by Professor Dr. Doris König*
Auch wenn Altbundeskanzler Gerhard Schröder vieles richtig gemacht haben mag – in zwei Dingen hat er geirrt: Er hat Wladimir Putin für einen „lupenreinen Demokraten“ gehalten und die Beschäftigung mit Frauen- bzw. Gleichstellungsfragen und Familienpolitik als „Gedöns“ (umgangssprachlich für „unnötige Gegenstände“, „Firlefanz“) abgetan.
Spricht hier – so fragt sich vielleicht die eine oder der andere von Ihnen – eine „Altemanze“, die noch nicht kapiert hat, dass sich Gleichstellungsfragen längst erledigt haben und alles „paletti“ ist? Werden Mädchen und junge Frauen in Schule und Hochschule nicht genauso behandelt wie Jungen und junge Männer? Steht nicht beiden die Welt gleichermaßen offen? Gibt es nicht die gleichen Chancen für beide Geschlechter, Karriere zu machen? Und liegt es nicht an den Frauen selbst, wenn sie das nicht wollen oder es sich nicht zutrauen? Viele von Ihnen würden diese Fragen wohl mit einem „Ja“ beantworten und das leidige Thema damit als „abgehakt“ ansehen. Aber kann man(n) es sich wirklich so einfach machen?
Die rechtlichen Fragen der Gleichstellung sind weitgehend geklärt. Spätestens mit der Einfügung des Satzes 2 in Art. 3 Abs. 2 GG im Jahr 1994 steht fest, dass frauenfördernde Maßnahmen trotz des Verbots der Diskriminierung wegen des Geschlechts in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG grundsätzlich zulässig sind jedenfalls solange das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt wird und Raum für die Berücksichtigung besonderer Umstände im Einzelfall bleibt. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht, anders als der EuGH, bisher noch nicht über die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Quotenregelung zu entscheiden hatte, so wird man davon ausgehen können, dass sog. Entscheidungs- oder Zielquoten, die die Erreichung eines bestimmten Frauenanteils in einem vorgegebenen Zeitraum vorschreiben, dabei aber einen Abwägungsspielraum bei der einzelnen Besetzungsentscheidung offen lassen, verfassungsgemäß sind (vgl. etwa Lerke Osterloh, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 3, Rn. 288, die allerdings mit Blick auf die praktische Relevanz des Streits über die Zulässigkeit von leistungsabhängigen Quoten den „Verdacht eines symbolischen Stellvertreterkriegs“ äußert).
Von den symbolträchtigen Quoten einmal abgesehen, hat das Bundesverfassungsgericht durch zahlreiche Urteile in nahezuallen Rechtsbereichen zur Abschaffung geschlechtsdiskriminierender Bestimmungen und damit zur (rechtlichen) Gleichstellung von Frauen und Männern beigetragen. Gleiches gilt für den EuGH, der bereits in den 1980er Jahren auch die mittelbare Diskriminierung von Frauen, insbesondere als Teilzeitbeschäftigte, verboten und seit den 1990er Jahren sog. flexible Quoten mit Öffnungsklausel erlaubt hat. Im Laufe des letzten Jahrzehnts hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg nachgezogen und verlangt für die Rechtfertigung geschlechtsdiskriminie- render Maßnahmen „very weighty reasons“, d.h. er unterzieht solche Maßnahmen einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung. Auf völkerrechtlicher Ebene ist insbesondere das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau von 1979 einschlägig, das in Art. 4 Abs. 1 „zeitweilige Sondermaßnahmen […] zur beschleunigten Herbeiführung der De-facto-Gleichberechtigung von Mann und Frau“ und damit Fördermaßnahmen bis hin zu Quotenregelungen erlaubt und die Vertragsstaaten in Art. 5 zur „Beseitigung von Vorurteilen“ und auf „der stereotypen Rollenverteilung von Mann und Frau beruhenden Praktiken“ verpflichtet. In Bezug auf die rechtlichen Grundlagen und deren punktuelle Durchsetzung durch Gerichtsurteile ist also schon Vieles erreicht und das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts hat in besonderer Weise zur Entwicklung der Dogmatik des Diskriminierungsrechts beigetragen.
Aber wie sieht unser Alltag aus? Als wahre Fundgrube für Daten und Fakten erweist sich der Erste Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, der in den Jahren von 2008 bis 2011 von einer Sachverständigenkommission erstellt worden ist. In diesem Bericht wird bestätigt, was wir eigentlich schon lange vorher wussten. Seit Jahren beträgt der Verdienstabstand zwischen Männern und Frauen, das sog. „gender pay gap“, rund 22%. Dies liegt nicht nur daran, dass Frauen vorwiegend in schlechter bezahlten Branchen, auf den unteren und mittleren Ebenen und häufig in Teilzeit oder in „Minijobs“ arbeiten. Selbst gut qualifizierte, im gehobenen Management tätige Frauen verdienen deutlich weniger
* Die Autorin ist Präsidentin der Bucerius Law School und Inhaberin des Claussen-Simon-Stiftungslehrstuhls für Internationales Recht an dieser Hochschule.
als ihre männlichen Kollegen. Bei Hochschulabsolventinnen und -absolventen beträgt der Unterschied beim Berufseinstieg 10% und vergrößert sich im Verlauf des Berufslebens auf 30%. Die Diskrepanz lässt sich u.a. darauf zurückführen, dass Frauen die Erwerbstätigkeit häufig familienbedingt unterbrechen, aber auch bei Gehaltsverhandlungen nicht so hart verhandeln wie Männer. Dies hängt wiederum damit zusammen, dass ihnen einerseits die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oft wichtiger ist als die Höhe des Gehalts und dass sich andererseits viele Frauen selbst als weniger gut als ihre männlichen Konkurrenten einschätzen (sog. Selbstbeurteilungs-Bias) und deshalb zurückhaltender auftreten. Dass es diese „Potenzialunterschätzung“ auch bei unseren Studentinnen gibt, hat die Diskussion im Anschluss an den Vortrag meiner Kollegin Barbara Dauner-Lieb – selbst jahrelang Frauenbeauftragte der juristischen Fakultät an der Universität zu Köln – zum Thema „Mentoring für weibliche Nachwuchskräfte“ gezeigt. Die Selbstunterschätzung ist, zumindest zum Teil, auch ursächlich dafür, dass Frauen nach wie vor in Führungsetagen kaum anzutreffen sind, von Aufsichtsräten und Vorständen ganz zu schweigen.
