15. Streitgespräch des Bucerius Law Journal am 24. Oktober 2013
Es diskutierten Professor Dr. Gabriel Felbermayr (Inhaber der CESifo Professur für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Autor einer im Auftrag des BMWi entstandenen Studie über die Auswirkungen eines transatlantischen Freihandelsabkommens), Professor Dr. Peter-Tobias Stoll (Inhaber des Lehrstuhls für Internationales Wirtschaftsrecht und Umweltrecht an der Georg-August-Universität Göttingen) und Jürgen Knirsch (Globalisierungsexperte und Campaigner für Greenpeace). Die Moderation übernahm RiLG Dr. Sebastian Puth (Dozent für WTO-Recht an der Bucerius Law School).
Puth: Ich möchte Sie herzlich begrüßen zu diesem Streitgespräch, das unter der Überschrift steht „Das transatlantische Freihandelsabkommen – Wachstumsmotor oder Neoliberalisierungsagenda?”. Um gleich bei den Begrifflichkeiten zu beginnen: Als Abkürzung haben wir TTIP, die offizielle Bezeichnung, Transatlantic Trade and Investment Partnership. Es ist jetzt von einer Partnerschaft die Rede. Nicht mehr wie zu Be-ginn noch von der TAFTA, Transatlantic Free Trade Agreement. Von dieser Bezeichnung ist man wieder abgekommen. Ich denke, die Ähnlichkeit zu der vorhandenen NAFTA, mit der nicht alle wirklich zufrieden sind, die irgendwie damit zu tun haben, mag ihren Teil dazu beigetragen haben, dass man zu anderen Begrifflichkeiten gekommen ist.
Wie Sie vielleicht verfolgt haben, ist nach erfolgreichen Auftaktgesprächen im Juli dieses Jahres in Washington der weitere Verlauf der Verhandlungen etwas ins Stocken geraten, und zwar wurde im Zuge der Haushaltsauseinan-dersetzung in den Vereinigten Staaten die zweite Verhandlungsrunde durch die US-Regierung, die jetzt vom 7. Oktober an in Brüssel stattfinden sollte, abgesagt. Vielleicht ein guter Zeitpunkt, um sich das Projekt noch einmal kritisch anzusehen, was wir im Rahmen dieser Veranstaltung vorhaben, und die eine oder andere Dimension davon zu beleuchten. So viel zur Einleitung, damit Sie wissen, worum wir uns hier heute streiten werden – wenn es denn zum Streit kommt.
Ich möchte mit der ökonomischen Dimension beginnen. Das wird Sie nicht wirklich verwundern; darum geht es. Die beteiligten Akteure sind ja schon heute ganz weitgehend verflochten. Ich habe einmal zwei Zahlen herausgegriffen, um das etwas handhabbarer zu machen: Schon heute werden jeden Tag Waren und Dienstleistungen im Wert von rund zwei Milliarden Euro zwischen den Vereinigten Staaten und der EU ausgetauscht, das ist die Zahl Eins. Die Zahl Zwei beschäftigt sich mit den Investitionen. Der Wert der wechselseitigen Investitionen belief sich im Jahr 2011 auf rund 2,7 Billionen Euro in dem Verhältnis EU – Vereinigte Staaten. Das, meine ich, macht schon deutlich, wie weitgehend die Bereiche schon verflochten sind, sodass sich die Frage unmittelbar aufdrängt: „Geht es denn noch besser?“ Und mit dieser Frage möchte ich mich gerne Herrn Felbermayr zunächst zuwenden. Sie haben die möglichen Effekte untersucht und das Wort möchte ich Ihnen gerne erteilen.
Felbermayr: Danke Ihnen. Ich danke auch für die Einladung, hierher zu kommen. Geht es noch besser? Die Antwort ist: Ja, es geht noch besser. Die Zahlen, die genannt worden sind, sind gigantisch, das ist keine Frage. Hinter den Handelsvolumina, die wir aber so kennen aus den öffentlichen Statistiken, stecken aber auch jede Menge Doppelbuchungen. Wenn Sie sich den deutschen Handel mit den USA angucken, da stecken z.B. Zwischenprodukte drinnen, die aus Osteuropa kommen oder die aus China kommen, die werden auch als Exporte Deutschlands in die EU verbucht, sodass man – wenn man sich die Zahlen nicht in diesen platten Statistiken anguckt, sondern nachdenkt, was eigentlich der Wertschöpfungsgehalt dieser Exporte in die USA ist, und das muss man, vor allem wenn man das mit dem Bruttoinlandsprodukt dann vergleicht – darauf kommt, dass es eine deutlich kleinere Zahl ist. Also größenordnungsmäßig 30% des Welthandels findet zwischen EU und USA statt, aber wenn man auf Wertschöpfung absieht, dann reden wir eher von 20%-25%. Gleichzeitig aber haben diese beiden großen Blöcke USA und Europa ungefähr 45% des Welt-BIP in Dollar gerechnet. Von Kaufkraftparitäten haben Sie vielleicht eher Zahlen von 40 %, aber das ist auch nicht die wichtige Statistik. Aber wenn man sich theoretisch Gedanken macht „Was ist da noch drinnen?”, sagen die meisten Handelsmodelle, wir sollten so viel Handelsanteile haben zwischen zwei Regionen wie diese Regionen einen Anteil des Welt-BIP auf sich vereinen, also statt 20-22% Wertschöpfungsanteil sollten wir sehen, dass es eher an die 40-45 % geht. Und da sehen Sie auch das Delta, das uns die Potentiale ausleuchtet.
Was hindert denn die beiden großen Wirtschaftsmächte, heute schon mehr Handel miteinander zu treiben? Die Zölle sind es nicht, so wie es gesagt wurde. Die Zölle sind im Durchschnitt, je nachdem, wie man gewichtet und wie man das genau ansieht, zwischen 2% und 3%. Die Zölle sind also nicht die große Hürde. Es gibt ein paar Zollspitzen, und Zollspitzen an sich sind schädlich. Wenn man die Zölle angleichen würde über einzelne Produkte hinweg oder sie ganz absenken würde, wären da schon ganz erhebliche Wohlfahrtseffekte drin. Aber das Gros des Handelshemmnisse sind entweder natürliche Handelsbarrieren wie z.B. Distanz, wie die unterschiedlichen kulturellen Systeme, in denen wir leben, die Sprache, auch rechtliche Unterschiede, die einfach existieren; oder zweitens das, was bezeichnet wird als nicht-tarifäre Maßnahmen, non-tariff measures. Und dahinter verbirgt sich eine gewaltige Anzahl an ganz verschiedenen Maßnahmen, die existieren meistens mit einem guten Grund, z.B. der Verbraucher, Schutz der Umwelt usw., die aber letztlich auch einen protektionistischen Effekt haben können.
Um mal ein Beispiel zu nennen: In der Automobilbranche gibt es unterschiedliche Vorschriften und unterschiedliche Standards, wie Autos auszusehen haben, wie sie konstruiert werden müssen. Das sind Lächerlichkeiten wie die Farbe der Abblinklichter, ob die gelb oder rot sein müssen. Oder Dinge, in welcher Höhe, in welchem Abstand zum Boden die Bremsleuchten angebracht werden müssen. Jeder, der das liest, denkt, mein Gott, das kann doch nicht so schwierig sein.
Aber diese Liste hat kein Ende. Da geht es um Millionen solcher Kleinigkeiten, die sich addieren und die dann dazu führen, dass deutsche Automobilhersteller die Heckpartie eines Autos zweimal entwickeln müssen, einmal für den europäischen Markt und einmal für den amerikanischen Markt. Das verdoppelt dort die Kosten. Das führt dazu, dass wir z.B. in Europa manche Modelle, die Sie vielleicht in den USA im Urlaub gesehen haben, bei uns nicht kaufen können, weil sie bei uns nicht so ohne weiteres zugelassen würden. Das würde höhere Kosten verursachen bei den amerikanischen Automobilherstellern und umgekehrt.
Die Frage ist jetzt natürlich, von diesem gewaltigen Dschungel an nicht-tarifären Hürden, die da existieren, was ist davon überhaupt politisch angreifbar? Was kann man da absenken? Und da beginnt dann schon eine gewisse methodische Debatte. Wie soll man das machen? Die Kommission hat eine Studie in Auftrag gegeben, da wurde wirklich dieser ganze Dschungel durchforstet. Und für jedes Item, das man da hat, wurde gefragt: Wie viel trauen wir denn dem Michael Foreman und dem Karel De Gucht, die da miteinander verhandeln, zu, dass sie absenken. Das ist ein Weg. Wir haben es anders gemacht. Wir haben uns gefragt: Was ist denn das Potential dieser Absenkung dieses sehr komplexen Kostenbereichs, wenn wir angucken, was andere tiefe Abkommen geleistet haben. Es gibt ja schon welche. Das ungeliebte NAFTA ist ein Beispiel, der Europäische Binnenmarkt ist auch ein Beispiel. Die USA hat ein Abkommen z.B. mit Israel, das auch ein tiefes Abkommen ist, usw. Wir haben Beispiele und man kann das heutzutage ökonometrisch untersuchen. Und was wir finden, ist, dass die Gesamtzahl der Kosten, die heute noch neben den Zöllen auf dem transatlantischen Handel liegen, ungefähr 40% des Produktionswertes ausmachen., Das ist eine große Zahl. Sie enthält aber auch wirklich alle Kostenbelastungen. Und davon lassen sich 15 Prozentpunkte potentiell durch ein solches Abkommen aus der Welt schaffen. Und das ist eine ganze Menge. Wie viel von dieser Menge realistisch ist, das weiß ich nicht. Unser Job ist es, für den deutschen Steuerzahler die Potentiale aufzuzeigen. Und was dann verhandelt wird, muss gegen diese Potentiale verglichen werden. Dann kann man sagen, ob es ein Erfolg war oder kein Erfolg.
