Die letzte geteilte Nation – Völkerrechtliche Aspekte einer koreanischen Wiedervereinigung

von Eva Neumann*

A. Einführung

Über 70 Jahre nach der faktischen Teilung des Landes sind die Fronten zwischen Nord- und Südkorea mehr denn je verhärtet und eine friedliche Wiedervereinigung scheint in weite Ferne gerückt. Dennoch beschwören Spitzenpolitiker beider Seiten kontinuierlich den Willen zur „Wiederherstellung der nationalen Einheit“ mit unterschiedlicher Vehemenz und Glaubwürdigkeit.1 Da plötzlich eintretende politische Ereignisse innerhalb kürzester Zeit die Ausgangsvoraussetzungen für eine Wiedervereinigung schaffen können, sollen im Folgenden die rechtlichen Aspekte einer Vereinigung analysiert und auf ihre Schwierigkeiten hin untersucht werden (Abschnitt D). Voraussetzung einer solchen Analyse ist es zunächst, die aktuelle Einordnung der beiden koreanischen Systeme in der völkerrechtlichen Staatenordnung darzustellen (Abschnitt C.). Diese völkerrechtliche Untersuchung knüpft wiederum an die historischen Ereignisse der Teilung Koreas an (Abschnitt B).

B. Historischer Hintergrund

Die Geschichte Koreas, welche zur Teilung der koreanischen Halbinsel geführt hat, lässt sich nur vor dem Hintergrund der geopolitischen Bedeutung Koreas verstehen. Wegen der geographischen Lage des Landes als Pufferstaat zwischen den Großmächten Russland, China und Japan war der Streit um das Hoheitsgebiet ein wesentlicher Auslöser des Ersten Chinesisch-Japanischen Krieges von 1894/95 und des Russisch-Japanischen Krieges von 1904/05 und führte schließlich zur Annexion durch Japan als Kolonie im Jahre 1910.2

Nach der bedingungslosen Kapitulation Japans zum Ende des Zweiten Weltkrieges im September 1945 kam es zur Teilung Koreas entlang des 38. Breitengrades. Die Rote Armee der Sowjetunion marschierte in den nördlichen Teil des Landes ein, während die US-Streitkräfte den südlichen Teil besetzten.3 Nach Unstimmigkeiten bei der Umsetzung des gemeinsamen Zieles, Korea in die Unabhängigkeit zu führen, rief die USA im Jahr 1947 schließlich die Generalversammlung der UN an, die sich für baldige Wahlen auf dem Territorium aussprach und eine provisorische Korea-Kommission bestellte.4 Da die Sowjetunion mit Verweis auf die fehlende Zuständigkeit der UN nicht mit der Kommission kooperierte, fanden die Wahlen nur auf dem Gebiet des heutigen Südkorea statt, wo in der Folge am 15. August 1948 die Republik Korea ausgerufen wurde.5 In Reaktion darauf wurde im Norden am 9. September 1948 die Koreanische Demokratische Volksrepublik unter Führung Kim Il-Sungs errichtet.6 Durch die Etablierung dieser zwei politischen Einheiten fand der Teilungsprozess vorerst seinen Abschluss.

Ein erster gewaltsamer Wiedervereinigungsversuch durch den nordkoreanischen Regierungs- und Parteichef Kim Il-Sung führte zwei Jahre später zum Koreakrieg.7 Am 25. Juni 1950 überschritten nordkoreanische Truppen die innerkoreanische Trennlinie und konnten schon drei Tage später die Hauptstadt Seoul erobern. Nach der Aufforderung des UN-Sicherheitsrats, durch Unterstützung der Republik Korea den Weltfrieden wiederherzustellen,8 griff der U.S.-amerikanische Präsident Truman mit US-Streitkräften in den Koreakrieg ein. Gemeinsam mit den Streitkräften Südkoreas begannen die USA eine Gegenoffensive und eroberten nahezu ganz Nordkorea.9 Vom weiten Vorrücken in den Norden provoziert, griff auch China in den Konflikt ein und es entwickelte sich ein drei Jahre andauernder brutaler Krieg, der schließlich mit dem Waffenstillstandsabkommen vom 27. Juli 1953 beendet wurde.10 Kern dieses Abkommens war die Errichtung einer 4 km breiten Demarkationslinie, die als demilitarisierte Pufferzone zwischen Nord- und Südkorea dienen sollte und bis heute Bestand hat.11

Eine erste erwähnenswerte Kontaktaufnahme und Annäherung zwischen beiden Seiten fand erst im Jahr 1972 statt, als die Regierungen beider koreanischer Staaten eine unverbindliche gemeinsame Erklärung veröffentlichten, die eine friedliche Wiedervereinigungspolitik betonte.12 Schon ein Jahr später brach der Dialog jedoch wieder ab und erst die „Nordpolitik“ des damaligen südkoreanischen Präsidenten Roh Tae-Woo in den späten 1980er Jahren, die auf eine Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen mit der Volksrepublik Korea ausgerichtet war, sowie das Ende des Kalten Krieges führten zu einer erneuten Zusammenkunft und dem Abschluss eines Aussöhnungs- und Nichtangriffspaktes im


* Die Autorin ist Studentin an der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Eschborn/ Y.-y. Kim, KAS-Auslandsinformationen 2013, 89 f.

2 T.-N. Chi, Das Herrschaftssystem Nordkoreas, 1994, S. 17; Howland, 29 Law & Hist. Rev. (2011), 53, 60; Armstrong, in: Park/Roh (Hrsg.), Law and Policy on Korean Unification, 2014, S. 61, 62.

3 Suksi, Divided States, in: MPEPIL-Online, Rn. 21.

4 UN Doc. A/RES/112(II) v. 14.11.1947.

5 T.-N. Chi (Fn. 2), S. 26 f.

6 Von der UN wurde lediglich erstgenannte als rechtmäßige Regierung anerkannt, vgl. UN Doc. A/RES/195(III) v. 12.12.1948; Constantin, Korean War, in: MPEPIL-Online, Rn. 1.

7 E. Y.-J. Lee, 8 Asian Y.B. Int’l L. (1998/99), 77, 80 f.

8 UN Doc. S/RES/83 (1950) v. 27.06.1950.

9 Die UN-Generalversammlung autorisierte ausdrücklich die Mission, in ganz Korea Frieden und Stabilität wiederherzustellen, vgl. UN Doc. A/RES/376(V) v. 07.10.1950.

10 Military armistice in Korea and temporary supplementary agreement, abgedruckt in: 4.1 U.S. Treaties and Agreements Library (1953), S. 234.

11 Crawford, State Responsibility, 2014, S. 708; Suksi, Divided States, in: MPEPIL-Online, Rn. 19.

12 T.-N. Chi (Fn. 2), S. 133 ff.; E. Y.-J. Lee, 8 Asian Y.B. Int’l L. (1998/99), 77, 81 ff.; J.-H. Roh, in: Park/Roh (Fn. 2), S. 89, 91 ff.

