Gedanken zu Legal Tech und Digitalisierung

Markus Hartung*

A. Definitionen

I. Was ist Legal Tech?

Legal Tech ist nach einer Formulierung von Micha Bues ein Kofferwort für die Begriffe „legal services“ und „technology“ und steht für „Legal Technology“. Was man darunter genau versteht, war lange unklar. Bues definierte im September 2015 als einer der Ersten den Begriff wie folgt: „Legal Tech beschreibt den Einsatz von modernen, computergestützten, digitalen Technologien, um Rechtsfindung, -anwendung, -zugang und -verwaltung durch Innovationen zu automatisieren, zu vereinfachen und – so die Hoffnung – zu verbessern“.1

Es gibt sehr weitgehende und eher engere Definitionen.2 Im weitesten Sinne geht es um Softwaretechnologie in der juristischen Profession, aber mit dieser Definition kommt man nicht weiter. Nachfolgend ein kurzer Überblick:

1. Definition auf Wikipedia

Seit Januar 2017 gibt es einen Eintrag in der deutschen Wikipedia. Nach der dortigen Definition versteht man unter Legal Tech „Software und Onlinedienste, die juristische Arbeitsprozesse unterstützen oder gänzlich automatisiert durchführen“. Das ist ein sehr weites Spektrum verschiedenster Anwendungen, die nur der gemeinsame Bezug zu Rechtsdienstleistungen eint.3 Hinzu kommt, dass dieser Begriff darüber hinaus auch für eine aktive Gründerszene steht, die mit ihren Start-Ups entsprechende Programme entwickeln und damit Innovationen im Rechtsmarkt vorantreiben.4

Nach Oliver Goodenough5 werden die verschiedenen Legal Tech-Angebote in 1.0-, 2.0- und 3.0-Anwendungen aufgeteilt:

– Zu den 1.0-Anwendungen gehört etwa Software zur Büroorganisation, was nach unserem Verständnis und der Vertrautheit fast der meisten deutschen Anwälte mit Kanzleisoftware schon Alltag ist. Allerdings gehören auch Fachdatenbanken und sonstige E-Commerce-Portale zu diesen Anwendungen.

– Zu den 2.0-Anwendungen gehören automatisierte Rechtsdienstleistungen, also Software, mit deren Hilfe juristische Arbeits- und Kommunikationsschritte selbständig und ohne Tätigkeit eines Menschen erledigt werden sollen. Diese Technologie kann bereits disruptive Auswirkungen auf den Rechtsmarkt haben, denn sie greift unmittelbar in die Arbeit ein, die bisher (oder immer noch) von Rechtsanwälten erledigt wird.

– Die 3.0-Anwendungen sind schließlich Smart Contracts und Systeme künstlicher Intelligenz, die nicht nur einzelne Arbeitsschritte automatisch erledigen, sondern geeignet sind, das Berufsbild von Anwälten entscheidend zu verändern. Bei Licht besehen wird man einräumen müssen, dass es bislang noch keine Software gibt, die schon heute dazu in der Lage wäre. Allerdings wäre es nicht klug, das Szenario gänzlich auszuschließen, neigen wir doch dazu, die Fähigkeiten von Software heute zu überschätzen, ihre langfristigen Auswirkungen aber zu unterschätzen.

2. Definition nach einer Studie des Bucerius CLP und BCG

Nach unserem Verständnis muss vor allem danach gefragt werden, inwieweit Software geeignet ist, das anwaltliche Geschäftsmodell nachhaltig zu ändern. Das wiederum folgt einer gemeinsamen Studie des Bucerius Center on the Legal Profession (CLP) und The Boston Consulting Group (BCG): Anfang 2016 hatten CLP und BCG eine umfangreiche Untersuchung veröffentlicht, in der die vorhandene Technologie in drei Gruppen eingeteilt wurde: Enabler-Software (alles, was für die Infrastruktur der Kanzlei erforderlich ist), sodann Support-Process Solutions (Practice Management, Back Office Software incl. HR-, Business Development, Abrechnung usw.) und schließlich die Substantive Law Solutions, mit denen die anwaltliche Leistungserbringung unmittelbar unterstützt oder sogar ersetzt wird.6

Dementsprechend unterscheiden wir zwischen Office-Tech einerseits und Legal Tech andererseits. Office-Tech-Software zeichnet sich dadurch aus, dass sie kaum bis wenig Einfluss auf das anwaltliche Geschäftsmodell hat. Es handelt sich um Büroorganisation, Kommunikation (E-Mail pp.), elektronische Akten, Spracherkennung und digitales Diktieren, Dateimanagement-Systeme, traditionelle Datenbanken usw. Diese Systeme unterstützen die klassische oder traditionelle Arbeit von Anwälten, verändern aber die Arbeit als solche nicht.


* Der Autor ist Rechtsanwalt und Direktor des Bucerius Center on the Legal Profession (CLP) an der Bucerius Law School in Hamburg. Er ist außerdem Vorsitzender des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins. Dieser Text ist eine gekürzte Version eines Kapitels des Verfassers aus Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech: Die Digitalisierung des Rechtsmarkts, Verlag C. H. Beck, München 2018.

