„Hard cases make bad law“

Symposium „Recht und Kunst“ zu Ehren des Altpräsidenten der Bucerius Law School

by Julia Ruwe*

Im Schatten der Sammlung Gurlitt, die im vergangenen November das Licht der Öffentlichkeit erblickte, schlummern noch viele ähnliche Schicksale. Während des Dritten Reiches von den Nazis entwendet oder beschlagnahmt, hängen die Bilder heute in deutschen Wohnzimmern, behauptete der Journalist und Kunsthistoriker Stefan Koldehoff beim Symposium „Recht und Kunst“ an der Bucerius Law School. Anders sah das sein Diskussionspartner, der Kunstrechtsexperte Prof. Dr. Peter Raue.

Dass extreme Fälle ein schlechter Ausgangspunkt sind, um ein allgemeines Gesetz zu schaffen, erkannte im 19. Jahrhundert schon der englische Richter Robert Rolfe im Fall Winterbottom v Wright.1 Auch Koldehoff, Autor des Buches „Die Bilder sind unter uns. Das Geschäfts mit der NS-Raubkunst“, ist der Meinung, dass gesetzliche Regelungen allein die historische Hypothek der NS-Raubkunst nicht lösen können. Entzieht der Staat den aktuellen Besitzern die Kunstgegenstände umstandslos, so Koldehoff, schaffe er neues Unrecht: Denn die Besitzer trennten in der Regel Erbschaften oder lange Verkaufsketten von denjenigen, die die Bilder in den 30er und 40er Jahren im Wissen um das Unrecht, das ihren Vorbesitzern geschah, erwarben.

Stattdessen plädierte er für die Einrichtung einer Bundesstiftung Raubkunst. Finanziert mit Zuschüssen deutscher Kunsthandelsunternehmen, denen der Handel mit Raubkunst noch in der Nachkriegszeit enorme Gewinne beschert habe, solle den Erben der jüdischen Opfer ermöglicht werden, die Neubesitzer bei freiwilliger Rückgabe für die Restitution der Bilder zu entschädigen. Freilich könne es sich dabei häufig nur um einen symbolischen Betrag handeln, der nicht an den wirklichen Wert der Bilder heranreiche.

Bei Raue löste dieser Vorschlag wenig Euphorie aus: Von den redlichen Neubesitzern, die als Marktteilnehmer ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen wahren müssten, könne in vielen Fällen nicht verlangt werden, die Bilder nur gegen einen Bruchteil ihres Wertes herauszugeben. Doch auch eine Entschädigungszahlung an die Besitzer aus dem Ausgleichsfonds in voller Höhe hält Raue für keinen realisierbaren Vorschlag. Dies zeige beispielhaft Ernst Ludwig Kirchners „Potsdamer Platz“, der für 30 Millionen Euro den Eigentümer gewechselt habe. Derartige Beträge an die heutigen Raubkunstbesitzer auszuzahlen, sei inakzeptabel, bedenke man, welch relativ geringe Summen etwa an die NS-Zwangsarbeiter gezahlt wurden.

„Wir brauchen ein deutsches Raubkunstgesetz nach dem Vorbild Österreichs“, war Koldehoffs zweite zentrale Forderung, da er nicht gänzlich auf gesetzliche Regelungen verzichten möchte. Staatliche Museen, gerade auf Ebene der Kommunen und Länder, entzögen sich immer wieder mit fadenscheinigen Ausreden dem Appell, bei der Restitution aktiv mitzuwirken.

Dem widersprach Raue vehement, da er von keinem Fall wisse, in dem ein Bild, das nachweislich als Raubkunst einzuordnen ist, nicht von den betroffenen staatlichen Museen zurückgegeben wurde. Dabei verwies er auch auf Äußerungen der neuen Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 29. Januar 20142 von 12.000 Restitutionen gesprochen hatte, die von der Arbeitsstelle für Provenienzforschung in Berlin bisher koordiniert worden seien.