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Jahr 1991.13 Obwohl sich die inter-koreanischen Beziehungen nun intensivierten, wurden die hierin vereinbarten Bestimmungen nie umgesetzt. Dennoch begann unter der Führung des südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung Ende der 90er Jahre eine Entspannungspolitik („Sonnenscheinpolitik“), die eine Zusammenarbeit vor allem im nicht-staatlichen Bereich förderte. Dies mündete in einer gemeinsamen Erklärung beider koreanischer Präsidenten auf einem Gipfeltreffen im Juni 2000, in welcher der Beginn einer wirtschaftlichen Kooperation und die gegenseitige Unterstützung bei der Familienzusammenführung angekündigt wurden.14

Eine erneute Verschärfung erlebte der Konflikt dann durch das Bestreben Nordkoreas, sich zu einer Atommacht aufzurüsten. Während das Regime in Pjöngjang damit international immer weiter isoliert wurde,15 verschlechterten sich auch die inter-koreanischen Beziehungen mit der Machtübernahme durch Kim Jong-un massiv.16 Nachdem die internationalen „Sechs-Parteien-Gespräche“ über die Lösung des Koreakonfliktes schon 2009 von Nordkorea boykottiert wurden, kündigte Kim Jong-un nach militärischen Zwischenfällen mit dem Süden im Jahr 2013 das Waffenstillstandsabkommen von 1953 und rief, unter Androhung eines nuklearen Präventivschlags gegen Südkorea, das Kriegsrecht aus.17

C. Völkerrechtlicher status quo

Um die rechtlichen und tatsächlichen Anforderungen an eine koreanische Vereinigung bestimmen zu können, ist zunächst eine Einordnung des rechtlichen status quo auf der Koreanischen Halbinsel vorzunehmen: Würde es sich bei einer Wiedervereinigung Koreas tatsächlich um eine „Wiedervereinigung“ einer „geteilten Nation“ oder vielmehr um eine „Vereinigung“ zweier eigenständiger Staaten handeln?

I. Untergang des koreanischen Einheitsstaates durch japanische Besetzung 1910

Nach der herrschenden Drei-Elemente-Lehre wird ein Staat als rechtliche Zurechnungseinheit durch drei Merkmale charakterisiert: ein gemeinsames Staatsvolk, ein Staatsgebiet und Staatsgewalt. 18 Das Vorhandensein dieser Elemente ist konstitutive Voraussetzung für das Bestehen eines Staates. Verliert er eines der Elemente, geht der Staat unter. 19 Die Anerkennung als Staat durch andere Staaten hat dagegen nur deklaratorische Wirkung.20

Korea stand schon im 19. Jahrhundert unter japanischem Einfluss, sodass seine Souveränität, welche als Teil der Staatsgewalt zu verstehen ist,21 vereinzelt bezweifelt wurde.22 Allerdings schlossen andere Staaten, wie Großbritannien und die USA, mit Korea Verträge, was ihre Auffassung von der Unabhängigkeit und Souveränität Koreas zum Ausdruck brachte.23 Nach der Überführung Koreas in ein japanisches Protektorat durch die Unterzeichnung der Zweiten Japanisch-Koreanischen Übereinkunft von 1905 und die darauf folgenden Auflösungserscheinungen der koreanischen Staatsgewalt bis hin zum vollständigen Souveränitätsverlust durch den Annexionsvertrag vom 22. August 1910 wurde Korea allerdings zu einer Provinz Japans und besaß keine ordnungsgemäße Staatsgewalt mehr.24

Die Annexion galt vor Inkrafttreten des Gründungsstatuts des Völkerbundes unter bestimmten Voraussetzungen als legitimer Gebietserwerbstitel.25 Erst mit Inkrafttreten der UN-Charta und unter Berücksichtigung des im Briand-Kellogg-Pakt von 1928 niedergelegten Verbots des Angriffskrieges konnte fremdes Staatsgebiet durch Annexion nicht mehr rechtmäßig erworben werden.26 Grundsätzlich ist somit davon auszugehen, dass der Einheitsstaat Korea durch die Besetzung durch Japan seine Rechtsfähigkeit verlor.27 Gegen die Rechtmäßigkeit des Gebietsübergangs wird eingewendet, dass der Annexionsvertrag aufgrund der Zwangslage der damaligen koreanischen Regierung fehlerhaft sei.28 Da es unter den Kolonialmächten zu dieser Zeit jedoch anerkannte Praxis war, seine Interessen auf fremdem Hoheitsgebiet schon vor der Einverleibung zu sichern, kann aus der japanischen Einmischung in innere Angelegenheiten Koreas allein nicht auf die Unwirksamkeit der Akte der koreanischen Regierung geschlossen werden.29 Das Völkerrechtssubjekt Korea ist folglich durch Annexion untergegangen.

II. Rechtslage während der Besetzung durch die Alliierten 1945-1948

Aufgrund der Erklärungen der Siegermächte, die koreanische Unabhängigkeit schnellstmöglich wiederherstellen zu wollen,30 wird im Schrifttum teilweise von der Kontinuität des koreanischen Staates ausgegangen.31 Für die Begründung des Weiterbestehens des Staates als Völkerrechtssubjekt wurde – vor allem im Zusammenhang mit der Diskussion um den Untergang des Deutschen Reiches 1945 ­â€“ auf das völkerrechtliche Kontinuitätsprinzip


13 Armstrong (Fn. 2), S. 61, 79 f.

14 Eschborn/Y.-y. Kim (Fn. 1), S. 101 f.

15 Zuletzt wurden die Sanktionen gegen die Führung Nordkoreas durch den UN-Sicherheitsrat in der Resolution 2094 v. 07.03.2013 verschärft, s. K. G. Na, 6 J. E. Asia & Int’l L. (2013), 295, 302 f.

16 Bundeszentrale für politische Bildung, Republik Korea, abrufbar unter: http://t1p.de/tqly, letzter Abruf am 22.11.2015.

17 Ryall, The Telegraph v. 31.01.2013, abrufbar unter: http://t1p.de/w4tc, letzter Abruf am 22.11.2015.

18 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1921, S. 394 ff.

19 G. Jellinek (Fn. 18), S. 394 ff.

20 Stein/von Buttlar, Völkerrecht, 2012, § 5 Rn. 323.

21 Herdegen, Völkerrecht, 2015, § 8 Rn. 7.

22 Vgl. Hershey, The international law and diplomacy of the Russo-Japanese war, 1906, S. 72.

23 Korea war u.a. Vertragspartei des Zweiten Haager Abkommen von 1899 „betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs“.

24 I.-G. Na, Die völkerrechtliche Stellung Koreas, 1991, S. 35.

25 H. Jellinek, Der automatische Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit durch völkerrechtliche Vorgänge, 1951, S. 111 ff.

