by Max Joite*
A. Einleitung
Öffentlicher Raum in privatem Eigentum scheint als Begriff ein Widerspruch in sich zu sein. Und wirklich, es gibt Definitionen des Begriffs „Öffentlicher Raum“, welche seine Existenz in privatem Eigentum per se ausschließen.1 Dessen ungeachtet konnte sich eine Diskussion um die Frage entspannen, inwiefern öffentlicher Raum heute auch in privatem Eigentum existiert und wie, allgemeiner, Kommunikationsfreiheiten und Eigentumsrechte in Verhältnis zu bringen sind. Die aktuelle Relevanz dieser Frage ergibt sich aus der gesellschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte: (Private) Einkaufszentren treten neben traditionelle (öffentlich gewidmete) Einkaufsstraßen oder ersetzen diese, nehmen als Urban Entertainment Center sämtliche Funktionen eines Innenstadtbezirks in sich auf. Private Wohn-, Arbeits- und Einkaufskomplexe bilden ganze Stadtviertel nach. Öffentliche Straßen und Plätze von Neubaugebieten werden mancherorts vollständig in privater Hand belassen. Hinzu kam in den letzten Jahren die Forderung, innerstädtische öffentliche Straßen und Wege privaten Anliegern mittels zivilrechtlicher Überlassungsverträge zu übergeben und deren Hausrecht zu unterstellen (Straßenpachtmodell).2 Diese Entwicklung lässt sich zusammenfassend als Privatisierung öffentlichen Raumes bezeichnen. Sie bietet Anlass, das Verhältnis von Eigentum und Kommunikationsgrundrechten, insbesondere von Hausrecht und Versammlungsfreiheit, neu zu überdenken. Sie erfordert schließlich, wie alle größeren gesellschaftlichen Entwicklungen, eine Reaktion der Rechtsprechung. Diese Reaktion ist es, die sich im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 2011 abzeichnet.
Geschützt wird der öffentliche Raum nicht um seiner selbst, sondern um seiner gesellschaftlichen Bedeutung willen. Diese Bedeutung erhält er als Raum der politischen Agitation und Meinungsbildung. Verfassungsrechtlich bedeutsam ist der Begriff des öffentlichen Raumes, weil der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit auf den öffentlichen Raum beschränkt ist3 . Stellt man nach deutschem Recht die Frage, ob öffentlicher Raum im Bereich privaten Eigentums bestehen kann, so ist gleichsam danach gefragt, ob auch dort Versammlungen den Schutz des Grundgesetzes genießen, insbesondere gegen den Willen und das Hausrecht des Eigentümers.
B. Der Konflikt zwischen Eigentum und Versammlungsfreiheit
I. In der nordamerikanischen Rechtsprechung
Das Bundesverfassungsgericht bestimmt den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit nach dem Leitbild des „öffentlichen Forums“, welches es ausdrücklich aus der US-amerikanischen und kanadischen Rechtsprechung entleiht.4 Die dortige Rechtsprechung weist eine große Erfahrung im Umgang mit öffentlichem Raum in privatem Eigentum auf. Besonders die USA verfügen, beginnend mit der Errichtung des ersten modernen Einkaufszentrums im Jahre 1923, über
* Der Autor ist Student an der Bucerius Law School, Hamburg.
1 Siehe hierzu Glasze, Privatisierung öffentlicher Räume?, 2001, S. 161
2 Vgl. Finger/Müller, NVwZ 2004, S. 953.
3 Vgl. BVerfG: Urteil vom 22. 02. 2011 – 1 BvR 699/06, Tz. 66.
4 Ebd., Tz. 70.
eine lange Geschichte der Privatisierung öffentlichen Raumes.5 Dort ist dieses Phänomen auch deutlich weiter fortgeschritten, wodurch es möglich wird, zukünftige Probleme zu antizipieren und eine verfassungsrechtliche Reaktion so auszuarbeiten, dass sie einer fortschreitenden Privatisierung hierzulande gerecht würde. Daher wird mit einer Untersuchung der nordamerikanischen Rechtsprechung begonnen.
1. Der U.S. Supreme Court
Das Recht, sich friedlich zu versammeln, wird in den USA vom ersten Zusatzartikel (First Amendment) zur Verfassung garantiert. Ob die dort umfassten Kommunikationsfreiheiten auch auf privatem Eigentum gelten, bildete die zentrale Frage einer Reihe von Urteilen des U.S. Supreme Court. Zwar modifizierte das Gericht seine Entscheidungskriterien mehrfach, um sich schließlich sogar offen in Widerspruch zu einem früheren Urteil zu setzen. Dennoch bleibt diese Rechtsprechung von Interesse, wurden in ihr doch eine Reihe von Leitbildern und Abgrenzungskriterien entwickelt, um das Kommunikationsinteresse der Bürger und das Eigentum des Einzelnen in Ausgleich zu bringen.
