Kartellschadensersatz

Eine Einführung

Dr. Konstantin Seifert, LL.B.*

A. Überblick

Seit Einführung der Kronzeugenregelungen durch das Bundeskartellamt und die Europäische Kommission1 hat sich die Anzahl aufgedeckter Kartelle in Deutschland und auf Europäischer Ebene deutlich erhöht.2 Gleichzeitig stiegen auch die von den Behörden verhängten Bußgelder deutlich an, so dass mittlerweile (Gesamt-)Bußgelder im dreistelligen Millionenbereich und darüber hinaus keine Seltenheit mehr sind.3 Das „Public Enforcement“, also die Durchsetzung des Kartellrechts durch die Kartellbehörden, ist offenbar wirksamer denn je.

Doch dabei bleibt es nicht. So hat der Europäische Gerichtshof in den Jahren 2001 („Courage/Crehan“4) und 2006 („Manfredi“5) zwei grundlegende Entscheidungen dazu erlassen, dass es zur vollen praktischen Wirksamkeit des europäischen Kartellverbots (heute Art. 101 AEUV) erforderlich sei, dass jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Verstoß entstanden sei. Dieses „Private Enforcement“ durch Geschädigte trete als zweite wichtige Säule neben das „Public Enforcement“ durch die Kartellbehörden. Die Einrichtung und Umsetzung der Schadensersatzansprüche blieb den nationalen Gesetzgebern überlassen.

Der deutsche Gesetzgeber hat im Zuge dieser Entwicklungen die Regelungen für kartellrechtlichen Schadensersatz immer weiter ausgebaut, zuletzt im Rahmen der jüngst am 9. Juni 2017 in Kraft getretenen 9. GWB-Novelle, die unter anderem der Umsetzung der Europäischen Schadensersatzrichtlinie aus dem Jahr 20146 diente.

Bei der Ausgestaltung der Regelungen durch den Gesetzgeber und deren (zukünftige) Auslegung durch die Gerichte waren und sind eine Reihe von Spannungsfeldern zu beachten. So soll zwar ausdrücklich die erfolgreiche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen durch Kartellgeschädigte erleichtert werden; gleichwohl darf die praktische Wirksamkeit der Kronzeugenprogramme (etwa durch Einsichtsrechte der Geschädigten) nicht eingeschränkt werden, damit auch zukünftig Kartelle aufgedeckt (und dadurch überhaupt erst Schadensersatzansprüche ermöglicht) werden. Zudem müssen die Interessen der Kartellbeteiligten bspw. an einem Schutz von Betriebsgeheimnissen beachtet und die Praktikabilität der Regelungen für die gerichtliche Bearbeitung einer immer größeren Anzahl von Schadensersatzverfahren gewahrt werden. Bei der Abwägung dieser Interessen stehen der deutsche Gesetzgeber (und die deutsche Rechtsprechung) zudem in einem gewissen Wettbewerbsverhältnis mit anderen europäischen Gerichtsstandorten.7 Denn gerade bei europaweiten Kartellverstößen haben die Geschädigten oft die Wahl, in welchem Mitgliedstaat sie ihre Schadensersatzansprüche gerichtlich geltend machen.8 Hierbei spielen neben Praktikabilitätserwägungen die Verfahrenskosten und insbesondere natürlich die Erfolgsaussichten eine maßgebliche Rolle. Die Schadensersatzrichtlinie hat zwar bestimmte Mindeststandards für die Ausgestaltung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche vorgegeben, die in den Mitgliedstaaten umzusetzen waren. Gleichwohl verblieben für die Mitgliedstaaten erhebliche Spielräume, insbesondere um noch weitergehende, klägerfreundlichere Regelungen zu treffen.

Deutschland stand in diesem Vergleich mit anderen mitgliedstaatlichen Regelungen zu kartellrechtlichem Schadensersatz bereits vor der 9. GWB-Novelle gut da. Für die Zukunft ist zu erwarten, dass Deutschland seine Position als attraktiver Gerichtsstandort9 weiter festigen wird – nicht zuletzt auch, weil der bislang ebenfalls wichtige Gerichtsstand in London10 angesichts des Brexit-Verfahrens an Bedeutung verlieren dürfte. Für von Kartellen geschädigte deutsche Unternehmen sind das gute Nachrichten: Sie können ihre Schadensersatzansprüche mit guten Erfolgsaussichten vor deutschen Gerichten geltend machen, ohne sich in eine fremde Rechtsordnung begeben zu müssen. Vorbereitungen und Besprechungen mit Anwälten und Wettbewerbsökonomen und das gerichtliche Verfahren können auf Deutsch geführt werden.

B. Ablauf

Für die Geltendmachung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche und deren Vorbereitung gelten einige Besonderheiten.

I. Die Berater

Geschädigte benötigen zur (gerichtlichen) Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen juristische und ökonomische


* Der Autor ist Salary Partner bei Corinius LLP in Hamburg im Bereich Competition.

1 Erste Kronzeugenregelungen sind in Deutschland seit 2000 und in der Europäischen Union seit 2002 in Kraft; praktisch noch bedeutsamer wurden sie durch die Neuregelungen im Jahr 2006.

2 Vgl. http://www.bundeskartellamt.de/DE/Kartellverbot/kartellverbot_n ode.html; http://ec.europa.eu/competition/ cartels/statistics/statistics.pdf.

3 Vgl. z. B. die vom Bundeskartellamt seit 2009 geahndeten Kartelle i. S. Kaffee (159 Mio. EUR), Brillengläser (115 Mio. EUR), Schienen-DB (135 Mio. EUR), Zucker (282 Mio. EUR), Wurst (339 Mio. EUR) und Bier (338 Mio. EUR) und die von der Europäischen Kommission geahndeten Kartelle i. S. Lkw (2,9 Mrd. EUR), Autoglas (1,2 Mrd. EUR), Bildröhren (1,4 Mrd. EUR) und Aufzüge (832 Mio. EUR).

4 EuGH, Rs. C-453/99 – Courage/Crehan, Slg. 2001, I-6297, Rn. 24 ff.

5 EuGH, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04 – Manfredi, Slg. 2006, I-6619, Rn. 58 ff.

6 [7] Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union („Schadensersatz-RL“).

7 S. hierzu Wurmnest, NZKart 2017, 2 f.

8 Maßgeblich hierfür sind Art. 4-8 EuGVVO (VO 1215/2012).

9 Wurmnest, NZKart 2017, 2, 8.

10 So z. B. Bundeskartellamt, Tätigkeitsbericht 2015/2016, BT-Drucks. 18/12760, S. 41.

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Berater. Auf Anwaltsseite scheiden die sog. Großkanzleien häufig aus, weil sie eine Positionierung gegen die Kartellbeteiligten vermeiden wollen oder aus Konfliktgründen müssen oder sie einen der Kartellbeteiligten sogar bereits im vorangegangenen Bußgeldverfahren als Verteidiger vertreten haben. Der Angriff ist daher eher die Domäne spezialisierter, kleiner und mittelgroßer Kartellrechtspraxen.