26 Vgl. Epping, in: Ipsen (Hrsg.),Völkerrecht, 2014, § 5 Rn. 31; Hofmann, Annexation, in: MPEPIL-Online, Rn. 5 ff.

27 I.-G. Na (Fn. 24), S. 35.

28 C.-G. Kim, Die staatliche Einheit Koreas, 1994, S. 42 ff. sowie K.-W. Nam, Völkerrechtliche und staatsrechtliche Probleme des zweigeteilten Korea, 1975, S. 81 f.

29 I.-G. Na (Fn. 24), S. 31 f.

30 Abschnitt III, Report of the Meeting of the Ministers of Foreign Affairs of the Union of Soviet Socialist Republics, the United States of America and the United Kingdom of 26 December 1945, abrufbar unter: http://t1p.de/m9f3, letzter Abruf am 22.11.2015; Kairoer Kommuniqué v. 1.12.1943, abrufbar unter: http://t1p.de/fr5z, letzter Abruf am 22.11.2015.

31 K.-W. Nam (Fn. 28), S. 63; C.-G. Kim (Fn. 28), S. 76 f.

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zurückgegriffen:32 Solange es eine Aussicht auf Wiedereinsetzung einer effektiven Staatsgewalt gebe, existiere ein Staat auch im Sinne des Völkerrechts weiter und komme damit dem Bedürfnis der Staatengemeinschaft nach Rechtssicherheit und Verlässlichkeit nach. Erst wenn eine endgültig gesicherte Rechtslage festgestellt werden kann, verlange das Effektivitätsprinzip eine rechtliche Einordnung, die mit der tatsächlichen Lage übereinstimmt.33 Auch ein Wiederaufleben eines untergegangenen Staates ist unter Umständen möglich.34 Denn das Interesse der Staaten an der Erhaltung der Identität eines Völkerrechtssubjektes, um der Rechtsunsicherheit über die Folgen für das Vertragsrecht und die internationale Haftung zu entgehen, besteht grundsätzlich auch dann, wenn ein Staat vorübergehend untergegangen ist.35 Eine Kontinuität des koreanischen Staates käme demnach in Betracht, wenn ein neuer Staat entstanden wäre, welcher im Wege der juristischen Fiktion als mit dem früheren Staat identisch angesehen werden könnte.36 Da die Alliierten zu keiner Zeit eigene Ansprüche auf das koreanische Territorium erhoben, sondern ihrerseits von einer Fremdverwaltung ausgingen, kann während dieser Zeit nicht von der Entstehung eines neuen Staates oder der Annexion durch die Besatzungsmächte ausgegangen werden.37 Auch die Kapitulation Japans nach dem Zweiten Weltkrieg, bei der Japan sich in der Kapitulationsurkunde verpflichtete, die Ziele der Kairoer Erklärung über die Wiedererrichtung Koreas auszuführen, stellt keinen direkten Vollzug einer Gebietsabtrennung dar.38 Es handelt sich somit aus rechtlicher Sicht noch immer um japanisches Territorium, ein koreanischer Staat bestand während der Besatzung durch die Alliierten nicht.

III. Die Entstehung der RK und der DVRK

Dies könnte sich jedoch durch die Errichtung der Republik Korea (RK) und der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik (DVRK) im Jahr 1948 geändert haben. Die rechtliche Einordnung der Entstehung beider Systeme und deren Staatsqualität waren lange Zeit höchst umstritten.

1. Koreatheorien

In der Lehre werden insbesondere von Vertretern, die eine rechtswidrige Annexion Koreas durch Japan im Jahr 1910 annehmen, Theorien vertreten, die ein Weiterbestehen des gesamtkoreanischen Staates zu Grunde legen. Bei Annahme einer wirksamen Annexion durch Japan ist demgegenüber eine Ablösung vom japanischen Staat Voraussetzung für die Staatsgründung. Nach beiden Auffassungen kommt wiederum sowohl das Bestehen lediglich eines Staates auf der koreanischen Halbinsel als auch das Bestehen zweier vollsouveräner Staaten in Betracht.

a) Ein-Staat-Theorien

Nach der Identitätstheorie, welche noch heute dem Staatsverständnis beider Republiken entspricht, ist einer der beiden Staaten mit dem Völkerrechtssubjekt Gesamtkorea identisch und die jeweils andere Regierung hält rechtswidrig einen Teil des Landes besetzt.39 Auch nach der Teilordnungslehre besteht der gesamtkoreanische Staat als Völkerrechtssubjekt weiter. Allerdings stehen nach dieser Theorie Nord- und Südkorea als Teilstaaten auf einer Stufe unterhalb der vollen staatlichen Souveränität. Der gesamtkoreanische Staat existiere demnach als rechtliches Dach, welches die gleichberechtigt nebeneinander stehenden koreanischen Teilordnungen unter sich vereinigt.40

b) Zwei-Staaten-Theorien

Die Zwei-Staaten-Theorien gehen demgegenüber vom Bestehen zweier vollsouveräner Völkerrechtssubjekte aus und sind spätestens seit der Aufnahme Nord- und Südkoreas in die UN 1991 herrschend.41 Nimmt man die Kontinuität des koreanischen Staates bis zum Jahr 1948 an, kommt die Dismembrationstheorie in Betracht, nach welcher der gesamtkoreanische Staat mit der Errichtung Nord- und Südkoreas als vollsouveräne Staaten untergegangen ist.42 Demgegenüber vertritt die Sezessionstheorie, dass sich einer der beiden Staaten – nach herrschender Auffassung Nordkorea – vom weiter existierenden gesamtkoreanischen Staat durch Sezession gelöst hat und neben dem Rumpfstaat weiterbesteht.43 Geht man nach hier vertretener Auffassung von einem Untergang des koreanischen Staates im Jahr 1910 aus, kommt die Sezession zweier eigenständiger vollsouveräner Staaten vom japanischen Territorium in Betracht. Viele japanische Autoren gingen andererseits nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages von San Francisco zwischen den Alliierten und Japan im Jahr 1951 davon aus, dass die neu errichtete RK mit dem Staat Korea von vor der Annexion identisch sei.44 Von diesem wiederhergestellten Gesamtkorea habe sich wiederum die DVRK durch Sezession abgelöst.45

2. Einordnung anhand einer völkerrechtlicher Bewertung

Zur Bestimmung der völkerrechtlichen Staatsqualität ist gemäß des Effektivitätsgrundsatzes darauf abzustellen, ob die Republik Korea und die DVRK effektive Hoheitsgewalt über ein Staatsgebiet und ein Staatsvolk innehaben. Aufgrund der Übertragung der effektiven Kontrolle und dem Entstehen einer eigenen Jurisdiktion auf dem Gebiet der RK bleibt nur


32 Blumenwitz, Was ist Deutschland?, 1982, S. 23 ff.; Epping, in: Ipsen (Fn. 26), § 5 Rn. 9 f.; Teyssen, Deutschlandtheorien auf der Grundlage der Ostvertragspolitik, 1987,S. 82 ff.

