander konkurrieren könnten.

2. Erleichterung der internationalen Migration

Einige der größten potenziellen Vorteile, die sich aus der Ausweitung der Abstimmung mit den Füßen ergeben, sind diejenigen, die sich aus der Liberalisierung der internationalen Migration ergeben.86 Der Unterschied zwischen dem Leben in einer armen und einer weiter entwickelten Nation überwiegt aus Sicht der wirtschaftlichen Entwicklung und einer Vielzahl nichtwirtschaftlicher Interessen bei weitem den Unterschied zwischen dem Leben in der schlimmsten und der besten Region einer fortschrittlichen Nation. Man kann aber auch sagen, dass die internationale Abstimmung mit den Füßen auf eine stärkere, breitere und lautere Opposition trifft als die interne Abstimmung mit den Füßen. Sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in vielen europäischen Ländern sind starke nationalistische Bewegungen entstanden, die sich nicht nur gegen zunehmende Immigration aussprechen, sondern sich auch dafür einsetzen, sie stark zu reduzieren.87

Dieser Widerstand wird nicht leicht zu überwinden sein. Aber die enormen Vorteile, die sich aus den erweiterten Migrationsrechten ergeben, machen den Versuch, es dennoch zu versuchen, unumgänglich. Eine steigende Zunahme der internationalen Abstimmungen mit den Füßen kann Millionen von Menschen vor einem Leben in Armut und


81 Für einige Beispiele einer solchen Einflussnahme, die zum Teil durch Fehlinformationen verursacht wurde, siehe allgemein Schultz, American Politics In The Age Of Ignorance: Why Lawmakers Choose Belief Over Research, 2013, 108-13 (Beispiele von Staaten in den Vereinigten Staaten, die Opfer der Gefangennahme von Interessengruppen geworden sind, oft aufgrund von Fehlinformationen).

82 Für eine Diskussion darüber, wie Abstimmung mit den Füßen Korruption einschränkt, siehe Parikh/Weingast, A Comparative Theory of Federalism: India, 83 Virginia Law Review (1997), 1593, 1604-06 (Analyse Indiens durch ein vergleichendes föderales Leistungsmodell, um die Leistungsfähigkeit des Systems und die Auswirkungen der Korruption in Indien zu untersuchen).

83 Siehe allgemein Brancati, Peace By Design: Managing Intra-State Conflict By Decentralization, 2009 (Diskussion vieler solcher Beispiele aus der ganzen Welt).

84 Für weitere mögliche Vorteile eines solchen Systems siehe Horowitz, The Many Uses of Federalism, 55 Drake Law Review, 2007, 953, 958–62.

85 Für eine Diskussion der kurdischen Regierung siehe allgemein Mansfield, The Miracle Of The Kurds: A Remarkable Story Of Hope Reborn In Northern Iraq, 2014).

86 Siehe Diskussion supra Teil I.

87 Siehe Inglehart/Norris, Trump, Brexit and the Rise of Populisms: Economic Have-Nots and Cultural Backlash (Harvard Uni. Kennedy Sch., Working Paper No. RWP16-026, Nov. 2016), abrufbar unter: https://papers.ssrn .com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2818659; Conor Friedersdorf, What Right-Wing Populist Movements Share: Blaming Immigrants, ATLANTIC (29. Juni 2017), https://www.theatlantic.com/politics/archive/2017/06/what-right-wing -populistische-Bewegungen-schuldigen-Immigranten/532023.

Somin, Abstimmungen mit den Füßen15

Unterdrückung retten. Im 19. Jahrhundert konnten viele Millionen arme und unterdrückte Menschen in relativ freie Gesellschaften mit größeren Möglichkeiten, wie die Vereinigten Staaten, Kanada und Australien abwandern, was zu einem großen Teil l den nur geringfügigen Migrationshindernissen während dieser Zeit zu verdanken ist.88 Wenn die Grenzkontrollen reduziert werden, erleichtern die niedrigeren Transportkosten, die durch moderne Technologien verursacht werden, solche Bewegungen heute.

Viele Einwände wurden gegen die Idee einer starken Ausweitung der internationalen Migrationsrechte erhoben.89 Dazu gehören Befürchtungen, dass sie die Kriminalität und den Terrorismus erhöhen, die Löhne der Einheimischen senken,90 den Wohlfahrtsstaat überfordern, die Verabschiedung schädlicher politischer Entscheidungen, die von den Wählern der Einwanderer unterstützt werden, verursachen und zur Verbreitung gefährlicher kultureller Werte führen.91 Ich kann diese Einwände hier nicht im Detail überprüfen und bewerten. Aber es ist möglich, einen allgemeinen Rahmen zu entwerfen, um sie anzusprechen.

