Kollektivvertragsoffene Allgemeine Arbeitsbedingungen – zum Verhältnis von Arbeitsvertrag und Betriebsvereinbarung

von Severin Pretzel*

A. Einleitung

Die Problematik von kollektivvertragsoffenen Allgemeinen Arbeitsbedingungen spiegelt den im Arbeitsrecht allgegenwärtigen Konflikt zwischen Kollektiv- und Individualinteressen exemplarisch wieder. Allgemeine Arbeitsbedingungen eröffnen den Interessenkonflikt zwischen dem von Rationalitätsmotiven getriebenen Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer, der eine einzelfallgerechte vertragliche Lösung anstrebt. Sollen diese vertraglichen Regelungen durch eine Betriebsvereinbarung geändert werden, tritt eine dritte Partei hinzu, der Betriebsrat. Hierdurch wird der Konflikt um eine dritte Ebene, die Kollision von kollektivem Arbeitnehmerwillen und Individualinteresse des einzelnen Arbeitnehmers, erweitert. Rechtsprechung und Literatur versuchen schon seit Jahrzehnten, in diesem „verminten“ Gelände interessengerechte Lösungen zu finden. Der Weg zu einem angemessenen Regelungsmechanismus hat erst kürzlich durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 5.3.2013 eine überraschende Wendung genommen, die in der Literatur sehr unterschiedlich aufgenommen wurde. In dieser Arbeit wird zunächst die bisherige Entwicklung der Rechtsprechung zur Betriebsvereinbarungsoffenheit von Allgemeinen Arbeitsbedingungen dargestellt (B.I.). Im Anschluss wird dargelegt, wieso das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil anerkannte rechtliche Grundsätze vernachlässigt und hierdurch eine Regelung geschaffen hat, die in dieser Form nicht haltbar ist (B.III.3).

B. Betriebsvereinbarungsoffenheit Allgemeiner Arbeitsbedingungen

I. Allgemeine Arbeitsbedingungen

Allgemeine Arbeitsbedingungen sind, verkürzt formuliert, Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) im Arbeitsrecht.1 Sie sind vorformulierte Einheitsregelungen, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bei Vertragsschluss vorlegt und die so entweder direkt oder über Bezugnahmeklauseln Bestandteil des Arbeitsvertrags werden.2 Der Oberbegriff der Allgemeinen Arbeitsbedingungen umfasst auch betriebliche Übungen sowie Gesamtzusagen.3 Da sie einseitig gestellt werden, beinhalten Allgemeine Arbeitsbedingungen regelmäßig das Risiko, den Arbeitnehmer zu übervorteilen, weshalb sie der Kontrolle nach den allgemeinen AGB-Vorschriften unterliegen.

II. Entwicklung der Rechtsprechung zur Betriebsvereinbarungsoffenheit

Der kollektive Charakter der in der Regel mehrfach eingesetzten Allgemeinen Arbeitsbedingungen führt zur Problematik der Betriebsvereinbarungsoffenheit derselben. Im Verhältnis zwischen individuellen Arbeitsverträgen und Kollektivvereinbarungen gilt das sogenannte Günstigkeitsprinzip. Dieses besagt, dass individualvertragliche Vereinbarungen Vorrang gegenüber Betriebsvereinbarungen haben, wenn sie günstiger für den Arbeitnehmer sind. Es bedarf daher einer wie auch immer vereinbarten Betriebsvereinbarungsoffenheit um das Günstigkeitsprinzip zu umgehen. Diese kann auf zweierlei Arten herbeigeführt werden.4 Zum einen besteht die Möglichkeit der Vereinbarung von Öffnungsklauseln, die eine Abänderung durch Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulassen, wobei auch diese Klauseln der AGB-Kontrolle unterliegen. Zum anderen hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit in verschiedenen Fallgruppen eine konkludente Betriebsvereinbarungsoffenheit Allgemeiner Arbeitsbedingungen angenommen.

Ursprünglich wurde eine regelmäßige konkludente Betriebsvereinbarungsoffenheit unter Berufung auf das Ordnungsprinzip Nipperdeys5 angenommen,6 welches besagt, dass Allgemeine Arbeitsbedingungen durch nachfolgende Kollektivvereinbarungen abgelöst werden können, die den gleichen Geltungsbereich betreffen.7 Das BAG verwies hierbei auf die Interessenlage der Parteien, die wüssten, dass es sich um eine Regelung kollektiven Ursprungs handele.8

Nachdem in der Folge regelmäßig in Einzelfällen eine konkludente Betriebsvereinbarungsoffenheit angenommen worden war,9 lehnte das BAG 2009 die konkludente


* Der Autor ist Student an der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Preis, NZA 2010, 361, 362.

2 Preis, in: Preis (Hrsg.), Der Arbeitsvertrag4, 2011, Teil I B. II. 1. Rn. 3; von Hoyningen-Huene, in:Münchener Kommentar HGB1, 2010,Bd. 2, vor § 59 Rn. 30; Ebeling Diss. 2006, S. 16.

3 Von Hoyningen-Huene, in:MüKoHGB, Bd. 2 (Fn. 2), vor § 59 Rn. 30; Franzen, NZA-Beil. 2006, 107, 114; Picker, in: Bieder / Hartmann (Hrsg.), Individuelle Freiheit und kollektive Interessenwahrnehmung im deutschen und europäischen Arbeitsrecht, 2012, 112.