33 Waitz von Eschen, Die völkerrechtliche Kompetenz der Vier Mächte, 1988, S. 3.

34 G. Jellinek (Fn. 18), S. 286.

35 Vgl. auch die Diskussion um die Kontinuität des polnischen Staates, dargestellt in Gelberg, Die Entstehung der Volksrepublik Polen, 1972, S. 122 ff.

36 I.-G. Na (Fn. 24), S. 76-77.

37 T.-N. Chi (Fn. 2), S. 22; C.-G. Kim (Fn. 28), S. 75 ff.; I.-G. Na (Fn. 24), S. 96.

38 Zemanek, AVR 1955/56, 308, 313; I.-G. Na (Fn. 24), S. 96.

39 Vgl. Art. 3 der Verfassung der Republik Korea: „Das Territorium der Republik Korea umfasst die koreanische Halbinsel und die dazugehörigen Inseln.“, abrufbar unter: http://t1p.de/bq5y, letzter Abruf am 22.11.2015; Art. 1 der Nordkoreanischen Verfassung verkündet, dass die DVRK ein souveräner, sozialistischer Staat sei, der die Interessen des ganzen koreanischen Volkes vertrete, abrufbar unter: http://t1p.de/hq94, letzter Abruf am 22.11.2015; auch die Vereinten Nationen legten zu Beginn des Koreakrieges die Identitätstheorie zugunsten Südkoreas zugrunde, vgl. UN Doc. A/RES/195(III) v. 12.12.1948.

40 C.-G. Kim (Fn. 28), S. 93 f.

41 UN Doc. A/RES/46 (I) v. 17.09.1991.

42 Constantin, Korean War, in: MPEPIL-Online, Rn. 6; C.-G. Kim (Fn. 28), S. 89-90.

43 C.-G. Kim (Fn. 28), S. 91.

44 I.-G. Na (Fn. 24), S. 167.

45 Diese Einordnung ablehnend: I.-G. Na (Fn. 24), S. 166.

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die Schlussfolgerung, dass 1948 ein vollsouveräner Staat Südkorea entstanden ist.46 Das Staatsgebiet erstreckt sich dabei aber nur auf den südlichen Teil des Landes, da eine effektive Staatsgewalt nördlich des 38. Breitengrades nicht etabliert werden konnte. Da sich Staatsgebiet, Staatsvolk und die Hoheitsgewalt wesentlich von denen des ehemaligen Gesamtkoreas unterscheiden, kommt auch keine Identität der Republik Korea mit dem ehemaligen Korea in Betracht.47

Die mögliche Entstehung eines weiteren neuen Staates im nördlichen Teil war deutlich umstrittener.48 Zweifel an der Souveränität ergaben sich vor allem aufgrund der materiellen Abhängigkeit von der UdSSR.49 Seit deren Auflösung kann an der rechtlichen Eigenständigkeit Nordkoreas aber kein Zweifel mehr bestehen.50 Nach der oben dargestellten Drei-Elemente-Lehre ist mit der jeweiligen Etablierung effektiver Staatsgewalt in beiden Landesteilen anzunehmen, dass zwei vollsouveräne Einzelstaaten durch Sezession von Japan entstanden sind.51 Zu welchem Zeitpunkt beide Staaten volle Souveränität erlangten, ist schwer zu bestimmen. In Betracht kommt, das Ende des Koreakrieges im Jahr 1953 zum Ausgangspunkt zu nehmen. Mit der offiziellen Etablierung der territorialen Grenzen beider Landesteile stellte dieses Ereignis den Abschluss des letzten einseitigen Versuchs der Eroberung des benachbarten Staatsgebietes dar.52

D. Lösungsmöglichkeiten der Korea-Frage

Nachdem herausgearbeitet wurde, dass beide koreanischen Landesteile jeweils für sich genommen Staatsqualität aufweisen, sollen nun mögliche Modelle einer Vereinigung untersucht werden.

I. Völkerrechtliche Gestaltung

1. Gewaltsame Wiedervereinigung

Die Qualifizierung beider Landesteile als souveräne Staaten lässt die Möglichkeit einer gewaltsamen Einverleibung eines koreanischen Staates durch den jeweils anderen wegen des allgemeinen Gewaltverbots aus Art. 2 Nr. 4 der UN-Charta grundsätzlich entfallen.53 Eine Vereinigungslösung muss deshalb auf dem souveränen Willen beider Staaten beruhen und durch einen völkerrechtlichen Vertrag vollzogen werden.

2. Vereinigung durch Staatsvertrag

Trotz des ständigen Auf und Ab in den koreanischen Beziehungen kann der Wunsch zur Wiedervereinigung als politische Konstante in der Ausrichtung beider Landesteile nachgewiesen werden. Auf Grundlage des auf die Friedenssicherung ausgerichteten Grundsatzes der souveränen Gleichheit der Staaten54 bedarf es zu einem Zusammenschluss eines völkerrechtlichen Vertrages, durch den beide Staaten ihren Willen zur Vereinigung ausdrücken. Für eine konkrete inhaltliche Ausgestaltung einer Vereinbarung kommen verschiedene Modelle in Betracht.

a) Staatenbund „Konföderation“

Als Staatenbund werden auf Gleichberechtigung beruhende, dauerhafte Zusammenschlüsse souveräner Staaten bezeichnet, die eine Kooperation auf breiter Ebene bezwecken und nicht bloß einzelne Politikfelder erfassen.55 Die Staaten behalten dabei ihre Völkerrechtssubjektivität. Der Bund selbst ist kein Völkerrechtssubjekt, besitzt aber ebenfalls in bestimmtem Maß eine Völkerrechtspersönlichkeit.56 Der Austritt aus einem Staatenbund ist für seine Mitglieder grundsätzlich jederzeit möglich. Eine Zusammenführung Koreas wäre in einem Modell der friedlichen Koexistenz auf der Grundlage eines vertraglich geregelten Nebeneinanders oder einer wirtschaftlich und politischen Kooperation denkbar.57

Dieses Modell entspricht dem erklärten politischen Zwischenziel beider Staaten.58 Auch wenn die Ernsthaftigkeit der Beteuerungen einer solchen inter-koreanischen Kooperation durch Nordkorea immer wieder, zuletzt durch den einseitigen Widerruf des Nichtangriffspaktes durch Kim Jong-un im Jahre 2013,59 in Frage gestellt wurde,60 äußert sich auch der derzeitige Diktator im Sinne einer Annäherung beider Koreas. In seiner Neujahrsansprache vom 1.1.2015 sprach sich Kim Jong-un dafür aus, eine Wiedervereinigung durch die gegenseitige Akzeptanz der wirtschaftlichen und politischen Systeme zu erreichen und verwies auf die bereits erzielten Erfolge durch die gemeinsamen Erklärungen der Gipfeltreffen 2000 und 2007.61

Auch die Republik Korea sieht eine Wiedervereinigung in mehreren Phasen vor, die zunächst eine friedliche Koexistenz und später eine immer engere Kooperation herbeiführen sollen.62 Dieses Konzept geht von der Gründung eines „Koreanischen Commonwealth“ als Übergangsstadium aus,


46 Crawford, The Creation of States, 2006, S. 469; zur Übertragung der Hoheitsrechte durch die USA vgl. auch UN Doc. A/RES/195(III) v. 12.12.1948; Zweifel an der Souveränität wurden auf die Abhängigkeit Südkoreas von den USA gestützt, vgl. Cohen, University of Pennsylvania L. Rev. (1960), 1127, 1141.

