von Matthias Münder, Hamburg*
A. Einleitung
Low-Performer, Minderleister, Schlechtleister – all dies sind in der juristischen Literatur auftauchende Schlagwörter für Arbeitnehmer, die nicht die Leistung erbringen, die sie sich zu erbringen verpflichtet haben. Die Arbeitsleistung der so titulierten Personen ist mängelbehaftet1, sodass sie jeweils ihre Hauptleistungspflicht verletzen. Dies drückt sich darin aus, dass die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung, die Ist-Leistung, von der geschuldeten Leistung, der Soll-Leistung, negativ abweicht.2
Die Frage, welche Leistung der Arbeitnehmer tatsächlich erbracht hat und wie man dies messbar machen kann, ist in der Praxis mitunter schwierig zu beantworten. Im Mittelpunkt der seit langer Zeit im Schrifttum geführten Debatte steht jedoch die Frage, was Inhalt der Leistungspflicht des Arbeitnehmers ist. Wie ist also die Soll-Leistung des Arbeitnehmers beschaffen?
Das Bundesarbeitsgericht bezog vor einigen Jahren in dieser Frage erneut und erstmals etwas ausführlicher Stellung: Die Leistungspflicht des Arbeitnehmers sei subjektiv-dynamisch zu bestimmen (dazu unter B.).3 Im Schrifttum werden dieser Auffassung objektive Begriffsbestimmungen in verschiedenen Variationen (dazu unter C.) sowie eine Auffassung, die den Mängelbegriff aus dem Kauf-, Miet- und Werkvertragsrechts übertragen will (dazu unter D.), entgegengehalten. Wie dieser Aufsatz zeigen möchte, ist es jedoch vorzugswürdig, die Leistungspflicht entgegen den weit überwiegend vertretenen Ansichten entsprechend allgemeiner vertragsrechtlicher Grundsätze durch normative und ergänzende Vertragsauslegung zu bestimmen (unter E.). Dies stellt den methodengerechten Weg dar, den Inhalt der Leistungspflicht zu bestimmen.
B. Subjektiv-dynamische Leistungspflicht
Der Inhalt der Hauptleistungspflicht, also die Soll-Leistung des Arbeitnehmers richtet sich zunächst nach dem jeweiligen Arbeitsvertrag und einem für das Arbeitsverhältnis normativ geltenden oder arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrag, soweit diese Regelungen zur geschuldeten Arbeitsleistung enthalten.4 Bestimmen weder der einschlägige Tarifvertrag noch der Arbeitsvertrag die geschuldete Arbeitsleistung näher oder abschließend, ist gemäß der Rechtsprechung zu fragen, ob der Arbeitgeber durch das ihm gemäß § 106 GewO zustehende Direktionsrecht den Inhalt der Arbeitspflicht näher konkretisiert hat.5 Neben diese Ausgestaltung durch das Direktionsrecht tritt laut dem Bundesarbeitsgericht das persönliche, individuelle Leistungsvermögen des Arbeitnehmers.
I. Bundesarbeitsgericht und große Teile der Literatur
Das Bundesarbeitsgericht und mit ihm große Teile der Literatur vertreten seit jeher einen subjektiv-dynamischen Leistungsbegriff.6 Damit ist gemeint, dass ein Arbeitnehmer verpflichtet ist, sein „persönliches, subjektives Leistungsvermögen“ angemessen auszuschöpfen, um seine Arbeitsleistung zu erbringen.7 Plakativ formuliert das Gericht „Der Arbeitnehmer muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann“. Die dynamische Komponente dieser Begriffsbestimmung liegt darin, dass die Leistungspflicht nicht starr ist, d.h. nicht zu einem Zeitpunkt einmalig bestimmt und nachfolgend erfüllt werden muss. Vielmehr berücksichtigt die Dynamik, dass die menschliche Leistungsfähigkeit schwankt.
Erstmals hat das Bundesarbeitsgericht im Jahr 1969, allerdings ohne nähere Begründung, geurteilt, dass sich die Leistungspflicht eines Arbeitnehmers individuell bestimme.8 Es bestätigte diese Rechtsprechung erneut ohne Begründung in den Jahren 19719 und 198810. Erst nachdem in der Literatur vereinzelt Zweifel an der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts aufkamen11, setzte sich das Gericht im Jahr 2003 mit einer Gegenauffassung, die vertritt, dass der Arbeitnehmer eine objektive Normalleistung schulde, kurz auseinander und lehnte sie ab.12 Fünf Jahre später bestätigte das Bundesarbeitsgericht seine Auffassung.13
In der Literatur wird die subjektiv-dynamische Leistungspflicht damit begründet, dass die Arbeitsleistung untrennbar mit der Person des Arbeitnehmers verbunden sei.14 Die Arbeitspflicht ist höchstpersönlich (§ 613 BGB), weshalb der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit all seinen Stärken und
* Der Autor ist Student an der Bucerius Law School, Hamburg.
1 Brune, AR-Blattei SD 1420 (Schlechtleistung) Rn. 1; Linck, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch14, 2011, § 52 Rn. 1; Richardi, NZA 2002, 1004, 1010 f.; Richardi/Fischinger, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2011, § 611 Rn. 715; zur Schlechtleistung im allgemeinen Schuldrecht vgl. Otto/Schwarze, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2009, § 281 C12.
2 Römermann/Haase, MDR 2006, 853; Zaumseil, Die Minderleistung als Kündigungsgrund, 2010, S. 7; vgl. Bengelsdorf, Anm. zu BAG EzA Nr. 62 zu § 1 KSchG (Verhaltensbedingte Kündigung), S. 15, 22; s. auch das von Hunold, BB 2003, 2345, 2346 verwendete Schema.