1 Vgl. http://legal-tech-blog.de/was-ist-legal-tech.

2 Vgl. zuletzt mit einer guten Übersicht über die verschiedenen Definitionen und Anwendungsbereiche Fiedler/Grupp, Legal Technologies: Digitalisierungsstrategien für Rechtsabteilungen und Wirtschaftskanzleien, DB 2017, 1072; vgl. auch Wagner, Legal Tech und Legal Robots in Unternehmen und den diese beratenden Kanzleien, BB 2017, 898 ff.

3 Vgl. hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Legal_Technology (Abfrage am 13.6.2017).

4 Reinemann, Was ist Legal Tech?, in: Innovationen und Legal Tech, Beilage zur NJW Heft 20/2017, S. 6 ff.

5 http://www.huffingtonpost.com/oliver-r-goodenough/legal-technology-30_b_6603658.html(Abfrage am 2.5.2017); Goodenough ging es nicht nur um die bloße Kategorisierung, sondern um das disruptive Potential dieser einzelnen Anwendungen

6 Veith/Wenzler/Hartung u.a., How Legal Technology Will Change the Business of Law, Final Report of Bucerius Law School and The Boston Consulting Group on impacts of innovative technology in the legal sector, 2015/2016, Download hier: http://www.bucerius-education.de/fileadmin/content/pdf/studies_publications/Legal_Tech_Report_2016.pdf

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Unter Legal Tech (im engeren Sinne) versteht man Software, die unmittelbar die juristische Leistungserbringung berührt, etwa automatisierte Dokumenten- oder Schriftsatzerstellung, Ablaufautomatisierung, Document Review, Self Service Tools und sog. „intelligente Datenbanken“ (etwa IBM/Watson oder ROSS).7 Diese Technologie „ersetzt“ Tätigkeiten, die von Anwälten durchgeführt wurden oder werden.8 Technologie erzielt häufig bessere Ergebnisse und ist günstiger, so dass sich der Einsatz von Anwälten für Tätigkeiten, die durch einen Computer erledigt werden können, nicht mehr rechtfertigt. Diese Technologien (in der Terminologie der Bucerius-Studie: Substantive Law Solutions) hat nicht erst in ferner Zukunft das Potenzial, disruptiv zu wirken, sondern tut dies schon heute.

II. Taxonomie – Erscheinungsformen von Legal Tech

Nun ist nicht nur Legal Tech ein sehr weiter Begriff, sondern es gibt auch die unterschiedlichsten Unternehmen, die in verschiedenen Bereichen Dienstleistungen anbieten. Häufig werden Software-Unternehmen im deutschen Rechtsmarkt in drei Kategorien eingeteilt, nämlich solche, die den Anwalt in seiner Arbeit unterstützen, dann Marktplätze, die Mandanten und Anwälte zusammenbringen, und zuletzt Software, die Rechtsdienstleistungen selbständig erledigt.9

International lohnt sich ein Blick in den Tech-Index des CodeX Center for Legal Informatics an der Stanford University, der Anfang Juli 2017 insgesamt 717 Unternehmen aufführt, die in zehn Kategorien und 24 Unterkategorien gelistet sind.10 Die derzeit meisten Unternehmen befassen sich mit der Automatisierung von Dokumenten (183 Unternehmen), gefolgt von elektronischen Marktplätzen (160 Unternehmen). Sodann gibt es 128 Practice Management Companies, 54 Legal Research Companies, 38 Analytics Companies, 35 Legal Education Companies und 20 ODR Companies (ODR steht für Online Dispute Resolution).

Deutsche Legal Tech-Unternehmen sind dort noch nicht vollständig vorhanden. Diese Unternehmen werden seit einiger Zeit von Dominik Tobschall erfasst und kategorisiert.11 Ausgehend von seiner Übersicht nebst den dazu erfolgten Erläuterungen kann beispielhaft auf Folgendes verwiesen werden:

1. Automatisierte Rechtsberatungsprodukte

Das sind Unternehmen, die die Bearbeitung und Durchsetzung von Ansprüchen durchführen. Voraussetzung ist, dass diese Ansprüche gut zu strukturieren und zu automatisieren sind. Dies ermöglicht es, einen „Ablauf- und Entscheidungsbaum“ abzubilden, mit dem dann tausende solcher Fälle automatisch abgearbeitet werden können. Das können Unternehmen wie Flightright, Fairplane oder EUFlight sein, also solche, die sich um Entschädigungsansprüche von Flugpassagieren kümmern. Unternehmen dieser Art gibt es auch für verspätete Bahnkunden (Bahn Buddy, Zug-Erstattung.de usw.). Auch Geblitzt.de oder Unfallhelden werden in diese Kategorie gezählt, weiterhin Unternehmen wie wenigermiete.de, Claimright, Helpcheck, Aboalarm usw.

2. Marktplätze und Expertenportale

Marktplätze helfen Mandanten auf der Suche nach geeigneten Anwälten und ermöglichen Anwälten, sich besser und gezielter darzustellen. Bekannte Namen sind Anwalt.de, Anwalt24.de, 123Recht.Net oder Advocado.de. Diese Marktplätze und Portale sind dann geeignet, wenn sich Anliegen von Rechtsuchenden nicht mit automatisierten Rechtsberatungsprodukten erledigen lassen. Die Anbieter gehen zunehmend dazu über, zusätzlich bestimmte standardisierte anwaltliche Dienstleistungen zu Festpreisen anzubieten, um dem Rechtsuchenden die Schwellenangst zu nehmen (siehe dazu später). Die eigentliche Beratung erfolgt aber dann durch einen Anwalt.

