Ausschreibungswettbewerb zur Sicherung hinreichender Erzeugungskapazitäten aus Kraftwerken

Ablauf und Funktion – ein Vergleich mit dem GWB-Vergaberecht

Sören Seeba, LL.B.*

A. Einleitung

Im Zuge der Energiewende und der damit einhergehenden Umstellung der Stromversorgung von konventionellen auf erneuerbare Energieträger1 – insbesondere auf die volatilen Energieträger Wind und Sonne – stellt sich die Frage, wie die Stromversorgung in sonnen- und windarmen Zeiten sichergestellt werden kann.2 Die steigende Verfügbarkeit von Strom aus erneuerbaren Energien führt zumindest an sonnen- und windreichen Tagen zu niedrigen Börsenstrompreisen,3 sodass der Betrieb konventioneller Kraftwerke zunehmend unrentabel wird und es daher aufgrund fehlender Erzeugungskapazitäten zu Versorgungsengpässen kommen kann.4 Auch der im März 2011 beschlossene beschleunigte Atomausstieg sorgt dafür, dass spätestens am 31.12.2022 das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet wird (§ 7 Ia AtomG) und sich dadurch die gesicherte Kraftwerksleistung weiter verringert. Folglich müssen zunehmend auch konventionelle Reservekraftwerke subventioniert werden, um in Spitzenlastzeiten, bei gleichzeitig niedrigem Angebot an Strom aus erneuerbaren Quellen, die Stromversorgung zu sichern. Die Beschaffung solcher Reservekapazitäten erfolgt durch ein Ausschreibungsverfahren.

Dieser Beitrag soll das vergaberechtliche System der Beschaffung von Netz- und Kapazitätsreserven erläutern. Insbesondere wird auf den Unterschied zwischen GWB- und EnWG- Vergaberecht eingegangen. Die unterschiedlichen Systeme werden in ihrer Wirkung und ihren Zielen verglichen. Es wird der Frage nachgegangen, ob Ausschreibungsverfahren für konventionelle Kraftwerke einen sinnvollen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten können und wie ein solches Ausschreibungsverfahren ausgestaltet werden sollte, insbesondere welche zusätzlichen Ziele der Ausschreibungswettbewerb des EnWG verfolgt.

Der Beitrag beginnt mit einer Darstellung des Regelungssystems zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit mit Elektrizität und ordnet den Ausschreibungswettbewerb zur Sicherung von hinreichenden Erzeugungskapazitäten in dieses ein. Es folgt ein Vergleich des GWB-Vergaberechts mit dem EnWG. Auf die Ausgestaltung des Ausschreibungsverfahrens zur Beschaffung von Netzreservekapazitäten wird besonders eingegangen. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum GWB-Vergaberecht und deren Rechtfertigung werden erläutert.

B. Ausschreibungswettbewerb im Regelungssystem der Stromversorgungssicherheit

Im Grundsatz erfolgt die Vergütung von Kraftwerken in Deutschland dadurch, dass sie ihren produzierten Strom an Stromkunden verkaufen. Die Strompreisfindung folgt somit dem Prinzip von Angebot und Nachfrage, wodurch die eingespeiste Strommenge grundsätzlich mit der ausgespeisten Strommenge übereinstimmt.5 Dieses auch als Energy-Only-Markt bezeichnete System6 wird durch eine Reihe von Eingriffsinstrumenten der Elektrizitätsversorgungsnetzbetreiber ergänzt, damit die Stromversorgungssicherheit gewährleistet ist. Energieversorgungsnetzbetreiber sind gem. § 11 I 1 EnWG dazu verpflichtet, ein sicheres und zuverlässiges Energieversorgungsnetz zu betreiben. Hierfür stehen den Elektrizitätsversorgungsnetzbetreibern7 die in § 13 I EnWG genannten Maßnahmen zu, wenn die Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems gefährdet ist. Reichen netzbezogenen Maßnahmen nach § 13 I Nr. 1 EnWG, die nur den technischen Netzbetrieb umfassen8 nicht aus, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, können Elektrizitätsversorgungsnetzbetreiber nach § 13 I Nr. 2 EnWG auch marktbezogene Maßnahmen ergreifen. Marktbezogenen Maßnahmen lassen sich einerseits danach differenzieren, ob


* Der Autor ist Alumnus der Bucerius Law School, Hamburg.

1 2016 betrug der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch 32,3% (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Hrsg.), Die Energiewende: unsere Erfolgsgeschichte, Stand: Januar 2017, abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Energie/energiewende-beileger.pdf?__blob=public‌ationFile&v=29). Er soll bis 2025 auf 40-45 %, bis 2035 auf 55-60 % und bis 2050 auf mindestens 80% ansteigen (§ 1 II Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)).

2 Nur ca. 5-10 % der installierten Windenergieleistung und 0 % der installierten Sonnenenergieleistung steht während der Jahresspitzenlast zur Verfügung und gelten somit als gesicherte Leitung. Vgl. Bourwieg, in: Britz/Hellermann/Hermes (Hrsg.), Energiewirtschaftsgesetz3, 2015, § 53 Rn. 4b.

