Grundrechtlicher Schutz vor mittelbarer Geschlechterdiskriminierung

Zur Binnensystematik des Art. 3 GG

by Gesche Heidorn*

A. Einleitung

Das Verbot der rechtlichen Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts ist in Art. 3 II und Art. 3 III des Grundgesetzes verankert.

Gesetze, die das Geschlecht ausdrücklich als Anknüpfungspunkt für nachteilige Rechtsfolgen verwenden und damit Frauen unmittelbar diskriminieren, sind heute weitestgehend beseitigt.1 In den Fokus der Aufmerksamkeit tritt das Phänomen der mittelbaren2 Diskriminierung: Der Begriff bezieht sich auf neutrale gesetzliche Regelungen, die sich faktisch überwiegend zum Nachteil von Frauen auswirken.3 Durch gesellschaftliche Strukturen und die hieraus resultierenden unterschiedlichen Lebenssituationen der Geschlechter sind Frauen überproportional von bestimmten nachteilig wirkenden Rechtsnormen betroffen.4

Das zeigt sich am Beispiel der Teilzeitarbeit, an dem das Rechtsinstitut in der Rechtsprechung des EuGH entwickelt wurde:5 Nachteilige Regelungen, die an Teilzeitbeschäftigung anknüpfen, wie beispielsweise der Ausschluss von Teilzeitbeschäftigten von Versorgungsleistungen (z.B. von der Betriebsrente)6 , diskriminieren Frauen mittelbar, da in vielen Bereichen etwa 80% aller Teilzeitarbeitsstellen mit Frauen besetzt sind.7

Enthielte Art. 3 GG ein grundsätzliches Verbot solcher mittelbaren Diskriminierung, so wären mittelbar diskriminierende Gesetze verfassungswidrig, sofern die Anforderungen an eine Rechtfertigung nicht erfüllt wären.8 Lässt sich das Verbot der mittelbaren Geschlechterdiskriminierung, das im Verfassungsrecht nicht ausdrücklich vorkommt9 , aus den Gleichheitssätzen des Art. 3 GG ableiten? Und falls ja: Wie? Unter welchen Voraussetzungen kann eine mittelbare Geschlechterdiskriminierung gerechtfertigt sein? Diese Fragen sind Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Die übrigen Differenzierungsverbote des Art. 3 III GG bleiben bei der Darstellung außer Betracht, sodass sich der Begriff der mittelbaren Diskriminierung im Folgenden ausschließlich auf die mittelbare Geschlechterdiskriminierung bezieht.

B. Konstruktive Herleitung des Verbots– ein Überblick

In der Literatur werden im Wesentlichen drei unterschiedliche Möglichkeiten zur normativen Anknüpfung des Verbots mittelbarer Diskriminierung benannt:10 Art. 3 I GG11 , Art. 3 II GG12 oder Art. 3 II und III GG13 .

Befürworter einer Zuordnung zu Art. 3 II GG bzw. Art. 3 III GG verlangen, dass ausnahmsweise eine Rechtfertigung auch im Rahmen dieser sonst im Grundsatz absolut wirkenden Differenzierungsverbote möglich sein soll.14

Demgegenüber verweisen Vertreter einer Lösung über Art. 3 I GG auf die vom BVerfG entwickelte „neue Formel“: Die allgemein im Rahmen des Art. 3 I GG weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers verenge sich unter Einfluss der Wertungen des Art. 3 II und III GG, sodass mehr oder weniger strenge Anforderungen an eine Rechtfertigung gestellt werden könnten.15

Alle Autoren verlangen demnach eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, bei der die Intensität der mittelbar diskriminierenden Wirkung mit etwaigen Rechtfertigungsgründen flexibel in Abwägung gebracht werden kann.


* Die Autorin ist Studentin an der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Siehe nur Traupe, Mittelbare Diskriminierung teilzeitbeschäftigter Betriebsratsmitglieder, 2002, S. 19; Sachs, Grundrechtliche Gleichheit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts3, 2010, § 182 Rn. 99.

2 So der in der Literatur üblicherweise verwendete Begriff. Andere Autoren sprechen von „indirekter Diskriminierung“, vgl. Slupik, Die Entscheidung des Grundgesetzes für Parität im Geschlechterverhältnis, 1998, S. 100. Wisskirchen plädiert für die Bezeichnung „Diskriminierung aufgrund ungleicher Betroffenheit“, da durch diese dem Amerikanischen entlehnte Terminologie das Kernproblem besser erfasst werde (Wisskirchen, Mittelbare Diskriminierung von Frauen im Erwerbsleben, 1994, S. 23). Abzugrenzen ist die mittelbare von der verdeckten Diskriminierung. Sie liegt vor, wenn bei einer benachteiligenden Regelung lediglich andere Gründe als das Geschlecht vorgeschoben werden, tatsächlich aber wegen des Geschlechts diskriminiert wird. Die verdeckte Diskriminierung fällt unproblematisch in den Anwendungsbereich des Art. 3 III GG, Hanau/Preis, Zeitschrift für Arbeitsrecht (ZfA) 1988, 177, 181; Sachs(Fn. 1), Rn. 31 ff.; Sievers, Die mittelbare Diskriminierung im Arbeitsrecht, 1997, S. 19; a.A. Bieback, Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht (ZIAS) 1990, 1, 8.

