Strafbarkeit und Straflosigkeit der Präimplantationsdiagnostik

Jonathan Friedrichs*

A. Einleitung

Lange Zeit wurde die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik (PID) vielfach als nach §§ 1 I Nr. 2, 2 I ESchG strafbare Handlung angesehen.1 Als der BGH am 6. Juli 2010 jedoch anders entschied,2 war der Gesetzgeber aufgefordert, sich zügig und klar zur PID zu positionieren und eine seiner Wertung entsprechende Regelung zu treffen. Als Folge einer intensiven gesellschaftlichen und parlamentarischen Debatte wurde das 1991 in Kraft getretene Embryonenschutzgesetz (ESchG)3 durch Einfügung eines § 3a ESchG geändert.4

Bei dem Versuch, Klarheit zu schaffen und so zu einer gesteigerten Rechtssicherheit beizutragen,5 hat der Gesetzgeber manche Fragen beantwortet. Seine grundsätzlichen Wertentscheidungen haben zu einer begrenzten Zulassung der PID geführt.6 Einige Probleme wurden jedoch allenfalls tangiert oder in der kurzen Zeitspanne zwischen BGH-Urteil und Gesetzesbeschluss vollständig ausgeblendet. Dies erweist sich mittlerweile als Problem: Die Grenzen der Strafbarkeit der PID sind in einigen Punkten unscharf und deshalb umstritten, sodass sich der Rechtsanwender – insbesondere der behandelnde Arzt – in Grenzfällen einer latenten, nicht einschätzbaren Strafbarkeit seiner Untersuchungen ausgesetzt sieht.

Vor diesem Hintergrund gibt diese Arbeit einen Überblick über die wesentlichen Unklarheiten und Widersprüche in der strafrechtlichen Regelung der PID. Darüber hinaus versucht sie, differenzierend einzuschätzen, wie dringend der in der Literatur häufig entweder generell postulierte oder aber negierte Reformbedarf für die einzelnen Probleme des § 3a ESchG ist. Welche Fragen müssen vom Gesetzgeber umgehend beantwortet und entsprechend neu geregelt werden, welche Probleme sollte er im Zuge einer großen Reform der gesamten Fortpflanzungsgesetzgebung angehen und welche bedürfen nicht zwingend eines legislativen Eingreifens, sondern können zufriedenstellend akademisch oder in der Praxis gelöst werden? Die Richtschnur, an der die Probleme bewertet werden sollen, ist die Zielsetzung, die sich der Gesetzgeber selbst gegeben hat: Wo konnte durch § 3a ESchG „Rechtssicherheit“ erzeugt werden und wo bedarf es legislativer Nachbesserung?

B. Ungeklärte Fragen

Der Gesetzgeber hat bei der für ein bioethisches Thema sehr schnell erfolgten Konzeption und Beschlussfassung des § 3a ESchG einige Unklarheiten sowohl innerhalb der Terminologie der Norm als auch in ihrem systematischen Kontext geschaffen.

Für das Strafrecht gelten mit Art. 103 II GG besondere Anforderungen für die Bestimmtheit der Normen. Optimal ist ein Normtext, aus dem sich offensichtlich ergibt, „ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht“.7 § 3a II ESchG ist aber, wie dieses Kapitel zeigt, sowohl durch die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen als auch teilweise unklarer Terminologie auslegungsbedürftig. Im Versuch, Maßstäbe für diese Auslegung zu finden, ergeben sich Probleme. Sie verwischen zum Teil die Randbereiche der Regelung und erlauben es nicht immer, klar zwischen Strafbarkeit und Straflosigkeit zu unterscheiden. Die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen ist jedoch nicht von vornherein durch Art. 103 II GG ausgeschlossen.8 Vielmehr ist mittels einer „wertenden Gesamtbetrachtung zu entscheiden, ob der Gesetzgeber seinen Verpflichtungen aus Art. 103 II GG nachgekommen ist“.9 Maßstab dafür sind die konkrete Strafnorm und ihre Adressaten.10 Bei der Prüfung der unklaren Merkmale und einem eventuellen Nachbesserungsbedarf sollte also stets mitbedacht werden, ob aus der Sicht eines Arztes eine Bestrafung oder zumindest das „Risiko einer Bestrafung“11 erkennbar war.

I. Terminologie

1. Anwendungsbereich

§ 3a I ESchG knüpft in der Normierung der Strafbarkeit der PID an eine genetische Untersuchung von „Zellen eines Embryos“ an. Möglicherweise ist durch diese Formulierung die PID mittels Trophoblastbiopsie nicht mehr vom Anwendungsbereich der Norm erfasst und kann deshalb keine Strafbarkeit begründen. Sollte § 3a ESchG tatsächlich auf die Blastomerenbiopsie beschränkt sein, ginge die Regelung allerdings ungewollt an der medizinischen Praxis vorbei. Wegen des hohen Schädigungsrisikos bei der Entnahme eines Blastomers verschiebt sich derzeit nämlich der Schwerpunkt am Anteil durchgeführten Untersuchungen hin zur Trophoblastbiopsie.12

Hintergrund der unter anderem von Frommel vehement vertretenen Auffassung ist die Überlegung, dass die


* Der Autor ist Student der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Müller-Terpitz, in: Spickhoff2, 2014, § 1 ESchG Rn. 11.

2 BGHSt 55, 206, 206 ff.

3 G. v. 13.12.1990 (BGBl. I S. 2746).

4 G. v. 21.11.2011 (BGBl. I S. 2228).

5 BT-Dr. 17/6400, S. 6.

6 BT-Dr. 17/6400, S. 7.

7 BVerfGE 126, 170, 195.

8 Vgl. Schmitz, in: MüKo/StGB, Bd. 1, 3. Aufl. 2017, § 1 Rn. 46-50; vgl. auch BVerfGE 126, 170 ff.

9 BVerfGE 126, 170, 196.

10 BVerfGE 126, 170, 196. Der vom BVerfG angelegte Maßstab ist dabei ein i. d. R. großzügiger, s. Schmitz, in: MüKo/StGB (Fn. 8), § 1 Rn. 49. Das BVerfG hält es für ausreichend, dass sich eine Präzisierung durch die gleich bleibende Anwendung der Terminologie von den Gerichten etabliert (vgl. z. B. BVerfGE 28, 175, 183) und leitet darüber hinaus ein Präzisierungsgebot für die Rechtsprechung aus Art. 103 II GG ab (BVerfGE 126, 170, 198 f.). Kritisch dazu Schmitz, in: MüKo/StGB (a.a.O.), § 1 Rn. 53 sowie Eser in Hilgendorf (Hrsg.), Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, 2013, S. 259, 262.