Den Ausgangspunkt der Rechtsprechung bildete das Urteil in Marsh v. Alabama (1946). Streitpunkt dieses Falles war ein Verbot der Verteilung von religiöser Literatur in einem Ortszentrum, welches sich vollständig in privatem Eigentum befand.6 Der Supreme Court begründete eine Grundrechtsbindung der Eigentümer mit der public function doctrine. Danach bestimmt sich der Schutzbereich der Kommunikationsfreiheiten nach dem Leitbild des public forum. Ausgehend von öffentlichen Straßen und Plätzen sei davon jeder Ort umfasst, der diesen funktional ähnlich sei. Anhaltspunkt hierfür sind die allgemeine Zugänglichkeit dieses Raumes, seine Ausgestaltung und seine räumliche Trennung von anerkannten öffentlichen Foren.7 In Marsh wurde daneben insbesondere auf die bewusste Öffnung des Eigentums zum Gemeingebrauch und den hohen Sozialbezug des Eigentums abgestellt.8
Der Leitgedanke von Marsh wurde 1968 wieder aufgegriffen und auf eine Shopping Mall übertragen. Begründet wurde dies mit der allgemeinen und freien Zugänglichkeit des Einkaufszentrums, mit seiner funktionalen Ähnlichkeit zum Geschäftsviertel einer Stadt und mit dem inhaltlichen Bezug, den das Anliegen der Demonstranten (einer Gewerkschaftsgruppe) mit den im Einkaufszentrum liegenden Geschäften habe.9 Das Bestehen eines thematischen Bezugs zum Versammlungsort wurde später zum entscheidenden Kriterium:10 Nur wenn das Anliegen der Demonstranten einen Bezug zum Einkaufszentrum habe und eine Versammlung auf privatem Eigentum daher alternativlos sei, könne ein grundrechtlicher Schutzin Betracht kommen.
In einem späteren Urteil indes verwarf das Gericht den Gedanken völlig, die Wertung von Marsh v. Alabama ließe sich auf Einkaufszentren übertragen.11 Seit dieser Entscheidung ist kein weiterer gleichgelagerter Fall vom Gericht entschieden worden. Es bleibt daher unklar, wie der Supreme Court diesen Widerspruch heute auflösen würde.
2. Die Gerichte der amerikanischen Bundesstaaten
Die amerikanischen Bundesstaaten verfügen sämtlich über einen eigenen Grundrechtskatalog, der zum Teil die Garantien der föderalen Bill of Rights erweitert. Entgegen der Linie des Bundesgerichtes beschied so der Supreme Court of California den Kommunikationsfreiheiten einen grundsätzlichen Vorrang vor dem Eigentum. Dieser Vorrang basiere wesentlich auf dessen Sozialbindung.12
Während der Supreme Court of California diese Wertung kürzlich bekräftigte13 , folgte nur New Jersey dieser Linie uneingeschränkt. Auch die obersten Gerichte von Colorado14 und North Dakota15 bestätigten einen Grundrechtsschutz im Bereich privatem Eigentums, begründeten dies jedoch auch mit der Beteiligung staatlicher Akteure an den jeweiligen Einkaufszentren. Die Mehrheit der Staatengerichte folgt heute dagegen der zuletzt vom Bundesgericht vorgegeben Linie.16
3. Der Supreme Court of Canada
In der vom Bundesverfassungsgericht genannten Entscheidungdes Supreme Court of Canada wird das public forum-Konzept zunächst als „label“17 bezeichnet, welches eine Ausnahme des grundsätzlich absoluten Eigentumsrechts begründet. Im Folgenden heißt es jedoch, hinter dieser scheinbar kategorischen Einordnung stehe bei genauerer Betrachtung eine Interessenabwägung.18 Das Gericht will einen Ort immer dann als public forum qualifizieren, wenn eine solche Abwägung eine überwiegende Wichtigkeit der Kommunikationsfreiheit ergibt. Hierfür werden vom Gericht Kriterien bestimmt: „the traditional openness of such property for expressive activity; whether the public is ordinarily admitted to the property as of right; the compatibility of the property’s purpose with such activity; the impact of the property’s availability on the achievement of someone’s purposes; the property’s symbolic significance for the message being communicated; and the availability of other public arenas in the vicinity.“19 Diese Leitlinien sind für die deutsche Grundrechtsdogmatik von besonderem Wert, da – wie noch gezeigt werden wird – der Konflikt zwischen Versammlungsteilnehmern und Eigentümern auch hier feste Kategorien ausschließt und eine Abwägung im Einzelfall erfordert.