3 Bieback, ZIAS 1990, 1, 8.

4 Vgl. nur Engler, Strukturelle Diskriminierung und substantielle Chancengleichheit, 2005, S. 2.

5 Ausführlich hierzu Hanau/Preis, ZfA 1988, 177, 181-188.

6 EuGH, verb. Rs. 170/84 – Bilka, Slg. 1986, 1607.

7 So waren 2005 78,34% der teilzeitbeschäftigten Beamten und Richter Frauen, s. BVerfGE 121, 241, 257.

8 Zur Frage, ob dies auch für Tarifverträge gilt, vgl. Hanau/Preis, ZfA 1988, 177, 179/180.

9 Im Europarecht sowie innerstaatlich im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist das Verbot mittelbarer Geschlechterdiskriminierung dagegen normiert, siehe § 3 II AGG.

10 Einen kurzen Überblick über die Positionen gibt Görlitz, Struktur und Bedeutung der Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung im System der Grundfreiheiten, 2005, S. 45-46.

11 Dafür: Traupe (Fn. 1), S. 260 ff.; Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbots, 1987, S. 480 ff., sowie Sachs (Fn. 1), Rn. 96 ff.

12 Dafür: Engler (Fn. 4), S. 121 ff.; Schlachter, Wege zur Gleichberechtigung, 1993, S. 79 ff.; Bieback, ZIAS 1990, 1, 26-30; Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung, 1991, S. 305 ff.; Ebsen, Recht der Arbeit (RdA) 1993, 11, 13-15; Hanau/Preis, ZfA 1988, 177, 186-189; Welti, JA 2004, 310 ff.; Gubelt, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar5, 2003, Art. 3 Abs. 2 GG Rn. 86 ff.

13 Dafür: Fuchsloch, Das Verbot der mittelbaren Geschlechterdiskriminierung, 1995, S. 133 ff.; Slupik (Fn. 2), S. 99 ff.; Wisskirchen (Fn. 2), S. 55 ff.

14 Vgl. nur Schlachter (Fn. 12), S. 81; Engler(Fn. 4), S. 125 f.; Pfarr, NZA 1986, 585, 587; Gubelt, in: von Münch/Kunig (Fn. 12), Art. 3 Abs. 2 GG Rn. 91; anders nur Kirsten, RdA 1990, 282, 286.

15 In diesem Sinne Traupe (Fn. 1), S. 351; Sachs (Fn. 11), S. 483 ff.; Sachs (Fn. 1), Rn. 32.

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Auch wenn die verschiedenen Ansichten in der Praxis häufig zu ähnlichen Ergebnissen führen dürften16 , ist die exakte verfassungsrechtliche Verortung dogmatisch relevant: Es geht um Kernfragen hinsichtlich des Regelungsgehalts der einzelnen Absätze des Art. 3 GG und ihr Verhältnis zueinander. Zudem führt eine Einordnung in die im Grundsatz absoluten Diskriminierungsverbote zu einem gegenüber dem einfachen Gleichheitssatz höheren Rechtfertigungsaufwand – eine mittelbar diskriminierende Regelung wäre nur ausnahmsweise zulässig.

C. Die Rechtsprechung des BVerfG

In einem im Jahre 2008 ergangenen Beschluss zum Ruhegehalt für Teilzeitbeamte17 erklärte das BVerfG erstmals eine parlamentsgesetzliche Regelung ausdrücklich wegen mittelbarer Diskriminierung für nichtig.18 Das Verfassungsgericht entschied sich für eine Zuordnung zu Art. 3 III GG. Dieses Diskriminierungsverbot sei berührt, „wenn der vom Gesetzgeber gewählte, durch Art. 3 III GG nicht verbotene sachliche Anknüpfungspunkt in der gesellschaftlichen Wirklichkeit weitgehend nur für eine Gruppe zutrifft, oder die differenzierende Regelung sich weitgehend nur auf eine Gruppe im Sinne einer faktischen Benachteiligung auswirkt, deren Ungleichbehandlung nach Art. 3 III GG strikt verboten ist (mittelbare Diskriminierung).“19

Ob diese Zuordnung einer methodengerechten Auslegung des Grundgesetzes entspricht, ist Gegenstand der folgenden Ausführungen.

D. Auslegung des Art. 3 III GG und Art. 3 II GG

I. Systematisches Verhältnis der Gleichheitssätze des Art. 3 GG

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 I GG verbietet, wesentlich Gleiches ungleich und Ungleiches gleich zu behandeln.20

Sämtliche Konstellationen mittelbarer Diskriminierung lassen sich als Eingriff in Art. 3 I GG fassen.21 Dies sei am klassischen Beispiel der geringeren Versorgungsleistungsansprüche bei Teilzeitarbeit verdeutlicht: Der gemeinsame Oberbegriff (tertium comparationis) ist die Arbeitnehmereigenschaft. Die Teilzeitarbeit ist das Differenzierungskriterium, an welches die Ungleichbehandlung anknüpft. Wesentlich gleiches (Arbeitnehmer) wird also ungleich (unterschiedliche Versorgungsleistungsansprüche) behandelt.