3 BAGE 125, 257, 260; 109, 87, 92.
4 BAGE 125, 257, 260; 109, 87, 92; Maschmann, NZA Beilage 1/2006, 13, 14.
5 S. Fn. 3.
6 BAGE 125, 257, 260; 109, 87, 92; BAGE 22, 402; AP Nr. 27 zu § 123 GewO mit zust. Anm. Canaris; Bitter, AR-Blattei-SD 190 (Arbeitspflicht) Rn. 71 f.; Brune, AR-Blattei SD 1420 (Schlechtleistung) Rn. 13; Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform2, 2003, Rn. 22; Knevels, DB 1970, 1388, 1390 in Bezug auf den Leistungslohn; Maschmann, NZA Beilage 1/2006, 13, 15 f.; Müller-Glöge, in: Münchener Kommentar zum BGB6, 2012, § 611 Rn. 19; Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht13, 2013, § 611 BGB Rn. 643; Quecke, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar5, 2012, § 1 KSchG Rn. 239; Reichold, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht3, Bd. 1 (Individualarbeitsrecht), 2009, § 36 Rn. 41 f.; Richardi, NZA 2002, 1004, 1011; Richardi/Fischinger, in: Staudinger (Fn. 1), § 611 Rn. 532; Söllner, Arbeitsrecht in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1994, S. 151 f.; Weidenkaff, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch72, 2012, § 611 Rn. 26.
7 S. Fn. 3.
8 BAG AP Nr. 27 zu § 123 GewO.
9 BAGE 22, 402.
10 BAGE 58, 37, 48.
11 Gamillscheg, Arbeitsrecht I8, 2000, S. 250; v. Hoyningen-Huene/Linck, Kündigungsschutzgesetz13, 2002, § 1 Rn. 253 ff.; Hunold, BB 2003, 2345, 2346; Motzer, Die „positive Vertragsverletzung“ des Arbeitnehmers, 1982, S. 120-122.
12 BAGE 109, 87, 92.
13 BAGE 125, 257, 260.
14 Bitter, AR-Blattei SD 190 (Arbeitspflicht) Rn. 72; Reichold, in: MüArbR (Fn. 6), § 36 Rn. 41; vgl. Depel/Raif, SAE 2005, 88, 89.
Schwächen akzeptieren müsse.15 Der Arbeitgeber trage insoweit das Risiko, den Arbeitnehmer richtig einzuschätzen und zu beurteilen.16 Ferner spreche laut Rechtsprechung und Literatur für den individuellen Maßstab, dass die §§ 611 ff. BGB keine Gewährleistungsvorschriften kennen.17 Dies bedeute, dass der Arbeitnehmer nicht zur Nacherfüllung verpflichtet sei, selbst wenn er schlecht leiste. Er schulde also weder einen bestimmten Leistungserfolg noch eine objektiv messbare Qualität seiner Leistung,18 sondern nur, dass er überhaupt im Rahmen seiner Fähigkeit tätig werde.19 Diese Sichtweise drückt das Bundesarbeitsgericht durch die Aussage aus, dass der Arbeitnehmer das „Wirken“, nicht das „Werk“ schulde.20
II. Kritik am subjektiv-dynamischen Maßstab
Frei von Kritik ist die Auffassung, die Leistungspflicht des Arbeitnehmers individuell-dynamisch zu bestimmen, nicht. In der Literatur wird angeführt, ein subjektiver Maßstab sei impraktikabel, da es für den Arbeitgeber unmöglich zu erkennen sei, ob ein Arbeitnehmer subjektiv noch leistungsfähiger sei.21 Außerdem führe ein individueller Maßstab dazu, dass selbst ein sehr leistungsschwacher Arbeitnehmer nicht mehr ordentlich kündbar wäre, sofern er sein geringes Leistungsvermögen ausschöpfe.22 Denn sowohl eine verhaltensbedingte als auch eine personenbedingte Kündigung setzen eine Pflichtverletzung voraus.23 Eine solche Dauerbindung bis zum Rentenalter des Arbeitnehmers sei mit dem schuldrechtlichen Charakter des Arbeitsverhältnisses unvereinbar.24 Indem die herrschende Meinung ausschließlich auf die subjektive Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers abstellt, bleibt zudem das Interesse des Arbeitgebers, dass die erbrachte Arbeitsleistung und der gezahlte Lohn während der Vertragslaufzeit in etwa gleichwertig sind, gänzlich unberücksichtigt. Dies erscheint wenig interessengerecht.
C. Objektiv-dynamische Leistungspflicht
Eine in jüngerer Zeit vermehrt vertretene Auffassung möchte die Leistungspflicht des Arbeitnehmers objektiv-dynamisch bestimmen.25 Was der Arbeitnehmer subjektiv zu leisten imstande ist, bleibt bei dieser Sichtweise außer Betracht. Es wird im Gegensatz zur herrschenden Meinung ausschließlich an objektive Kriterien angeknüpft. Die diese Auffassung vertretenden Autoren unterscheiden sich aber darin, welches objektive Kriterium sie heranziehen.
I. Arbeitsleistung als Gattungshandlungsschuld
Die innerhalb der objektiven Auffassung meist vertretene Strömung sieht die Arbeitsleistung als Gattungshandlungsschuld an.26 Ihrer Ansicht nach schuldet der Arbeitnehmer eine objektive Normalleistung. Unter einer objektiven Normalleistung wird eine Leistung mittlerer Art und Güte verstanden (§ 243 Abs. 1 BGB).27
Nur wenige Autoren verwenden den Begriff „Gattungshandlungsschuld“ ausdrücklich.28 Viele drücken aber implizit aus, dass sie die Arbeitsleistung als Gattungshandlungsschuld ansehen, indem sie § 243 Abs. 1 BGB analog auf die Arbeitsleistung anwenden oder den Grundgedanken der Norm auf die Arbeitsleistung anwenden.29 Denn bestimmt man den Inhalt der Arbeitspflicht mit Verweis auf § 243 Abs. 1 BGB, erklärt man mittelbar zweierlei: Zum einen, dass der nach dem Wortlaut nur auf Gattungssachschulden anwendbare § 243 Abs. 1 BGB30 auch auf Gattungshandlungsschulden anwendbar ist. Zum anderen, dass die Arbeitsleistung eine Gattungshandlungsschuld ist.