4 Kania, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht14, 2014, § 77 BetrVG Rn. 68.

5 Nipperdey, in: FS Lehmann, 1937, S. 257 ff.

6 BAG AP Nr. 87 zu § 242 BGB Ruhegehalt (LS); BB 1963, S. 272 ff.; BAG AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt (1970).

7 Vgl. Nipperdey (Fn. 5), S. 257 ff.

8 Nipperdey (Fn. 5), S. 257 ff.

9 BAG AP Nr. 4 zu § 77 BetrVG 1972; BAG, NZA 1988, 509 ff.; Ähnlich entschieden: BAG, NZA 2004, 271 ff.; BAG, NZA 2003, 986, 990.

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Betriebsvereinbarungsoffenheit Allgemeiner Arbeitsbedingungen generell ab.10 Damit wurde auch Versuchen eine Absage erteilt, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung einen konkludenten Änderungsvorbehalt anzunehmen.11

Soweit also die bisherige Entwicklung der Rechtsprechung zu betriebsvereinbarungsoffenen Allgemeinen Arbeitsbedingungen. Eine einschneidende Veränderung der rechtlichen Situation hat sich durch das Urteil des BAG vom 5.3.201312 ergeben, das im Folgenden untersucht wird.


10 BAG, NZA 2009, 1105 ff.

11 Richardi, NZA 1987, 184, 189; zustimmend Meinel/Kiehn, NZA 2014, 509, 514.

12 BAG NZA 2013, S. 916 ff.

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III. Das Urteil des BAG vom 5.3.2013

1. Sachverhalt und Entscheidung

a) Sachverhalt

Der Kläger war 1942 geboren und seit 1980 bei der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war laut der 1980 von beiden Parteien unterzeichneten „Einstellmeldung“ unbefristet geschlossen. Bei der Beklagten bestand seit 1976 eine als „Versorgungsordnung“ bezeichnete Gesamtbetriebsvereinbarung, die vorsah, dass eine Altersrente gezahlt würde, wenn ein Mitarbeiter nach Vollendung des 65. Lebensjahres aus der Firma ausscheide. 1992 wurde die Versorgungsordnung dahingehend neu gefasst, dass das Arbeitsverhältnis mit Mitarbeitern, die das 65. Lebensjahr vollendet hätten, ende, ohne dass es dazu einer Kündigung bedürfe. Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete durch Erreichen dieser Altersgrenze am 31.8.2007. Mit seiner Klage wandte er sich gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses.13

b) Entscheidung

Wie die beiden Vorinstanzen wies auch das BAG die Klage ab. Die Regelung einer Altersgrenze in Betriebsvereinbarungen sei nicht diskriminierend. Gesamtbetriebsrat und Arbeitgeber hätten die Befugnis, eine Altersgrenze für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einer freiwilligen Gesamtbetriebsvereinbarung zu regeln. Dabei seien die Grundsätze von Recht und Billigkeit (§ 75 BetrVG) zu beachten. Diese seien gewahrt, wenn die Altersgrenze dem Zeitpunkt entspreche, zu dem Arbeitnehmer auch die Regelsaltersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen könnten. Die Vereinbarung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses im Arbeitsvertrag verdränge auch nicht die Altersgrenzenregelung in der Gesamtbetriebsvereinbarung.14

c) Obiter dictum: Grundsätzlich konkludente Betriebsvereinbarungsoffenheit

In einem „obiter dictum15 “ urteilte das BAG, die Betriebsvereinbarung wäre auch deswegen wirksam, da die „Einstellmeldung“ eine Allgemeine Geschäftsbedingung gewesen sei. Allgemeine Geschäftsbedingungen in Arbeitsverträgen seien regelmäßig konkludent betriebsvereinbarungsoffen, solange sie einen kollektiven Bezug aufwiesen. Der Gestaltungsspielraum des Arbeitgebers solle nur eingeschränkt werden, wenn die Arbeitsvertragsparteien ausdrücklich vereinbarten, dass die arbeitsvertraglichen Regelungen nicht durch Betriebsvereinbarungen abgeändert werden können. Allgemeine Arbeitsbedingungen seien grundsätzlich auf eine Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen gerichtet. Daher könne es aus Sicht eines verständigen und redlichen Arbeitnehmers nicht zweifelhaft sein, dass die vom Arbeitgeber gestellten Allgemeinen Arbeitsbedingungen regelmäßig durch Betriebsvereinbarung geändert werden könnten.16

2. Kollektiver Bezug als Voraussetzung der regelmäßigen konkludenten Betriebsvereinbarungsoffenheit von Allgemeinen Arbeitsbedingungen

Das BAG betont in seiner Entscheidung, dass Allgemeine Arbeitsbedingungen konkludent betriebsvereinbarungsoffen seien, wenn sie einen kollektiven Bezug aufwiesen.17 Wann aber haben Allgemeine Arbeitsbedingungen einen kollektiven Bezug? Ist diese Bedingung wirklich eine „Schwelle“ auf dem Weg zur Betriebsvereinbarungsoffenheit oder lediglich eine Scheinvoraussetzung? Die bisher gängige Definition des kollektiven Bezugs stammt vom Großen Senat des BAG. Dieser hatte im Rahmen seines Beschlusses zu ablösenden Betriebsvereinbarungen erklärt, dass ein kollektiver Bezug gegeben sei, wenn die kollektive Ausgestaltung der Einheitsarbeitsbedingungen erkennbar sei.18 Fraglich ist, ob das BAG auch in seiner Entscheidung vom 5.3.2013 von diesem Begriff ausgegangen ist. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass eine solche kollektive Ausgestaltung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen im Sachverhalt vorgelegen hätte, ist im Urteil nicht zu finden. Nach der Definition des Großen Senats läge daher vermutlich kein kollektiver Bezug vor. Das könnte darauf hinweisen, dass der BAG dem Großen Senat nicht folgen wollte.19 Andererseits fehlt auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Definition des Großen Senats, aus der eine gegenteilige Auffassung abgeleitet werden könnte. Daraus lässt sich wiederum schlussfolgern, dass das BAG dem Großen Senat einfach kommentarlos folgt.20 Da dem Urteil hierzu wenig Stichhaltiges zu entnehmen ist, begibt man sich hier in den spekulativen Bereich.

