Dynamisierung des zu gewährleistenden Universaldienstes im Zuge des technischen Fortschritts – unter besonderer Berücksichtigung eines eventuellen „Rechts auf schnellen Internetzugang“

von Moritz Ahlers*

A. Einleitung

„Selbst auf die letzte Hallig und die höchste Alm“1 bringt der Postbote die Post; ebenso soll – geht es nach der stellvertretenden Vorsitzenden der Grünen-Bundestagsfraktion, Bärbel Höhn – zukünftig die Versorgung mit schnellen Internetzugängen ausgestaltet sein. So müsse jeder einen Rechtsanspruch auf einen schnellen Internetzugang haben. Einen solchen gibt es bereits seit dem 1. Juli 2010 in Finnland: Jeder Finne hat seitdem einen einklagbaren Anspruch gegenüber dem Netzbetreiber auf einen Breitbandanschluss.2 Damit war Finnland das erste Land weltweit, das den Zugang zu schnellem Internet zum Bürgerrecht erklärte.3

Auch hierzulande sind sich alle einig: Eine flächendeckende Versorgung mit leistungsfähiger Telekommunikationsinfrastruktur ist in Zeiten der Informationsgesellschaft essenziell – sowohl für die volkswirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit als auch für die wirtschaftliche und soziale Teilhabe des Einzelnen. Dementsprechend ambitioniert sind die Ziele der Politik für den Breitbandausbau: So sollte laut der Strategie Europa 20204 der Europäischen Kommission bereits 2013 jeder Europäer Zugang zu grundlegenden Breitbanddiensten haben und sichergestellt werden, dass bis 2020 alle Europäer Zugang zu deutlich höheren Internetgeschwindigkeiten von über 30 Mbit/s haben und mindestens 50 % aller europäischen Haushalte Internetzugänge mit über 100 Mbit/s haben. Im Rahmen einer Breitbandoffensive peilt die Bunderegierung in der Digitalen Agenda 2013-20175 bis 2018 gar eine flächendeckende Versorgung von mindestens 50 Mbit/s an.

Ob die Förderung des Breitbandausbaus durch die Aktivierung des Universaldienstes flankiert werden soll, ist jedoch umstritten. So forderten die damaligen Oppositionsfraktionen im Bundestag im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens der jüngsten Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) 2012,6 einen schnellen Internetzugang ausdrücklich in den Universaldienstkatalog des § 78 TKG aufzunehmen. Mehrheitsfähig war letztlich nur, § 78 Abs. 2 Nr. 1 TKG insoweit zu modifizieren, als der als Universaldienst bestimmte Anschluss an ein öffentliches Telekommunikationsnetz nun auch die Datenkommunikation und die Übertragung ermöglichen muss, die für einen funktionalen Internetzugang ausreichen.7

Zu bestimmen, wie der Begriff des funktionalen Internetzugangs im Lichte unionsrechtlicher und verfassungsrechtlicher Vorgaben auszulegen ist, ob er dynamisch verstanden werden kann und ob ein schneller Internetzugang gegenwärtig darunter fällt, ist Ziel dieser Arbeit. Zudem soll der Frage nachgegangen werden, ob mittels der Aktivierung des Universaldienstes – dem Beispiel Finnlands entsprechend – Nutzer ein einklagbares Recht auf einen schnellen Internetzugang haben sollten. Ausgehend von der Klärung, wie der Universaldienstmechanismus de lege lata geregelt ist, was unter Dynamisierung zu verstehen ist und was mit einem „schnellem Internetzugang“ gemeint ist (B), werden zunächst die unionsrechtlicher Vorgaben (C) und die der Verfassung (D) beleuchtet; daraufhin wird im Rahmen der Auslegung des § 78 Abs. 2 Nr. 1 TKG deren Verhältnis geklärt, um sodann die Frage des Rechts auf schnellen Internetzugang zu beantworten (E).

B. Erläuterungen

I. Universaldienst des TKG

Im Zuge der Privatisierung und Liberalisierung des Telekommunikationssektors wurde der Universaldienst (§§ 78-87 TKG) eingeführt, um eine Grundversorgung an Telekommunikationsleistungen sicherzustellen. Damit wurde der Sorge des sogenannten „Rosinenpickens“ begegnet, wonach ein privatisierter Wettbewerb dazu führt, dass Anbieter ihre Angebote auf wirtschaftliche Ballungszentren beschränken, während die Versorgung in ländlichen Gebieten darunter leidet.8

Das Universaldienstregime ermöglicht der Bundesnetzagentur (BNetzA), marktmächtige Unternehmen dazu zu verpflichten, als Universaldienst definierte Leistungen zu erbringen (Universaldienstaktivierung9). Durch die Aktivierung erhält der Endnutzer einen Vertragsabschlussanspruch gegenüber dem verpflichteten Unternehmen (§ 84 Abs. 1 TKG). Dass die


* Der Autor ist Student an der Bucerius Law Scholl, Hamburg.

1 Bärbel Höhn in WDR 5, Morgenecho.

Http://www.wdr5.de/sendungen/morgenecho/breitband110.html,

letzter Abruf am 30.06.2015;

vgl. auch https://gruen-digital.de/2013/06/es-wird-zeit-schnelles-internet-fuer-alle/, letzter Abruf am 17.11.2015;

vgl. http://www.derwesten.de/ wirtschaft/viele-buerger-ohne-schnelles-internet-aimp-id9608088.html, letzter Abruf am 22.11.2015.

2 Dabei liegt die Mindestdatenübertragung im Downstream bei 1 Mbit/s, http://www.bbc.com/news/10461048, letzter Abruf am 17.11.2015.