Wettbewerbsökonomen werden in der Regel benötigt, um die kartellbedingte Überhöhung der Preise zu begutachten und insbesondere eine Grundlage für die richterliche Schadensschätzung zu erarbeiten. In den letzten Jahren haben sich eine Reihe privatwirtschaftlicher Beratungsunternehmen sowie Lehrstühle bzw. Universitätsinstitute auf diese Tätigkeit spezialisiert.

Darüber hinaus kann es sich empfehlen, einen Prozessfinanzierer einzuschalten. Hierbei handelt es sich um Unternehmen, die die Finanzierung der gutachterlichen Aufbereitung und (gerichtlichen) Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Einräumung einer prozentualen Beteiligung übernehmen. Hierdurch spart der Geschädigte nicht nur Liquidität; er kann sich auch gegen das wirtschaftliche Risiko absichern, am Ende eines langwierigen und kostspieligen Rechtsstreits kostenpflichtig zu unterliegen.

II. Die Vorbereitung

Da nur Geschädigten Schadensersatzansprüche zustehen, ist in einem ersten Schritt zu klären, ob der potenziell Geschädigte die vom Kartell betroffenen Produkte im betroffenen Zeitraum bezogen hat. Dieser Bezug kann entweder direkt oder indirekt über eine oder sogar mehrere dazwischengeschalteten Händlerstufen erfolgen, wobei im letzteren Fall nur dann Ansprüche in Betracht kommen, wenn davon auszugehen ist, dass die Zwischenhändler den kartellbedingten Preisaufschlag ihrerseits eingepreist und so schließlich auf den potenziell Geschädigten abgewälzt haben.

Sobald feststeht, in welchem Umfang die kartellbefangenen Produkte bezogen wurden, kann eine erste – sehr grobe – Potenzialschätzung erfolgen, indem der Umfang mit einer durchschnittlichen kartellbedingten Preisüberhöhung multipliziert wird. Hierzu existieren einige (Meta-)Studien,11 die – auch wenn sie sich zum Schadensnachweis oder zur Berechnung der Schadenshöhe im Einzelfall nicht eignen, da stets individuelle Faktoren zu berücksichtigen sind – einen pauschalen Ansatz von 5-10% für eine erste grobe (und konservative) Schätzung als plausibel erscheinen lassen.

Auf Grundlage dieser ersten Schätzung wird entschieden, ob und mit welchem Aufwand die Geltendmachung möglicher Schadensersatzansprüche sinnvoll ist. Angesichts der zu erwartenden Kosten für juristische und ökonomische Berater (sowie ggf. gerichtliche Kosten) muss vermieden werden, mit „Kanonen auf Spatzen“ zu schießen. Bei einem geringen Rückforderungspotenzial und einer bestehenden Lieferbeziehung zu den Kartellbeteiligten kann es sich u. U. eher anbieten, das Thema bei den nächsten Vertragsverhandlungen oder Preisrunden auf die Tagesordnung zu setzen (und „einzupreisen“12) als die Ansprüche gesondert geltend zu machen. In Betracht kommt aber auch eine Bündelung von Ansprüchen mehrerer, jeweils in geringerem Umfang Geschädigter, um auf diese Weise die Wirtschaftlichkeitsschwelle zu erreichen.

Sofern nach der ersten Schätzung hingegen ein höheres Rückforderungspotenzial im Raum steht, sind nun Wettbewerbsökonomen hinzuzuziehen, um eine belastbare und auf den Einzelfall abgestimmte Untersuchung der möglichen Schadenshöhe vorzunehmen. Dies setzt in der Regel eine (mitunter aufwändige) Datenaufbereitung beim Geschädigten voraus. Unter Umständen ist daher auch bereits in diesem Stadium über die Hinzuziehung eines Prozessfinanzierers zu entscheiden, der im Einzelfall auch die vorbereitende Prüfung von Ansprüchen finanzieren kann.

Parallel dazu gilt es, die Funktionsweise des Kartells möglichst genau in Erfahrung zu bringen. Denn hieraus ergeben sich Erkenntnisse über den sachlichen, räumlichen und zeitlichen Umfang des Kartells, über die betroffenen Beschaffungsvorgänge und im Einzelfall über den Umfang der kartellbedingten Preisüberhöhung.

Wurde das Kartell vom Bundeskartellamt geahndet, werden die maßgeblichen Informationen zum Kartell seit der 9. GWB-Novelle gem. § 53 Abs. 5 GWB auf der Internetseite des Bundeskartellamts veröffentlicht. Gleichwohl werden Geschädigte auch in Zukunft – schon aus Vorsicht – nicht darauf verzichten können, gem. § 406e StPO i. V. m. § 46 OWiG Einsicht in den Bußgeldbescheid zu nehmen, aus dem sich möglicherweise über die Veröffentlichung hinausgehende Informationen gewinnen lassen. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Einsicht auch in weitere Bestandteile der Bundeskartellamtsakte nach der 9. GWB-Novelle (also seit dem 9. Juni 2017) möglich bleibt, ist noch nicht geklärt.13 Denn mit der 9. GWB-Novelle sollte die Informationsgewinnung des Geschädigten vorrangig nicht mehr bei der Behörde, sondern bei den Schädigern erfolgen, wozu in § 33g GWB ein materiell-rechtlicher Auskunfts- und Herausgabeanspruch geschaffen wurde. Welchen praktischen Nutzen dieser Anspruch (der wiederum angesichts der zu erwartenden Gegenwehr der Geschädigten im Regelfall wird gerichtlich durchgesetzt werden müssen) für den Schädiger hat, bleibt abzuwarten. Im laufenden (Schadensersatz-)Verfahren kann überdies – subsidiär – gem. § 89c GWB beantragt werden, dass das Zivilgericht das Bundeskartellamt um Übersendung der Verfahrensakten ersucht. Auch hierfür gilt allerdings eine Reihe von Anforderungen, die noch nicht gerichtlich getestet wurden.14 Klar ist allerdings, dass – wie bislang15 – eine


11 Insbesondere die von Oxera Consulting Ltd. im Auftrag der Europäischen Kommission erstellte Studie „Quantifying antitrust damages – Towards non-binding guidance for courts“, 2009; s. hierzu auch Ohlhoff, in: Kamann/Ohlhoff/Völcker (Hrsg.), Kartellverfahren und Kartellprozess, 2017, § 26 Rn. 166.