11 BVerfGE 126, 170, 196.

12 Taupitz/Hermes, MedR 2015, 244, 245 f.; Schmutzler/Filges/Al-Hasani/Diedrich/Miny, Der Gynäkologe 2014, 263, 266 f.

Friedrichs, PID46

entnommenen Zellen aus dem Trophoblasten stammen.13 Dieser entwickelt sich nicht zum eigentlichen Organismus weiter, sondern wird zur Plazenta und ist Frommels Ansicht nach damit gerade nicht mehr die Zelle eines Embryos.

Der Wortlaut von § 3a I ESchG spricht gegen diese Auffassung. Die Bewertung dessen, was zum Zellverband gehört, muss zum Zeitpunkt der Untersuchung vorgenommen werden. Die innere und äußere Zellmasse haben sich an Tag 5 noch nicht in Embryo und Plazenta differenziert, sondern werden beide noch von der sogenannten Zona pellucida umschlossen. Damit sind vom Wortsinn ausgehend auch unter den Trophoblastzellen „Zellen eines Embryos“ zu verstehen.14

Ein Frommels Ansicht stützender systematischer Anknüpfungspunkt könnte in § 2 Nr. 3 b) PIDV gesehen werden und zu einer engen Auslegung des § 3a I EschG veranlassen.15 Dort werden nämlich „Zellen eines Embryos“ lediglich als diejenigen Stammzellen aufgefasst, die „sich selbst oder deren Tochterzellen sich unter geeigneten Bedingungen zu Zellen unterschiedlicher Spezialisierung, jedoch nicht zu einem Individuum zu entwickeln vermögen.“ Der Verordnungsgeber hat unter ihnen also ausschließlich pluripotente Zellen verstanden, zu denen die Trophoblasten nicht mehr zu zählen sind, weil sie sich ausschließlich zur Plazenta und nicht mehr „zu Zellen unterschiedlicher Spezialisierung“ entwickeln können. Dafür spricht auch die Ausführung im Verordnungsentwurf, man lehne sich terminologisch an die Definition der „pluripotenten Stammzellen“ des § 3 Nr. 1 StZG an.16 Der Grund dafür lag aber darin, dass nach Meinung des Verordnungsgebers klargestellt werden musste, dass „Untersuchungen an Zellen im Rahmen der Verordnung nur an pluripotenten und nicht an totipotenten Zellen durchgeführt werden dürfen“.17 Die sich hier offenbarende Vorstellung des Verordnungsgebers weicht indes vom medizinischen Kenntnisstand ab.18 Er nahm fälschlicherweise an, Pluripotenz sei ein eindeutiges Abgrenzungsmerkmal von Totipotenz und würde lediglich totipotente Zellen aus dem Anwendungsbereich ausschließen.19 Es scheint dem Verordnungsgeber nicht bewusst gewesen zu sein, dass er im Versuch, totipotente Zellen aus dem Anwendungsbereich auszuschließen, auch die Trophoblasten ausschloss.

Selbst wenn man aber die Formulierung des Verordnungsgebers wie Frommel auslegt, darf die Verordnung selbst nicht zur Auslegung des ESchG verwendet werden. Der Verordnungsgeber ist streng an die Vorgaben des ermächtigenden Gesetzes gebunden.20 Eine Ermächtigung zur terminologischen Eingrenzung enthält § 3a III 3 ESchG nicht. Frommels Deutung müsste sich also aus dem Wortlaut des § 3a I ESchG selbst ergeben können.

Die Trophektodermbiopsie könnte im Hinblick auf das Telos von § 3a ESchG aus dessen Anwendungsbereich ausgeschlossen sein, weil die im Blastozystenstadium erfolgende PID bereits nicht mehr zur Schädigung des Embryos führen kann.21 Ein grundsätzliches Untersuchungsverbot ist laut Frommel nur dann angemessen, wenn die Zellen zumindest die Möglichkeit hätten, sich zu menschlichem Gewebe zu entwickeln.22 Diese Erwägung greift aber nur, wenn der Schutzzweck der Norm sich tatsächlich auf die Unversehrtheit des Embryos bezieht. Abweichend von der Bezeichnung des Gesetzes als Embryonenschutzgesetz intendierte der Gesetzgeber, generell „jeder Manipulierung menschlichen Lebens bereits im Vorfeld zu begegnen“.23 Auf den Schutz eines Individualrechtsguts des Embryos bezieht er sich nicht. Auch für den Entwurf zum § 3a ESchG und für die Argumentation des BGH war diese Überlegung wichtig: Sie beide beabsichtigten, eine unbegrenzte genetische Selektion zu verhindern und deshalb die Zulässigkeit der PID auf Ausnahmefälle zu beschränken. 24 Im Dreischritt der PID (IVF, genetische Untersuchung, Implantationsentscheidung) stellt die genetische Untersuchung nur ein „unselbständiges Zwischenziel“25 dar. Der Zeitpunkt ihrer Durchführung hat keinen Einfluss auf das Ziel der Verhinderung unbegrenzter genetischer Selektion. Das Telos ergibt sich also im Hinblick auf die Folgen der PID, nicht des zu untersuchenden genetischen Materials. Diesen Zusammenhang stellte der Gesetzgeber selbst her, indem er § 3a ESchG auf § 3 S. 2 ESchG bezog. Dort folgt die ausnahmsweise zulässige Selektion des Geschlechts aus der Begründung, es sei Eltern nicht zuzumuten, „sehenden Auges das hohe Risiko“ eines schwer geschädigten Kindes in Kauf nehmen zu müssen.26

Die von Frommel vertretene, an die Formulierung „Zellen eines Embryos“ anknüpfende Auffassung ist überdies nicht konsistent, behauptet sie doch, die von § 3a ESchG nicht erfasste Trophektodermbiopsie müsse an § 2 ESchG gemessen werden und wäre im Rahmen dessen in der Auslegung des BGH zulässig. Warum die Trophoblastzellen von der Formulierung „Zellen eines Embryos“ nicht, dafür aber von der Formulierung „Embryo“ erfasst sein sollen, ist nicht überzeugend.27 Auch die Systematik des ESchG spricht gegen die vorgenommene Differenzierung. Der wesentlich höhere Strafrahmen des § 2 ESchG, der dann – in der Einschränkung des BGH – für die PID an Trophoblasten gelten würde, und das dort fehlende strafrechtsrelevante Erfordernis der Einwilligung der Frau stellen nicht begründbare Wertungswidersprüche dar.28\pagebreak

Das teleologische Argument des beschränkten Entwicklungspotentials


13 Frommel, JZ 2013, 488, 489.

14 Frister, in: FS Tolksdorf, 2014, S. 223, 226 f.

15 Frommel/Geisthövel/Ochsner/Kohlhase/Noss/Nevinny-Stickel-Hinzpeter, JRE 2013, 6, 9; Frommel, JZ 2013, 488 ff.

16 BR-Dr. 712/12, S. 16.

17 BR-Dr. 712/12, S. 16. Diese Klarstellung soll eine Bekräftigung des Verbots der Untersuchung totipotenter Stammzellen aus § 2 I Alt. 4, 6 ESchG darstellen. Totipotente Zellen gelten gemäß § 8 ESchG selbst als Embryonen und fallen damit nach h. M. nicht unter „Zellen eines Embryos“ i. S. d. § 3a I ESchG.

