Erbe und Leistung: Für und wider eine Ausweitung der Erbschaftsteuer

14. Streitgespräch des Bucerius Law Journal am 2. Mai 2013

Es diskutierten Professor Dr. Jens Beckert (Soziologe, Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln), Professor Dr. Gregor Crezelius (Inhaber eines Lehrstuhls für Steuerrecht an der Universität Erlangen), Professor Dr. Peter Rawert (Notar in Hamburg und Honorar-Professor an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) und Professor Dr. Anne Röthel (Inhaberin eines Lehrstuhl für Privatrecht an der Bucerius Law School in Hamburg), die auch die Moderation des Streitgespräches übernahm. Herr Beckert wurde von der Redaktion um einen einleitenden Kurzvortrag gebeten.

Beckert: Schönen guten Tag zunächst einmal, ich freue mich, heute hier an der Bucerius Law School zu sein. Mir wurden etwa fünf Minuten eingeräumt, um Ihnen die geschichtlichen Grundlinien des Prinzips Erbschaft zu skizzieren. Das ist gelinde gesagt sportlich, wenn man bedenkt, dass es sich beim Erben um eine Institution handelt, die fast die gesamte Menschheitsgeschichte umfasst und deren Betrachtung, wenn man sich auf die Neuzeit beschränkt, seit dem 18. Jahrhundert Regale an juristischen, historischen, soziologischen, anthropologischen, ökonomischen und politischen Schriften füllt. Ich möchte mich thesenhaft auf fünf Punkte konzentrieren, die sich ausschließlich mit der Erbschaftsteuer beschäftigen. Der erste Punkt: Erbschaftsteuern haben eine 3000-jährige Geschichte, sie lassen sich bereits im antiken Ägypten und Mesopotamien nachweisen. Erbschaftsteuern im moderneren Sinn sind hingegen erst vor ungefähr 100 Jahren entstanden. Ihre Einführung steht im Zusammenhang mit der Entstehung des modernen Steuerstaats. Die modernen Erbschaftsteuern zeichnen sich durch Progressivität der Steuersätze mit häufig hohen Steuersätzen aus. In den USA betrugen die Erbschaftsteuersätze beispielsweise über weite Teile der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis zu 77 Prozent des Nachlasses. Außerdem wird bei modernen Erbschaftssteuern in der Regel auch das Erbe der Ehepartner und der Kinder besteuert. Hintergrund der Einführung von Erbschaftsteuern zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren zwei Entwicklungen: Erstens die Ausweitung staatlicher Funktionen im Kontext der Industrialisierung und der Detraditionalisierung von Lebensformen. Der Staat brauchte zur Erfüllung seiner neuen Aufgaben schlichtweg mehr Einnahmen. Zweitens die Entstehung von sozialen Reformbewegungen im 19. Jahrhundert, insbesondere der Arbeiterbewegung, die sich für eine gerechte Besteuerung einsetzten. Besteuert werden sollte nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip; insbesondere die bis dahin dominierenden, degressiv wirkenden Konsumsteuern sollten reduziert werden. Die progressive Besteuerung von Vermögen im Erbgang war eine Möglichkeit hierfür. Außerdem wurde die Erbschaftsteuer durch ideologische Umorientierungen im Kontext der Aufklärung legitimiert, insbesondere dem Erstarken des Liberalismus. Liberale Gesellschaftsordnungen orientieren sich normativ am Leistungsprinzip und am Prinzip der Chancengleichheit. Dies war das Kredo des Bürgertums in seinem Kampf gegen die Aristokratie. In einem solchen Kontext ist soziale Ungleichheit dann gerechtfertigt, wenn sie die unterschiedlichen Leistungsbeiträge der Gesellschaftsmitglieder spiegelt. Erbschaften perpetuieren eine Form von sozialer Ungleichheit über die Generationen, die quer zu dem normativen Selbstverständnis des Liberalismus steht. Die Erbschaftsbesteuerung war insofern nie eine Steuer des Sozialismus. Tatsächlich hat die Sozialdemokratie sich zwar für Erbschaftsteuern ausgesprochen, war darin allerdings eher leidenschaftslos – die Steuereinnahmen konnten auch aus anderen Quellen stammen. Mein letzter Punkt: Erbschaftsteuern sind die leidenschaftlich umstrittensten Steuern. Dies steht im auffälligen Widerspruch zu ihrer faktischen Nichtergiebigkeit als Steuerquelle. Von wenigen Ausnahmen abgesehen machten Erbschaftsteuern in keinem Industrieland und zu keinem Zeitpunkt mehr als zwei Prozent des Steuer-

Streitgespräch, Erbe und Leistung (BLJ 2013, 39)40

aufkommens aus. In Deutschland sind es zurzeit unter einem Prozent, das Aufkommen liegt bei etwa vier Milliarden Euro.
Will man die Umkämpftheit der Erbschaftsteuer verstehen, muss man sich die normative Widersprüchlichkeit des Erbens und Vererbens vor Augen führen: Durch Erbschaft unverdient erlangtes Vermögen widerspricht dem Leistungsprinzip. Doch ist es nicht gerade Ausdruck des Leistungsprinzips, als Vermögensbesitzer auch entscheiden zu dürfen, an wen mein Vermögen nach meinem Tod geht? Die Möglichkeit der Vermögensvererbung ist wirtschaftlich effizient, weil es die Motivation zum Erwerbsstreben erhöht. Doch gibt es da nicht auch den BuddenbrooksEffekt? Erbschaften befördern die solidarischen Beziehungen in Familien. Wie allerdings jeder Anwalt weiß, führt kaum etwas zu ähnlich ausufernden Familienfehden, wie Erbschaften. Das Erben ist nicht Gegenstand kühler Abwägung, sondern Objekt größter Emotionalität. Schließlich: In den letzten 40 Jahren lässt sich global eine deutliche Reduzierung der Erbschaftsbesteuerung beobachten – in etlichen Ländern auch deren Abschaffung. Diese Entwicklung reiht sich in einen generellen Trend der Steuerreduzierung, insbesondere für die mobilen Wirtschaftsfaktoren ein, der im Zusammenhang mit der Durchsetzung einer angebotsorientierten oder auch neoliberalen Wirtschaftspolitik steht. Unter anderem die Reduzierung der Erbschaftsteuer hat zu der massiven Vermögenskonzentration in den Händen einer kleinen Vermögenselite beigetragen. Das reichste ein Prozent der Bevölkerung verfügt, mit einigen Differenzen zwischen den Industrieländern, über ungefähr 40 Prozent des Privateigentums. Zugleich lässt sich in den letzten Jahren ein erneutes Interesse an der Erbschaftsteuer erkennen. Hintergrund hierfür ist die eben erwähnte zunehmend ungleiche Vermögensverteilung in allen westlichen Industrienationen, die zunehmende Verschuldung staatlicher Haushalte und natürlich die Bankenkrise. Diese Entwicklungen lassen heute wieder kritisch auf die Vermögensvererbung blicken, insbesondere auf die Vererbung besonders großer Vermögen. Es lohnt sich also, über die Erbschaftsteuer nachzudenken. Und da es sich um ein Streitgespräch handeln soll, will ich zum Schluss meinen Vorschlag einbringen: Erbschaften sollten als weitere Einkommensart in die Einkommensteuer einbezogen werden und dadurch in gleichem Maße besteuert werden, wie das durch Arbeit erlangte Einkommen. Die Mehreinnahmen könnten im Gegenzug zu einer Verringerung der Einkommensteuersätze genutzt werden.
Röthel: Herzlichen Dank, Herr Beckert, das klingt schon eher nach einer Erbschaftsteuererhöhung. Herr Crezelius, wie wollen Sie anschließen?
Crezelius: Herr Beckert, das ist ja alles ganz plausibel, nur – wie alle diese Dinge, die man aus nichtjuristischer Sicht hört – weit von der steuersystematischen und von der wirtschaftlichen Realität entfernt. Deshalb nur zwei Punkte: Wir müssen erst einmal davon ausgehen, dass es anders als in allen anderen Teilrechtsordnungen keinen Sachverhalt gibt, der per se besteuerungswürdig ist. Wenn Sie ein Auto kaufen, kann es passieren, dass das Auto mangelhaft ist. Wenn Sie ein Gebäude errichten, können Sie in Konflikte mit den Nachbarn geraten. Aber es gibt keinen Sachverhalt, der die Besteuerungswürdigkeit in sich trägt. Das heißt, Sie brauchen einen Konsens, dass ein Lebenssachverhalt besteuerungswürdig ist. Und dieser Konsens ist, Herr Beckert, die Leistungsfähigkeitssteigerung, die das Individuum in die Lage versetzt, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Das ist der Punkt, der bei der Erbschaftsteuer fast immer in der nichtjuristischen Diskussion übersehen wird. Auch bei Erbschaften und Schenkungen geht es um Leistungsfähigkeitssteigerungen, die im Gegensatz zur Einkommensbesteuerung allerdings gegenleistungslos sind. Das Einkommensteuergesetz 1925 hat das sogar ausdrücklich gesagt. Die Einkommensteuer besteuert die entgeltlichen Vermögenszuwächse innerhalb einer Periode und die Erbschaft und Schenkungsteuer die unentgeltlichen Vermögenszuwächse. Deshalb ist Ihr Vorschlag, die Erbschaft in die Einkommensteuer zu inkorporieren, im Prinzip nicht verkehrt. Allerdings – und jetzt kommt die steuerrechtliche Realität – setzte das eine grundlegende Steuerreform voraus. Denn schon nach geltender Rechtslage – und wenn Sie die Erbschaftsteuer erhöhen würden, würde das noch verschärft – haben Sie exorbitante Doppelbelastungsprobleme, die man als Laie gar nicht sieht.
Ein einfaches und naheliegendes Beispiel: Eine Mutter hat vor drei Jahren eine Immobilie für 100.000 Euro gekauft. Heute stirbt sie, die Immobilie hat einen Wert von 200.000 Euro. Die Tochter zahlt auf 200.000 Euro Erbschaftsteuer. Und wenn die Tochter das Haus im nächsten Jahr verkauft, zahlt sie noch einmal auf 100.000 Euro Einkommensteuer. Das heißt kumuliert sind Sie bei Belastungen, die über 60 bis 70 Prozent liegen können. Die Erbschaftsteuer kann daher nur durch eine systematische Abstimmung mit der Einkommensteuer reformiert werden. Deshalb habe ich immer vertreten, die Erbschaftsteuer solle sozusagen wie ein „Soli“ als Zuschlag zur Einkommensteuer erhoben werden, weil dann auch das Problem der fehlenden Liquidität im Erbschaftsfall gelöst wird. Das ist der zweite Punkt, den man wirtschaftlich nicht übersehen darf. Stellen Sie sich ein Unternehmen vor, welches eine Bilanzsumme von 50 Millionen Euro hat, aber nur 1 Millionen Euro in der Kasse. Wegen seiner hohen Ertragskraft hat das Unternehmen einen Wert, der die Bilanzsumme deutlich übersteigt, z.B. 100 Millionen Euro. Dieser hohe Wert ist aber nicht liquide und fungibel. Das heißt, wenn der Erblasser oder die Erblasserin zu Lebzeiten nicht genug Entnahmen getätigt hat, um die Erbschaftssteuer zu begleichen, sich also eigentlich im volkswirtschaftlichen Sinne „unfreundlich“ verhalten hat, weil er oder sie das Geld für Konsumzwecke aus dem Unternehmen genommen hat, dann gibt es im Erbfall oder im Falle der Schenkung das Problem, dass nicht genügend Geld für die Begleichung der Erbschaftsteuerschuld vorhanden ist. In diesem Zusammenhang ist auf Vorschläge zu verweisen, die Erbschaftsteuer notfalls durch Verkauf von Unternehmensteilen oder gar im Wege der Beteiligung des Fiskus zu begleichen. Letzteres ist der Idee des Steuerstaates konträr und letztlich der Weg in ein planwirtschaftliches System. Ja, Sie lachen, daher folgender Hinweis: Im November 1989 hatte die DDR 17 Millionen Einwohner. Das Land NordrheinWestfahlen hatte ebenfalls rund 17 Millionen Einwohner und dabei 21.000 Beschäftigte in der Finanzverwaltung. Die damalige DDR unter 200. Jetzt werden Sie sagen: War das ein Hort der Freiheit? Im Gegenteil: Weil dort der Staat nämlich prinzipiell selbst gewirtschaftet hat. Der Steuerstaat ist dahingegen dadurch gekennzeichnet, dass er an die privatrechtlich erwirtschafteten Ergebnisse anknüpft und sich seinen Teil nimmt – und wenn Sie durch erdrosselnde Steuern dazu kommen, dass dieser Teil nicht zur Verfügung steht, dann sind Sie auf dem Weg zu einem staatswirtschaftlichen System.
Röthel: Ja, Herr Crezelius, das waren starke Worte. Herr Rawert, sind wir soweit, dass die Erbschaftsteuer uns erdrosselt?