Auch den Gesetzesvorschlag zur Modifizierung der Verjährungsregeln bei abhanden gekommenen Kulturgütern,3 den Bayern als Reaktion auf den Schwabinger Kunstfund vorgelegt hat, hält Raue für „grotesk“: „Dieses Gesetz ist reine Camouflage.“

Der Entwurf sieht vor, § 214 BGB um einen zweiten Absatz zu ergänzen, der die Ausübung der Verjährungseinrede beschränkt und dabei auf die Kriterien des Abhandenkommens und der Bösgläubigkeit abstellt. Wie man diese Tatbestandsmerkmale auszulegen habe, ist Raue zufolge vollkommen unklar. Zudem würde die Reform nur in den Fällen greifen, in denen ein Herausgabeanspruch nach § 985 BGB überhaupt besteht; dieser dürfte also etwa nicht durch gutgläubigen Erwerb gemäß § 935 Abs. 1 S. 1 BGB ausgeschlossen sein. Gerade bei Bildern, die von ihren jüdischen Eigentümern notgedrungen zu Schleuderpreisen abgegeben und sodann auf sogenannten „Judenauktionen“ versteigert wurden, sei aber zweifelhaft, ob sie ihren unmittelbaren Besitz tatsächlich unfreiwillig4 verloren haben. Nur unter dieser Voraussetzung wäre aber der Weg des gutgläubigen Erwerbs gemäß § 935 Abs. 1 S. 1 BGB versperrt, mithin jeglicher Eigentumserwerb eines späteren Käufers ausgeschlossen und ein Anspruch aus § 985 BGB begründet, sodass der Gesetzesentwurf eingreifen würde.

Doch auch Raue ist nicht gänzlich pessimistisch, dass der Umgang mit NS-Raubkunst verbessert werden kann: Er fordert, die öffentliche Debatte zu versachlichen; statt die Raubkunst reißerisch als „die letzten Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges“ zu bezeichnen, wie es etwa der Vorsitzende des World Jewish Congress Ronald S. Lauder jüngst getan habe,5 solle sich die Aufmerksamkeit stärker auf die Provenienzforschung richten. Der Staat müsse seine Bemühungen intensivieren, die


* Die Autorin ist Studentin an der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Winterbottom v Wright [1842] 10 M&W 109.

2 FAZ vom 29.01.2014, S. 27.

3 Entwurf eines Gesetzes zum Ausschluss der Verjährung von Herausgabeansprüchen bei abhanden gekommenen Sachen, insbesondere bei in der NS-Zeit entzogenem Kulturgut (Kulturgut-Rückgewähr-Gesetz, KRG), abrufbar unter http://www.justiz.bayern.de/media/pdf/gesetze/kulturgut_rs.pdf, letzter Abruf am 27.03.2014.

4 So die Definition des Abhandenkommens i.S.d. § 935, vgl. Oechsler. in: Münchener Kommentar zum BGB6, 2013, § 935 Rn. 2.

5 Äußerung im Rahmen seines Vortrags am 30.01.2014 auf Einladung des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien im Dokumentationszentrum Topographie des Terrors in Berlin; Vortrag abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/rede-von-ronald-s-lauder-zur-raubkunst-was-jetzt-getan-werden-muss-12777520.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2, letzter Abruf am 27.03.2014.

Ruwe, „Hard cases make bad law“ (BLJ 2014, 2)3

Herkunft einschlägiger Objekte in seinen Museen aufzuklären und gegebenenfalls an die jüdischen Erben zurückzugeben.

Angesichts der hohen Komplexität der einzelnen Fälle ist jeder Versuch einer einheitlichen Regelung durch den Gesetzgeber zum Scheitern verurteilt, so Raue. Er ist der Auffassung, dass das geltende Recht für jenen Teil der Sammlung Gurlitt, bei dem es sich um Raubkunst handelt, eine befriedigende Lösung bietet: Dem Staat stehe nämlich ein Herausgabeanspruch gegen Gurlitt aus dem Kommissionsvertrag zu, den Hildebrand Gurlitt mit Reichspropagandaminister Joseph Goebbels geschlossen habe.