18 Vgl. Frister (Fn. 14), 228.

19 Diesem Irrtum unterliegt bereits der BGH, wenn er im amtlichen Leitsatz zur Entscheidung vom 6.7.2010 den widersprüchlichen Ausdruck „pluripotente […] Trophoblastzellen“ (BGHSt 55, 206) verwendet.

20 Uhle, in: BeckOK/GG32, Stand 1.3.2017, Art. 80 Rn. 29. Gemäß Art. 80 I 2 GG müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz geregelt sein. Auf diese Bestimmungen ist der Verordnungsgeber dann beschränkt. Hier bezieht sich die Ermächtigung auf § 3 III 3 Nr. 1-4 ESchG.

21 Frommel, JZ 2013, 488 f.

22 Frommel, JZ 2013, 488 f.

23 BT-Dr. 11/5460, S. 1.

24 BGHSt 55, 206, 216 f.; BT-Dr. 17/5451, S. 2, 8 f.

25 BGHSt 55, 206, 211 f.

26 BT-Dr. 17/5451, S. 8.

27 Hinweis schon bei Taupitz/Hermes, MedR 2015, 244, 246.

28 Taupitz/Hermes, MedR 2015, 244, 247.

Friedrichs, PID47

von Trophoblastzellen und die fehlende Gefährdung des Embryos entbehrt im Ergebnis einer Grundlage, weil für den § 3a ESchG ohne Begründung der Schutzbereich allgemeinen Lebensschutzes angenommen wird, der ihm nicht zu eigen ist. Die Annahme, dass § 3a I ESchG teleologisch zu reduzieren sei,29 verkennt, dass die hauptsächliche Funktion seiner Einfügung darin bestehen sollte, die Grenzen zulässiger genetischer Selektion allgemein und umfassend zu bestimmen, weil es die „Hochwertigkeit der betroffenen Rechtsgüter“ gebiete, „zur Gewährleistung hoher medizinischer und ethischer Standards […] die Voraussetzungen und Verfahren der PID zu regeln“.30\medskip

Der Anwendungsbereich des § 3a ESchG ist auch bei der PID von Trophoblastzellen, die als Gegenstand der BGH-Entscheidung den Ausgangspunkt für die Einfügung des § 3a ESchG dargestellt hat, eröffnet.31 Die Ansicht, sie sei darin nicht geregelt worden, beruht auf einem Missverständnis des Schutzbereichs der Norm. Dennoch besteht Klarstellungsbedarf durch den Gesetzgeber im eigenen Interesse: Teile der Ärzteschaft folgen bekanntlich Frommels Lehrmeinung,32 sodass diese Untersuchungen statistisch nicht erfasst werden können. Hinzu kommt, dass diese Ärzte regelmäßig selbst unwägbare Strafbarkeitsrisiken eingehen. Eine gesetzgeberische Klärung ist dementsprechend umgehend geboten.\medskip

2. Totipotenz

Nach einer in der Literatur geläufigen Auffassung kann die PID an totipotenten Zellen nicht in den Anwendungsbereich des § 3a ESchG fallen, weil diese gemäß § 8 ESchG selbst als Embryo gelten und damit nicht mehr „Zellen eines Embryos“ sein könnten. Nicht von der neuen speziellen Regel erfasst, falle die PID totipotenter Zellen unter die bisherige allgemeine Regelung in § 2 I ESchG. In der Abspaltung einer totipotenten Zelle vom Embryo liegt damit zumindest ein Verstoß gegen das Klonierungsverbot aus § 6 ESchG vor.33 Die Durchführung einer PID an totipotenten Zellen scheint damit immer strafbar zu sein. Entsprechend definiert der Verordnungsgeber in § 2 Nr. 3 b) PIDV, dass unter den Zellen eines Embryos nicht diejenigen zu verstehen seien, die sich „zu einem Individuum zu entwickeln vermögen.“34\medskip

Es ist jedoch nicht unumstritten, ob eine Biopsie totipotenter Zellen losgelöst von § 3a ESchG strafbar ist. Sollten totipotente Zellen möglicherweise doch von § 3a ESchG erfasst sein, würden sich die Rechtfertigungsgründe auch auf sie erstrecken.35\medskip

Der Wortlaut des § 3a I ESchG „Zellen eines Embryos“ spricht im Zusammenhang mit der Definition des Embryos in § 8 I ESchG, in dem totipotente Zellen bereits als Embryo selbst aufgefasst werden, dafür, dass totipotente Zellen aus der Regelung ausgenommen werden sollten. Der BGH hatte in seinem Urteil explizit gemacht, dass sich seine Bejahung der Zulässigkeit der PID zur damaligen Gesetzeslage nur auf die Biopsie an Trophoblastzellen, nicht aber auf totipotente Zellen erstrecke; diese sei durch §§ 2 I, 6 I i.V.m. § 8 I ESchG „eindeutig“ strafbar.36 Diese Wertung spiegelt sich im Gesetzgebungsverfahren.37 Dass der Verordnungsgeber in § 2 Nr. 3 PIDV davon ausgeht, dass unter Zellen eines Embryos nur pluripotente Zellen zu verstehen seien, ist auch in dieser Frage unbeachtlich.38

BGH und Gesetzgeber stimmen darin überein, dass eine PID an totipotenten Zellen nicht mit § 6 ESchG vereinbar sei.39 Krüger denkt jedoch eine teleologische Reduktion des vom Wortlaut ausgehend einschlägigen § 6 ESchG an. Das Telos der Norm besteht laut Gesetzgeber im Schutz der Menschenwürde, die verletzt sei, wenn man „gezielt einem künftigen Menschen seine Erbanlagen“ zuweise.40 Im Sinne dieses Schutzzwecks unterscheidet sich jedoch die totipotente Zelle, die im Zuge der PID entnommen wird, nicht von ihrem pluripotenten Pendant – beide untersuchten Zellen werden niemals zu „künftigen Menschen“, weil sie im Zuge der PID absterben. Wenn demzufolge keine tatsächlichen Unterschiede zwischen beiden Zellen bestünden, seien die Situationen ähnlich und eine entsprechend vergleichbare Behandlung angezeigt.

