Die rechtliche Zulässigkeit der Bekanntmachung betriebsbezogener Verstöße gegen Lebensmittel- und Hygienevorschriften am Beispiel des Pankower Smiley-Projekts1
by Dr. Carolin Raspé*
A. Einleitung
Staatliche Verbraucherinformation als jüngeres, aber keineswegs mehr neues Handlungsinstrument hat in der näheren Vergangenheit an Bedeutung gewonnen und gerade im Internetzeitalter eine neue Dimension mit zahlreichen Fragestellungen eröffnet.
Die Bedeutungssteigerung ist insbesondere auf die zunehmende Komplexität der Märkte zurückzuführen. Eine funktionierende Marktwirtschaft erfordert die Informiertheit ihrer Marktteilnehmer, jedoch sind die notwendigen Informationen in derart komplexen Märkten für den Einzelnen nur schwer zugänglich.
Der Staat versteht sich daher immer weniger als
* Die Autorin ist Absolventin der Bucerius Law School (Jg. 2004) und momentan bei Hanefeld Rechtsanwälte in Hamburg als Anwältin tätig.
1 Diesem Aufsatz liegt der im Rahmen des Dissertationsverfahrens der Autorin gehaltene Vortrag vom 7. März 2012 zugrunde.
autoritär-zwingender Staat, sondern zunehmend als kooperierend-informierender Staat, der die Eigenverantwortlichkeit der Marktteilnehmer und insbesondere auch der Verbraucher fördern möchte.2
Aus diesem Grund wurden Gesetzesgrundlagen geschaffen, die dem Einzelnen Informationsansprüche gewähren. Zu nennen sind hier im Besonderen das Umweltinformationsgesetz (UIG), das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) und das Verbraucherinformationsgesetz (VIG).
Auf letzterem soll das besondere Augenmerk dieses Artikels liegen. Das VIG wurde nach Lebensmittelskandalen wie BSE, „Gammelfleisch“ und EHEC zunehmend als notwendig erachtet, um die Verbraucher besser zu informieren. Es eröffnet voraussetzungsfreie Informationsansprüche in diesem krisengeschüttelten Bereich, die bereits in zahlreichen Bundesländern von den Behörden aktiv durchgesetzt werden. Die Entwicklung ist keineswegs abgeschlossen, sondern zahlreiche Novellen – zuletzt im September 20123 – entwickeln dieses Gesetz stetig weiter, und auch in der Rechtsprechung ist gerade in jüngster Zeit eine intensive Auseinandersetzung mit den daraus erwachsenden Fragestellungen zu verzeichnen.4
B. Die Berliner Smiley-Liste
Die Reichweite des Gesetzes wirft weiterhin Probleme auf, wie das folgende Beispiel zeigen soll: Als einer der ersten Bezirke veröffentlicht das Bezirksamt Berlin-Pankow bereits seit 2009 Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen im Internet.5 Anfangs gab es eine Positivliste, in welche man sich als Betrieb freiwillig aufnehmen lassen konnte, sowie eine Negativliste – auch „Ekelliste“ genannt6 – in die diejenigen Betriebe mit Namen, Anschrift und Fotos aufgenommen wurden, welche Gesetzesverstöße von Ordnungswidrigkeitenqualität begangen hatten.
Nach bundesweiter Kritik veröffentlicht das Bezirksamt Berlin-Pankow heute nur noch eine gemeinsame Liste, in der sich alle kontrollierten Betriebe wiederfinden. Auf Grundlage eines differenzierten Punktesystems mit bis zu 80 Minuspunkten werden fünf Smileys ähnlich wie Schulnoten vergeben. Die Art der Verstöße wird vermerkt und deren Behebung bei Nachkontrollen verzeichnet.
Obwohl also in Berlin teilweise „zurückgerudert“ wurde, ist die Zulässigkeit derartiger Informationen hochaktuell. So ist die sog. „Hygieneampel“7 in aller Munde und ähnliche Systeme sind für ganz Deutschland im Gespräch.8 Aktuell wirft auch der Pferdefleischskandal die Frage der Verbraucherinformation im Internet trotz fehlendem Gesundheitsrisiko neu auf.
C. Rechtmäßigkeitsprüfung
Um die Zulässigkeit einer solchen Maßnahme zu überprüfen, soll die eben beschriebene Smiley-Liste in Form einer klassischen Rechtmäßigkeitsprüfung untersucht werden, wobei insbesondere drei Schwerpunkte behandelt werden: Die Ermächtigungsgrundlage, die inhaltlichen Anforderungen an die Information sowie die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme.
I. Ermächtigungsgrundlage
Die Frage nach einer Ermächtigungsgrundlage für staatliches Informationshandeln ist seit den berühmten Entscheidungen des BVerfG zu Glykolwein9 und der Osho-Bewegung10 wohl bekannt. Anders als bei den genannten Entscheidungen ist die Frage der Notwendigkeit einer Ermächtigungsgrundlage jedoch erst nachrangig zu entscheiden, da mindestens eine mögliche Ermächtigungsgrundlage im Raume steht.
Als Ermächtigungsgrundlage wird § 6 I 2 VIG bemüht, welcher lautet: „Die informationspflichtige Stelle kann Informationen, zu denen Zugang zu gewähren ist, auch unabhängig von einem Antrag nach § 4 Absatz 1 über das Internet oder in sonstiger öffentlich zugänglicher Weise zugänglich machen; […]“.
Gegen die Tragfähigkeit des § 6 I 2 VIG als Ermächtigungsgrundlage für die Smiley-Liste werden insbesondere drei Argumente vorgebracht.