Wenn man absenkt, was sind die Effekte? Im besten Fall, wenn sie die 15% nicht-tarifäre Kosten wegbekommen und 2-3% Zölle abschaffen, dann sehen wir gemäß unseren Modellrechnungen für Deutschland einen Zuwachs des realen Pro-Kopf-Einkommens von 4,7% in der langen Frist. Das dauert ungefähr 15 Jahre, bis diese 4,7% sich wirklich auch materialisiert haben werden. Und wenn man sich das in Jahreswachstumsraten überlegt, dann sind es ungefähr 0,3 % mehr Wachstum mehr pro Jahr für die nächsten 15 Jahre, die wir aus einem solchen Abkommen ziehen können. Was bedeutet das für die Jobs? Wir haben uns angeguckt, wie viel Reduktion der Arbeitslosigkeit stattfinden kann, und kommen auf Zahlen zwischen 150.000 und 200.000 Arbeitsplätze – neugeschaffen aufgrund dieser abgesenkten Handelskosten in Deutschland. Es gibt natürlich auch negative Seiten dieses Abkommens, es ist nicht alles wunderbar. Wenn ich über Effekte spreche mit der Größenordnung 4,7 % und 200.000 Arbeitsplätze mehr, dann spreche ich über die lange Frist. Über die kurze Frist wissen wir, dass Handelsliberalisierungsschocks zu einer Restrukturierung von Industrien führen, typischerweise. Das hat man auch beim NAFTA-Fall gesehen beispielsweise. Das ist der Grund, warum NAFTA nicht so beliebt ist – noch nicht, hoffentlich –, weil es den Wettbewerb natürlich verstärkt.
Wenn man sich die Automobilbranche wieder anschaut, beispielsweise die Zulieferer: In Deutschland agieren sie jetzt unter dem Schutzwall diverser Vorschriften, auch Zölle, die erheblich sind, die sie vor dem Wettbewerb amerikanischer Zulieferer schützen. Und wenn diese Barrieren wegfallen, dann gehen wir davon aus, dass es für die weniger wettbewerbsfähigen Firmen im Zulieferbereich schwierig wird. Die verlieren Marktanteil. Dort wird Beschäftigung abgebaut. Gleichzeitig aber sind die wettbewerbsfähigeren deutschen Zulieferer in der Lage, ihre Marktanteile in den USA auszubauen und – was aus meiner Sicht besonders interessant ist – es sind gerade Firmen im mittleren Bereich, die von einer Liberalisierung im nicht-tarifären Bereich profitieren, weil alles darauf hindeutet, dass diese nicht-tarifären Barrieren fixe Kosten darstellen für die Unternehmen. D.h. das Unternehmen muss sich fragen: Sind eigentlich die im Ausland zu erzielenden Deckungsbeiträge groß genug, dass ich die fixen Kosten dieses Markteintritts leisten kann. Und wenn jetzt ein mittelständisches Unternehmen, das ein wettbewerbsfähiges Produkt hat, davon ausgehen muss, dass es nicht genug Umsatz hat, um die fixen Kosten abzudecken, dann kann es sein, dass ein Absenken dieser fixen Kosten dazu führt, dass plötzlich der Markteintritt in den USA für diese Unternehmen möglich wird. Also wir sehen, wenn wir uns die Unternehmensverteilung ansehen, die Vorteile bei den mittleren Firmen.
Ja, zu diesem Thema ließe sich noch sehr viel sagen. Vielleicht kommen wir in der weiteren Folge des Gesprächs noch darauf zu sprechen. Eine Sache, die mir interessant erscheint, die in der Debatte bisher ziemlich unterbeleuchtet ist: Wenn Sie sich die Studie der Kommission angucken, dann wird Europa als ein Block betrachtet. Mit denselben Methoden, mit denen wir nachsehen können, wie hoch die Handelskosten zwischen der EU und den USA sind, können wir aber auch nachsehen: Wie hoch sind denn eigentlich die Handelsbarrieren in Europa? Und die sind nicht wirklich viel niedriger. Sie sind niedriger, aber wir reden noch immer von erheblichen Friktionen innerhalb Europas. Und dann stellt sich natürlich die Frage: Wie sind denn die einzelnen Länder in Europa betroffen von einem solchen Abkommen; wie sind zum Beispiel Griechenland oder Portugal betroffen, die gerade in der Krise sind? Und da gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, dass tendenziell Länder mit kleinen Binnenmärkten von diesem Abkommen besonders profitieren werden. Da gehören Griechenland und Portugal dazu, und Irland. Das sind Länder, die einen besonderen Nutzen aus dem Außenhandel ziehen, weil ihr Binnenmarkt so klein ist. Gleichzeitig aber ist für diese Länder auch festzuhalten, dass der Anpassungsbedarf durch einen solchen – ich sage mal –„Globalisierungsschub” besonders hoch ist. Und wenn Sie sich jetzt die Arbeitsmarktsituation zum Beispiel in Portugal ansehen, so muss man skeptisch sein, was die kurze Frist angeht. Dort kann TTIP sehr wohl, jedenfalls innerhalb der kurzen Frist, zu einer Verschärfung der jetzt schon angespannten Situation führen, gleichzeitig aber auch natürlich zu einem Anreiz, die Reformen weiter zu treiben. Denn wenn diese Länder wett-
bewerbsfähig werden, auf den Weltmärkten erfolgreich sein werden – man kann ja nur hoffen, dass das in absehbarer Zeit passiert –, dann hilft der Zugang zu diesem großen, reichen Markt Amerika, um die wiedergewonnene Wettbewerbsfähigkeit auch richtig in Jobs und Wachstum ummünzen zu können.
Puth: Ich nehme also mit: Die Musik spielt bei den non-tariff measures, insbesondere bei den technischen Vorschriften und Normen im Eigentlichen, die dem Handel entgegenstehen mögen. Nun erschöpfen sich diese ja nicht alle in der Gestaltung von rückwärtigen Partien von Pkw oder ähnlichen Dingen, die uns weitgehend unberührt lassen in unserer täglichen Lebensführung. Wir haben ja auch ganz viele, sehr empfindlich wirkende technische Vorschriften. Wenn man mal an die Streitigkeiten um hormonbehandeltes Rindfleisch denkt oder an den Einsatz von gentechnisch veränderten Organismen in der Nahrungskette, so mögen ja zwischen den Partnern in einigen sensiblen Bereichen so weitreichende Unterschiede bestehen, dass wir möglicherweise Gefahr laufen, den hohen europäischen Schutzstandard zu verlieren. Da wird in der Diskussion häufig auf das europäische Vorsorgeprinzip Bezug genommen. Herr Stoll, wie sehen Sie diese Diskussion? Sehen Sie dieses Prinzip grundsätzlich in Gefahr? Welche Bedeutung hat es? Bitteschön.
Stoll: Ja, ganz herzlichen Dank. Ich möchte mich auch an dieser Stelle für die Einladung bedanken und für die Chance, hier sein zu können und etwas zu diesem wichtigen Thema zu sagen.
Unter „Vorsorgeprinzip” verstehen wir allgemein – mit einer Reihe von Details, die hier nichts zur Sache tun – das Prinzip, dass eine Regierung in Fällen, in denen eine Gefahr für die Umwelt oder für die Menschen droht, schon Maßnahmen ergreifen kann und eigentlich auch soll, auch im Vorfeld einer abgeschlossenen wissenschaftlichen Bewertung. Das soll heißen, dass Maßnahmen auch ergriffen werden können, wenn man einen Verdacht hat, dass beispielsweise eine Chemikalie eine gesundheitsschädliche Wirkung hat – nehmen wir zum Beispiel Asbest –, oder dass zum Beispiel die Wachstumshormonbehandlung von Kälbern in den USA mit den möglichen Resten dieses Wachstumshormons im Rindfleisch, das dann nach Europa importiert wird, dazu führt, dass der europäische Verbraucher dieses Hormon möglicherweise mit dem Genuss des Fleisches zu sich nimmt und dadurch Gesundheitsschäden erleidet. Man sollte dazu sagen: Das Vorsorgeprinzip ist eigentlich eine deutsche Erfindung; es wurde dann europäisiert, im Wesentlichen durch die Umweltpolitik, und seit 1992 finden wir es auch als Bestandteil großer internationaler Dokumente über die Politikbereiche Umweltpolitik und nachhaltige Entwicklung. Die Schlusserklärung der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung, die berühmte Rio-Konferenz enthält dieses Vorsorgeprinzip, genauso wie die wohlbekannte Klimarahmenkonvention und zum Beispiel die Konvention über die biologische Vielfalt. Also das internationale Umweltrecht enthält diesen Grundsatz der Vorsorge. Nun finden wir diesen Vorsorgebegriff nicht ohne weiteres in den ganzen Regularien der Weltwirtschaft. Die WTO enthält zwar einen Hinweis auf das Prinzip der Nachhaltigkeit und wir finden eine Annäherung daran in dem sogenannten SBS-Abkommen, aber das ist vielleicht ein bisschen zu sehr im Detail. Aber das Problem, das oft bezeichnet wird als ein Problem zwischen Handel und Umwelt, das besteht tatsächlich, weil viele der internationalen Handelsregeln, die wir schon haben oder die jetzt gerade verhandelt werden, möglicherweise diesen Vorsorgegedanken nicht in der Form aufnehmen, wie wir in Europa darüber denken. Und das liegt daran, dass es einen Kulturunterschied gibt.