12 Z. B. in Form eines Anspruchsverzichts gegen Gewährung eines Sonderrabatts oder sonstigen Preisvorteils.

13 S. ausf. Seifert, NZKart 2017, 512, 516 f.

14 S. ausf. Seifert, NZKart 2017, 512, 513 ff.

15 Vgl. Bundeskartellamt, Bonusregelung 2006, Rn. 22; grundlegend AG Bonn, 18.1.2012, 51 Gs 53/09, Rn. 21 ff. – zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, 22.8.2012, V-4 Kart 5/11 (OWi) u. a., Rn. 45 ff. – zitiert nach juris; Gey, in: Kamann/Ohlhoff/Völcker (Hrsg.) (Fn. 10), § 18 Rn. 274-279; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S. 370 ff.

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Einsicht in die Kronzeugenanträge und deren Begleitdokumentation nicht gewährt wird.16

Falls das Kartell von der Europäischen Kommission geahndet wurde, erfolgt ebenfalls eine Veröffentlichung des Fallberichts auf der Internetseite der Kommission. Eine weitere Akteneinsicht ist nach der VO 1049/2001 prinzipiell möglich; allerdings stellt die Kommission (bestätigt durch die Europäischen Gerichte) hohe Anforderungen an die Substantiierung des Bedürfnisses nach weiterer Akteneinsicht. Als ein möglicher Weg wird vorgeschlagen, dass zunächst eine Einsicht in das Inhaltsverzeichnis der Akte beantragt wird, um auf der Grundlage dann genauer begründen zu können, ob und in welche Teile der Akte eine zusätzliche Einsicht für die erfolgreiche Geltendmachung der Schadensersatzansprüche erforderlich ist.17

III. Die Geltendmachung und Durchsetzung von Ansprüchen

In der Regel werden Ansprüche nicht sofort gerichtlich geltend gemacht, sondern es wird versucht, eine außergerichtliche Einigung zu erzielen. Um der Vorbereitung entsprechender Gespräche mehr Zeit zu geben, können Verjährungsverzichtsvereinbarungen abgeschlossen oder ein Mahn- (§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB) oder Schlichtungsverfahren (z. B. bei der Öffentlichen Rechtsauskunfts- und Vergleichsstelle in Hamburg,18 § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB) eingeleitet werden. Während der laufenden Verhandlungen ist die Verjährung ohnehin nach § 203 BGB gehemmt.

Führen die Verhandlungen nicht zu einer vergleichsweisen Einigung, müssen die Ansprüche gerichtlich geltend gemacht werden. Ausschließlich zuständig sind gem. § 87 GWB die Landgerichte, die von den einzelnen Bundesländern jeweils speziell durch Rechtsverordnung auf Grundlage von § 89 GWB insgesamt oder für einzelne Oberlandesgerichtsbezirke bestimmt wurden.19 Die örtliche Zuständigkeit besteht am Sitz des beklagten Schädigers (§§ 12, 17 ZPO) sowie außerdem am deliktischen Gerichtsstand (§ 32 ZPO). Der deliktische Gerichtsstand ist sowohl am Handlungs- als auch am Erfolgsort eröffnet. Während ersterer mitunter nicht eindeutig zu bestimmen ist (wenn die Kartellvereinbarungen an vielen Orten oder etwa telefonisch getroffen wurden und sich kein Schwerpunkt erkennen lässt und sich daher ggf. mehrere Optionen ergeben), hat sich als Erfolgsort der Ort des Vermögensschadens durchgesetzt, d. h. der Sitz des Geschädigten.20 Hierdurch besteht für kartellrechtliche Schadensersatzverfahren in gewisser Weise ein Klägergerichtsstand.

Die Kartellbeteiligten haften für den durch das Kartell verursachten Schaden als Gesamtschuldner. Es reicht daher aus, einen (solventen) Schädiger zu verklagen. Dieser wird zwar ohnehin den übrigen Kartellbeteiligten den Streit verkünden (um später anteilig dort Regress zu nehmen), so dass diese in aller Regel auch aktiv am Verfahren teilnehmen werden. Dennoch ist dies oft deshalb vorzugswürdig, weil seit der 9. GWB-Novelle die Kosten der Streitverkündung für kartellrechtliche Schadensersatzverfahren gem. § 89a Abs. 3 GWB gedeckelt sind – was für mehrere Beklagte hingegen nicht gilt.

C. Rechtslage

Unabhängig davon, ob es sich um einen Verstoß gegen deutsches (§ 1 GWB) oder europäisches Kartellrecht (Art. 101 AEUV) handelt und ob das Bundeskartellamt oder die Europäische Kommission (oder auch die Wettbewerbsbehörde eines anderen EU-Mitgliedstaats) den Verstoß festgestellt und geahndet hat, ergibt sich der Schadensersatzanspruch des Geschädigten aus § 33a Abs. 1 GWB bzw. für die Zeit vor Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle am 9. Juni 2017 aus § 33 Abs. 3 GWB a. F.

Der Anspruch setzt danach einen Kartellverstoß, ein Verschulden der Kartellbeteiligten und einen kausalen Schaden voraus. Zudem stellt sich angesichts der oft sehr langjährigen Laufzeit von Kartellen die Frage der Verjährung.

I. Verstoß

Grundsätzlich ist der Geschädigte für das Vorliegen eines Kartellverstoßes darlegungs- und beweispflichtig. Angesichts dessen, dass Kartelle naturgemäß geheimgehalten werden, ist dem Geschädigten dieser Nachweis nur selten möglich. Dies hat auch der Gesetzgeber anerkannt und dem Geschädigten bereits mit der 7. GWB-Novelle eine wesentliche Erleichterung an die Hand gegeben. So gilt der Kartellverstoß mit Ahndung durch die Kartellbehörde auch für das Schadensersatzverfahren als bindend (und unwiderleglich) festgestellt (heute geregelt in § 33b GWB). In Follow-on-Verfahren, d. h. Schadensersatzverfahren, die auf Grundlage vorangegangener Bußgeldverfahren betrieben werden, stellt sich daher die Frage nach dem Vorliegen eines Kartellverstoßes nicht.

II. Verschulden

Der Kartellverstoß muss schuldhaft, d. h. vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden sein. Da das Unternehmen nicht selbst handeln kann, erfolgt die Zurechnung des Handelns leitender Angestellter nach § 31 BGB. Angesichts dessen, dass es sich bei den bebußten Kartellverstößen in der Regel um Preisabsprachen oder Kunden- bzw. Gebietsaufteilungen oder Absprachen bei Ausschreibungen handelt, deren Unzulässigkeit hinlänglich bekannt ist (was sich auch an den üblichen Geheimhaltungsbemühungen der Kartellbeteiligten ablesen lässt), steht das Verschulden normalerweise nicht in Frage und wird in Entscheidungen zu Kartellschadensersatz auch kaum diskutiert.21 Mitunter wird das Verschulden auch als von der Bindungswirkung nach § 33a GWB erfasst angesehen22 oder – zumindest bei Hardcore-Verstößen – eine Umkehr der Darlegungs- oder Beweislast erwogen.23


16 § 89c Abs. 4 S. 1 Nr. 1 GWB.