Ein Teil der Autoren, die es befürworten, § 243 Abs. 1 BGB auf die Arbeitspflicht anzuwenden, führen ins Feld, dass die §§ 611 ff. BGB die Leistungsanforderungen nicht selbst bestimmten.31 Daraus folge, dass das allgemeine Schuldrecht anwendbar sei. Auf § 243 Abs. 1 BGB zurückzugreifen sei daher eine konsequente Orientierung am Gesetzeswortlaut. Ferner ergebe eine verständige Auslegung des Arbeitsvertrags gemäß § 157 BGB, dass der Arbeitnehmer eine objektive Normalleistung schulde.32 Denn ein Arbeitgeber lege seinen Kalkulationen eine durchschnittliche Leistung seiner Arbeitnehmer zugrunde.33
II. Maßgeblichkeit des Anforderungsprofils
Tschöpe schlägt vor, sich am Anforderungsprofil des Arbeitsplatzes zu orientieren.34 Dieses könne der Arbeitgeber durch Weisungen oder eine schriftliche Beschreibung konkretisieren. Der Arbeitnehmer müsse das Anforderungsprofil
15 Maschmann, NZA Beilage 1/2006, 13, 15.
16 Rüthers, ZfA 1973, 399, 403.
17 BAGE 109, 87, 92; 125, 257, 260; Maschmann, NZA Beilage 1/2006, 13, 15; Reichold, in: MüArbR (Fn. 6), § 36 Rn. 41.
18 Bitter, AR-Blattei SD 190 (Arbeitspflicht) Rn. 20.
19 Maschmann, NZA Beilage 1/2006, 13, 16; Reichold, in: MüArbR (Fn. 6), § 36 Rn. 41.
20 S. Fn. 5.
21 Tschöpe, Anm. zu BAG EzA Nr. 72 zu § 1 (Verhaltensbedingte Kündigung), S. 13, 14; Tschöpe, BB 2006, 213, 214.
22 Bengelsdorf, Anm. zu BAG EzA Nr. 62 zu § 1 KSchG (Verhaltensbedingte Kündigung), S. 13, 23; Fahl, Arbeit ist Leistung, 2004, S. 112 f.; v. Hoyningen-Huene/Linck, Kündigungsschutzgesetz15, 2013, § 1 Rn. 452; Hunold, BB 2003, 2345, 2346; Linck, in: Schaub (Fn. 1), § 131 Rn. 48; Tschöpe, BB 2006, 213, 214.
23 Statt vieler: Oetker, in: ErfK (Fn. 6), § 1 KSchG Rn. 103 f.
24 Bengelsdorf, Anm. zu BAG EzA Nr. 62 zu § 1 KSchG (Verhaltensbedingte Kündigung), S. 13, 23.
25 Berkowsky, in: MüArbR (Fn. 6), § 114 Rn. 74; Böttner, Das Direktionsrecht des Arbeitgebers, 1971, S. 30-32; Gamillscheg (Fn. 11), S. 250; Edenfeld, in: Erman, BGB13, 2011, § 611 Rn. 283; v. Hoyningen-Huene, in: FS Adomeit, 2008, S. 291, 293; v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG (Fn. 22), § 1 Rn. 454; Hunold, BB 2003, 2345, 2346; Linck, in: Schaub (Fn. 1), § 131 Rn. 48; Schiemann, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2009, § 243 Rn. 46; Tschöpe, Anm. zu BAG EzA Nr. 72 zu § 1 KSchG (Verhaltensbedingte Kündigung), S. 13, 14 f.; Tschöpe, BB 2006, 213; vgl. auch Motzer (Fn. 11), S. 120-123, der diesen Maßstab nur hinsichtlich der Qualität, nicht aber hinsichtlich der Intensität anwenden möchte.
26 Hammen, Die Gattungshandlungsschulden, 1995, S. 178-186; Hunold, BB 2003, 2345, 2346; Linck, in: Schaub (Fn. 1), § 131 Rn. 48; Motzer (Fn. 11), S. 120-123; Schiemann, in: Staudinger (Fn. 25), § 243 Rn. 46; Singer/Schiffer, JA 2006, 833, 834-837; ohne Hinweis darauf, ob direkte oder analoge Anwendung oder Heranziehen des Rechtsgedankens, vgl. Berkowsky, in: MüArbR (Fn. 6), § 114 Rn. 74.
27 Hunold, BB 2003, 2345, 2346; Singer/Schiffer, JA 2006, 833, 834.
28 Hammen (Fn. 26), S. 178-186; vgl. die Darstellung von Fahl (Fn. 22), S. 137-141, die persönlich § 243 Abs. 1 BGB nicht für auf die Arbeitspflicht anwendbar hält.
29 Die Analogie und die Anwendbarkeit auf das Arbeitsverhältnis begründend, Hammen (Fn. 26), S. 74-78, 178-186.
30 Vgl. den Gesetzeswortlaut des § 243 Abs. 1 BGB: „[…] eine nur der Gattung nach bestimmte Sache […]“.
31 Hunold, BB 2003, 2345, 2346; vgl. auch Tschöpe, BB 2006, 213, der aber vorschlägt, sich am Anforderungsprofil des Arbeitsplatzes zu orientieren.
32 Linck, in: Schaub (Fn. 1), § 131 Rn. 48; Tschöpe, Anm. zu BAG EzA Nr. 72 zu § 1 KSchG (Verhaltensbedingte Kündigung) Nr. 72, S. 13, 14 f.
33 So Motzer (Fn. 11), S. 121 hinsichtlich der Qualität der Arbeit. Das Argument hingegen ist sowohl auf die Qualität als auch die Intensität anwendbar.
34 Tschöpe, BB 2006, 213, 214.
aber kennen.35 Weiche die Leistung des Arbeitnehmers vom Anforderungsprofil ab, und sei es auch nur minimal, erbringe er eine Schlechtleistung.