3. Legal Process Outsourcing

Unternehmen dieser Kategorie werden nicht für Endverbraucher, sondern nur für Anwälte oder Rechtsabteilungen tätig. Sie übernehmen entweder die externe Begutachtung von Fragen oder stellen Projektjuristen zur Verfügung, die dann nur für bestimmte Projekte eingesetzt werden. Bekannte Namen sind axiom, Perconex, edicted oder Digitorney. Die Vermittlung von Projektjuristen hat allerdings wenig mit Legal Tech zu tun. Technologie kommt aber immer dann ins Spiel, wenn alle Informationen zwischen Auftraggebern und den Projektjuristen über elektronische Plattformen ausgetauscht werden und die externen Mitarbeiter Zugang zu virtuellen Datenräumen erhalten. Technologie erleichtert in diesem Fall also die Einbeziehung externer Mitarbeiter.12

4. E-Discovery und Dokumentenanalyse (Document Review)

Mit Hilfe dieser Systeme lassen sich sehr schnell große Daten- oder Dokumentmengen durchsuchen, entweder nach Stichworten oder bestimmten Begriffen oder weitergehend nach Inhalten der Dokumente. E-Discovery-Software etwa wird eingesetzt, wenn es um kartellrechtliche interne Untersuchungen geht oder um andere Unternehmensskandale, bei denen die Durchforstung der Datenmengen Aufschluss darüber liefern soll, wer wann was im Unternehmen gewusst oder angeordnet hat. Derzeit ist der VW-Dieselskandal einer der bekanntesten Fälle. Document Review-Software hingegen


7 In Deutschland noch weitgehend unbekannt, aber in den USA bereits ein boomender Geschäftszweig sind Predicive Analytics, das sind Auswertungen von Gerichts- und/oder Behördenakten und –daten mit dem Ziel, für bestimmte Sachverhaltskonstellationen „vorherzusagen“, wie eine Gerichts- oder Behördenentscheidung ausgehen wird; diese Art von Software erweitert und normalisiert anwaltliche Tätigkeiten, indem die auf Erfahrung beruhende Einschätzung durch Datenanalysen begleitet oder ergänzt, jedenfalls verbessert wird.

8 Ähnlich Fiedler/Grupp, DB 2017, 1071, die von tätigkeitsbezogenen sowie formellen oder materiellen Anwendungen sprechen.

9 Reinemann, Was ist Legal Tech?, in: Innovationen und Legal Tech, Beilage zur NJW Heft 20/2017, S. 6 ff.

10 Die Statistik findet sich hier: https://techindex.law.stanford.edu/statistics (Abfrage am 13.6.2017)

11 Die Übersicht befindet sich hier: http://tobschall.de (Abfrage am 14.5.2017); vgl. außerdem Kempe/Tobschall, Der deutsche Legal-Tech-Markt, in: Innovationen und Legal Tech, Beilage zur NJW Heft 20/2017, S. 10 ff.

12 Zu den mit Legal Outsourcong verbundenen Rechtsfragen vgl. Vgl. Hartung/Weberstaedt, Legal Outsourcing, RDG und Berufsrecht, NJW 2016, 2209.

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ist in der Lage, den Inhalt bestimmter Dokumente zu lesen, zu verstehen, zu exzerpieren und zu katalogisieren – wobei die Begriffe „lesen“ und insbesondere „verstehen“ nur im übertragenen Sinn verstanden werden können. Diese Software erledigt jedenfalls Tätigkeiten, für die heute immer noch auch Rechtsanwälte eingesetzt werden, und wenn es eine Software gibt, welche die Arbeit von Anwälten schon heute teilweise ersetzt, dann ist es diese Kategorie.

B. Legal Tech und der Zugang zum Recht

Die plötzliche Prominenz von Legal Tech lässt sich alleine mit den Möglichkeiten heutiger Software nicht erklären, auch wenn man davon ausgehen kann, dass auf der Technologiebasis von vor, sagen wir, sieben Jahren einige der Anwendungen, die sich heute präsentieren, nicht denkbar waren. Das gilt etwa für solche Anwendungen, die unter der Kategorie AI zusammengefasst werden, insbesondere Document Review-Anwendungen. Auch wenn diese Systeme noch längst nicht das liefern, was man sich von ihnen erhofft, so wird doch heute schon deutlich, was da auf uns zukommen kann.