Streitgespräch, Erbe und Leistung (BLJ 2013, 39)41

Rawert: Nein, sind wir gewiss nicht. Ich würde zunächst mal mit meinen Erfahrungen aus der Praxis beginnen: Es gibt eine unglaubliche Angst vor der Erbschaftsteuer und der Witz ist, dass die Leute die meiste Angst haben, die die Erbschaftsteuer gar nicht trifft. Das sind nämlich die sogenannten „kleinen Leute“, die ein mittleres bürgerliches Vermögen erwirtschaftet haben und nun fürchten, dass ihnen dieses Vermögen gewissermaßen im Erbschaftsfall weggesteuert wird. Diese Angst kann man den Leuten in der Regel sehr schnell nehmen, weil wir in der Bundesrepublik Deutschland hohe Freibeträge haben. Wir haben zudem eine Fülle von Ausnahmen und Verschonungsregeln, die noch weit über die Freibeträge hinausgehen und man kann ein Vermögen von zwei bis drei Millionen Euro heute, wenn ein Ehepaar das im Laufe seiner Lebens erwirtschaftet hat, eigentlich ohne Erbschaftsteuer in die nächste Generation übertragen; schlimmstenfalls mit einer nur recht geringen Steuerbelastung. Anders ist es bei Leuten, die wirklich große Vermögen haben. Nur die beweisen dann häufig, dass die Erbschaftsteuer in Deutschland, unter anderem wegen der von Herrn Crezelius bereits angeführten Privilegierungen von Unternehmen, letztlich eine Dummensteuer ist. Wenn Sie sich rechtzeitig darum kümmern, eine erbschaftsteuergünstige Vermögensplanung zu machen, dann sind Sie auch in der Lage, ein Vermögen in dreistelliger Millionenhöhe nahezu erbschaftsteuerfrei in die nächste Generation zu bringen, was an den Verschonungsregeln unseres Erbschaftsteuerrechts liegt, die in hohem Maß problematisch sind.
Aber im Allgemeinen, egal wen es trifft, besteht bei den Betroffenen ein fundamentales Missverständnis, was im Erbfall eigentlich besteuert wird. Es wird immer so getan, als sei die Erbschaftsteuer die reinste Form einer Doppelbesteuerung. Das ist sie aber nicht. Es ist schon angesprochen worden: Wir besteuern in Deutschland nicht einen Nachlass, sondern den Anfall eines Nachlasses bei einer bestimmten Person. Wir gehen davon aus, dass jemand, der von Todes wegen oder durch Schenkung etwas erwirbt, leistungsfähiger wird. Und genauso wie wir das erarbeitete Einkommen – also die durch Arbeit gesteigerte Leistungsfähigkeit – mit der Einkommensteuer besteuern, genauso wollen wir eben auch den nicht durch Leistung erwirtschafteten Zuwachs an Leistungsfähigkeit besteuern.
Das Problem der Erbschaftsteuer besteht aus meiner Sicht hauptsächlich darin, dass diese Steuer nicht mehr akzeptiert wird, weil es zu viele Gestaltungsmöglichkeiten gibt, die es eben gerade bei großen Vermögen möglich machen, sich der Steuer zu entziehen. Und das kann man den Leuten, die Gestaltungsmöglichkeiten nutzen, gar nicht vorwerfen. Also wenn Sie in der Situation wären, 30 Millionen Euro Erbschaftsteuer mit absolut legalen Mitteln vermeiden zu können, dann würden Sie das auch tun. Deshalb ist es auch perfide, wenn die Politik gerade im Wahljahr schreit und gleichsam im Wege einer Reichenhatz auf die Leute zeigt und sagt: Das sind die Bösen, die irgendwelche CashGmbHs ausnutzen. Letztlich ist das alles ein von der Politik und der Finanzverwaltung selbst gemachtes Problem und man ist nicht hinreichend willens, es wieder zu beseitigen.
Ich glaube, und da schließe ich mich Herrn Beckert an, rechtssystematisch wäre es in der schönsten der möglichen Welten so, dass die Erbschaftsteuer ein Unterfall der Einkommensteuer wäre. Das Problem der latenten Steuern, das Sie, Herr Crezelius, angesprochen haben, also dass in einem Nachlass vielleicht stille Reserven liegen, die aufgedeckt werden können und dann nochmals der Besteuerung unterliegen, kann man in der schönsten der möglichen Welten auch in den Griff bekommen. Aber im Ansatz halte ich es auch für richtig, dass man Erbschaftsteuern tendenziell erhöht und Einkommensteuern tendenziell senkt. Ich sage es aber auch gleich, ich wehre mich gegen jede Form von Neiddebatte und jede Form von verbaler Hatz auf Menschen, die etwas mehr verdienen, so wie sie zur Zeit unter dem Stichwort Vermögensabgabe oder Vermögenssteuer geführt wird. Das finde ich eine ganz unwürdige Debatte. Das will ich nur gleich zu Beginn klargestellt wissen.
Röthel: Was wir sicherlich schon gemerkt haben ist, dass man über Erbschaftsteuer kaum diskutieren kann, ohne eine gewisse Aufgeregtheit zu erzeugen und zu empfinden. Herr Beckert, Sie haben bereits wissenschaftlich aufgearbeitet, dass diese Diskurse sehr intensiv und emotional geführt werden. Es geht um besonderes Geld und besondere Beziehungen, die da eine Rolle spielen. Aber es gibt offensichtlich auch Rechtsordnungen wie das benachbarte Österreich, die die Erbschaftsteuer abgeschafft haben, uns aber ansonsten möglicherweise recht ähnlich sind. Würde die Abschaffung der Erbschaftsteuer auch für Deutschland passen, etwa im Hinblick darauf, wie wir „Familie“ diskutieren und bewerten, wie wir zu Vermögen stehen oder wie leistungsorientiert wir sind?
Beckert: Nicht unbedingt. Vergleicht man Deutschland mit den angelsächsischen Rechtsordnungen, dann gibt es hier einen deutlichen Unterschied, wenn man das geschichtlich betrachtet. In den angelsächsischen Gesellschaften sind Erbschaften und besonders die Vererbung von großen Vermögen, immer als sehr viel problematischer betrachtet worden als das in den kontinentaleuropäischen Gesellschaften und deren Diskursen über das Erbrecht und die Erbschaftsbesteuerung der Fall war. In den angelsächsischen Ländern spielt das Prinzip der Chancengleichheit im kulturellen Selbstverständnis eine stärkere Rolle als in kontinentaleuropäischen Ländern. Wenn man über Chancengleichheit spricht, spielt es eine wichtige Rolle, was der Ausgangspunkt ist, von dem aus der Wettbewerb um die wirtschaftlichen Ressourcen und um gesellschaftliche Teilhabe beginnt. Vor diesem normativen Hintergrund wurde der ungleiche Ausgangspunkt immer als besonders problematisch betrachtet. Sie müssen sich die feudalen und aristokratischen historischen Entwicklungen in den kontinentaleuropäischen Gesellschaften vor Augen führen, um zu verstehen, weshalb diese Aspekte dort eine weniger große Bedeutung hatten. In Deutschland spielt in den Auseinandersetzungen um das Erbrecht immer das Prinzip der Familie eine ganz wichtige Rolle. Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurde Eigentum gar nicht mal so als individuelles Eigentum betrachtet, sondern stärker als Gemeinschaftseigentum der Sippe, so dass der Erbgang eigentlich nicht der Übergang von Eigentum von einer Person auf die andere war, sondern gewissermaßen der „Austritt“ der verstorbenen Person aus einem gemeinschaftlichen Eigentum. Mit diesem Verständnis der Bedeutung von Erbschaft als familiärem Vermögen geht einher, dass die Erbschaftsteuer als viel problematischer angesehen wird als in den stärker individualistisch orientierten angelsächsischen Gesellschaften. Und das spiegelt sich in der Institutionalisierung der Erbschaftsteuer im 20. Jahrhundert darin, dass die Erbschaftsteuer in den angelsächsischen Rechtsordnungen lange Zeit sehr viel höher war als bei uns. Ich hatte vorhin erwähnt, dass es in den USA bis in die frühen 80er Jahre Progressionssätze von bis zu 77 Prozent gab.