3 Der durchschnittliche Börsenstrompreis hat sich von 5,99 ct/kwh im Jahr 2012 nach vorläufigen Berechnungen auf 3,42 ct/kwh im Jahr 2016 reduziert, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Hrsg.), Vierter Monitoring-Bericht zur Energiewende, „Die Energie der Zukunft“, November 2015, S. 17, abrufbar unter: https://www‌.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/V/vierter-monitoring-bericht-energie-der-zukunft,property=pdf,bereich‌=bmwi2012,sprache=\ de,rwb=true.pdf.

4 Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln (Hrsg.), Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, März 2012, S. 46, abrufbar unter: http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/‌Publikationen/endbericht-untersuchungen-zu-einem-zukunftsfaehigen-strommarktdesign.pdf; Bourwieg, in: Britz/Hellermann/Hermes (Fn. 2), § 53 Rn. 4c.

5 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Ein Strommarkt für die Energiewende (Grünbuch), Diskussionspapier des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Oktober 2014, S. 10, abrufbar unter: https://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/G/gruenbuch-gesamt,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache‌=de,rwb=true.pdf.

6 Beckers/Hoffrichter, Zeitschrift für das gesamte Recht der Energiewirtschaft (EnWZ) 2014, 57, 58.

7 Nach § 14 I EnWG gilt § 13 I EnWG entsprechend für Betreiber von Elektrizitätsverteilernetzen.

8 Netzbezogene Maßnahmen sind solche, die keine Regulierung der Stromeinspeisung oder -ausspeisung beinhalten und damit nicht in die Rechte der Strommarktteilnehmer eingreifen. Deswegen haben sie Vorrang, vgl. auch Tüngler, in: Kment (Hrsg.), Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 13 Rn. 21.

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es sich um einen kapazitätsbezogenen oder nur um einen netzbezogenen Eingriff handelt. Bezüglich der Mittel ist zu differenzieren, ob der Markt mittels Erzeugungsmanagement (Steuerung der Stromeinspeisung) oder Lastmanagement (Steuerung der Stromausspeisung) beeinflusst wird.9

I. Netzbezogene Eingriffe

Um die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Elektrizitätsversorgungsnetze zu gewährleisten ist es nicht ausreichend, dass an der Strombörse die angebotene Leistung der Nachfrage entspricht, vielmehr müssen Elektrizitätsnetzbetreiber trotz der Gleichheit von Angebot und Nachfrage in das Stromnetz eingreifen, um seine Sicherheit und Zuverlässigkeit zu gewährleisten. Die im Folgenden dargestellten Maßnahmen sind also solche, die auch dann nötig werden, wenn die am Markt zur Verfügung stehenden Erzeugungskapazitäten ausreichen, um die nachgefragte Strommenge zu liefern.

1. Erzeugungsmanagement

Energieversorgungsnetzbetreiber10 haben nach § 22 I EnWG Ausgleichsleistung i.S.d. § 3 Nr. 1 EnWG nach einem transparenten, nichtdiskriminierenden und marktorientierten Verfahren zu beschaffen.11 Die Ausgleichsenergie ist einerseits nötig, weil es bei der Stromübertragung physikalisch bedingt zu Netzverlusten kommt, hierfür haben die Betreiber nach § 22 I 1 Alt. 1 EnWG i.V.m. § 10 I der Stromnetzzugangsverordnung (StromNZV) Verlustenergie i.S.d. § 2 Nr. 12 StromNZV zu beschaffen. Außerdem kann es aufgrund nicht exakt planbarer Einspeisung − besonders bei Wind- und Sonnenenergie − und nicht exakt planbarer Stromausspeisung (Last) zu einem Ungleichgewicht zwischen eingespeister Leistung und der Last kommen (Abweichung vom Fahrplan i.S.d. § 2 Nr. 1 StromNZV).12 Um diese Leistungsungleichgewichte auszugleichen also die Systembilanz wiederherzustellen, beschaffen Übertragungsnetzbetreiber nach § 22 I 1 Alt. 2 EnWG i.V.m. § 6 I StromNZV sowohl positive, als auch negative Regelenergie13 i.S.d. § 2 Nr. 9 StromNZV.

Die Bereitstellung der Regelenergie dient dazu, die Netzspannung stets aufrecht zu erhalten. Weitere Maßnahmen können erforderlich werden, wenn die Stromnetze überlastet sind. Diesen Überlastungen wird insbesondere durch den „Redispatch“ begegnet. Beim Redispatch wird auf Anweisung des Übertragungsnetzbetreibers die Wirkleistung einzelner Erzeugungsanlagen erhöht, während die Leistung anderer Erzeugungsanlagen reduziert wird um Engpässe im Netz zu beheben.14 Solche Maßnahmen werden z.B. notwendig, wenn der im windreichen Norddeutschland produzierte Strom aufgrund fehlender Übertragungsnetzkapazitäten im industriell geprägten Süden Deutschlands nicht abgenommen werden kann. Aufgrund (noch) nicht ausreichend vorhandener Übertragungsnetzkapazitäten15 sind diese zunehmend überlastet. Netzbetreiber sind nach § 11 I EEG grundsätzlich verpflichtet, den Strom aus erneuerbaren Energien abzunehmen, zu übertragen und zu verteilen. Entsteht bei voller Einspeiseleistung von Anlagen zur Herstellung von Strom aus erneuerbaren Energien ein Netzengpass, dürfen Netzbetreiber nach § 13 II, III 3 EnWG i.V.m. § 14 I Nr. 1 EEG die Einspeiseleistung reduzieren (negativer Redispatch). Zum Ausgleich müssen sie an anderer Stelle wieder Strom einspeisen, um einen Ausgleich zwischen eingespeister Leistung und Last sicherzustellen (positiver Redispatch). Hierfür steht den Übertragungsnetzbetreibern einerseits nach § 13a I EnWG das Recht zu, von Anlagenbetreibern den Abschluss von Redispatchvereinbarungen zu fordern (gesetzliches Schuldverhältnis).16 Dem gegenüber besteht zum Zweck der Gewährleistung der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems die Möglichkeit, insbesondere für die Bewirtschaftung von Netzengpässen und für die Spannungshaltung, nach § 13d I EnWG mittels eines transparenten Vergabeprozesses eine Netzreserve17 zu schaffen.