1. Verfahrensökonomie
Zunächst wird behauptet, § 6 I 2 VIG gewähre keine Ermächtigung zur eigenständigen aktiven Verbraucherinformation der Behörde, sondern diene lediglich der Verfahrensökonomie bei zahlreichen gleichen Anträgen.11 Hierfür spricht zum einen die systematisch versteckte Stellung weit entfernt von den Anspruchsgrundlagen des Gesetzes in § 2 VIG und zum anderen die Gesetzesbegründung zum wortgleichen § 5 I 2 VIG a.F., die bezüglich dieses Satzes lediglich die Kostenersparnis und den dadurch möglichen Verzicht auf aufwändige Einzelantworten nennt.12
Selbst wenn der Gesetzgeber die Reichweite dieser Norm anfangs nicht bedacht haben sollte, ist dennoch zunächst auf den Wortlaut der Norm abzustellen und dieser stellt klar, dass eine Informationserteilung gerade unabhängig von einem Antrag erfolgen kann und nicht nur im Falle vieler gleichlautender Anträge. Die systematischen Einwände greifen daher letztlich nicht durch.
2. Verdrängung durch speziellere Regelungen
Weiterhin wird vorgebracht, dass der § 6 I 2 VIG durch § 40 Lebensmittel- und Futtergesetzbuch (LFGB) verdrängt werde, da sonst dessen speziellere und engere Voraussetzungen umgangen würden.13 Im § 40 LFGB ist die Öffentlichkeitsinformation insbesondere nur subsidiär zulässig, wenn ebenso wirksame Maßnahmen nicht erfolgsversprechend sind (§ 40 II LFGB).
2 Becker/Blackstein, NJW 2011, 490; Böhm/Lingenfelder/Voit, NVwZ 2011, 198; Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357; Wollenschläger, VerwArch 2011, 20, 21; Albers/Ortler, GewArch 2009, 225; Bumke, Verw 2004, 3 ff.
3 BGBl. I, S. 2558.
4 VGH Baden-Württemberg, 9 S 2423/12; VGH Mannheim, 9 S 2423/12; VG Regensburg, LMMR 2012, 85; VG Trier, LMRR 2012, 89; VG Würzburg, LMRR 2012, 90; VG Karlsruhe, LMRR 2012, 66; OVG Saarlouis, LMRR 2011, 1.
5 Vgl.: http://www.berlin.de/ba-pankow/verwaltung/ordnung/smiley.html (alle Nachweise aus dem Internet wurden abgerufen am 18.4.2013).
6 Selbst die Behörde greift diese Formulierung auf (vgl. Fn. 5).
7 Vgl.: http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/hygiene-ampeln-fuer-restaurants-aus-fuer-bundesweite-kennzeichnung-a-844096.html.
8 Vgl.: http://www.hygiene-ampel.de/. Zur deren Rechtmäßigkeit: Kügel/Plaßmann, LMuR 2012, 1.
9 BVerfGE 105, 253.
10 BVerfGE 105, 279.
11 Becker/Blackstein, NJW 2011, 490, 492; Holzner, NVwZ 2010, 489, 491; Albers/Ortler, GewArch 2009, 225, 229.
12 BR-Drs. 273/07, S. 27, 28.
13 Werner, ZLR 2008, 115, 123; Zum Verhältnis der Vorschriften: Becker/Blackstein, NJW 2011, 490, 492; Böhm/Lingenfeld/Voit, NVwZ 2011, 198, 201; Gurlit, NVwZ 2011, 1052, 1053; Holzner, NVwZ 2010, 489, 493; Schoch, ZLR 2010, 121, 135; ders., NJW 2010, 2241, 2246.
Hiergegen lässt sich jedoch anführen, dass die beiden Gesetze unterschiedlichen Zwecken dienen. Das LFGB dient gerade der Gefahrenabwehr, während das VIG die Verbraucherinformation bezweckt. Das VIG sollte explizit eine Lückenschließerfunktion haben14 und regelmäßig werden § 40 LFGB und das VIG in den gleichen Novellen geändert. Das Nebeneinander der Regelungen ist dem Gesetzgeber daher wohl bewusst und auch bezweckt.15
3. Wesentlichkeitstheorie und Bestimmtheitsgebot
Nicht zuletzt stellt sich die Frage der hinreichenden Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage einschließlich der zwangslogischen Vorfrage ihrer Notwendigkeit. Nach der Wesentlichkeitstheorie muss bekanntermaßen der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen, insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen, soweit diese staatlichen Regelungen zugänglich sind.16
a) Grundrechtsrelevanz der Maßnahme
An dieser Stelle ist damit zu untersuchen, ob die Informationstätigkeit der öffentlichen Hand einen Grundrechtseingriff darstellt. Dafür müssen zunächst die relevanten Grundrechte herausgearbeitet und ihre Schutzbereichsbetroffenheit geprüft werden. Genannt werden in diesem Zusammenhang meist die Artikel 12, 14 und 2 I i.V.m. 1 GG.17
aa) Schutzbereichseröffnung
(1) Art. 12 GG
Die Berufsfreiheit schützt die freie Berufsausübung und insbesondere den daraus resultierenden Erwerb. Die Informationen auf der Smiley-Liste treffen Aussagen zum Zustand von Betriebsgegenständen und -prozessen wie den Räumlichkeiten und der Küche sowie dem Personal, welche das Herzstück eines jeden Restaurants verkörpern. Sie gehen damit deutlich weiter als bspw. die Information im Glykolurteil, bei dem nur über ein bestimmtes Produkt informiert wurde. Die Betroffenheit der Berufsfreiheit wird somit ganz überwiegend bejaht.18