17 Vgl. Badtke, WuW 2016, 276, 281; Hempel, EuZW 2014, 297, 300.

18 S. hierzu BGH, 22.9.2009, XI ZR 230/08, Rn. 13 – zitiert nach juris.

19 S. z. B. die Übersicht bei Bornkamm, in: Langen/Bunte12, 2014, § 89 Rn. 4.

20 OLG Düsseldorf, 18.2.2015, VI-U (Kart) 3/14, Rn. 182 f. – zitiert nach juris.

21 Z. B. OLG Jena, 22.2.2017, 2 U 583/15 Kart, Rn. 89 – zitiert nach juris; LG München, 27.7.2016, 37 O 24526/14, Rn. 88 – zitiert nach juris.

22 Z. B. LG Erfurt, 3.7.2015, 3 O 1050/14, S. 8 (nicht bei juris); LG Hannover, 31.5.2016, 18 O 259/14, Rn. 29 – zitiert nach juris.

23 Ohlhoff (Fn. 10), § 26 Rn. 114.

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III. Schaden

Angesichts dessen, dass der Kartellverstoß durch den Bußgeldbescheid bindend festgestellt ist und das Verschulden in der Regel nicht in Frage steht, kommt es maßgeblich darauf an, ob der Anspruchsteller durch den Kartellverstoß einen Schaden erlitten hat und welche Höhe dieser Schaden hat.

Die Prüfung des Schadens erfolgt in mehreren Schritten. Zunächst muss der Kläger durch den Kartellverstoß betroffen sein. Dies setzt jedenfalls voraus, dass er zum Kreis der anspruchsberechtigten Marktteilnehmer gehört und deshalb aktivlegitimiert ist. Darüber hinaus muss er darlegen, dass die von ihm konkret getätigten Beschaffungsvorgänge kartellbefangen waren, also durch die Kartellabsprachen beeinflusst waren, weil sie in den zeitlichen, sachlichen und räumlichen Bereich der Absprachen fielen. Und schließlich muss sich das Kartell in Hinblick auf diese Beschaffungsvorgänge preissteigernd ausgewirkt haben.

Anschließend kann die Höhe des Schadens gem. § 287 ZPO geschätzt werden.

1. Betroffenheit (Aktivlegitimation)

Ansprüche stehen nur solchen Anspruchstellern zu, die von dem Kartellverstoß überhaupt betroffen waren. Es ist geklärt, dass dies keine Zielgerichtetheit des Kartellverstoßes gerade gegen den Anspruchsteller voraussetzt.24 Bei unmittelbaren Abnehmern der Kartellbeteiligten wird die Betroffenheit daher ohne große Erörterung festgestellt.25

Auch mittelbare Abnehmer (d. h. solche, die das kartellbefangene Produkt nicht direkt von den Kartellbeteiligten, sondern über zwischengeschaltete Marktstufen wie z. B. Großhändler erworben haben) sind grundsätzlich anspruchsberechtigt, sofern die kartellbedingte Preisüberhöhung von den unmittelbaren Abnehmern eingepreist und somit letztlich von den unmittelbaren Abnehmern gezahlt wurde (sog. Passing-on).26 Für die Betroffenheit als Teil der haftungsbegründenden Kausalität gilt der Maßstab des Vollbeweises nach § 286 ZPO.27 In der Vergangenheit sind mittelbare Abnehmer an dem erforderlichen Nachweis einer Abwälzung des Schadens bereits gescheitert.28 Seit der 9. GWB-Novelle hilft dem mittelbaren Abnehmer allerdings eine Vermutungsregel in § 33c Abs. 2 GWB. Hiernach wird (für Verstöße ab dem 27. Dezember 2016, vgl. § 186 Abs. 3 S. 1 GWB) zugunsten des mittelbaren Abnehmers vermutet, dass eine auf der vorgelagerten Markstufe erfolgte kartellbedingte Preisüberhöhung auf ihn abgewälzt wurde. Nunmehr muss daher der Schädiger darlegen und beweisen, dass eine Abwälzung nicht stattgefunden hat.

Daneben können selbst solche Unternehmen durch das Kartell geschädigt sein, die nicht von den Kartellbeteiligten, sondern anderen, nicht am Kartell beteiligten Anbietern abgenommen haben. Was zunächst widersprüchlich klingt, findet seine Begründung in der Überlegung, dass – unter bestimmten Voraussetzungen – auch die Wettbewerber der Kartellbeteiligten ihre Preise an das kartellbedingt überhöhte Preisniveau anpassen werden. Dieser sog. Umbrella- oder Preisschirmeffekt ist von der Rechtsprechung anerkannt.29

2. Befangenheit der Beschaffungsvorgänge

Ein Schaden setzt außerdem voraus, dass die konkreten Beschaffungsvorgänge des Anspruchstellers kartellbefangen waren, d. h. sie von den Kartellabsprachen erfasst waren. Der Geschädigte ist hierfür grundsätzlich darlegungs- und beweispflichtig, wobei nach der neueren Rechtsprechung hierfür bereits der Maßstab des § 287 ZPO gilt.30 Der Geschädigte muss jedenfalls nicht darlegen oder beweisen, dass es eine kartellrechtswidrige Absprache gerade in Bezug auf seine Beschaffungsvorgänge gab. Denn oft sind die Absprachen allgemeiner Art oder basieren auf einer Grundabrede, so dass eine besondere Absprache in Bezug auf einzelne Beschaffungsvorgänge gar nicht erforderlich ist.31 Die Rechtsprechung hat daher einen Anscheinsbeweis entwickelt, nach dem von einer Kartellbefangenheit der Beschaffungsvorgänge auszugehen ist, wenn sie in den (von der Kartellbehörde in der Regel bindend festgestellten) zeitlichen, räumlichen und sachlichen Bereich des Kartells fallen.32 Die Kartellbeteiligten müssen, um diesen Anschein zu erschüttern, vortragen, warum es sich um einen atypischen Beschaffungsvorgang handelt, der ausnahmsweise von den Kartellabsprachen auf dem Markt nicht beeinflusst worden sein soll.33

Daneben hat sich eine weitere – überzeugende – Strömung in der Rechtsprechung entwickelt, nach der es auf diesen Anscheinsbeweis schon gar nicht ankomme. Denn die Befangenheit der Beschaffungsvorgänge ergebe sich bereits als logische Folge daraus, dass aufgrund des Kartells in der Regel von einer Erhöhung des Marktpreisniveaus insgesamt ausgegangen werden könne.34 Nach dieser Auffassung kommt es also nur auf die sogleich erörterte Voraussetzung der Erhöhung des Preisniveaus an.35


24 BGH, 28.6.2011, KZR 75/10, Rn. 16 f. – zitiert nach juris; KG Berlin, 1.10.2009, 2 U 10/03 Kart, Rn. 24 ff. – zitiert nach juris; LG Dortmund, 1.4.2004, 12 O 55/02 Kart, Rn. 17 – zitiert nach juris.