2. Lastmanagement

Sowohl zur Stützung der Systembilanz als auch für Redispatch-Maßnahmen18 kann statt der Anpassung der Energieeinspeisung (vgl. 0.) auch der Stromverbrauch angepasst werden. Auf der Seite der Ausspeisungsregulierung hat der Gesetzgeber mit § 13 VI EnWG – i.V.m. der darauf beruhenden Verordnung zu abschaltbaren Lasten (AbLaV) die Möglichkeit geschaffen, mittels eines Ausschreibungsverfahrens mit Großverbrauchern vertraglich zu vereinbaren, dass diese ihren Verbrauch auf Anforderung der Übertragungsnetzbetreiber entsprechend anpassen.19 Die abschaltbaren Lasten stehen somit hinsichtlich ihres Ziels in direkter Konkurrenz zur Regelenergie.20 Die AbLaV war zunächst bis zum 1. Januar 2016 befristet (§ 19 AbLaV a.F.) und sollte durch einen Bericht der Bundesnetzagentur evaluiert werden (§ 17 I AbLaV a.F.). Obwohl der Bericht empfiehlt, die Beschaffung abschaltbarer Lasten einzustellen und die Verordnung


9 Tüngler, in: Kment (Fn. 8), § 13 Rn. 23.

10 Dies beinhaltet sowohl die Betreiber von Elektrizitätsverteilernetzen, die für die örtlichen und regionalen Netze verantwortlich sind (§ 3 Nr. 3, 37 EnWG), als auch Übertragungsnetzbetreiber, die die Höchstspannungs- und Hochspannungsnetze betreiben (§ 3 Nr. 10, 32 EnWG).

11 Ein solches Verfahren wird schon durch Art. 15 VI der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. EU Nr. L 211 S. 55 vorgeschrieben.

12 Schex, in: Kment (Fn. 10), § 3 Rn. 3; Boesche, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Bd. 1, Halbbd. 1: [Einleitung, §§ 1 – 35 EnWG]3, 2014, § 3 Rn 1.

13 Positive Regelenergie: Erhöhung der Stromeinspeisung bzw. Verringerung des Stromverbrauchs. Negative Regelenergie: Drosselung der Stromeinspeisung oder Erhöhung des Stromverbrauchs, vgl. Sötebier, in: Britz/Hellermann/Hermes (Fn. 2), § 13 Rn. 87.

14 Tüngler, in: Kment (Fn. 8), § 13 Rn. 24.

15 Garbers, Recht der Energiewirtschaft (RdE) 2015, 221, 222.

16 Tüngler, in: Kment (Fn. 8), § 13 Rn. 28; Sötebier, in: Britz/Hellermann/Hermes (Fn. 2),§ 13 Rn. 36.

17 Zu den Aufgaben der Netzreserve vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Strommarktes, S. 65, BT-Drs. 18/7317.

18 Vgl. den auf § 17 I der Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten (AbLaV) beruhenden Bericht der Bundesnetzagentur vom 22.09.2015, BT-Drs. 18/6096, S. 28-38.

19 Der Gesetzgeber hat mit dem § 13 VI EnWG die Möglichkeit für den Erlass von Verordnungen sowohl hinsichtlich der Nutzung zuschaltbarer als auch abschaltbarer Lasten geschaffen. In der AbLaV hat der Verordnungsgeber zunächst nur von den abschaltbaren Lasten Gebrauch gemacht.

20 Vgl. dazu Begründung zur Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten vom 28. 11. 2012, S. 46, BT-Drs. 18/6096.

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auslaufen zu lassen21 wurde Ende 2015 das Außerkrafttreten der Verordnung auf den 1. Juli 2016 verschoben. Im Rahmen des Strommarktgesetzes wurde die AbLaV novelliert und ihr Außerkrafttreten auf den 1. Juli 2022 verschoben (§ 20 II 1 AbLaV).

II. Kapazitätsreserve

Kapazitätsreserven sind dann nötig, wenn trotz freier Preisbildung an der Strombörse kein ausreichendes Angebot existiert, um die nachgefragte Strommenge (Last) zu decken.22 Sie ist also anders als die Netzreserve ein Instrument, dass nur dann zum Einsatz kommen muss, wenn mehr Strom verbraucht wird als die betriebsbereiten Kraftwerke produzieren können.