Streitgespräch, Erbe und Leistung (BLJ 2013, 39)42

Auch da waren enorme Steuervermeidungsmöglichkeiten durch Ausnahmetatbestände eröffnet, aber zunächst einmal, und das ist ja vielleicht überraschend, gibt sich eine Gesellschaft, die sich so stark dem Unternehmertum und der freien Initiative verschreibt, solch hohe Steuersätze. Sehr viel höher als jemals in Deutschland.
Röthel: Sie haben jetzt ein inneres Ordnungsprinzip hervorgehoben, das unsere Erbschaftsteuer stark prägt: Das ist die Orientierung auf die Familie, die auch unser materielles Erbrecht durchzieht. Herr Crezelius, Sie haben ja auch immer das Augenmerk auf das Unternehmen, das mit § 13a und dem § 13b ErbStG zum besonders privilegierungswürdigen Vermögen gezählt wird. Was gibt es für Querelen und Kautelen rund um § 13a und diesen § 13b?
Crezelius: Also, da muss man natürlich die Historie sehen. Das Bundesverfassungsgericht hat in den 90er Jahren gesagt, dass das Betriebsvermögen, also das unternehmerische Vermögen, einer gewissen Gemeinwohlbindung unterliege – was man im Grundsatz schon sehr kritisch sehen kann. Es ist volkswirtschaftlich unstreitig, dass sich der Sparer volkswirtschaftlich genauso „unternehmerisch“ betätigt wie der unmittelbar unternehmerisch Tätige, denn die Bank, der er seine Einlage gibt, gibt diese ja auch als Darlehen weiter. Man hat trotzdem Regelungen getroffen, die unternehmerisches Vermögen begünstigen. Die sind dann nochmal geändert worden, und im Augenblick ist es so, dass sie – Herr Rawert hat das ja mit der berühmten CashGmbH schon angedeutet – ein Unternehmensvermögen haben, das bis zu 100 Prozent begünstigt sein kann, wenn sie in diesem Unternehmen nur bares Geld halten. Das hat der Bundesfinanzhof wieder dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt und dieses will angeblich in diesem Jahr darüber entscheiden. Der Stand der Dinge ist so, dass der Präsident des Bundesverfassungsgerichts auf einer Pressekonferenz gesagt hat, das Gericht wolle in diesem Jahr entscheiden. Da keine Stellungnahmen eingeholt worden sind, kann das aus meiner Sicht nur bedeuten, dass der Vorlagebeschluss mangels Entscheidungserheblichkeit unzulässig ist oder dass das Gericht einfach sagen wird: „Das ist verfassungswidrig.“ Das heißt, dann werden wir wieder die Diskussion über die Behandlung unternehmerischen Vermögens in der Erbschaftsteuer haben. In dem Augenblick, in dem sie unternehmerisches Vermögen begünstigen und damit anders behandeln als Privatvermögen, geben Sie ja dem unternehmerischen Vermögen eine andere Qualität als dem Privatvermögen und behandeln damit das unternehmerische Vermögen wie ein „Unternehmenansich“ im Rathenau’schen Sinne. Und das halte ich für eine ungute Entwicklung, weshalb ich meine, man sollte von einer Privilegierung unternehmerischen Vermögens absehen und andererseits, was ich eben schon gesagt habe, Regelungen treffen, die die Liquiditätsbelastung der Unternehmen vermeiden – was durchaus möglich ist! Im Übrigen ist auf die hohen Freibeträge hinzuweisen, die zum einen das Erbschaftsteueraufkommen reduzieren und weiterhin zur Folge haben, dass nur ein Bruchteil der steuerpflichtigen Erbfälle tatsächlich besteuert wird. Damit ergibt sich ein Konflikt zur Allgemeinheit der Besteuerung.
Beckert: Da würde ich gerne einhaken. Es ist wichtig zu verstehen, wie Vermögen in der Gesellschaft verteilt ist. Ich hatte ja in meiner Einführung gesagt, dass 40 Prozent des Vermögens beim obersten Prozent der Bevölkerung liegen. Die untere Hälfte der Bevölkerung verfügt über überhaupt kein Vermögen. Insofern können Sie da keine Erbschaftsteuer erheben. Die reichsten zehn Prozent der Haushalte verfügen über ungefähr über 60 Prozent des Vermögens, die 40 Prozent zwischen dem zweiten und dem fünften Zehntel verfügen über 40 Prozent des Privatvermögens. Wenn man sich Erbschaftsstatistiken anschaut, dann haben weniger als ein Prozent der Erbschaften einen Wert von über 500.000 Euro. Also, wenn wir hier mal locker über zwei bis drei Millionen Euro sprechen und sagen, das sei der normale bürgerliche Haushalt, dann sprechen wir tatsächlich wir über die 0,1 Prozent der reichsten Haushalte. Es gab – das lässt sich in der Erbschaftsteuerstatistik 2011 nachlesen – im Jahr 2011 ungefähr 250 Erbschaften in der Bundesrepublik, die ein zu versteuerndes Vermögen von über fünf Millionen Euro hatten. 250 bei über 800.000 Todesfällen! Gleichzeitig haben diese 250 Erben ungefähr 25 Prozent der Erbschaftsteuer, also eine Milliarde Euro von den insgesamt vereinnahmten ungefähr vier Milliarden Euro aufgebracht. Wenn man über Erbschaftsteuer spricht, muss man sich die Vermögensverteilung in der Gesellschaft anschauen. Die Vermögensverteilung ist radikal ungleich – sehr viel ungleicher als die Einkommensverteilung. Das heißt, wenn Sie das Erbschaftsteueraufkommen erhöhen möchten, dann werden sie nicht darum herum kommen, dass es immer eine Steuer sein wird, die bei den oberen zehn, bei den oberen 20 Prozent der Bevölkerung zur Geltung kommt.
Röthel: Darf ich da noch mal nachhaken? Wahrscheinlich ist es doch so, dass die Vermögensbildung in Deutschland stark an unternehmerisches Vermögen geknüpft ist. In abhängiger Beschäftigung ist es doch schwieriger, erhebliches Vermögen zu erwirtschaften.
Crezelius: Also, wenn Sie Vorstand der Deutschen Bank sind, sind Sie auch abhängig beschäftigt. Da verdienen Sie das Geld einfacher als ein Unternehmer!
Röthel: Aber wenn wir davon ausgehen, dass Vermögensbildung jedenfalls häufig mit unternehmerischer Tätigkeit zu tun hat, wäre es nicht dann geradezu irrsinnig, dass wir genau das Vermögen maßgeblich privilegieren, das an dieser Vermögensungleichverteilung typischerweise beteiligt ist?
Rawert: Aber es gibt ja nun – da müssen Sie ja nur einmal durch Hamburg gehen! – Tausende von Immobilien in privater Hand, die in den letzten Jahrzehnten eine enorme Wertsteigerung erfahren haben. Ich weiß nicht, wie solche Dinge statistisch erfasst werden. Im Zweifelsfall gar nicht. Also, es gibt schon erhebliches nichtunternehmerisches Vermögen, das sich über Generationen akkumuliert hat und das letztendlich kaum erfasst wird. Ich denke, das geht weit über das unternehmerische Vermögen hinaus. Und beim unternehmerischen Vermögen sind wir uns im Ergebnis alle einig, dass man das nicht per se privilegieren sollte. Das Schlimme ist ja, dass der Gesetzgeber damit eine gewisse Lenkungsidee verfolgt hat und es darüber auch überparteilich eine große Einigkeit in der Hinsicht gab, aber dass die Frage, ob die Privilegierung notwendig war, nie seriös erläutert oder erörtert worden ist. Der wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums hat – ich glaube 2012 – in einem Gutachten festgestellt, dass 90 Prozent aller steuerlich privilegierten Unternehmensübergänge sich bei Unternehmen abspielen, die weniger als 20 Mitarbeiter haben und bei denen diese Lenkungsidee – „Wir wollen Erbschaftsteuerverschonungen haben, um die Betriebe und damit die Arbeitsplätze nicht zu gefährden“ – schon von Gesetzes wegen nicht greift, und dass es im Übrigen eine wissenschaftlich unbewiesene Tatsache ist, dass Unternehmen durch die Erbschaftsteuer zerstört werden. In