Die Lösungsansätze in der Literatur sind entsprechend vage. Soll ein kollektiver Bezug dann angenommen werden, wenn die konkrete Regelung den Zweck hatte, der Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu dienen?21 Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet es, einzelne Arbeitnehmer willkürlich schlechter zu stellen als andere Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Lage.22 Allgemeine Arbeitsbedingungen haben grundsätzlich den Anspruch, die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer einheitlich zu gestalten und die Arbeitnehmer damit gleich zu behandeln.23 Nach dieser Interpretation wäre die Voraussetzung des kollektiven Bezuges kein wirkliches Hindernis auf dem Wege zur Abänderung von Allgemeinen Arbeitsbedingungen. Noch anspruchsloser ist es, einen kollektiven Bezug anzunehmen, wenn eine Regelung für eine Mehrzahl von Arbeitnehmern gilt.24 Wenn man dieser Ansicht folgt, ist der Zusatz des kollektiven Bezugs im Grunde irrelevant. Letztlich gilt so gut wie jede Allgemeine Arbeitsbedingung, ob in Form eines Formulararbeitsvertrages, einer Gesamtzusage oder einer betrieblichen übung, für eine Mehrheit von Arbeitnehmern. Damit wäre tatsächlich jede Allgemeine Arbeitsbedingung kollektivvertragsoffen.


13 Zsfg. in Anlehnung an Hromadka, NZA 2013, S. 1061; Bauer, Arbeitsrecht Aktuell 2013, 155.

14 Zsfg. in Anlehnung an Bauer, ArbRAktuell 2013, 155.

15 Waltermann, SAE 2013, 94, 100; Preis/Ulber, NZA 2014, 6.

16 Vgl. Polloczek, Anm. zu BAG AP Nr. 105 zu § 77 BetrVG 1972.

17 BAG, NZA 2013, 916, 921.

18 BAG, NZA 1987, 168, 171; von der Rechtsprechung übernommen etwa in BAG, NZA 1988, 509, 511.

19 So Hromadka, NZA 2013, 1061, 1063.

20 So Preis/Ulber, NZA 2014, 6, 9.

21 Preis/Ulber, NZA 2014, 6, 9.

22 Schrader/Schubert, in: Däubler/Bertzbach, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz3, 2013, § 2 Rn. 145.

23 Schrader/Schubert, in: Däubler/Bertzbach(Fn. 22), § 2 Rn. 145.

24 Hromadka, NZA 2013, 1061, 1063.

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Es gibt keine Situation, in der ein kollektiver Bezug nicht vorliegt. Der Große Senat hat in seiner Entscheidung arbeitsvertragliche Einheitsregelungen, Gesamtzusagen und betriebliche übungen als vertragliche Regelung mit kollektivem Bezug bezeichnet.25 In diesem Urteil ging es jedoch um den kollektiven Günstigkeitsvergleich. Einen wirklichen Aussagegehalt in Bezug auf die konkludente Betriebsvereinbarungsoffenheit hat diese Entscheidung nicht. Bei der Voraussetzung des kollektiven Bezugs handelt es sich in Wirklichkeit um eine Scheinvoraussetzung. Sie wird die Rechtsprechungspraxis nicht davon abhalten, Allgemeine Arbeitsbedingungen als grundsätzlich für betriebsvereinbarungsoffen zu deuten.

3. Kritik

a) Intransparent und gegen die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB

Für Allgemeine Arbeitsbedingungen gilt die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB.26 Danach hat die Partei, die sich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen bedient, das Risiko unklarer und unvollständiger Bestimmungen zu tragen.27 Das hieße konkret, dass, falls die Voraussetzungen des § 305c Abs. 2 BGB nicht vorliegen und die Betriebsvereinbarung für den Arbeitnehmer nachteilig ist, von der Unwirksamkeit auszugehen ist.28 Auch bei konkludenten Vorbehalten müssen hinreichende Anhaltspunkte für die Betriebsvereinbarungsoffenheit vorliegen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Betriebsvereinbarungsoffenheit aus bloßen Zweckmäßigkeitsgründen fingiert wird.29 Laut BAG sind Allgemeine Arbeitsbedingungen regelmäßig betriebsvereinbarungsoffen. An konkreten Anhaltspunkten im Text der Allgemeinen Arbeitsbedingungen wird die Betriebsvereinbarungsoffenheit dabei nicht festgemacht. In seinem Urteil vom 5.3.2013 führt das BAG dazu lediglich knapp aus, dass die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB dem vom Gericht vertretenen Ergebnis nicht entgegenstehe. Diese Regelung greife erst, wenn „erhebliche Zweifel“ an der richtigen Auslegung bestünden.30 Der Auslegungsmaßstab für Allgemeine Geschäftsbedingungen, die an eine Vielzahl von Personen gerichtet sind, richtet sich nach „den Verständnismöglichkeiten eines rechtlich nicht vorgebildeten durchschnittlichen Vertragspartners, (…) wie sie [die AGB, d. Verf.] (…) unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden (…). Ansatzpunkt für die insoweit gebotene objektive, nicht am Willen der konkreten Vertragspartner zu orientierende Auslegung ist in erster Linie der gewählte Wortlaut“.31 Der Wortlaut der Allgemeinen Arbeitsbedingungen im vorliegenden Fall enthielt jedoch keine Klauseln, die auf eine Betriebsvereinbarungsoffenheit schließen lassen würden. Wie soll ein rechtlich nicht vorgebildeter durchschnittlicher Arbeitnehmer daraus die konkludente Betriebsvereinbarungsoffenheit erkennen? Wie kann es sein, dass keine erheblichen Zweifel bei einer Auslegung bestehen sollen, die jeglicher Grundlage im Wortlaut entbehrt?