47 Hier können nach der 3-Elemente-Lehre, wie oben gezeigt, auch Legitimitätserwägungen und die Reaktion der Staatengemeinschaft nur als Indizien herangezogen werden. Da die Resolution der Generalversammlung für die UdSSR nicht rechtsverbindlich war, kann hieraus aber auch kein Argument für eine Identität mit dem Rechtssubjekt Gesamtkoreas abgeleitet werden.

48 Crawford (Fn. 46), S. 469 ff.

49 K.-W. Nam (Fn. 28), S. 112 ff.

50 Auch China und Russland üben keine Herrschaftsgewalt über das Gebiet aus und distanzieren sich zum Teil von der nordkoreanischen Führung. Beispielsweise stimmten beide der Sicherheitsratsresolution UN Doc. S/RES/2094 (2013) zu, die Sanktionen aufgrund des nordkoreanischen Atomprogramms vorsieht.

51 I.-G. Na (Fn. 24), S. 165; für das Bestehen zweier vollsouveräner Staaten auch C.-G. Kim (Fn. 28), S. 99 ff.

52 So auch Crawford (Fn. 46), S. 471 f.

53 Crawford, Brownlie’s Principles of Public International Law, 2012, S. 746 f.

54 Vgl. Art. 2 Nr. 1 UN-Charta.

55 V. Arnaud, Völkerrecht, 2014, § 2 Rn. 111.

56 Hobe, Völkerrecht, 2014, S. 121 f.

57 Vgl. zur Situation in Deutschland Teyssen (Fn. 32), S. 464 ff.

58 H.-K. Shin, Korea auf dem Weg zur friedlichen Wiedervereinigung, 1999,S. 197 ff.

59 Die ZEIT v. 08.03.2013, „Nordkorea kündigt Nichtangriffspakt auf“, abrufbar unter: http://t1p.de/rgn8, letzter Abruf am 17.11.2015.

60 Da kein gewohnheitsrechtlich anerkannter Fall der einseitigen Beendigung des Vertrages gegeben war und die Parteien kein Lösungsrecht vereinbart hatten (vgl. Art. 54 lit. a, 56 WVK), war die Kündigung wohl völkerrechtswidrig. Obwohl Nordkorea nie Vertragspartei der Wiener Vertragsrechtskonvention v. 23.05.1969 geworden ist, finden die Regeln größtenteils als Völkergewohnheitsrecht Anwendung, vgl. v. Arnaud (Fn. 55), § 3 Rn. 238 ff.

61 Vgl. J.-U. Kim, „The 2015 New Year’s address“ v. 01.01.2015, abrufbar unter: http://t1p.de/hv7n, letzter Abruf am 17.11.2015.

62 T.-N. Chi (Fn. 2), S. 141 ff.; D.-j. Kim, in: Han (Hrsg.), Divided Nations and Transitional Justice, 2014, S. 74 ff.

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welches mit einem gemeinsamen Präsidenten-, Minister- und Parlamentsrat einen institutionellen Rahmen schaffen soll, um die Wiedervereinigung langfristig vorzubereiten.63

Für eine echte Vereinigung und gegen einen Staatenbund wird vielfach angeführt, dass eine Föderation nicht ausreichen wird, um den riesigen Ressourcen-Transfer vom Süden in den Norden zu bewältigen, der für eine wirtschaftliche und kulturelle Annäherung erforderlich sein wird.64 Zudem steht einer friedlichen Kooperation entgegen, dass sich Nord- und Südkorea bis heute nicht gegenseitig als Staaten anerkannt und keinen Friedensvertrag geschlossen haben.65 Schon die Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens von 195366 hatte Südkorea verweigert, da dies keine Wiedervereinigung beider Landesteile vorsah.67 Im ersten direkten Abkommen zwischen beiden Ländern, dem Vertrag über Aussöhnung, Nichtangriff, Austausch und Kooperation von 199168 definieren Nord- und Südkorea die innerkoreanischen Beziehungen nicht als solche zwischen zwei Staaten, sondern als „besondere Beziehungen auf dem Wege zu einer Wiedervereinigung“.69

b) Fusion zum Bundesstaat

Ein Bundesstaat erfüllt selbst die Staatselemente und wird damit volles Völkerrechtssubjekt. Dieses Modell entspricht dem Bestreben der südkoreanischen Regierung nach der Etablierung einer „Korean National Community“ während der 1990er Jahre. Auf Basis der in der Übergangsphase entworfenen gemeinsamen Verfassung soll in freien und allgemeinen Wahlen in ganz Korea ein einheitliches Parlament und eine einheitliche Regierung gewählt werden, die jedem Staatsbürger politische und wirtschaftliche Freiheit garantiert.70

Zu einer solchen Lösung bedarf es in Nordkorea aber wohl zunächst eines Regimewechsels. Trotz des Untergangs der Sowjetunion hält Pjöngjang an der Aufrechterhaltung des kommunistischen Systems und der strikten Verfolgung der Ideologie des revolutionären Klassenkampfes fest. Diese fundamentalen Unterschiede der politischen und wirtschaftlichen Systeme beider Staaten lassen eine Fusion zu einem Bundesstaat, der, wie es der Norden fordert, beide Systeme gleichberechtigt berücksichtigt, für kaum möglich erscheinen.71

c) Inkorporation

Eine weitere Lösung der Koreafrage könnte darin bestehen, dass einer der koreanischen Staaten dem anderen durch Einigungsvertrag beitritt. Würde die DVRK in die Republik Korea eingegliedert, wäre der Gesamtstaat mit der Republik Korea identisch, während die DVRK als Völkerrechtssubjekt unterginge.72 Ein solcher Verlauf wäre wohl dann zu erwarten, wenn das nordkoreanische System aufgrund plötzlicher politischer Ereignisse zusammenbrechen würde. Nach diesem Vorbild hat sich auch die Deutsche Wiedervereinigung vollzogen, in deren Rahmen die Deutsche Demokratische Republik gemäß Art. 23 GG a.F. der Bundesrepublik Deutschland beitrat.73

II. Auswirkungen auf die völkerrechtlichen Regelungsbereiche

Die Diskussion der verschiedenen Vereinigungslösungen bedient nicht nur theoretisches Interesse. Schwierige Probleme können sowohl die Rechtsnachfolge in Verträge und die Nachfolge in Schulden und Staatsvermögen als auch der Übergang der Staatsangehörigkeit aufwerfen. Die Nachfolge in völkerrechtliche Verträge und die Regelungen zur Staatsangehörigkeit sollen hier beispielhaft betrachtet werden.