(2) Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG
Auch das Datenschutzgrundrecht könnte betroffen sein.19 Zwar wird der Inhaber des Restaurants nicht explizit genannt, jedoch ist dieser meist mit nur einem Mouseklick im Internet auffindbar. Zudem wurde dieses Grundrecht im Kontoabfragebeschluss des BVerfG teilweise auch auf juristische Personen übertragen,20 da deren Schutzbedürftigkeit der natürlicher Personen im Ansatz entspricht. Es sprich daher viel für die Annahme der Grundrechtsbetroffenheit im vorliegenden Fall.21
(3) Art. 14 GG
Fraglich ist, ob die Betreiber auch in ihrer Eigentumsfreiheit betroffen sind.22 Infrage kommt hier allenfalls eine Betroffenheit im Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, dessen Schutz im Rahmen des Art. 14 GG nicht abschließend entschieden ist.23 Jedenfalls darf der Schutzbereich hier nicht weiter sein als die wirtschaftliche Grundlage. Da seit der Novelle 2012 wegen § 3 I 4 Nr. 1 VIG Betriebsgeheimnisse nur noch sehr eingeschränkt Ausschlussgründe für die Veröffentlichung darstellen, sprechen die besseren Gründe dafür, auch eine Betroffenheit des Art. 14 GG anzunehmen.24
bb) Eingriffsqualität der Maßnahme
Des Weiteren stellt sich die Frage, ob durch die Information auch in Art. 12 GG eingegriffen wird.25 Unproblematisch liegt kein Eingriff im klassisch-imperativen Sinne vor, also in Form einer staatlichen Maßnahme, die unmittelbar, final und durch Rechtsakt durchsetzbar ist: Erst die zwischengeschaltete Verbraucherentscheidung bewirkt die negativen Folgen für den Betreiber.
Schon lange ist neben dem klassischen Eingriff aber auch der mittelbar-faktische Eingriff anerkannt.26 Dieser wurde für Informationen insbesondere im Tranzparenzlistenurteil entwickelt.27 Danach liegt ein Eingriff jedenfalls vor, wenn eine Information unter Inanspruchnahme staatlicher Autorität erfolgt, wenn er beabsichtigt, zielgerichtet oder vorhersehbar in Kauf genommen ist und wenn grundrechtlich geschützte Freiheiten dadurch schwerwiegende Einbußen erfahren.28
Die Information durch das Bezirksamt erfolgt unzweifelhaft durch Inanspruchnahme staatlicher Autorität, nämlich auf ihrer Homepage. Die Eingriffsfolgen werden vom Bezirksamt auch durchaus beabsichtig. Erklärter Zweck ist es, Verbraucherentscheidungen zu lenken und die Inhaber zur Einhaltung der Vorschriften anzuhalten.29 Daher lässt sich gleich auf zwei Weisen ein Eingriff begründen. Zum einen wird ein bestimmtes Verbraucherverhalten bezweckt, jedenfalls aber in Kauf genommen, sodass die bei Art. 12 GG geforderte berufsregelnde Tendenz zu bejahen ist. Zum anderen lässt die zweite Aussage auf den teilweisen Sanktionscharakter der Maßnahme schließen,30 sodass ein funktionales Äquivalent eines Eingriffs vorliegt, für welches eine Ermächtigungsgrundlage zu fordern ist.31
14 BR-Drs. 273/07, S. 12.
15 OVG Saarlouis, LMRR 2011, 1; Schnall, in: Lebensmittelrechts-Handbuch33, 2012, Rn. 233; Gurlit, NVwZ 2011, 1052, 1053; kritisch hierzu: Schoch, NJW 2010, 2241, 2246.
16 BVerfGE 40, 237, 249; 49, 89, 127; 58, 257, 278. Hierzu im vorliegenden Kontext: Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357, 1359; Holzner, NVwZ 2010, 489, 494.
17 VGH Baden-Württemberg, 9 S 2423/12, Rn. 10; BayVGH, 9 CE 12.2755, Rn. 2.2, 10; Becker, ZLR 2011, 391, 405.
18 Wollenschläger, DÖV 2013, 7, 13; ders., VerwArch 2011, 20, 39; Kügel/Plaßmann, LMuR 2012, 1, 5; Gurlit, NVwZ 2011, 1052, 1053; Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357, 1359; Bumke, Verw 2004, 3, 16.
19 Becker/Blackstein, NJW 2011, 490, 493; Albers/Ortler, GewArch 2009, 225, 228; Bumke, Verw 2004, 3, 16.
20 BVerfGE 118, 168, 203.
21 Kügel/Plaßmann, LMuR 2012, 1, 6; Becker, ZLR 2011, 391, 405; Wollenschläger, VerwArch 2011, 20, 45.
22 Dazu: Becker/Blackstein, NJW 2011, 490, 493.
23 BVerfGE 66, 116, 145; 77, 84, 118; 81, 208, 228.
24 VGH Baden-Württemberg, 9 S 2423/12, Rn. 10; Becker, ZLR 2011, 391, 407; Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357, 1359.
25 Aus Platzgründen wird sich im Weiteren auf die Prüfung des eindeutig betroffenen Art. 12 GG beschränkt.
26 Hierzu in dem Zusammenhang: Holzner, NVwZ 2010, 489, 490 f.
27 BVerwG, NJW 1985, 2774, 2776 f.
28 Dazu auch: Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357, 1359; Schoch, ZLR 2010, 121, 134; ders., NVwZ 2011, 193, 195; Bumke, Verw 2004, 3, 17 f.