Dieses Vorsorgeprinzip ist insbesondere in Nordamerika, in Kanada wie in den USA, nicht so verbreitet. Das heißt jetzt nicht, dass es dort nicht andere Prinzipien geben kann oder andere Argumente, um auch einen wirksamen Verbraucherschutz oder Umweltschutz zu betreiben. Aber an dieser Stelle besteht ein wirklicher Unterschied, und diesen Unterschied können wir immer wieder an Handelskriegen über den Atlantik feststellen. Das eine Beispiel ist Asbest, daran war Kanada beteiligt; das zweite große Beispiel ist die Frage des Hormonfleisches. Eine andere große Frage ist gentechnisch verändertes Pflanzenmaterial, hauptsächlich für die Landwirtschaft, aber auch für andere Bereiche; eine andere Sache ist die Behandlung von Hühnerfleisch durch Chlor; und die Liste ließe sich eigentlich noch fortsetzen. Um an das, was Herr Felbermayr gesagt hat, anzuschließen: Es ist eben ein Problem, wenn wir in Bereiche kommen, wo unsere unterschiedlichen Standards jetzt nicht nur zufällig oder aus historischen Gründen anders sind, sondern wo sie solche politischen Kulturunterschiede repräsentieren. Da ist es dann natürlich relativ schwer, zu einer Einigung zu kommen, und da wäre abzusehen, dass es einen Konflikt gibt zwischen den beiden Vertragsparteien. Entweder lassen sie diese Ebene dann ganz außer Betracht in den Abkommen – das ist aber nicht unendlich möglich; aus einer Reihe von Gründen kann man nicht alle diese Streitfälle ausklammern – oder dann stellt sich die Frage: Setzt sich die europäische Position durch, die wir mit dem Wort „Vorsorgeprinzip” vielleicht ganz gut bezeichnen können, oder macht Europa in diesem Bereich dann Kompromisse?
Puth: Ich denke, Herr Knirsch wird dazu noch etwas sagen wollen, sodass ich gerne danach wieder zurückgebe.
Knirsch: Auch von meiner Seite einen schönen Abend und herzlichen Dank für die Einladung. Ich würde gern das ergänzen, was Herr Stoll gerade gesagt hat. Zunächst der Hinweis, dass das Vorsorgeprinzip auch in der europäischen Verfassung verankert ist, somit hat eigentlich die EU-Kommission den Auftrag, dieses Vorsorgeprinzip in allen Politikbereichen durchzusetzen. Wenn man die Kommissionsvertreter fragt: „Wie ist das mit den Chlorhähnchen, der Gentechnik und dem Hormonfleisch?”, dann sagen sie: „Ganz ruhig bleiben, keine Panik. Ihr könnt ganz entspannt sein als Nichtregierungsorganisationen. Wir geben unsere Standards nicht auf.”
Ist das so? Wir haben uns angeschaut, was die Lobby-Verbände auf der amerikanischen Seite für Forderungen gestellt haben. Sie werden heute von mir ein paar kritische Töne über die USA hören; es gibt aber auch Bereiche, wo man sie loben muss. Und wo man sie vor allem loben kann, ist die Tatsache, dass sie mit der Transparenz viel weiter sind als wir hier in Europa. Es gab vom US-Handelsbeauftragten, dem Handelsminister der USA, eine öffentliche Anhörung im Mai in Washington, auf der Verbände der Industrie und Nichtregierungsorganisationen ihre Statements abgeben und ihre Befürchtungen und Wünsche äußern konnten. Wir haben die im Internet verfügbaren Statements von knapp 30 US-
Industrieverbände untersucht, und in diesen kommen Aussagen vor wie: „Das Vorsorgeprinzip ist nicht wissenschaftlich fundiert; das muss gekippt werden,” Es ist überraschend, dass sich diese Aussagen auch in der Wortwahl ziemlich deutlich wiederholen. So wird mehrfach darauf hingewiesen, das Vorsorgeprinzip würde nicht auf „sound science” beruhen, also auf irgendeiner abgesicherten Wissenschaft. Ich bin Biologe. Als ich studierte, gab es einen Begriff wie „sound science” nicht. Er ist 1993 von einer für den Tabakkonzern Philip Morris arbeitenden PR-Agentur in der Auseinandersetzung um das Gesundheitsrisiko des Passivrauchens in die Welt gesetzt worden. Jetzt greift man auch bei TTIP auf diesen PR-Kampfbegriff zurück und sagt: „Alles, was die EU macht bei Gentechnik, gegen Chlorhähnchen, oder gegen den Einsatz von Hormonen und andere Wachstumsbeschleuniger in der Fleischproduktion, das ist nicht wissenschaftlich abgesichert.“ Also: wir haben diese Standards, wir haben diese Gesetzgebung, wir haben die Aussage der Kommission, sie nicht aufs Spiel zu setzen, aber wir haben auch deutlich formulierte wirtschaftliche Interessen in den USA, das Vorsorgeprinzip zu kippen.
Und dann passierte noch etwas Interessantes: Der US-Ausschuss für Landwirtschaft, Wissenschaft und Technik, CAST abgekürzt, hat im Juni, kurz nachdem die Kommission das Mandat für die Verhandlungen gegeben hatte, eine Studie zum Vorsorgeprinzip herausgegeben. Dass CAST zu dem Thema publiziert, ist an sich nichts Unübliches, aber der Zeitpunkt überrascht schon, denn die Jahre vorher gab es keine derartige CAST-Studie. Die CAST-Studie ist sehr interessant: Auf der einen Seite sagt sie: „Ja, das Vorsorgeprinzip ist eigentlich eine gute Idee.“ Und auf der anderen Seite behauptet sie: „Aber diese Idee ist gescheitert, denn es gibt unterschiedliche Definitionen, was Vorsorge ist, es ist alles nicht wissenschaftlich eindeutig fassbar. Millionen von Menschen sterben an Hunger, weil das Vorsorgeprinzip durch die EU angewandt wird, weil man ihnen Gentechnik vorenthält oder weil sie gewisse andere Fortschritte in der landwirtschaftlichen Produktion nicht bekommen.“ Nun kann man durchaus am Vorsorgeprinzip Kritik haben. Man könnte nun also sagen: „Okay, lasst uns doch am Vorsorgeprinzip arbeiten, es weiterentwickeln, die vielleicht fehlenden methodischen Standards einbauen.“ Das will die US-Seite aber gar nicht, sondern sie verweist lieber auf das Goldlöckchen-Prinzip. Vielleicht kennen einige das amerikanische Märchen von Goldlöckchen und den drei Bären. Ein kleines, hungriges und müdes Mädchen geht in ein Haus, in dem drei Bären leben. Der eine hat ein enges Zimmer und liebt sehr scharfes Essen, der andere hat ein großes Zimmer und bevorzugt eher mildere Kost, und der dritte hat ein Zimmer von der richtigen Größe für das Mädchen und kocht auch so, wie es dem Mädchen schmeckt. Er repräsentiert also die goldene Mitte. Aber: Ist ein Goldlöckchen-Prinzip etwas, das wissenschaftlich basiert ist? Das bezweifele ich.
Es gibt also einen deutlichen Angriff auf das Vorsorgeprinzip der EU. Aus meinen Erfahrungen des Verhaltens der EU-Kommission in WTO-Verhandlungsprozessen habe ich meine Zweifel, ob die Kommission ihre Ankündigungen auch immer einhält. Am Ende der TTIP-Verhandlungen werden ja alle Verhandlungsthemen parallel abgeschlossen. Es gibt das Single Undertaking genannte Verfahren, dass nicht einzelne Punkte nacheinander – sondern in der Schlussrunde gemeinsam abgehandelt werden. Und dann ist eben die Frage, ob man Autoschlusslichter gegen Chlorhähnchen tauscht oder nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob die EU-Kommission immer so standhaft bleiben wird, wie sie jetzt vorgibt. Danke.
Puth: Ja, vielen Dank. Ich glaube tatsächlich, dass es zum Schwur kommen wird, wenn man einzelne umstrittene Standards aushandeln wird, wenn es also nicht gelingt, diese en bloc auszuschließen, wie Sie, Herr Stoll, gerade gesagt haben, Prinzipienbezeichnung hin oder her. Ich möchte diesen Bereich jetzt zur Seite stellen und die Diskussion auf den zweiten Teil im Namen „Freihandels- und Investitions-Übereinkommen” lenken, sprich also auf den Investitionsschutz. Da ich mir vorstellen kann, dass der ein- oder andere unter den Zuhörern damit nicht allzu viel anfangen kann, was es denn in rechtlicher Hinsicht damit auf sich hat, würde ich Herrn Stoll gerne bitten, uns dazu eine Einführung zu geben. Welche Bedeutung hat der Investitionsschutz im Völkerrecht?
Stoll: Ja, herzlichen Dank. Sie haben gelesen: Dieses neue Freihandelsabkommen oder dieses Projekt heißt TTIP, da steckt Transatlantic Trade and Investment Partnership dahinter. Investment ist für den international tätigen Juristen eine zweite Ebene neben dem Handel. Wir haben auf der ganzen Welt ein System von Investitionsschutz, was in seinen Ursprüngen auf dem Völkergewohnheitsrecht beruht, wo es schon ganz alte Regeln gibt. Da will man zunächst, dass man Fremden im eigenen Land nicht ihr Eigentum wegnehmen soll, aber seit etwa Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre hat man dieses System perfektioniert. Man hat Verträge geschlossen zwischen den einzelnen Ländern, die eigentlich im Wesentlichen nur drei große Punkte haben. Der erste ist: Man soll das Eigentum von ausländischen Investoren im Land schützen, und wenn man es enteignet, dann soll man ihnen dafür eine Entschädigung zahlen. Diese Entschädigung soll, das wird im Einzelnen dann ausgeführt, äquivalent sein, sofort gezahlt werden und in einer Form gezahlt werden, dass sie wirklich als Entschädigung dienen kann. Daneben gibt es eine Reihe von anderen Standards. Man soll Investoren fair und gerecht behandeln; das ist ein weiterer Standard, den man in diesen Investitionsschutzabkommen findet.