Streitgespräch, Erbe und Leistung (BLJ 2013, 39)43

der Tat könnte man sich subtilere Mechanismen als eine völlige Steuerverschonung ausdenken, um Erben eines Unternehmers unzumutbare Liquiditätsabflüsse zu ersparen. Ich glaube, man müsste als Gesetzgeber nur ein wenig Gestaltungsphantasie haben, um diese Probleme in den Griff zu bekommen Aber da gibt es zu viele divergierende Interessen, die auseinander zerren. Und deshalb findet das nicht statt.
Crezelius: Herr Rawert, Sie haben vollkommen Recht: Das Gutachten des wissenschaftlichen Beirats stützt sich auch nur auf Behauptungen. Denn bei dem Grundproblem, das Sie anschneiden, sind wir uns alle einig: Nach derzeit herrschender Meinung ist die Erbschaftsteuer als Substanzbelastung gedacht. Und das ist es, was die wohlhabenden Unternehmer scheuen. Sie haben Angst, dass ihr Vermögen zerschlagen wird. Man müsste also zu einem Konzeptionswechsel kommen, zu einer Sollertragsteuer. Nochmal: Die meisten Unternehmer, die ich kenne, sind durchaus bereit Erbschaftsteuer zu bezahlen. Das gilt fast ohne Ausnahme. Gleichzeitig wollen sie aber nicht, dass Teile ihres Unternehmens anlässlich des Erbfalls veräußert werden müssen. Und das ist richtig, weil der Mittelstand geschont werden soll. Dieses Problem löst man aber, wenn über die nächsten zehn oder zwanzig Jahre ein Zuschlag zu den erzielten Erträgen zu zahlen ist. Da gibt es sicherlich technische Probleme, aber das könnte man machen. Dazu war die Politik in den letzten zwanzig Jahren aber offensichtlich nicht bereit. Auch weil es augenscheinlich an Ideen gemangelt hat. Man hat immer weiter „gewurstelt“, weil andere Länder das auch so gemacht haben.
Röthel: Sie setzen jetzt aber voraus, dass man rational, objektiv und entspannt über diese Dinge sprechen kann. Das glaube ich zum Beispiel nicht: Es wird immer so sein, dass Debatten über das Erben und die Erbschaftsteuer sehr emotional geführt werden. Nicht nur im Hinblick auf die Vermögensumverteilung, sondern auch weil der gesamte Vorgang des Erbens und Vererbens immer hochgradig emotional ist.
Rawert: Die Frage war eben, ob man die Erbschaftsteuer in Deutschland nicht sogar abschaffen sollte. Ich glaube, dass man mit guten Argumenten vertreten kann, dass eine Abschaffung der Erbschaftsteuer – so denn der eigentliche Steuertatbestand der Zugewinn an Leistungsfähigkeit ist – schlicht verfassungswidrig wäre. Wie komme ich mir denn vor als jemand, der seine Leistungsfähigkeit durch ein Arbeitseinkommen erzielt, im Vergleich zu jemandem, der ein – ich verwende dieses Wort ohne jeden Neidkomplex – leistungsloses Einkommen erwirbt und so eine Steigerung seiner Leistungsfähigkeit erfährt? Das kann ja eigentlich nicht sein. Ich hielte die Abschaffung der Erbschaftsteuer, also einen vollständigen Verzicht auf sie, wie beispielsweise in Österreich praktiziert, für gleichheitswidrig.
Crezelius: Herr Rawert, Sie haben vollkommen Recht. Ich bin aber immer ein wenig skeptisch mit dem „leistungslosen“ Einkommen. Das Steuerrecht ist neutral: Einkommen ist Einkommen. Ob die Ursache des Einkommens eine entgeltliche oder unentgeltliche ist, ist bedeutungslos. Ungeachtet dessen bin ich dafür, dass es eine Erbschaftsteuer gibt. Denn das Argument „das ist ja schon versteuert“, ist ein Scheinargument. Das hat heute auf dem Podium zwar noch keiner gebracht, von Laien hört man es aber immer wieder. Bei dem Erben oder Beschenkten ist die Erbschaft eine neue Steigerung der Leistungsfähigkeit. Da sind wir uns einig. Man muss nur ein bisschen Fantasie entwickeln, um das technisch zu bewältigen. Und wenn so etwas schonend gemacht wird, gibt es auch keine Vermeidungsstrategien mehr.
Beckert: Mein Vorschlag, Erbschaften als weitere Einkommensart in die Einkommenssteuer einzubeziehen, zielt nicht vornehmlich auf den steuersystematischen Aspekt. Worum es mir geht, ist der normative Gesichtspunkt, den Herr Rawert jetzt auch noch einmal angesprochen hat. Wie kann es in einer Gesellschaft sein, die sich als Leistungsgesellschaft versteht, dass Arbeit so hoch besteuert wird und leistungsfrei erlangtes Vermögen, also Erbschaften, so niedrig? Um noch ein paar Zahlen zu nennen: Die unteren Schätzungen des jährlich in Deutschland vererbten Vermögens belaufen sich auf 100 Milliarden Euro. Die höheren Schätzungen gehen bis 250 Milliarden Euro. Die Zahlen sind nicht eindeutig, weil es natürlich keine systematische Erfassung aller Erbschaften gibt. .Wenn wir von den 100 Milliarden Euro ausgehen, dann bedeuten die vier Milliarden Euro Erbschaftssteuer eine Besteuerung von vier Prozent im Durchschnitt. Der höchste Erbschaftsteuersatz von 30 Prozent in der ersten Erbschaftsteuerklasse wird erst bei einem zu versteuernden Erbe von 26 Millionen Euro erreicht. Solche Erbschaften gibt es nicht mehr als eine Hand voll. Deutschlands Erbschaftsteuer ist die einzige bei der die höchste Progressionsstufe erst bei einem so hohen Betrag einsetzt. In anderen Ländern sind das nicht über fünf Millionen Euro. Auch sehr große Erbschaften an Kinder, und Ehepartner – was bei weitem den größten Teil der Erbschaften ausmacht – werden also oft noch nicht einmal mit dem Steuersatz von 30 Prozent besteuert. Beim Einkommen hingegen erreichen wir bei Verheirateten die höchste Progressionsstufe, die „Reichensteuer“ bei 250.000 Euro. Hier wird also mit ganz unterschiedlichen Maßstäben gemessen. Und diese unterschiedlichen Maßstäbe stehen quer zu unserem gesellschaftlichen Selbstverständnis. Wir besteuern Leistung, die durch Arbeit erbracht wird, hoch und Erbschaften, die „mühelos“ erlangt werden, niedrig. Viel schlüssiger wäre, Erbschaften zumindest so hoch zu besteuern wie Einkommen aus Arbeitsleistung.
Crezelius: Und wie lösen Sie das Fungibilitätsproblem? Das ist ja kein bares Geld. Ein Kennzeichen von Einkommen ist, dass es liquide ist.
Beckert: Ich stimme Ihnen da voll zu. Ich habe Ihrer Diskussion über die Schwierigkeiten bei Unternehmensnachfolgen zugehört. Es ist völlig klar, dass es Regelungen im Erbschaftsteuerrecht geben muss, die das Liquiditätsproblem von Unternehmen in Betracht ziehen. Da gibt es überhaupt keinen Dissens. Es kann nicht sein, dass Unternehmen auf Grund der Erbschaftsteuer verkauft oder liquidiert werden müssen. Ich glaube aber, dass man hier mit intelligenten Lösungen im Erbschaftsteuerrecht eine Lösung finden kann. Ich habe sehr aufmerksam zugehört, als Sie gesagt haben, dass man das begleitend als Aufschlag auf die Ertragsteuer ausgestalten kann. Wir sind uns aber auch völlig einig, dass auch Vermögen von Unternehmen der Erbschaftsteuer unterliegen sollen.
Röthel: Eine Nachfrage: Wenn man diesen Vorschlag der Integration in die Einkommenssteuer und die normative Ausprägung des Leistungsgedankens weiterdenkt, heißt das dann, dass die Steuerklassen fallen, wie wir sie im Moment haben? Dass wir also im Grundsatz nicht mehr danach unterscheiden sollten, wer der Empfänger des vererbten Vermögens ist?
Beckert: Diese Unterscheidung von Empfängerklassen hat eine lange historische Tradition: Es hat gewissermaßen eine höhere Dignität in der Solidarbeziehung der unmittelbaren

Streitgespräch, Erbe und Leistung (BLJ 2013, 39)44

Familie zu vererben als nach außen. Das ist eine Ausgestaltung, die darauf zielt, die Kernfamilie durch den Vermögensübergang zu schützen und zu privilegieren. Für mich ist das eine andere Diskussion und ich möchte hier nicht dafür plädieren die Erbschaftsteuerklassen und damit dieses Solidarprinzip in der Familie in Frage zu stellen.
Crezelius: Das wäre ja auch ein Verstoß gegen Art. 6 GG. So ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Rawert: Es ist rechtstechnisch natürlich schwer, die Erbschaftsteuer in unser System der Einkommenssteuer einzufügen. Das hängt ja schon damit zusammen, dass die Einkommenssteuer eine Periodensteuer ist, aber eine Erbschaft zu einem einmaligen Zeitpunkt auf jemanden „herabfällt“. Das führt im Jahr X dann dazu, dass möglichweise exorbitante Steuersätze erreicht werden. Nur wenn man diesen Erbanfall etwa über einen Zeitraum von zehn Jahren verteilen würde, sähe das anders aus. Die Ausgestaltungsschwierigkeiten ändern aber nichts daran, dass es vom Grundansatz her richtig wäre, so zu verfahren. Freilich: Es wird nicht dazu kommen, denn wenn das in der Politik diskutiert wird, dann wird gesagt: Das kann ja dazu führen, dass ich am Ende eines Erbfalles tatsächlich Vermögen, das nicht Liquide ist, veräußern muss. Dann muss man aber entgegenhalten: Unser ganzes Erbrecht ist von einem gewissen Zerschlagungsgedanken getragen. Das Pflichtteilsrecht – das wird Frau Röthel jetzt wahrscheinlich bestreiten – hat eine gewisse Zerschlagungsfunktion. Und wie Herr Beckert gleich zu Anfang gesagt hat: Unsere bürgerliche Gesellschaft hat sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch dadurch konstituiert, dass man dafür gekämpft hat, dass größere Vermögen im Interesse von Newcomern zerschlagen werden. Das klingt sozialistisch, ist es aber nicht. Das ist liberal. Wenn jemand ein Mietshaus erbt, auf das er 300.000 Euro Erbschaftsteuer oder Einkommensteuer zahlen muss, das Haus aber tatsächlich eine Million wert ist, dann muss er es entweder beleihen oder er muss es verkaufen. So einfach ist das – das muss man hinnehmen. Und Herr Crezelius hat es am Anfang gleich gesagt: Wir können natürlich sagen: „Steuer finden wir alle ganz schlecht.“ Aber in einem Staat, in dem man keine Steuern zahlen muss, wollen wir auch nicht leben, denn da ist der Staat der einzige Unternehmer. Man bezahlt eben für seine Freiheit und die staatliche Infrastruktur. Das muss man den Leuten vermitteln. Und da würde ich sagen, ist doch erhebliche politische Aufklärungsarbeit zu leisten, um der Bevölkerung und auch der Politik selbst zu erklären, dass die Erbschaftsteuer durchaus richtig ist.
Röthel: Aber wenn man das weiterdenkt, denn hieße das doch, dass wir auch die Zerschlagung von Unternehmen hinnehmen können.
Rawert: Da sprechen Sie ein Dogma an. Man kann ja in Deutschland alles damit verhindern, dass man sagt, es würde Arbeitsplätze vernichten. Wenn irgendjemand fordert: „Tempo 130 auf deutschen Autobahnen!“, dann geht der ADAC hin und hält dagegen: „Wenn das eingeführt wird, dann werden in Deutschland 248.758 Arbeitsplätze verloren gehen, weil bei irgendwelchen Unternehmen nicht mehr so schnelle Motoren gebaut werden.“ Das Arbeitsplatzargument ist ein Totschlagsargument, mit dem man jede weitere Debatte erledigen kann. Es ist noch ökonomisch der Beweis zu führen, dass die Zerschlagung eines Unternehmens wirklich dazu führt, dass Arbeitsplätze gesamtvolkswirtschaftlich verloren gehen. Das Argument kann man nicht so stehen lassen.
Crezelius: Aber Frau Röthel, das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn Sie müssen Folgendes sehen: Gerade die Unternehmer haben Angst vor der Erbschaftsteuer und diese Angst wird ihnen jetzt seit 20 Jahren mit Verschonungen und dem Argument „Wir schützen Arbeitsplätze“ genommen. Das führt ja auch zu einer gewissen Immobilität, denn sie müssen die Lohnsummen durchhalten, teilweise bis zu sieben Jahre. Sie könnten die unternehmerische Angst, Teile des Unternehmens veräußern zu müssen, durch einen Konzeptionswechsel in ein Ertragsteuersystem nehmen. Wenn Sie das allgemeiner sehen, Herr Rawert, dann ist das ja ein ganz allgemeines Thema, dass die Politik den Einflüssen von Gruppen unterliegt, die das Zahlen von Steuern per se für etwas Schlechtes halten. Wir sind uns hier allerdings wohl einig, dass das Zahlen von Steuern ein Kennzeichen von Freiheit ist.
Rawert: Ja, eine Kulturleistung.
Crezelius: Und deshalb ist es ja so schade, dass das in der Politik nicht zur Kenntnis genommen wird. Man sollte für einen Bewusstseinswechsel dahin sorgen, dass Steuerzahlen etwas mit Freiheit zu tun hat. In Ländern mit hoher Steuermoral haben Sie in aller Regel eine hohe Identifizierung mit dem Gemeinwesen. Und die fehlt uns. Insoweit ist das gar kein technisches Problem, sondern ein allgemeines gesellschaftspolitisches Problem, glaube ich.
Beckert: Es gibt, von der politischen Seite betrachtet, vermutlich keine Steuer, die politisch so gefürchtet ist, wie die Erbschaftsteuer. Das hängt mit der hohen Emotionalität zusammen, die mit dem Thema verbunden ist. Hier führen wir heute eine ausgesprochen sachliche Diskussion. Das ist schon eher selten, denn normalerweise kommt sofort das Argument der „Neidsteuer“, mit dem die weitere Diskussion abgewürgt wird. Die Erbschaftsteuer erbringt zurzeit Steuereinnahmen von ungefähr vier Milliarden Euro. Das ist weniger als ein Prozent des Steueraufkommens. Selbst wenn die Politik sagen würde: „Wir verdoppeln das Erbschaftsteueraufkommen“, dann gewinnt sie kaum mehr als einen halben Prozent des Gesamtsteueraufkommens. Aber dafür müsste sie massiven politischen Widerstand in Kauf nehmen. Wir hatten Anfang der 2000er Jahre die Erhöhung der Umsatzsteuer Das bringt ungefähr acht Milliarden Euro pro Umsatzsteuerpunkt. Wenn Sie sich an die Debatte erinnern: Das ist gewissermaßen einfach so durchgewunken worden. Aus der Position des Politikers ist das gut nachvollziehbar. Würden Sie sich mit der Emotionalität auseinandersetzen wollen, die mit Erbschaftsteuererhöhungen verbunden ist, um eventuell nochmals 4 Milliarden Euro zu bekommen, oder würden Sie zu dem Schluss kommen: Wir erhöhen erneut die Umsatzsteuer um ein halbes Prozent, um das gleiche Ergebnis zu erzielen?
Crezelius: Ich meine, Herr Beckert, es kommt ja noch ein anderer Punkt hinzu zum Stichwort Umsatzsteuer. Die Umsatzsteuer ist eine indirekte Steuer, das heißt, Sie zahlen die Umsatzsteuer, wenn Sie etwas kaufen, aber Sie sind nicht der, der die Steuer an das Finanzamt abführt. Indirekte Steuern sind tendenziell unsozial. Das spielte schon im berühmten Steuerstreit zwischen Bismarck und Lassalle eine Rolle, weil Sie bei den indirekten Steuern eben nicht nach Leistungsfähigkeit differenzieren können. Ein Punkt Umsatzsteuererhöhung trifft den Steuerzahler mit einem Nettomonatseinkommen von 2.000 Euro stärker als denjenigen mit einem Nettoeinkommen von 10.000 Euro. Darüber wird überhaupt nicht mehr gesprochen. Wir haben im Moment eine Verteilung