Nach § 13e II EnWG erfolgt die Bildung der Kapazitätsreserve im Rahmen eines wettbewerblichen Ausschreibungsverfahrens oder eines diesem hinsichtlich Transparenz und Nichtdiskriminierung gleichwertigen wettbewerblichen Verfahrens. Kraftwerke, die Teil der Kapazitätsreserve nach § 13e EnWG dürfen gemäß § 13e IV 1 Nr. 1 EnWG nicht am Strommarkt eingesetzt werden und können diesen somit auch nicht beeinträchtigen.23 Dürften die Reservekraftwerke nämlich auch in Zeiten, in denen ausreichend Energie zur Verfügung steht, einspeisen, so würde der Börsenstrompreis weiter gedrückt werden. Dadurch würden mehr Kraftwerke unrentabel und müssten in der Kapazitätsreserve gebunden werden, damit die Leistung der Kraftwerke weiterhin zur Verfügung steht. Eine Kapazitätsreserve lässt sich folglich als eine Art Energiewendefolgenrecht bezeichnen, so wäre sie in Strommärkten mit hoher gesicherter Einspeiseleistung nicht nötig, da diese Kraftwerke dann an mehr Stunden im Jahr Strom am Markt absetzen könnten und somit eher rentabel wären. § 13h EnWG enthält eine umfangreiche Verordnungsermächtigung bezüglich der Festlegung technischer Standards für die Kapazitätsreserve und der Ausgestaltung des Beschaffungsverfahrens.24

Der 13g I EnWG sieht vor, insgesamt acht Braunkohlekraftwerksblöcke bis zum 1. Oktober 2019 schrittweise für jeweils vier Jahre in die Kapazitätsreserve zu überführen. Die Kraftwerke dürfen und müssen in den vier Jahren bis zu ihrer endgültigen Stilllegung nur auf Anforderung der Übertragungsnetzbetreiber Strom zur Vermeidung von Versorgungsengpässen einspeisen, § 13g II EnWG. § 13g EnWG hat neben seinem Hauptziel, die Kohlenstoffdioxidemissionen zu senken25 folglich eine ähnliche Funktion wie die Kraftwerksreserve nach § 13e EnWG. Der zentrale Unterschied zu § 13e EnWG besteht darin, dass die in § 13g EnWG genannten Kraftwerke nicht durch ein Ausschreibungsverfahren ermittelt wurden, sondern auf einer Verständigung mit den Kraftwerksbetreibern beruhen.26

C. Das Verhältnis zwischen GWB-und EnWG-Vergaberecht

Als Ergänzung des Strommarktes gibt es – auch als Folge der Liberalisierung desselben und der Energiewende − mittlerweile eine Reihe von wettbewerblichen Verfahren zur Beschaffung von Leistungen für die Sicherung der Stromversorgung.

Wenn Energieversorgungsnetzbetreiber sich nicht in staatlicher Hand befinden sind sie folglich keine öffentlichen Auftraggeber gem. § 99 GWB und somit nicht an das GWB-Vergaberecht gebunden. Energieversorgungsnetzbetreiber üben allerdings eine Sektorentätigkeit gem. § 102 II Nr. 1 GWB aus, sodass sie nach § 100 I Nr. 2 lit. b GWB Sektorenauftraggeber sein können27 und folglich im Rahmen der §§ 136 ff. GWB ebenfalls ans GWB-Vergaberecht gebunden sein können. Da der Betrieb eines Übertragungsnetzes in Deutschland nicht durch ein ausschließliches Recht gesichert ist,28 sind Energieversorgungsnetzbetreiber folglich keine Sektorenauftraggeber i.S.d. § 100 I Nr. 2 lit. a GWB. Dies führt dazu, dass einige Energieversorgungsnetzbetreiber nach § 100 I Nr. 2 lit. b GWB an das GWB-Vergaberecht gebunden sind, andere nicht, je nachdem, ob öffentliche Auftraggeber gemäß § 99 Nr. 1 bis 3 GWB auf diese Personen einen beherrschenden Einfluss ausüben können.29 Beschaffen Energieversorgungsnetzbetreiber (Sektorenauftraggeber i.S.d. § 100 I GWB) jedoch Energie, um für Netzstabilität zu sorgen (Sektorentätigkeit i.S.d. § 102 II Nr. 1 GWB) sind sie nach § 137 I Nr. 8 GWB nicht ans GWB-Vergaberecht gebunden.30 Im Ergebnis sind Energieversorgungsnetzbetreiber somit nicht an das GWB-Vergaberecht gebunden, wenn sie die Bereitstellung von Leistungen nach dem EnWG ausschreiben.


21 Dies wird insbesondere damit begründet, dass sich dasselbe Ziel zu geringeren Kosten mit Regelenergie erreichen ließe, vgl. BT-Drs. 18/6096 (Fn. 18), S. 37.

22 Sie soll also sog. Leistungsbilanzdefizite ausgleichen, vgl. BT-Drs. 18/7317 (Fn. 17), S. 3.

23 BT-Drs. 18/7317 (Fn. 17), S. 121.

24 Die auf § 13h EnWG beruhende Kapazitätsreserveverordnung (KapResV-E) wurde noch nicht erlassen. Der Entwurf befindet sich noch in der Abstimmung und kann unter http://www.bmwi.de/Reda‌ktion/DE/Downloads/J-L/kapazitaetsreserve-referentenentwurf.html;jsessionid=F364A6633A1D19DE1E2‌B4F2B041AF175 eingesehen werden.