Und der dritte Punkt ist sehr wichtig: Es gibt unter der Weltbank so eine Art Schiedsinstitution, die eine ganz einzigartige Konstellation ermöglicht, nämlich dass eine Privatperson, ein Investor, vor einem internationalen Schiedsgericht gegen den Gaststaat, in dem seine Investition belegen ist, klagt auf Kompensation für eine erlittene Enteignung oder für eine unfaire Behandlung, die ihm einen Nachteil gebracht hat. Das ist übrigens ein System, das sehr stark in Deutschland entwickelt worden ist, interessant auch warum: Wahrscheinlich, weil Deutschland diplomatisch nicht so stark ist, dass es seine Unternehmen auf der ganzen Welt in anderer Form schützen kann. Und so ein Erfolg ist dieses System, dass wir heute auf der ganzen Welt in etwa zweieinhalbtausend von diesen Verträgen haben. Früher waren sie gedacht als Exportschutz und Investitionsschutz eines Industrielandes gegenüber Entwicklungsländern. Darum war wahrscheinlich früher auch die Weltbank beteiligt, weil viele große Investitionsförderungen der Weltbank infrage standen dadurch, dass es in vielen Entwicklungsländern viele Enteignungen gegeben hatte und man deswegen diese Regelungen beförderte.
Aber inzwischen wird dieses Modell des Investitionsschutzes auch zwischen Industrieländern und nebenbei auch zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union angewendet. Ein Grund dafür ist vielleicht die sog. europäische Energiecharta, ein großer Vertrag, der in Europa dafür sorgt, dass die Energiemärkte liberalisiert werden und frei und effizient funktionieren können. Denn dazu gehörte auch der Investitionsschutz, also finden sich entsprechende Regeln und ein entsprechender Verweis auf die Schiedsgerichtsbarkeit in diesem Vertrag. Das ist eine neue Entwicklung. Die andere, neuere Entwicklung ist auch ein Beispiel dafür, wie wir den Investitionsschutz zwischen Industrieländern angesiedelt finden: Die Nordamerikanische Freihandelszone, ein Dreier-bündnis zwischen Kanada, den USA und Mexiko, das schon eine ganze Reihe von Jahren existiert, und in dem wir auch eine Mischung haben zwischen Handelsregelungen und einem Schutz der Investitionen. Und dieser sog. NAFTA-Vertrag dient wahrscheinlich auch ein bisschen als Vorbild für das, was jetzt zwischen den USA und der Europäischen Union vereinbart werden soll und, diese Fußnote sei erlaubt, das, was vor einigen Tagen beschlossen worden ist zwischen Kanada und der Europäischen Union, nämlich jeweils ein Freihandelsvertrag, der sowohl Handelsbestimmungen enthält als auch diesen Investitionsschutz.
Nun, warum ist das Ganze heute so problematisch? Nachdem Deutschland dieses Vertragsmodell eines Investitionsschutzabkommens in die Welt gesetzt hatte, der berühmte Vertrag Deutschland-Pakistan 1958, hat sich irgendwann die Welt geändert, es waren nicht nur Industrieländer, die mit Entwicklungsländern solche Verträge schlossen, um dort die Investitionsbedingungen und den Investitionsschutz zu fördern, sondern es gab eben diese Verträge zwischen verschiedenen Industriestaaten, unter anderem wegen der schon erwähnten europäischen Energiecharta, in der solche Investitionsschutzregeln drinstehen. Und wie sie vielleicht aus der Presse wissen, hat dies dazu geführt, dass jetzt in einem zweiten, aber sehr großen Fall aufgrund des zweiten Atomausstiegs nach Fukushima ein großes schwedisches Energieunternehmen, das in Deutschland mehrfach tätig ist, die Belastung aufgrund der Nach-Fukushima-Regelung versteht als Enteignung oder zumindest als unfaire oder ungerechte Behandlung und deswegen die Einsetzung eines Schiedsgerichts gegen die Bundesrepublik Deutschland angestrebt hat, in dem es um erhebliche Summen geht, die im Milliardenbereich liegen.
Gerade dieser Fall – und es gab einen ähnlichen Fall wegen des gleichen Unternehmens wegen eines Kraftwerkes hier in Hamburg, das Hamburg dann kleiner genehmigt hatte, als es ursprünglich zugesagt worden war – hat in Deutschland, dem Pionierland des Investitionsschutzes, zu einem Umdenken geführt, wo man sagt, ein solcher isolierter Schutz von Investitionen, der sehr weit geht und indirekte Investitionen und Ähnliches miteinbezieht, der nicht kontextualisiert ist in der Rechtsordnung, der eine riesige Privilegierung von ausländischen Investoren bedeutet, der ist eigentlich nicht mehr so ganz angemessen und darum gibt es, Herr Knirsch hat mir das bestätigt, sehr vorsichtige Positionen von Leuten in Deutschland im Hinblick auf dieses Investitionsrechtskapitel für das neue EU-USA-Freihandelsabkommen, weil man sagt, „Diese Vorschriften gehen uns zu weit!“ Weil die Begrifflichkeiten eben wenig präzisiert sind kann der Investitionsschutz dazu führen, dass ein Staat, der legitime und rationale Regelungen im Bereich von Umwelt, Verbraucherschutz, Energiepolitik trifft, dann auf einmal auslän-dische Investoren kompensieren muss, die geltend machen können, dass sie dadurch einen Schaden erlitten haben.
Knirsch: Ich würde das gerne ergänzen. Einmal möchte ich, was Herr Stoll schon angedeutet hat, konkretisieren. Wir sind hier in Hamburg. Wenn der schwedische Konzern Vattenfall in der Auseinandersetzung um Moorburg seine Forderungen durchgesetzt hätte, hätte er 20% des finanziellen Volumens des Hamburger Haushalts als Kompensation bekommen. Vattenfall versucht ja, das Kohlekraftwerk Hamburg-Moorburg zu betreiben. Das ist noch im Probelauf und noch nicht richtig ans Netz gegangen. Um dieses Kraftwerk gab es über Jahre Auseinandersetzungen, die bis heute andauern. Als wir in Hamburg 2008 eine schwarz-grüne Regierung bekamen, gab es Bestrebungen, die Umweltauflagen für das Kraftwerk strenger zu fassen. Aber auch die zuvor allein regierende CDU hatte bereits angesichts der Klimadebatte die Auflagen für das Kraftwerk angehoben. Es ging vor allem um die Temperatur des Kühlwassers und um die Frage, wie stark die Elbe durch das Kraftwerk aufgeheizt werden darf. Gegen diese zusätzliche Umweltauflagen und die daraus resultierenden Verzögerungen bei der Inbetriebnahme der Anlage klagte Vattenfall im Frühjahr 2009 vor ICSID, dem bei der Weltbank angesiedelten Gremium für die Schlichtung von Investitionsstreitigkeiten.
Der schwedische Konzern forderte 1,4 Milliarden Euro Schadensersatz ein. In der Klageschrift wurde mit einer indirekten Enteignung argumentiert, weil durch die politischen und behördlichen Prozesse das Kraftwerk nicht so schnell gebaut werden konnte, wie Vattenfall es geplant hatte. Deshalb seien die Erwartungen am Gewinn geschwunden; außerdem fühlte sich das Unternehmen unfair und ungerecht behandelt. Der Konflikt führte dann auch in einem parallelen Verfahren im August 2010 zu einem Vergleich vor dem Oberverwaltungsgericht Hamburg, auf den das ICSID Streitschlichtungsgremium verwies und auf dessen Grundlage das ICSID-Verfahren eingestellt wurde. Aber es waren diese 1,4 Milliarden, mit denen Vattenfall gedroht hat, und das war wie gesagt 2009 etwa 20% des Hamburger Haushalts. Sie können sich ausrechnen, was 20% des Hamburger Haushalts bedeuten, wenn sie statt für Leistungen zugunsten der Bevölkerung an einen schwedischen Konzern bezahlt werden.
Wir haben versucht, zu diesem Verfahren Öffentlichkeit herzustellen. Diese ICSID-Verfahren laufen in der Regel so ab, dass drei ausgewählte Streitschlichter mit den Juristen der Parteien zusammensitzen und dann irgendwas aushandeln. Die Öffentlichkeit hat da weder Zutritt, noch wird sie über die Verhandlungen informiert. Diese laufen hinter verschlossenen Türen ab. Wir haben alles versucht, was es an rechtlichen Möglichkeiten zum Zugang zu Informationen gibt. Zunächst haben wir eine Beschwerde wegen der Missachtung der OECD-Leitsätze für transnationale Unternehmen eingelegt. Dann haben wir nach dem Umweltinformationsgesetz versucht, Informationen zu bekommen. Wir bemühten auch das Informationsfreiheitsgesetz, um Einsicht in die Verhandlungsdokumente zu erhalten. Alle unsere Anträge sind abgelehnt worden mit dem Argument, die Position der Bundesregierung würde Schaden nehmen, wenn diese Informationen öffentlich verfügbar wären. Wir haben dann
letztlich den Vergleich zwischen Vattenfall und der Stadt Hamburg vorm Oberverwaltungsgericht auch nur durch eine weitere Eingabe bekommen und mussten dann nach dessen Lektüre feststellen, dass tatsächlich die Umweltauflagen abgesenkt wurden.