Erstens sind viele der Standardeinwände gegen die freie internationale Migration deutlich übertrieben. Z.B. zeigt der vorhandene Beweis an, dass erhöhte Immigration nicht zu Zunahmen der Pro-Kopf-Wohlfahrtsausgaben führt.92 Zumindest in den Vereinigten Staaten haben Immigranten tatsächlich eine viel niedrigere Verbrechensrate als gebürtige Bürger.93 Die Gefahr, dass ein Amerikaner durch einen Immigrantenterroristen getötet wird, so infinitesimal klein, dass sie mehrmals niedriger als die Gefahr ist, dass er oder sie durch einen Blitzschlag getötet werden.94

Wo Zuwanderung zu echten Problemen und negativen Nebenwirkungen führt, ist es oft möglich, das Problem mit „Schlüssellochlösungen“ zu lösen, die das Risiko minimieren, ohne eine große Zahl von Zuwanderern zu behindern.95 Wenn beispielsweise die Zuwanderung dem Wohlfahrtsstaat übermäßige Belastungen auferlegt, könnten die Aufnahmeländer die Sozialleistungen für Migranten abschaffen oder reduzieren.96 Zuwanderer von Sozialleistungen auszuschließen könnte ungerecht sein, ist es aber sicherlich weniger, als sie zu zwingen, den weitaus größeren materiellen Mangel zu ertragen, für den Rest ihres Lebens in einem unterentwickelten Land zur Armut verurteilt zu sein . Wenn die Gefahr besteht, dass Wähler mit Migrationshintergrund die Regierungspolitik in eine schädliche oder ungerechte Richtung lenken , besteht die Lösung darin, die Berechtigung für das Wahlrecht an voraussetzungsvollere Bedingungen zu knüpfen. .

In den Vereinigten Staaten zum Beispiel können Immigranten nur dann Bürger werden, wenn sie fünf Jahre lang im Land gelebt haben, die englische Sprache beherrschen und einen staatsbürgerlichen Test bestehen, bei dem viele gebürtige Bürger scheitern würden.97 Wenn nötig, können solche Standards noch verschärft werden. Tests können härter werden, Einbürgerungszeiten können verlängert werden und so weiter. Regierungen können sowohl die Freizügigkeit t erleichtern als auch neuen Einwanderern erschweren, Bürger zu werden oder bestimmte andere Arten von Rechten zu erwerben.98

Langfristiger Ausschluss vom Wahlrecht kann für Einwanderer ungerecht sein. Aber es ist weniger ungerecht, als sie vollständig aus dem Land auszuschließen, was die meisten zu einem Leben voller Armut und Unterdrückung verurteilen würde. In den meisten Fällen haben die potentiellen Einwanderer auch wenig oder gar keinen Einfluss auf die öffentliche Ordnung. Dies gilt insbesondere für die vielen Nationen, die autoritäre Regierungen haben oder nur teilweise demokratisch sind.

Wo andere Schlüssellochlösungen unzulänglich sein könnten, sollten die politischen Entscheidungsträger auch erwägen, den enormen Reichtum der Einwanderung zu nutzen, um negative Nebenwirkungen abzumildern, die nicht auf andere Weise angegangen werden können. Wenn zum Beispiel die Einwanderung die Löhne der einheimischen gering qualifizierten Arbeitskräfte nach unten treibt und dies als moralisch inakzeptables Ergebnis betrachtet wird, können die nationalen Regierungen eine zusätzliche Steuer auf die Einkommen der zuletzt Eingewanderten Einwanderer erheben und den Reichtum auf die einheimischen Arbeitskräfte umverteilen, deren Löhne unter Druck geraten sind.99

Wie der Ausschluss von Sozialleistungen und Wahlrecht kann eine solche diskriminierende Besteuerung ungerecht


88 Für einen Überblick siehe Livi-Bacci, A Short History Of Migration 46-57, 2012.

89 Ich plane, diese Bedenken in Somin, Free To Move, oben Anmerkung 2, noch ausführlicher zu diskutieren.

90 Siehe z.B. Borjas, oben Anmerkung 16, 79-148; Cafaro, How Many Is Too Many? The Progressive Argument For Reducing Immigration Into The United States, 2015, 33-54 (mit der Behauptung, dass billige Arbeitsmigranten Löhne und Leistungen für Einheimische senken und die Armen unverhältnismäßig stark beeinträchtigen).

91 Siehe z.B. Huntington, Who Are We? The Challenges To America’s National Identity, 2004, 141-294 (mit der Behauptung, dass die Einwanderung die amerikanische Identität und Werte bedroht).

92 Siehe z.B. Alesina/Glaeser, Fighting Poverty In The Us And Europe: A World Of Difference, 2004 (was darauf hindeutet, dass europäische Nationen mit größerer Einwanderung tatsächlich geringere Sozialausgaben haben als solche mit mehr); Gochenour/Nowrasteh, The Political Externalities of Immigration: Evidence from the United States (Cato Inst., Working Paper No. 14, Jan. 2014), http://object.cato.org/sites/cato .org/files/pubs/pdf/working-paper-14-3.pdf (mit Nachweisen aus denamerikanischen Staaten).