Streitgespräch, Erbe und Leistung (BLJ 2013, 39)45

direkte/indirekte Steuern, bei der die indirekten Steuern ca. 52 Prozent ausmachen. Das ist ein sehr hoher Anteil indirekter Steuern. Das heißt, wenn man sich jetzt auf den Standpunkt der SPD stellt, müsste man eigentlich tendenziell für eine Senkung der indirekten Steuern plädieren und für eine Erhöhung der direkten Steuern. Darüber wird gar nicht mehr geredet. Wenn der Staat Geld braucht, ist die Erbschaftsteuer das verkehrte Medium, denn selbst eine Verdoppelung brächte nur acht Milliarden Euro. Wenn Sie demgegenüber die Einkommensteuer erhöhen, dann bringt das in jedem Jahr erheblich mehr.
Rawert: Das eigentliche Problem besteht doch darin, dass es innerhalb der Systeme an Folgerichtigkeit mangelt. Das ist es, was den Verdruss bei der Bevölkerung erregt und was dann dazu führt, Vermeidungsstrategien anzupeilen. Man sagt sich: Hierfür muss Steuer, aber dafür muss keine Steuer gezahlt werden. Dann schichte ich doch mein Vermögen lieber um und stopfe es in eine GmbH und gebe es dann im Wege der Schenkung in die nächste Generation. Das größte Problem ist der Mangel an Konsequenz innerhalb der einzelnen Steuerarten, und zwar insbesondere bei der Erbschaftsteuer. Da müsste man sich dransetzen, aber es gibt eben zu viele Interessengruppen. Und unter uns: Diese Betriebsvermögensschonung ist ja nicht etwas, was nicht nur Unternehmer gut finden. Auch die Gewerkschaften finden das grandios, weil dahinter wieder das Dogma der Arbeitsplatzerhaltung steht. Das ist heilig. Und wenn sie das in den Raum stellen, dann kriegen Sie von allen Seiten Applaus. Dann jubeln Schwarze und Rote. Und auf der Strecke bleibt ein konsistentes System.
Crezelius: Ich meine, Herr Beckert, es kommt ja noch ein anderer Punkt hinzu zum Stichwort Umsatzsteuer. Die Umsatzsteuer ist eine indirekte Steuer, das heißt Sie zahlen die Umsatzsteuer, wenn Sie etwas kaufen, aber Sie sind nicht der, der die Steuer an das Finanzamt abführt. Indirekte Steuern sind ja tendenziell unsozial. Das spielte schon im berühmten Steuerstreit zwischen Bismarck und Lassalle eine Rolle, weil Sie bei den indirekten Steuern eben nicht nach Leistungsfähigkeit differenzieren können. Der Punkt Umsatzsteuererhöhung trifft den mit einem Nettomonatseinkommen von 2.000 Euro stärker als den mit einem Nettoeinkommen von 10.000 Euro. Darüber wird überhaupt nicht mehr gesprochen. Wir haben im Moment eine Verteilung direkte/indirekte Steuern, bei der die indirekten Steuern 52 Prozent ausmachen. Das ist ein sehr hoher Anteil indirekter Steuern. Das heißt, wenn man sich jetzt auf den Standpunkt der SPD stellt, müsste man eigentlich tendenziell für eine Senkung der indirekten Steuern plädieren und für eine Erhöhung der direkten Steuern. Darüber wird gar nicht mehr geredet. Wenn der Staat Geld braucht, ist die Erbschaftsteuer das verkehrte Medium, denn selbst eine Verdoppelung brächte nur acht Milliarden Euro. Wenn Sie demgegenüber die Einkommensteuer erhöhen, dann bringt das in jedem Jahr mehr.
Rawert: Ich bin der Letzte, der eine Debatte über soziale Gerechtigkeit führen mag. Vor dem Hintergrund nicht offengelegter Gerechtigkeitskonzepte über dieses Thema zu reden ist mir zuwider. Aber in einem hat Herr Beckert natürlich Recht, denn so ein letzter Rest sozialen Schmierstoffs soll ja nicht verloren gehen. Dieses Erbschaftsteuersystem führt natürlich dazu, dass wirklich große Vermögen sich akkumulieren. Also nochmal: Ich halte es für steuerlich logischer und ehrlicherweise auch gesamtgesellschaftlich ökonomischer und richtiger, große Erbschaften konsequent zu besteuern, als eine Vermögensabgabe oder Vermögenssteuer einzuführen, die dann tatsächlich eine reine Substanzbesteuerung ist, die am Ende womöglich dazu führt, dass jemandem 100 Prozent seiner Einkünfte besteuert werden. Ich finde es in Ordnung, zu sagen, wir wollen eine gewisse “Umverteilung”. Auch die Besteuerung der Leistungsfähigkeit auf der Ebene der Einkommensteuer ist nichts anderes als eine Umverteilung. Aber es erscheint mir sinnvoller und im Gesamtsystem des Steuerrechts logischer, das bei leistungslosen Einkommen zu machen als bei der individuellen Person, die im Laufe ihres Lebens durch Leistung Vermögen gebildet hat und dann nochmal mit der Vermögensteuer belegt wird.
Beckert: Ich hatte anfangs gesagt, dass die historische Situation der Einführung der Erbschaftsteuer um 1900 eine Auseinandersetzung um gerechte Besteuerung war. Genauer gesagt ging es um die Verteilung des Steueraufkommens zwischen indirekten und direkten Steuern. Es war das sozialdemokratische Argument, zu sagen, dass die indirekte Besteuerung sozial ungerecht ist, weil sie die unteren Einkommen proportional höher besteuert. Im Grunde genommen gehen wir aber in ein solches Steuerregime zurück. Dafür lassen sich die Reduzierungen der Spitzensätze der Einkommenssteuer, die Aussetzung der Vermögenssteuer und die Erhöhung der Umsatzsteuer anführen. Wenn man das verstehen möchte, muss man sich die Entwicklung anschauen, die unter dem Stichwort Globalisierung stattfindet. Die internationale Mobilität von Geldvermögen ist in den letzten 20 Jahren durch die Liberalisierung der Finanzmärkte immer größer geworden – und es geht ja um die großen Vermögen, die diese Möglichkeiten nutzen können. Herr Rawert weiß das aus der Praxis viel besser, es sind die Vermögenden, die das Verständnis und das Geld haben, sich professionelle Beratung zu suchen, um dann mit intelligenten Lösungen die Besteuerung ihrer Vermögen zu vermeiden. In den letzten 20 Jahren – wir hatten dazu bei uns am Institut ein Forschungsprojekt – ist eine ganz neue Profession von Estate und TrustManagern entstanden, die sich ausschließlich darauf konzentriert, eine superreiche Klientel zu beraten, wie sie im Erbfall und auch ansonsten ihre Steuerlast minimieren kann. Wenn wir normativ der Meinung sind, dass dies unter Gesichtspunkten von Gerechtigkeit, aber auch unter Gesichtspunkten von Demokratieentwicklung zu problematischen Entwicklungen führt, dann muss man sehen, wie man Regulierungen auf internationaler Ebene schafft, die diese Entwicklung wieder einschränken.
Rawert: Herr Beckert, es kommt ja noch viel besser! Das erleben Sie nicht nur auf internationaler Ebene: Eben hat Herr Söder laut Zeitungsberichten erklärt, Bayern müsse notfalls dafür sorgen, dass es dort niedrigere Erbschaftsteuern gibt. Wie das verfassungsrechtlich gehen soll, ist mir unklar. Das muss man sich mal vorstellen. Wenn Populismus wehtäte, müsste Söder den ganzen Tag vor Schmerzen schreien.
Crezelius: Bei der Grunderwerbsteuer haben wir das!
Rawert: Ja natürlich. Bei der Grunderwerbsteuer haben wir das. Das ist eine der „Segnungen“ der Föderalismusreform. Aber bei der Erbschaftsteuer haben wir das noch nicht. Es kann doch nicht richtig sein, dass wir jetzt schon innerhalb der Bundesrepublik Deutschland eine Debatte über unterschiedliche Erbschaftsteuersätze in unterschiedlichen Bundesländern beginnen. Das ist doch wirklich absurd.
Crezelius: Aber Herr Beckert, was Sie in Bezug auf die Globalisierung sagen, ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Frage ist ja, ob all das, was wir hier bereden, überhaupt noch zeitge-