25 Z. B. LG Dortmund, 21.12.2016, 8 O 90/14 (Kart), Rn. 82 f. – zitiert nach juris; LG Mannheim, 30.10.2015, 7 O 45/15 Kart, S. 5 (nicht bei juris).

26 BGH, 28.6.2011, KZR 75/10, Rn. 23 ff. – zitiert nach juris.

27 BGH, 12.7.2016, KZR 25/14, Rn. 47 – zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, 29.1.2014, VI-U (Kart) 7/13, Rn. 78 – zitiert nach juris; LG Düsseldorf, 19.11.2015, 14d O 4/14, Rn. 212 f. – zitiert nach juris.

28 LG Düsseldorf, 19.11.2015, 14d O 4/14, Rn. 209 ff. – zitiert nach juris; eine Abwälzung dem Grunde nach bejahend aber z. B. LG Frankfurt, 30.3.2016, 2-06 O 464//14, Rn. 139 ff. – zitiert nach juris.

29 Grundlegend EuGH, Rs. C-557/12 – KONE, Rn. 29 ff.; OLG Karlsruhe, 9.11.2016, 6 U 204/15 Kart, Rn. 67 – zitiert nach juris; OLG Jena, 22.2.2017, 2 U 583/15 Kart, Rn. 66 – zitiert nach juris.

30 BGH, 12.7.2016, KZR 25/14, Rn. 42-46 – zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, 29.1.2014, VI-U (Kart) 7/13, Rn. 76-81 – zitiert nach juris; Kirchhoff, WuW 2017, 487, 491.

31 LG Erfurt, 3.7.2015, 3 O 1050/14, S. 8 f. (nicht bei juris); LG Mannheim, 29.4.2016, 7 O 206/14 Kart., S. 7 f. (nicht bei juris).

32 Z. B. LG Berlin, 16.12.2014, 16 O 384/13 Kart, Rn. 51 ff. – zitiert nach juris; OLG Jena, 22.2.2017, 2 U 583/15 Kart, Rn. 69 – zitiert nach juris; kritisch im konkreten Fall aber LG Düsseldorf, 8.9.2016, 37 O 27/11 (Kart), Rn. 229 ff. – zitiert nach juris.

33 Z. B. OLG Jena, 22.2.2017, 2 U 583/15 Kart, Rn. 70 – zitiert nach juris; LG Frankfurt, 30.3.2016, 2-06 O 464/14, Rn. 110 ff. – zitiert nach juris.

34 Z. B. LG Hannover, 31.5.2016, 18 O 259/14, Rn. 37, 42 ff. – zitiert nach juris; LG Mannheim, 30.10.2015, 7 O 34/15 Kart, S. 7 (nicht bei juris).

35 LG Dortmund, 21.12.2016, 8 O 90/14 (Kart), Rn. 113 ff., 121 ff. – zitiert nach juris.

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3. Kartellbedingte Preisüberhöhung

Der Schadenseintritt setzt naturgemäß voraus, dass die für die kartellierten Produkte gezahlten Preise höher waren als sie ohne Kartellverstoß, also im Wettbewerb, gewesen wären.

Für den Schadenseintritt gilt nicht der Maßstab des Vollbeweises nach § 286 ZPO, sondern die Beweismaßerleichterung nach § 287 ZPO, nach der es ausreicht, wenn eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass ein Schaden entstanden ist.36 Die Rechtsprechung hilft dem Geschädigten hierüber hinaus dadurch, dass sie – wie soeben bereits angesprochen – einen Anscheinsbeweis für das Vorliegen einer kartellbedingten Preiserhöhung etabliert hat, nach dem bei Hardcore-Kartellen wie Quotenabsprachen, Kunden- und Marktaufteilungen und Preisabsprachen im Regelfall von einer Preiserhöhung auszugehen ist.37 Dieser Anschein ist dabei umso schwieriger zu erschüttern, je länger und flächendeckender das Kartell betrieben wurde.38 Die Kartellbeteiligten legen zur Erschütterung oftmals ihrerseits ökonomische Gutachten vor, aus denen sich ergeben soll, dass das Kartell letztlich ein „untauglicher Versuch“ gewesen sei, sich also auf die Preise der Abnehmer nicht ausgewirkt habe. Erfolgreich sind sie hiermit – soweit ersichtlich – bislang nicht gewesen.39 Abstrakte Studien ohne Bezug zum konkreten Fall reichen jedenfalls nicht aus.40 Es stellt sich auch die Frage, warum über einen langen Zeitraum unter großer Geheimhaltung und mit einigem organisatorischem Aufwand bei gleichzeitig erheblichem Risiko empfindlicher Geldbußen ein Kartell betrieben worden sein sollte, wenn die Beteiligten hiervon keinen finanziellen Vorteil gehabt hätten.41

Mit der 9. GWB-Novelle wurde in § 33a GWB eine Schadensvermutung eingeführt. Die Vermutung ersetzt den bisherigen Anscheinsbeweis für das Vorliegen einer preissteigernden Wirkung des Kartells.42 Dies führt dazu, dass zukünftig (für Verstöße ab dem 27. Dezember 2016, vgl. § 186 Abs. 3 S. 1 GWB) nicht schon die Erschütterung des Anscheins ausreicht, sondern die Vermutung vom Schädiger durch Erbringung des Gegenbeweises widerlegt werden muss. Es genügt daher nicht, einen atypischen Sachverhalt vorzutragen, bei dem der Schluss vom Vorliegen des Kartells auf seine preissteigernde Wirkung nicht mehr wie im Regelfall gezogen werden kann, sondern es muss der Vollbeweis (§ 286 ZPO) erbracht werden, dass das Kartell keine Preisüberhöhung und damit keinen Schaden erzeugt hat.43 Dies dürfte den Kartellbeteiligten noch schwerer fallen als bislang die Erschütterung des Anscheinsbeweises.