29 Vgl. http://www.taz.de/!31229/.
30 Hierzu noch unter C.III.2.
31 Böhm/Lingenfelder/Voit, NVwZ 2011, 198, 201; Holzner, NVwZ 2010, 489, 490; Bumke, Verw 2004, 3, 18 -21; a.A. Schink, DVBl. 2011, 253, 255.
b) Übertragbarkeit der Grundsätze der Osho- und Glykol-Entscheidungen des BVerfG
Ein anderes Ergebnis könnte sich mit Blick auf die Glykol- und Osho-Entscheidungen des BVerfG ergeben. Dort wurde entweder die Eingriffsqualität oder trotz Eingriff die Notwendigkeit einer Ermächtigungsgrundlage abgelehnt. In diesen beiden Fällen gab es jedoch vier bedeutende Unterschiede zum vorliegenden Beispiel der Smiley-Liste.
Erstens geht es bei letzterer nicht um Handeln der Regierung zum Zwecke der Staatsleitung, sondern um Aktivitäten der Verwaltung im klassisch ordnungsrechtlichen Bereich.32 Zweitens ist eine akute Gefahrenlage in den meisten Fällen der veröffentlichen Verstöße nicht gegeben. Drittens ist durch die Verwendung von wertenden Smileys die geforderte Sachlichkeit problematisch.33 Zu guter Letzt sind die Wirkungen solcher Veröffentlichungen vorhersehbar, da es um den eng umgrenzten Bereich der Information über den Zustand von Restaurants geht, sodass für diesen speziellen Bereich die Folgen auch normierbar sind.
Aufgrund dieser Unterscheide sind die Grundsätze des BVerfG auf diesen Bereich nicht unreflektiert übertragbar.34 Vielmehr ist ein Eingriff anzunehmen und eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage zu fordern.35
c) Hinreichende Bestimmtheit
Neben der Wesentlichkeitstheorie, die eine gesetzliche Grundlage aufgrund der festgestellten Grundrechtsbetroffenheit erforderlich macht, muss die Ermächtigungsgrundlage für grundrechtsrelevante Maßnahmen auch hinreichend bestimmt sein36.
Ob diese Anforderungen bei § 6 I 2 VIG erfüllt sind, ist höchst zweifelhaft.37 § 6 I 2 VIG bleibt völlig vage. Es fehlen nähere Kriterien zu der Frage, wann eine Information möglich ist. Da § 2 VIG gerade keine Voraussetzungen für einen Anspruch auf Information vorsieht, ist die Veröffentlichung daher grundsätzlich auch immer möglich, ohne dass weitere Anforderungen zu stellen wären. Es bleibt unklar, welche Verstöße erfasst sein sollen. Es fehlen Informationen zur Art und Weise der Veröffentlichung, zum Zeitpunkt, zur Dauer, zu den Kontrollzyklen, zur Löschung, zur Zweckbindung der veröffentlichten Daten und zu dem Verhältnis zu klassischen ordnungsrechtlichen Instrumenten.38
Von einer hinreichenden Bestimmtheit kann daher nicht ausgegangen werden. Der Gesetzgeber lässt der Behörde hier zu weite Spielräume. Auch durch die neuste Novelle aus dem Herbst 2012 ist hieran trotz der bekannten Probleme nichts geändert worden.39
Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass für die seit Jahren praktizierte Praxis momentan keine hinreichende aber notwendige Ermächtigungsgrundlage besteht, denn auch § 40 LFGB kann nur einen kleinen Teil der veröffentlichten Informationen abdecken, insbesondere bei Vorliegen einer Gefahr und fehlenden milderen Mitteln (§ 40 I LFGB) sowie neuerdings bei der Überschreitung gewisser Höchstwerte oder einem zu erwartenden Bußgeld von über 350 Euro (vgl. § 40 Ia LFGB), wonach nun sogar eine Veröffentlichungspflicht besteht. Die Verfassungsmäßigkeit des § 40 Ia LFGB wird von Rechtsprechung und Literatur allerdings stark bezweifelt.40 Zudem seien hiervon nur Warnung vor bestimmten Produkten, nicht aber Hygienemängel im Allgemeinen gedeckt,41 sodass weder ein „Smileysystem“ noch eine „Hygieneampel“ auf § 40 Ia LFGB allein gestützt werden könnte.
II. Inhaltliche Anforderungen an die Information
Unabhängig von dem gerade gefundenen Ergebnis können sich weitere Probleme daraus ergeben, wie die Information inhaltlich ausgestaltet ist. Nach der Rechtsprechung des BVerfG müssen staatliche Informationen als wesentliches Kriterium und Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes den Anforderungen der inhaltlichen Richtigkeit und Sachlichkeit genügen.42
Gerade die Sachlichkeit wurde bei der ursprünglichen Praxis der Negativliste, bei der Verstöße durch unappetitliche Bilder ausgeschmückt wurden, bezweifelt.43 Heute ist die Sachlichkeit bei wertenden Smileys oder Warnfarben fraglich.44
Problematisch bleibt insbesondere auch die Richtigkeit der Information.45 Verwundern mag in diesem Zusammenhang der § 6 III VIG. Danach ist die Behörde explizit nicht verpflichtet, die Richtigkeit der Information zu überprüfen. Lediglich Zweifel an der Richtigkeit sind mitzuteilen. Allerdings bezieht sich diese Einschränkung nur auf Informationen, die die Behörde nicht selbst erhoben hat.46 Trägt sie jedoch die Verantwortung für die Erhebung der Information, kann sie sich von der Verpflichtung, nur inhaltlich richtige Informationen zu veröffentlichen, nicht befreien.47
32 Böhm/Lingenfelder/Voit, NVwZ 2011, 198, 201; Holzner, NVwZ 2010, 489, 490; Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357, 1360. Zum Problem der Abgrenzung: Bumke, Verw 2004, 3, 11 ff.