Es gibt aber noch eine weitere, aktuell laufende gerichtliche Auseinandersetzung um Moorburg, an der die Kolleginnen und Kollegen vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) beteiligt sind. Dann möchte ich gerne eine zweite Ausführung von Herrn Stoll ergänzen. Die betrifft die Position der Bundesregierung: Herr Stoll hat sie schön ausgeführt, die geschichtliche Dimension: Wir – also die Bundesrepublik Deutschland – waren die Ersten, die ein bilaterales Investitionsschutzsystem aufgebaut haben. Inzwischen gelten wir als Weltmeister mit rund 140 solcher bilateraler Verträge. Alle neueren Abkommen enthalten die Möglichkeit, dass ein Investor einen Gast-Staat verklagen kann – abgeschlossen mit dem Ziel, deutsche Investoren im Ausland zu schützen und ihnen diese Klagemöglichkeit zu geben. Und plötzlich ist die Position der Bundesregierung in dem TTIP-Kontext eine andere. Sie sagt: „Wir brauchen diese Klagemöglichkeit bei TTIP gar nicht. Wir brauchen keine Investor-gegen-Staat-Schiedsgerichtsverfahren, weil die EU und USA ja beide ein ausgefeiltes Rechtssystem haben.“ Denn der Investitionsschutz ist ja, so hat es Herr Stoll auch ausgeführt, für Investitionen in unsicheren Staaten gedacht gewesen. Bei TTIP gelten beide Verhandlungspartner aber als sichere Staaten, wobei man auch daran angesichts der jüngsten Entwicklungen seine Zweifel haben kann. Aber der Grund, warum die Bundesregierung eine Eingabe bei der Diskussion um das EU-Mandat gemacht hat, die sie aber nicht öffentlich zugibt, warum sie quasi das Mandat der Kommission dahingehend verändern wollte, dass bei TTIP nicht die Investor-Staat-Streitmöglichkeit enthalten ist, beruht auf einem Konflikt der Kompetenz. Es stellt sich nämlich die Frage, wer ist zuständig – die EU oder der Mitgliedsstaat. Die Bundesregierung verfügt über rund 140 bilaterale Verträge, nach dem Lissabon-Vertrag ist aber die EU-Kommission inzwischen für Investitionsabkommen zuständig. Nun ist strittig, ob die alten Verträge – und wie lange sie vor allem – noch gültig sind.
Ich war am 11. Oktober in Berlin auf einer internationalen Konferenz zu Internationalen Investitionsabkommen und dem Investor-gegen-Staaten-Klageverfahren. Auf dieser Konferenz hat der Vertreter des Wirtschaftsministeriums zu meiner großen Überraschung in der Debatte ausgeführt, die Bundesregierung sei von der EU-Kommission erpresst worden. Die Zustimmung Deutschlands für diese Option, dass das Klageverfahren in dem TTIP-Mandat der EU enthalten ist, wurde mit der Drohung erpresst, die rund 140 bilaterale Verträge Deutschlands in Frage zu stellen. Das erklärt die jetzige Position der Bundesregierung. Wir als Zivilgesellschaft freuen uns, dass die Regierung endlich mal in diesem Punkt eine ähnliche Position hat wie wir. Der Hintergrund ist nur halt: Es geht um das Kompetenzgewirr zwischen einzelnen Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission und nicht um die Begrenzung der Macht von Konzernen.
Puth: Um diesen Ansatz des Investitionsschutzes doch noch etwas zu retten: Transaktionskosten werden dadurch wohl gespart, oder Herr Felbermayr? Wie würden Sie das ökonomisch bewerten?
Felbermayr: Aus ökonomischer Sicht gibt es gute Gründe, warum man solche Investitionsschutzabkommen haben sollte. Man kann sich auch letztlich die empirische Frage stellen: Wie viel an Direktinvestitionen hätten wir nicht, wenn es diese 140 Abkommen, die Deutschland unterhält, und viele andere, die es gibt, nicht gäbe? Dann stellt man fest, dass es deutlich weniger Flüsse von Investitionsmitteln von reichen Industriestaaten in Entwicklungsländer gäbe. Wenn man Investitionen mit diesen Mitteln fördern will, lässt sich empirisch zeigen, dass sie wirken. Sie wirken vor allem deswegen, weil sie Unsicherheit herausnehmen. Auch das ist ein Prinzip, wenn Sie sich die Investitionstheorie anschauen, was empirisch belegt ist. Je mehr Unsicherheit da ist, desto weniger wird investiert.
Ich bin ein bisschen in Sorge, wenn ich mir die Debatte ansehe, die wir gerade geführt haben. Wir haben über zwei Kraftwerke und einen schwedischen Energieproduzenten gesprochen. Ein bisschen kommt es mir vor, als würde man ein eigentlich gutes Prinzip infrage stellen. Gerade aus deutscher Perspektive – dieses Jahr 2013 wird nicht anders sein als die letzten 5-6 Jahre: Wir schicken ungefähr 7% unseres BIP ins Ausland, das wird dort angelegt. Das ist die Kehrseite des bekannten deutschen Leistungsbilanzüberschusses. Das sind also Forderungen, die wir akkumulieren gegenüber dem Ausland und diese Forderungen haben verschiedene Formen, aber sie haben auch häufig die Form deutscher Investitionen im Ausland. Und es ist für einen Staat wie unseren, der zunehmend demographisch unter Druck gerät, sehr wichtig, dass diese Investitionen abgesichert sind. Deswegen finde ich es gut, dass wir diese bilateralen Abkommen haben, und ich fände es doch einigermaßen ad hoc, wenn wir sagten, jetzt sind wir auf einmal selbst in der Bredouille und zwar aus guten Gründen, die Energiepolitik der Bundesregierungen war nicht ordnungspolitisch sauber, da gab es Brüche, diese Brüche sollten nicht stattfinden in einer gut geplanten Wirtschaftspolitik. Sie passieren nur eben und vielleicht ist es auch gut, dass sie passiert sind, aber daraus entstehen auch Kosten und ich denke, da muss man sich in Deutschland fragen, ob aufgrund der Einzelfälle, die aufgetaucht sind, man ein gutes Prinzip infrage stellen möchte. Was ich nicht verstehe, aber ich bin eben nicht Jurist, ist, warum man nicht Berufungsmöglichkeiten in diesen Verfahren hat. Ich verstehe auch nicht, warum sie geheim sein müssen und ich würde mir sehr wünschen, aber die Kommission hat das auch in ihrem Mandat, das haben die Regierungen Europas hineinschreiben lassen, dass diese Schiedsgerichte nur dann kommen sollen, wenn sichergestellt ist, dass sie unparteiisch sind und es genaue Regelungen gibt, wie diese Entscheidungen aussehen. Aber wie gesagt, als Nichtjurist habe ich da nichts beizutragen.
Knirsch: Ich bin da auf Ihrer Seite. Es gibt keine Berufungsmöglichkeiten; diese Verfahren finden wie gesagt hinter verschlossenen Türen statt. Werden sie vor ICSID geführt, dann weiß man zumindest, dass es sie gibt, und kennt im Nachhinein die Termine, weil diese Informationen auf der ICSID-Homepage einzusehen sind. Die Klageschriften und die Awards, also die Entscheidungen, sind in der Regel nicht verfügbar. Der Moorburg-Award wurde dann ausnahmsweise mal publik gemacht, aber vermutlich auch deshalb, weil kein Mensch ihn aus sich heraus versteht, denn er bezieht sich auf das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht, und dessen
Vergleich müsste man dann wiederum kennen, um den ICSID-Spruch bewerten zu können
Aber es gibt eine interessante Entwicklung, die über die TTIP-Debatte hinausgeht. Wir haben die UNCTAD, das ist die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung. UNCTAD eine alte UN-Struktur, die jedes Jahr einen Weltinvestitionsbericht herausgibt. Und in diesen Berichten hat UNCTAD in der Vergangenheit die Linie vertreten, die wir hier auch gerade gehört haben: Investitionen sind gut für Entwicklungsländer, aber müssen abgesichert sein. Aber wenn sie sich die neueren Publikationen von UNCTAD anschauen, dann sehen Sie einen Schwenk: UNCTAD fragt neuerdings nach dem tatsächlichem Nutzen der Investitionen für die Host-Länder. Das Problem ist, dass wir kein vernünftiges internationales Abkommen haben, das Investitionen regelt oder einen Rahmen dafür vorgibt. Das ist mehrfach versucht worden, Ende der 1990er Jahre bei der OECD, danach bei der WTO, aber wir haben nur die bilateralen Verträge und dann einige wenige multilaterale Verträge wie die Energy Charta mit Aussagen zur Streitschlichtung. Es gibt aber keine internationale Regelung.
UNCTAD hat jetzt ein Muster für eine derartige Regelung vorgelegt, auch mit Blick auf die nachhaltige Entwicklung der Host-Länder. Da geht es auch darum, wer letzten Endes davon profitiert: Hat die Bevölkerung in den Länder, in denen die Investitionen getätigt werden, tatsächlich etwas davon? Oder profitieren nur die Konzerne, die die Investitionen tätigen? Was die neue kritischere UNCTAD-Sicht befeuert hat, sind die Streitfälle zwischen Unternehmen und Staaten. Einmal der erwähnte Vattenfall-Streitfall um den Atomausstieg, dann die Streitfälle von Philip Morris gegen Etikettierungsauflagen für Zigarettenverpackungen in Uruguay und Australien. Plötzlich versuchen Konzerne, eine nationale Gesetzgebung indirekt zu unterlaufen und Kompensation zu erlangen. Und im Falle der Vattenfall-Klage haben wir eine interessante Parallelität: Einerseits das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, wo drei Energiekonzerne gegen den Atom-Ausstieg klagen, nämlich e.on, RWE und Vattenfall. Und andererseits klagt einer dieser drei, nämlich der ausländische Konzern Vattenfall, parallel vor ICSID. Da könnte ich jetzt auch sagen: Die deutschen Konzerne sind benachteiligt, da ihnen die ICSID-Möglichkeit gar nicht offensteht.