II. In der deutschen Rechtslehre und Rechtsprechung
1. Die Haltung der Rechtslehre
In der deutschen Grundrechtsdogmatik wurde bisher verneint, dass die Versammlungsfreiheit einen Anspruch auf Nutzung
5 Vgl. Lichtenberger, FS: F. Kastner, 1999, S. 31.
6 ] Stone u.A., The First Amendment, 1999, S. 307.
7 Vgl. Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit, 1987, S. 32 f.
8 ] Marsh v. Alabama 326 U.S. 501, 1946.
9 Vgl. Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht, 1990, S. 66; sowie Amalgamated Food Employees Union v. Logan Valley Plaza 391 U.S. 308, 1968.
10 0] Lloyd Corp. v. Tanner 407 U.S. 551, 1972.
11 1] Hudgens v. NLRB, 424 U.S. 507, 1976.
12 Vgl. Robins v. Pruneyard Shopping Center (Supreme Court of California, 1979).
13 3] Fashion Valley Mall, LLC v. National Labor Relations Board (Supreme Court of California, 2007).
14 4] Bock v. Westminster Mall Company (Supreme Court of Colorado, 1991).
15 5] City of Jamestown v. Beneda (Supreme Court of North Dakota, 1991).
16 Vgl. Stricker/Kenworthy, Assembly on Private Property, http://www.firstamendmentjournal.com/Assembly/topic.aspx?topic=private_property (Abgerufen am 28. 04. 2011).
17 7] Committee for the Commonwealth of Canada v. Canada (1991), 1 S. C. R. 139.
18 Vgl. Ebd.
19 Ebd.
des Eigentums Anderer begründen könne. Die Versammlungsfreiheit erstrecke sich vielmehr nur auf eigenen und öffentlichen Boden, soweit letzterer dem Gemeingebrauch gewidmet sei.20 Eine Beanspruchung des Eigentums anderer sei eine Verletzung von deren „Berechtigungen“, die von Art. 8 I GG nicht gedeckt sei.21
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird allenfalls erwogen, falls „die Fläche grundsätzlich dem öffentlichen Gebrauch dient und nach den örtlichen Gegebenheiten eine Monopolstellung der öffentlichen Hand für im Fiskaleigentum befindliche Grundstücke besteht“. Davon abgesehen werden die Rechte öffentlicher oder privater Eigentümer nicht beschnitten. Hierbei wird insbesondere weder nach der Natur der Eigentumsposition unterschieden, noch nach ihrer faktischen Nutzung durch die Allgemeinheit gefragt. Der Versammlungsschutz nach Art. 8 I GG wurde somit in der Vergangenheit grundsätzlich von den dinglichen Rechten Anderer begrenzt.
2. Das Fraport-Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Den Konflikt zwischen Eigentum und Versammlungsfreiheit berührte das Bundesverfassungsgericht im Fall des im Eigentum der Fraport AG stehenden Frankfurter Flughafens. Im März 2003 hatte eine Gruppe von sechs Aktivisten in der Abflughalle gegen die gewaltsame Abschiebung von Ausländern protestiert, welche regelmäßig unter Mitwirkung privater Fluggesellschaften vom Frankfurter Flughafen aus erfolgt. Die Demonstration wurde von Mitarbeitern der Fraport AG sowie Einsatzkräften des Bundesgrenzschutzes beendet. Den Teilnehmern dieses Protests wurde ein Hausverbot erteilt, mit dem Hinweis, dass das Verteilen von Flugblättern einer Genehmigung bedürfe und „nicht abgestimmte Demonstrationen (…) grundsätzlich nicht“22 geduldet würden. Eine dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde sah das Bundesverfassungsgericht wegen der Verletzung von Art. 8 I sowie Art. 5 I S. 1 GG als begründet an. Die Relevanz des Urteils liegt wesentlich in der Bestimmung des Schutzbereichs der Versammlungsfreiheit. Hier entwickelt das Bundesverfassungsgericht Begriff und Bedeutung des „öffentlichen Forums“23 , dessen Leitbild den Schutzbereich außerhalb öffentlicher Straßen und Plätze begründet.
Grundsätzlich sei der Schutzbereich von Art. 8 I GG auf Orte beschränkt, an denen „ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet“24 sei. Vom Leitbild des öffentlichen Straßenraums ausgehend erweitert das Gericht den Schutzbereich so auf Orte, die die gleichen Funktionen erfüllen, also auch zum öffentlichen Verkehr eröffnet seien und der allgemeinen Kommunikation dienten. Im Unterschied zu dem von ihm zitierten Urteil des U.S. Supreme Court25 hält das Bundesverfassungsgericht es dabei sogar für unerheblich, ob diese Flächen in Verbindung mit öffentlichen Infrastrukturen stehen.26 Zur Charakterisierung solcher Orte der allgemeinen Kommunikation sei das Leitbild des öffentlichen Forums maßgeblich, welches vom Gericht ausdrücklich der nordamerikanischen Rechtsprechung entnommen wurde. Zunächst müssten sie allgemein zugänglich sein. Weiterhin bedürfe es der Anballung von Geschäften, Gastronomiebetrieben und Erholungsbereichen, welche einen Raum des Aufenthalts und der Interaktion bildeten. Durch die Vielfalt der an einem solchen Raum ausgeübten Tätigkeiten und verfolgten Anliegen entstünde „ein Nebeneinander verschiedener, auch kommunikativer Nutzungen.“27 An Orten, an denen ein solches „Kommunikationsgeflecht“ entstanden sei, garantiere Art. 8 I GG, dass hiervon auch die politische Auseinandersetzung in Form von Versammlungen nicht ausgenommen werde.