1. Weitergeltung nord- und südkoreanischer Staatsverträge

Auf der Grundlage der Zwei-Staaten-Theorie richtet sich die Bindung des Gesamtstaates an die von beiden Regierungen geschlossenen Verträge allein nach den Regeln des Völkerrechts über die Staatennachfolge, sofern die Staaten nichts Abweichendes vereinbaren.74 Sollte die Wiedervereinigung wie in Deutschland durch Inkorporation der DVRK in die RK erfolgen, ist von dem Grundsatz der beweglichen Staatsgrenzen auszugehen. Demnach gelten die Verträge des weiterbestehenden Staates fort und erstrecken sich in ihrem Geltungsbereich auch über das neu erworbene Territorium. Verträge des untergehenden Staates würden erlöschen, sofern die Parteien keine andere Vereinbarung treffen.75 Dieser Grundsatz entspricht auch der Regelung, welche in der ersten wirksamen Kodifikation im Bereich der Staatennachfolge, der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Verträge vom 23.08.197876 niedergelegt ist. Wegen der vielfach gegenläufigen Staatenpraxis kann die Konvention allerdings nur mit großer Vorsicht als kodifiziertes Gewohnheitsrecht eingestuft werden.77 In Bezug auf die Weitergeltung von Verträgen ist aber auch die Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23.05.1969 zu berücksichtigen. Bei einer Inkorporationslösung könnten sich z.B. die USA auf Art. 62 WVK berufen und vom Gemeinsamen Verteidigungspakt mit Südkorea zurücktreten. Da dieser geschlossen wurde, um vor militärischen Angriffen aus dem Norden zu schützen, entfiele mit


63 B.-R. Ahn, Die Wiedervereinigungsfrage Koreas, 2005, S. 10.

64 Gumpel, Zeitschrift für Politik 1996, 174.

65 E. Y.-J. Lee, 8 Asian Y.B. Int’l L. (1998/99), 77, 91 f.; Suksi, Divided States, in: MPEPIL-Online, Rn. 25.

66 Military Armistice in Korea and Temporary Supplementary Agreement, abgedruckt in: 4.1 U.S. Treaties and Agreements Library (1953), S. 234 ff.

67 Auch wurde der Kriegszustand damit nicht offiziell beendet, vgl. T.-N. Chi (Fn. 2), S. 132. Nach heutigem Verständnis kommt dem Kriegsbegriff allerdings kaum noch eigenständige Bedeutung zu,
vgl. Ipsen, in: ders. (Fn. 26), § 58 Rn. 7, § 59 Rn. 10. Zur Beendigung eines bewaffneten Konflikts kommt es vielmehr auf die faktische Einstellung der vom Konfliktrecht geregelten Handlungen an, welche regelmäßig durch Waffenstillstand herbeigeführt wird, Ipsen, in: ders. (Fn. 26), § 61 Rn. 5 f.

68 T.-N. Chi (Fn. 2), S. 156 ff.; H.-K. Shin (Fn. 58), S. 161 ff.

69 Agreement on Reconciliation, Non-Aggression and Exchanges and Cooperation between South and North Korea, abgedruckt in: 2 Asian Y.B. Int’l L. (1992), 409.

70 Vgl. Wiedervereinigungskonzeption des Präsidenten Kim Young-Sam in der Gedenkrede zum 49. Jahrestag der Unabhängigkeit Koreas von der japanischen Kolonialherrschaft am 15. August 1994, B.-R. Ahn (Fn. 63), S. 28.

71 H.-K. Shin (Fn. 58), S. 230 ff.

72 K.-W. Nam (Fn. 28), S. 163 f.

73 Vgl. Art. 1 des Einigungsvertrages v. 31.08.1990 (BGBl. II 1990, S. 889).

74 Hobe (Fn. 56), 108 ff.

75 Hobe (Fn. 56), S. 109; Oh, 16 Emory Int’l L. Rev. (2002), 311, 345.

76 UNTS Bd. 1946, S. 3 ff.

77 Hobe (Fn. 56), S. 108.

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dem Beitritt Nordkoreas die wesentliche Grundlage des Vertrages.78 Im Falle der Fusion zum Bundesstaat ist die Rechtslage weniger eindeutig. Der Art. 31 des Abkommens regelt die Kontinuität der Vertragspflichten. Der neu entstehende Staat ist demnach ohne abweichende Vereinbarung der Parteien an die Verträge der Vorgängerstaaten gebunden, allerdings beschränkt auf das jeweilige Gebiet. Andererseits wird vertreten, bei neu entstehenden Staaten das „clean slate“-Prinzip anzuwenden. Dies würde eine Beendigung aller vertraglichen Verpflichtungen der Vorgängerstaaten bedeuten. In Bezug auf Korea entstünden neue Probleme durch die Auflösung der Bindung an den Nuklearwaffensperrvertrag.79 Da bei der Bildung eines Bundesstaates jedoch die Staatsqualität der Vorgängerstaaten nicht vollständig erlischt, ist wohl von einer territorialen Fortgeltung der Verträge auszugehen.80

2. Koreanische Staatsangehörigkeit

Grundsätzlich bleibt es den Vorgänger- und Nachfolgestaaten vorbehalten, Regelungen über die Staatsangehörigkeit zu treffen.81 Völkerrechtlich gibt es Bestrebungen, die Konsequenzen einer Staatennachfolge auf die Staatsangehörigkeit zu regeln, allerdings existieren noch keine allgemeinen Bestimmungen.82 Denkbar wäre es, einen automatischen Wechsel mit dem Übergang der territorialen Souveränität anzunehmen, wie er in jüngerer Staatenpraxis häufig zu beobachten ist.83 Im Falle einer Inkorporation eines der beiden koreanischen Staaten in den anderen wäre ein automatischer Übergang der Staatsangehörigkeit auch ohne Verfassungsänderung denkbar. Da beide Verfassungen von der Identitätstheorie ausgehen, nach denen der jeweilige Staat mit dem ursprünglichen Korea identisch ist, haben beide Regierungen auch Staatsangehörigkeitsgesetze erlassen, welche allen ehemaligen Bürgern Koreas die jeweilige Staatsangehörigkeit verleihen sollen.84 Wie in Deutschland könnte dies bei einer Wiedervereinigung durch den Beitritt eines Staates zum anderen Hoheitsgebiet den Einbürgerungsakt obsolet machen.85 Schwieriger wird die Lösung der Staatsangehörigkeitsfrage, wenn ein neues Völkerrechtssubjekt durch Fusion entsteht. Dann müsste der neu entstandene Staat aufgrund seiner Personalhoheit über das seiner Staatsgewalt unterliegende Territorium selbst neue Regelungen über die Staatsangehörigkeit seiner Bürger erlassen.86

E. Recht auf Wiedervereinigung?

Es bleibt die Frage, inwieweit das Bewusstsein einer kulturellen und ethnischen „nationalen“ Einheit der Volksgruppe auf rechtlicher Ebene trotz Ablehnung der Kontinuität des koreanischen Gesamtstaates bei der Diskussion um mögliche Vereinigungsmodelle noch berücksichtigt werden kann. In Betracht kommt es, dieses Einheitsbewusstsein auf rechtlicher Ebene in Form eines Rechts auf Wiedervereinigung zu übersetzen. Im Folgenden wird untersucht, inwieweit sich ein solches Recht aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker herleiten lässt.