Es spricht nichts gegen eine Streitschlichtung, aber die Verfahren müssen transparent sein, es muss ein Berufungsmöglichkeit existieren und es sollte einen vernünftigen internationalen Rahmen dafür geben.
Puth: Vielen Dank. Ich sehe, dass wir da recht einhellig aufgestellt sind. Wir müssen das Thema ICSID jetzt leider zur Seite legen. Ich möchte noch einmal zu Ihnen, Herr Knirsch. Sie haben geschildert, wie offenbar in der Bundesregierung ein Umdenken stattgefunden hat. Wie einfach oder wie schwierig ist denn die Einflussnahme auf die Willensbildung der verhandlungsführenden Kommission? Sie waren in Brüssel und bringen unmittelbare eigene Einsichten mit.
Knirsch: Ich habe zu TTIP zwei Brüssel-Aufenthalte gehabt, die sehr unterschiedlich waren. Der erste war Dezember letzten Jahres, wo der europäische Sozialrat eine Veranstaltung gemacht hat, wo er den ganzen Verhandlungsprozess vorgestellt hat. Da waren Vertreter der Kommission da und haben das damals erst in Anfängen ersichtliche TTIP-Abkommen vorgestellt, auch das schon erwähnte EU-Kanada-Abkommen wurde vorgestellt. Dadurch wissen wir auch, dass die EU plant, mit Japan ein Freihandelsabkommen zu machen. Und wenn man sich mal auf die Homepage von DG Trade, der Generaldirektion Handel der Europäischen Kommission, bewegt, stellt man fest, dass die Kommission außer dem Vatikanstaat und Australien eigentlich alle Länder im Griff hat oder versucht, mit denen Abkommen unterschiedlicher Art zu machen. Bei dem Termin im Dezember waren zwei Vertreter der Zivilgesellschaft anwesend, ich hatte das Glück, einer davon zu sein. Es waren ein paar Ratsmitglieder da, es wurde immer gesagt, wie wichtig die Beteiligung der Zivilgesellschaft an diesen ganzen Verhandlungen ist. Ich war etwas irritiert, weil ich vorher schon an einem solchen Treffen teilgenommen hatte und dort das Gefühl hatte, geduldet, aber nicht unbedingt willkommen zu sein.
Das war im Dezember ganz anders. Dann gab es plötzlich die Konkretion der Verhandlungen mit den USA, also die Auseinandersetzungen um das Mandat, die ja von Frankreich geprägt waren, die die Kultur raus haben wollten aus dem Verhandlungsmandat und das in Ansätzen auch geschafft haben. Dann gab es die erste Verhandlungsrunde in Washington im Juli und danach wurde die Zivilgesellschaft in Brüssel eingeladen und die Kommission war mit einem Dutzend Vertreterinnen und Vertretern da und hat im Prinzip nichts gesagt. Sie erinnern sich: Schon damals gab es die Auseinandersetzungen über Überwachungs- und Spionageaktivitäten der USA. Das Parlament hatte versucht, vor der Juli-Runde einen Beschluss durchzubekommen, dass die Verhandlungen erst einmal ausgesetzt sind, bis man das geklärt hat. Der Antrag hatte aber keine Mehrheit. Wir wurden informiert, als die Verhandlungen aufgenommen wurden. Als es dann um Substanz ging, kam relativ wenig. Und als es darum ging, was jetzt in der nächsten Verhandlungsrunde passiert, die eigentlich für Anfang Oktober geplant war, gab’s den schönen Satz: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, den man von den Fußballspielern kennt und der eigentlich auch nichts besagt. Ehrlich gesagt: Ich saß da sehr irritiert, weil ich die Dezember-Erfahrung noch hatte. Es wurden dann schon noch ein paar Sachen gesagt. Es wurde auch auf Dokumente verwiesen, die man dann am selben Abend noch ins Netz gestellt hat. Das ist nicht, wie ich mir eine Beteiligung der Zivilgesellschaft vorstelle, wenn da relativ viele Menschen von der Kommission sitzen, die relativ wenig sagen und auf Dokumente verweisen, die gerade an dem Tag, nach Abschluss der Veranstaltung ins Netz gestellt werden. Und bisher hat sich die Kommission ja geweigert, Ihr Verhandlungsmandat öffentlich zu machen. Es sind mehrere Varianten durch-gesickert; ein französischer Fernsehsender hat die aus unserer Sicht aktuelle Version damals auf seine Homepage gestellt, sodass jeder sie sich herunterladen konnte. Aber die Kommission sagt: Wir können das selbst nicht öffentlich machen, weil dann die Amerikaner wissen, was wir wollen. Also das, im Angesicht der aktuellen Spionagediskussion, ist schon einmal ein bisschen interessant. Aber auch wenn man weiß, dass es längst durchgesickert ist, dann wissen die Amerikaner doch ohnehin schon, was die Europäer wollen. Dann kann man das auch öffentlich machen. Diesem Anspruch hat sich die Kommission bisher verweigert.
Und es wurde ja auch schon von Herrn Stoll erwähnt, dass es die EU-Kanada-Verhandlungen gibt. Letzten Freitag (18.
Oktober 2013, Anm. d. Red.) gab es ja das Treffen zwischen der Kommission und dem zuständigen kanadischen Minister und wurde der politische Wille, das Verfahren zum Abschluss zu bringen in vier Jahren, bekräftigt, aber einen Text dieses Abkommen kennt bis heute keiner. Und es gab ja auf den entsprechenden Listen, die sich um TTIP kümmern, die hitzige Diskussion: Ja gibt es jetzt schon einen Text? Wann wird das Parlament involviert? Meine Einschätzung ist: Es gibt noch keinen fertigen Text, sondern nur ein Gerüst. Das Parlament bekommt den frühesten im Frühjahr, hat dann vielleicht zwei Wochen Zeit, darauf zu reagieren. Was passiert, wenn das Parlament ja oder nein sagt, weiß keiner so genau bei der gemischten Zuständigkeit für diese Abkommen. Dann ist noch die Frage, ob Bundestag und Bundesrat und die anderen Parlamente aus dem Chor der 28 Mitgliedstaaten auch noch etwas dazu sagen dürfen. Was passiert, wenn drei „ja” und 25 „nein” sagen? Das sind alles Fragen, auf die es momentan keine Antwort gibt. Und es gibt sehr viel Verun-sicherung über diesen Prozess und ich finde, da müsste jetzt mal von den Juristen und der Bevölkerung ein Appell kommen: „Leute, wenn ihr schon solche Abkommen verhandelt, die möglicherweise positive Auswirkungen für alle haben, dann wollen wir auch wissen, um was es geht!“ Warum diese Geheimniskrämerei? Die ist nicht nachvollziehbar, vor allen Dingen, wenn die Kommission sonst immer sagt, sie lege Wert auf Transparenz und Einbeziehung aller Beteiligten, auch der Zivilgesellschaft.
Puth: Ist das wirklich ein juristisches Problem? Können wir das mit unseren staatsrechtlich hergebrachten Begriffen greifen? Ist das ein Problem der Demokratie, der Rechts-staatlichkeit, Herr Stoll?
Stoll: Ja, man kann ja sagen, dass das zwei Probleme verbindet, die wir seit Langem kennen: Das eine ist das Problem, dass, wenn es um Außenpolitik geht, um Verhandlungsprozesse, traditionellerweise die Beteiligung der Parlamente relativ spät stattfindet, weil wir in allen Verfassungen und natürlich auch in der EU die Hauptfunktion da bei dem Organ haben, das die Regierung stellt. Wenn zum Beispiel Deutschland einen Vertrag verhandelt wie beispielsweise ein bilaterales Investitionsschutzabkommen, dann verhandelt das die Regierung und bringt es dann ins Parlament, wo es in der Regel hinmuss, um ratifiziert zu werden. Diese Grundkonstellation ist schon immer unbefriedigend gewesen und ist schon immer kritisiert worden. Man hat sich dann einfallen lassen, das Parlament schon vorher zu informieren, was inzwischen auch etwas besser geschieht. Aber nur, um Ihnen eine schöne historische Begebenheit zu erzählen: Das WTO-Übereinkommen, das immerhin eigentlich 24.000 Seiten Text hatte, wurde in einer Fassung der wichtigsten juristischen Regelungen von etwa 400 Seiten in den Deutschen Bundestag eingespielt für eine Beschlussfassung darüber, die vier Tage später stattfinden sollte. Was man heute leider nicht mehr sieht ist, dass das eigentlich in Englisch geschehen ist, weil damals der Übersetzungsdienst noch nicht so weit war, dass er die ganzen Texte übersetzt hatte. Die Verwaltung des Deutschen Bundestages hat dann im Nachhinein diesen Text durch eine Drucksache gleicher Nummer ersetzt, die dann natürlich den ins Deutsche übersetzten Text hatte. Die kam dann allerdings erst nach der Abstimmung des Deutschen Bundestages, soweit ich das richtig verfolgt habe.