3 In der Schweiz ist ein schneller Internetzugang bereits seit 2008 im Rahmen der sog. Grundversorgung geregelt: diese umfasst aktuell 2 Mbit/s, http://www.heise.de/newsticker/meldung/Schweizer-Regierung

-erhoeht-Vorgaben-fuer-Internet-Grundversorgung-2443416.html,

letzter Abruf am 17.11.2015.

4 Strategie Europa 2020, Kom(2010) 2020, S. 16; Digitale Agenda für Europa, Kom(2010),245, S. 22; vgl. Schramm/Schumacher, MMR 2013, 571 ff.

5 Bundesregierung, Digitale Agenda 2013-2017, S. 4.

6 BT-Drs. 17/7521 v. 26.10.2011; Schumacher, MMR 2011, 711 m.w.N.

7 Diese Modifikation hatte jedoch nur klarstellende Funktion, vgl. Kühling, DöV 65 (2012), 409, 410 (dortige Fn. 10).

8 Gysi sah die Gefahr, dass sich die „alleinstehende ältere Frau in einem Dorf“ den Telefonanschluss nicht mehr leisten könne, BT-Plenarprotokoll 12/208 v. 3.2.1994, S. 17930; zum Problem des „Rosinenpickens“ Fehling, VerwArch 86 (1995), 600, 609 f.

9 Vgl. zur Terminologie z.B. Kühling, DöV 65 (2012), 409.

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Aktivierung aber ultima ratio ist, ergibt sich aus dem mehrstufigen Verfahren der §§ 81-87 TKG, wonach vorrangiges Ziel die freiwillige Erbringung der Universaldienstleistungen ist.10 Dieses Verfahren leitet die BNetzA durch die Feststellung einer Unterversorgung ein (§ 81 Abs. 1 S. 1 TKG). Logische Voraussetzung dafür ist die Definition des Universaldienstumfangs (im Falle des Internetzugangs § 78 Abs. 2 Nr. 1 TKG).

II. Dynamisierung

Eine dynamische Norm besteht notwendig aus jedenfalls einem Rechtsbegriff, dessen Bedeutungsgehalt sich nicht aus der Norm bzw. dem Normsystem selbst – autonom – ergibt, sondern durch externe Bedingungen – heteronom – bestimmt wird. Während der Bedeutungsgehalt einer autonomen Norm also statisch ist, bemisst er sich bei einer heteronomen Norm nach dem gegenwärtigen Stand der externen Bedingungen und unterliegt dadurch dem Wandel. Konkret stellt sich die Frage, ob der Begriff des „funktionalen Internetzugangs“ (§ 78 Abs. 2 Nr. 1 TKG) in seinem Bedeutungsgehalt in Abhängigkeit von der technischen bzw. sozialen Wirklichkeit zu bestimmen oder statisch zu verstehen ist (mit der Folge, dass er nur legislativ verändert werden kann).

III. Schneller Internetzugang

Technisch ist zwischen der Infrastrukturebene und der Dienstebene zu unterscheiden.11 Der Internetzugang gehört zur Infrastrukturebene. Er kann sowohl leitungsgebunden über Glasfaser- bzw. Kupferleitungen als auch funk- oder satellitenbasiert hergestellt werden. Der Begriff des „schnellen Internetzugangs“ ist ebenso wie der synonym verwendete Begriff des „Breitbandinternetzugangs“ technologieneutral und dynamisch,12 weil er keine Eingrenzung auf eine bestimmte Datenübertragungsrate (Bandbreite) vornimmt. über die Abgrenzung zu sogenannten Schmalbandinternetzugängen13 hinaus sind beide Begriffe wenig konturscharf. Ab welcher Bandbreite ein Internetzugang schnell bzw. breitbändig ist, ist vielmehr abhängig von der technischen Entwicklung und deren (sozialen) Verbreitungsgrad.14

C. Unionsrechtliche Vorgaben

Im europäischen Primärrecht finden sich keine telekom- munikationsspezifischen Regelungen. Dagegen bestehen zahlreiche sekundärrechtliche Vorgaben; bezüglich des Universaldienstes namentlich in der Universaldienstrichtlinie (URL).15 Die BRD kam der Umsetzungsverpflichtung durch Erlass des TKGs nach, welches den Universaldienst in den §§ 78 ff. TKG (ursprünglich §§ 17 ff. TKG) regelt.16 Klärungsbedürftig ist zunächst, welche Vorgaben die URL hinsichtlich des Internetzugangs macht. Zum einen stellt sich die Frage, inwieweit den Mitgliedstaaten ein Umsetzungsspielraum hinsichtlich des Universaldienstumfangs eingeräumt wird, zum anderen, ob die URL einem dynamischen Verständnis zugänglich ist.