33 So bzgl. der „Hygieneampel“: Kügel/Plaßmann, LMuR 2012, 1, 4.
34 VG Berlin, LKV 2013, 131. Zur Kritik an diesen Entscheidungen bspw.: Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357, 1360 m.w.N; Schoch, NVwZ 2011, 197; a.A. Schink, DVBl. 2011, 253, 254.
35 So die ganz h.M.: VGH Baden-Württemberg, 9 S 2423/12, Rn. 10; Becker/Blackstein, NJW 2011, 490, 491; Wollenschläger, VerwArch 2011, 20, 35 f.; Schoch, NJW 2010, 2241, 2245; Holzner, NVwZ 2010, 489, 490; Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357, 1360.
36 BVerfGE 120, 274, 315.
37 Nach Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357, 1360, ist bereits die Tatsache, dass über die Bestimmtheit Streit besteht, ein hinreichendes Zeichen dafür, dass die betreffende Norm im Sinne des rechtsstaatlich verstandenen Bestimmtheitsgebot keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage darstellen kann.
38 Kritisch hierzu: Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357, 1360 f.; Becker/Blackstein, NJW 2011, 490, 493 f.; Wollenschläger, VerwArch 2011, 20, 40. § 40 IV LFGB hingegen sieht verpflichtende Widerrufe bei Fehlinformationen vor. Für die hinreichende Bestimmtheit plädiert: Schink, DVBl. 2011, 253, 258.
39 Becker, ZLR 2011, 391, 417, sieht in der Novelle eine massive Vertiefung der Verfassungswidrigkeit.
40 VGH Bayern, 9 CE 12.2755, Rn. 2.2; VGH Mannheim, 9 S 2423/12; VG Trier, LMRR 2012, 89; Grube/Immel, ZLR 2011, 175, 192; Becker, ZLR 2011, 391, 417. Zur Problematik des effektiven Rechtsschutzes: Wollenschläger, DÖV 2013, 7.
41 VG Karlsruhe, LMRR 2012, 66; VG Berlin, LKV 2013, 131; VG Trier, LMRR 2012, 89; VG Würzburg, LMRR 2012, 90; VG Regensburg, LMMR 2012, 85.
42 BVerfGE 105, 253, 276; BVerfGE 105, 279, 295; dazu: Bumke, Verw 2004, 3, 21.
43 Holzner, NVwZ 2010, 489, 492; Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357, 1361; Schnall, in: LMRH (Fn. 15), Rn. 248.
44 Kritisch: Kügel/Plaßmann, LMuR 2012, 1, 4.
45 Schoch, ZLR 2010, 121, 136 f.
46 Eine umfassende Ermittlungspflicht resultiert hier schon aus dem Amtsermittlungsgrundsatz gem. § 24 VwVfG (Schnall, in: LMHB (Fn. 15), Rn. 234; Albers/Ortler, GewArch 2009, 225, 230).
47 Schoch, NJW 2010, 2241, 2247, beschränkt den § 5 III a.F. VIG (heute § 6 III VIG) und plädiert für die generelle Richtigkeitsgewähr bei öffentlicher Verbraucherinformation.
Es ist also zu prüfen, ob die festgestellten Verstöße auch tatsächlich vorliegen. Dies kann in der Regel nur dann angenommen werden, wenn diese rechts- oder bestandskräftig festgestellt wurden.
Dies stellt die Behörde jedoch vor ein Dilemma, das durch die letzte Gesetzesnovelle nur teilweise abgeschwächt wurde.48 Nach dem § 3 I Nr. 1b VIG ist die Information u.a. für die Dauer eines Verwaltungsverfahrens, eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens oder eines ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verfahrens ausgeschlossen.49 Die Behörde kann sich daher entscheiden, ob sie die Verstöße noch vor Einleitung eines Verfahrens veröffentlicht. Hierbei läuft sie aber Gefahr, dass sich die Verstöße nicht bestätigen, dadurch das Richtigkeitspostulat verletzt wird und die teilweise schwerwiegenden Folgen durch eine Negativinformation nicht zurückholbar sind. Entscheidet sie sich jedoch für eine Veröffentlichung erst nach einem abgeschlossenen Verfahren, leidet die Aktualität der Information und die Verstöße werden regelmäßig bereits behoben sein. Dann sinkt jedoch auch wieder das Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Zudem kann die verzögerte Einleitung eines strafrechtlichen Verfahrens zum Zwecke der vorherigen Öffentlichkeitsinformation gegen das Offizialprinzip verstoßen.50 Anders sah dies in einem ähnlichen Fall das OVG Saarlouis.51 Nach seiner Ansicht ist bei einer nachträglichen Veröffentlichung des Verstoßes auch nach dessen Behebung noch ein Informationsinteresse geben. Eine eigenverantwortliche Kaufentscheidung sei weiterhin frei möglich, denn der Verbraucher könne Schlüsse aus vergangenen Mängeln ziehen. Neben dem sinkenden Informationswert eines Verstoßes, der Monate oder Jahre zurückliegt, stellt sich hierbei aber insbesondere die Frage der Verhältnismäßigkeit einer solchen Veröffentlichung.52
Bezüglich laufender Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren ist die Veröffentlichung von Informationen gem. § 2 I 1 Nr. 1, 2 VIG mit Blick auf den Grundsatz der beschränkten Aktenöffentlichkeit gem. § 475 StPO und § 49b OwiG nicht unproblematisch, wird dadurch doch eine Veröffentlichung ohne Rücksicht auf die engen Voraussetzungen der Akteneinsichtsrechte zulässig.53
III. Verhältnismäßigkeit
§ 6 I 2 VIG räumt der Behörde Ermessen ein. Sie „kann“ Informationen der Öffentlichkeit zugänglich machen. Sie muss im Rahmen dessen also gerade auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten. Zur besseren Ordnung der kontroversen Diskussion soll hier die Prüfung anhand der möglichen legitimen Zwecke vorgenommen werden.