Das BAG entzieht sich in seiner Entscheidung einer Auseinandersetzung mit diesem Problem. Es unterstellt lapidar, dass es für einen verständigen und redlichen Arbeitnehmer nicht zweifelhaft sein könne, dass Allgemeine Arbeitsbedingungen grundsätzlich betriebsvereinbarungsoffen seien.32 Das erinnert an den Maßstab, den der 10. Senat des BAG in seiner Entscheidung 200933 bereits verwendet hatte. Gemäß dieser Entscheidung kann der durchschnittliche und verständige Arbeitnehmer die Betriebsvereinbarungsoffenheit gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB erst erkennen, wenn ihm hinreichend klar und verständlich kommuniziert wurde, dass die Leistung betriebsvereinbarungsoffen erbracht werden sollte. Ansonsten sei die Regelung intransparent und unwirksam. Von diesem Grundsatz ist im Urteil des BAG vom 5.3.2013 keine Rede mehr. Anstatt wie bisher bei klarer und verständlicher Kommunikation, soll es dem Arbeitgeber nun plötzlich von vornherein nicht zweifelhaft sein, dass Allgemeine Arbeitsbedingungen grundsätzlich betriebsvereinbarungsoffen sind? Das klingt nach einem unterstellten Parteiwillen und wurde nicht ganz zu Unrecht bereits als „untergeschobene Rechtsgeschäftsfiktion“34 und „modriges Trinkwasser“ bezeichnet.35 Es ist schwer nachvollziehbar, dass ein juristisch unbewanderter Arbeitnehmer wissen soll, dass das Arbeitsvertragsformular, das er gerade vorgelegt bekommen und unterzeichnet hat, jederzeit durch eine Betriebsvereinbarung abgeändert werden kann. Wenn er sich überhaupt Gedanken zu diesem Thema macht, wird er bei lebensnaher Betrachtung wohl eher auf den Grundsatz pacta sunt servanda vertrauen, als einen konkludenten Änderungsvorbehalt anzunehmen, für den sich im Vertrag keinerlei Anhaltspunkte finden. Pacta sunt servanda gehört zum verfassungsrechtlich gewährleisteten Belang der Vertragsfreiheit.36 Die Vertragsfreiheit wird jedoch eingeschränkt, wenn dem Arbeitnehmer die Möglichkeit genommen wird, sich gegen den Einfluss kollektivrechtlicher Vereinbarungen zu seinen Lasten zu wehren oder sich präventiv davor zu schützen. Und genau das ist faktisch der Fall, wenn dem Arbeitnehmer eine Einsichtsfähigkeit unterstellt wird, die in der Praxis selten vorliegen wird. Dadurch wird er seiner Möglichkeit beraubt, sich vertraglich gegen diese kollektive Einflussnahme zu schützen. Umso mehr, da ihm auch die Möglichkeit der Anfechtung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen genommen wird. Nimmt man das BAG beim Wort, würde ein Arbeitnehmer, der seine Zustimmung zu den Allgemeinen Arbeitsbedingungen wegen eines Inhalts- und Erklärungsirrtums nach § 119 Abs. 1 BGB anficht, unverständig und unredlich handeln. Damit würde der Anfechtungsgrund gemäß § 119 Abs. 1 S. 2 BGB wegfallen.37