Vielleicht treffen auch eine gestiegene Leistungsfähigkeit und eine neue Start-Up-Gründerwelle auf eine tiefsitzende Unzufriedenheit von Rechtsuchenden mit anwaltlichen Leistungen und bilden ein explosives Gemisch, welches die Entwicklung treibt. Das gilt sowohl im Privat- oder Verbraucherbereich (Business to Consumer/Customer, B2C) wie im Bereich der wirtschaftsrechtlichen Beratung gewerblicher Mandanten (Business to Business, B2B), wenn auch in ganz unterschiedlicher Ausprägung. Im Bereich B2B kommt verstärkend hinzu, dass sich die deutsche Wirtschaft seit geraumer Zeit mit dem Prozess der Digitalisierung befasst und es inzwischen kaum noch Unternehmen gibt, die sich dem entziehen können. Das erfasst auch die Rechtsabteilungen dieser Unternehmen, die sich nicht nur mit den damit verbundenen Rechtsfragen befassen, sondern sich selber der Digitalisierung ihrer eigenen Dienstleistung stellen müssen. So erreicht die Digitalisierungswelle dann zuletzt die externen Berater, also die Anwälte, die ohne Druck der Mandanten keine Veranlassung hätten, über eine tiefgreifende Umwälzung ihrer Arbeitsweisen nachzudenken. In diesem Fall erweisen sich die Mandanten als Innovationstreiber.

Legal Tech tritt jedenfalls an mit dem Versprechen, die Unzulänglichkeiten des Rechtspflegesystems zu beseitigen und/oder anwaltliche Leistungen besser, besser erreichbar und kostengünstiger zu machen. Dieses Versprechen stößt auf offene Ohren (bei Mandanten und bei einigen Kanzleien, immerhin). Die Bereitschaft, solche Angebote nicht nur einmal auszuprobieren, sondern sie als werthaltige Dienstleistung zu erwerben, wäre kaum denkbar, wenn Rechtsuchende zufrieden wären mit dem, was sie in der traditionellen anwaltlichen Dienstleistung vorfinden.

Diese Entwicklung wiederum bedient ein Nutzerverhalten, welches Leistungen oder Informationen, gleich welcher Art, zunächst im Internet sucht. Die Angebote dort sind viel bequemer zu erreichen, vermeintlich günstiger oder sogar umsonst – „vermeintlich“ deshalb, weil man dort Leistungen mit seinen persönlichen Daten und Informationen über sein Nutzerverhalten bezahlt. Natürlich findet man im Internet auch anwaltliche Homepages, die allgemein über die Leistungsfähigkeit dieser bestimmten Kanzlei informieren, aber man findet dort nicht das, was man sucht: Die Lösung eines Problems. Auf dem Rechtsmarkt agieren die Legal Tech-Unternehmen wie E-Commerce-Unternehmer, die nicht nur hochprofessionell mit Search Engine Optimization und sogenannten AdWords versuchen, Kunden zu einem Besuch der Homepage zu motivieren, sondern darüber hinaus permanent darüber nachdenken, wie sie das Nutzererlebnis verbessern und vor allem vereinfachen können. Das gehört bei anwaltlichen Homepages noch lange nicht zum Standard. Wenn anwaltliche Homepages nicht aktiv in die Mandantengewinnung eingebunden werden, sind sie auf dem Rechtsmarkt eher mit Eckenstehern zu vergleichen.

Nachfolgend betrachten wir Legal Tech aus drei Blickwinkeln, nämlich hinsichtlich der Bedeutung für die Verbraucherberatung und den Zugang zum Recht, sodann aus Sicht von gewerblichen Mandanten und schließlich aus Sicht der Anwälte, für die Legal Tech eine Chance der Verbesserung ihrer Arbeit darstellt.

I. Verbraucherberatung (B2C)

Bei aller Kritik über die Rechtspflege in Deutschland – zu umständlich, zu langsam, unzureichend ausgestattet – wird man gerade im Vergleich zu anderen Ländern sagen müssen, dass das bei uns im Großen und Ganzen gut funktioniert13 , auch wenn wir im Hinblick auf digitale Innovationen keine Musterknaben sind. Aber es scheint auch Bereiche zu geben, wo dies offenbar nicht der Fall ist, und wo gerade Verbraucher in diesem System zu kurz kommen, insbesondere dann, wenn es sich um Angelegenheiten mit kleinen Streitwerten handelt. Gerade in diesen Bereichen sind Legal Tech-Unternehmen besonders erfolgreich.

1. Studie des GdV aus dem Jahr 2013

Ist die Kritik am System der Rechtspflege berechtigt? Dazu zunächst einige Zahlen: Nach einer Forsa-Studie im Auftrag des GdV Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft aus dem Jahr 201314 haben 71% der Befragten Angst vor den Kosten eines Rechtsstreits und würden deshalb keinen Anwalt beauftragen. Betrachtet man die Altersgruppe der 18-29-jährigen, steigt die Zahl auf 81%. Diese Zahlen sind dramatisch hoch. Eine der wichtigsten Aufgaben der Anwaltschaft ist die Hilfe rechtsuchender Bürger beim Zugang zum Recht, und dieser (geordnete) Zugang zum Recht ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen funktionierenden Rechtsstaat. Auch wenn in vielen Fällen die Vertretung durch Anwälte nicht geboten oder erforderlich ist, so ist es für die Stellung der Anwaltschaft kein gutes Zeichen, wenn ein so großer Teil der Bevölkerung die Beauftragung eines Anwalts aus Kostengründen meidet. Offenbar ist das System der Beratungs- und Prozesskostenhilfe kein taugliches Ventil.