III. Durchschnittlicher Arbeitnehmer als Leistungsmaßstab
Von Hoyningen-Huene/Linck vertreten ebenfalls, dass der Arbeitnehmer eine objektive Normalleistung erbringen muss.36 Sie bestimmen den Begriff der objektiven Normalleistung jedoch nicht nur in Anlehnung an § 243 Abs. 1 BGB, sondern konkretisieren die Normalleistung näher. Darunter ist ihrer Auffassung nach die Arbeitsleistung zu verstehen, die ein „durchschnittlicher Arbeitnehmer nach vollzogener Einarbeitung bei menschengerechter Gestaltung der Arbeitsbedingungen ohne Rücksicht auf Geschlecht, Alter und tägliches Schwanken der Arbeitsleistungen ohne gesteigerte Anstrengungen“ erbringt.37
IV. Arbeitspflicht als antizipierte Stückschuld mit objektivem Leistungsmaßstab
Zaumseil begreift die Arbeitspflicht als eine „antezipierte [sic] Stückschuld“.38 Als Leistungsmaßstab legt er den einer objektiven Normalleistung an. Dies ergebe sich zum einen bei einer verständigen Auslegung des Arbeitsvertrages gemäß § 157 BGB.39 Zum anderen werde nur ein objektiver Maßstab dem auch für das Arbeitsverhältnis geltenden Äquivalenzprinzip, also dem Grundsatz, dass Leistung und Gegenleistung annähernd gleichwertig sind, gerecht.40
V. Kritik an den objektiv-dynamischen Maßstäben
Da § 243 Abs. 1 BGB von „Sachen“ spricht41, müsste er, wenn überhaupt, analog auf die Arbeitspflicht angewendet werden. Die Voraussetzungen einer Analogie sind eine planwidrige Regelungslücke42 und eine vergleichbare Interessenlage43. Jedoch sind laut Tillmanns Auffassung diese Voraussetzungen nicht gegeben.44 Eine planwidrige Regelungslücke bestünde nicht, da der historische Gesetzgeber die Gattungsschuld auf Sachen beschränken wollte.45 Ferner passe § 243 Abs. 1 BGB tatbestandlich nicht für die Arbeitsleistung.46 Um tatbestandlich vergleichbar zu sein, müsse die Arbeitsleistung eine Gattungsschuld sein, was zumindest sehr zweifelhaft sei.47 Jedenfalls sei die Interessenlage nicht vergleichbar.48
Andere führen gegen eine Bestimmung der Arbeitspflicht gemäß oder in Anlehnung an § 243 Abs. 1 BGB an, dass ein solcher Maßstab dem personalen Gehalt eines Arbeitsverhältnisses nicht gerecht werde.49 Die Arbeitsleistung sei untrennbar mit der Person des Arbeitnehmers verbunden. Ferner werde dem Arbeitnehmer, wende man § 243 Abs. 1 BGB direkt oder analog an, das Beschaffungsrisiko aufgebürdet und er zur unentgeltlichen Nacherfüllung im Falle der Schlechtleistung verpflichtet.50 Das Arbeitsrecht kenne jedoch keine unentgeltliche Nacherfüllungspflicht.51 Vielmehr könne ein Arbeitnehmer auch mit einer Schlechtleistung erfüllen.52
Dagegen, das Anforderungsprofil des Arbeitsplatzes für maßgeblich zu erachten, spreche, so Verstege, dass das Problem nur von der Tatbestands- auf die Rechtsfolgenebene verlagert werde.53 Denn wie Tschöpe selbst sagt, soll eine kleine Abweichung vom Anforderungsprofil durch den Arbeitnehmer zwar bereits eine Schlechtleistung darstellen. Wann diese Schlechtleistung aber Konsequenzen nach sich ziehen könne, lässt er offen.
Sich an einem durchschnittlichen Arbeitnehmer zu orientieren, hält Tschöpe für impraktikabel.54 Die unbestimmten Rechtsbegriffe, die von Hoyningen-Huene/Linck verwendeten – z.B. „menschengerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen“–, machten es im Einzelfall unmöglich, den Inhalt der Leistungspflicht zu bestimmen.
Dem von Zaumseil befürworteten objektiven Leistungsmaßstab stehen die bereits genannten Argumente entgegen, wie beispielsweise, dass ein solcher Maßstab dem persönlichen Gehalt des Arbeitsverhältnisses nicht gerecht werde.55
D. Übertragung des Mangelbegriffs aus Kauf-, Miet- und Werkvertragsrecht
Fahl lehnt sowohl einen individuellen als auch einen objektiven Leistungsmaßstab ab. Sie vertritt die Auffassung, der Leistungsbegriff aus dem Kauf-, Miet- und Werkvertragsrecht könne auf den Arbeitsvertrag übertragen werden.56 Dies bedeute, dass zunächst der Arbeitsvertrag auf eine Abrede über den Inhalt der Leistungspflicht zu untersuchen sei.57 Enthalte dieser keine Regelung, sei der Vertrag nach objektiven Kriterien (§§ 133, 157 BGB) auszulegen. Dies laufe darauf hinaus, dass ermittelt werde, welche Leistungsquantität und -qualität bei Tätigkeiten dieser Art „üblicherweise“ geschuldet werde und was der Arbeitgeber mit Blick auf den Vertragszweck erwarten könne.
Zumindest auf der „ersten Stufe“ läuft Fahls vorgeschlagene Herangehensweise auf die aktuelle Rechtspraxis hinaus. Auch das Bundesarbeitsgericht erkennt offen an, dass eine
35 Tschöpe, BB 2006, 213, 215.
36 V. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG (Fn. 22), § 1 Rn. 454.
37 S. Fn. 36.
38 Zaumseil (Fn. 2), S. 53 ff.
39 Zaumseil (Fn. 2), S. 57.
40 Zaumseil (Fn. 2), S. 57 ff.
41 Thüsing, in: HWK (Fn. 6), § 611 Rn. 299 lehnt es aus diesem Grund ab, § 243 Abs. 1 BGB auf die Arbeitsleistung anzuwenden.