Art. 3 II GG und Art. 3 III GG sind im Rahmen der durch sie geregelten Lebensbereiche Konkretisierungen des Art. 3 I GG.22 Als spezielle Vorschriften gehen sie damit in ihrem Anwendungsbereich dem allgemeinen Gleichheitssatz vor.23 Sollte also das Verbot der mittelbaren Diskriminierung in Art. 3 II GG bzw. Art. 3 III GG enthalten sein, wäre ein Rückgriff auf Art. 3 I GG versperrt.

II. Mittelbare Diskriminierung als Verstoß gegen Art. 3 III GG?

1. Wortlaut

Art. 3 III GG verbietet eine Benachteiligung oder Bevorzugung wegen der in dieser Vorschrift genannten Merkmale. Das Geschlecht ist eines dieser Tabumerkmale. Da jede Auswirkung auf den Grundrechtsträger entweder als Bevorzugung oder Benachteiligung interpretiert werden kann, umfasst der Anwendungsbereich des Art. 3 GG jede Form der Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts.24

Für die Einordnung der mittelbaren Diskriminierung ist entscheidend, welche Beziehung zwischen den Unterscheidungsmerkmalen und einer gesetzlich angeordneten Differenzierung bestehen muss. Welche Bedeutung hat das Wort wegen?

Weitgehende Einigkeit in Rechtsprechung und Literatur herrscht zumindest darüber, dass es keiner Diskriminierungsabsicht bedarf. Art. 3 III GG greift vielmehr auch dann, wenn eine Regelung nicht auf eine Ungleichbehandlung abzielt, sondern andere Ziele verfolgt.25

Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch legt das Wort wegen aber einen kausalen Zusammenhang zwischen dem verpönten Merkmal und der Ungleichbehandlung als Mindestvoraussetzung nah.26

Bei der mittelbaren Diskriminierung dient jedoch nicht das verpönte Merkmal „Geschlecht“, sondern ein neutrales Merkmal als Anknüpfungspunkt der gesetzlichen Regelung.27 Das Rechtsinstitut setzt begriffsnotwendig voraus, dass Männer und Frauen durch die fragliche Norm rechtlich-formal gleichbehandelt werden(ansonsten hätten wir es mit einer unmittelbaren Diskriminierung zu tun): Untypische Frauen fallen bei der mittelbaren Diskriminierung aus dem Geltungsbereich der neutralen Regelung heraus; untypische Männer werden erfasst.28

Anders ausgedrückt: Bei mittelbar diskriminierenden Regelungen ist das Geschlecht keine notwendige Bedingung für die Rechtsfolge29 – eine Benachteiligung z.B. hinsichtlich der Versorgungsansprüche kann, sofern sie in Teilzeit beschäftigt sind, auch Männer treffen!

Einige Autoren legen jedoch einen anderen, den Anwendungsbereich des Art. 3 III GG erweiternden Kausalitätsbegriff zugrunde:

So stellt Fuchsloch unter Verweis auf die Rechtsprechung des BAG und des EuGH auf das soziale Geschlecht bzw. die Geschlechtsrolle30 ab. Es genüge demnach, wenn ein adäquat-kausaler Zusammenhang zwischen Geschlechterrolle und der Benachteiligung bestünde. Auch wenn gesellschaftliche Sachverhalte ursächlich für die stärkere Betroffenheit eines Geschlechts seien, könne damit eine Diskriminierung wegen des Geschlechts im Sinne des Art. 3 III GG bejaht werden. Ein ähnliches Konzept vertritt Wisskirchen, die darauf verweist, dass Geschlecht und Geschlechtsrolle „vielfach


16 So zutreffend Osterloh, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar5, 2009, Art. 3 Rn. 256.

17 BVerfGE 121, 241.

18 So in einer kritischen Besprechung Sachs, JuS 2008, 1014-1016.

19 BVerfGE 121, 241.

20 BVerfGE 1, 14, 52.

21 Vgl. Engler (Fn. 4), S. 123.

22 BVerfGE 3, 225; Wisskirchen (Fn. 2), S. 59.

23 Rüfner, in: Dolzer/Kahl/Waldhoff/Graßhof (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 2011, Art. 3 Abs. 2 und 3 GG (2011) Rn. 544.

24 Sachs (Fn. 1), Rn. 55.

25 BVerfGE 85, 191, 206; 97, 35, 43; 114, 357, 364; vgl. auch Sachs, JuS 2008, 1014.

26 Vgl. nur Rüfner, in: FS Friauf, 1996, S. 331, 332 f.; Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar2, 2004, Art. 3 GG Rn. 120.

27 Traupe (Fn. 1), S. 290.

28 Wisskirchen (Fn. 2), S. 57.

29 Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Art. 3 Abs. 3 GG (Grundwerk) Rn. 151.

30 Fuchsloch (Fn. 13), S. 140/141.

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untrennbar miteinander verbunden“31 seien.