C. Versammlungsfreiheit auf privatem Eigentum?
Nach der Fraport-Entscheidung stellt sich die Frage, ob sich ihre Wertung auf andere Konfliktfälle übertragen ließe. Eine Übertragung auf Einkaufs- und Gastronomieflächen großer Bahnhöfe sowie auf kommunale Einkaufzentren erscheint aufgrund ähnlicher Eigentumsverhältnisse ohne weiteres denkbar. Anders ist es bei öffentlichem Raum in privatem Eigentum. Das Gericht ging in seinen Ausführungen von einer unmittelbaren Grundrechtsbindung der Fraport AG aus, gestützt auf die Aktienmehrheit der öffentlichen Hand.28 Seine Ausführungen lassen sich nicht vollständig auf nicht unmittelbar grundrechtsgebundene und selbst grundrechtsberechtigte private Eigentümer übertragen.
I. Schutzbereichsbestimmung
1. Öffentliche Foren in privatem Eigentum
Die Schutzbereichseröffnung in der Fraport-Entscheidung erfolgt vollständig ohne Bezugnahme auf die Eigentumsverhältnisse. Maßgeblich sind nur tatsächliche, äußerliche Merkmale, nicht dingliche Rechtsbeziehungen. Dies bestätigt, was der U.S. Supreme Court 1946 festhielt: Für das Kommunikationsinteresse des Bürgers macht die Eigentumslage keinen Unterschied.29 Die Senatsmehrheit spricht sich im Urteil selbst obiter für eine Schutzbereichseröffnung auch gegenüber Eingriffen Privater aus: Die Versammlungsfreiheit könne für solche „Foren (…) nicht ausgenommen werden, soweit eine unmittelbare Grundrechtsbindung besteht oder Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung in Anspruch genommen werden können.“30
Fraglich ist somit allein, welche Objekte privaten Eigentums unter den Begriff des „öffentlichen Forums“ fallen. Zunächst ist hier Straßenraum in privatem Eigentum, wie er etwa im Areal des Potsdamer Platzes in Berlin zu finden ist31 , zu nennen. Dieser kommt funktional dem Straßenraum in öffentlicher Trägerschaft gleich, dem „geschichtlich leitbildprägenden Forum“32 bürgerlicher Kommunikation. Gleiches muss für öffentlichen Straßenraum unter privatem Hausrecht gelten, sollte das „Straßenpachtmodell“ Umsetzung finden.
Weiterhin sind private Viertel mit Arbeits-, Einkaufs- und Wohnkomplexen umfasst, etwa das Sony Center in Berlin:Währenddie Breite der Nutzungen dieses Gebäudes an eine
20 Vgl. Depenheuer, in: Grundgesetz: Kommentar begr. von Maunz/Düring, 2006, Art. 8 Rn. 62 f.
21 Vgl. Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 387.
22 Vgl. 1 BvR 699/06, Tz. 10.
23 Ebd., Tz. 70.
24 Ebd., Tz. 66.
25 Vgl. International Society for Krishna Consciousness (ISKCON) v. Lee, 505 U.S. 672 (1992).
26 1 BvR 699/06, Tz. 68.
27 Ebd., Tz. 70.
28 Ebd., Tz. 70
29 Vgl. Marsh v. Alabama 326 U.S. 501, 1946.
30 1 BvR 699/06, Tz. 68, Hervorhebung hinzugefügt.
31 Vgl. Glasze, Fn. 1, S. 166; sowie Enders u.A. (Hrsg.), Musterentwurf eines Versammlungsgesetzes, 2011, S. 60.
32 1 BvR 699/06, Tz. 67.
eigene Stadt erinnert33 , zieht der Innenhof jährlich bis zu 8 Millionen Besucher an, welche sich im Schnitt 90 Minuten dort aufhalten.34 Hier lässt sich deutlich ein „Ort des Verweilens und der Begegnung“35 erkennen, ein Ort der Öffentlichkeit in privatem Eigentum.