13 Vgl. das jüngst veröffentlichte Justizbarometer 2017, zu finden hier: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-17-890_de.htm (Abfrage am 13.6.2017); Deutschland nimmt einen Platz im Mittelfeld ein.

14 Bericht über die Studie und weitere Materialien hier: http://www.gdv.de/2013/06/aus-angst-vor-den-kosten-eines-rechtsstreits-wuerden-zwei-drittel-der-deutschen-auf-ihr-recht-verzichten/ (Abfrage 14.5.2017)

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Diesen Zahlen mag man entgegenhalten, dass es eine Studie der Versicherungswirtschaft ist, und betrachtet man die Studie als Ganzes, kann man sie auch als Werbung für Rechtsschutzversicherungen lesen. Allerdings ist der Befund in anderen Ländern ähnlich, teilweise sogar dramatischer: In den USA sind es 80% der Bevölkerung, die keinen Zugang zum Recht haben – entweder weil sie sich keinen Anwalt leisten können, oder weil ihnen gar nicht bewusst ist, dass sie in bestimmten Situationen Rechte haben. In Räumungsverfahren sind es 90% der Beklagten (also derjenigen, die räumen müssen), die ohne anwaltliche Hilfe vor Gericht stehen. Das ist ein erhebliches Gerechtigkeitsproblem, und es beeinträchtigt zunehmend das Funktionieren der Justiz: Verfahren dauern länger, und ohne Anwälte sind mehr Ressourcen erforderlich, um diese Prozesse durchzuführen.

2. Anwaltliches Selbstverständnis und Honorarsystem

Ein funktionierendes Gemeinwesen braucht jedenfalls den Zugang zum Recht. Man kann der Anwaltschaft nicht vorwerfen, dass sie „zu teuer“ seien, denn ganz überwiegend arbeiten Anwälte auf Basis einer gesetzlichen Gebührenordnung. Danach orientieren sich die anwaltlichen Gebühren am Streit- oder Gegenstandswert, unabhängig vom Aufwand, der für die Mandatsbearbeitung erforderlich ist, und völlig losgelöst vom Nutzen für den Empfänger der Dienstleistung, den Mandanten. Anwälte dürfen in bestimmten Grenzen auf Honorare verzichten, aber nicht regelmäßig, und sie dürfen schon gar nicht anbieten, dass sie Gebühren nur im Erfolgsfalle berechnen werden. Solche erfolgs- oder besser ergebnisorientierten Honorare sind nur in engen Ausnahmefällen zulässig.

Ein weiteres kommt hinzu: Die Anwaltschaft ist heute im Wesentlichen noch so organisiert wie vor 50 Jahren. Das betrifft nicht die Büroeinrichtung, sondern Selbstverständnis und Art der Arbeit. Anwälte sind wie Manufakturbetreiber, die davon überzeugt sind, dass jeder Fall anders ist und daher eine besondere Behandlung verdient. Auch wenn Anwälte mit Textbausteinen und Vertragsmustern arbeiten: von so etwas wie „industrialisierter Rechtsdienstleistung“, verstanden als Massenproduktion auf hohem Niveau15 , sind sie meilenweit entfernt. Schon der Begriff würde Anwälte eher befremden. Immerhin haben Anwälte sich inzwischen damit angefreundet, dass man mit Spezialisierung mehr Erfolg hat als wenn man als Generalist unterwegs ist. Aber Fokus auf wenige Rechtsberatungs“produkte“? – allenfalls vereinzelt. Aus anwaltlicher Sicht kommt es hauptsächlich darauf an, dass der von ihnen bearbeitete Fall am Ende keinen Verlust produziert. Das ist zwar nicht im System der Pauschalgebühren angelegt, weil danach die Erträge aus Mandaten mit hohem Streitwert diejenigen Mandate mit geringem Streitwert und nicht kostendeckendem Ertrag quersubventionieren sollen. Dieses System der Quersubventionierung besteht allerdings nur in der Theorie, tatsächlich ist bereits lange nachgewiesen, dass dieses System nicht (mehr) funktioniert.16

Daher steht seit vielen Jahren die Forderung der Anwaltsverbände nach einer gesetzlichen Gebührenerhöhung im Raum, auch und gerade bei den kleinen Streitwerten. Damit ist verbunden, dass sich Preis der Dienstleistung und Nutzen für den Mandanten möglicherweise noch weiter voneinander entfernen. Das ist aber nun so ziemlich genau das Gegenteil dessen, was marktgerecht wäre: Verbraucher von heute suchen und finden juristische Unterstützung im Internet auf einer „No win, no fee“-Basis, ganz abgesehen davon, dass diese neuen Angebote ungleich viel bequemer zu erreichen sind als Anwälte in ihren Büros.

Das gilt umso mehr, wenn man sich noch einmal die Zahlen der GdV-Studie vor Augen führt: Dort waren es 81% der 18-29jährigen, die aus Angst vor den Kosten nicht zum Anwalt gehen. Von dieser Bevölkerungsgruppe wird man annehmen können, dass sie besonders internetaffin ist und es als Selbstverständlichkeit betrachtet, Informationen zuerst einmal im Internet zu suchen. Bei dieser Bevölkerungsgruppe haben Anwälte demnach kaum noch eine Chance.