25 Vgl. § 13g I EnWG.

26 Zur Einordnung dieser Vorschrift als Beihilfe i.S.d. Art. 107 AEUV und der Möglichkeit der Rechtfertigung dieser Beihilfe vgl. Frenz, RdE 2016, 1 ff.

27 Insofern öffentliche Auftraggeber gemäß § 99 Nr. 1–3 GWB einen herrschenden Einfluss auf den Energieversorgungsnetzbetreiber ausüben, sind diese somit Sektorenauftraggeber. Dies ist häufig bei Betreibern von Energieverteilernetzen der Fall, da diese sich häufig in kommunaler Trägerschaft befinden.

28 Vgl. Gabriel, in: Montag/Säcker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), Band 3, Beihilfen- und Vergaberecht, 2011, § 98 GWB Rn. 51 ff.; Marx, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, 87. Egl., Stand: Januar 2016, Abschnitt 162 Rn. 44; ausführlich: Ohrtmann, VergabeR 2007, 565 ff., jeweils für § 98 Nr. 4 GWB a.F., der weitestgehend dem § 100 I GWB entspricht.

29 Vgl. dazu auch Marx, in: Danner/Theobald (Fn. 28), Abschnitt 162 Rn. 44.

30 § 137 I Nr. 8 GWB dient ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/6281, S. 123) der Umsetzung von Art. 23 lit. b der Richtlinie 2014/25/EU Des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG, Abl. EU Nr. L 94, S. 243. Im Rahmen der Richtlinie wird die Befreiung von Energieversorgungsnetzbetreibern von der Ausschreibungspflicht nach dem GWB besonders deutlich durch den Verweis von Art. 23 lit. b auf Art. 9 I lit. a RL 2014/25/EU, der Netzbetreiber ausdrücklich nennt. Zu den Vorgängerregelungen so auch: Prieß, DB 1998, 405, 408; Börner, DB 1998, 610.

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Stattdessen wurde ein eigenes Regelungssystem zur Beschaffung von Energie durch Energieversorgungsnetzbetreiber geschaffen, welches überwiegend auf „Ausschreibungsverfahren oder hinsichtlich Transparenz und Nichtdiskriminierung gleichwertigen wettbewerblichen Verfahren beruht.“31 Die Ausschreibungsverfahren nach dem EnWG werden grundsätzlich von den Energieversorgungsnetzbetreibern – also häufig auch Privaten – durchgeführt.32 Das GWB-Vergaberecht andererseits richtet sich grundsätzlich an öffentliche Auftraggeber (§ 99 GWB). Private sind nur ausnahmsweise an dieses gebunden (vgl. insbesondere den sehr eng gefassten Begriff des Sektorenauftraggebers, § 100 I Nr.2 GWB und die zahlreichen Ausnahmen in §§ 137‑140 GWB). Die nach dem EnWG vorausgesetzten Ausschreibungsverfahren lassen sich folglich als Vergaberecht für Private qualifizieren.

I. Anreize zu effizientem Verhalten

Das Telos hinter dem EnWG-Ausschreibungsrecht lässt sich ähnlich begründen wie das für Sektorenauftraggeber nach § 100 Nr. 2 lit. a GWB: Anders als Privaten fehlt der öffentlichen Hand typischerweise mangels Wettbewerbsdrucks ein hinreichender ökonomischer Anreiz zu effizientem Beschaffungsverhalten.33 Hauptziel des Vergaberechts ist es, dies mittels eines Vergabeverfahrens zu kompensieren. Auf Private trifft dies grundsätzlich nicht zu, da sie bei unwirtschaftlichem Verhalten i.d.R. vom Markt verschwinden, was aber in Ausnahmefällen auch anders sein kann.34 Wenn Sektorenauftraggeber ein öffentliches Versorgungsmonopol haben können sie erhöhte Kosten fast vollständig an ihre Kunden weitergeben, weswegen sie − selbst wenn sie sich in privater Hand befinden − nach §§ 100 I Nr. 2 lit. a, 102 GWB ans Vergaberecht gebunden sein können. Selbst wenn es sich um eine Branche handelt, in der die Anbieter bei der Berechnung der Entgelte für den Zugang zu ihrer Infrastruktur an gesetzliche Bestimmungen gebunden sind (regulierte Branchen) kann es sein, dass dies noch keinen ausreichenden Anreiz bietet, sich ökonomisch zu verhalten.35