Streitgespräch, Erbe und Leistung (BLJ 2013, 39)46

mäß ist angesichts der Möglichkeiten, seinen Wohnsitz und sein Vermögen zu verlagern. Heute war in der Zeitung zu lesen, dass Apple Anleihen in Amerika über 17 Milliarden Dollar auflegt und gleichzeitig 145 Milliarden Dollar auf irgendwelchen Offshore-Konten liegen hat, und zwar nur deshalb, weil das US-Steuerrecht die Rückführung von Vermögen nach Amerika bestraft. Da sieht man schon, dass die Unternehmen die Möglichkeit haben, oder die Vermögen die Möglichkeit haben, sich all diesen Dingen zu entziehen. Dahinter steht dann wahrscheinlich das allgemeine Problem: Man muss die Möglichkeit haben, sich zu entziehen. Man muss mit dem Unternehmen oder selbst umziehen können. Dann haben Sie ein Demokratieproblem, weil dann letztlich von Steuern nur diejenigen betroffen sind, die fest verwurzelt sind, die nicht umziehen können. Das ist keine Frage der Höhe des Vermögens: Wenn Sie den Betrieb mit 500 Angestellten hier in Hamburg haben, dann können Sie den auch nicht unmittelbar auf die Virgin Islands verlegen.
Rawert: Auch nicht wenn Sie Notar in Hamburg sind!
Crezelius: Das Bundesfinanzministerium hat vor ein paar Wochen eine Veranstaltung durchgeführt, in der es darum ging, wie man die Gewinne internationaler Unternehmen hier in Deutschland erfassen kann. Es stand auch in der Zeitung: Starbucks hat in Deutschland einen Umsatz von 120 Millionen und zahlt keinen Euro Ertragsteuer. Der Pressesprecher von Starbucks hat in der F.A.Z. einen Leserbrief geschrieben und dargelegt, das Unternehmen würde ja 20 Millionen Umsatzsteuer zahlen. Dass die Umsatzsteuer natürlich auf den Verbraucher abgewälzt wird, ist nicht erwähnt worden.
Rawert: Aber das glauben die Leute!
Crezelius: Die allgemeine Frage besteht darin, ob unser derzeitiges Steuersystem vor dem Hintergrund der Internationalisierung der Unternehmen noch sinnvoll gehandhabt werden kann. Die Alternative kann wohl nicht darin bestehen, eine Volkswirtschaft „abzuschotten“. Es bedarf einer Übereinkunft der Staaten, für eine sinnvolle Aufteilung der Steuersubstrate zu sorgen.
Röthel: Die Alternative kann auch nicht sein, dass wir aus Frustration sagen, jetzt erheben wir hier kaum noch Steuern.
Beckert: Die Alternative kann internationale Regulierung sein.
Aus dem Publikum: Was ich für widersprüchlich halte ist die Argumentation, dass die Vermögen, die von der Erbschaftsteuer betroffen sind, auf der einen Seite nicht fungibel oder liquide seien, es auf der anderen Seite aber heißt: „Die können jederzeit ins Ausland transferiert werden.“ Mir kommt es so vor, als ob das alles Scheinargumente sind. Die einzige Erkenntnis für mich waren die Zahlen, die Herr Beckert genannt hat. Es ist nur eine Hand voll Menschen, die Vermögen vererben, und bei denen würde eine solche Steuer unglaublich wehtun und ihre Lebenskonzepte verändern, während zwei Punkte Mehrwertsteuer mehr oder weniger eben jeder nur ein bisschen merkt. Sie sagen, es gäbe ganz viele Interessen in dieser Debatte. Eigentlich gibt es nur wenige einzelne Interessen und die setzen sich eben durch und die schaffen es mit solchen Argumenten, die Diskussion zu erlahmen, und so bleibt es eben dabei, dass wir eine vermögende Klasse haben in Deutschland.
Rawert: Ich kenne mich mit der Vermögensstatistik en détail nicht aus, aber ich würde davor warnen, Vermögen schlicht und einfach – salopp gesprochen – zu kriminalisieren. Mein Ansatz ist ja eigentlich ein ganz anderer gewesen. In der Tat wird auf hohe Vermögen relativ wenig Erbschaftsteuer gezahlt, weil die Erbschaftsteuer gesamtgesellschaftlich fälschlich als eine Substanzsteuer wahrgenommen wird, obwohl sie eigentlich viel richtiger eine Einkommensteuer wäre. Ein Paradigmenwechsel könnte an dieser Stelle möglicherweise zu höheren Steuern führen. Oder vielleicht müssen wir einfach die Freibeträge senken. Es ist ja noch viel schlimmer als Sie gesagt haben, Herr Crezelius. Es ist ja nicht so, dass in einem Erbfall mit zwei Kindern nur eine Million steuerfrei in die nächste Generation gebracht werden kann. Sie können ohne weiteres zweieinhalb Millionen mit den Freibeträgen und allen sonstigen Vergünstigungen des Erbschaftsteuerrechts in die nächste Generation bringen. Vielleicht müssen wir tatsächlich runter mit den Freibeträgen, auch wenn sich der progressive Steuersatz dann noch stärker auswirken wird. Es geht nicht darum, irgendeine Vermögensverteilung in Deutschland krampfhaft zu verteidigen. Das ist nicht mein Anliegen. Aber es geht auch nicht an, zu sagen: „Das sind die Reichen und die müssen wir jetzt kriminalisieren.“
Beckert: Ich würde gerne auch noch kurz auf die Anmerkung aus dem Publikum eingehen. Es ist zweifellos so, dass da starke Lobbyinteressen dahinter stehen. Untersucht wurde das für Amerika anlässlich der Steuerreformen, die unter der Regierung von George W. Bush im Jahre 2001 durchgeführt wurden. Da wurde privates Geld ganz massiv investiert, um die Politik entsprechend zu beeinflussen. Aber es gibt noch ein zweites Phänomen und das finde ich beinahe interessanter. Nämlich – und das bezieht sich auf die USA, lässt sich aber auch in Meinungsumfragen hier erkennen –, dass in den USA bei den Steuerreformen 2001 eine große Mehrheit der Amerikaner der Meinung war, die Erbschaftsteuer – eine Nachlasssteuer dort – solle abgeschafft werden. Man fand dann in Umfragen heraus, dass ein Großteil der Bevölkerung den wichtigsten Tatbestand zur Erbschaftsbesteuerung nicht kennt. Nämlich, dass diese Steuer nur einen minimalen Anteil der Bevölkerung trifft. Die Perzeption ist – das hatten wir auch am Anfang der Diskussion schon: „Das wird mich treffen.“ Der Politikwissenschaftler Larry Bartels aus Princeton hat einen wunderbaren Artikel geschrieben: „Homer gets a tax cut“. Mit Homer ist der Homer der Simpsons gemeint. Eben der, der auch die Welt nicht ganz versteht. Aber man muss das ernstnehmen. Auch in Deutschland spricht sich, wenn man Meinungsumfragen zur Besteuerung von Erbschaften durchführt, die Mehrheit der Bevölkerung gegen eine Erhöhung der Erbschaftsteuer aus. Das ist von der eigenen Interessenlage her nicht zu verstehen. Dass die reichen Vermögensbesitzer Lobbyismus betreiben, das ist leicht zu verstehen. Aber warum die anderen nicht stärker Druck machen und damit ja auch zulassen, dass die Vermögen immer ungleicher verteilt sind, das ist, finde ich, die interessantere Frage.
Rawert: Das ist in der Tat ein hoch emotionales Thema. Ich möchte an der Stelle kurz etwas einfügen. Frau Röthel, Herr Beckert und ich haben vor zwei Jahren beim Juristentag in der Abteilung Erbrecht zusammen auf einem Podium gesessen und in den zweieinhalbtägigen Diskussionen über Erbrecht und auch Aspekte des Erbschaftsteuerrechts haben sich viele Leute zu Wort gemeldet. Die allermeisten haben irgendeinen Betroffenheitsaspekt zum Ausdruck gebracht haben. Da saßen Hochschullehrer, hochkarätige Ministerialbeamte, exzellente Praktiker, die im Gesellschaftsrecht völlig