1. Gefahrenabwehr
Die Gefahrenabwehr als solche ist ein legitimer Zweck einer hoheitlichen Maßnahme. Jedoch ist bereits die Geeignetheit der Informationstätigkeit zum Zwecke der Gefahrenabwehr höchst zweifelhaft. Liegen Verstöße vor, die bspw. eine Gesundheitsgefahr begründen, ist die Informationstätigkeit im Internet ungeeignet, die Verbraucher rechtzeitig zu informieren, ist doch nicht sichergestellt, dass sich jeder Verbraucher vor einem Restaurantbesuch im Internet über den Betrieb informiert. Jedenfalls sind aber die ordnungsrechtlichen Instrumente des Gaststätten- und Gewerberechts zur Abstellung der Gefahr deutlich geeigneter. Da bei der Smiley-Liste zudem bei vielen Verstößen keine konkrete Gefahr für ein Rechtsgut zu befürchten ist,54 genügt die Gefahrenabwehr als legitimer Zweck nicht zur Rechtfertigung der Information.55
2. Gesetzestreue
Vielfach wurden derartige Informationstätigkeiten auch als „moderner Pranger“ bezeichnet.56 So kann eine solche Veröffentlichung negativer Informationen sowohl eine spezial- als auch eine generalpräventive Funktion erfüllen. Zwar verneint die Behörde selbst den Sanktionscharakter, sie beschwert sich jedoch im gleichen Atemzug über die mangelnde Wirkung von Bußgeldern und wünscht sich eine zusätzliche „Motivation“ zur Gesetzestreue.57 Generell ist auch die Sanktion ein legitimer Zweck einer Maßnahme. Die Veröffentlichung der Verstöße ist auch geeignet, die Gesetzestreue zu fördern. Fraglich ist hier aber jedenfalls die Erforderlichkeit. Bußgelder können in vielen Fällen mildere, aber gleich geeignete Mittel darstellen. Die Bußgelder lassen den Ruf der Restaurants, der in der heutigen Zeit bei der Fülle der Restaurants nicht zu vernachlässigen und im Internet jederzeit überprüfbar ist, zunächst unberührt. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass Bußgelder keine Wirkung zeigen oder ignoriert werden, zumal sie auch zwangsweise durchgesetzt werden können. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf die Generalprävention. Die vorhandenen ordnungsrechtlichen Maßnahmen sowie Ordnungswidrigkeitstatbestände erfüllen wohl ebenso den notwendigen generalpräventiven Zweck.
Möchte man jedoch in einzelnen Fällen, gerade bei hohen Bußgeldern, die Information der Öffentlichkeit als milderes gleich geeignetes Mittel verstehen, so stellt sich auf der Ebene der Angemessenheit die Frage, inwiefern eine dauerhafte Sanktionswirkung verhältnismäßig im engeren Sinne sein kann. Klassische Sanktionen sind zeitlich begrenzt. Das ist beim Internet schwer umsetzbar. Auch wenn die Listen aktualisiert und Verstöße entfernt werden, sind einmal ins Internet gelangte Informationen nicht effektiv löschbar.58 Diese dauerhafte Sanktionswirkung stellt sich im Verhältnis zu den Verstößen, die meist weit unter den Anforderungen für eine Schließung stehen, als unverhältnismäßig dar.
Diesbezüglich wird auch fruchtbar gemacht, dass eine solche Information zum Zwecke der Sanktion auch dem Gedanken der Unschuldsvermutung aus Art. 20 III GG und Art. 6 II
48 Gurlit, NVwZ 2011, 1052, 1054. Diese Ausnahme gilt heute nicht mehr für Informationen gem. § 2 I 1 Nr. 1, 2 VIG, also über Abweichungen von Anforderungen des LFGB und über gesundheitsgefährdende Produkte.
49 Hierzu auch: Böhm/Lingenfelder/Voit, NVwZ 2011, 198, 201; Holzner, NVwZ 2010, 489, 491 ff.; Hüttner, VuR 2008, 367, 372.
50 Holzner, NVwZ 2010, 489, 491.
51 OVG Saarlouis, LMRR 2011, 1 ff.
52 VGH Baden-Württemberg, 9 S 2423/12, Rn. 26; VG Trier, LMRR 2012, 89; VG Karlsruhe, LMRR 2012, 66.
53 Wallau, ZLR 2010, 382, 386; Tsambikakis/Wallau, StraFO 2010, 177, 178; Grube/Immel, ZLR 2011, 175, 189.
54 So werden z.B. auch Verstöße gegen Dokumentationspflichten aufgezählt.
55 So auch: Kügel/Plaßmann, LMuR 2012, 1, 6; Holzner, NVwZ 2010, 489, 492; Schink, DVBl. 2011, 253, 257.
56 Tsambikakis/Wallau, StraFO 2010, 177; Schoch, NJW 2010, 2241, 2243. Auch die Rechtsprechung erkennt die Prangerwirkung an: VGH Baden-Württemberg, 9 S 2423/12, Rn. 7; VGH Bayern, 9 CE 12.2755, Rn. 2.2.3.