Der Gesetzgeber weist allerdings explizit darauf hin, dass unter § 6 ESchG wegen der Definition in § 8 I ESchG auch die „Abspaltung totipotenter Zellen eines Embryos zu Zwecken der Forschung oder der Diagnostik unter das Verbot des § 6 Abs. 1 [ESchG]“ fallen. Dies stellt gleichzeitig eine Erweiterung des intendierten Schutzzwecks dar, weil hier – worauf Krüger nicht hinweist – nicht mehr mit dem Schutz der Menschenwürde, sondern damit argumentiert wird, „dass sich nicht mit Sicherheit ausschließen lässt, dass der Eingriff zu einer Schädigung des nach der Abspaltung verbleibenden und zur Embryonenübertragung vorgesehenen Embryos führt.“ Die „Abspaltung einzelner Zellen eines Embryos zuzulassen, obwohl die Möglichkeit schwerer Beeinträchtigungen des nach dem Eingriff ausgetragenen Kindes nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann“,41 hält der Gesetzgeber nicht für vertretbar.

Über die von Krüger vorgeschlagene teleologische Reduktion lässt sich allenfalls nachdenken, sobald eine Methode existiert, die diese Risiken nicht mehr zulässt – vorerst scheint sie aber eher Gedankenspiel denn praxisrelevante Auslegung zu sein. Ein (kurzfristiger) Regelungsbedarf durch den Gesetzgeber besteht derzeit deshalb nicht. Die Klärung der fundamentalen Frage des Embryonenstatus selbst wird wohl noch einige Zeit


29 Frommel, JZ 2013, 488, 492 f.

30 BT-Dr. 17/5451, S. 7.

31 Frister (Fn. 14), S. 223, 233.

32 Vgl. BT-Dr. 18/7020, S. 5. Die Bundesregierung dagegen bekräftigte nochmals, auch die durch Trophektodermbiopsie gewonnenen Zellen fielen unter § 3a ESchG (BT-Dr. 18/729, S. 73).

33 Taupitz/Hermes, MedR 2015, 244, 245; Frister/Lehmann, JZ 2012, 660.

34 Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Wertung des Verordnungsgebers als Argument für die Auslegung des Begriffs in der ermächtigenden Norm nicht in Frage kommt.

35 Schroth, ZStW 2013, 627, 634; Krüger, in: Rosenau (Hrsg.), Ein zeitgemäßes Fortpflanzungsmedizingesetz für Deutschland, 2012, S. 69, 89 ff.

36 BGHSt 55, 206, 213.

37 Explizit so im abgelehnten Entwurf Röspel/Hinz (BT-Dr. 17/5452, S. 6). Diese Wertung lag wohl auch dem angenommenen Entwurf zugrunde, da sich dieser immer wieder auf das BGH-Urteil bezieht, sich jedoch in der Frage der Totipotenz nicht von ihm abgrenzt, vgl. Krüger (Fn. 35), S. 69, 89.

38 Vgl. Krüger (Fn. 35), S. 69, 89, dortige Fn. 79.

39 BGHSt 55, 206, 213; BT-Dr. 17/5452, S. 6 – im angenommen Gesetzesvorschlag wurde diese Wertung wiederum nicht explizit übernommen.

40 BT-Dr. 11/5460, S. 11.

41 BT-Dr. 11/5460, S. 11 f.

Friedrichs, PID48

in Anspruch nehmen.42 Die begrifflichen Unsicherheiten von Toti- und Pluripotenz sollten zumindest im Rahmen einer grundlegenderen Reform vom Gesetzgeber nach Maßgabe des Forschungsstandes aktualisiert werden.43

3. Unbestimmte Rechtsbegriffe

§ 3a II 1 ESchG enthält mit dem Erfordernis des aufgrund der genetischen Disposition der Mutter und/oder des Vaters „hohen Risikos“ einer „schwerwiegenden Erbkrankheit“ für deren Nachkommen zwei unbestimmte Rechtsbegriffe als Voraussetzung für eine zulässige PID.\medskip

a) „Hohes Risiko“

Der eingebrachte Gesetzesentwurf Flach/Hintze ging davon aus, dass eine hohe „Wahrscheinlichkeit, die vom üblichen Risiko der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland wesentlich abweicht,“ bei 25 bis 50 % liegt.44 In der vom Gesundheitsausschuss modifizierten Fassung wird abweichend von der Regelung in § 3a II 2 ESchG nicht mehr von „Wahrscheinlichkeit“, sondern von „Risiko“ gesprochen, weil dieses „in bestimmten genetischen Fallkonstellationen nur schwer prozentual erfassbar“ sei.45 So bestehe z. B. bei Menschen „mit balancierten Translokationen, bei denen die Gesamtmenge des Erbguts im Gleichgewicht ist und sie infolgedessen selbst nicht erkrankt sind“ ein erhöhtes Risiko, dass sie Kinder mit unbalancierten Translokationen bekämen.

Einen systematischen Bezug zu den verwandten Normen des GenDG hat der Gesetzgeber leider nicht hergestellt. So bleibt unklar, ob er unter dem sehr unbestimmten Begriff des hohen Risikos eine „hohe Wahrscheinlichkeit“ im Sinne einer vorgeburtlichen Risikoabklärung (§ 3 Nr. 3 GenDG) verstanden hat oder das Erfordernis eher in die Richtung einer sicheren Beeinträchtigung nach dem „allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft und Technik“ (§ 15 I 1 GenDG) zu deuten ist.\medskip

b) „Schwerwiegende Erbkrankheiten“

Erbkrankheiten (monogen bedingte Krankheiten und Chromosomenstörungen) sind nach Vorstellung des Gesetzgebers insbesondere dann schwerwiegend, „wenn sie sich durch eine geringe Lebenserwartung oder Schwere des Krankheitsbildes und schlechte Behandelbarkeit von anderen Erbkrankheiten wesentlich unterscheiden.“46 Das schwer bestimmbare Merkmal übernimmt er vom BGH, der betonte, dass sich seine Entscheidung über die PID lediglich auf „schwerwiegende genetische Schäden“ beziehe.47 Einen Katalog von Krankheiten, die darunter fallen, hat der Gesetzgeber mit der Begründung, dass eine Diskriminierung möglicherweise nicht bedachter Krankheiten verhindert werden solle, nicht geschaffen.48

Der im StGB nicht häufig verwendete Begriff „schwerwiegend“ wird ansonsten nur in den §§ 238, 218a II StGB verwendet.49 Der Verweis des Gesetzgebers darauf, dass der Begriff auf die „bereits in § 3 Satz 2 [ESchG] verwendete Formulierung Bezug“50 nehme, ist problematisch, weil hier explizit nur eine Krankheit genannt wird und ansonsten auf landesrechtliche Indikationenkataloge verwiesen wird, die aber nicht einheitlich existieren.51\medskip

c) Zusammenfassung

Vage Definitionen und unbestimmte Rechtsbegriffe, die letztlich zu Einzelfallentscheidungen führen, machen es Ärzten und Eltern gerade in der ersten Zeit nach Inkrafttreten der PIDV, in der noch kaum Daten zum Abgleich verfügbar sind, schwer, im Vornherein abzuschätzen, ob von der Ethikkommission die gewünschte PID zugelassen wird.52

Letztlich werden die Grenzen der Begriffe zwar durch die Ethikkommissionen und schließlich eventuell gerichtlich bestimmt werden müssen.53 Präzisierungen durch den Gesetzgeber sind aber wünschenswert. Für die Bestimmung des hohen Risikos ist im Rahmen einer Reform eine Klarstellung des Bezugs zum GenDG und der dort vorgenommenen Abschichtungen des Risikobegriffs zu empfehlen. Des Definitionsproblems der „schwerwiegenden Krankheiten“ sollte sich der Gesetzgeber nicht durch wenig durchdachte Bezüge entledigen, sondern eine klare Bestimmung vornehmen.