Obwohl Energieversorger kein öffentliches Versorgungsmonopol i.S.d. § 100 Nr. 2 lit. a GWB zusteht, sind sie als Netzmonopolisten – insbesondere auf der Verteilernetzebene – ebenso keinem wirksamen Wettbewerb ausgesetzt. Um überhöhte Preise zu verhindern erfolgt eine Regulierung der Entgelte für den Netzzugang nach den § 21 EnWG. Es kann sein, dass dies aber noch keinen hinreichenden Anreiz dazu bietet, diese Leistung auch möglichst kosteneffizient zu erbringen.36 Daher kann die Entgeltberechnung − anders als im Eisenbahnrecht − mittels eines Verfahrens erfolgen, das nicht nur die tatsächlichen Kosten in Ansatz bringt. Dieses Verfahren beruht auf § 21a EnWG i.V.m. der aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Rechtsverordnung, der Anreizregulierungsverordnung (ARegV). Dabei werden nach § 21a EnWG zwei Arten von Kosten unterscheiden: nicht beeinflussbare Kosten können von den Netzbetreibern in Höhe der tatsächlichen Kosten gelten gemacht, während die beeinflussbaren Kosten der Anreizregulierung37 unterliegen können, sodass der Netzbetreiber durch Effizienzsteigerungen bei den beeinflussbaren Kosten seine Rendite erhöhen kann. Es besteht somit das Interesse, ökonomisch zu handeln. Bzgl. Systemdienstleistungen wie Verlust-, Regel- und Redispatchleistung stellt sich für die Anreizregulierung folglich die Frage, ob diese als beeinflussbare oder als nicht beeinflussbare Kostenanteile einzustufen sind. Was beeinflussbare und nicht beeinflussbare Kostenanteile sind, regelt § 11 ARegV. Während § 11 II 1 ARegV bestimmte Kosten als dauerhaft nicht beeinflussbar einstuft, werden nach § 11 III ARegV wiederum andere Kosten als vorübergehend nicht beeinflussbar eingestuft und nach § 11 IV ARegV der Rest der Kosten als beeinflussbar. Kosten für die Beschaffung der Energie zur Erbringung von Ausgleichsleistungen (§ 3 Nr. 1 EnWG)38 fallen unter den § 11 II 2 Nr. 3 ARegV. Dieser schreibt eine wirksame Verfahrensregulierung i.S.d. § 11 II 4 ARegV vor, damit Kosten als nicht beeinflussbar gelten und somit nicht der Anreizregulierung unterliegen.


31 Vgl. die Formulierungen in §§ 13 IVa, 13b I Nr. 2, 22 I, II EnWG, Art. 8 I 1, 14 VI Richtlinie 2009/72/EG (Fn. 11).

32 Meistens trifft diese Pflicht die Übertragungsnetzbetreiber, vgl. § 13 IVa EnWG, § 13d I EnWG i.V.m. § 5 I NetzResV, § 22 II EnWG i.V.m. § 6 I StromNZV. Anders: Verlustenergie, diese ist nach § 22 I EnWG i.V.m. § 10 StromNZV sowohl durch die Übertragungsnetzbetreiber als auch durch die Betreiber von Elektrizitätsverteilernetzen für die jeweils eigene Regelzone zu beschaffen.

33 Fehling, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht2, 2015, § 97 GWB Rn. 1.

34 Vgl. auch Marx, in: Danner/Theobald (Fn. 28), Abschnitt 162 Rn. 15; Fehling, in: Pünder/Schellenberg (Fn. 33), § 97 GWB Rn. 1.

35 Vgl. insb. § 14 IV Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG). Betreiber von Schienennetzen sind dazu verpflichtet, anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen Zugang zu diesen zu gewähren. Bei der Berechnung des hierfür zu zahlenden Entgelts nach § 14 IV AEG können sie alle entstandenen Kosten in Rechnung stellen (Vollkostenansatz). Aufgrund unwirtschaftlicher Auftragsvergabe im Zusammenhang mit der Unterhaltung des Netzes entstandene Kosten treffen somit gleichermaßen die Mittbewerber. Folglich entsteht kein Wettbewerbsvorteil durch effiziente Auftragsvergabe, sodass der Anreiz hierfür eher gering ist.

36 So auch Herrmann, in: Kment (Fn. 8), § 21a Rn. 2.

37 Die Anreizregulierung erfolgt dadurch, dass nach § 21a II EnWG Obergrenzen für die Netzentgelte (Price-Cap) für einen bestimmten Zeitraum (Regulierungsperiode) festgesetzt werden. Kann der Netzbetreiber die Netze tatsächlich günstiger betreiben, so bleiben ihm die dadurch erzielten Zusatzgewinne. Da der Netzbetreiber keinen Einfluss auf die nicht beeinflussbaren Kostenanteile hat, unterliegen diese – anders als die beeinflussbaren Kostenanteile – nicht diesem System.

38 Vgl. Begründung zur Verordnung zum Erlass und zur Änderung von Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Energieregulierung vom 15.06.2017, BR-Drs. 417/07, S. 52; Lismann, N&R 2012, 202, 203.

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Eine solche wirksame Verfahrensregulierung ist gegeben, wenn durch das Verfahren die Kosten derart detailliert reguliert werden, dass sie nicht beeinflussbaren Kosten nahezu gleich kommen.39 Der Grund hierfür liegt im Folgenden: Die Kosten für die Beschaffung der Energie zur Erbringung von Ausgleichsleistungen sind grundsätzlich nur im geringen Umfang beeinflussbar, da sie vor allem durch den Börsenstrompreis bestimmt werden.40 Es bedarf jedoch eines Verfahrens um sicherzustellen, dass die Netzbetreiber sie möglichst kostenoptimiert beschaffen. Dies kann nach § 11 II 4 ARegV durch freiwillige Selbstverpflichtungen der Netzbetreiber geschehen mit der Folge, dass diese Kosten dann als nicht beeinflussbare Kosten eingestuft werden und nicht der Anreizregulierung unterliegen.41