Auch in der Rechtswissenschaft bleibt noch viel zu tun. Der Anteil der Professorinnen ist zwar nach der Studie des Wissenschaftsrats zu den Perspektiven der Rechtswissenschaft vom November 2012 in den letzten 11 Jahren von 8,1 % auf 15,9% gestiegen, liegt aber immer noch unter dem Bundesdurchschnitt aller Fakultäten von knapp 20%. Deshalb empfiehlt der Wissenschaftsrat, das wichtigste Beratungsgremium der Bundesregierung und der Länder für Hochschulen, Wissenschaft und Forschung, die rechtswissenschaftlichen Fakultäten zu verpflichten, „flexible, am Kaskadenmodell orientierte Quoten“ sowie „transparente und formalisierte Verfahren“ bei Berufungen und anderen Personalentscheidungen einzuführen und eine „adäquate – am besten paritätische – Beteiligung von Frauen“ (S. 41) in den Schlüsselgremien der Fakultäten zu realisieren. Diese Empfehlungen sind umso erstaunlicher, als der Wissenschaftsrat bisher nicht gerade als „Motor der Gleichstellung“ aufgefallen ist.
Wenn wir nun zum Schluss einen Blick auf die Bucerius Law School werfen, so gibt es neben manchen ermutigenden Signalen auch manche Defizite. Ermutigend ist, dass 2012 zum ersten Mal seit unserer Gründung der Anteil der Studentinnen von 32-39% auf 44% angestiegen ist (wobei dieser allerdings an den Jurafakultäten der staatlichen Universitäten seit vielen Jahren bei knapp über 50% liegt). Der Anteil der hauptamtlichen Professorinnen beträgt – bei insgesamt 15 hauptamtlichen Professuren – mit drei Frauen 20%, liegt also sogar leicht über dem Durchschnitt in rechtswissenschaftlichen Fakultäten. Der Anteil der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen entspricht mit zurzeit 38% in etwa dem Kaskaden
modell, d.h. der Anteil der Frauen auf der nächsthöheren Ebene entspricht ungefähr demjenigen auf der darunter liegenden Ebene (Studentinnen). Bei den bereits abgeschlossenen 205 Promotionen wurden 25% von Frauen abgelegt, in den laufenden 307 Promotionsverfahren gibt es 101 Doktorandinnen, also ein knappes Drittel. Aber auf der nächsten Qualifikationsstufe – wissenschaftliche Assistenz oder Juniorprofessur – gibt es gar keine Frauen und unsere bisher einzige Habilitierte kommt aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht. Hierfür gibt es sicher eine ganze Reihe unterschiedlicher Gründe, nicht zuletzt auch das nach wie vor große Problem, Beruf und Familie miteinander vereinbaren zu können. Dieses Problem betrifft natürlich Männer und Frauen in der entscheidenden Qualifikationsphase gleichermaßen, wirkt sich aber offensichtlich stärker zum Nachteil der Nachwuchswissenschaftlerinnen aus. Aus diesem Grunde hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) bereits 2008 „forschungsorientierte Gleichstellungsstandards“ verabschiedet, die von ihren Mitgliedern – Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, wissenschaftliche Verbände und Akademien der Wissenschaft – bis 2013 umgesetzt werden müssen. Auch diejenigen Hochschulen, die sich um ein größeres Förderprojekt wie z.B. ein Graduiertenkolleg bewerben, müssen ein Gleichstellungskonzept vorweisen können, um Erfolg zu haben. Das bedeutet für die Bucerius Law School, dass wir uns so bald wie möglich Gedanken über eine Gleichstellungsstrategie machen müssen, schon damit wir uns um größere DFG-Projekte bewerben können. Zur Orientierung hat die DFG einen „Instrumentenkasten“ zusammengestellt, in dem Best Practice-Beispiele zu finden sind. Es wird eine meiner wichtigen Aufgaben sein, zusammen mit den zuständigen Gremien ein Gleichstellungskonzept, das fast alle anderen Hochschulen in Hamburg bereits haben, zu erarbeiten und umzusetzen. Erste Gespräche in dieser Richtung haben schon stattgefunden.
Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Wer die Gleichstellung von Frauen und Männern aus weltanschaulichen oder politischen Gründen für „Gedöns“ hält, wird erfahrungsgemäß an dieser Auffassung festhalten und darauf setzen, dass sich schon alles irgendwann einmal von selbst einpendeln wird. Für diejenigen, die nicht auf die Selbstheilungskräfte vertrauen mögen, bleibt die Gleichstellung der Geschlechter eine gesellschaftspolitische Herausforderung, die im Interesse von Frauen und Männern besser als bisher gemeistert werden muss. Über die Wege, auf denen dies zu erreichen ist, bestehen zahlreiche kontroverse Ansichten. Alle Interessierten sind aufgefordert, sich bei den für die Zukunft geplanten Veranstaltungen zu diesem Thema an der Diskussion zu beteiligen.