I. Universaldienstrichtlinie

1. Dynamisierung der Universaldienstrichtlinie

a) Stammfassung

Die Stammfassung17 (URL a.F.) bestimmte als Universaldienst, den „Anschluss an das öffentliche Telefonnetz“ (Art. 4 Abs. 1 URL a.F.), der es Endnutzern ermöglicht, Datenkommunikation durchzuführen, die für einen funktionalen Internetzugang ausreicht (Art. 4 Abs. 2 Hs. 1 URL a.F.). Bereits die technologiespezifische Einschränkung auf den Übertragungsweg des „öffentlichen Telefonnetzes“ verwehrte eine dynamische Interpretation der Stammfassung, denn sie begrenzte den Umfang des Universaldienstes auf Schmalbandanschlüsse, welche über das Telefonnetz herstellbar sind. Wie sich ausdrücklich aus Erwägungsgrund 8 ergibt, ist der Umfang des Universaldienstes darüber hinaus dahingehend eingeschränkt, dass er sich nicht auf (ebenfalls schmalbändige) ISDN-Anschlüsse erstreckt. Letztlich beschränkte sich der Universaldienst damit auf Internetanschlüsse über Telefonmodems,18 deren technische Entwicklung 2002 bereits ausgereift war. Der URL a.F. lag also ein statisches Verständnis zugrunde.19

b) Aktuelle Fassung

Gemäß Art. 4 Abs. 1 der aktuellen Fassung20 (URL) ist nicht mehr der Anschluss an ein öffentliches Telefonnetz zugewährleisten, sondern an ein öffentliches Kommunikationsnetz. Unverändert muss dieser es ermöglichen, Datenkommunikation durchzuführen, die für einen funktionalen Internetzugang ausreicht (Art. 4 Abs. 2 Hs. 1 URL). Bei der Bestimmung


10 Bislang hat die Deutsche Telekom AG die in § 78 II TKG vorgesehenen Leistungen stets freiwillig erbracht, s. BNetzA, Jahresbericht 2014, S. 89; daher habe der Universaldienst bisher keine praktische Bedeutung gehabt, Schneider, in: Fehling/Ruffert (Hrsg.), Regulierungsrecht1, 2010, § 8 Rn. 67.

11 Zu den technischen Hintergründen Kühling, Telekommunikationsrecht2, 2014, Rn. 92-138.

12 Lindner, Die Gewährleistung des Internetzugangs im Grundgesetz, 2014, S. 97, 100 m.w.N.; ebenfalls Baake, Universaldienstverpflichtung für fleckendeckenden Breitbandzugang in Deutschland, Studie im Auftrag der Bundestagsfraktion BüNDNIS 90/DIE GRüNEN, 2011, S. 2.

13 Gemeint sind Internetzugänge die über Telefonmodems oder ISDN-Verbindungen hergestellt werden.

14 Die Bundesregierung geht – seit 2009 unverändert – von einer Mindestübertragungsrate von 1 Mbit/s aus, vgl. z.B. BMWi, Breitbandatlas 2014; die Kommission dagegen von 2 Mbit/s, vgl. Kom(2010) 472 endgültig, Kühling von etwa 1-2 Mbit/s, Kühling (Fn. 11), Rn. 609.

15 Richtlinie 2002/22/EG (URL a.F.) des EU-Parlaments und des Rates v. 7.3.2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2009/136/EG.

16 Neben der URL setzt das TKG die Richtlinien 2002/21/EG (Rahmenrichtlinie), 2002/20/EG (Genehmigungsrichtlinie), 2002/19/EG (Zugangsrichtlinie) sowie 2002/58/EG (Datenschutzrichtlinie) um.

17 2002/22/EG.

18 Die maximale Übertragungsrate eines Internetanschlusses über ein Telefonmodem beträgt 54 kbit/s. Zum Vergleich: ist bei Handyverträgen die Grenze des Datenvolumens erreicht, wird die Übertragungsgeschwindigkeit üblicherweise auf 64 kbit/s gedrosselt.

19 Kom(2011) 795; BT-Drs. 16/209 S. 82; Gerpott, CR 2011, 568, 569.

20 2009/136/EG.

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dessen, was ein funktionaler Internetzugang ist, „sind dabei die von der Mehrzahl der Teilnehmer vorherrschend verwendeten Technologien und die technische Durchführbarkeit“ zu berücksichtigen. Damit knüpft die URL bei der Bestimmung des Umfangs maßgeblich an zwei dynamische Größen an – das gegenwärtige Nutzungsverhalten der Teilnehmer sowie den Stand der Technik. Zwar ist diese Vorgabe nicht neu – im Gegenteil: Art. 4 Abs. 2 Hs. 2 blieb unverändert – allerdings enthält Art. 4 Abs. 1 URL nicht mehr die Beschränkung auf einen bestimmte Übertragungsweg: Anders als der Begriff des Telefonnetzes ist der des Kommunikationsnetzes technologieneutral;21 er macht keine Vorgaben hinsichtlich der Übertragungsart. Dadurch wird Art. 4 URL zu einer dynamischen Norm. Der URL in der aktuellen Fassung liegt mithin ein dynamisches Verständnis des Universaldienstumfangs zugrunde.22

2. Untergrenze

Anders als Verordnungen (Art. 288 Abs. 2 AEUV) wirken Richtlinien nicht unmittelbar, sondern sind nur hinsichtlich ihres Ziels verbindlich (Art. 288 Abs. 3 AEUV). Soweit die Richtlinie einen Gestaltungspielraum lässt, ist es Sache der Mitgliedstaaten, diesen auszufüllen. Klärungsbedürftig ist, ob die URL einen schnellen Internetzugang als Universaldienst zwingend vorsieht – dies ist eine Frage der Untergrenze (2.) – oder ausschließt – dies ist eine Frage der Obergrenze (3.).

Eine Auslegung des Begriffs des funktionalen Internetzugangs anhand des Wortlauts ist wenig ergiebig. Internetzugang ist ebenso wie Kommunikationsnetz ein technologieneutraler Begriff – eine qualitative Aussage über den Internetanschluss lässt sich ihm nicht entnehmen. Das Attribut funktional bezeichnet dagegen die Qualität des Internetzugangs. Diesbezüglich lässt es zunächst zwei grobe Einschränkungen zu: Zum einen bedeutet „funktional“ nicht optimal, so dass der Zugang nicht dem neuesten Stand der Technik entsprechen muss, zum anderen zeigt die Beiordnung des Attributs „funktional“ zum Internetzugang, dass nicht jeder beliebige Internetzugang ausreichend ist; stattdessen muss er zumindest einem gewissen qualitativen Mindeststandard entsprechen.