Allerdings wird zurecht darauf verwiesen, dass Art. 3 III GG eine abschließende Aufzählung der verpönten Merkmale enthält, zu der die Geschlechtsrolle gerade nicht gehört.32 Für eine Gleichsetzung von Geschlecht und Geschlechtsrolle wird keine überzeugende Begründung genannt.

Festzuhalten ist, dass der Wortlaut wegen ein formales Anknüpfungsverbot nahelegt und damit gegen eine Einordnung der mittelbaren Diskriminierung in Art. 3 III GG spricht.

2. Historie

Art. 3 III GG wurde vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Nationalsozialismus formuliert. Aus diesem Umstand wird teilweise auf einen weiten Anwendungsbereich der Vorschrift geschlossen.33 Sie müsse dazu dienen, Umgehungen jeder Art von Diskriminierung zu begegnen, um der deutlichen Abkehr von der jüngeren Vergangenheit Ausdruck zu verleihen.34 Dieses „Schutzbedarfsargument“ führt jedoch nicht weiter, da auch durch eine Zuordnung zu Art. 3 II GG ausreichender Schutz gewährleistet werden könnte.

3. Systematik und Telos

Der Zweck des Art. 3 III GG liegt darin, „jedem die rechtliche Möglichkeit zu erhalten oder(…) zu verschaffen, in Freiheit über die Austauschbarkeit der Merkmale des Art. 3 III GG (…) zu entscheiden.“35 Angehörige von Gruppen, die in der Vergangenheit typischerweise Willkürakten ausgesetzt waren, sollen rechtlich gleichgestellt werden.36

Da es sich bei Art. 3 III GG um eine vom allgemeinen Prinzip abweichende Vorschrift handelt, ist grundsätzlich eine enge Auslegung geboten, die außerhalb der verpönten Merkmale liegenden Wertungen keinen Raum lässt.37 Ihren Schutzzweck kann die Norm am effektivsten erfüllen, wenn sie als „zeitlos, objektiv, neutral und symmetrisch“38 wirkendes absolutes Diskriminierungsverbot interpretiert wird.

Nach überwiegender Auffassung ist eine Rechtfertigung einer unmittelbaren Diskriminierung demnach zwar nicht vollkommen unmöglich, bedarf aber einer Legitimation durch kollidierendes Verfassungsrecht.39 Für das Merkmal des Geschlechts ist die Möglichkeit einer rechtlichen Differenzierung für den Fall anerkannt, dass diese „zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich“40 ist.

„Aufweichungen“41 vom absoluten Differenzierungsverbot müssen auf ein Minimum reduziert werden, um einen Verlust der Stringenz des Art. 3 III GG zu vermeiden.

Eine solche „Aufweichung“ wäre aber der bereits den Wortlaut des Art. 3 III GG stark strapazierende Einbezug der mittelbaren Diskriminierung:

Die Verortung des Rechtsinstituts in Art. 3 III GG bedeutete nämlich die Anerkennung einer an den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und damit an Sachgerechtigkeitsmaßstäben ausgerichteten Rechtfertigungsprüfung (s.o.) innerhalb dieses Absatzes. Eine abwägende Diskussion darüber, ob das Geschlecht Grund für eine Benachteiligung oder Bevorzugung sein kann, soll den Trägern öffentlicher Gewalt durch Art. 3 III GG aber gerade verboten sein.42

Die Aufweichungsgefahr wird verstärkt durch die Unsicherheiten bezüglich der tatbestandlichen Anforderungen an die mittelbare Diskriminierung. Wie groß muss der betroffene Anteil überhaupt sein, damit wir von mittelbarer Diskriminierung sprechen? Der oben erwähnte Beschluss des BVerfG schafft diesbezüglich keine Klarheit: Danach müssen die Rechtsfolgen „weitgehend für eine Gruppe“43 zutreffen, dann wiederum ist von „überwiegend(er)“44 Betroffenheit die Rede.45 Einigkeit herrscht lediglich darüber, dass ein Anteil von 75% ausreicht.46

Doch selbst wenn sich in der Rechtsprechung konkrete prozentuale Richtwerte herausbilden würden, bliebe das Problem, dass die unverhältnismäßig stärkere Betroffenheit nicht stets auf der Hand liegt.47 Sie müsste stattdessen durch ein aufwendiges statistisches Verfahren empirisch konstatiert werden.48 Die Einbeziehung einer solch konturenarmen Rechtsfigur in die Struktur des Art. 3 III GG würde folglich dessen Stringenz als absolutes Verbot in Frage stellen und damit den effektiven Schutz vor unmittelbarer Diskriminierung gefährden.

Die Befürworter verweisen auf den materiell-rechtlichen Schutzgehalt des Diskriminierungsverbots. Da mittelbare Diskriminierung mitunter sehr ähnliche Effekte für die Betroffenen habe, müsse sie von Art. 3 III GG erfasst sein.49

Es ist zutreffend, dass mittelbar diskriminierende Regelungen in manchen Fällen ähnlich nachteilige Wirkungen entfalten wie unmittelbar diskriminierende Regelungen. Dies spricht aber nicht zwingend für eine Zuordnung zu Art. 3 III GG, solange ein wirksamer Schutz durch Art. 3 II GG gewährleistet werden kann.