3. Vorteile von Legal Tech gegenüber Anwälten

So erklärt sich im Bereich der Verbraucherberatung ein erster Teil des Erfolgs von Legal Tech. Diese Unternehmen bieten Verbrauchern etwas, was Rechtsanwälte so nicht bieten dürfen: auf einer reinen Erfolgsbasis onlinegestützte Hilfe, die entweder in der Vermittlung von anwaltlichen Festpreisangeboten oder gleich aus Hilfsangeboten bei Rechtsfragen des täglichen Lebens bestehen. Sie können wegen ihres Fokus auf wenige „Produkte“, die wegen so gut wie automatisierter „Fertigungsstraßen“ mit geringen Kosten hergestellt und vertrieben werden, eine hohe Qualität anbieten.

Legal Tech-Unternehmen erweisen sich auch als ungleich wirkungsvoller für den Verbraucherschutz als die traditionellen Verbraucherschutzangebote. Allerdings geschieht das nicht umsonst: Bei den Flugverspätungsportalen ist regelmäßig eine Provision von 25% plus MwSt. fällig, wenn die Fluggesellschaft zahlt, bzw. 35%, wenn das Legal Tech-Unternehmen gleich auszahlt und das Risiko für die erfolgreiche Anspruchsdurchsetzung übernimmt. Hingegen wäre eine Tätigkeit der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e.V. (SÖP) für den Passagier gratis. Dennoch nehmen viel mehr Passagiere die Verspätungsportale in Anspruch, weil deren Leistungen schneller und bequemer zu bekommen sind, bei der SÖP nicht alle Fluggesellschaften beteiligt sind und dort schließlich auch mehr an Mitwirkung durch die Passagiere gefordert wird. Hier sind die Portale überlegen.

4. Zwischenergebnis

Ob es Entschädigungsansprüche bei Flugverspätungen sind, Hilfe bei arbeitsrechtlichen Problemen, bei Hartz IV-Streitereien oder bei Vermieterproblemen zum Thema Mietpreisbremse, Hilfe bei der Zusammenstellung individualisierter Vertragsdokumente, bei bestimmten Formularschreiben, bei Kündigungsfristenüberwachung, bei Vorsorgevollmachten oder Patientenverfügungen: wegen solcher Themen geht heute kaum jemand noch zum Anwalt. Die Angebote der Legal Tech-Unternehmen sind günstiger und viel bequemer zu erreichen, und man muss sich mit seiner Schwellenangst gegenüber Anwälten gar nicht erst


15 Vgl. dazu Breidenbach, Landkarten des Rechts – von den Chancen industrieller Rechtsdienstleistungen, in: Der moderne Anwalt, Festschrift für Benno Heussen zum 65. Geburtstag, Köln 2009, S. 39 ff.

16 Hommerich/Kilian u.a., Quersubventionierung im RVG: Fiktion oder Wirklichkeit, AnwBl. 2006, 406 f.

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befassen. Anwälte mögen das verschmerzen, weil es sich um Auseinandersetzungen mit geringen Streitwerten handelt, aber diese Angebote werden nicht auf dem Kleinstwertniveau verharren, sondern in Beratungssphären vordringen, in den Anwälte sich heute noch sicher fühlen.

II. Wirtschaftsrechtliche Beratung (B2B)

Alle diese Erörterungen gelten nicht oder nur eingeschränkt im Bereich B2B, trotzdem spielt Legal Tech auch dort eine erhebliche und spielentscheidende Rolle, und dies schon seit vielen Jahren. Das Outsourcing von Dienstleistungen in Länder mit niedrigerem Lohnniveau wäre ohne Plattformtechniken nicht möglich gewesen. Als weiteres Beispiel mag e-Discovery gelten, das es ebenfalls schon seit Jahren gibt, lange bevor es Document Review-Systeme wie heute gab. Aber auch hier kam es nie zu der öffentlichkeitswirksamen Prominenz des Themas wie heute.

1. Unterschiedliche Rolle von Anwälten bei der B2B-Beratung

Die Bedeutung von Legal Tech ergibt sich bei Rechtsdienstleistungen für Unternehmen aus einem anderen Grund als im Bereich B2C. Denn Anwälte spielen in der wirtschaftsrechtlichen Beratung eine andere Rolle als bei der Verbraucherberatung. Um den Zugang zum Recht geht es bei der Beratung von gewerblichen Unternehmen eher selten. Das bedeutet nicht, dass Unternehmen nicht auch Ansprüche gerichtlich durchsetzen oder sich dagegen verteidigen müssen. Doch im Verbraucherbereich ist der Zugang zum Recht eine existenzielle und strukturelle Machtfrage zwischen rechtlos bleiben und Recht bekommen. Über diese existenzielle Not reden wir im B2B-Bereich nicht. Überwiegend geht es dort um die Strukturierung und Begleitung bei Unternehmenstransaktionen, oft auch um prozessuale Auseinandersetzungen. Unternehmen würden grundsätzlich nicht aus Kostengründen auf die Hinzuziehung von Anwälten verzichten. Allerdings gab es schon seit gut 10 Jahren einen erheblichen Unwillen mit dem stetig steigenden Kostenniveau der wirtschaftsberatenden Kanzleien, insbesondere in den USA, aber auch in Großbritannien.