Das mag Ihnen ein Bild darauf werfen. So soll es natürlich nicht sein. Zum Beispiel das Beispiel USA zeigt auch aufgrund der anderen Tradition früherer Einbindung, sozusagen der interessierten Kreise könnte man dazu sagen. Wenn wir das Ganze jetzt betrachten auch noch unter der Perspektive der Europäischen Union, die hier in diesem Bereich des Handelns natürlich die ausschließliche Kompetenz hat, aber wo durch einen Ausschuss die Mitgliedstaaten noch mitwirken, dann wird deutlich, dass, wie die Staatsrechtler immer sagen, hier eine sehr lange Legitimationskette besteht und wir als Einzelne, als sozusagen diejenigen, auf die sich letztlich Staatsgewalt zurückführen soll, jetzt über riesige Umwege sozusagen Einfluss darauf haben, was dort geschieht. Es wird immer ein Grundproblem geben, das besteht darin, dass man, um zu verhandeln, und das ist ja nicht nur in internationalen Verhandlungen der Fall, sondern auch in nationalen, wie man immer mehr jetzt bei den Koalitionsgesprächen sehen kann. Da würde auch keiner jetzt genau erzählen: „Wir haben uns gestern da und da drüber gestritten, weil die CDU das will und wir nicht wissen, ob wir dieses und jenes unserer Positionen dafür opfern wollen.”. Also jede Verhandlung ist letztlich ein Interessenausgleich über ein Geben und Nehmen und bedarf eines irgendwo geschützten Raumes. Dass denke ich, das ist okay, aber das Potential zu informieren ist bei weitem nicht ausgeschöpft. Während ich auf der einen Seite meine, dass typischerweise irgendwo so ein geschützter Raum bestehen muss, bin ich auf der anderen Seite sehr deutlich der Meinung, dass man das ausweiten kann. Dass man sozusagen einen sinnvolleren Diskurs darüber führen kann. Denn nachher am Ende kommt natürlich die Befassung des Rates und des Europäischen Parlamentes. Aber da werden die politischen Kosten eines Vetos, wenn man so will, so hoch, dass im Grunde diese beiden Institutionen, dann letztlich sozusagen ein hohes Risiko laufen würden, wenn sie den Vertrag ablehnen würden. Abgesehen davon, dass Sie in diesem Moment, das gilt für den Deutschen Bundestag genauso wie für das europäische Parlament und den Rat, natürlich keine Änderungen mehr im Text vornehmen werden.
Puth: Ja, wir müssen leider ein bisschen die Uhr im Auge behalten. Deswegen möchte ich das Thema jetzt auch zur Seite stellen und ein letztes aufrufen, das wir unbedingt in der Runde noch ansprechen müssen. Man muss sich ja im Klaren sein, dass die Verhandlungen eingeleitet und geführt werden vor dem Hintergrund der multilateralen Verhandlungen im Rahmen der Doha-Runde der WTO, die seit 2001 versucht wird voranzubringen. Im Grundsatz ist im GATT vorgesehen, dass wir Zollunionen bilden können und Freihandelsverpflichtungen weitergehender Art eingehen können. Dies gilt für einzelne Mitglieder, die es gerne etwas enger haben wollen. Und es ist auch anerkannt, dass das im Grundsatz gewünscht ist. Es werden insoweit Ausnahmen von der Meistbegünstigungsverpflichtung zugelassen. Wie ist das aber, wenn nun zwei so starke Partner zusammengehen? Besteht dann nicht die Gefahr, dass die sich aus den multilateralen Verhandlungen zunehmend rausnehmen, weil der multilaterale Rahmen für sie immer weniger Bedeutung hat. Was sagen die anderen Teilnehmer der multilateralen Verhandlungen dazu? Ich möchte die Frage hier gerne freigeben und ausnahmsweise mal niemanden direkt ansprechen.
Felbermayr: Dann ergreife ich gleich diese Chance.
Puth: Ja, Dankeschön!
Felbermayr: Es gibt ein Buch von Jacob Viner, der sich befasst hat mit dem so genannten Custom Union Issue. Da war die Schlussfolgerung die, dass Zollunionen oder auch Freihandelsabkommen eigentlich nicht das Beste sind, was wir haben sollten. Wir sollten die ganze Welt von Handelsbarrieren befreien und nicht nur den Handel einiger weniger Länder. Darum reden wir auch von präferenzieller Handelsliberalisierung und viele würden sagen, das ist eben nicht Freihandel, sondern präferenzieller Freihandel zwischen zwei Partnern, aber nicht für den Rest der Welt. Warum ist das von zweifelhafter ökonomischer Wirkung? Weil es zu sogenannten Handelsumlenkungseffekten führen kann. Dann konsumieren wir in Deutschland nicht mehr Güter, die aus einem Land kommen, wo die Vorteile aus der Produktion am höchsten sind, sondern wir konsumieren diese Güter, die aus einem Land kommen, wo eben zufällig keine Zölle erhoben werden oder andere Eintrittsbarrieren erlassen wurden. Und das kann die Wohlfahrt auch der Länder, die sich zurzeit zusammentun schmälern. Das ist bei Zöllen möglich, bei nichttarifären Barrieren aber nicht; und es kann typischerweise auch dazu führen, dass andere Länder, die außen vor bleiben, Wohlfahrtseinbußen erleiden. Wenn man sich die Modellrechnungen ansieht, die es dazu gibt, sieht man auch tatsächlich, es gibt diese negativen Auswirkungen tatsächlich. Das müssen wir auch für TTIP erwarten. Länder, die eben keine Zugangsverbesserungen zum europäischen oder amerikanischen Markt erhalten, werden schlechter gestellt. Sie erleiden sogar Zugangsverschlechterungen, weil letztlich Wettbewerbsfragen nur Fragen von relativen Kosten sind. Wenn also die Amerikaner günstiger nach Europa kommen, dann bedeutet das, dass andere in Europa Marktanteile verlieren werden und das ist die große Sorge. Ich glaube deswegen gibt es auch die WTO, das ist einer der Gründe, warum sie da ist; um eigentlich gegen solche protektionistischen Tendenzen anzukämpfen. Es wurde ja auch davon geredet, dass es eine Wirtschafts-NATO geben soll, über den Atlantik. Das ist etwas, was mit der Grundidee des Multilateralismus und der WTO in ökonomischer Hinsicht nicht vereinbar ist. Jetzt gibt es vielleicht zwei Dinge. Es gibt empirisch ganz gut abgesichert eine Idee, die heißt „Domino-Theorie”, also dass man sich vorstellen kann, dass wenn es mehr bilaterale Abkommen gibt, und vor allem auch große bilaterale Abkommen gibt, dass dann die Anreize multilateral weiterzukommen von Ländern, die bisher blockiert haben, steigen. Das Gefühl habe ich auch. Ich war auf einer Veranstaltung des Europäischen Parlaments und habe dort mit brasilianischen Abgeordneten zur WTO gesprochen und die haben gesagt „es bewegt sich was in Bali”, wo man sich bilateral zunächst einmal trifft. Glaubt man das, sind jedenfalls Anzeichen zu erkennen, dass es eine Änderung gibt, in Brasilien zum Beispiel. Die zweite Sache, die erwähnenswert ist: Wenn wir über Normen und Standards und Anerkennung von Zulassungen sprechen, dann gibt es so etwas wie einen automatischen Multilateralismus.. Wenn zum Beispiel die Europäer und die Amerikaner sich einigen über einen gemeinsamen Standard, dann ist es nicht vorstellbar, dass die EU oder die USA einen anderen Standard haben mit anderen Ländern, mit denen sie Abkommen haben. Das multilateralisiert sich sozusagen in dem Netzwerk, das schon existiert mit existierenden Abkommen. Auch denkbar ist, dass die Standards, die jetzt angepasst und harmonisiert werden zwischen diesen beiden Blöcken, auch zu Standards für die ganze Welt werden. Nicht weil man es den Chinesen aufdrückt, sondern weil es für die Emerging Economies eine ganz natürliche Sache ist, diese Standards zu übernehmen. Die wollen exportieren und auch da denke ich, kommt es automatisch zu einer Multilateralisierung, was die Sorgen der WTO etwas abmildern könnte.
Knirsch: Ich habe hier eine andere Sicht. Ich bin immer noch auf dem Verteiler der WTO, bekomme also die WTO-News, die Nachrichten der WTO. Und da war es interessant, dass gerade in den letzten Tagen zwei Berichte bei mir gelandet sind. Der eine handelte von der Sitzung des Umweltausschusses der WTO. In der CTE-Sitzung, das CTE steht für Committee on Trade and Environment, wurden von den Entwicklungsländern Umweltstandards in Frankreich und in der Schweiz thematisiert und debattiert nach dem Motto „das geht so nicht”. Kurz zuvor gab es eine Meldung über das letzte Treffen des Komitees für sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen (SPS), das kümmert sich unter anderem um alle gesundheitlichen Fragen. Auch in diesem Gremium wurde von den Entwicklungsländern in die Debatte eingebracht, es gebe viel zu viele private Standards. Normen von Supermärkten, wie Bananen produziert werden sollen, oder Normen von Textilhändlern, mit wie viel Chemie Textilien hergestellt werden sollten, und diese Vorgaben seien für die Entwicklungsländer nicht machbar.