Auch methodisch lässt sich die regelmäßige konkludente Betriebsvereinbarungsoffenheit von Allgemeinen Arbeitsbedingungen nicht schlüssig begründen. Die konkludente Betriebsvereinbarungsoffenheit setzt voraus, dass eine stillschweigende Willenserklärung durch konkludentes Handeln abgegeben wurde. Eine stillschweigende Willenserklärung wird abgegeben, wenn der Geschäftswille durch Worte oder Handlungen erklärt wird, die sinnintentional zwar auf einen anderen Zweck gerichtet sind, aus denen sich aber doch der eigentliche, in Frage stehende Wille schlüssig ergibt.38 Die konkludente Erklärung wird dabei „zum rechtsgeschäftlichen Handeln betreffs des fraglichen Geschäfts nur dadurch, dass der Handelnde sich der Umstände bewusst ist, aufgrund deren das Handeln hinsichtlich des aus dem schlüssigen Handeln erschlossenen Geschäfts daneben auch den Ausdruck des Willens in sich schließt“.39 Das bedeutet schlicht, dass der Handelnde sich im Klaren sein muss, dass er neben seinem ausdrücklichen Handeln auch ein konkludentes Rechtsgeschäft tätigt. Woraus lässt sich aber ein solcher Wille erkennen, wenn es keine Anhaltspunkte im Vertragswortlaut gibt? Dass die Betriebsvereinbarungsoffenheit mit keinem Wort erwähnt wird, spricht vielmehr dafür, dass sie auch nicht gewollt war. Die Betriebsvereinbarungsoffenheit aufgrund der Formulierung, die Regelung sei mit dem Betriebsrat „abgestimmt“,40 anzunehmen, wurde teilweise bereits als unvereinbar mit § 305c Abs. 2 BGB betrachtet, da zu uneindeutig.41 Liegt dagegen überhaupt keine Formulierung vor, kann das Gegenteil erst recht nicht ohne Zweifel angenommen werden. Ein Wille, der ? wenn überhaupt ? nur innerlich vorhanden war und nicht schriftlich gefasst wurde, kann nicht Vertragsinhalt geworden sein.42 Auch eine fingierte, sog. „unechte“43 Willenserklärung scheidet aus, da keine positivrechtliche Vorschrift existiert, die im konkreten Fall eine Fiktion erlauben würde.44 Die Aufstellung einer Fiktion ist indes nicht Sache der Rechtsprechung.45

Dazu kommt, dass der Arbeitgeber als strukturell überlegener Vertragspartner46 Kenntnis von den Problemen hätte haben müssen, die mit einer Verschlechterung Allgemeiner Arbeitsbedingungen einhergehen. Er hätte daher einfach einen entsprechenden Vorbehalt in die Allgemeinen Arbeitsbedingungen einbauen können. Dadurch, dass der Arbeitgeber dies versäumt hat, ist es erst recht nur billig, ihn das Risiko tragen zu lassen, das aus einer unklaren (oder sogar überhaupt nicht existenten) Formulierung entsteht.47 Das ist einleuchtend, wenn man die Unklarheitenregelung nicht als eine Auslegungsregel, sondern vielmehr als Gefahrtragungsregel betrachtet. Sie ordnet an, wer die Belastungen zu tragen hat, die entstehen, wenn die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht klar auszulegen sind.48 Der Sinn dieser Risikozuteilung ist, dass derjenige, dem die Allgemeinen Arbeitsbedingungen gestellt werden, darauf vertrauen kann, dass der Verwender sich klar und unmissverständlich ausdrückt.49

Das Urteil des BAG ist deswegen nicht mit dem Transparenzgebot aus § 307 Abs. 2 S. 2 BGB sowie mit der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB vereinbar. Es leuchtet nicht ein, dass der Arbeitnehmer „ohne Zweifel“ erkennen soll, dass in Allgemeinen Arbeitsbedingungen ein konkludenter Änderungsvorbehalt enthalten ist. Vielmehr wäre es angemessen, den strukturell überlegenen Arbeitgeber die Last des nicht im Vertrag formulierten Änderungsvorbehalts tragen zu lassen. Die regelmäßige Annahme der konkludenten Betriebsvereinbarungsoffenheit widerspricht der Wertung des § 305c Abs. 2 BGB.

b) Gegen den Telos der AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht

überhaupt wird die teleologische Grundkonzeption des AGB-Rechts konterkariert, wenn man regelmäßig von einem konkludenten Änderungsvorbehalt in Allgemeinen Arbeitsbedingungen ausgeht. Sinn der AGB-Kontrollen ist, dass der Arbeitnehmer vor dem Diktat des Arbeitgebers geschützt werden soll, der aus Rationalisierungsgründen ein Interesse an einheitlichen Arbeitsbedingungen hat.50 Hat der Arbeitgeber zu viele Gestaltungsbefugnisse, entsteht die Gefahr, dass die strukturelle Überlegenheit des Arbeitgebers Überhandnimmt.51 Das ist etwa der Fall bei der einseitigen Abänderung von Allgemeinen Arbeitsbedingungen, die § 308 Nr. 4 BGB verhindern soll. Bei der Abänderung durch eine Betriebsvereinbarung handelt es sich zwar nicht um eine einseitige Modifikation. Trotzdem ist die Normsetzung durch Betriebsvereinbarungen ein Akt der Fremdbestimmung für den Arbeitnehmer.52 Der Arbeitnehmer hat zwar nach wie vor die Möglichkeit, sich durch die ausdrückliche Vereinbarung der Betriebsvereinbarungsfestigkeit vor Veränderungen zu schützen. Aber Allgemeine Arbeitsbedingungen werden ja gerade dadurch charakterisiert, dass sie vom Arbeitgeber gestellt werden. Welcher Arbeitgeber sollte ein Interesse daran haben, seine Einflussnahme auf das Arbeitsverhältnis freiwillig einzuschränken? Und der Arbeitnehmer wird in der Praxis wohl kaum an die Einführung eines solchen Vorbehalts denken, ganz davon abgesehen, dass er dann wiederum die Bedingungen verhandeln müsste. Um sich die Unvereinbarkeit dieser Entscheidung mit den Gedanken der AGB-Grundsätze vor Augen zu führen, hilft auch ein Vergleich mit dem allgemeinen Zivilrecht. Man stelle sich nur vor, im allgemeinen Zivilrecht würde regelmäßig angenommen, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen ohne die Beteiligung desjenigen, dem gegenüber sie gestellt wurden, zu seinem Nachteil abgeändert werden könnten. Ein Dienstleistungsunternehmen könnte in dem Fall die Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber seinen langjährigen regelmäßigen Kunden einfach ändern, ohne dass der Kunde hierauf Einfluss nehmen könnte und diese Änderungen wären auch wirksam. Natürlich kann an dieser Stelle wieder auf arbeitsrechtliche Besonderheiten nach § 310 Abs. 4 BGB verwiesen werden. So unterliegen Betriebsvereinbarungen der Mitbestimmung durch den Betriebsrat als Vertreter der Arbeitnehmerschaft.