Private Einkaufszentren sind in der Vergangenheit neben öffentliche Einkaufsstraßen und Fußgängerzonen getreten. Auch in ihnen findet sich jene „Verbindung von Ladengeschäften, Dienstleistungsanbietern, Restaurationsbetrieben und Erholungsflächen“, der eine Indizwirkung für das Vorliegen eines öffentlichen Forums zukommt. Wird, wie auch vom Bundesverfassungsgericht36 , die Eigenwerbung dieser Einkaufszentren berücksichtigt, so bestätigt sich dieses Bild. Hier finden sich Einkaufszentren, die sich als „Erlebniscenter“37 , mit „spannenden Events und bester Unterhaltung für die ganze Familie“38 bewerben. Mit Absicht werden Unterhaltung, Einkauf und Gastronomie vermengt und damit Orte der Öffentlichkeit erzeugt, um deren kommerziellen Nutzen ausschöpfen zu können.
Einkaufszentren sind jedoch nicht vollständig als öffentliche Foren ausgestaltet. Ähnlich erkennt auch das Bundesverfassungsgericht an, dass der Frankfurter Flughafen nicht vollständig, sondern nur in großen Bereichen als öffentlicher Raum bezeichnet werden könne.39 So verbleiben in Einkaufszentren Bereiche, die erkennbar nur zu einem bestimmten Zweck zugänglich sind. Hierzu zählen insbesondere die Flächen der einzelnen Geschäfte und Gastronomiebetriebe. Die einzelnen Läden sind erkennbar nur zu bestimmten Konsumzwecken geöffnet, in ihrem Bereich wird keine „Vielzahl von verschiedenen Tätigkeiten und Anliegen verfolgt“.40 Sie können somit zwar die Verbindungswege und Plätze, die zwischen ihnen bestehen, als öffentliche Foren qualifizieren, erfüllen selbst aber keine allgemeine Verkehrsfunktion.41 Nur die „Verkehrsflächen“42 privater Einrichtungen können somit vom Schutzbereich des Art. 8 I erfasst sein.
Abschließend lässt sich feststellen, dass die vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 8 I auf weite Teile privater Einrichtungen grundsätzlich übertragbar ist. Wegen ihrer großen Zahl stellen private Einkaufszentren dabei wohl die wichtigste und konfliktträchtigste private Eigentumsposition da.
2. Grundrechtliche Inanspruchnahme privater Eigentümer
Um den verfassungsrechtlichen Schutz von Versammlungen auf privatem Eigentum zu bestimmen, genügt es nicht, die Eröffnung des sachlichen Schutzbereiches festzustellen. Vielmehr ist auch zu fragen, wie die Grundrechte der sich Versammelnden hier gegen die Eigentumsrechte Privater wirken, ob und wie sie diese einschränken können.
a) Das Versammlungsverbot als Rücknahme einer freiwilligen Leistung?
Man könnte die Verankerung eines allgemeinen Versammlungsverbots in der Hausordnung als bloße Versagung einer ohnehin freiwilligen Leistung, nämlich der Öffnung des Eigentums für die Öffentlichkeit, ansehen. Hiergegen wendet aber das Bundesverfassungsgericht ein, dass zwischen der Eröffnung eines Verkehrs zur öffentlichen Kommunikation und der Versammlungsfreiheit ein unaufhebbarer Zusammenhang bestünde.43 Würde der Eigentümer den Gebrauch der Kommunikationsfreiheiten auf seinem Eigentum verbieten, so setze er sich „in Widerspruch zu der eigenen Öffnungsentscheidung“44 . Dieser Widerspruch entsteht unabhängig davon, ob er von einem privaten oder öffentlichen Akteur verursacht wird. Darüber hinaus wird zu Recht angemerkt, dass auch „aus normhierarchischen Gründen (…) nicht allein auf den Inhalt des einfachrechtlichen Widmungsaktes abgestellt werden“45 , der Grundrechtsschutz also nicht durch Widmung beschränkt werden könne.
b) Die Entfaltung mittelbarer Drittwirkung
Der grundrechtliche Schutz der Versammlungsteilnehmer gegenüber privaten Eigentümern ist ein Fall mittelbarer Drittwirkung der Grundrechte. Noch ungeklärt ist die Frage, wie sich diese im Rahmen des zivilrechtlichen Hausrechts entfalten lässt. Wie oben dargestellt, spricht sich das Bundesverfassungsgericht obiter für eine Schutzbereichseröffnung auch für Fälle mittelbarer Drittwirkung aus. Die Fraport AG hingegen sei schon in der Ausübung ihres Hausrechts grundrechtlich gebunden. Das Gericht kann daher offen lassen, wie das Hausrecht über Art. 8 I GG einzuschränken ist. Private sind jedoch der Versammlungsfreiheit in der Ausübung ihrer hausrechtlichen Befugnisse nicht verpflichtet. Um den grundrechtlichen Schutz dennoch zu gewährleisten, muss folglich das Hausrecht selbst beschränkt werden, da es sonst als „Metagrundrecht“46 die Kommunikationsfreiheiten überlagerte.