I. Das koreanische Volk als Träger des Selbstbestimmungsrechts der Völker

Das im Lichte des Entkolonialisierungsprozesses aus dem Völkergewohnheitsrecht entstandene Selbstbestimmungsrecht der Völker gilt spätestens seit dem Inkrafttreten der UN-Menschenrechtspakte 1976 als verbindliche Rechtsnorm des Völkerrechts mit erga-omnes-Charakter.87 Träger eines solchen Rechtes ist grundsätzlich nicht nur das Staatsvolk, da das Selbstbestimmungsrecht in den Menschenrechten wurzelt und gerade gegen das Staatenrecht gerichtet sein kann. Rechtssubjekt muss das „Volk“ sein, welches sich durch andere Merkmale als die des Völkerrechtssubjekts „Staat“ bestimmen lässt.88 Die genaue Definition des „Volkes“ ist umstritten, als Kriterien kommen dabei objektive Elemente, wie sprachliche und kulturelle Gemeinsamkeiten, und subjektive Elemente, wie ein Zusammengehörigkeitsgefühl, in Betracht.89 Ob die Bevölkerung Nord- und Südkoreas nach der über 70 Jahre währenden Teilung noch ein Volk darstellt, ist aufgrund der sich herausbildenden kulturellen, wirtschaftlichen und sogar sprachlichen Unterschiede umstritten. Gerade in der jüngeren Generation nimmt auch der einheitliche Volksgedanke in seiner Bedeutung ab.90 Da bei der Bestimmung des Volksbegriffes im völkerrechtlichen Sinne auch soziologische und ethnische Faktoren eine wichtige Rolle spielen, kann hier keine abschließende Bewertung getroffen werden. Mit Blick auf die mehrtausendjährige gemeinsame Geschichte und die immer noch andauernde Teilung koreanischer Familien ist dennoch anzunehmen, dass ein enger personaler Verbund besteht. Die Selbstidentifikation als zentraler Moment lässt sich auch, wie oben gezeigt, in beiden Verfassungen nachweisen.91

II. Inhalt des Selbstbestimmungsrechts des koreanischen Volkes

Uneinigkeit herrscht aber auch bei der Reichweite des Selbstbestimmungsrechts. Eine Umschreibung findet sich in der durch die UN-Generalversammlung verabschiedete


78 Oh, 16 Emory Int’l L. Rev. (2002), 311, 345.

79 M. H. Tan, 65 S.M.U.L. Rev. (2012), 765, 772.

80 Hobe (Fn. 56), S. 110.

81 Epping, in: Ipsen (Fn. 26), § 5 Rn. 243.

82 Vgl. hierzu Venedig-Kommission des Europarats, Declaration on the Consequences of State Succession for the Nationality of Natural Persons v. 13./14.9.1996.

83 Stein/von Buttlar (Fn. 20), § 21 Rn. 346a.

84 Nordkorea erließ am 9. Oktober 1963 ein eigenes Staatsangehörigkeitsgesetz, das Staatsangehörigkeitsgesetz der Republik Korea gilt seit dem 20. Dezember 1948, vgl. C.-G. Kim (Fn. 28) , S. 83 f.

85 Da die Bundesrepublik bis 1999 kein eigenes Staatsangehörigengesetz erlassen hat, bestimmte sie die deutsche Staatsbürgerschaft nach dem Reichs- und Staatsangehörigengesetz von 1913, was von einer gesamtdeutschen Staatsangehörigkeit ausging. Bei der Wiedervereinigung war deshalb kein Einbürgerungsakt nötig, da dies auch die früheren DDR-Bürger umfasste, vgl. Epping, in: Ipsen (Fn. 26), § 5 Rn. 93; zur Staatsangehörigkeitsfrage auch Ress, Die Rechtslage Deutschlands, 1978, S. 203 ff.

86 Heintze, in: Ipsen (Fn. 26), § 24 Rn. 5 f.

87 IGH, East Timor Case (Portugal v. Australia), Urteil v. 30.06.1995, I.C.J. Reports 1995, 90, 102; Thürer/Burri, Self determination, in: MPEPIL-Online, Rn. 12 ff.; v. Arnaud (Fn. 55), § 2 Rn. 68 f.; niedergelegt auch in Art. 1 (2) der UN-Charta und als 5. Prinzip in der Friendly Relations Declaration, UN Doc. A/RES/2526 (XXV) v. 24.10.1970.

88 Blumenwitz, in: Blumenwitz/Meissner (Hrsg.), Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, 1984, S. 148; Waitz von Eschen (Fn. 33), S. 232; a.A. C.-G. Kim (Fn. 28), S. 131, der das Selbstbestimmungsrecht des koreanischen Volkes unmittelbar an das Fortbestehen des koreanischen Gesamtstaates knüpft.