42 Zum Begriff der Regelungslücke vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6, 1991, S. 370-381.
43 Vgl. Larenz (Fn. 42), S. 381 f.
44 Tillmanns, RdA 2009, 391, 393.
45 Tillmanns, Strukturfragen des Dienstvertrags, 2007, S. 134 f., 139; Medicus, in: FS Felgentraeger, 1969, S. 309, 310 f.; Fahl (Fn. 22), S. 151.
46 Tillmanns (Fn. 45), S. 139-142.
47 Blomeyer, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht², Bd. 1 (Individualarbeitsrecht), 2000, § 48 Rn. 24 (Gegensatz Stückschuld-Gattungsschuld im Arbeitsverhältnis ohne besonderen Erkenntniswert); Fahl (Fn. 22), S. 152; Maschmann, Arbeitsverträge und Verträge mit Selbständigen, 2001, S. 177 f. (Einordnung als Speziesschuld); Müller-Glöge, in: MüKoBGB (Fn. 6), § 611 Rn. 157 (Vorschriften über die Gattungsschuld nicht auf die Dienstleistungspflicht im Arbeitsverhältnis übertragbar); Tillmanns (Fn. 45), S. 139-142 (weder Gattungs- noch Speziesschuld).
48 Tillmanns (Fn. 45), S. 143-148, insbesondere S. 147 f.
49 Bengelsdorf, Anm. zu BAG EzA Nr. 62 zu § 1 KSchG (Verhaltensbedingte Kündigung), S. 15, 30; Reichold, in: MüArbR (Fn. 6), § 36 Rn. 41.
50 Fahl (Fn. 22), S. 146 f., 153; Maschmann, NZA Beilage 1/2006, 13, 15; Söllner (Fn. 6), S. 150 zu § 279 BGB a.F.; vgl. Preis, in: ErfK (Fn. 6), § 611 BGB Rn. 645.
51 Vgl. Preis, in: ErfK (Fn. 6), § 611 BGB Rn. 683.
52 Fahl (Fn. 22), S. 153; vgl. Preis, in: ErfK (Fn. 6), § 611 BGB Rn. 683; vgl. Verstege, Die Kündigung wegen geminderter Leistung des Arbeitnehmers, 2008, S. 74.
53 Verstege (Fn. 52), S. 75.
54 Tschöpe, BB 2006, 213, 214.
55 S. Fn. 49.
56 Fahl (Fn. 22), S. 248-250.
57 Fahl (Fn. 22), S. 250-254.
vertragliche Vereinbarung über den Inhalt der Leistungspflicht dem subjektiven Maßstab vorgehe.58 Einer Auslegung des Vertrages auf der „zweiten Stufe“ gemäß §§ 133, 157 BGB ist im Ergebnis zuzustimmen.59 Allerdings führt die Übertragung des Grundgedankens aus §§ 433 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, 633 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BGB dazu, dass Fahl die Interessen des Arbeitgebers zu sehr in den Vordergrund stellt. Denn durch eine normative Auslegung, die allein auf einen objektiven Arbeitgeber abstellen würde, wird selten der Inhalt der Leistungspflicht vollumfänglich bestimmt werden können. Um den Inhalt vollumfänglich zu ermitteln, ist regelmäßig die ergänzende Vertragsauslegung heranzuziehen, in deren Rahmen wiederum die beiderseitigen Interessen zu berücksichtigen sind, nicht nur die der Arbeitgeberseite.60
E. Eigene Auffassung – Auslegung des konkreten Arbeitsvertrags
Wie gezeigt stehen allen vertretenen Auffassungen gewichtige Argumente entgegen. Viele Stimmen in der Literatur und auch die Rechtsprechung beschäftigen sich abstrakt mit der Frage, wie die Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers beschaffen ist. Dieser Ansatz weist jedoch methodische Schwächen auf. Das Gesetz enthält keine Regelung zum Inhalt der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers. Denn die Auffassung, die § 243 Abs. 1 BGB auf die Arbeitsschuld anwenden möchte, ist abzulehnen, da die Arbeitsleistung nicht als Gattungsschuld zu qualifizieren ist.61 Vielmehr stellt § 611 Abs. 1 BGB durch die Formulierung, der die Dienste Zusagende schulde die Leistung „der versprochenen Dienste“, den einzelnen Vertrag in den Vordergrund.62 Daher sollte der jeweilige Arbeitsvertrag ausgelegt werden, um den Inhalt der geschuldeten, d.h. der versprochenen Arbeitsleistung zu ermitteln.63 Zunächst ist dabei die normative Auslegung zu bemühen. Kommt diese zu keinem Ergebnis, ist die ergänzende Vertragsauslegung heranzuziehen.
I. Vorrang einer arbeits- oder tarifvertraglichen Abrede
Auszulegen ist der Arbeitsvertrag nur, wenn keine ausdrückliche und abschließende arbeits- oder tarifvertragliche Regelung getroffen wurde oder eine getroffene Regelung missverständlich ist.