Das Hausrecht wurde vom BGH aus den §§ 858 ff., 903, 1004 BGB entwickelt.47 § 1004 II BGB lässt dabei die Möglichkeit einer Duldungspflicht des Inhabers gegenüber einer Beeinträchtigung seiner Eigentumsrechte offen. Im BGB fehlt eine umfassende Regelung solcher Duldungspflichten48 und es ist anerkannt,49 dass sich diese auch aus dem öffentlichen Recht ergeben können, insbesondere aus den Grundrechten.50 Es besteht mithin ein Freiraum, in welchem die Versammlungsfreiheit eine Ausstrahlungswirkung entfalten kann. Ein Zivilgericht wäre folglich durch Art. 1 III GG dazu angehalten, die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte zu
33 Vgl. www.sonycenter.de/de/center/datenfakten (Abgerufen am 05. Mai 2011).
34 Vgl. Ebd.
35 1 BvR 699/06, Tz. 70.
36 Vgl. Ebd., Tz. 72.
37 Vgl. www.gropius-passagen.de/index.php?id=dascenter (Abgerufen am 03. Mai 2011).
38 Vgl. www.gropius-passagen.de (Abgerufen am 03. Mai 2011).
39 Vgl. 1 BvR 699/06, Tz. 65.
40 Vgl. Ebd., Tz. 70.
41 So auch Enders, u.A. (Hrsg.), Fn. 31, S. 63 f.
42 Vgl. 1 BvR 699/06, Tz. 72.
43 1 BvR 699/06, Tz. 68.
44 Ebd.
45 5] Enders u.A. (Hrsg.), Fn. 31, S. 62.
46 6] Fischer-Lescarno, in: T. Müller u. A. (Hrsg.), Grundrechte-Report, 2007, S. 151.
47 Vgl. Wegner, Kommunikationsherrschaft des Hausherrn oder Freiheit der Massenmedien?, 2010, S. 15.
48 Vgl. Baldus, in: Münchner Kommentar zum BGB, 5. Auflage, 2009, § 1004 Rn. 92.
49 Vgl. Baldus, in: Münchner Kommentar (Fn. 48), § 1004 Rn. 98 f.
50 So etwa Röthel, Hausrecht und grundrechtliche Duldungspflichten, in: LMK 04/2006 177478, 2004, S. 1; einschränkend auch Baldus, in: Münchner Kommentar (Fn. 48), § 1004 Rn. 99.
beachten51 und zu entscheiden, ob im ihm vorliegenden Einzelfall eine Duldungspflicht gemäß § 1004 II BGB i.V.m. Art. 8 I GG besteht.
II. Eine Begrenzung des Eigentums und ihre Rechtfertigung
1. Einleitung
Eine Grundrechtsbindung Privater „dient (…) dem Ausgleich bürgerlicher Freiheitssphären untereinander und ist damit von vornherein relativ.“52 Die Versammlungsfreiheit wird über Art. 8 I GG gewährleistet, doch auch das Eigentum und mit ihm das Hausrecht genießen über Art. 14 I GG grundrechtlichen Schutz. Beim vorliegenden Konflikt handelt es sich demnach um einen Fall der Grundrechtskollision. In einem solchen Fall entsteht ein Auftrag an den Staat und seine Gerichte, einen möglichst schonenden Ausgleich, eine praktische Konkordanz, herzustellen.53 Die Versammlungsfreiheit kann über über das private Hausrecht beschränkt werden, die Vorschriften des BGB sind von der Eingriffsermächtigung des Art. 8 II GG erfasst.54 Umgekehrt kann der Gesetzgeber den Inhalt und die Schranken des Eigentums bestimmen, auch, wie oben dargestellt, über § 1004 II i.V.m. Art. 8 I GG. Die einfachgesetzlichen Grundlagen für eine Beschränkung des einen wie des anderen Rechts bestehen somit, ein Gericht hätte somit einen ausreichenden Spielraum für die Herstellung von Konkordanz.
Vorliegend sollen Leitlinien entwickelt werden, an denen ein Gericht sich im Konfliktfall zu orientieren hätte. Hierzu sind zunächst die Grundrechtspositionen und Eingriffsintensität abstrakt zu bewerten. Weiterhin sind Anhaltspunkte zu erwägen, anhand derer die Positionen im Einzelfall zu gewichten sind. Schließlich sind Maßnahmen zu untersuchen, die die Positionen zu einem angemessenen Lastenausgleich bringen und so eine praktische Konkordanz herstellen könnten.