25 BAG, NZA 1987, 168 ff.

26 Vgl. Müller-Glöge , in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch6, 2012, Bd. 4, § 611 Rn. 62.

27 Müller-Glöge (Fn. 26), § 611 Rn. 62; BAG, NZA 2006, 202 ff.; Franzen, NZA-Beil. 2006, 107, 114; Rolfs, in: Preis (Hrsg.), Der Arbeitsvertrag4 2011, II.O.10., Rn. 5.

28 Worzalla, NZA-Beil. 2006, 122, 132.

29 Fastrich, RdA 1994, 129, 131; Picker (Fn. 3), S. 113.

30 BAG, NZA 2013, 916, 920.

31 BGH, NJW 2013, 1805 ff.; BGH, NJW 2010, 2877 ff.; BGH, NJW 2013, 3647, 3649.

32 BAG, NZA 2013, 916, 921.

33 BAG, NZA 2009, 1105 ff.

34 Preis/Ulber, NZA 2014, 6, 9.

35 Preis/Ulber, NZA 2014, 6, 9.

36 Waltermann, SAE 2013, 94, 100.

37 Vgl. Armbrüster, in: MüKoBGB (Fn. 26), § 119 Rn. 137.

38 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1992, Bd. 2, S. 73.

39 Fabricius, JuS 1966, 1-11, 50-60.

40 BAG,NZA 1988, 509 ff.; BAG AP Nr. 252 zu § 611 BGB Gratifikation.

41 Däubler, in: Däubler/Bonin/Deinert, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht3, 2010, § 305c BGB Rn. 56.

42 Säcker, BB 2013, 2677, 2681.

43 Säcker, BB 2013, 2677, 2681.

44 Vgl. dazu von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 1840, Bd. 3, S. 253.

45 Säcker, BB 2013, 2677, 2681.

46 Vgl. Armbrüster, in: MüKoBGB6, Bd. 1, 2012, § 138 Rn. 90; Looschelders, in: Dauner-Lieb / Heidel / Ring (Hrsg.),NomosKommentar BGB2, 2011, Bd. 1, § 138, Rn. 147.

47 Vgl. Säcker, BB 2013, 2677, 2680.

48 Schmidt-Salzer, Das Recht der Allgemeinen Geschäfts- und Versicherungsbedingungen, 1967, 204-212.

49 Müller-Glöge, in: MüKoBGB(Fn. 26),§ 611 Rn. 62.

50 Preis/Ulber, NZA 2014, 6, 8.

51 Krause, in: Clemenz/Kreft/Krause (Hrsg.), AGB-Arbeitsrecht1, 2013, Einführung, Rn. 7-13.

52 Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, 1979, S. 74.

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Auch werden in der Praxis Formulararbeitsverträge oder andere Formen der Allgemeinen Arbeitsbedingungen häufig vom Betriebsrat mitgestaltet. Nichtsdestotrotz bleibt als Fazit, dass durch die regelmäßige Betriebsvereinbarungsoffenheit von Allgemeinen Arbeitsbedingungen dem Arbeitnehmer ein großer Teil des Schutzes genommen wird, der ihm durch die Einführung des Günstigkeitsprinzips im Betriebsverfassungsrecht zugestanden worden war. Das Schutzinteresse, das der AGB-Kontrolle zugrunde liegt, wurde durch das Urteil des BAG verkehrt,53 da es nun Aufgabe des Arbeitnehmers ist, sich vor Benachteiligungen durch die Allgemeinen Arbeitsbedingungen aktiv zu schützen.

c) Widerspruch zur Unwirksamkeit der

Jeweiligkeitsklausel?