III. Mittelbare Diskriminierung als Verstoß gegen Art. 3 II GG?

1. Verhältnis zwischen Art. 3 III und Art. 3 II GG

Ist für die mittelbare Diskriminierung Art. 3 III GG nach der hier vertretenen Auffassung nicht einschlägig, so kommt eine Verortung in Art. 3 II GG nur dann in Betracht, wenn diese Vorschrift nicht lediglich den Inhalt des Art. 3 III GG hinsichtlich des Merkmals Geschlecht wiederholt.50 Es geht bei


31 Wisskirchen (Fn. 2), S. 62, die Art. 3 III GG „im Lichte des Gleichberechtigungsgrundsatzes“ interpretiert und deshalb Art. 3 III GG eine gruppenbezogene Dimension zuspricht.

32 So Traupe (Fn. 1), S. 291/292.

33 Engler (Fn. 4), S. 126;Fuchsloch (Fn. 13), S. 142.

34 Fuchsloch (Fn. 13), S. 142.

35 Dürig, in: Maunz/Dürig (Fn. 29), Art. 3 Abs. 3 GG Rn. 142.

36 Sachs (Fn. 1), Rn. 77.

37 Rüfner (Fn. 26), S. 331, 334 f.; Traupe (Fn. 1), S. 266.

38 Sacksofsky (Fn. 12), S. 339.

39 Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht5, 2008, S. 106; BVerfGE 114, 357, 364.

40 BVerfGE 85, 191.

41 Ebsen, RdA 1993, 11, 13.

42 Rüfner, in: Bonner Kommentar (Fn. 23), Art. 3 Abs. 2 und 3 Rn. 540; Sachs (Fn. 1), Rn. 77.

43 BVerfGE 121, 241, 254.

44 BVerfGE, 121, 241, 254.

45 Als „irritierend“ bezeichnet auch Sachs die in dem Beschluss verwendete uneinheitliche Terminologie, s. Sachs, JuS 2008, 1014, 1015.

46 Kischel, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar10, 2011, Art. 3 GGRn. 165.

47 Pfarr, NZA 1986, 585, 586.

48 Slupik (Fn. 2), S. 99.

49 Vgl. Fuchsloch (Fn. 13), S. 144.

50 Würde man hingegen eine Verortung in Art. 3 III GG bejahen, so wäre die mittelbare Diskriminierung auch von Art. 3 II erfasst, es sei denn, man ginge von einem engeren Anwendungsbereich des Art. 3 II GG gegenüber Art. 3 III GG aus.

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der Auslegung also darum, ob Art. 3 II GG einen eigenständigen Gehalt gegenüber Art. 3 III besitzt und ob dieses „Mehr“ das Verbot der mittelbaren Diskriminierung enthält.

2. Auslegung des Art. 3 II 1 GG

a) Wortlaut

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ –Der Begriff Gleichberechtigung deutet vom Wortlaut zunächst darauf hin, dass es auch in Art. 3 II 1 GG lediglich um rechtliche Gleichheit, also die Herstellung gleicher rechtlicher Ausgangspositionen zwischen den Geschlechtern geht.51

Folglich wären auch nach Art. 3 II1 GG nur solche Regelungen verboten, bei denen die Geschlechtszugehörigkeit notwendige Bedingung für eine Benachteiligung ist.52

Eine Ausdehnung des Art. 3 II 1 GG auf das Problem der mittelbaren Diskriminierung ergibt sich indes, wenn man bei der Bestimmung der Kausalität keine merkmalsbezogene, sondern stattdessen eine gruppenbezogene Sichtweise einnimmt.53 Die Diskriminierung liegt nach einer solchen gruppenbezogenen Interpretation des Gleichheitssatzes nicht in der Verwendung bestimmter Merkmale, sondern in den nachteiligen Auswirkungen einer Regel für eine bestimmte Gruppe.54

Für die Kausalität ergeben sich aus einer gruppenbezogenen Betrachtungsweise folgende Konsequenzen: Die überproportional stärkere Betroffenheit des weiblichen Geschlechts muss kausale Folge der gesetzlich neutralen Regelung sein. Bezogen auf das Beispiel Teilzeitarbeit: Eine für die Teilzeitkräfte nachteilige Regelung muss ursächlich für die überwiegende Benachteiligung von Frauen als Geschlechtsgruppe sein. Da die Gruppe, nicht die Frau als Individuum, als Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Kausalzusammenhangs gewählt wird, spielt es keine Rolle, ob einzelne Frauen nicht unter die Regelung fallen.

Bereits im Wortlaut des Art. 3 II 1 GG finden sich Indizien dafür, dass Art. 3 II 1 GG nicht wie Art. 3 III GG eine im Sinne einer notwendigen Bedingung kausale Verknüpfung von Nachteil und Geschlecht verlangt, sondern eine gruppenbezogene Sichtweise zulässt.55 So deutet die Verwendung des Plurals („Männer und Frauen“) auf eine kollektive Betrachtungsweise hin.56 Außerdem werden nicht bestimmte Merkmale, sondern der angestrebte Zustand benannt, was auf eine Zukunftsorientierung und damit auf einen über ein reines Differenzierungsverbot hinausgehenden Gehalt verweist.57

Gegen diesen Ansatz wird vorgebracht, die Anerkennung des Art. 3 II 1 GG als „Gruppengrundrecht“ würde dem System der Grundrechte als Individualrechte zuwider laufen.58 Zutreffend ist, dass die Grundrechte „von der Würde und Freiheit des einzelnen Menschen“ ausgehend „in erster Linie die Freiheitssphäre des Einzelnen gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt schützen“59 sollen, mithin Individualrechte sind.