2. Eine Abwägung der Positionen
a) Hausrecht und der Eigentumsschutz
Das Hausrecht ist als Teil der Eigentümerbefugnisse grundrechtlich geschützt.55 Nicht geschützt werden Gewinnchancen, auch wenn diese von eigenem wirtschaftlichen Wert sind.56 Insofern ist Art. 14 I GG zunächst nicht berührt, wo Kunden durch eine Versammlung vom Konsum abgehalten werden. Entstehen dagegen für Mieter einer Immobilie so erhebliche wirtschaftlichen Nachteile, dass der Wert der gesamten Eigentumsposition gemindert wird, so ist Art. 14 I GG betroffen. Die Intensität der Eigentumsbeeinträchtigung bemisst sich somit nach der Weite der Beschränkungen des Hausrechts und dem daraus resultierenden Wertverlust des Eigentums.
Eine Beschränkung des Hausrechts durch die Pflicht, Versammlungen nach § 1004 II BGB zu dulden, müsste als Inhalts- und Schrankenbestimmung die Privatnützigkeit des Eigentums und seine Sozialpflichtigkeit „in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen“57 . Die Intensität der Beeinträchtigung des Eigentumsrechts der Grundstücksinhaber hängt in großem Maße von den Umständen des Einzelfalls ab. Allgemein ist der Schutz des Eigentums jedoch um so geringer, „je stärker der soziale Bezug des Eigentumsobjekts ist“58 . Öffentlicher Raum weist notwendig einen sehr hohen sozialen Bezug auf, entsprechend weit ist mithin der Spielraum eines Gerichts, unter Berufung auf die Sozialbindung des Eigentums die Eigentümerbefugnisse zu beschränken.
b) Versammlungsfreiheit
Der abstrakte Rang der Versammlungsfreiheit ist wegen ihrer Bedeutung für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung59 sehr hoch, sie „frei sich entfalten zu lassen, kennzeichnet den liberalen Staat.“60 Vor diesem Hintergrund scheint eine Entscheidung im Zweifel für die Versammlungsfreiheit angemessen. Nach dem abweichenden Votum von Bundesverfassungsrichter Schluckebier ist ein Schutz durch die Versammlungsfreiheit erst dann erforderlich, wenn sich „Anhaltspunkte dafür ergeben, der Staat suche (…) die für Versammlungen zur Verfügung stehenden Flächen merklich zu beschneiden“61 oder dem öffentlichen Straßenraum würde seine Bedeutung für die Versammlungsfreiheit sonstig streitig gemacht. Die Eingriffsintensität sei bisher so gering, dass schon keine Ausweitung des Schutzbereichs auf privates Eigentum erforderlich sei. Schluckebiers Ausführungen ist dahingehend Rechnung zu tragen, dass öffentlicher Raum in privatem Eigentums den Straßenraum mitnichten verdrängt hat. Allerdings hat er diesen „ergänzt“62 . Seine Verwehrung würde einen nicht unwesentlichen Teil der Konsumenten den Aussagen der Versammlungsteilnehmer entziehen. In besonderen Fällen kann der Grundrechtseingriff sogar sehr intensiv sein: Ist etwa der Versammlungsinhalt mit einem bestimmten Unternehmen eng verbunden, so könnte in einer öffentlichen Fußgängerzone direkt vor deren Geschäft protestiert werden. Liegt das Geschäft jedoch in einem den Demonstranten verwehrten Einkaufszentrum, so wäre dies kaum mehr möglich. Den Ausführungen von Verfassungsrichter Schluckebier ist demnach nicht zu folgen. Eine allgemeine Aussage über die Eingriffsintensität lässt sich nicht treffen, jedoch lässt sich eine hohe Intensität im Einzelfall nicht ausschließen.
c) Die Herstellung praktischer Konkordanz
aa) Der Ansatz des Bundesgerichtshofs
Nach dem BGH besteht nur dann eine Duldungspflicht des Eigentümers zum Schutze der Versammlungsfreiheit, wenn so „die bestimmungsgemäße Nutzung (…) nicht oder allenfalls ganz geringfügig beeinträchtigt würde“63 wenn der Eigentümer dagegen „keine sachlichen Erwägungen anführen“64 könne. Im Zuge einer Versammlung kann es sehr leicht zu einer solchen Beeinträchtigung des Geschäftsablaufs kommen. Hier scheint eine Abwägung wesentlich zugunsten von Art. 14 I GG vorentschieden zu werden, zumal auf eine
51 Vgl. anstelle Vieler Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, 2008, S. 43.
52 1 BvR 699/06, Tz. 59
53 Vgl. BverfGE 89, 214, 232.
54 Vgl. 1 BvR 699/06, Tz. 82.
55 Vgl. Hufen, Staatsrecht II: Grundrechte, 2009, S. 684.
56 Vgl. BVerfGE 28, 119, 142.
57 BVerfGE 100, 226, 240.
58 BVerfGE 100, 226, 241.
59 Vgl. BVerfGE 89, 214.
60 0] Kunig, in: Von Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, 2000, Art. 8 Rn. 4.