II. Auslegungsmethode
Enthält der betreffende Arbeitsvertrag eine nicht eindeutige oder missverständliche Regelung über die Arbeitspflicht, so ist der Vertrag gemäß §§ 133, 157 BGB nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auszulegen. Für den Inhalt der einzelnen Willenserklärungen des Arbeitgebers und Arbeitnehmers ist jeweils auf die Sicht eines objektiven Beobachters abzustellen.64 Die im Rahmen der Gesetzesauslegung bekannten Auslegungsweisen Wortlaut, Telos, Historie und Systematik65 lassen sich nur eingeschränkt auf die Auslegung von Willenserklärungen übertragen.66 So kann längst nicht in jedem Fall eine historische Auslegung vorgenommen werden. Anstelle systematischer Erwägungen sind die Umstände der rechtsgeschäftlichen Erklärung zu berücksichtigen.67
Kann mittels der normativen Vertragsauslegung der Inhalt der Arbeitspflicht nicht ermittelt werden, ist die ergänzende Vertragsauslegung zu bemühen.68 Diese setzt eine planwidrige Regelungslücke in einem regelungsbedürftigen Punkt vo- raus.69 Eine solche besteht, wenn eine sich als regelungsbedürftig erweisende Situation unbeabsichtigt nicht vom Regelungsgehalt des Vertrages erfasst wird.70 Stellt man eine solche Regelungslücke fest, die nicht durch dispositives Recht gefüllt werden kann71, ist die vertragliche Regelung entsprechend dem hypothetischen Parteiwillen zu ergänzen.72 Unter dem hypothetischen Parteiwillen versteht man das, was redliche und verständige Parteien nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte vereinbart hätten, wenn sie die Regelungslücke gekannt und ihre beiderseitigen Interessen sachgemäß abgewogen hätten.73
III. Durch normative und ergänzende Auslegung ermittelter Inhalt der Leistungspflicht
Ermittelt man durch normative und ergänzende Auslegung den Inhalt der Leistungspflicht, so liegt es in der Natur der Sache, dass die Auslegung nicht stets zum gleichen Ergebnis kommen wird. Die Verträge werden sich regelmäßig in ihrem Inhalt, ihrer Formulierung und ihren den Vertragsschluss begleitenden Umständen unterscheiden. Im Folgenden soll dargestellt werden, was als Regelfall anzusehen ist.
1. Normative Vertragsauslegung
a) Arbeitsvertrag als Auslegungsgegenstand
Vorausgesetzt sei, dass der Arbeitsvertrag keine ausdrückliche Regelung enthält, die die Leistungspflicht bestimmt. Eine unklar formulierte Regelung über den Inhalt der Leistungspflicht wäre auszulegen. Näher eingegangen werden soll an dieser Stelle auf Regelungen, die womöglich nur indirekt eine Aussage über die geschuldete Arbeitspflicht treffen. Enthält der Arbeitsvertrag eine Tätigkeits- oder Positionsbeschrei-
58 BAGE 125, 257, 260; 109, 87, 92.
59 S. unter E.
60 Vgl. Busche, in: MüKoBGB (Fn. 6), § 157 Rn. 47.
61 S. dazu unter C.V. und in Fn. 47.
62 Vgl. Tillmanns (Fn. 45), S. 157 f.
63 So auch Tillmanns (Fn. 45), S. 157-199., dies., RdA 2009, 391, 393 f. und Sedlmeier, Unzureichende Arbeitsleistung – Voraussetzungen und Rechtsfolgen, 2009, S. 74, 99-119; vgl. Hunold, BB 2003, 2345, 2346, v. Hoyningen-Huene (Fn. 25), S. 291, 293-295, v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG (Fn. 22), § 1 Rn. 454, Linck, in: Schaub (Fn. 1), § 131 Rn. 48 und Tschöpe Anm. zu BAG EzA Nr. 72 zu § 1 KSchG (Verhaltensbedingte Kündigung), S. 13, 14 f., die alle stets eine objektive Normalleistung als Ergebnis der Auslegung ansehen.
64 BGH, NJW 2006, 286, 287; Hefermehl, in: Soergel (Begr.), BGB, Allgemeiner Teil 213, 1999, § 133 Rn. 14; Tillmanns (Fn. 45), S. 158; Wendtland, in: Bamberger/Roth, Kommentar zum BGB3, 2012, § 133 Rn. 27.
65 Vgl. Larenz (Fn. 42), S. 320-339.
66 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Zweiter Band, Das Rechtsgeschäft4, 1992, S. 309 f.
67 Flume (Fn. 66), S. 310-312.
68 Vgl. Flume (Fn. 66), S. 323 und Roth, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2010, § 157 Rn. 5, nach denen die Grenze zwischen eigentlicher und ergänzender Vertragsauslegung aber eine fließende ist.
69 Armbrüster, in: Erman (Fn. 25), § 157 Rn. 15 ff.; Biehl, JuS 2010, 195, 200; Busche, in: MüKoBGB (Fn. 6), § 157 Rn. 3; Roth, in: Staudinger (Fn. 68), § 157 Rn. 15; Wolf, in: Soergel (Fn. 64), § 157 Rn. 1238.
70 Cziupka, JuS 2009, 103, 104.
71 Zum grds. Vorrang einer dispositiven gesetzlichen Regelung gegenüber der ergänzenden Vertragsauslegung, vgl. beispielhaft BGH, NJW 2010, 1135, 1136 Rn. 9 (st. Rspr.), Biehl, JuS 2010, 195, 199 f., Roth, in: Staudinger (Fn. 68), § 157 Rn. 23 und Schimmel, JA 2001, 339, 341.
72 Roth, in: Staudinger (Fn. 68), § 157 Rn. 30.
73 BGHZ 164, 286, 292 (st. Rspr.); Armbrüster, in: Erman (Fn. 25), § 157 Rn. 20; Biehl, JuS 2010, 195, 200; Busche, in: MüKoBGB (Fn. 6), § 157 Rn. 47; Flume (Fn. 66), S. 322.
bung, könnte dieser eine Bedeutung zukommen, die durch Auslegung zu ermitteln ist.74
b) Deutung des festgestellten Erklärungstatbestands
Die Bedeutung des Erklärungstatbestands, sich zur Ausführung einer bestimmten Tätigkeit zu verpflichten, muss mit Hilfe der Auslegungsmethoden Wortlaut, Telos und gegebenenfalls der Historie ermittelt werden. Als Auslegungsmittel treten die außerhalb des Arbeitsvertrags liegenden Umstände hinzu, die Rückschlüsse auf den Sinn und Inhalt der Erklärung ermöglichen. Zu berücksichtigen sind dabei sämtliche Begleitumstände und das Gesamtverhalten der Parteien einschließlich der Vorgeschichte des Rechtsgeschäfts.75
Beispielhaft geschildert sei der folgende Fall: Der Betreiber einer Kfz-Werkstatt benötigt eine neue Arbeitskraft und schaltet deshalb eine Stellenanzeige in der Zeitung. In die Stellenanzeige nimmt er auf, dass er von den Bewerbern eine abgeschlossene Ausbildung als Kfz-Mechatroniker erwarte. A bewirbt sich und legt seiner Bewerbung eine Bescheinigung über seine abgeschlossene Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker bei. Der Betreiber entscheidet sich für A und stellt ihn ein. Sie unterschreiben einen Arbeitsvertrag, in dem die Formulierung „Herr A wird ab dem 1. Januar 2013 auf unbestimmte Zeit als Kfz-Mechatroniker in dem Betrieb des Arbeitgebers in B eingestellt“ enthalten ist.