aa) Änderungsvorbehalt des Arbeitgebers

Bei der regelmäßigen konkludenten Betriebsvereinbarungsoffenheit von Allgemeinen Arbeitsbedingungen handelt es sich um einen umfassenden Änderungsvorbehalt des Arbeitgebers. Dieser ist vergleichbar mit der Vereinbarung einer dynamischen Bezugnahmeklausel auf Allgemeine Arbeitsbedingungen in ihrer jeweiligen Fassung, einer sog. Jeweiligkeitsklausel. Jeweiligkeitsklauseln auf Allgemeine Arbeitsbedingungen sind regelmäßig unwirksam.54 Sie stellen eine unangemessene Benachteiligung nach §§ 308 Nr. 4, 307 BGB dar, da sie dem Arbeitgeber eine umfängliche Vertragsänderungskompetenz zugestehen.55 Dies ist auch aus Gründen des Transparenzgebotes aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB problematisch,56 da die Änderungen für den Arbeitnehmer kaum vorhersehbar sind. Wenn beispielsweise in einem Arbeitsvertrag nur die essentialia negotii vereinbart sind und für alle anderen Parameter über eine Jeweiligkeitsklausel auf die Allgemeinen Arbeitsbedingungen verwiesen wird, könnte der Arbeitgeber einseitig beinahe den gesamten Vertrag ändern. Eine solche Vertragsänderungskompetenz widerspricht grundsätzlichen Wertungen im allgemeinen Zivilrecht.57 Wenn der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer einen vorformulierten Standardvertrag vorlegt, der in der Form eine arbeitsvertragliche Einheitsregelung ist und der damit zu den Allgemeinen Arbeitsbedingungen zählt, kann in Zukunft ebenfalls der komplette Vertragsinhalt ohne Einverständnis des Arbeitnehmers geändert werden. Warum ist ein solcher Änderungsvorbehalt wirksam, wenn er konkludent ist, ein ausdrücklich vereinbarter Änderungsvorbehalt ist dagegen unzulässig? Wenn eine Bezugnahmeklausel, die klar ausdrückt, dass wesentliche Vertragsinhalte jederzeit einseitig abgeändert werden können, unzulässig ist, sollte dann ein konkludenter, für den Arbeitnehmer noch schwerer erkennbarer Vorbehalt nicht erst recht abgelehnt werden? Enthält das Urteil des BAG hier nicht einen Wertungswiderspruch?

bb) Abweichende Bewertung aufgrund der Rechtsnatur der Betriebsvereinbarung

Diese Frage kann mit einer Gegenfrage beantwortet werden: Entspricht eine Abänderung durch eine Betriebsvereinbarung tatsächlich einer einseitigen Abänderung durch den Arbeitgeber, mit der Folge der Unwirksamkeit gem. § 308 Nr. 4 BGB? Die Vereinbarung eines Rechts des Verwenders, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr abzuweichen, ist unwirksam, wenn nicht die Vereinbarung der Änderung oder Abweichung unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Teil zumutbar ist.58 Unabhängig davon, ob der Grund der Änderung besonders triftig ist, muss jedenfalls die gebotene Interessenabwägung zu einer Zumutbarkeit des Abänderungsvorbehalts für den Arbeitnehmer führen.59 Bei einseitigen Änderungen ist hier eine Interessenabwägung durch den Arbeitgeber vonnöten. Bei Betriebsvereinbarungen ist der Sachverhalt dagegen etwas anders gelagert. Betriebsvereinbarungen sind ihrer Rechtsnatur nach Verträge gemischten Charakters zwischen Arbeitgeber und dem Betriebsrat als Vertreter der Arbeitnehmer. Anders als bei einer einseitigen Änderung durch den Arbeitgeber handelt es sich also um eine beidseitige Vereinbarung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Damit sind die Betriebsparteien gemeinschaftlich befugt, verbindlich wirkende Regelungen für die Arbeitnehmer im Betrieb zu erlassen. Die Betriebsparteien können jedoch nicht jeden beliebigen Gegenstand in jeder beliebigen Form in Betriebsvereinbarungen regeln. Vielmehr unterliegt die Regelungskompetenz der Betriebsparteien beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen den gesetzlichen Grenzen, der Einschränkung durch den Tarifvorrang aus § 77 Abs. 3 BetrVG sowie der Beschränkung durch höherrangige Betriebsvereinbarungen. Trotzdem indiziert die Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 BGB, die eine AGB-Kontrolle von Betriebsvereinbarungen untersagt, dass der Gesetzgeber der Betriebsvereinbarung eine Richtigkeitsgewähr unterstellt.60 Diese Richtigkeitsgewähr gilt allerdings auch nicht unbeschränkt. Betriebsvereinbarungen unterliegen zusätzlich einer inhaltlichen Billigkeitskontrolle.61 Da auch die Betriebsratsmitglieder vom Arbeitgeber abhängig sind und zudem nicht über das Mittel des Arbeitskampfs verfügen,62 herrscht zwischen den Betriebsparteien keine hinreichende Parität.63 Auch gilt die Betriebsvereinbarung an sich als fremdbestimmte Normsetzung für den Arbeitnehmer.64 Nichtsdestotrotz ist die Betriebsvereinbarung kein einseitiger Regelungsakt des Arbeitgebers. Der Betriebsrat braucht einen Änderungsvorschlag des Arbeitgebers nur abzulehnen, um ihn wieder in der Schublade verschwinden zu lassen. In der Praxis mag es zwar vorkommen, dass der Betriebsrat kein wirkliches Gegengewicht zum Arbeitgeberwillen darstellt.


53 Preis/Ulber, NZA 2014, 6, 8.

54 Preis, NZA 2010, 361, 362.

55 Vgl. Preis, in: Müller-Glöge / Preis / Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar14, 2014, § 310 BGB, Rn. 27.

56 Preis, in: ErfKomm(Fn. 55), Rn. 27.

57 Vgl. Grüneberg, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch73, 2014, § 305, Rn. 47.

58 BAG, NZA 2005, 465, 467.

59 BAG, NZA 2005, 465, 467.

60 Jacobs, in: Beck`scher Online-Kommentar Arbeitsrecht32, 2014, § 310 BGB Rn. 14; Hümmerich/Ebeling, in:Däubler / Hjort / Schubert / Wolmerath (Hrsg.), NomosKommentar Arbeitsrecht2, 2010, § 310 BGB Rn. 19.

61 BAG AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG AP Nr. 84 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG, NZA 1991, 765 ff.; BAG, NZA 1997, 535 ff.