Ein Rückschluss vom Wortlaut des Begriffs des „funktionalen Internetzugangs“ auf eine bestimmte Mindestübertragungsrate ist indes nicht möglich. Funktional bedeutet „zweckmäßig“, oder „von der Funktion her bestimmt“. Die Funktion des Internetzugangs liegt darin, die Nutzung von Online-Anwendungen zu ermöglichen. Also erfüllt ein Internetzugang dann seine Funktion, wenn er die Übertragungsrate, die für die jeweilige Anwendung erforderlich ist, gewährleistet. Welche Anwendung der Internetzugang ermöglichen muss, lässt sich nur normativ bestimmen.

Bei dieser Bestimmung sind „die von der Mehrzahl der Teilnehmer vorherrschend verwendeten Technologien und die technische Durchführbarkeit [zu berücksichtigen]“. (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 URL). Aus Erwägungsgrund 5 der URL geht hervor, dass dabei nicht an die Mehrheit der Nutzer in Europa insgesamt, sondern an die Mehrheit der Nutzer in den jeweiligen Mitgliedstaaten anzuknüpfen ist. Demnach ist eine einheitliche Festlegung bestimmter Übertragungsraten auf Unionsebene grundsätzlich nicht angezeigt; vielmehr ist die Definition dessen, was unter einem funktionalen Internetzugang zu verstehen ist, den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen, welchen dabei ein gewisser Spielraum geboten wird.23

Um das Kriterium des Art. 4 Abs. 2 Hs. 2 URL einzugrenzen, ist zu klären, was unter der Mehrzahl zu verstehen ist und wie Verwendung verstanden werden muss. Unter den Wortlaut des Begriffs der „Mehrzahl der Teilnehmer“ ließe sich sowohl eine einfache, wie auch eine qualifizierte Mehrheit fassen; gleichwohl spricht bereits der Wortlaut des gesamten Satzes – maßgeblich ist die vorherrschend verwendete Technologie – in der Tendenz für eine qualifizierte Mehrheit. Diese Deutung wird systematisch unterstützt durch Erwägungsgrund 5, wonach die Mitgliedstaaten bei der Definition des funktionalen Internetzugangs die besonderen Bedingungen in den nationalen Märkten zu berücksichtigen haben, „wie die von der überwiegenden Mehrheit der Nutzer (…) verwendete Bandbreite“. Schließlich spricht der Zweck des Art. 4 Abs. 2 URL für eine deutliche Qualifizierung der Mehrheit: mittels des Universaldienstes soll – unter möglichst geringer Marktverzerrung24 – die mit der Nichtverfügbarkeit und Nichtnutzung des Internets einhergehende soziale und wirtschaftliche Ausgrenzung verhindert werden. Je weitreichender der Universaldienstumfang festgesetzt wird, desto invasiver ist der Eingriff in den Markt. Soll der Universaldienst seiner Funktion entsprechend flächendeckend das garantieren, was von der breiten Masse bereits genutzt wird,25 muss der Begriff der Mehrzahl im Sinne einer qualifizierten Mehrheit verstanden werden.

Aus dem Zweck des Universaldienstes ergibt sich auch, dass es bei der Verwendung auf die tatsächlich genutzte Bandbreite,26 nicht auf die vertraglich zugesicherte27 ankommt. Der Universaldienst soll soziale und wirtschaftliche Ausgrenzung verhindern. Ausgegrenzt wird eine Minderheit bei Nichtnutzung des Internets dadurch, dass sie nicht am „online-Leben“ der Mehrheit teilhaben kann. Dieses konstituiert sich aber durch die tatsächlich genutzte Bandbreite, nicht durch die potentiell davon abweichende vertraglich zugesicherte.

Abweichend von dem Grundsatz, dass die Definition des Universaldienstes den Mitgliedstaaten überlassen sein soll, ist es der Kommission möglich, auf eine europaweit einheitliche (Unter-)Grenze hinzuwirken. So kann sie im Zuge einer verpflichtenden regelmäßigen Überprüfung des Umfangs des Universaldienstes nach Art. 15 URL dem Europäischen Parlament und dem Rat Vorschläge unterbreiten, um den Umfang zu ändern oder neu festzulegen. In ihrer letzten


21 Mager, in: Säcker, Kommentar zum TKG3, 2013, § 78 Rn. 8; Cornils, in: Geppert/Schütz, BeckÂŽscher TKG-Kommenar4, 2013, § 78 Rn. 5.

22 So auch Kühling, DöV 65 (2012), 409, 411; Gerpott, CR 2011, 568, 570; Fetzer, MMR 2011, 707, 708; Schumacher, MMR 2011, 711, 712.

23 So können in stark industrialisierten Mitgliedstaaten höhere Bandbreiten verpflichtend vorgeschrieben werden als in Mitgliedstaaten, in denen bestimmte datenverkehrsintensive Dienste eher selten genutzt werden, Kühling, DöV 65 (2012), 409, 412.