Geht man hier vom Wortlaut der Klausel aus, so enthält dieser keine Hinweise auf eine Vereinbarung über die Leistungspflicht. Eine historische Auslegung der Klausel ist nicht möglich. Um zu ermitteln, welchen Sinn und Zweck die Parteien dadurch verfolgt haben, dass sie die Stellenbeschreibung „Kfz-Mechatroniker“ in den Arbeitsvertrag aufgenommen haben, sind die Umstände des Vertragsschluss zu betrachten. Umstände in dem geschilderten Beispiel sind die vom Arbeitgeber geschaltete Stellenanzeige und die von A eingereichten Unterlagen.
Berücksichtigt man aus der Warte eines objektiven Dritten die Umstände, so ergibt sich für das Verständnis der Klausel zweierlei: A verpflichtet sich erstens, eine abgeschlossene Ausbildung als Kfz-Mechatroniker zu haben. Zweitens, und für den Inhalt der Arbeitspflicht bedeutend wichtiger, A verpflichtet sich, die Arbeitsleistungen erbringen zu können, die man zum Bestehen der Ausbildung erbringen muss.76 Er verspricht also ein gewisses Leistungsvermögen, das selbst Bestandteil des Leistungsversprechens ist.77
Aus dem Beispiel ergibt sich, dass einer Tätigkeitsbeschreibung eine Aussage über den Inhalt der Leistungspflicht zu entnehmen sein kann. Um eine Tätigkeitsbeschreibung auszulegen, sind insbesondere die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen. Je nachdem, welche Anforderungen in einer Stellenanzeige oder einem Bewerbungsgespräch gestellt werden, und wie der Bewerber darauf reagiert, kann sich der Inhalt des versprochenen Leistungsvermögens auf gewisse, für den Erwerb einer Qualifikation notwendige Fähigkeiten erstrecken.78 Der Inhalt der Leistungspflicht wird auf diese Weise durch objektive Kriterien geprägt.
2. Ergänzende Vertragsauslegung
Kann der Inhalt der Leistungspflicht durch normative Auslegung nicht vollumfänglich ermittelt werden, kommt die ergänzende Vertragsauslegung zum Zuge.
a) Planwidrige Regelungslücke in einem regelungsbedürftigen Punkt
Ist der Inhalt der Leistungspflicht nicht vollumfänglich durch den Arbeitsvertrag geregelt, besteht eine Regelungslücke, die zumeist unbeabsichtigt sein wird. Regelungsbedürftig ist der Inhalt der Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers in jedem Fall. Die Leistungspflicht ist noch nicht vollumfänglich bestimmt, wenn beispielsweise die vielfach in der Literatur diskutierte Frage, ob der Arbeitnehmer neben den versprochenen Qualifikationen nur eine Leistung entsprechend seiner individuellen Fähigkeiten oder eine objektive Normalleistung schuldet, noch offen ist. Zudem ist zu klären, ob die vom Arbeitnehmer versprochenen Fähigkeiten dynamisch zu bestimmen sind.
b) Kein die Regelungslücke füllendes dispositives Recht
Während beispielsweise das Kaufvertragsrecht in Form des § 434 Abs. 1 S. 2 BGB eine dispositive Regelung für den Fall, dass keine ausdrückliche Vereinbarung über den Inhalt der Leistungspflicht getroffen wurde, bereit hält, gibt es eine solche Norm, die den Inhalt der geschuldeten Arbeitsleistung präzisiert, nicht. Insbesondere ist § 243 Abs. 1 BGB, wie oben gesehen, nicht diese Norm.79 Es kann daher kein dispositives Recht herangezogen werden, um die regelmäßig in Arbeitsverträgen bestehenden Lücken zu schließen. Nur der Leistungsort und die Leistungszeit sind in den §§ 269, 271 BGB geregelt. Regelt der Arbeitsvertrag den Leistungsort und die Leistungszeit nicht, gelten daher die §§ 269, 271 BGB.
c) Ergänzung der Regelungslücke gemäß dem hypothetischen Parteiwillen
Um die Regelungslücke über den Inhalt der Leistungspflicht zu schließen, ist der hypothetische Parteiwille zu ermitteln. Dieser richtet sich danach, „was redliche und verständige Parteien bei Kenntnis der planwidrigen Regelungslücke nach dem Vertragszweck und sachgemäßer Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) vereinbart hätten“80.
Im Regelfall könnte es dem hypothetischen Parteiwillen entsprechen, neben den durch normative Auslegung ermittelten objektiven Kriterien einen individuellen Maßstab zu vereinbaren.81 Denn der Arbeitgeber stellt einen Arbeitnehmer normalerweise ein, weil er von ihm und seinen Qualitäten
74 Thüsing, in: HWK (Fn. 6), § 611 Rn. 289.
75 Biehl, JuS 2010, 195, 197; Flume (Fn. 66), S. 310-312; Singer, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2012, § 133 Rn. 8.
76 Vgl. §§ 8 bis 11 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Kraftfahrzeugmechatroniker/zur Kraftfahrzeugmechatronikerin (BGBl. 2007 I, S. 1501); vgl. Sedlmeier (Fn. 63), S. 102, der dies als Erklärungssitte ansieht.
77 Vgl. Tillmanns (Fn. 45), S. 166.
78 Sedlmeier (Fn. 63), S. 102; im Ergebnis ähnlich, ohne den Weg über die Auslegung zu gehen, Fahl (Fn. 22), S. 255 und Kreller, AcP 123 (1925), 263, 286 f.; vgl. Maschmann, NZA Beilage 1/2006, 13, 16, der allgemein von der Haftung für die Einhaltung professioneller Standards spricht, ohne dies über den Weg der Auslegung zu begründen.