62 BAG AP Nr. 142 zu § 242 Ruhegehalt.

63 Preis/Ulber, RdA 2013, 211, 212.

64 Vgl. Richardi, in: Richardi (Hrsg.), Betriebsverfassungsgesetz14, 2014, § 77 Rn. 25, Rn. 53; Eich, NZA 2010, 1389, 1391.

Pretzel, Arbeitsbedingungen (BLJ 2015, 2)82

Aber der Betriebsrat ist die gesetzlich vorgesehene Form der Teilnahme der Arbeitnehmer am Geschehen in ihrem Betrieb. Im Rahmen dieser Möglichkeiten nimmt der Arbeitnehmer Einfluss auf die Modifikation seiner arbeitsvertraglichen Bedingungen. Damit wird die Interessenabwägung, die bei einseitigen Änderungen vom Arbeitnehmer vorzunehmen ist, bei Betriebsvereinbarungen automatisch vorgenommen. Dadurch, dass der Betriebsrat als Vertreter der Arbeitnehmerschaft an der Änderung beteiligt wird, fließen die Interessen der Arbeitnehmer in jedem Fall in die Entscheidung über die Änderung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen ein. Ein solcher Änderungsvorbehalt ist damit zumutbar und verstößt nicht gegen die Wertung des § 308 Nr. 4 BGB, die Jeweiligkeitsklauseln regelmäßig unwirksam macht.

4. Folgen für die Praxis

Welche Folgen hat die Annahme der regelmäßigen konkludenten Betriebsvereinbarungsoffenheit für die arbeitsrechtliche Praxis? Zum einen macht sie die Vereinbarung von Öffnungsklauseln eigentlich überflüssig. Wenn Allgemeine Arbeitsbedingungen sowieso konkludent betriebsvereinbarungsoffen sind, bedarf es auch keiner ausdrücklichen Vereinbarung der Betriebsvereinbarungsoffenheit mehr. Trotzdem sollte der umsichtige Arbeitgeber einen solchen Vorbehalt in seine Allgemeinen Arbeitsbedingungen aufnehmen, um gegen alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Dabei ist es wichtig, darauf zu achten, dass die Klausel nicht den Verdacht der Betriebsvereinbarungsfestigkeit einzelner Regelungen nahelegt. Denn so wie in der Vergangenheit die Rechtsprechung die Betriebsvereinbarungsoffenheit von Allgemeinen Arbeitsbedingungen immer weiter ausgelegt hat und dabei von einer ursprünglichen Betriebsvereinbarungsfestigkeit ausgegangen ist, könnte jetzt die Entwicklung in die gegensätzliche Richtung stattfinden.

C. Fazit und Ausblick

Die Untersuchungen in dieser Arbeit haben gezeigt, dass die Behandlung von kollektivvertragsoffenen Arbeitsbedingungen in der Vergangenheit große Änderungen erfahren hat. Wie im Verhältnis zwischen Betriebsvereinbarung und Arbeitsvertrag regelt das Günstigkeitsprinzip auch das Geltungsverhältnis von Allgemeinen Arbeitsbedingungen und Betriebsvereinbarung. Das Günstigkeitsprinzip hat in der Rechtsprechung in den vergangenen Jahrzehnten eine immer größere Bedeutung erfahren. Nachdem das BAGursprünglich eine ständige Betriebsvereinbarungsoffenheit von Allgemeinen Arbeitsbedingungen aufgrund des Ordnungsprinzips angenommen hatte, wurden in der Folge die Hürden für verschlechternde Veränderungen durch Betriebsvereinbarungen immer höher angesetzt. Diese Entwicklung ist durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 5.3.2013 grundlegend umgekehrt worden. Allgemeine Arbeitsbedingungen mit kollektivem Bezug sind nun regelmäßig konkludent betriebsvereinbarungsoffen. Damit ist der Arbeitnehmer in der Pflicht, sich vor Änderungen seiner Arbeitsvertragsinhalte aktiv zu schützen.

Das Bundesarbeitsgericht hat mit seiner Entscheidung unnötig eine ganz neue Richtung eingeschlagen. In dem Fall, der dem Urteil vom 5.3.2013 zugrunde lag, war es überflüssig, eine grundsätzliche konkludente Betriebsvereinbarungsoffenheit von Allgemeinen Arbeitsbedingungen zu erkennen. Bei lebensnaher Betrachtung war die Behauptung des Klägers, er wäre davon ausgegangen, sein ganzes Leben bei der Beklagten arbeiten zu können, ohnehin nicht haltbar. Es ist daher fraglich, ob der entscheidende Senat die Tragweite seines obiter dictums wirklich Überblickt hat. Es leuchtet nicht ein, dass die Tendenz der vergangenen Jahre, in der die Rechtsprechung zu Recht die Wichtigkeit des Günstigkeitsprinzips betont hat, durch einen derart „ausbrechenden Rechtsakt“ auf einen Schlag rückgängig gemacht werden soll. Zu erwarten und zu wünschen ist daher, dass das Bundesarbeitsgericht in kommenden Entscheidungen einlenken und die Annahme einer „großen Öffnungsklausel“ zumindest teilweise wieder zurücknehmen wird. Ob dies über eine verstärkte Annahme von betriebsvereinbarungsfesten Regelungen oder über eine ausdrückliche Abkehr vom Prinzip der regelmäßigen Betriebsvereinbarungsoffenheit geschehen wird, bleibt abzuwarten.