2. Software ersetzt die Tätigkeit von Anwälten

Die Technik kam in den letzten Jahren ins Spiel, als Software so weit war, Dokumente nicht nur nach bestimmten Begriffen zu durchforsten, sondern Dokumente zu „lesen“, den Inhalt „zu verstehen“, wesentliche Dokumenteninhalte zu exzerpieren und sodann zu systematisieren und katalogisieren. Solche Software war vor einigen Jahren noch undenkbar, heute gibt es sehr viele Sozietäten, die mit solcher Software arbeiten. Damit können Due Diligences schneller und deutlich günstiger durchgeführt werden, und überhaupt kann die Document Review weite Teile der Tätigkeit ersetzen, die früher viele junge Anwälte auf Zeithonorarbasis durchführten. Hinzu kommt, dass diese Art von Software dazulernt: mit jeder weiteren Review, mit jedem weiteren Set von Daten wird der Algorithmus besser.

Damit verbunden war auch schon seit Jahren der Einsatz von Dokumentenerstellungssoftware für die umfangreichen Vertragswerke, die in internationalen Transaktionen üblich sind und aus vielen vorgefertigten Versatzstücken bestehen, die dann auf eine einzelne Transaktion angepasst und verhandelt werden. Auch dieser Prozess, früher auf Zeitbasis abgerechnet, geht heute durch den Einsatz von Software viel schneller und auf höherem Qualitätsniveau als früher.

3. Neue Transparenz und Zugang zu Informationen

Hinzu kommen Forderungen von Mandanten an Kanzleien, ihre Zeiten auf Plattformen in Real Time (also spätestens 24 Stunden nach geleisteter Arbeit) einzugeben, mit der Folge direkter Transparenz für den Mandanten. Mandanten sehen also schon im Lauf der Transaktion, wie sich die Kosten entwickeln, und vor allem: warum. Damit gerät ein weiteres wesentliches Element des anwaltlichen Geschäftsmodells unter Druck: die Intransparenz. Wer in einer Transaktion was und für wen tut, war früher für Mandanten weitgehend unklar, heute liegt es transparent auf dem Tisch und kann sofort angesprochen werden. Das führt zu größerer Kostendisziplin auf Seiten der Kanzleien und dies wiederum zur Reduktion von Kosten.

Abschließend ist zu B2B zu bemerken: Wenn auch die Hilfe beim Zugang zum Recht nicht das entscheidende Kriterium für Unternehmen ist, so ist es doch häufig der Zugang zu strukturierten und aufbereiteten Informationen. Denn der Zugang zu Informationen allein stellt angesichts der Flut an Informationen keinen besonderen Wert dar. Das gilt gerade in den Bereichen, in denen die Regulierung komplex und unübersichtlich ist, was z.B. bei der Umsetzung von EU-Richtlinien mit Öffnungsklauseln in nationales Recht der Fall ist: ein Finanzdienstleister braucht einen verlässlichen und systematischen Überblick darüber, wie die Kapitalmarktrichtlinie MiFID II bisher in den einzelnen europäischen Mitgliedstaaten umgesetzt worden ist. Ähnlich kann es bei der Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung sein oder auch bei der Frage, wie die Rechtslage in verschiedenen Ländern ist, wenn es um die Anmeldung von Unternehmenstransaktionen geht. Diese Informationen erfordern keine einzelnen Gutachten, sondern oft nur systematische Überblicke, die möglichst einfach zur Verfügung gestellt werden sollen. Darauf haben viele Kanzleien reagiert, indem sie ihren Mandanten, die ja allesamt Profis sind, solche Informationen online zur Verfügung stellen. Diese Dokumente werden durch die Mandanten dann heruntergeladen, oft gegen Entgelt, manchmal aber auch als ein kostenfreier Service.

III. Legal Tech und Kanzleien

Das führt uns zum letzten Punkt: Legal Tech ermöglicht Kanzleien, ihre Art der „Produktion“, also die anwaltliche Leistungserstellung, effektiver und kosteneffizienter zu gestalten, und es eröffnen sich neue Vertriebswege für die anwaltlichen Leistungen und Produkte. Um das Beispiel mit den Online-Informationen aufzugreifen: Die Information muss nur einmal erstellt und dann regelmäßig aktualisiert werden, und kann danach einer Vielzahl von Mandanten oder Kunden verkauft werden. Der Vertriebsweg ist für den Anwalt theoretisch kurz und unaufwendig, denn er stellt nur ein Dokument zum Download bereit. Produktions- und Versandkosten entfallen gänzlich (allerdings sind hier völlig andere und für Anwälte ungewohnte


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Vertriebsstrategien gefragt). Solche Informationen als traditionelle Beratungsdienstleistungen haben nur ein endliches Wachstumspotenzial, als digitale Produkte jedoch theoretisch ein unendliches Potenzial. Man spricht hierbei von skalierbaren Dienstleistungen. Die Kosten für die Erstellung solcher Informationen sind von der Zahl der Kunden unabhängig, es wird ein Produkt verkauft, das unendlich häufig vertrieben werden kann.