79 S. dazu unter C.V. und in Fn. 47.
80 BGHZ 164, 286, 292 (st. Rspr.); Armbrüster, in: Erman (Fn. 25), § 157 Rn. 20; Biehl, JuS 2010, 195, 200; Busche, in: MüKoBGB, § 157 Rn. 47; Flume (Fn. 66), S. 322.
81 Anders Tillmanns (Fn. 45), S. 161 f., die darauf abstellt, welchen Eindruck ein objektiver Empfänger von der zu erwartenden Leistung des betreffenden Arbeitnehmers gewinnen musste.
überzeugt ist.82 Zudem kennt der Arbeitnehmer gewöhnlich die Normalleistung im Betrieb nicht, was auch dem Arbeitgeber bewusst ist.
Jedoch würde ein individueller Maßstab, der nur um wenige objektive Merkmale angereichert ist, die Interessen des Arbeitnehmers zu stark in den Vordergrund stellen.83 Die Erwartung des Arbeitgebers, dass Leistung und Gegenleistung gleichwertig sind, würde nicht berücksichtigt. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestimmt der Arbeitgeber aber, wie viel ihm die Leistung des Arbeitnehmers wert ist, indem er dem Arbeitnehmer ein bestimmtes Gehalt anbietet. Dies ist der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber festlegt, unter welchen Voraussetzungen er die Austauschgerechtigkeit von Leistung und Gegenleistung als verwirklicht ansieht. Er wird dabei zumindest davon ausgehen, dass das Austauschgleichgewicht während der Vertragslaufzeit nicht erheblich gestört wird. Die berechtigten Erwartungen des Arbeitgebers zu diesem Zeitpunkt sollten daher in die Bestimmung der Leistungspflicht einbezogen werden. Die redlichen Vertragsparteien hätten somit eine objektive Grenze des individuellen, durch objektive Kriterien angereicherten Maßstabs vereinbart, um die Erwartungen und Interessen des Arbeitgebers angemessen zu berücksichtigen: Unterschreitet der Arbeitnehmer die Leistung um ein Drittel, die ein objektiver Dritter im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vom Arbeitnehmer in Zukunft erwarten konnte, so verletzt der Arbeitnehmer seine arbeitsvertragliche Pflicht. Denn das Bundesarbeitsgericht nimmt ab dieser Grenze von einem Drittel an, dass das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung erheblich beeinträchtigt ist.84 Was ein objektiver Dritter für die Zukunft erwarten konnte, ist dynamisch zu bestimmen, um zu berücksichtigen, dass sich das Leistungsvermögen des Arbeitnehmers nach der Einarbeitung erhöhen und irgendwann altersbedingt wieder verringern wird.
Das individuelle, um objektive Kriterien angereicherte Leistungsvermögen wird daher dergestalt begrenzt, dass der Arbeitnehmer das bei Vertragsschluss objektiv zu erwartende individuelle Leistungsvermögen nicht um ein Drittel unterschreiten darf.
In Bezug auf die Frage, ob das individuelle, um objektive Kriterien angereicherte Leistungsvermögen starr oder dynamisch zu bestimmen ist, wird es regelmäßig dem hypotheti-schen Parteiwillen entsprechen, das Leistungsvermögen dynamisch zu bestimmen.85 Die redlichen und verständigen Arbeitsvertragsparteien wissen darum, dass der Arbeitnehmer nicht ein Leistungsniveau konstant halten können wird.
F. Zusammenfassung
Die Frage, ob die Leistungspflicht des Arbeitnehmers in die Kategorie „individuell“ oder „objektiv“ einzuordnen ist, ist keine Frage, auf die es eine allgemeingültige Antwort gibt. Der Arbeitnehmer schuldet keine Leistung nach einem abstrakten Maßstab, sondern das, was er dem Arbeitgeber im Arbeitsvertrag versprochen hat. Die Frage nach dem Inhalt der Leistungspflicht ist daher jeweils im Einzelfall zu beantworten, indem der Vertrag ausgelegt wird. Vieles spricht indes dafür, im Regelfall von einem individuell-dynamischen, um objektive Kriterien angereicherten Maßstab auszugehen, für den es eine objektive Untergrenze gibt: Der Arbeitnehmer darf die Leistung, die ein objektiver Dritter im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vom Arbeitnehmer in Zukunft erwarten konnte, nicht um ein Drittel oder mehr unterschreiten.
G. Handlungsempfehlung für die Praxis
Dass eine allgemeingültige Aussage nicht möglich ist, liegt in der Natur der Auslegung einzelner Verträge. Dies kann zu Problemen in der praktischen Handhabung führen. Die Prob-leme könnte die Praxis umgehen, indem sie künftig ausdrück-liche Regelungen über den Inhalt der Arbeitspflicht in die Arbeitsverträge aufnähme. Eine solche Entwicklung würde zu mehr Klarheit zwischen den Vertragsparteien beitragen und könnte Missverständnisse über die geschuldete Leistung vermeiden.
Interessengerecht wäre eine Klausel, die § 27 Abs. 3 des Diskussionsentwurfs eines Arbeitsvertragsgesetzes von Henssler und Preis entspricht:
„Der Arbeitnehmer hat die ihm übertragenen Aufgaben unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit zu verrichten. Im Zweifel schuldet er jedoch mindestens zwei Drittel der von vergleichbaren Arbeitnehmern erbrachten Durchschnittsleistung.“86
82 Tillmanns (Fn. 45), S. 161.
83 Vgl. Sedlmeier (Fn. 63), S. 75.
84 BAGE 109, 87, 93 f.
85 So auch Sedlmeier (Fn. 63), S. 115-117 und Tillmanns (Fn. 45), S. 165 f.
86 Fassung vom August 2006:
http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-A55D278D-9E4A5560/bst/Diskussionsentwurf_August2006.pdf
(letzter Aufruf: 10.4.2013).