Allerdings bedarf es für den dargelegten Kausalitätsbegriff überhaupt nicht der Konzeption eines Gruppengrundrechts. Es werden nicht einer Gruppe bestimmte Rechte eingeräumt. Stattdessen wird lediglich der Diskriminierungsbegriff aus der Perspektive einer Gruppe analysiert.60

Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass der Wortlaut des Art. 3 II 1 GG bei Einnahme einer gruppenbezogenen Sichtweise die Einbeziehung des Verbots mittelbarer Diskriminierung zulässt.

b) Systematik und Telos

Es gibt gewichtige systematische Argumente für einen eigenständigen Gehalt des Art. 3 II 1 GG und damit für die Ablehnung der sogenannten Identitätsthese.61 Hätte Art. 3 II 1GG keinen über Art. 3 III GG hinausgehenden Inhalt, so würde die Vorschrift leerlaufen.62 Es ist aber eine systematische Grundregel, dass Grundrechtsvorschriften eigenständige Bedeutung zukommen muss. Mit der umfassenden Bindung der staatlichen Gewalt an die Grundrechte in Art. 1 III GG wäre die Bedeutungslosigkeit einer Grundrechtsnorm unvereinbar.63

Auch das BVerfG, das früher die Identitätsthese vertrat64 , hat seine Rechtsprechung geändert und im Nachtarbeitsurteil65 ausdrücklich einen über das bloße Differenzierungsgebot des Art. 3 III GG hinausgehenden eigenständigen Regelungsgehalt des Art. 3 II GG anerkannt, der darin besteht, „daß er ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt. Der Satz ,Männer und Frauen sind gleichberechtigt’ will nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen.“66

Dieser Ansatz ist plausibel: Im Kern geht es im Rahmen des Art. 3 II GG neben dem Verbot der rechtlichen Diskriminierung um die Herstellung faktischer Gleichberechtigung.67 Frauen sollen am politischen, wirtschaftlichen und sozialen Leben ebenso teilnehmen können wie Männer.68 Erscheinungen „struktureller Diskriminierung“69 , also die Prägung der Lebenschancen der Geschlechter durch ihre unterschiedliche soziale Ausgangsposition, müssen im Rahmen des Art. 3 II GG berücksichtigt werden.70


51 Im Gegensatz zu den meisten Autoren diese „Identitätsthese“ vertretend Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Abs. 2 GG (1996) Rn. 59.

52 Traupe (Fn. 1), S. 306/307.

53 So Sacksofsky (Fn. 12), S. 305 ff., die in ihrer Dissertation den Gedanken einer gruppenbezogenen Sichtweise mit dem (umstrittenen!) Konzept eines in Art. 3 II GG verankerten „Dominierungsverbots“ entwickelte.

54 Sacksofsky (Fn. 12), S. 312; Wisskirchen (Fn. 2), S. 59.

55 Näher Schlachter (Fn. 12), S. 79.

56 Vgl. nur Sacksofsky (Fn. 12), S. 319; Engler (Fn. 4), S. 127; Sievers (Fn. 2), S. 72.

57 Engler (Fn. 4), S. 127; Bieback, ZIAS 1990, 1, 29.

58 Scholz, in: Maunz/Dürig (Fn. 51), Art. 3 Abs. 2 GG Rn. 68.

59 BVerfGE 21, 362, 369.

60 Sacksofsky (Fn. 12), S. 335; Engler (Fn. 4), S. 132.

61 Siehe zu dieser Scholz, in: Maunz/Dürig (Fn. 51), Art. 3 Abs. 2 GG Rn. 59.

62 Engler (Fn. 4), S. 126.

63 Sievers (Fn. 2), S. 73.

64 Vgl. nur BVerfGE 15, 337, 345; 52, 369, 374; 57, 335, 345; 74, 163, 179.

65 BVerfGE 85, 191, 206/207.

66 BVerfG 85, 191, 206 f. – Bei der Nachtarbeitsentscheidung handelte es sich zwar um einen Fall unmittelbarer Diskriminierung; trotzdem lassen sich aus dem Urteil Konsequenzen für die Einordnung der mittelbaren Diskriminierung ziehen.

67 Vgl. zur Anerkennung der faktischen Gleichberechtigung als dem zusätzlichen Regelungsgehalt des Art. 3 II GG gegenüber Art. 3 III GG Ebsen, RdA 1993, 11-15.

68 Vgl. zu diesem Begriff der faktischen Gleichberechtigung Art. 1 des UN-Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW). Volltext unter: http://www.igfm.de/UEbereinkommen-zur-Beseitigung-jeder-Form-von-Diskriminierung-de.149.0.html (13.5.2011).