Der Verordnungsgeber hat mit dieser Regelung folglich anerkannt, dass ein entsprechend ausgestaltetes Beschaffungsverfahren den Effekt haben kann, dass der Ausschreibende seinen Einfluss auf die Beschaffungskosten verliert. Dies zeigt, dass die Anreizregulierung und die Verpflichtung, Ausschreibungen durchzuführen, durchaus miteinander konkurrieren können. Die Anreizregulierung stößt dort an ihre Grenzen, wo Kosten nur zu einem (geringen) Teil beeinflussbar sind und trotzdem sichergestellt werden soll, dass sich die Netzbetreiber möglichst effizient verhalten. Dieses Dilemma kann durch verpflichtend durchzuführende Ausschreibungsverfahren kompensiert werden.

II. Vermeidung der Bevorzugung eigener Kraftwerke

Der deutsche Strommarkt war lange durch Unternehmen geprägt, die sowohl ein Energieversorgungsnetz als auch Kraftwerke betrieben haben (vertikal integrierte Elektrizitätsunternehmen)42 . Diese haben dann auch mit ihren eigenen Kraftwerken Systemdienstleistungen wie Verlust- und Regelenergie erbracht. Heute wird insbesondere durch EU-Rechtsakte43 versucht, den Strommarkt zu liberalisieren und für den EU-Binnenmarkt zu öffnen, insbesondere soll die Stromerzeugung vom Netzbetrieb getrennt werden.44 Da die Trennung sowohl auf Verteilernetzebene als auch auf Übertragungsnetzebene45 (noch) nicht vollständig vollzogen ist, besteht die Gefahr, dass Übertragungsnetzbetreiber eigene Kraftwerke bei Aufträgen zur Erbringung von Systemdienstleistungen bevorzugen.46 Es ist somit nicht verwunderlich, dass nach dem EnWG nahezu alle Systemdienstleistungen ausgeschrieben werden müssen (s.o.).

Bei manchen Systemdienstleistungen ist es wichtig, dass sie von einem bestimmten Standort im Netz erbracht werden,47 andere können aber auch von weiter entfernten Standorten erbracht werden. Da die eigene Regelzone48 von Übertragungsnetzbetreibern, die zu einem vertikal integrierten Elektrizitätsunternehmen gehören, meist auch das Gebiet umfasst, in dem sie viele eigene Kraftwerke betreiben, liegt der Versuch nahe, überwiegend in der eigenen Regelzone auszuschreiben, um so eigene Kraftwerke zu bevorzugen. In diesem Zusammenhang ist der § 6 I, II StromNZV hervorzuheben, der die Beschaffung von Regelenergie nach § 22 II EnWG präzisiert. Danach ist Regelenergie grundsätzlich regelzonenübergreifend auszuschreiben (§ 6 I StromNZV). In der eigenen Regelzone darf nur der nach § 6 II StromNZV technisch notwendige Anteil ausgeschrieben werden.

Bei der Beschaffung von Netzreserveleistungen nach § 13d I EnWG liegt es nahe, dass Übertragungsnetzbetreibern, die zu einem vertikal integrierten Elektrizitätsunternehmen gehören, mehr Reservekapazitäten auszuschreiben, als tatsächlich benötigt werden. Dem wird dadurch begegnet, dass der Bedarf an Netzreservekapazitäten gem. § 3 I NetzResV durch die Bundesnetzagentur festgelegt wird. Die Übertragungsnetzbetreiber beschaffen die Reservekapazitäten im Umfang des von der Bundesnetzagentur festgellten Bedarfs (§ 4 NetzResV).

Das GWB-Vergaberecht sieht in § 138 I GWB die Möglichkeit sog. Inhouse-Vergaben vor. Danach ist das GWB-Vergaberecht nicht anzuwenden, wenn ein Auftraggeber Aufträge an ein verbundenes Unternehmen i.S.d. § 138 II GWB vergibt, sofern dieses überwiegend für den Auftraggeber tätig ist. Hieran zeigt sich, dass das GWB-Vergaberechts nicht das Ziel hat, vertikal integrierte Unternehmen dazu zu bewegen, ihre unterschiedlichen Geschäftsfelder zu trennen, während das EnWG etliche Vorschriften enthält, um genau dieses zu erreichen (s.o.). Außerdem schreibt das GWB-Vergaberecht Sektorenauftraggebern den Ausschreibungsgegenstand und die Ausschreibungsmenge nicht vor, während Übertragungsnetzbetreiber im Rahmen der Beschaffung von Reservekapazitäten im Wesentlichen Vorgaben der Bundesnetzagentur umsetzen und ihnen Ausschreibungsgegenstand und Ausschreibungsmenge somit vorgeschrieben werden.