Streitgespräch, Erbe und Leistung (BLJ 2013, 39)47

cool Fragen des Corporate-Governance-Kodex diskutieren oder sich im öffentlichen Recht emotionslos über Stuttgart 21 äußern konnten. Aber sobald es ums Erben ging, wurde jedes zweite Statement mit den Worten eingeführt: „Also folgendes habe ich erlebt…“ Das war eigentlich ganz unüblich für einen Juristentag. Es scheint in der Tat so zu sein: Erben und Erbschaftsteuer sind in unglaublicher Weise von persönlichen Erfahrungen belastet.
Aus dem Publikum: Vielen Dank. Es gibt offenbar verschiedene Interessen, die in dieser Debatte eine Rolle spielen, das ist ja schon zum Ausdruck gekommen. Es gibt den Argumentationsblock Gerechtigkeit. Dann gibt es sicherlich den Block „Geld in die Kasse“. Da ist gesagt worden, es komme so wenig Aufkommen dabei rum, andere sagen, man solle einer Erhöhung der Sätze nachgehen, dann bringe das mehr Geld. Ich habe den Eindruck, dass es noch eine dritte Argumentationslinie gibt, die auf dem Podium heute in erster Linie eine Rolle gespielt hat. Und zwar geht es mal gar nicht so sehr darum, was gerechter oder weniger gerecht ist und gar nicht so sehr darum, was weniger oder mehr Geld bringt, sondern es geht, so habe ich den Eindruck nach der Debatte, Ihnen in erster Linie darum: Was ist systematisch und was ist unsystematisch. Und wenn der Jurist dann sieht, das ist jetzt alles viel systematischer, dann freut er sich und zwar unabhängig davon, ob es jetzt gerechter oder ungerechter ist oder ob mehr oder weniger Geld in der Kasse ist. Dass das problematisch ist, sieht man auch an dem PolitikerBashing, das hier betrieben worden ist. Ich fasse mal zusammen: Föderalismus ist Mist, die Finanzverwaltung ist auch Mist, deswegen sollen wir jetzt alle Steuerrecht machen, und das allerschlimmste sind eigentlich die Politiker, die haben nämlich überhaupt keine Ahnung. Alle, die sich außerhalb des Gravitationsarguments Systematisierung mit dem Thema Erbschaftsteuer beschäftigen – also mit der Frage mehr oder weniger Gerechtigkeit, mehr oder weniger Geld – als pauschal dumm darzustellen, halte ich für problematisch. Ich frage mich: Wenn Sie es machen würden, also darüber entscheiden könnten, was wäre denn konkret die Agenda Erbschaftsteuer? Und: Wenn das alles so schrecklich unsystematisch ist und so wenig Geld bringt, wir aber natürlich auch auf keine Milliarden verzichten wollen und die Erbschaftsteuer auch aus normativen Gründen nicht abschaffen können, dann fassen wir das Thema doch besser gar nicht an und lassen die Erbschaftsteuer so wie sie ist, oder?
Rawert: Es ist ja die Frage, warum wir das alles diskutieren und ich glaube, wir tun es, weil wir im Moment in einer politischen und ökonomischen Situation sind, in der uns gesagt wird: Der Staat braucht zusätzliche Einnahmen. Das würde ich persönlich bestreiten, denn wir haben noch nie so viele Steuern in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eingenommen wie im Moment. Aber unterstellen wir einmal, es ist richtig, dass der Staat zusätzliche Einnahmen braucht. Dann muss man doch fragen: Wo sollen die herkommen? Daher, dass die Einkommensteuer, die Lohnsteuer und die Umsatzsteuer immer weiter erhöht werden? Oder nicht möglicherweise von woanders? Genau deshalb führen wir die Erbschaftsteuerdebatte. Und zu sagen, es sind nur vier bis fünf Milliarden Euro, und selbst wenn ich die Erbschaftsteuer verdoppele oder es die doppelte Anzahl an Steuerfällen gibt, sind es nur acht oder neun Milliarden, ist – so glaube ich – der falsche Ansatz. Denn wie gesagt: Möglicherweise müssen die Steuerfreibeträge deutlich gesenkt und das ganze System radikal umgestellt werden – und dann wird es auch höhere Einnahmen geben.
Freilich geht das alles immer von der Prämisse aus, dass wir höhere Staatseinnahmen brauchen. Und die teile ich nicht. Aber wenn sie richtig ist, dann müssen wir uns überlegen, ob wir etwas Systemgerechtes schaffen können. Ich halte es nicht für systemgerecht, immer nur an der Einkommensteuerschraube zu drehen.
Aus dem Publikum: Mich würde interessieren, ob man von der hiesigen Debatte über das Erbschaftsteuerrecht eine Brücke zum materiellen Erbrecht schlagen kann. Das ist nur ganz kurz aufgeflackert in der Diskussion, aber wenn man den Gedanken der Erbschaftsteuer nimmt und was für eine Theorie dahinter steckt, dann können daraus ja auch normative Folgerungen für unsere Auffassung vom Erbrecht gezogen werden. Mich würde interessieren, wie Sie das sehen.
Röthel: In der Tat. Die Erbschaftsteuer bedeutet ja eine ganz erhebliche Kanalisierung der Entscheidungen der Erblasser. Dazu kann man natürlich unterschiedliche Haltungen haben, aber wahrscheinlich ist es interessant, wenn wir Sie dazu hören, Herr Beckert, weil Sie uns bereits in die normativen Hintergründe des Erbens eingeführt haben.
Beckert: Ich meine ein Punkt, an dem sich die Verbindung herstellen lässt, ist die von Herr Rawert angeführte Intention im 19. Jahrhundert, mit der Erbschaftsteuer auch zur Zerschlagung von Vermögen beizutragen. Und da gibt es die Parallele zum Pflichtteilsrecht, das eben auch diesen Gedanken mitverfolgt hat.
Crezelius: Das ist in der Tat richtig. In der Erbschaftsteuertheorie gibt es manche, die sagen, das ist das Noterbrecht des Staates. Aber interessant ist ja, dass es in den ersten Fassungen zum BGB eine dingliche Teilhabe am Nachlass geben sollte. Und das ist ja erst relativ spät in einen Geldanspruch geändert worden. Das ist in der Tat so. Aber es besteht ein Unterschied: Auf den Pflichtteilsanspruch können sie verzichten. Der Staat kann auf den Erbschaftsteueranspruch nicht verzichten. Wenn ich ihre Frage mal weiterführen würde: Was wäre, wenn wir das Pflichtteilsrecht abschaffen würden? Würde damit die Legitimation für die Erbschaftsteuer entfallen?
Rawert: Die würde sich verdoppeln, Herr Crezelius, die Legitimation. Der Witz ist doch, dass auch das Pflichtteilsrecht eine Zerschlagungsfunktion hat, weil große Nachlässe nicht einfach auf ewig ungespalten von Generation zu Generation weitergegeben werden sollen, und zwar weil das in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nicht wünschenswert ist, weil es den Einstieg von Newcomern in den Markt verhindert. Wenn ich das Pflichtteilsrecht abschaffte, dann wäre es in einer marktwirtschaftlichen Ordnung eigentlich konsequent, die Erbschaftsteuer zu verdoppeln.
Aus dem Publikum: Die “vermögende Kaste” gab es schon immer. Was ich neu finde, und da bin ich bei Ihnen, Herr Rawert: Es gibt auch eine politische Kaste, die sich nicht mehr auf eine bestimmte Seite stellt, sondern als erstes und oberstes Gebot hat: “Erst mal kommen wir selbst.” Beim Thema Vermögensumverteilung gab es zum Beispiel für die Berechnung eines Vergleichsmoments die Frage: Was ist noch opportun, was ist noch nicht “reich”? Das waren dann zufälligerweise die Gehälter von höheren Ministerialbeamten. Das sollte noch freigestellt sein, das war die Messlatte. Alle Befreiungsvorschriften, alle steuerfreien Zulagen im Bereich der Beamtenschaft werden von Grün über Rot über Schwarz hingenommen – also die klassische Familie: zwei Kinder,