Während solche Angebote mit Legal Tech eigentlich nichts zu tun haben – es handelt sich um Word-Dokumente, die heruntergeladen werden können, was technisch eher unterkomplex ist –, sind Kanzleien inzwischen weitergegangen und haben Service-Tools entwickelt, mit denen Mandanten Rechtsfragen prüfen oder sich selber juristische Dokumente erstellen können. Die Prüfungsergebnisse sind rein softwarebasiert, die anwaltliche Tätigkeit erstreckt sich auf die Konzeption dieser Produkte oder Dienstleistungen. Die Schnittstelle zum Mandanten ist ein Portal, nicht mehr ausschließlich der persönliche Kontakt zum Anwalt. Mandanten schätzen das, weil sie einerseits günstige Services erhalten, aber dennoch die Möglichkeit behalten, ihren Anwalt zu beauftragen, wenn das softwarebasierte Ergebnis nicht ausreicht.

Technologie hilft schließlich auch intern: sei es, dass durch Software Dinge erledigt werden, die gerade junge Associates als Strafarbeit betrachten (Document Review, Datenräume usw.), oder dass immer gleiche Abläufe durch Software automatisiert werden, oder dass die Erreichbarkeit von Anwälten verbessert wird – Kanzleien werden durch Technologie schneller und kostengünstiger. Die kommende Generation von Bewerbern wählt Kanzleien auch nach der technischen Ausstattung aus. Legal Tech ist hier ein Versprechen an den Nachwuchs, flexibler arbeiten zu können und keine stumpfsinnigen Datendurchsichten vornehmen zu müssen.

Legal Tech hat das Potenzial, einen Innovationsschub in Kanzleien zu bewirken, selbst wenn innovative Lösungen mit neuartiger Technologie eigentlich nichts zu tun haben – siehe die angebotenen Informationen als Word-Dokument per Download. Dieser Innovationsschub tut Kanzleien gut, denn sie hängen traditionell hinterher.

C. Fazit

Legal Tech ist also attraktiv, weil es sich bisher hauptsächlich als etwas Positives präsentiert – es hilft beim Zugang zum Recht dort, wo Verbraucher früher keine Chance (oder schlichtweg keine Angebote) hatten, es macht die anwaltliche Leistung kosteneffizienter und häufig besser, es eröffnet neue Geschäftsfelder und -chancen für Kanzleien und andere Unternehmer, und es steigert schließlich insbesondere aus Sicht der jungen Generation die Arbeitsplatzzufriedenheit.

Legal Tech wird jedoch in der gesamten Anwaltschaft noch nicht ausschließlich positiv wahrgenommen. Der Rechtsmarkt verändert sich schon seit vielen Jahren, auch unabhängig von Legal Tech, und viele Anwälte fühlen sich diesen Anforderungen nicht gewachsen. Legal Tech und die Digitalisierung stehen für die Bedrohung des herkömmlichen Berufsbildes, auch wenn man nicht von einer technologischen Revolution mit der Folge massenweiser Arbeitsplatzverluste oder Kanzleiensterben sprechen kann. Anwälte sind nach einer aktuellen Studie des Soldan-Instituts verhalten oder skeptisch: zwar denkt jeder Dritte, dass er durch ein Computerprogramm von Routineaufgaben entlastet werden kann. Den Wert von Plattformen für die Mandatsgewinnung sehen aber nur 13% der Befragten, und 46% sehen die Digitalisierung nicht als Chance für den Berufsstand, sondern als Chance für Nichtanwälte, durch die sie selber aus dem Beruf gedrängt werden. Das gilt gerade für diejenigen Angebote, mit denen Verbraucher schnell und günstig Hilfe bekommen.17

Legal Tech setzt das traditionelle Geschäftsmodell von Kanzleien unter Druck und zwingt sie, ihr bisheriges Modell zu überdenken.18 Nach den bisherigen Erfahrungen geschieht das aber nicht abrupt oder disruptiv und nicht über Nacht. Trotzdem stehen auch die technologie-affinen Anwälte vor der Frage, wie man Digitalisierungsprozesse in einer Kanzlei anstößt und wie man Investitionen in IT stemmen soll. Große wirtschaftsberatende Kanzleien und die Big4-Wirtschaftsprüfungsgesellschaften haben erhebliche Investitionen in IT und ihre Abläufe getätigt, und, soviel wird im Zwiegespräch zugegeben, nicht jede Investition war erfolgreich. Diese Möglichkeiten haben kleine und mittlere Kanzleien nicht. Bevor aber Legal Tech zu einem Standard wird, verbunden mit einem Preisverfall bei der Software, stehen diese Kanzleien vor der Frage, wie sie die Zukunft bewerkstelligen sollen.


17 Bericht über die Studie des Soldan-Instituts von Marcus Jung im Wirtschaftsteil der FAZ vom 30.5.2017, „Zahl der Anwälte sinkt“; Link zu einer Zusammenfassung der Studie: https://www.soldan.de/insights/anwaelte-verbinden-mit-legal-tech-mehr-risiken-als-chancen/

18 Vgl. Hartung/Ziercke, Why the developments to the competence divide (and not the digital divide) will make or break the law firm business model, in Armentano (Ed.), New Directions in Legal Services, Wilmington Group London 2017, p. 1-10.