Angesichts dessen, dass die Ethikkommissionen die Zulässigkeit von PID-Untersuchungen bestimmen sollen, sind die Strafbarkeitsrisiken zwar gering, wenn vom Arzt ein Gutachten eingeholt wird und er diesem in der Behandlung folgt. Auf die Patienten kommen jedoch im Vorfeld beträchtliche Kosten für die Ethikkommissionen zu. Eine stärkere Bestimmtheit ist vor diesem Hintergrund geboten: Die sukzessive definitorische Arbeit der Ethikkommissionen und Gerichte kann kein Ersatz für klare materielle Voraussetzungen sein, aus denen für Ärzte und Patienten die Grenzen der Strafbarkeit ersichtlich sind.

II. Systematik

1. Dreierregel

Problematisch ist das Verhältnis des § 3a ESchG zur sogenannten Dreierregel. Diese Regel ergibt sich aus dem Zusammenspiel von § 1 I Nr. 3 und Nr. 5 ESchG: Bei der Anwendung von Fortpflanzungstechniken dürfen nach § 1 I Nr. 3 ESchG innerhalb eines Zyklus maximal drei Embryonen auf eine Frau übertragen werden. Im Zusammenhang mit § 1 I Nr. 5 ESchG, der bestimmt, dass nicht mehr Eizellen befruchtet werden dürfen, als innerhalb eines Zyklus „übertragen werden sollen“, scheint zu resultieren, dass nur drei Eizellen in einem Zyklus befruchtet werden dürfen. Unbestritten ist zumindest, dass der Arzt


42 Vgl. Müller-Terpitz, ZRP 2016, 51, 52.

43 So auch Krüger (Fn. 35), S. 69, 92.

44 BT-Dr. 17/5451, S. 8.

45 BT-Dr. 17/6400, S. 14.

46 BT-Dr. 17/5451, S. 8

47 BGHSt 55, 206, 216 f.

48 BT-Dr. 17/5451, S. 7.

49 Krüger (Fn. 35), S. 69, 81.

50 BT-Dr. 17/5451, S. 8.

51 Krüger/Gollnick, Der Gynäkologe 2010, 955, 956. Auch führt der Gesetzgeber irritierenderweise nicht aus, warum über die Zulässigkeit der Geschlechtswahl nach § 3 S. 2 ESchG die nach Landesrecht zuständige Stelle, über die der PID dagegen gemäß § 3a III Nr. 2 ESchG eine interdisziplinäre Ethikkommission entscheiden solle.

52 Krüger (Fn. 35), S. 69, 80.

53 Vgl. Frister/Lehmann, JZ 2012, 660, 661.

Friedrichs, PID49

nicht mit Absicht mehr Eizellen befruchten darf, als er übertragen möchte.54 Ein Selektionsverbot enthalten die Normen aber nicht – die Frau darf entscheiden, ob und welche Embryonen übertragen werden.55\medskip

Zur Durchführung einer PID ist aber die Befruchtung von sieben bis neun Eizellen notwendig.56 Deshalb war im Entwurf Röspel/Hinz die Einfügung eines § 1 I S. 2 ESchG vorgesehen, der eine Ausnahme von der Regel aus § 1 I Nr. 5 ESchG für die PID vorsah;57 im Gesetzesvorschlag wurde diese Idee trotz entsprechender Hinweise58 nicht antizipiert. Aus diesem Grund muss geklärt werden, ob die Dreierregel auf die PID anwendbar ist oder überhaupt existiert.\medskip

In der Rechtspraxis wird die Dreierregel – auch losgelöst von der PID – nicht so strikt wie beschrieben gehandhabt, statt eines starren objektiven wird ein subjektiver Maßstab angelegt.59 Dem Arzt wird die Bewertung der Einzelfallumstände überlassen, sodass er so viele Eizellen befruchten darf, wie er zu brauchen meint, um schließlich zwei Eizellen übertragen zu können (DET: double embryo transfer).60 Dieses Vorgehen, der sogenannte Deutsche Mittelweg, räumt dem Arzt also einen prognostischen Spielraum ein.61 Die Anforderung an die PID, sie müsse „nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik“ (§ 3a II 1 ESchG) erfolgen, spricht deutlich für diese Auslegung.62\medskip

Neben dem Anlegen eines subjektiven Maßstabs kommt auch eine teleologische Reduktion der Dreierregel in Betracht, sofern sich der Wortlaut des § 1 I Nr. 3 i.V.m. Nr. 5 ESchG über das Telos hinaus erstreckt und die PID nicht davon erfasst werden sollte. § 1 I Nr. 5 ESchG (§ 1 I Nr. 3 ESchG a. F.) sollte verhindern, dass „überzählige“ Embryonen entstehen,63 um in erster Linie ihre missbräuchliche Verwendung auszuschließen, noch bevor das Verbot aus § 2 I ESchG eingreift.64 Bei der PID entstehen in jedem Fall überzählige Embryonen, da auch bei Einhaltung der Dreierregel nicht alle drei erzeugten Embryonen implantiert werden, sondern je nach Methode höchstens zwei. Überdies hat sich die damals bestehende Sorge vor dem Begehren der Pharma-Industrie nach den überzähligen Embryonen65 relativiert, nachdem der EuGH entschieden hat, dass die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken von der Patentierbarkeit auszunehmen sei.66 Hinzu kommt, dass die Schutzzwecke des § 2 I ESchG auch im Fall einer teleologische Reduktion eingreifen können, weil er unbeschadet von § 1 I Nr. 5 ESchG zur Anwendung kommt.67 Entsprechend wäre die Dreierregel auf die PID nicht anzuwenden. Zu diesem Ergebnis kommt man auch, wenn man annimmt, dass § 3a ESchG als lex posterior und lex specialis allen anderen Regelungen im ESchG vorgeht.68\medskip

Unabhängig vom Verhältnis der PID zur Dreierregel kann zudem die Frage gestellt werden, ob die Dreierregel überhaupt existiert. Frommel behauptet, die § 1 I Nr. 3 und Nr. 5 ESchG würden fälschlicherweise zusammengelesen.69 Diese Lesart beruhe darauf, dass man ursprünglich angenommen habe, eine angemessene Schwangerschaftsquote sei nur um den Preis zu erreichen, gefährliche Mehrlingsschwangerschaften zu riskieren.70 Die Regelungen verfolgten ihrer Meinung nach unterschiedliche Zwecke: § 1 I Nr. 5 ESchG stelle eine Spezifikation von § 1 I Nr. 2 ESchG dar, der das zulässige Behandlungsziel beschreibe. Zweck sei das Vermeiden von überzähligen Embryonen, um deren missbräuchliche Verwendung zu verhindern. § 1 I Nr. 3 ESchG dagegen beziehe sich auf den Transfer von Embryonen und bezwecke vorwiegend den Gesundheitsschutz der Mutter.\medskip