Der Sohn Cornelius Gurlitt könne sich indes nicht auf Ersitzung (§ 937 BGB) berufen, da er von diesen geschäftlichen Kontakten seines Vaters schon als Kind erfahren habe, was in seinen Augen den Ausschlusstatbestand der Bösgläubigkeit gem. § 937 Abs. 2 BGB erfülle.6 Wenn aber die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des NS-Staates die Kunstwerke von Gurlitt herausverlangen könne, so müsse sie diese an die Opferfamilien weitergeben, da der Staat die Verjährungseinrede – im Anschluss an die Hans-Sachs-Entscheidung des Bundesgerichtshofs7 – nicht erheben könne.

Raues Bekenntnis, dass Aktionismus des Gesetzgebers die Raubkunstproblematik nicht löse, fand auch die Zustimmung des Jubilars Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt, anlässlich dessen 75. Geburtstages die Zeit-Stiftung und die Bucerius Law School zum Symposium geladen hatten. Mit seinen Dankesworten erinnerte er an die auf Judge Rolfe zurückgehende Rechtsparömie „Hard cases make bad law.“ Beide Vorträge seien auch Ausdruck des Schadens, den ein Unrechtsstaat über Generationen hinweg dem Rechtssystem zufügen könne.

Die Debatte zeigte, dass der Problemkomplex NS-Raubkunst unter mangelnder Transparenz leidet: Ob und in welchem Ausmaß Bund, Länder und Kommunen ihre Sammlungen durchforsten und Bilder tatsächlich zurückgeben, kann von der breiten Öffentlichkeit nicht nachvollzogen werden. Dies liegt auch daran, dass – wie Staatsministerin Grütters in der FAZ offen zugibt – Restitutionen oftmals „diskret verlaufen“. Inwieweit der Diskurs über die richtigen politischen und rechtlichen Maßnahmen sinnvoll geführt werden kann, solange Uneinigkeit darüber besteht, inwieweit schon jetzt Restitution von staatlicher Seite stattfindet, bleibt jedoch fraglich.


6 Nicht in gutem Glauben gemäß § 937 Abs. 2 BGB ist derjenige, der „bei Besitzerwerb das Fehlen der eigenen Rechtsstellung als Eigentumserwerber oder Eigentümer kennt oder grob fahrlässig nicht kennt“, vgl. Baldus, in: Münchener Kommentar zum BGB6, 2013, § 937 Rn. 28. Parallel zu §§ 990 Abs. 1, 955 Abs. 1 S. 2 BGB schaden bei Erwerb des Besitzes grob fahrlässige Unkenntnis und positive Kenntnis, während später nur positive Kenntnis bösen Glauben begründet (Kindl, in: Bamberger/Roth, Beck’scher Online-Kommentar zum BGB30, 2014, § 937 Rn. 6). Umstritten ist jedoch, welche Anforderungen an den Bezugspunkt des guten Glaubens im Einzelnen gestellt werden müssen: Teilweise wird vertreten, dass die bloße Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die zur mangelnden Eigentümerstellung führen, keinen bösen Glauben begründet, sondern dass jedenfalls konkrete Anhaltspunkte vorliegen müssen, die zu Zweifeln an der eigenen Rechtsposition veranlassen (so etwa Kindl, in: Bamberger/Roth (Fn. 5), § 937 Rn. 6) oder – weitergehend – diese Umstände i.S. einer fehlenden Rechtsstellung interpretiert werden müssen (dagegen Baldus, in: MüKoBGB (Fn. 5), § 937 Rn. 29). Auch Wiegand (in: Staudinger13 (2011), § 937 Rn. 8) nimmt eine Nachforschungsobliegenheit nur in Ausnahmefällen an, stellt dabei jedoch insbesondere an den Kunsthandel erhöhte Anforderungen.

7 BGH, Urt. v. 16.3.2012, Az. V ZR 279/10 = NJW 2012, 1796.