69 Dieser Begriff wurde geprägt von Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen zugunsten von Frauen im öffentlichen Dienst, 1986, S. 7.

70 Engler (Fn. 4), S. 131.

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Mittelbar diskriminierende Regelungen führen zur Entstehung zusätzlicher Nachteile für Frauen, beschneiden sie in ihren Entfaltungsmöglichkeiten und verschlechtern damit ihre politische, wirtschaftliche und soziale Position.71 Um faktische Gleichberechtigung zu ermöglichen, müssen folglich Regelungen verboten sein, die sich überwiegend nachteilig auf Frauen auswirken,72 sofern diese nicht hinreichend gerechtfertigt werden können.

Die von einigen Autoren73 vertretene Annahme eines asymmetrischen, ausschließlich zugunsten von Frauen wirkenden Grundrechts, lässt sich hingegen durch die Auslegung nicht bestätigen.74 Wegen der historischen und politischen Gegebenheiten wirkt der Diskriminierungsschutz zwar faktisch ausschließlich für Frauen. Sollten jedoch geschlechtsneutral formulierte Regelungen Männer im Ergebnis überwiegend nachteilig betreffen, so wären auch sie vom Gebot faktischer Gleichberechtigung des Art. 3 II 1 GG geschützt.75

Art. 3 II 1 GG enthält folglich einen abwehrrechtlichen Unterlassungsanspruch hinsichtlich mittelbar diskriminierender Maßnahmen und Gesetze, der von den Angehörigen des überproportional benachteiligten Geschlechts zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde gemacht werden kann.76

Adressaten des Verbots der mittelbaren Diskriminierung sind die in Art. 1 III GG genannten Staatsgewalten. Außerdem gelten die Grundsätze der mittelbaren Drittwirkung–die Gerichte müssen das verfassungsrechtliche Verbot mittelbarer Diskriminierung bei der Auslegung und Anwendung arbeits- oder sozialrechtlicher Normen berücksichtigen.77

3. Bedeutung des Art. 3 II 2 GG

Neben seiner abwehrrechtlichen Dimension besitzt Art. 3 II GG einen objektiv-rechtlichen Gehalt, der durch die Rechtsprechung bereits mit dem Nachtarbeitsurteil anerkannt und durch den mit der Grundgesetzreform von 1994 geschaffenen Art. 3 II 2 GG positiviert wurde.78

Es ist damit nicht nur die Kompetenz, sondern vielmehr die Verpflichtung des Staats, auf die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung hinzuwirken:79 Die Beseitigung faktischer Diskriminierung wird zum Gebot des deutschen Verfassungsrechts.80 Hieraus ergibt sich die verfassungsrechtliche Pflicht für die Staatsorgane, auch mittelbar diskriminierendem Verhalten von Privaten, also insbesondere Arbeitgebern, entgegenzuwirken.81 Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung entsprechender Regelungen besitzt der Gesetzgeber jedoch einen weiten Gestaltungsspielraum, weshalb eine gesetzgeberische Untätigkeit kaum jemals verfassungswidrig ist.82

E. Rechtfertigung innerhalb des Art. 3 II 1 GG

Nachteilige Regelungen, die ein Geschlecht überproportional betreffen, sind durch das in Art. 3 II 1 GG enthaltene Diskriminierungsverbot „prima facie unzulässig“83 .

Wegen der im Vergleich zur unmittelbaren Diskriminierung regelmäßig geringeren Wirkungsweise lassen sich mittelbar diskriminierende Regelungen jedoch rechtfertigen. Die Rechtfertigungsprüfung richtet sich nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, wobei als „legitimer Zweck“ nicht ausschließlich Güter mit Verfassungsrang in Betracht kommen.84 Andernfalls könnten bestimmte Lebenssachverhalte, welche für den Träger eines Merkmals typischerweise von Bedeutung sind, nicht mehr sinnvoll geregelt werden.85

I. Legitimer Zweck und Geeignetheit

Durch Normen, die sich nachteilig auf Frauen auswirken, können vielfältige, prinzipiell anerkennenswerte Zwecke angestrebt werden. So verfolgt beispielsweise eine Benachteiligung von Teilzeitbeamten bei der Berechnung des Ruhegehaltssatzes den legitimen Zweck der Entlastung öffentlicher Haushalte.86

II. Erforderlichkeit

Eine mittelbar diskriminierende Maßnahme ist dann nicht erforderlich, wenn eine potentielle Alternative existiert, die eine geringere Anzahl von Frauen benachteiligt oder aber zu einer Benachteiligung von geringerer Intensität führt. Hier wird dem Gesetzgeber also eine Argumentations- und Begründungslast auferlegt: Er muss darlegen, dass kein weniger benachteiligendes Mittel zur Verfügung steht und die nachteilige Wirkung nicht durch zumutbare Änderungen oder Ergänzungen beseitigt oder zumindest verringert werden kann.87

III. Angemessenheit

Bei der Angemessenheit ist die bewirkte Beeinträchtigung mit dem durch die Regelung verfolgten Zweck in Abwägung zu bringen.88