89 Waitz von Eschen (Fn. 33), S. 239.

90 Eschborn/Y.-y. Kim (Fn. 1), S. 115 ff.

91 Vgl. zu den Kriterien: Ipsen, in: ders. (Fn. 26), § 28 Rn. 4 ff.

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„Friendly-Relations-Declaration“. Dort heißt es als 5. Prinzip: „alle Völker haben das Recht, frei und ohne Einmischung von außen über ihren politischen Status zu entscheiden und ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu gestalten, und jeder Staat ist verpflichtet, dieses Recht im Einklang mit der Charta zu achten.“92 In der Literatur wird dabei zwischen dem inneren, defensiven Selbstbestimmungsrecht und dem äußeren, offensiven Recht, welches auf Veränderung eines Territorialstatus ausgerichtet ist, differenziert.93 Gerade als externes Recht auf Sezession aus dem Staatenverbund gerät das Recht des Volkes in Konflikt mit dem Recht der Staaten auf territoriale Integrität und ist deshalb allenfalls bei schwersten Menschenrechtsverletzungen anerkannt.94 Bei geteilten Nationen kommt ein daraus abgeleitetes Recht auf Wiedervereinigung in Betracht. Beruhte die Teilung auf äußeren Einflüssen und war sie nicht vom Selbstbestimmungsrecht des Volkes gedeckt, stellt die Aufrechterhaltung der Teilung ein völkerrechtswidriges Verhalten dar.95 Das Volk muss deshalb eine Reorganisation des Staates verlangen können.96 Wegen des Spannungsverhältnisses dieses Rechtes mit der staatlichen Souveränität ist jedoch auch hier allein die innere Dimension des Selbstbestimmungsrechts anzuerkennen. Eine gewaltsame Grenzverschiebung ist deshalb ebenso völkerrechtswidrig wie eine eigenständige Reorganisation entgegen dem Willen der Staaten. Da die Völker selbst kein handlungsfähiges Völkerrechtssubjekt sind, beschränkt sich das Selbstbestimmungsrecht auf die Verpflichtung der betroffenen Staaten, auf einen Rechtsstatus hinzuwirken, der im Einklang mit dem Volkswillen steht.97 Für die Durchsetzung der Entscheidung des koreanischen Volkes über seinen politischen Status gibt das Völkerrecht keine feste Gestaltung vor. Denkbar wäre beispielsweise eine Volksabstimmung des gesamten koreanischen Volkes genauso wie Szenarien, in denen einzelnen Personen selbst das Recht eingeräumt wird, über ihre Staatsangehörigkeit zu entscheiden. 98 Mangels universell akzeptierter formaler Verfahren lassen sich keine verfahrensrechtlichen Pflichten des Völkerrechts für die beiden koreanischen Staaten begründen, sodass sie lediglich die abstrakte Pflicht trifft, den Willen des gesamten koreanischen Volkes zu berücksichtigen.99

F. Fazit

Die Ausführungen haben gezeigt, dass Korea heute rechtlich kaum mehr als „geteilte Nation“ bezeichnet werden kann. Spätestens seit dem Waffenstillstand von 1953 bestehen zwei gleichberechtigte Staaten, für deren Vereinigung es eines völkerrechtlichen Vertrages und der gegenseitigen Akzeptanz als gleichberechtigte Akteure bedarf. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker verleiht dem koreanischen Volk nur eine schwache Rechtsposition, die es gegenüber den Staaten nicht gewaltsam durchsetzen kann.100 Die Identifikation als einheitliches Volk wird zudem mit der immer länger andauernden Isolation beider Gesellschaften zunehmend schwächer. Schon jetzt sind die kulturellen Unterschiede stärker ausgeprägt, als es vor der Wiedervereinigung Deutschlands zwischen der BRD und der DDR der Fall war. Seit den 1970er-Jahren bestimmt die nach dem nordkoreanischen Führer Kim Il-sung entwickelte „Juche“-Ideologie alle Bereiche des Alltags in Nordkorea. Erziehung, Arbeitswelt und das kulturelle Leben sind vom kommunistischen Regime kontrolliert und überwacht.101 Wegen der totalen Abschottung des Landes ist es den Menschen kaum möglich, sich dieser kulturellen Prägung zu entziehen. Bei einer möglichen Vereinigung der beiden koreanischen Staaten sind aufgrund der großen Unterschiede des materiellen Lebensstandards erhebliche Probleme auch bei der sozialen Integration absehbar.

Da die Teilung Gesamtkoreas gegen den Willen der Bevölkerung vollzogen wurden, sollte die Lösung der koreanischen Frage dennoch in der Hand des koreanischen Volkes selbst liegen.102 Wird es den Staaten gelingen, sich gemeinsam auf ein solches Vorgehen zu einigen, ist der Ausgang keineswegs vorbestimmt. Denn vor dem Hintergrund der prekären wirtschaftlichen Lage Nordkoreas stieg in der südkoreanischen Bevölkerung seit den Erfahrungen aus der Deutschen Wiedervereinigung stetig die Sorge, dass die finanzielle Belastung bei einer Vereinigung von Südkorea kaum zu tragen wäre.103 Bei einer solchen innerkoreanischen Entscheidung darf aber auch das geopolitische Interesse der ehemaligen Großmächte nicht außer Acht gelassen werden, auf deren Unterstützung es zu einer wirksamen Umsetzung ankommen wird.104 Dabei spielt insbesondere das Kräftegleichgewicht zwischen China und den USA eine wichtige Rolle, die beide ihren Einfluss in der Region wahren wollen, jeweils aber auch ein Interesse an der Stabilisierung der Lage mit Blick auf Nordkoreas Atomprogramm haben.105 Angesichts dieser Gleichung mit zahlreichen Unbekannten bleibt zu hoffen, dass sich die Weichen bald stellen werden, um eine Normalisierung der Lage auf der Koreanischen Halbinsel zu erreichen – sei es durch Vereinigung oder friedliche Koexistenz.


92 UN Doc. A/RES/2526 (XXV) v. 24.10.1970.

93 Heintze in: Ipsen (Fn. 26), § 8 Rn. 11.

94 Offen gelassen in IGH, Gutachten v. 22.07.2010, Accordance with International Law of the Unilateral Declaration of Independance in respect of Kosovo, I.C.J. Reports 2010, 403, 438; v. Arnaud (Fn. 55), § 2 Rn. 68.

95 Seiffert, Selbstbestimmungsrecht und deutsche Vereinigung, 1992, S. 82.

96 Thürer/Burri, Self determination, in: MPEPIL-Online, Rn. 40 ff.; dafür wird auch das Beispiel der Wiedervereinigung der Bundesrepublik Deutschland angeführt, vgl. C.-G. Kim (Fn. 28), S.132 ff.

97 Heintze in: Ipsen (Fn. 26), § 8 Rn. 17 ff.; v. Arnaud (Fn. 55), § 2 Rn. 68 f.

98 Ein Referendum wurde von der UN beispielsweise für die Lösung der Westsahara-Frage geplant, vgl. UN Doc. S/RES/658 (1990) v. 27.06.1990. Im Zusammenhang mit dem Zerfall Jugoslawiens wurde von der Badinter-Kommission gefordert, für die serbische Minderheit das Recht der Option einzuräumen, vgl. Heintze in: Ipsen (Fn. 26), § 8 Rn. 18.

99 Ähnlich zur Situation Deutschlands vor der Wiedervereinigung Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, 1990, S. 85.

100 Johnson, 12 Adelphia L.J. (1997), 93, 123 ff.

101 M. G. D. Chan, Korea, 2012, S. 171 ff.

102 Pfennig, 8 Brown J. World Aff. (2001/02), 115.

103 Eschborn/Y.-y. Kim (Fn. 1), S. 95 f.

104 H.-K. Shin (Fn. 58), S. 237; Terry, in: Park/Roh (Fn. 2), S. 31, 31 f.

105 Terry, in: Park/Roh (Fn. 2), S. 31, 48; K. Y. Lee, in: Stüwe/Hermannseder (Hrsg.), Die Wiedervereinigung geteilter Nationen, 2011, S. 49, 55 f.