57 Vgl. Fn. 29; dazu: Becker/Blackstein, NJW 2011, 490, 492; Schink, DVBl. 2011, 253, 259.
58 Hierzu auch unter: C.III.3.
EMRK widerspricht.59 Kann im Verwaltungsverfahren auch nur eine bedingte Übertragbarkeit dieses Grundsatzes stattfinden, so ist doch nicht zu verkennen, dass die Information eine bestrafende Wirkung ohne durchgeführtes Verwaltungsverfahren vorsieht.
3. Verbraucherinformation/Beeinflussung von Kaufentscheidungen
So bleibt zuletzt als möglicher legitimer Zweck das zumeist vorgebrachte Ziel der Verbraucherinformation zu untersuchen. Die Legitimität ist nicht zu bezweifeln. Bei der Geeignetheit ist bereits zu differenzieren. Informationen über bestehende Verstöße fördern sicherlich die Verbraucherinformiertheit hinsichtlich der Zustände in den Restaurants. Problematisch ist dies aber bei inzwischen behobenen Verstößen.60 Das Gesetz geht erst nach fünf Jahren davon aus, dass ein vergangener Verstoß keine relevante Information mehr darstellt (§ 3 Nr. 1e VIG). Es stellt sich aber generell die Frage, ob eine veraltete Information über die Vergangenheit dem mündigen Verbraucher eine reflektierte Kaufentscheidung für die Zukunft ermöglicht.61 Der Verbraucher, auch wenn er um die Behebung des Verstoßes weiß, entscheidet dann aufgrund veralteter Informationen, sodass eine Verbraucherinformation, die wiederum der Entscheidungsfindung aufgrund eines aktuellen Marktbildes dienen soll, nicht gefördert wird.
Bei Informationen über aktuelle Verstöße hingegen ist wohl auch die Erforderlichkeit zu bejahen. Eine so effektive und differenzierte Information wie über das Internet ist über andere Wege kaum denkbar.
Auf der Stufe der Angemessenheit müssen bekanntlich die widerstreitenden Interessen abgewogen werden. Auf Seiten der Betroffenen steht der Art. 12 GG, welcher im Sinne der Drei-Stufen-Lehre auf Ebene der Berufsausübung betroffen ist und somit vernünftige Gründe des Allgemeinwohls auf Rechtfertigungsebene erforderlich macht.62 Solche Gründe liegen darin, die Verbraucher umfassend zu informieren und die Markttransparenz zu erhöhen. Eine funktionale Alternative zur Information ist in den heutigen Märkten nicht ersichtlich. Zudem wird der Informationsfreiheit sowie der Vertragsfreiheit der Verbraucher Rechnung getragen. Gesetzestreue Gastwirte werden durch die Veröffentlichung geschützt und es wird zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes beigetragen, indem Verstöße, die zu Gesundheitsgefahren führen können, schon im Keim erstickt werden. Nicht zuletzt wird die Verwaltungstransparenz erhöht.
All diese Gründe stellen vernünftige Gründe des Allgemeinwohls dar, welche Eingriffe in die Berufsfreiheit insbesondere in Kombination rechtfertigen können. Nicht zu vernachlässigen ist aber auch die Eingriffsintensität der Maßnahme. Staatliche Informationen haben ein besonderes Gewicht und eine extrem hohe Befolgungswirkung.63 Die Veröffentlichung über das Internet schließt zudem die Rückholbarkeit dauerhaft aus. Eine weite Verbreitung wird garantiert und die Informationen sind bei geschickter Suche immer wieder auffindbar, „denn das Internet vergisst nichts.“64 Damit kann eine dauerhafte Stigmatisierung einhergehen, die im schlimmsten Fall den Inhaber zur Geschäftsaufgabe zwingen und somit zur Existenzvernichtung führen kann.65
Teile der Rechtsprechung sehen diese gravierenden Folgen als hinnehmbar an, da der Schutz der Betroffenen durch den selbstverschuldeten Verstoß zu verringern sei.66 Dem lässt sich mit Ossenbühl entgegnen: „Gerade dort, wo der Staat Sanktionen vermeintlicher oder wirklicher Missachtung der Rechtsordnung festlegt, muss sich der Rechtsstaat bewähren.“67 Zudem bestehen die erforderlichen Sanktionsmaßnahmen bereits im umfassenden Maße. Durch einen selbstverschuldeten Verstoß wird jedoch der Grundrechtsschutz nicht automatisch reduziert, dieser kann allenfalls in der Abwägung Berücksichtigung finden.
D. Ergebnis und Ausblick
Daraus ergibt sich meines Erachtens, dass die Rechtfertigung der Grundrechtseingriffe durch die Smiley-Liste oder vergleichbare Systeme nur im engen Rahmen möglich ist.68
Zum einen sollten keine bereits behobenen Mängel veröffentlicht werden, ohne dass eine relevante Wiederholunggefahr nachgewiesen werden kann. In diesem Fall wird der Zweck der Verbraucherinformation nicht mehr gefördert, sodass die Information schon ungeeignet ist.
Des Weiteren sind Erstverstöße nur sehr begrenzt zu veröffentlichen. Gibt es keine Prognose für eine Wiederholung und liegt somit aller Voraussicht nur ein einmaliger „Ausrutscher“ vor, stellt sich eine Information über das Internet, welches niemals vergisst, als unverhältnismäßig im engeren Sinne dar.
Zusätzlich muss ein solches Informationssystem sicherstellen, dass Art. 3 I GG Rechnung getragen wird.69 Im Rahmen ihrer Möglichkeiten muss die Behörde ein flächendeckendes Kontrollsystem sicherstellen und auch für regelmäßige Nachkontrollen sorgen, um nicht einzelne Betriebe ohne vernünftigen Grund durch häufige oder ausbleibende Kontrollen zu bevorzugen oder zu benachteiligen.