4. Schadenshöhe

Auch die Höhe des Schadens muss vom Geschädigten nicht zur Gewissheit des Gerichts bewiesen werden (§ 286 ZPO). Vielmehr reicht es aus, Anknüpfungspunkte für eine richterliche Schadensschätzung (§ 287 ZPO) vorzulegen, damit diese Schätzung nicht „völlig in der Luft hängt“.44 Die Geschädigten tun dies in der Regel, indem sie ein wettbewerbsökonomisches Gutachten eines Parteigutachters vorlegen (zum Inhalt sogleich).

Nicht selten legen die Kartellbeteiligten wiederum Gegengutachten ihrer eigenen Parteigutachter vor. Angesichts des – wenig strengen – Maßstabs des § 287 ZPO müssen sie damit allerdings nicht bloße Zweifel an der Richtigkeit der vom Geschädigten vorgelegten Berechnungen und Ergebnisse wecken; die Zweifel müssen vielmehr so schwerwiegend und so grundlegend sein, dass das klägerische Parteigutachten nicht einmal als (valider) Anknüpfungspunkt für die richterliche Schätzung angesehen werden kann.45 Je nach Komplexität des Falles und der vorgelegten Gutachten wird sich das Gericht die Beurteilung dieser Frage selbst zutrauen46 bzw. sie einem gerichtlichen Sachverständigen vorlegen.

Geklärt ist jedenfalls, dass die Angabe eines Mindestschadens für die Zulässigkeit einer Zahlungsklage auf kartellrechtlichen Schadensersatz ausreicht.47 Der pauschale Ansatz einer bspw. zehn- oder zwanzigprozentigen Überhöhung, die sich aus verschiedenen abstrakten (Meta-)Studien zur üblicherweise bestehenden Kartellrendite in einer Reihe von ausgewerteten Fällen ergibt, reicht mangels konkreten Bezug zum zu entscheidenden Fall hingegen nicht aus.48 Anders liegt es, wenn ein solcher (widerleglicher) Pauschalbetrag in den AGB mit dem Lieferanten für den Fall eines Kartellverstoßes vereinbart wurde; hierzu ist die Rechtsprechung überwiegend recht wohlwollend.49

Bei den gutachterlichen Berechnungen zur Schadenshöhe geht es um die Ermittlung eines sog. hypothetischen Wettbewerbspreises, also desjenigen Preises, der ohne Kartellverstoß gezahlt worden wäre (daher auch als „also-ob“-Preis


36 BGH, 12.7.2016, KZR 25/14, Rn. 41 ff. – zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, 29.1.2014, VI-U (Kart) 7/13, Rn. 76 ff. – zitiert nach juris; LG München, 27.7.2016, 37 O 24526/14, Rn. 89 – zitiert nach juris.

37 Grundlegend (allerdings in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren) BGH, 28.6.2005, KRB 2/05, Rn. 20 f. – zitiert nach juris; LG Dortmund, 1.4.2004, 13 O 55/02 Kart, Rn. 19; KG Berlin, 1.10.2009, 2 U 17/03 Kart, Rn. 58 – zitiert nach juris; OLG Frankfurt, 17.11.2015, 11 U 73/11 (Kart), Rn. 49 ff. – zitiert nach juris (als Schadensvermutung bezeichnet); OLG Karlsruhe, 9.11.2016, 6 U 204/15 Kart, Rn. 63 – zitiert nach juris.

38 LG Berlin, 6.8.2013, 16 O 193/11 Kart., Rn. 59 – zitiert nach juris; OLG Jena, 22.2.2017, 2 U 583/15 Kart, Rn. 67 f. – zitiert nach juris; vgl. auch BGH, 26.2.2013, KRB 20/12, Rn. 76 – zitiert nach juris.

39 Vgl. z. B. LG München, 27.7.2016, 37 O 24526/14, Rn. 98 – zitiert nach juris; LG Hannover, 31.5.2016, 18 O 259/14, Rn. 46 – zitiert nach juris; vgl. aber auch KG Berlin, 1.10.2009, 2 U 10/03 Kart, Rn. 92 – zitiert nach juris (Erschütterung wegen atypischer Preisentwicklung).

40 LG Düsseldorf, 19.11.2015, 14d O 4/14, Rn. 206 – zitiert nach juris.

41 So auch LG Mannheim, 30.10.2015, 7 O 34/15 Kart, S. 7 (nicht bei juris).

42 BegrRegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 55.

43 Kersting, in: Kersting/Podszun (Hrsg.), Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kap. 7 Rn. 55 f.

44 BGH, 22.5.2003, IX ZR 159/01, Rn. 30 – zitiert nach juris; LG Stuttgart, 31.1.2013, 41 O 39/12 KfH, Rn. 59 ff. – zitiert nach juris.

45 S. ausf. Ohlhoff (Fn. 10), § 26 Rn. 187 ff., 192.

46 Bspw. KG Berlin, 1.10.2009, 2 U 10/03 Kart, Rn. 84 – zitiert nach juris.

47 LG Düsseldorf, 19.11.2015, 14d O 4/14, Rn. 169 – zitiert nach juris; LG Mannheim, 29.4.2016, 7 O 206/14 Kart., S. 6 (nicht bei juris).

48 Z. B. LG Potsdam, 13.4.2016, 2 O 23/15, Rn. 31 – zitiert nach juris.

49 OLG Karlsruhe, 31.7.2013, 6 U 51/12 (Kart), Rn. 79 f. – zitiert nach juris; OLG Jena, 22.2.2017, 2 U 583/15 Kart, Rn. 85 f. – zitiert nach juris; LG Berlin, 16.12.2014, 16 O 384/13 Kart, Rn. 61 – zitiert nach juris; LG Dortmund, 21.12.2016, 8 O 90/14 (Kart), Rn. 146 f. – zitiert nach juris; kritisch aber LG Potsdam, 13.4.2016, 2 O 23/15, Rn. 24 ff. – zitiert nach juris; s. hierzu auch Löwenkamp/Nuys, NZKart 2017, 61.

Seifert, Kartellschadensersatz149

bezeichnet).50 Angesichts dessen, dass es sich um einen hypothetischen Preis handelt, sind hierbei stets Annahmen zugrunde zu legen und eine gewisse Unschärfe ist in Kauf zu nehmen.51

Ausgangspunkt für die Ermittlung des hypothetischen Wettbewerbspreises sind in der Regel Vergleichsmarktanalysen. Hierbei wird unterstellt, dass der Preis auf dem relevanten Markt ohne den Kartellverstoß demjenigen Preis entsprochen hätte, der auf anderen räumlichen Märkten oder auf dem gleichen Markt, aber zu einem Zeitpunkt vor oder nach dem Kartell gezahlt wurde.