Die Anwendbarkeit bzw. Existenz der Dreierregel ist also weiterhin streitig,71 sodass eine Positionierung des Gesetzgebers umgehend geboten ist, um Rechtssicherheit herzustellen. Dass die teleologische Reduktion Rechtspraxis ist, begründet keineswegs automatisch die Straflosigkeit des „Deutschen Mittelwegs“. Wenn der Arzt eine Prognose abgibt, kann schließlich das Ergebnis variieren. Da er diese Unsicherheit billigend in Kauf nimmt, handelt er zumindest mit dolus eventualis hinsichtlich der Erzeugung zu vieler Embryonen, sodass eine Strafbarkeit in Betracht kommt.72 Anders als bei den terminologischen Problemen (Kapitel 3.a) treffen die Ethikkommissionen hierüber zumindest explizit keine vorhergehende Entscheidung, auf die sich die Ärzte berufen könnten.\medskip

2. Aneuploidiescreening und Zufallsfunde

International werden mehr als die Hälfte der PID-Zyklen durchgeführt, um ein Aneuploidiescreening zu ermöglichen.73 Während der Entwurf Röspel/Hinz ein Aneuploidie-Screening generell ausschließen wollte,74 nimmt der Entwurf


54 Frister, GuP 2012, 10; Taupitz/Hermes, Der Gynäkologe 2015, 169, 170.

55 Vgl. Taupitz, in: Günther/Taupitz/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, 2014, C. II., § 1 Abs. 1 Nr. 3 Rn. 7.

56 BT-Dr. 17/5450, S. 7; BT-Dr. 17/5452, S. 5; Taupitz/Hermes, Der Gynäkologe 2015, 169, 171. Die Zahlen variieren, liegen aber deutlich über drei (europäischer Durchschnitt ist ungefähr sieben); die überzähligen Embryonen werden dann kyrokonserviert (Leopoldina, Ad-hoc-Stellungnahme Präimplantationsdiagnostik [PID] – Auswirkungen einer begrenzten Zulassung in Deutschland, 2011, 16).

57 BT-Dr. 17/5452, S. 3.

58 Vgl. Dt. Ethikrat, Präimplantationsdiagnostik, Stellungnahme, 2011, S. 27, 31 f., 91 f.; Bundesärztekammer, Dt. Ärztebl. 2012, A 1701, A1708.

59 Krüger (Fn. 35), S. 69, 87; Krüssel/Baston-Büst/Beyer/Hirchenhain/\linebreak Hess, Der Gynäkologe 2012, 141, 141.

60 Der Transfer zweier Embryonen erzeugt die höchste Schwangerschaftsrate verbunden mit dem geringsten Risiko für die Mutter hinsichtlich problematischer Mehrlingsschwangerschaften, vgl. Hepp/Diedrich, Der Gynäkologe 2009, 508, 513.

61 Günther, in: Günther/Taupitz/Kaiser (Fn. 55), § 1 I Nr. 5 Rn. 6 ff., 11.

62 Taupitz/Hermes, Der Gynäkologe 2015, 169, 171. Mittlerweile haben auch (untere) Gerichte entsprechend entschieden, vgl. Taupitz/Hermes a.a.O., 169, 174, ähnlich StA München I, Vfg. vom 24. Juli 2014 – 124 Js 202366/13.

63 BT-Dr. 11/5460, S. 9.

64 Vgl. Krüger (Fn. 35), S. 69, 87.

65 Teil der Begründung für das vorgeschlagene Totalverbot der PID im Entwurf Göring-Eckardt, BT-Dr. 17/5450, S. 7.

66 Erwägungsgrund Nr. 42 der RL 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.7.1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen; vgl. auch Krüger (Fn. 35), S. 69, 83 ff.

67 Taupitz, in: Günther/Taupitz/Kaiser (Fn. 55), § 2 Rn. 7.

68 Kramp, Arzthaftung bei fehlerhafter Präimplantationsdiagnostik, 2014, 117.

69 Frommel, EJR 2007, 27, 29.

70 Geisthövel, JRE 2006, 65, 65 ff.

71 Frister, GuP 2012, 10, 11 f.

72 So auch Frister, GuP 2012, 10, 12: Frommels Ansicht, es fehle am voluntativen Element, widerspreche den Grundsätzen der Vorsatzdogmatik der Rechtsprechung (vgl. dazu BGHSt 7, 363, 368 ff.).

73 Hehr/Frister/Fondel/Krauß/Zuehlke/Hellenbroich/Hehr/Gillessen-Kaesbach, medgen 2014, 417, 419.

74 BT-Dr. 17/5452, S. 5. So auch Dt. Ethikrat (Fn. 58), S. 52.

Friedrichs, PID50

Flach/Hintze darauf keinen Bezug. In der Begründung werden aber ausdrücklich nicht genetisch bedingte Chromosomenanomalien unter die Indikation des § 3a II 2 ESchG gefasst. Eine Bestimmung wie § 3 Nr. 3 GenDG lediglich zur „gezielten Suche nach chromosomalen Auffälligkeiten des Ungeborenen“75 enthält das Gesetz nicht. Es erscheint also grundsätzlich möglich, Aneuploidie-Screenings unter die Rechtfertigungsgründe zu subsumieren.\medskip

Unklar ist dann aber, wie mit den nicht geregelten Zufallsfunden76 zu verfahren ist. Vorgeschlagen wird, die Frau solle vorher selbst entscheiden, ob ihr die Informationen mitgeteilt werden sollten oder nicht.77 Kritikwürdig an dem zugrundeliegenden Argument ist, dass wie beim Schwangerschaftsabbruch letztlich ausgehend von der Mutter argumentiert wird. Die Schwelle, die § 3a ESchG zum Schutz vor der Manipulierbarkeit menschlichen Lebens erzeugt, wird dabei überschritten: Bei einem Aneuploidiescreening auf andere numerische Chromosomenstörungen wird Trisomie 21 regelmäßig mitdiagnostiziert. Da sie nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führt, ist sie nicht von § 3a II 2 ESchG umfasst.78 Die Frau trifft aber die Implantationsentscheidung und könnte so die Voraussetzungen des § 3 II 2 ESchG, die im Vergleich zu den Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch härter sein sollen, leicht umgehen.\medskip

Diese Regelungslücke scheint für den Rechtsanwender freilich recht unproblematisch. Die Umgehungsmöglichkeiten schaffen Freiräume, die der vom Gesetzgeber vorgesehenen Systematik widersprechen. Insofern sollte er an sich selbst appellieren, seine systematischen Entscheidungen entschiedener umzusetzen.