Positiv gefasst sind damit Informationen nur über aktuelle, wiederholte Verstöße bzw. aktuelle Erstverstöße mit Wiederholungsgefahr zulässig, die nicht nachweislich behoben sind und sicher feststehen.
Dies lässt der Praxis zugegebenermaßen nur einen engen Anwendungsbereich. Zunächst muss dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden (§ 5 I VIG),70 sodass in dieser Zeit bereits Missstände abgestellt werden können. Wenn eine Behebung aber wiederholt ausbleibt, wird in der Regel bereits eine Unzuverlässigkeit i.S.d. § 4 GastG bzw. § 35 GewO vorliegen, welche einen Erlaub-
59 In diese Richtung argumentieren: Kügel/Plaßmann, LMuR 2012, 1, 6; Tsambikakis/Wallau, StraFO 2010, 177, 178; Wallau, ZLR 2010, 382, 385.
60 VG Trier, LMRR 2012, 89; VG Karlsruhe, LMRR 2012, 66.
61 Dies verneinend: Kügel/Plaßmann, LMuR 2012, 1, 4; Holzner, NVwZ 2010, 489, 492; Wallau, ZLR 2010, 382, 385; bejahend: OVG Saarlouis, LMRR 2011, 1; Schink, DVBl. 2011, 253, 260; Wollenschläger, VerwArch 2011, 20, 41.
62 BVerfGE 7, 377, 405; 77, 84, 106.
63 Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357, 1358.
64 Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357, 1358; ähnlich: Becker/Blackstein, NJW 2011, 490; Wollenschläger, VerwArch 2011, 20, 43.
65 Becker/Blackstein, NJW 2011, 490, 494. So geschehen im Fall EuGH, C-636/11.
66 OVG Sarlouis, LMRR 2011, 1; VG Stuttgart, VuR 2009, 317.
67 Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357, 1358.
68 Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen: Wollenschläger, VerwArch 2011, 20, 46-48.
69 Holzner, NVwZ 2010, 489, 493; Kügel/Plaßmann, LMuR 2012, 1, 4.
70 Seit der Novelle 2012 beträgt die Anhörungsfrist keine vier Wochen mehr (vgl. § 4 VIG a.F.), sondern kann auch kurzfristig mündlich erfolgen.
nisentzug bzw. eine Betriebsschließung ermöglicht. Nach der Schließung ist aber auch eine Information über Hygieneverstöße bereits mangels Erforderlichkeit unverhältnismäßig.
Damit bleibt festzuhalten, dass die Pankower Smiley-Liste und vergleichbare Veröffentlichungen in ihrer heutigen Form auch nach der jüngsten Gesetzesnovelle als Verwaltungsmaßnahme rechtswidrig sind.71
Interessant ist angesichts der jüngsten Entscheidungen72 zur Veröffentlichung von Hygieneverstößen im Internet auf Basis des neuen § 40 Ia LFGB die Rigorosität, mit der die Gerichte ganz überwiegend nun derartige Veröffentlichungen verbieten und die Verfassungsmäßigkeit offen bezweifeln, während diese bei dem vagen § 5 I 2 a.F. bislang meist bejaht wurde. Die Gerichte bemängeln gerade die auch hier kritisierten Punkte der Veröffentlichung behobener Verstöße, der Verhältnismäßigkeit und der Information über Hygieneverstöße, die keine Gesundheitsgefahr begründen. Dies alles bekräftigt die hier vertretene Meinung, die Rechtmäßigkeit des § 6 I 2 VIG und darauf basierende Veröffentlichungen in Zweifel zu ziehen, zumal die Gerichte – soweit ersichtlich – bislang nicht den § 6 I 2 VIG als möglichen Auffangtatbestand in Betracht gezogen haben.
Die Auseinandersetzung eines obersten Bundesgerichts und des EuGH mit dieser Problematik steht noch aus, ist aber bald zu erwarten.73 Erste Bundesländer ziehen bereits Konsequenzen aus den Verunsicherungen und stoppen derartige Veröffentlichungen.74
Es bleibt zu hoffen, dass die Gerichte die noch offenen Fragen klar beantworten und so – auch im Hinblick auf eine geplante bundesweite Ausweitung des Smiley-Systems bzw. einer Hygieneampel – für Rechtssicherheit sorgen. Diese ist nicht nur für die Behörden und den Gesetzgeber zu wünschen, sondern gerade auch für die Verbraucher und nicht zuletzt für die Inhaber der betroffenen Betriebe.
71 So auch: Becker/Blackstein, NJW 2011, 490, 494; Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357, 1361; Holzner, NVwZ 2010, 489, 494.
72 Vgl. Fn. 4, 40, 41.
73 Aufgrund der zahlreichen Entscheidungen in jüngster Vergangenheit ist die Verunsicherung groß und eine Entscheidung auf höchster Ebene wird angestrebt (http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/hygiene-ampel-neuer-vorstoss-fuer-bundesweite-kennzeichnung/7762814.html). Bezüglich des § 40 I Nr. 4 LFGB hat der EuGH gerade die Europarechtskonformität einer Information über Lebensmittel, die zwar nicht gesundheitsschädlich, aber für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind, bestätigt (Rs. C-636/11). Zur Europarechtswidirgkeit des § 6 VIG: Becker, ZLR 2011, 391, 403.
74 Vgl. in Baden-Württemberg: http://www.mlr.baden-wuerttemberg.de/Aktuelles_zu_Verbraucherinfo_BW/119711.html.