Dies ist dann recht einfach, wenn der räumliche oder zeitliche Vergleichsmarkt (bis auf den Kartellverstoß) identisch mit dem betroffenen Markt ist, da dann davon ausgegangen werden kann, dass Preisunterschiede ausschließlich auf den Kartellverstoß zurückzuführen sind. In der Praxis allerdings unterscheiden sich die verglichenen Märkte oftmals in vielfacher Hinsicht, so dass Verfahren zur Anwendung gebracht werden müssen, um bestehende Preisunterschiede auf den Kartellverstoß einerseits und weitere, vom Kartellverstoß losgelöste Faktoren andererseits zurückzuführen. Ein Standard-Instrument hierfür sind sog. Regressionsanalysen, d. h. statistische Methoden zur Schätzung quantitativer Beziehungen zwischen verschiedenen Variablen, die allerdings eine große Datenmenge voraussetzen.

Umfangreichere Einführungen hierzu und zu weiteren möglichen Techniken der Schadensberechnung finden sich in beispielsweise im Praktischen Leitfaden der Europäischen Kommission zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Kartellschadensersatzklagen52 und in den entsprechenden Kapiteln der Monographie von Inderst/Thomas53 oder dem Handbuch von Kamann/Ohlhoff/Völcker.54

Von großer Bedeutung für die Schadenshöhe sind aus Sicht des Geschädigten auch die Zinsen. Für Schäden vor Inkrafttreten der 7. GWB-Novelle zum 1. Juli 2005 ergibt sich nach der Rechtsprechung ein Zinsanspruch gem. §§ 849, 246 BGB i. H. v. vier Prozent.55 Verstöße seit dem 1. Juli 2005 sind gem. § 33 Abs. 3 S. 4, 5 GWB a. F. mit fünf (bzw. falls der Verstoß Entgeltforderungen betraf56 sogar acht) Prozentpunkten über dem Basiszins zu verzinsen; das Gleiche folgt seit der 9. GWB-Novelle aus § 33a Abs. 4 GWB. Gerade bei über viele Jahre betriebenen Kartellen können sich die Zinsen auf 50% oder mehr des eigentlichen Schadensbetrags summieren – wodurch im Übrigen auch ein taktisches Hinauszögern der Prozesse durch die beklagten Kartellanten zumindest finanziell unattraktiv wird.

Sofern der Kartellabnehmer zwar einen kartellbedingt überhöhten Preis für das betroffene Produkt gezahlt hat, es ihm aber möglich war, diese Überhöhung beim Weiterverkauf (des Produkts selbst oder eines hiermit hergestellten Produkts) seinerseits einzupreisen und so letztlich auf seine eigenen Abnehmer abzuwälzen, steht ihm im Umfang der Abwälzung kein Schadensersatzanspruch zu. Diese sog. Passing-on-Defense ist seit der grundlegenden ORWI-Entscheidung des Bundesgerichtshofs57 anerkannt und nunmehr seit der 9. GWB-Novelle auch in § 33c Abs. 1 GWB gesetzlich normiert.58 Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, weil ansonsten der direkte Abnehmer einen Schaden geltend machen könnte, den letztlich aber nicht er, sondern erst sein Abnehmer getragen hat. Gleichwohl kann es hierdurch zu einer (unbilligen) Entlastung des Schädigers kommen, wenn es sich um eine große Zahl mittelbar Geschädigter handelt, deren jeweiliger Schaden zu gering ist als dass sich seine Geltendmachung lohnen würde.

Ob eine Abwälzung des kartellbedingten Preisaufschlags auf nachfolgende Marktstufen stattgefunden hat, hängt von den konkreten Marktgegebenheiten ab. Ein maßgeblicher Gesichtspunkt hierbei ist, ob das Kartell flächendeckend betrieben wurde, d. h. alle unmittelbaren Abnehmer gleichermaßen überhöhte Preise gezahlt haben. Denn dann ist es ihnen eher möglich, eine Preissteigerung an ihre Abnehmer weiterzugeben, weil sie nicht befürchten müssen, von ihren Wettbewerbern (die ebenfalls die überhöhten Preise gezahlt haben) unterboten zu werden. Zu den Einzelheiten ist vor kurzem eine von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie erschienen, die Praktikern Leitlinien für die ökonomische Bewertung eines möglichen Passing-on an die Hand geben soll.59 Der Umfang der möglicherweise erfolgten Abwälzung kann gem. § 33c Abs. 5 GWB nach § 287 ZPO vom Gericht geschätzt werden.

Selbst im Falle einer Abwälzung des Preisaufschlags auf nachfolgende Marktstufen kann dem unmittelbaren Abnehmer allerdings ein Schaden entstanden sein, da die Erhöhung seiner eigenen Preise – je nach Nachfrageelastizität – zu einer verringerten Nachfrage und damit zu einem entgangenen Gewinn führen kann.60 Selbst bei einer vollständigen Preisabwälzung kann daher ein ersatzfähiger Schaden sowohl beim unmittelbaren als auch beim mittelbaren Abnehmer vorliegen. Erst recht ist dies natürlich der Fall, wenn der Preisaufschlag nur teilweise abgewälzt wurde.

Die ökonomische Begutachtung erstreckt sich damit zukünftig auch auf die Passing-on-Defense. Anders bei der Schadensbezifferung sind die Rollen dabei vertauscht, d. h. der sich mit einer Abwälzung verteidigende Schädiger muss diese voll darlegen und beweisen. Da er in der Regel nicht über die hierfür erforderlichen Informationen verfügt, hilft ihm u. U. der neu eingeführte Auskunftsanspruch gegen den unmittelbaren Abnehmer nach § 33g GWB.


50 Vgl. z. B. Brunner/Bacher, NZKart 2017, 345.

51 Vgl. Ohlhoff (Fn. 10), § 26 Rn. 190.

52 Kommission, Praktischer Leitfaden zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, 2013.

53 Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen1, 2015, S. 138 ff.

54 Ohlhoff (Fn. 10), § 26, Rn. 286 ff.

55 Z. B. OLG Karlsruhe, 27.8.2014, 6 U 115/11 (Kart), Rn. 178 f. – zitiert nach juris.

56 BGH, 6.11.2013, KZR 58/11, Rn. 70 f. – zitiert nach juris.

57 BGH, 28.6.2011, KZR 75/10.

58 § 33c Abs. 1 GWB.

59 RBB Economics und Cuatrecasas, Gonçalves Pereira (im Auftrag der EU Kommission), Study on the Passing-on of Overcharges – Final report, 2016.

60 BGH, 28.6.2011, KZR 75/10, Rn. 69 – zitiert nach juris.

Seifert, Kartellschadensersatz150

IV. Keine Verjährung

Seit der 9. GWB-Novelle sind die Verjährungsregeln für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche in § 33h GWB zusammengefasst. Praktisch relevant sind die fünfjährige Verjährungsfrist nach § 33h Abs. 1, 2 GWB und die zehnjährige Verjährungsfrist nach § 33h Abs. 3 GWB. Auf die ebenfalls vorgesehene maximale, dreißigjährige Verjährungsfrist nach § 33 Abs. 4 GWB dürfte es demgegenüber kaum ankommen, da vorher die anderen Fristen abgelaufen sein werden.