24 ErwGr. 5 in 2009/136/EG.

25 So auch Kühling, DöV 65 (2012), 409, 413.

26 Ebenso Kühling, DöV 65 (2012), 409, 412; Fetzer, MMR 2011, 707, 708.

27 So aber mit Verweis auf den Wortlaut „Teilnehmer“ in Art. 4 II 2 URL iVm der Legaldefinition in Art. 2 lit. k der RRL, 2002/21/EG, Baake (Fn. 12), S. 5 f.; Schumacher, MMR 2011, 711, 713.

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überprüfung Ende 201128 lehnte die Kommission eine einheitliche Einbeziehung eines Breitbandanschlusses in den Umfang des Universaldienstes noch als „zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwar verfrüht“ ab – insbesondere die erheblichen Unterschiede der Breitbandnutzung von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat stünden dem entgegen – kündigte aber an, die Entwicklung auf den Breitbandmärkten weiter zu beobachten; außerdem stellte sie bereits damals fest, dass „ein grundlegender Breitbandzugang auf nationaler Ebene in begründeten Fällen einbezogen werden könne.“29

3. Obergrenze

Eine explizite Obergrenze ergibt sich aus der URL ebenfalls nicht; einer beliebig hohen Festlegung eines Universaldienstumfangs stehen jedoch die Grundsätze der Technologieneutralität30 sowie der Minimierung von Marktverzerrung31 entgegen. Durch die Orientierung an der von einer qualifizierten Mehrheit der Nutzer gegenwärtig verwendeten Technologien (vgl. Art. 4 Abs. 2 Hs. 2 URL) soll verhindert werden, dass durch die Festlegung eines Universaldienstumfangs bestimmte Übertragungsvarianten künstlich bevorzugt werden. Zudem geht aus Art. 10 Abs. 1 URL hervor, dass der Universaldienst nicht derart ausgestaltet sein darf, dass die Teilnehmer gezwungen sind für Dienste zu zahlen, die nicht notwendig oder beantragt sind.32

II. Zwischenergebnis

Die URL enthält weder eine verbindliche Ober- noch Untergrenze hinsichtlich des Universaldienstumfangs; stattdessen beschränkt sie sich vor dem Hintergrund des Subsidiaritätsprinzips auf die Vorgabe allgemeiner Grundsätze, anhand derer die Mitgliedstaaten eine Definition des funktionalen Internetzugangs vornehmen müssen.33 Zu berücksichtigen sind insbesondere die von einer qualifizierten Mehrheit tatsächlich genutzten Bandbreiten, dabei kommt den Mitgliedstaaten ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu,34 wobei sie insbesondere das Gebot der Technologieneutralität und der Minimierung der Wettbewerbsverzerrung zu beachten haben.

D. Verfassungsrechtliche Vorgaben

I. Staatszielbestimmung des Art. 87 f GG

In verfassungsrechtlicher Hinsicht ergeben sich die Vorgaben für einen schnellen Internetzugang als Universaldienst aus Art. 87 f GG: Gemäß Abs. 1 „gewährleistet der Bund im Bereich (…) der Telekommunikation flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen“; diese müssen allerdings, wie aus Abs. 2 hervorgeht, privatwirtschaftlich erbracht werden; während also die Erfüllungsverantwortung bei privaten Unternehmen liegt, trägt der Bund die Gewährleistungsverantwortung.35 Art. 87 f GG statuiert als Staatszielbestimmung die verfassungsrechtliche Pflicht für den Bund,36 für eine Grundversorgung an Dienstleistungen37 im Telekommunikationsbereich zu sorgen.38

Der Umfang der Grundversorgung ist abhängig vom Stand der Technik und deren Verbreiterungsgrad39 und damit dynamisch.40 Allerdings kommt dem Gesetzgeber – wie sich aus dem Wortlaut des Art. 87 f Abs. 1 GG („nach Maßgabe eines Bundesgesetzes“) ergibt – bei der Bestimmung eine erhebliche Einschätzungsprärogative zu.41 Ähnlich wie im Unionsrecht richtet sich der Universaldienstumfang verfassungsrechtlich also nach den gegenwärtigen Gegebenheiten. Diese sind zwar empirisch messbar, können jedoch nur Anhaltspunkte für die rechtliche Bewertung geben, diese aber nicht ersetzen: So ist eine gleichsam verselbstständigte, rein mechanisch-konditionale Definition des Universaldienstumfangs verfassungsrechtlich nicht geboten. Vielmehr bedarf es einer qualitativen rechtlichen Bewertung der empirisch abbildbaren Wirklichkeit. Überzeugenderweise muss die Definition des Universaldienstumfangs verfassungsrechtlich also von der Frage ausgehen, welche Anwendungen für eine Teilhabe am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben als unverzichtbar einzustufen sind, um dann auf eine konkrete Bandbreite rückzuschließen. Als unverzichtbar sind gegenwärtig das Nutzen von Online-Mediatheken und Home Office einzustufen; darüber hinaus spricht vieles dafür, bereits Cloud Computing42 zur Liste hinzuzufügen: vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht – aber auch im privaten Bereich – gewinnt Cloud Computing eine immer größere Bedeutung. Regionen, die nicht über entsprechende Infrastruktur verfügen, laufen Gefahr, durch die „digitale Spaltung“ auch in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung massiv gehemmt zu werden. Damit liegt die verfassungsrechtliche Untergrenze der Grundversorgung aktuell bei 6 Mbit/s anzusiedeln, um reguläres Cloud Computing gewährleisten.

II. Grundrechte

Bei der Konkretisierung des Grundversorgungsumfangs müssen Gesetzgeber und Anwender die Wirtschaftsgrundrechte


28 Kom(2011) 795 endgültig.

29 Angesichts der technischen und sozialen Entwicklungen seit 2011 ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Kommission im Zuge der kommenden Überprüfung zu dem Ergebnis kommt, dass ein grundlegender Breitbandanschluss zum Umfang des Universaldienstes gehören sollte (angekündigt ist sie für 2016, vgl. Kom(2015) 192, S. 12).

