Editorial: Börsencrash und Credit Crunch

Welche Lehren sind aus der Finanzmarktkrise zu ziehen?

von Professor Dr. Rüdiger Veil*

Steil fallende Aktienkurse, drohende Insolvenzen von Banken und Versicherungsgesellschaften sowie Staatsbankrott – die Welt musste in den letzten Wochen mit beängstigenden Schlagzeilen leben. Es bedurfte milliardenschwerer Rettungsund Stützpakete in den USA, Europa und Asien, um den taumelnden Finanzmarktakteuren Halt zu geben. Diese staatlichen Hilfen konnten allerdings nur dazu dienen, die Symptome zu kurieren. Zu Recht haben sich daher die Regierungen der führenden Industrienationen zusammengesetzt und beratschlagt, was zu unternehmen ist, um erneuten Krisen vorzubeugen. Eine Marschroute scheint man schon gefunden zu haben. Der am 15. November von den G20-Staaten auf dem Weltfinanzgipfel beschlossene Aktionsplan benennt fünf Prinzipien einer Finanzmarktreform. Es sollen die Markttransparenz und die Marktregulation verbessert werden, die Marktintegrität gefördert, die internationalen Kooperationen verfestigt und die internationalen Institutionen reformiert werden.

Dies klingt noch sehr abstrakt. Konturen bekommen die Prinzipien für eine Reform der Finanzmärkte erst durch rund 50 Maßnahmen, die nach dem Aktionsplan kurzfristig, nämlich bis zum 31. März 2009, und mittelfristig ergriffen werden sollen. So ist beispielsweise die Rede davon, dass international gültige Richtlinien zur Bewertung komplexer Finanzinstrumente entwickelt, die Tätigkeit der Ratingagenturen reguliert und die Kommunikation zwischen Banken und Aufsichtsbehörden sowie die bankinternen Risikomanagementsysteme verbessert werden sollen.

Was ist von diesen und all den anderen im Aktionsplan aufgeführten Maßnahmen zu halten? Es trifft sicherlich zu, dass Politiker und Aufsichtsinstanzen in einigen entwickelten Ländern die Risiken, die in den Finanzmärkten entstanden sind, nicht richtig eingeschätzt haben. Eine Reform tut daher

Not! Die Staatsund Regierungschefs haben bei ihrem Treffen die relevanten Themen erfasst und mit erfreulicher Entschlossenheit bekundet, eine tiefgreifende Reform auf die Beine stellen zu wollen. Es ist aber noch zu früh für eine Bewertung des Reformpakets. Dies wird erst möglich sein, wenn die einzelnen Maßnahmen feststehen. Spannend wird vor allem sein, wie weit der politische Wille reicht, die international tätigen Akteure in ein Korsett effektiver Verhaltensregeln zu zwingen. Wird es gelingen, die Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden in Europa, den USA und Asien zu optimieren? Welche Rolle wird der Internationale Währungsfonds als Kontrolleur spielen können?

Selbst wenn es der Politik gelänge, sich auf eine schlagkräftige Reform zu verständigen, wird noch mehr erforderlich sein, um neue Finanzmarktkrisen zu vermeiden. Denn die jetzige Krise ist auf einen völlig überzogenen Optimismus und ein außerordentliches Maß an Nachlässigkeit verschiedenster Akteure zurückzuführen. Wie war es möglich, dass in den USA massenhaft Kredite zum Hauskauf an Personen vergeben wurden, die aufgrund ihres geringen Einkommens niemals in der Lage sein konnten, die Kredite zu bedienen?

Es bleiben weitere Fragen, die noch zu beantworten sind. Warum beanstandete in den Banken niemand, dass erhebliche Risiken aus dem Hypothekengeschäft auf Zweckgesellschaften verlagert wurden, die „außerhalb der Bilanz“ geführt wurden und für die kein entsprechendes Eigenkapital vorgehalten werden musste? Haben sich die Bankenvorstände mit diesem Thema befasst? Wusste jeder Kontrolleur in den Banken von dem Ausmaß der Risiken bzw. vermochte die


* Der Autor ist Inhaber des Alfried Krupp-Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Deutsches und Internationales Unternehmens- und Wirtschaftsrecht und geschäftsführender Direktor des Instituts für Unternehmens- und Kapitalmarktrecht (IUKR) an der Bucerius Law School.

Veil, Börsencrash und Credit Crunch (BLJ 2008, 112)113

komplexen Finanzinstrumente überhaupt zu verstehen? Die Finanzmarktkrise ist auch Ausdruck einer unzureichenden Corporate Governance. Es wird nicht erforderlich sein, auf diese Mängel mit neuen Regeln zu reagieren. Insbesondere wäre es kontraproduktiv, die Managerhaftung, wie von manchen Stimmen eindringlich angemahnt, zu verschärfen. Stattdessen sollte das Augenmerk der Durchsetzung der existierenden Verhaltensregeln gelten. Die unternehmerische Verantwortlichkeit der Vorstände und Manager gehört auf die Agenda der nächsten Aufsichtsratssitzungen.

Ein letzter Punkt: Mussten wirklich alle Banken – von den privaten Großbanken bis zu den staatlichen Landesbanken – auf den globalen Finanzmärkten aktiv sein und sich zum Ziel setzen, Renditen von 25 % und mehr zu erwirtschaften? Am Ende beklagten diese Banken ungeheure Verluste und ständigen Abschreibungsbedarf. Damit lösten sie einen nicht für möglich gehaltenen Vertrauensverlust aus. Nun ist es an ihnen, durch verantwortungsvolles Handeln den immensen Reputationsschaden wiedergutzumachen.