Je stärker die Benachteiligung und die Betroffenheit eines Geschlechts durch eine mittelbar diskriminierende Regelung oder Maßnahme ist, desto gewichtiger müssen die rechtfertigenden Gründe sein.89 Wird also besagte nachteilige Regelung für Teilzeitbeamte eingeführt, so steigen die Anforderungen mit der Höhe des betroffenen Frauenanteils und dem Ausmaß der erlittenen finanziellen Einbußen. Bezüglich der erwarteten Intensität bedarf es einer Zukunftsprognose. Wann genau also ein Verstoß gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung der Prüfung standhält, lässt sich abstrakt nicht bestimmen. Hier bleibt es bei einer „offenen Wer-


71 Vgl. Ebsen, Gleichberechtigung von Mann und Frau, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts2, 1994, § 8, Rn. 47;Ebsen, RdA 1993, 11, 14.

72 Vgl. Sacksofsky (Fn. 12), S. 372; Wisskirche n(Fn. 2), S. 60/61.

73 So versteht Sacksofsky Art. 3 II GG als allein Frauen begünstigendes „Dominierungsverbot“ (Sacksofsky (Fn. 12), S. 305 ff.); Wisskirchen (Fn. 2), S. 63 spricht von einem „kollektiven Förderungsgebot“.

74 Vgl. nur Traupe (Fn. 1), S. 315.

75 Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland11, 2011, Art. 3 GG Rn. 87.

76 Vgl. Welti, JA 2004, 310, 312; Ebsen (Fn. 71), Rn. 36.

77 Ebsen (Fn. 71), Rn. 22.

78 Näher zur Einführung des Art. 3 II 2 GG: Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 50 ff.; Rüfner, in: Bonner Kommentar (Fn. 23), Art. 3 Abs. 2 und 3 Rn. 549; Osterloh, in: Sachs (Fn. 16), Art. 3Rn. 262; Welti, JA 2004, 310.

79 Bieback, ZIAS 1990, 1, 29.

80 Rüfner (Fn. 26), S. 331, 340.

81 Ebsen (Fn. 71), Rn. 36.

82 Vgl. Rüfner, in: Bonner Kommentar (Fn. 23), Art. 3 Abs. 2 und 3 Rn. 740; Ebsen (Fn. 71), Rn. 37 ff.

83 Schlachter (Fn. 12), S. 81.

84 Dies wird ansonsten bei Verstößen gegen Art. 3 II GG verlangt, vgl. Ebsen (Fn. 71), Rn. 23.

85 Sachs(Fn. 11), S. 480 f.; ihm folgend Traupe (Fn. 1), S. 335.

86 Vgl. BVerfGE 121, 241, 258.

87 Sacksofsky (Fn. 12), S. 369/370.

88 Bumke/Voßkuhle (Fn. 39), S. 97.

89 Hanau/Preis, ZfA 1988, 177, 192; Ebsen, RdA 1993, 11, 14.

Heidorn, Grundrechtlicher Schutz vor mittelbarer Geschlechterdiskriminierung (BLJ 2012, 20)25

tung“90 bezüglich der Zulässigkeit einer bestimmten Regelung unter Einbeziehung aller konkreten Umstände.

Grundsätzlich gilt, dass wegen der Intensität der Grundrechtsverletzung „irgendein“ sachlicher Grund in der Regel nicht genügt.91 Fiskalische Erwägungen dürften nur bei geringem Anteil an Betroffenen und geringer Intensität der Benachteiligung zur Rechtfertigung ausreichen. Demgegenüber sind zur Rechtfertigung Güter mit Verfassungsrang erforderlich, wenn die mittelbare Diskriminierung auf der Schwelle zur unmittelbaren Diskriminierung steht.

F. Schluss

Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, dass das Grundgesetz in Art. 3 II 1 GG ein Verbot der mittelbaren Geschlechterdiskriminierung enthält, das als subjektives Recht im Rahmen der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann. Eine Zuordnung zu Art. 3 III GG verbietet sich hingegen, da diese Vorschrift einen individuellen Kausalzusammenhang zwischen Geschlecht und Benachteiligung fordert. Ausnahmen hiervon gefährden die Stringenz dieses Diskriminierungsverbots und sind deshalb zu vermeiden.

Gesetzliche Regelungen mit mittelbar diskriminierender Wirkung sind jedoch in vielen Lebensbereichen unerlässlich. Sie können deshalb nicht grundsätzlich verboten, sondern müssen einer Rechtfertigung nach den Maßgaben des Verhältnismäßigkeitsprinzips zugänglich sein.

Während diese Verhältnismäßigkeitsprüfung beim Merkmal des Geschlechts im Rahmen des Art. 3 II GG als lex specialis zu Art. 3 I GG stattfindet, ist sie für die anderen in Absatz 3 genannten Merkmale unter Anwendung der neuen Formel direkt über Art. 3 I GG vorzunehmen. Art. 3 III GG hingegen bietet als absolutes Differenzierungsverbot nach der hier vertretenen Konzeption keinen Schutz vor mittelbarer Diskriminierung.


90 Ebsen, RdA 1993, 11, 15.

91 Hanau/Preis, ZfA 1988, 177, 191.