30 So in Bezug auf leitungsgebundene und drahtlose Technologien explizit ErwGr. 4 URL; vgl. auch ErwGr. 25 URL a.F.

31 ErwGr. 5 URL.

32 Vgl. Kühling, DöV 65 (2012), 409, 413.

33 Schumacher, MMR 2011, 711.

34 So auch Lindner (Fn. 12), S. 90.

35 BVerwGE 121, 192, 196 ff.; Gersdorf, in: Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG6, Band 3, 2010, Art. 87 f, Rn. 5; ders. JZ 2008, 831, 834; Freund, NVwZ 2003, 408, 409.

36 Windthorst, in: Sachs, Kommentar zum GG7, 2014, Art. 87 f Rn. 9; Möstl, in: Maunz/Dürig, Loseblattkommentar zum GG73, 2014, Art. 87 f Rn. 88.

37 Der Begriff der „Dienstleistung“ umfasst Angebote auf Dienst- und Infrastrukturebene, Windthorst (Fn. 36), Rn. 11; Möstl (Fn. 36), Rn. 70.

38 Als keine optimale Versorgung, sondern eine Mindestversorgung, vgl. Gersdorf (Fn. 35), Rn. 23; Windthorst (Fn. 36), Rn. 12.

39 Vgl. OVG Münster, NVwZ 2013, 86, 88; Baake (Fn. 12), S. 13; Hörnig, in: Hörnig, Handkommentar zum GG10, 2013, Art. 87 f Rn. 3.

40 Lindner (Fn. 12), S. 106; Kühling, DöV 65 (2012), 409, 414; Windthorst, Der Universaldienst im Bereich der Telekommunikation, 2000, S. 277; ders. (Fn. 36), Rn. 20.

41 Dieser ergibt sich aus dem Wortlaut („nach Maßgabe eines Bundesgesetzes“), vgl. Gersdorf (Fn. 40), Rn. 31; Möstl (Fn. 36), Rn. 65.

42 Unter Cloud Computing versteht man das Konzept, Daten und Software nicht mehr einem stationären Rechner zu speichern, sondern auf einem vernetzten Zentralrechner, der „Cloud“, vgl. Lindner (Fn. 17), S. 23 m.w.N.

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der Telekommunikationsunternehmen beachten:43 so findet der in Art. 87 f Abs. 1 GG gewährte Gestaltungsspielraum seine Obergrenze im übermaßverbot: Eingriffe in den durch Art. 87 f Abs. 2 GG geschützten privatwirtschaftlich organisierten Wettbewerb müssen verhältnismäßig sein;44 die den Unternehmen aufgebürdeten Kosten dürfen nicht außer Verhältnis stehen zu dem verfolgten Zweck der Grundversorgung auf einem bestimmten Niveau.45 Die Bestimmung einer konkreten Obergrenze kann allerdings nur auf Basis komplexer ökonomischer Daten erfolgen.46

III. Zwischenfazit

Aus Art. 87 f Abs. 1 GG ergibt sich eine notwendige Übertragungsrate von 6 Mbit/s. Die Bestimmung einer konkreten Obergrenze ist nur anhand ökonomischer Daten möglich; aufgrund des erheblichen Gestaltungsspielraums liegt sie wohl jenseits von 10 Mbit/s.

E. Telekommunikationsgesetz

Im Folgenden soll zunächst geklärt werden, wie sich die Vorgaben der Richtlinie und der Verfassung zueinander verhalten (I.), anschließend, wie der Begriff „funktionaler Internetzugang“ in § 78 Abs. 2 TKG auszulegen ist (II.), um abschließend die Aktivierung des Universaldienstes zu beurteilen (III.).

I. Verhältnis zwischen richtlinien- und verfassungskonformer Auslegung

Wie die Umsetzungsverpflichtung einer Richtlinie in nationales Recht folgen nach der Ansicht des EuGH47 und der überwiegenden Literatur48 die Notwendigkeit und Zulässigkeit der richtlinienkonformen Auslegung aus Art. 288 Abs. 3 AEUV i.V.m. dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit aus Art. 4 Abs. 3 AEUV. Die verfassungskonforme Auslegung folgt aus dem normhierarchischen Vorrang der Verfassung (Art. 20 Abs. 3 GG) und richtet sich schon dem Wortlaut nach an alle drei Gewalten.49

Ausgehend von einer unterschiedlichen Auffassung zur rechtskonstruktiven Grundlage des Unionsrechts kommen EuGH und BVerfG zwar zu theoretisch unterschiedlichen Vorrangkonzeptionen.50 Namentlich geht der EuGH51 von einem absoluten, das BVerfG von einem nur relativen Anwendungsvorrang des Unionsrechts aus. Abgesehen von drei Ausnahmekonstellationen („Solange-Vorbehalt“52 , „Ultra-Vires-Kontrolle“53 , „Identitätskern“54 ), – also in aller Regel55 – kommen beide Ansichten zum Anwendungsvorrang des Unionsrechts. Damit ist richtlinienbasiertes nationales Recht vorrangig richtlinienkonform auszulegen und nachrangig, soweit ein Spielraum verbleibt, verfassungskonform.