3. Spätmanifestierende Krankheiten

Die PID ist zwar nicht von den Regelungen des GenDG gesetzlich erfasst, weil dessen Anwendungsbereich erst mit Bestehen einer Schwangerschaft i.S.d. § 2 I GenDG eröffnet ist. In Bezug auf spätmanifestierende Krankheiten könnten sich aber Wertungswidersprüche mit einer Bestimmung des GenDG ergeben, die möglicherweise zu deren analoger Anwendung führen. § 15 II GenDG enthält eine exakte zeitliche Beschränkung der zulässigen Untersuchungsgegenstände: lediglich Krankheiten, die bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres „ausbrechen“. § 3a EschG enthält dagegen weder einen solchen Stichtag noch eine sonstige entsprechende Beschränkung für die PID. In den Materialien findet sich auch keine Stellungnahme des Gesetzgebers, obwohl er dazu erst kurz zuvor mit der Beschlussfassung des § 15 II GenDG Stellung bezogen hatte. Dort hat er festgelegt, dass eine PND, die auf die Erkennung einer Krankheit zielt, die nach dem „allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres ausbricht“, nicht vorgenommen werden darf.\medskip

Der Gesetzgeber wird dabei den Empfehlungen von Leopoldina und Bundesärztekammer gefolgt sein, die einen Stichtag für medizinisch äußerst fragwürdig erachteten.79 Aus den Gesetzesmaterialien ist aber keine Stellungnahme zu entnehmen. Während die Bundesärztekammer eine auf die Erkennung spätmanifestierender Krankheiten zielende PID unter bestimmten Bedingungen für zulässig erachtet wissen wollte,80 sollte nach Auffassung des Deutschen Ethikrates § 15 II GenDG auf die Regelungen zur PID übertragen werden.81

Ein wichtiger Streitpunkt sei hier bloß angedeutet: Zentrales Argument für die letztere Ansicht ist, dass durch eine Diagnose spätmanifestierender Krankheiten – unabhängig von der Frage des rechtlichen Status des Embryos – möglicherweise die Autonomie eines künftigen Kindes eingeschränkt wird.82 Dieses Argument mag im Rahmen der PND stichhaltig sein, da hier die Entscheidung bei der Frau liegt, ob bei positivem Befund die Schwangerschaft abgebrochen werden soll oder sie das Kind behalten möchte. Das Kind hätte von seiner Geburt an das Wissen um seine genetische Disposition – sein Recht auf Nichtwissen als Ausprägung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wäre beeinträchtigt.83 Bei der PID hingegen wird in aller Regel ein belasteter Embryo nicht implantiert werden; mit der Einschränkung der Autonomie des Kindes zu argumentieren erscheint dementsprechend nicht sachgerecht und eine analoge Anwendung von § 15 II GenDG vor dem Hintergrund der ungleichen Sachverhaltslage nicht einleuchtend.

§ 3a ESchG lässt aber letztlich offen, wie mit spätmanifestierenden Krankheiten umzugehen ist. Wie genau die Bezugnahme zu § 3 S. 2 ESchG84 zu verstehen ist, bleibt unklar. Insbesondere müsste gefragt werden, ob die starre Altersgrenze von 18 Jahren übernommen werden soll.85 Damit blieben viele Erbkrankheiten (z. B. Chorea-Huntington), für die die PID relevant ist, nicht zulässig.86

Da § 3a III 3 ESchG eine Ermächtigung für den Verordnungsgeber in nur geringem, ausschließlich formell-institutionellem Rahmen vorgibt, war eine begriffliche Schärfung und Präzision dahingehend, wie mit Screenings und spätmanifestierenden Krankheiten umzugehen ist, durch sie nicht möglich.87

In anderen Ländern sind spätmanifestierende Krankheiten ein Hauptanwendungsbereich der PID.88 Dementsprechend relevant wird die Frage in Deutschland werden. Eine analoge Anwendung


75 BT-Dr. 16/10532, S. 21; BT-Dr. 16/10582, S. 2.

76 Dt. Ethikrat, Die Zukunft der genetischen Diagnostik – von der Forschung in die klinische Anwendung, 2013, S. 99.

77 Frister/Lehmann, JZ 2012, 660, 664.

78 Frister, in: FG Pallme König, 2014, S. 115, 122.

79 Bundesärztekammer (Fn. 58), A1704; a. A. Tolmein, GuP 2011, 161, 164.

80 Bundesärztekammer (Fn. 58), A1704.

81 Dt. Ethikrat (Fn. 58), S. 83. Im Ergebnis auch Tolmein, GuP 2011, 161, 165.

82 Krones/Körner/Schmitz/Henn/Wewetzer/Kreß/Netzer/Thorn/Bockenheimer-Lucius, Ethik Med 2014, 33, 40 f.

83 Krones/Körner/Schmitz/Henn/Wewetzer/Kreß/Netzer/Thorn/Bockenheimer-Lucius, Ethik Med 2014, 33, 40 f.

84 BT-Dr. 17/5451, S. 8.

85 Ein Verstoß gegen Art. 103 II GG ist nicht unbedingt gegeben – die Übertragbarkeit des Analogieverbots auf Rechtfertigungsgründe ist umstritten, vgl. z. B. Paeffgen, in: NK/StGB4, 2013, Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff. Rn 65 ff.

86 Mit weiteren Beispielen Tolmein, GuP 2011, 162; befürwortend BÄK-Präsident Montgomery, der sich dagegen ausgesprochen hat, auf Erbanlagen zu testen, die nach dem 30. Lebensjahr auftreten, weil nicht klar sei, ob man diese in 30 Jahren nicht therapieren könne (Ärzte Zeitung online 10.7.2011, abrufbar unter http://t1p.de/02f7).