Die fünfjährige Verjährungsfrist (die gem. § 186 Abs. 3 S. 2 GWB auch für Altfälle gilt, die bei Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle noch nicht verjährt waren61 ) beginnt in dem Moment, in dem der Geschädigte Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen, also insbesondere vom Kartellverstoß, erlangt hat oder grob fahrlässig nicht erlangt hat, und der Kartellverstoß insgesamt beendet wurde. Angesichts der Heimlichkeit, mit der Hardcore-Kartelle betrieben werden, liegt eine (grob fahrlässige Un-)Kenntnis in der Regel erst dann vor, wenn das Kartell vom Bundeskartellamt aufgedeckt wird und der Geschädigte entweder aus der Information des Bundeskartellamts nach dem ebenfalls neu geschaffenen § 53 Abs. 5 GWB (falls diese umfangreich ausfällt, was die Praxis zeigen muss) oder aber spätestens aus dem Bußgeldbescheid (sobald er hierin Einsicht erhält) Kenntnis erlangt oder hätte erlangen müssen.62 In diesem Moment dürfte das Kartell auch bereits endgültig beendet sein, so dass diese Voraussetzungen im Rahmen der fünfjährigen Verjährungsfrist normalerweise keine gesonderte Rolle spielt.

Die zehnjährige Verjährungsfrist gem. § 33h Abs. 3 GWB setzt demgegenüber kein subjektives Element voraus, sondern knüpft an die Anspruchsentstehung und die Beendigung des Gesamtkartells an. Die Anspruchsentstehung fällt in der Regel mit dem Schadenseintritt beim Geschädigten zusammen, also mit Zahlung des kartellbedingt überhöhten Kaufpreises63 bzw. frühestens bereits mit Vertragsschluss zu überhöhtem Preis.64 Anders als bei der fünfjährigen Verjährungsfrist, ist die Voraussetzung der Beendigung des Gesamtkartells bei der zehnjährigen Verjährungsfrist von Bedeutung. Denn dadurch ist klargestellt, dass – was nach alter Rechtslage nicht gänzlich eindeutig war65 – Ansprüche wegen kartellbefangener Beschaffungsvorgänge aus den Anfangstagen eines viele Jahre laufenden Kartells nicht bereits bei seiner Aufdeckung verjährt und damit für die Geschädigten verloren sind. Allerdings gilt diese Voraussetzung der Beendigung des Gesamtkartells nur für Verstöße ab dem 27. Dezember 2016; für Altfälle bleibt die bisherige Zehnjahresfrist samt der genannten (Rest-)Unsicherheit maßgeblich, da sich der Beginn der Verjährung gem. § 186 Abs. 3 S. 3 GWB nach dem bisherigen Recht richtet, sofern die Verjährung (nach dem bisherigen Recht) bereits vor dem 8. Juni 2017 begann.

Von großer Bedeutung ist die Hemmungsvorschrift nach § 33h Abs. 6 GWB (die weitgehend der bisherigen Hemmungsvorschrift nach § 33 Abs. 5 GWB a. F. entspricht). Danach ist die Verjährung (nach allen Verjährungsfristen) während des laufenden kartellbehördlichen (und ggf. des anschließenden gerichtlichen) Verfahrens gehemmt. Die Hemmung beginnt gem. § 33h Abs. 6 GWB sobald die Kartellbehörde erste gezielte Maßnahmen in Bezug auf ein mögliches Kartell unternimmt, also z. B. Durchsuchungen durchführt. Auf die formelle Verfahrenseinleitung, die insbesondere bei der Kommission mitunter Jahre später erfolgt, kommt es nicht an. Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens kommt eine Nachhemmung von einem Jahr hinzu, um sicherzustellen, dass der Geschädigte ausreichend Zeit für die Prüfung und Vorbereitung der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen hat.

Selbst im Verjährungsfall ist die Geltendmachung von Ansprüchen nicht ausgeschlossen. Schließlich wandeln sich die verjährten Schadensersatzansprüche in diesem Fall in Restschadensersatzansprüche gem. § 852 S. 1 BGB, die in § 852 S. 2 BGB ihre eigene zehnjährige Verjährungsfrist haben, die ggf. erst später abläuft.66

D. Zusammenfassung

Die Geltendmachung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Der deutsche und der europäische Gesetzgeber haben diese Entwicklung aktiv gefördert und Hürden für von Kartellen geschädigte Unternehmen abgebaut. Zwar bleibt der Aufwand der Geltendmachung von Ansprüchen (und insbesondere der hierfür oft erforderlichen Datenaufbereitung) groß und Restrisiken (insbesondere etwa in Hinblick auf eine mögliche Passing-on-Defense) können selten ganz ausgeschlossen werden. Allerdings sind die Erfolgsaussichten Geschädigter, Ersatz des ihnen oft über viele Jahre in Form überhöhter Preise zugefügten Schadens zu verlangen, durch die Bindungswirkung der kartellbehördlichen Entscheidung für das Zivilverfahren, die Verlängerung der Verjährungsfristen und die Regelungen zur Verjährungshemmung, die Schadensvermutung und die Schätzbefugnis zur Schadenshöhe überaus gut.

Zudem hat in den letzten Jahren eine Professionalisierung des „juristischen Apparats“ für diese Schadensersatzansprüche stattgefunden. Dies gilt sowohl für auf diese Fälle spezialisierte Anwaltskanzleien und Wettbewerbsökonomen als auch für die zuständigen Landgerichte (und Oberlandesgerichte) in den einzelnen Bundesländern, deren Entscheidungspraxis – nicht zuletzt auch aufgrund gezielter Richterfortbildung – ein immer solideres Fundament auch für zukünftige Verfahren bildet.


61 S. Seifert, WuW 2017, 474, 477; Scherzinger, NZKart 2016, 513, 515; Soyez, WuW 2017, 240, 243; BegrRegE, BT-Drucks. 18/10207, S. 107.

62 S. ausf. Seifert, WuW 2017, 474, 475 ff.

63 So zum Schadenseintritt für den Zinsbeginn: LG Dortmund, 21.12.2016, 8 O 90/14 (Kart), Rn. 156 – zitiert nach juris.

64 LG Frankfurt, 30.3.2016, 2-06 O 464/14, Rn. 182 – zitiert nach juris.

65 Seifert, WuW 2017, 474, 477 f. m. w. N.

66 Seifert, WuW 2017, 474, 481 f.