II. Universaldienstumfang

Ausgehend von einem Arbeitspapier des Kommunikationsausschusses der Kommission (COCOM) kommt eine Anwendung der URL-Vorgaben in Deutschland gegenwärtig zu einem Spielraum bei der Festlegung des Universaldienstes zwischen 5 und 12 Mbit/s. Danach müssen in einem zweistufigen Verfahren die Verfügbarkeit und die Verwendung von bestimmten Übertragungsraten ermittelt werden, damit sie als Universaldienst bestimmt werden können.56 Zwar sind die Konkretisierungen der COCOM für die Mitgliedstaaten nicht bindend, dennoch stellen sie eine überzeugende Auslegung von Art. 4 Abs. 2 Hs. 2 URL dar.57 Aus Art. 87 f GG ergibt sich gegenwärtig eine Mindestübertragungsrate von 6 Mbit/s, womit der verbleibende Auslegungsspielraum des § 78 Abs. 2 TKG für die BNetzA zwischen 6 und 12 Mbit/s liegt.58

Die Entstehungsgeschichte59 spricht dafür, dass die BNetzA sehr restriktiv mit diesem Spielraum umzugehen hat. Im Rahmen der TKG-Novellierung 2012 lehnten es die Fraktionen der Regierungsfraktionen aus CDU/CSU und FDP – entgegen den Anträge von den Oppositionsfraktionen bestehend aus der Fraktion der SPD, der Grünen und der Linken, die allesamt die Definition eines Breitbandinternetzugangs als Universaldienst forderten – ausdrücklich ab, den Universaldienstumfang überhaupt zu definieren. Begründet wurde dies in erster Linie damit, dass dies Investitionsanreize nehme, wodurch der marktgetriebene Ausbau der Breitbandinfrastruktur gehemmt würde. Vorzugswürdig seien im Einklang mit den Beihilfe-Vorschriften der EU60 ausgestaltete staatliche Förderprogramme.61


43 Windthorst (Fn. 36), Rn. 19; ders, in: Scheurle/Mayen, Kommentar zum TKG2, 2008, § 78 Rn. 17.

44 Lindner (Fn. 12), S. 120 f.

45 Teilweise werden zusätzlich die Vorgaben des Finanzverfassungsrechts als Begrenzung herangezogen, vgl. Kühling, DöV 65 (2012), 409, 414 ff.; ausführlich dazu Gersdorf, in: FS Selmer, 2004, S. 351 ff.

46 Zu den ökonomischen Konsequenzen einer Universaldienstaktivierung, Gerpott, CR 2011, 568, 572 ff.

47 EuGH, Slg. 1984, 1891 Rn. 26, m. Anm.Birk, NZA 1984, 145.

48 Begründet von Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 1994, S. 247 ff.; vgl. Kühling, JuS 2014, 481, 482; Kaiser, ZEuS 2010, 219, 224; Roth, EWS 2005, 385; nach a.A. ist auf den Vorrang des Unionsrechts abzustellen, Lutter,JZ 1992, 593, 604.

49 Gleiches gilt für die richtlinienkonforme Auslegung, um effektive Umsetzung des Unionsrechts zu gewährleisten (effet utile), EuGH, Slg. 1974, 1337 Rn. 12; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV-Kommentar4, 2011 , Art. 288 AEUV Rn. 77.

50 Dazu Kühling, JuS 2014, 481-490; vgl. Schöbener, JA 2011, 885-894.

51 So z.B. EuGH, Urteil vom 8. 9. 2010 – C-409/06 – Winner Wetten.

52 BVerfGE 73, 339 – Solange I.

53 BVerfGE 89, 155, 188 – Maastricht-Urteil, dem folgend Lindner (Fn. 12), S. 77.

54 BVerfGE 123, 267, 344 ff. – Lissabon-Urteil.

55 Kühling spricht vom „juristischen Alltag“, JuS 2014, 481, 485; die praktische Relevanz der Reservekompetenz des BVerfG tendiere gegen Null, meint Schöbener, JA 2011, 885, 893.

56 Auf der ersten Stufe müssen 50 % aller Haushalte über einen Festnetz- oder mobilen Breitbandanschluss verfügen, auf der zweiten müssen kumulativ 50 % aller Haushalte über einen Anschluss mit entsprechender Übertragungsrate verfügen und 80 % davon diese auch nutzen, COCOM-Vorschlag v. 19.5.2011, Nachw. bei Baake (Fn. 12), S. 9; vgl. auch Kühling, DöV 65 (2012), 409, 412.

57 So auch Kühling, DöV 65 (2012), 409, 412; vgl. BNetzA, Tätigkeitsbericht 2012/2013, BT-Drs. 18/209, S. 83, Tätigkeitsbericht 2010/2011, BT-Drs. 17/8246, S. 50; zur faktischen Wirkung formal unverbindlicher (Rechts-)Akte von Graevenitz, EuZW 2013, 169-174.

58 Ähnlich Fetzer, der bereits 2011 eine Bandbreite von mindestens 2-4 Mbit/s für verpflichtend erachtete, MMR 2011, 707, 709; Schumacher hielt sogar 6 Mbit/s für möglich, MMR 2011, 711, 712.

59 Schumacher, MMR 2011, 711 m.w.N.

60 Zur Rolle des EU-Beihilferechts beim Breitbandausbau Freund/Bary, MMR 2015, 230 ff.; Soltész, NJW 2014, 3128 ff.; Petzold, NordöR 2012, 396 ff., Holznagel, NVwZ 2010, 1059 ff.