Streitgespräch, Erbe und Leistung (BLJ 2013, 39)48

Ehefrau, Einfamilienhaus, gutes Einkommen. Das kriegen Sie alles steuerfrei hin. Und das ist eben nicht der Arbeiter, der am Band steht, der sein versteuertes Einkommen von 2.000 Euro im Monat nimmt und davon bei Aldi einkaufen geht und nochmal 19 Prozent Umsatzsteuer obendrauf zahlt. Und diese Ungerechtigkeit wird nicht angegangen. Es werden Scheindebatten geführt. Meines Erachtens profitieren relativ breite Bevölkerungsschichten von den Regelungen der Politik, aber die, die am Band stehen, die profitieren davon überhaupt nicht. Deswegen ist es eine sehr gefährliche Diskussion, wenn man sagt, man schiebt es auf jene, die sich sehr schnell mit ihrem Vermögen außer Landes begeben können. Es muss der breite Konsens sein, und der fehlt. Die Leistungsträger durch Vermögensabgaben zu melken, ist meiner Ansicht nach keine Lösung. Es müssen ein gesellschaftlicher Konsens und eine Steuergerechtigkeit hergestellt werden. Die fängt schon damit an, dass wir nicht nur über Erbschaftsteuer diskutieren, sondern wir uns auch fragen müssen: Warum ist das Erbschaftsteueraufkommen so gering? Warum ist es ungerecht, dass man nur 30 Prozent nimmt? Indes werden diejenigen besteuert, die sich nicht wehren können. Es ist viel einfacher, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, als Diskussionen mit Unternehmern zu führen, mit denen der Politiker im Golfclub sitzt. Das ist der Kern dieser Debatte.
Aus dem Publikum: So halbwegs. Es geht wieder um das Thema Leistungsträger bzw. um die Frage, wo man ansetzt, wo Umverteilung stattfinden soll. Umverteilung findet selten bei denjenigen Leuten statt, die sehr, sehr viel haben. Die verdienen ihr Einkommen meist nicht durch Arbeit, sondern durch Kapitalerträge. Da kann man auf 25 Prozent zugreifen und wahrscheinlich auch nicht auf viel mehr, weil es sonst ins Ausland abfließt. Und das ist unfair, weil Leistungsträger mit 80.000 oder 100.000 Euro Einkommen hohe Steuern zahlen müssen und sich deshalb dort gar kein neues Vermögen bilden kann. Dann kann sich niemand mehr von unten hocharbeiten, weil sehr viel abgeschöpft wird. Und bei den oberen zehn Prozent, bzw. beim obersten Prozent, wo das Geld aus Kapitalerträgen kommt, wird sehr wenig abgegriffen. Und da sollte das Steuerrecht eigentlich für mehr Gerechtigkeit sorgen.
Röthel: Na, da steigt doch gleich die Raumtemperatur.
Aus dem Publikum: Zu meiner Vorrednerin: Der Schluss mit den Politikern geht, finde ich, ein bisschen zu weit. Es könnte ja auch sein, dass die Gehälter von Beamten eben am durchschnittlichen Bürger orientiert sind. Und auch noch zu Ihnen, Herr Rawert, der Sie davon geredet haben, dass man große Vermögen nicht kriminalisieren sollte. Sie haben selbst angemerkt, dass es viele “emotionale” Argumente gibt. Für mich ist das immer das emotionale Argument überhaupt! Von vermögender Seite wird sehr oft eine konstruktive Debatte im Keim mit dem Argument erstickt, man dürfe große Vermögen nicht kriminalisieren. Dieses Totschlagargument ist in solch einer Debatte meiner Meinung nach nicht wirklich sachgerecht.
Röthel: Vielleicht wollen wir an der Stelle jetzt so langsam auch die Schlussrunde einläuten.
Rawert: Ich sage nur noch ein paar Sätze dazu. Was mich an dieser Gerechtigkeitsdebatte stört, ist, dass jeder, der das Wort “Gerechtigkeit” im Mund führt, ein anderes Gerechtigkeitskonzept hat. Ich bin gerne bereit, darüber eine philosophische Diskussion mit Ihnen zu führen. Aber in der Frage von gesellschaftlicher Umverteilung – was ist denn da eigentlich gerecht? Es wird unentwegt ein Begriff in den Raum gestellt, aber niemand, der ihn nutzt, offenbart, was sich für ihn dahinter verbirgt. Ist es ein sozialistischer Gerechtigkeitsbegriff? Ist es ein liberaler Gerechtigkeitsbegriff? Ist es ein Gerechtigkeitsbegriff, der aus der christlichen Soziallehre oder ethik stammt? Wenn sie diese Begriffe nebeneinander stellen, werden Sie fundamentale Unterschiede feststellen. Deshalb ist es mir zu einfach, zu sagen: “Die Gerechtigkeit gebietet es, dass Vermögende stärker zur Kasse gebeten werden.” Ich bin durchaus bereit, über so etwas zu diskutieren. Aber nicht unter dem Stichwort “Gerechtigkeit”. Da sind mir Folgerichtigkeit und Anknüpfung an Leistungsfähigkeit und ähnlich „positivistische“ Begriffe deutlich lieber.
Zwischenruf aus dem Publikum: Wo werden Vermögen denn kriminalisiert?
Rawert: Aber entschuldigen Sie! Lesen Sie doch mal jeden Tag die Zeitungen durch! Die schiere Tatsache, dass Menschen Geld haben, wird doch mittlerweile unanständig gemacht! Schauen Sie sich doch Frankreich an. Da gibt es im Moment mit der Offenlegungspflicht für Ministervermögen eine regelrechte race to the bottom. Der ideale Minister sind Sie, wenn Sie mit 58 Jahren 150.000 Euro auf dem Konto, einen alten 2 CV und ein schrottreifes Fahrrad haben! Dann sind Sie gut, weil Sie möglichst wenig Vermögen gebildet haben. Und was haben Sie damit zum Ausdruck gebracht? Dass Sie wenig korrupt sind? Vielleicht haben Sie auch nur zum Ausdruck gebracht, dass Sie ökonomisch unfähig sind! Das ist die Debatte, die ich kritisiere, diese subkutane Neiddebatte. Allein der Begriff “Reichensteuer”! Der ist schlicht und einfach unanständig.
Aus dem Publikum: Es ist auch widerlich, was in den letzten 20 Jahren passiert ist! Diese sogenannte „Neiddebatte“ gibt es doch nur, weil die Entwicklung seit 1990 so ist, wie sie ist. Natürlich ist die Diskussion undifferenziert und es ist natürlich zu bedauern, dass die SPD mit Themen wie Vermögensabgaben Wahlkampf macht, statt aufzuklären und zu sagen: “Die Erbschaftsteuer ist viel gerechter.” Gerechtigkeit ist aber auch nicht für jeden etwas anderes. Ich glaube, wir alle im Raum stimmen Ihnen zu, wenn Sie sagen, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben. Und deswegen können Sie auch an Leistungsfähigkeit anknüpfen. Leistungsgesellschaft, das sollte eigentlich heißen: Jeder, der etwas leistet, kann auch etwas erreichen. Und jeder, der dasselbe leistet, erreicht auch dasselbe. Ich glaube, diesen Gerechtigkeitsbegriff würde hier jeder unterschreiben. Und deswegen ist es gar nicht so falsch, mit Gerechtigkeit zu argumentieren. Und das niedrige Erbschaftsteueraufkommen verhindert doch eigentlich eine Leistungsgesellschaft – das haben Sie in Ihren Beiträgen auch immer wieder erwähnt.
Rawert: Da ist keine Differenz zwischen uns. Nur warum muss man den höchsten Steuersatz mit dem offensichtlich pejorativen Begriff “Reichensteuer” belegen?
Crezelius: Sie merken: Steuerrecht ist Politik hoch drei. Selbst wenn es so wäre, dass in den letzten 20 Jahren eine Vermögensumverteilung stattgefunden hat, dann möchte ich folgende Gegenfrage stellen: Hat das der Mehrheit der Bevölkerung geschadet? Und jetzt der Umkehrschluss: Würde die Erfüllung Ihrer Gerechtigkeitspostulate mit Umverteilung dazu führen, dass es einem größeren Teil der Bevölkerung nutzt? Diese Frage würde ich verneinen. Deshalb meine ich, dass wir mit diesen vielleicht unglücklichen Ergebnissen leben müssen. Die Ansicht vertrete ich. Ich bin mit dem Ergeb-

Streitgespräch, Erbe und Leistung (BLJ 2013, 39)49

nis vielleicht nicht ganz einverstanden, aber für unser Gemeinwesen ist es im Durchschnitt nicht schlecht gewesen.
Beckert: Daran schließt sich eine lange Diskussion an. Wenn man einmal die Entwicklung der letzten 20 Jahre nimmt, stellt sich doch die Frage: Hat es uns wirklich gut getan, dass sich Managergehälter und Gehälter der Belegschaft exorbitant auseinanderentwickelt haben? Wir haben hier Entwicklungen, die problematisch sind. Die Reichtumsentwicklung, die in den letzten 20 Jahren stattgefunden hat, ist im Wesentlichen den oberen Bevölkerungsschichten zugute gekommen, nicht der Mittelschicht und erst recht nicht den unteren sozialen Schichten. Das ist eine soziale Problematik, die sich da entfaltet und an den normativen Grundlagen unserer Gesellschaft rührt. Wollen wir in einer Gesellschaft leben, die sich in der Vermögensentwicklung zunehmend in eine Richtung entwickelt, die der Vermögensverteilung in Dritte-Welt-Ländern entspricht? In Amerika stehen wir da kurz davor. Ich würde auch sagen, dass wir nicht unbedingt eine philosophische Grundsatzdebatte über Gerechtigkeitskonzepte führen brauchen. Ich fand interessant bei unserer Veranstaltung, dass wir uns doch relativ einig sind, dass wir es mit Ungerechtigkeiten zu tun haben, auf die wir Antworten finden müssen. Wohlwissend, dass es hiergegen erhebliche politische Widerstände geben wird, die auch mit der Internationalisierung der Wirtschaft zusammenhängen. Was mich an dieser Debatte freut ist, dass sie überhaupt geführt wird. Ich habe den Eindruck, dass die Debatte über die Erbschaftsteuer viel zu wenig geführt wird. Heute haben wir eine solche Debatte geführt und uns dabei auch über normative Fragen ausgetauscht. Dies ist bereits ein wichtiges Ergebnis. Ich glaube nicht, dass mein eingangs gemachter Vorschlag zur Einbeziehung der Erbschaftssteuer in die Einkommenssteuer große Realisierungschancen hat, aber ich will eben, dass dieser Vorschlag in einem Diskurs behandelt wird und wir uns dabei darüber verständigen, welche Art von Gesellschaftsordnung wir eigentlich möchten.
Crezelius: Herr Beckert, ich stimme Ihnen vollkommen zu, nur das Steuerrecht ist dafür das falsche Medium, weil das Steuerrecht insoweit wertneutral ist. Bei den Managergehältern stimme ich Ihnen zu. Das hat aber alles nichts mit Steuerrecht zu tun. Das hat etwas mit dem Anstand der Personen zu tun, der handelnden Personen. Dass diese nicht dafür sorgen, dass sich diese Diskrepanz nicht auftut. Es geht nicht um reich oder arm, es hat etwas mit dem Bewusstsein der handelnden Personen zu tun. Und da gebe ich Ihnen Recht: Wenn Sie mit manchen dieser Leute sprechen, gerät man in Erstaunen. Aber ob das Steuerrecht das richtige Medium ist, das zu ändern, das wage ich ganz stark zu bezweifeln.
Rawert: Glauben Sie denn ernsthaft, dass Sie Managern sagen können, die sollten auf etwas verzichten? Und dass das wirksamer ist, als wenn man sie einfach besteuert und die Gesellschaft etwas davon hat?
Crezelius: Das können Sie nicht mit dem Steuerrecht regeln, nein!
Röthel: Es ist vorhin unterschwellig kritisiert worden, dass wir so technisch und formal, so typisch juristisch und auch möglicherweise typisch wissenschaftlich diskutieren und uns aus dem Meinungsmäßigen heraushalten. Ich möchte mich insoweit Herrn Beckert anschließen. Debatten sollten in einem bewussten Rahmen geführt werden, und wir müssen versuchen, sorgsam zu trennen zwischen dem Meinungsmäßigen und dem, was der Jurist und was insbesondere der Wissenschaftler beitragen oder was der Soziologe beobachten kann. Dies hat auch mit der Überzeugung zu tun, dass ja letztlich nicht wir es sind, sei es in der Rolle als Wissenschaftler, Soziologen, Juristen, die hier irgendetwas Relevantes zu entscheiden haben. Wir haben diese Aufgabe im demokratischen Verfassungsstaat besonderen Institutionen und besonderen Verfahren übertragen. Was mich daher betroffen gemacht hat, war die starke Kritik an der politischen Klasse. Dies trifft gewissermaßen „ins Mark“, weil wir damit im Grunde unsere Entscheidungsverfahren kritisieren. Denn darum geht es letztlich, wenn wir bei der Erbschaftssteuer über „rauf, runter oder richtig“ diskutieren: Wir bewerten Entscheidungen. Erkenntnis können wir hier nur begrenzt erzielen. Vielen Dank.
Das Bucerius Law Journal bedankt sich bei den Diskutanten und allen Zuschauern für ihr zahlreiches Erscheinen und die rege Teilnahmebereitschaft. Für die finanzielle Unterstützung des Streitgesprächs bedanken wir uns außerdem bei unserem Sponsor Morgan, Lewis & Bockius LLP.