93 Eine Übersicht über die relevanten Studien und Nachweise finden Sie unter Waters/Pineau, National Academy of Science, The Integration Of Immigrants Into American Society, 2015, 326-44.

94 Nach Angaben des National Weather Service wurden von 2006 bis 2015 jährlich durchschnittlich 31 Amerikaner durch Blitzeinschlag getötet. How Dangerous is Lightning, NOAA, abrufbar unter: http://origin-www.nws.noaa.gov/om/lightning/odds .shtml (zuletzt besucht am 29. März 2018). Im Gegensatz dazu ist die jährliche Todesrate von Immigranten-Terroristen weitaus geringer. Siehe Alex Nowrasteh, Terrorism and Immigration: Eine Risikoanalyse, Cato Institute (13.09.16), https://www.cato.org/publications/policy-analysis/terrorism-immigration-risk-analysis.

95 Für Beispiele solcher Vorschläge siehe Caplan, Why Should We Restrict Immigration, 32 Cato Journal (2012) 5. Ich werde mehr solcher Ideen in Somin, Free To Move, oben Anmerkung 2 umreißen.

96 Vgl. Ruhs, The Price Of Rights: Regulating International Labor Migration, 2013 (mit dem Argument, dass die Einschränkung der sozialen Rechte von Arbeitsmigranten eine verstärkte Migration ermöglichen kann).

97 Somin, Democracy And Political Ignorance, supra Anmerkung 25, unter 212.

98 Siehe allgemein Ruhs, oben Anmerkung 96 (über eine Vielzahl solcher Politikoptionen).

99 Siehe Caplan, oben Anmerkung 95, unter 9.

Somin, Abstimmungen mit den Füßen16

sein. Aber wie andere Schlüssellochlösungen, lässt sie die Immigranten immer noch viel besser dastehen, als sie es würden, wenn sie ganz aus dem Land ausgeschlossen würden. In einem Land, in dem eine Einwanderin dreimal so viel verdient wie in ihrem Heimatland, geht es ihr immer noch viel besser als sonst.

Wenn die Einwanderung zu einem Anstieg der Kriminalität führt, können die Steuereinnahmen, die durch den von ihr geschaffenen Reichtum generiert werden, zur Finanzierung zusätzlicher Polizeikräfte und anderer Instrumente der Strafverfolgung verwendet werden, die die Kriminalität wieder senken können.100 Die Senkung der Migrationsbarrieren kann das Welt-BIP potenziell verdoppeln.101 Ein Teil dieses neuen Reichtums könnte genutzt werden, um mögliche negative Nebeneffekte der Migration zu mildern, während er dennoch große Gewinne sowohl für Einwanderer als auch für Einheimische ermöglicht.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass verständliche Einwände gegen erweiterte Migration durch eine Kombination aus einer Beurteilung, ob die Bedenken übertrieben sind , der Implementierung von Schlüssellochlösungen und – wo nötig – der Erschließung des durch die Einwanderung geschaffenen Reichtums zur Milderung negativer Nebenwirkungen und zur Kompensation benachteiligter Einheimischer angegangen werden sollten. Diese Strategien sind nicht immer durchführbar. Vielleicht gibt es immer noch extreme Situationen, in denen Migrationsbeschränkungen der einzig mögliche Weg sind, um großen Schaden zu verhindern.102 Aber sie können zumindest eine weitaus freiere Migration ermöglichen, als es derzeit möglich ist.

Vielleicht ist diese Einschätzung zu optimistisch, und die Schlüssellochpolitik kann nur einen bescheidenen Anstieg der Migration ermöglichen. Aber selbst ein solcher bescheidener Anstieg kann die Entwicklung noch erheblich fördern und Millionen von Menschen von Tyrannei und Entbehrung befreien.

B. Abschluss

Für viele der ärmsten und am stärksten unterdrückten Menschen der Welt führt der wahrscheinlichste Weg zu wirtschaftlicher Entwicklung und politischer Freiheit über Abstimmungen mit den Füßen. Die Erleichterung der Abstimmung mit den Füßen kann auch viel Positives für die relativ benachteiligten Bewohner der fortgeschritteneren Nationen bewirken. Außerdem ist sie oft ein besserer Mechanismus für die Entscheidungsfindung als die herkömmliche Wahlurne.

Es wird nicht einfach sein, die vielen Hindernisse zu überwinden, die einer Ausweitung der Möglichkeiten mit den Füßen abzustimmen im Wege stehen, insbesondere im Hinblick auf die internationale Migration. Fortschritte auf dem Weg zu diesem Ziel dürften nur stufenweise zu erreichen sein. Aber auch begrenzte Liberalisierungen der Einwanderung können einen enormen Unterschied bewirken.


100 Ich werde diesen Vorschlag in Somin, Free To Move, supra Anmerkung 2 näher ausführen.

101 Siehe Clemens, supra Anmerkung 15, unter 84-89.

102 Ich werde einige dieser möglichen Szenarien in Somin, Free To Move, oben Anmerkung 2 betrachten.