61 Zusätzlich wurden finanzverfassungsrechtliche Bedenken geäußert, vgl. dazu Kühling, DöV 65 (2012), 409, 414.

Ahlers, Universaldienst (BLJ 2015, 2)56

III. Universaldienstaktivierung

Die Aktivierung des Universaldienstes durch die BNetzA setzt eine Unterversorgung voraus (§ 80 S. 1 TKG). In Bezug auf Internetzugänge läge diese vor, wenn die Versorgung mit Internetzugängen mit einer Übertragungsrate von mindestens 6 Mbit/s durch den Markt nicht flächendeckend zu erschwinglichen Preisen erbracht würde. Seit 2013 steht europaweit eine 100%ige Flächenabdeckung mit satellitengestützten Breitbanddiensten zur Verfügung, durch die Haushalte und Unternehmen mit Breitbandanschlüssen direkt versorgt werden können.62 Da satellitengestützte Breitbanddienste derzeit Internetzugänge mit Übertragungsraten zwischen 10 und 22 Mbit/s gewährleisten, ist eine Aktivierung innerhalb dieses Korridors verwehrt, wenn der satellitengestützte Internetzugang mit dem über herkömmliche Übertragungstechniken hergestellten vergleichbar ist.63 Dies hängt von vielen technischen Details64 sowie der typischen Vertragsgestaltung ab,65 ist im Ergebnis wohl aber anzunehmen.66 Mangels Unterversorgung kann der Universaldienst folglich nicht aktiviert werden, womit Endnutzer auch keinen Anspruch auf einen breitbandigen Internetzugang gegenüber den Unternehmen haben.

F. Fazit

So scheint es, als habe die technische Entwicklung – insbesondere die der satellitengestützten Internetübertragung – die rechtswissenschaftliche und politische Diskussion um den Universaldienst im TKG überholt, gar auf absehbare Zeit entbehrlich gemacht.67 In Bezug auf die Aktivierung des Universaldienstes trifft dies zu, denn falls sich satellitengestützte Internetübertragung als vergleichbare Alternative zu den herkömmlichen Übertragungsarten entpuppt und flächendeckende, bezahlbare, schnelle Internetzugänge gewährleisten kann, ist eine Aktivierung des Universaldienstes vorerst nicht möglich. Bezüglich der (dynamischen) Definition des Universaldienstumfangs gibt es jedoch durchaus Diskussionsbedarf. Zum einen ist sie mehr als bloße Voraussetzung einer möglichen Aktivierung:68 sie stärkt – gleichsam als Drohkulisse – die Position der BNetzA in Verhandlungen mit den Unternehmen zwecks freiwilliger Erbringung der Universalleistung und gibt den Nutzern Orientierung hinsichtlich dessen, was als Grundversorgung anzusehen ist; zum anderen ist es eine Frage der Zeit bis der Universaldienstumfang jenseits dessen liegt, was die satellitengestützte Übertragungstechnik zu leisten vermag. Diese Zeit sollte genutzt werden, eine kontinuierliche Verwaltungspraxis im Einklang mit Unions- und Verfassungsrecht bei der dynamischen Auslegung des Begriffs des „funktionalen Internetzugangs“ zu entwickeln. Die Schwelle, bis zu der die BNetzA sich damit begnügen konnte, festzustellen, dass ein Breitbandanschluss nicht vom Universaldienst erfasst ist,69 ist jedenfalls überschritten.


62 Kommission, IP/13/968, breitbandige Satellitenverbindungen ermöglichen eine Versorgung mit einem grundlegenden Breitbandanschluss (Downloadgeschwindigkeiten von bis zu 20 Mbit/s) europaweit.

63 So wohl die BNetzA, BT-Drs. 18/209, S. 84; zwar von den technischen Bedingungen von 2012 ausgehend, der Sache nach ähnlich Kühling, DöV 65 (2012), 409, 412.

64 Hier kommen neben den Übertragungsraten (im Up- und Downstream) insbesondere satellitenbedingte Latenzzeiten in Betracht.

65 Abhängig von Übertragungsvolumina und Übertragungsraten bewegen sich die Tarife effektiv zwischen mtl. 35-60 €, vgl. https://www.internetanbieter.info/internetanbieter/dsl-per-satellit/vergleich, letzter Abruf am 17.11.2015.

66 Internet über Satellit sei eine „erträgliche Alternative“, http://www.pcwelt.de/ ratgeber/Satellit-Langsam-aber-flaechendeckend-1479366.html, letzter Abruf am 17.11.2015.

67 Die Funktion des Universaldienstes als „regulatorischem Auffangnetz“ erschöpft sich in einem „nachlaufenden Lückenschluss“, um jedermann die Teilhabe am bestehenden technischen Status zu ermöglichen, vgl. Eifert, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht3, Band 1, 2012, § 23 Rn. 110; Kühling, DöV 65 (2012), 409, 417; Fetzer, MMR 2011, 707, 709.

68 Diesen Aspekt verkennt Schneider, der aus der bisher unterbliebenen Aktivierung die praktische Irrelevanz des Universaldienstes schließt, (Fn. 11), Rn. 67; tendenziell richtig dagegen Mager, den Universaldienst als „Recht auf Vorrat“ bezeichnend, (Fn. 26) vor § 78 Rn. 11.

69 So die BNetzA aber noch im letzten Tätigkeitsbericht 2012/2013 – Telekommunikation, BT-Drs. 18/209 v. 13.12.2013, S. 82; abzuwarten bleibt der Tätigkeitsbericht 2014/2015 Ende dieses Jahres; ein Impuls wird wohl 2016 von der Überprüfung des Universaldienstumfangs i.S.d. Art. 15 URL durch die Kommission ausgehen, vgl. Kom(2015) 192, S. 12.