87 Vgl. Tolmein, GuP 2011, 161, 163.

88 Hehr/Frister/Fondel/Krauß/Zuehlke/Hellenbroich/Hehr/Gillessen-Kaesbach, medgen 2014, 417.

Friedrichs, PID51

von § 15 II GenDG erscheint zwar eher fernliegend. Eine Antwort darauf, ob eine Analogie angebracht ist oder nicht, erfordert eine in diesem Beitrag nicht zu leistende differenzierte Auseinandersetzung mit der Systematik des GenDG und den §§ 218 ff. StGB.89 Eine Überarbeitung durch den Gesetzgeber erscheint aber erst im Rahmen einer umfassenden Reform sinnvoll.\medskip

III. Überblick

Während man bei Beschlussfassung von 200-300 Anträgen auf Durchführung einer PID ausgegangen war,90 liegen die tatsächlichen Zahlen noch weit darunter. Bis Juni 2015 sind laut Bundesregierung 34 PID-Maßnahmen durchgeführt worden.91 Prognostiziert werden steigende Zahlen, es wird aber nicht erwartet, dass die Zahl der Anträge über 300 steigen wird.92\medskip

Eine gewisse Anlaufzeit war zwar abzusehen: Die PIDV trat erst am 1. Februar 2014 in Kraft. Am 1. September 2015 waren acht PID-Zentren in Deutschland zugelassen (in Hamburg, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und Bayern). In 10 Bundesländern lagen zu diesem Zeitpunkt noch keine Anträge auf Zulassung vor. Außerdem sind die Voraussetzungen für die Durchführung einer PID in den Bundesländern immer noch unterschiedlich, z. B. divergieren die von den werdenden Eltern aufzubringenden Kosten für die mittlerweile bestehenden fünf Ethikkommissionen teilweise beträchtlich.93\medskip

Diese praktischen Probleme in der Umsetzung sind aber vermutlich nicht die einzigen Gründe für die anscheinend bestehende Zurückhaltung. Neben Widersprüchlichkeiten innerhalb der Verfahrensanforderungen,94 die nicht Gegenstand dieser Arbeit waren, bleiben schließlich auch die festgestellten Unsicherheiten auf materieller Ebene bestehen. Die Unklarheit über den Anwendungsbereich und die bisher überhaupt nicht näher bestimmten Begriffe wirken abschreckend. Eine Präzisierung ist angebracht, um die Hürden wenigstens etwas abzubauen.\medskip

Überdies ist der systematische Bezug der Dreierregel zur PID umgehend zu klären. Auch wenn methodische Lösungen des Problems angesichts der sonst faktischen Unmöglichkeit der Durchführung der PID angeboten werden, ist die fehlende Stellungnahme des Gesetzgebers alles andere als konsequent. Für eine Neukonzeption finden sich in der Literatur wie z. B. im AME-FMedG95 mittlerweile Vorschläge.96\medskip

Weniger problematisch für den Rechtsanwender erscheinen die Probleme der Zufallsfunde, spätmanifestierenden Krankheiten und Totipotenz. Um die eigenen Wertungen nicht von der Praxis untergraben zu lassen, sollte der Gesetzgeber sich kurzfristig um eine regulierende Maßnahme hinsichtlich der Zufallsfunde bemühen. Längerfristig ist im Rahmen einer anstehenden Gesamtreform des Fortpflanzungsrechts das Verhältnis zu § 15 II GenDG zu bestimmen. Die Diskussion um die Totipotenz hat vorerst eher akademischen als praktischen Wert.\medskip

C. Fazit: Partielle Rechtssicherheit mit Klärungsbedarf

Ärzte können heute unter den Voraussetzungen des § 3a ESchG bei pluripotenten Zellen eine PID durchführen, ohne das Risiko einer Strafbarkeit einzugehen. Diese Sicherheit hatte der Berliner Arzt, dessen Selbstanzeige zum für die PID zentralen Urteil des BGH im Jahr 2010 geführt hat, noch nicht. Nicht alle Probleme, die sich nach heutiger Rechtslage im Zusammenhang mit § 3a ESchG stellen, beschweren unmittelbar den Rechtsanwender. In Anbetracht der bestehenden Unklarheiten ist dennoch zu befürchten, dass viele Paare auch weiterhin den Weg des geringeren Widerstands gehen werden und die PID im benachbarten Ausland durchführen lassen.97 Der Gesetzgeber hätte dann das Ziel des PräimpG verfehlt, mit einer begrenzten Zulassung der PID in Deutschland Rechtssicherheit zu erreichen.\medskip

Zwar wurden die Strafbarkeitsrisiken für den Anwender stark verringert. Einzelne Ärzte werden aber wohl auch in Zukunft die Strafbarkeitsgrenzen austesten, um sukzessive Klarheit zu schaffen. Um dies zu vermeiden, müssen einige Probleme des Gesetzes unmittelbar durch den Gesetzgeber gelöst werden. Schließlich soll es nicht zur Regel werden, dass sich Ärzte anzeigen müssen, um (partielle) rechtliche Klarheit zu erlangen. Auch eine mögliche Vorlage des ESchG zur Prüfung beim BVerfG98 sollte vermieden werden. Wenn der Gesetzgeber sich grundsätzlich dafür entschieden hat, die PID beschränkt zuzulassen, sollte er dies konsequent umsetzen. Dazu gehört, dass er Unklarheiten, die er geschaffen hat, möglichst schnell bereinigt. Auf eine langfristige Lösung in Form eines Fortpflanzungsgesetzes wie in Österreich oder der Schweiz, die Ausgewogenheit und „Systemgerechtigkeit“ beabsichtigt,99 darf dabei nicht gewartet werden.

Eine partielle Reform in der Form eines „EschG 2.0“100 wäre angesichts der Vorstellung des Gesetzgebers, dass „Fragen des Lebensschutzes […] nicht durch Richterrecht entschieden werden“101 sollen, nur konsequent. Nach seinem Willen sollte mit § 3a ESchG eine „eindeutige gesetzgeberische Grundentscheidung“ ergehen, „ob und inwieweit die PID in Deutschland Anwendung finden soll“.102 So könnte er es mit einer Reform begrenzten Umfangs vermeiden, die akuten offenen Fragen den Gerichten zu überlassen, und erreichen, was schon 2011 seine Intention war: Klarheit.


89 Ausführlich dazu von Wietersheim, Strafbarkeit der Präimplantationsdiagnostik, 2014, S. 235 ff.

90 BR-Dr. 717/12, S. 11.

91 Unterrichtung durch die Bundesregierung (10.12.2015), Erster Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Präimplantationsdiagnostik, BT-Dr. 18/7020, S. 5.

92 BT-Dr. 18/7020, S. 5.

93 Kentenich/Dorn/Buchholz/Hilland/Diedrich, Gynäkologische Endokrinologie 2015, 57, 58. Die Werte schwanken zwischen 1500 EUR und maximal 5000 EUR.

94 Kreß, Gynäkologische Endokrinologie 2016, 131, 132 ff.

95 Gassner/ Lindner/Krüger/Rosenau/Schroth/Kersten, Fortpflanzungsmedizingesetz, Augsburg-Münchner-Entwurf, 2013.

96 Der Entwurf Röspel/Hinz enthielt einen ähnlichen Vorschlag, vgl. BT-Dr. 17/5452, S. 3.

97 Kreß, Gynäkologische Endokrinologie 2016, 131, 134.

98 So die Vermutung bei von Wietersheim (Fn. 89), S. 148.

99 Frommel, JZ 2013, 488, 495; von Wietersheim (Fn. 89), S. 102; Hübner/Pühler, MedR 2011, 789, 796.

100 Müller-Terpitz, ZRP 2016, 51 ff.

101 BT-Dr. 17/6400, S. 7.

102 BT-Dr. 17/5451, S. 3.