III. Verfahren zur Beschaffung von Reservekapazitäten

Voraussetzung für die Beschaffung von Reservekapazitäten ist, dass ein entsprechender Bedarf durch die Bundesnetzagentur bestätigt wurde (§ 3 I 2 NetzResV). Hierin unterscheidet sich das EnWG-Vergaberecht von dem GWB-Vergaberecht. Das GWB-Vergaberecht regelt nur das „Wie“ der Beschaffung, während das EnWG sowohl das „Wie“ als auch das „Ob“ der Beschaffung regelt. Die Notwendigkeit hierzu folgt schon daraus, dass Übertragungsnetzbetreiber teilweise zu einem vertikal integrierten Elektrizitätsunternehmen gehören (s.o.). Es besteht folglich die Gefahr, dass Übertragungsnetzbetreiber mehr Leistung beschaffen als tatsächlich notwendig ist. Da sich die Anlagen von vertikal integrierten Elektrizitätsunternehmen häufig in dem Gebiet befinden, dass dessen Regelzone entspricht (s.o.), erhöht sich somit das Interesse, mehr Netzreservekapazitäten zu beschaffen, als tatsächlich notwendig sind.

Dem wird folgendermaßen begegnet: Nach § 5 I 1 NetzResV sind die Verträge in Abstimmung mit der Bundesnetzagentur abzuschließen. Die staatliche Kontrolle des Vergabeverfahrens erstreckt sich bei der Beschaffung von Reservekapazitäten dementsprechend auf eine Beteiligung im Vergabeverfahren. Das Sektorenvergaberecht hingegen beschränkt sich auf eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle.


39 Vgl. BR-Drs. 417/07 (Fn. 38), S. 53; Lismann, N&R 2012, 202, 203.

40 So auch Tätigkeitsbericht 2008/2009 der Bundesnetzagentur vom 19.04.2012, BT-Drs. 17/9400, S. 40 f.

41 Eine solche Vereinbarung gibt es mit den Übertragungsnetzbetreibern, BT-Drs. 17/9400 (Fn. 40), S. 40 f. Für die behördliche Praxis bzgl. dieser Vereinbarungen s. Hummel, in: Danner/Theobald (Fn. 28), ARegV § 11 Rn. 105 ff.

42 Zum Begriff des vertikal integriertes Elektrizitätsunternehmen: Art. 2 Nr. 18 der Richtlinie 96/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 19. Dezember 1996 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt, Abl. Nr. L 27, S. 20.

43 Siehe schon Richtlinie 96/92/EG (Fn. 42).

44 Siehe schon § 7 IV 1 EnWG 1998, der auf Art. 7 VI Richtlinie 96/92/EG (Fn. 42) beruht, und vertikal integrierte Elektrizitätsunternehmen dazu verpflichtet, Stromerzeugung und Netzbetrieb getrennt voneinander zu verwalten.

45 Der Übertragungsnetzbetreiber Transnet BW etwa ist eine 100 %-Tochter des vertikal integrierten Elektrizitätsunternehmens EnBW.

46 So auch Mielke, in: Kment (Fn. 8), § 22 Rn. 17 für die Ausschreibungspflicht nach § 22 I 1 EnWG.

47 Z.B. Redispatchleistung muss insbesondere in Süddeutschland vorgehalten werden, da sie überwiegend dazu eingesetzt wird Lastströme von Nord- nach Süddeutschland entgegenzutreten (s. 0.). Regelenergie muss ebenfalls zu einem gewissen Umfang von lokalen Kraftwerken erbracht werden, vgl. Lüdtke-Handjery, in: Danner/Theobald (Fn. 28), StromNZV § 6 Rn. 2.

48 Zum Begriff der Regelzone: § 3 Nr. 30 EnWG.

Seeba, Erzeugungskapazitäten16

Bei der Beschaffung von Reservekapazitäten aus bestehenden Anlagen ist die Gruppe der in Frage kommenden Kraftwerke der Natur der Sache nach beschränkt, sodass die in Frage kommenden Anlagen nicht zwangsweise gleich geeignet sein müssen. Es müssen zwar bestimmte Mindestvoraussetzungen erfüllt sein, damit ein Kraftwerk als Reservekraftwerk geeignet ist. Unter den potenziell geeigneten Kraftwerken kann es aber Unterschiede hinsichtlich der Güte der erbrachten Leistung geben. Dementsprechend muss das preisgünstigste Angebot auch nur bei gleicher technischer Eignung gewählt werden (§ 4 II 2 NetzResV). Insofern ähnelt die Beschaffung der Reservekapazitäten aus bestehenden Anlagen dem Verhandlungsverfahren nach §§ 119 V GWB, § 17 SektVO, da in dem Verfahren nicht nur über den Preis, sondern auch über den genauen Auftragsinhalt und die Auftragsbedingungen verhandelt wird.

D. Fazit

Die Ausschreibungsverfahren im EnWG sind zumindest auch Folgerecht der Liberalisierung des Strommarktes und unterscheiden sich dadurch vom GWB-Vergaberecht. Als Teil des EnWG-Regulierungsrechts ist es der intensiven Mitwirkung der Bundesnetzagentur unterworfen. Da eine vollständige eigentumsrechtliche Trennung zwischen Stromerzeugung- und -übertragung (noch) nicht gelungen ist, dient der Ausschreibungswettbewerb auch dazu, die fehlende eigentumsrechtliche Trennung zumindest teilweise zu kompensieren. Durch die Einführung der Kapazitätsreserve und den steigenden Bedarf an erzeugungs- und lastorientierten Eingriffen in den Strommarkt – auch aufgrund der Energiewende – wird die Bedeutung des Ausschreibungswettbewerbs zur Beschaffung von Reservekapazitäten tendenziell zunehmen.