Mein Eindruck ist, dass TTIP da in diese Debatte leider anders einwirkt, als es gerade geschildert wurde. Ich wäre froh, wenn es diesen „Domino-Effekt” gäbe – wenn es dann auch die richtigen Standards wären, auf die sich die EU und USA letzten Endes einigten. Wären es die falschen, dann wäre dieser „Domino-Effekt”kontraproduktiv. Nehmen wir mal an, man kommt zu vernünftigen Standards auf beiden Seiten. Das heißt nach meiner Betrachtung aber nicht, dass diese automatisch von der WTO und den anderen WTO-Mitgliedern übernommen werden. Denn wir haben die Situation, dass die Welthandelsorganisation seit 2001 versucht, ihre laufende Handelsrunde zum Abschluss zu bringen. Das Ziel war, zum 1.1.2005 fertig zu sein. Es gibt keine Anzeichen, dass die Handelsrunde so, wie sie 2001 initiiert worden ist, auch zum Abschluss kommen wird. Es gibt einen neuen WTO-Generaldirektor, es gibt ein bisschen Hoffnung auf einen Abschluss, aber die Hauptthemen, die bisher immer strittig waren, also wie geht man mit der Landwirtschaft um, mit den Industriegütern, sind jetzt für die bevorstehenden WTO-Ministerkonferenzen in Bali aus der Schusslinie genommen worden. Die WTO schwächelt also weiterhin.
Auch angesichts der Schwäche der WTO gibt es diese Tendenz der Kommission, mit nahezu allen wichtigen Handels-partnern bilaterale Abkommen zu verhandeln. Auch die USA haben nicht nur den Plan, mit Europa ein Freihandels- und Investitionsschutzabkommen abzuschließen, sondern haben ähnlich viele Verhandlungsstränge mit anderen Ländern. So gibt es die Idee eines transpazifischen Abkommens, dass also der pazifische Handelsraum sich auch in Richtung eines gemeinsamen Marktes wie der der EU bewegen könnte. In der Summe passieren sehr viele Prozesse bilateraler und regionaler Verhandlungen gleichzeitig, und dafür fehlt es an Steuerung auf multilateraler Ebene. Für die EU und die USA ist es kein Problem, mehr als dreißig Prozesse parallel zu führen, für kleinere Länder dürfte das aber schon ein Herausforderung sein, wenn sie quasi statt über einen multilateralen
Weg, über eine multilaterale Institution, immer bilateral mit mehreren gleichzeitig verhandeln müssen.
Und meine Sorge ist, dass jetzt wieder eine Debatte über Standards aufkommt, bei der die Entwicklungsländer sagen, „ihr mit euren Öko-Standards, ihr wollt ja nur die Exporte aus unseren Ländern verhindern, das ist ja Öko-Protektionismus”. Diese Debatte hatten wir schon mehrfach in der WTO, sie ist auch in Teilen berechtigt, aber sie ist auch immer ein Vorwand von den Entwicklungsländern, bestimmte Umweltmaßnahmen nicht mitmachen zu müssen. Und diese Debatte hat auch mit zum Scheitern der Klimaverhandlungen geführt, weil die Grundkonflikte eigentlich nie gelöst worden sind, wer hat welchen Anteil an Umweltauswirkungen und wer bzw. wessen Industrie sollte welche Maßnahmen treffen, um diese Umweltauswirkungen zu reduzieren.
Also es wäre schön, wenn die Dominotheorie zu dem richtigen Weg führen würde, ich habe nur arge Zweifel, dass dies tatsächlich der Fall sein wird. Dafür werden wir eine erneute Debatte bekommen über die Rolle des Multilateralismus. Wir haben viele globale Probleme, die wir nur multilateral lösen können, und da ist so etwas wie TTIP zum jetzigen Zeitpunkt nicht das Richtige.
Stoll: Ja, das ist glaube ich alles richtig. Ich habe gerade mal überlegt, wie wir eigentlich in diesen neuen Diskussionen, die wir jetzt führen, noch einmal die WTO sehen können. Die WTO ist ja lange der Prügelknabe der internationalen Beziehungen gewesen, autistisch, keine Ahnung von Umwelt, ungerecht, und so weiter, und wenn man sich anguckt, was jetzt passiert, dann fühlt man sich, historisch gesehen, lange an die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg erinnert, wo die Handelspartner untereinander TTIP hatten. Alle hatten bilaterale Zollabkommen, und durch einen Geniestreich ist das eigentlich sozusagen nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Vorgänger der WTO, mit diesem GATT-Abkommen, abgeschafft worden, weil man gesagt hat, „das ist ja eigentlich dummes Zeug”, wenn man mit jedem Land der Welt verschiedene Vereinbarungen darüber hat, wie hoch die Zölle sein sollen, oder wie die nicht-tarifären Handelshemmnisse sein sollen, also auch die Frage der Konstruktion einer Autohandbremse nach japanischem, koreanischem, deutschen oder einem anderen Muster geschieht.
Wenn man diese ganzen Abkommen alle hätte, dann hätte man Umlenkungseffekte, sehen wir auch schon jetzt. Also zum Beispiel die Schweiz, die ja einen hohen Entwicklungsstandard hat, aber an politischer Verhandlungsmasse nicht sehr viel auf die Waage bringt, befürchtet schon, dass aufgrund des TTIP viele Schweizerische Unternehmen zum Beispiel nach Deutschland oder nach Frankreich oder Italien gehen werden, um in den Genuss der Vorteile des günstigeren Exports in die USA zu kommen. Und das ist aber nicht nur die Schweiz, das ist etwa auch Norwegen, das ist etwa auch die Türkei, das heißt, das sind all’ die Mittelländer, die einfach kleiner sind, kleinere Ökonomien haben und eine höhere Vulnerabilität, aber jetzt nicht die Verhandlungsmasse aufbringen, um auch in diesem Freihandelsabkommen ähnlich erfolgreich zu sein wie so ein Schwergewicht wie die Europäische Union. Das heißt, da wird es schon schwierig.
Das andere ist: Wenn man sich überlegt, was eigentlich jetzt passiert, wenn es mehr von diesen Dingern gibt, und wenn wir jetzt einen komplexen, globalisierten Herstellungsprozess haben, wo zum Beispiel ein Laptop vielleicht Komponenten enthält aus 25 Ländern und über fünf Fertigungsstufen in drei verschiedenen Ländern geht. Wenn er jetzt noch in ein Vertriebslager in ein weiteres Land gebracht wird, und von da in zehn Länder verkauft wird, dann kann man mal überlegen, wenn wir jetzt weitere Freihandelsabkommen hätten, was dann die Marktakteure alles bedenken müssten. Weil sie im Grunde für jede einzelne Transaktion nicht nur überlegen müssten, welches spezifische Abkommen anwendbar ist, welche Vorteile es vorsieht, und vor allem auch, wie es die Frage des Ursprungs sieht. Das heißt die Frage, wo diese Ware zuzuordnen ist, das kann man nämlich auch verschieden sehen. Das würde nur Ihnen als zukünftigen Juristinnen und Juristen möglich sein, nicht den Steuerzahlern und den Weltmarktbürgern.
Aber abgesehen von solchen technischen Fragen ist der große Fortschritt, den man nach dem Zweiten Weltkrieg errungen hat, natürlich das Meistbegünstigungsprinzip – dass man gesagt hat, um das klarzumachen, es gibt nur eine Regel auf der ganzen Welt: Wenn ein Staat eine Konzession macht, dann macht er die gegenüber der ganzen Welt, nicht nur gegenüber einem direkten Freihandelsabkommenspartner. Und abgesehen von diesen Effizienzvorteilen und der Reduktion der Transaktionskosten ist das natürlich auch eine Gerechtigkeitsfrage und eine Governance-Frage, das ist eine politische Frage. Es führt nämlich dazu, dass in der WTO mit diesem sogenannten Meistbegünstigungsprinzip die Großen miteinander Verhandlungen führen und dass ihre Zugeständnisse, die sie dabei machen, zum Beispiel Marktzugangshindernisse für Autos in den USA abbauen und dafür andere Hindernisse in Europa abbauen, dass diese Zugeständnisse automatisch auch anderen Staaten auch zugutekommen. Jeder Staat der Welt, auch wenn er gar keine eigenen Zugeständnisse gemacht hat, kann sich auf dieses Zugeständnis berufen. Und das hat natürlich einen hohen Gerechtigkeitswert. Der Handel wird nicht nur liberalisiert zwischen einzelnen glücklichen Verhandlungspartnern, sondern für alle.
Das ist, glaube ich, eine Dimension, die möglicherweise auch nie so gesehen worden ist, nur jetzt fällt sie auf, wo wir diese neuen Konstellationen bekommen. Und es ist natürlich auch etwas anderes, wenn diese ganzen Dinge in der WTO laufen, die eine wirklich multilaterale Organisation ist, in der praktisch jeder Staat der Welt Mitgliedstaat ist und in der das Konsensprinzip gilt, sodass auch der kleinste Staat der Welt, Vanuatu, zustimmen muss, wenn es neue Regeln für die Weltwirtschaft geben soll, die zwischen allen Beteiligten gelten und die möglicherweise in einem Konflikt zwischen Japan und Kanada oder Brasilien und den USA gegen die EU ausgehandelt worden sind. Darin liegt eine Art Gerechtigkeitsvorteil, der weit über die Effizienzvorteile hinausgeht. Und in diesem Bereich sehe ich auch die größeren Gefahren, wenn ich auch zugebe, dass ab und zu die Pionierwirkungen dieser Abkommen sicherlich notwendig sein können, um die Weltwirtschaft zu stützen.
Puth: So, wir sind jetzt mit unserer Zeit am Ende. Ich danke den Diskutanten ganz herzlich.
Das Bucerius Law Journal bedankt sich bei den Diskutanten und bei allen Zuschauern für ihr zahlreiches Erscheinen und die rege Teilnahmebereitschaft. Für die finanzielle Unterstützung des Streitgesprächs danken wir zudem unserem Sponsor Morgan, Lewis & Bockius LLP.