61 1 BvR 699/06, Tz. 123.
62 Ebd., Tz. 68.
63 BGH, NJW 2006, 1054, 1055.
64 Ebd.
Abwägung im Einzelfall verzichtet wird. Dies scheint angesichts der Wichtigkeit der Versammlungsfreiheit fragwürdig. Insbesondere können so auch besonders intensive Eingriffe in die Versammlungsfreiheit nicht berücksichtigt werden. Aus diesen Gründen ist das Urteil des BGH als Leitlinie für eine sachgerechte Grundrechtsabwägung ungeeignet.
bb) Die Entwicklung neuer Abwägungskriterien
Es ist demnach erforderlich, neue Leitlinien zu entwickeln, anhand welcher im Einzelfall Abwägung und Ausgleich der Interessen erfolgen kann. Als Bezugspunkte für solche Kriterien können das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Fraport-Fall und insbesondere auch die nordamerikanische Rechtsprechung dienen.
Eine Berücksichtigung des Eigentumsrechts erfordert zunächst eine Beachtung von Werteinbußen, welche durch besonders große und lang andauernde Versammlungen zu befürchten sind. Besonders hohe Werteinbußen können angesichts dieses grundrechtlichen Schutzes des Eigentums im Extremfall eine Versagung des betreffenden Raumes als Versammlungsort verhältnismäßig erscheinen lassen. Hier müsste dann die Versammlungsfreiheit in einer Abwägung ganz hinter den Eigentumsschutz zurücktreten. Weiterhin muss, wie oben angedeutet, das private gegenüber einem öffentlichen Grundstück privilegiert werden. Lässt sich also eine Versammlung ohne erhebliche Nachteile auch auf den öffentlichen Straßenraum oder öffentliches Eigentum verlagern, so stellt dies stets ein milderes Mittel gegenüber der Beanspruchung Privater dar. Auch hier ist demnach eine Verweigerung des vom Veranstalter angestrebten Versammlungsortes keine unverhältnismäßige Lösung.
Allerdings erfordert die Versammlungsfreiheit gleichzeitig eine Berücksichtigung des Versammlungszweckes. Mit dem U.S. Supreme Court65 sowie einem Teil der deutschen Literatur66 ist davon auszugehen, dass ein sachlicher Bezug des Versammlungsinhalts zum Versammlungsort den Schutz der grundsätzlich freien Ortswahl verstärkt. Eine solche Verbindung ist prinzipiell bei allen Einschränkungen zu berücksichtigen, insbesondere bei einer möglichen Verlagerung der Versammlung.
Sollte ein Versammlungsverbot unverhältnismäßig erscheinen, so ist der Eigentumsschutz bei der Durchführung der Versammlung bestmöglich zu berücksichtigen. Grundsätzlich erstreckt sich der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit zwar auch auf Art und Inhalt der Veranstaltung67 einschließlich der Form der Meinungskundegabe, etwa auf die Verwendung von Lautsprechern.68 Generelle Auflagen jedoch, welche die Eigentümer in ihren Hausordnungen festschreiben könnten, würden einen angemessenen Ausgleich der Lasten im Einzelfall unmöglich machen.69 Auch solche Erwägungen finden sich bereits in der Rechtsprechung der Vereinigten Staaten.70
Grundsätzlich könnte außerdem eine Obergrenze der Versammlungsgröße festgelegt werden. Diese Möglichkeit erwägt das Bundesverfassungsgericht, um dem Gefahrenpotenzial einer räumlichen Beengtheit des Versammlungsortes Rechnung zu tragen.71 Zu der Besonderheit der Grundrechtsabwägung im Falle privater Eigentümer gehört es, dass hier eine Teilnehmerbeschränkung auch eine zu erhebliche Betriebsstörung und damit eine möglicherweise unverhältnismäßige Wertminderung des Eigentums verhindern könnte. Würde also eine besonders große Versammlung den Betriebsablauf etwa eines Einkaufszentrums erheblich stören, so kann die Herstellung einer praktischen Konkordanz in einer Begrenzung der Teilnehmerzahl liegen.
Außerdem könnte man, erneut nach dem Vorbild der Rechtsprechung der USA, die Einrichtung von Pufferzonen um besonders sensible Bereiche erwägen.72 Solche vor der Versammlung allgemein festgelegten Abstandsflächen könnten Ein- und Ausgänge, Rolltreppen oder stark frequentierte Schalter sein. Auf diese Weise könnte nicht nur Sicherheitsbedenken Rechnung getragen werden, sondern auch einer übermäßigen Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Einrichtung vorgebeugt werden.
Weiterhin könnte man, wie schon das Bundesverfassungsgericht73 , eine Anzeigepflicht der Veranstalter auch gegenüber dem Inhaber der betreffenden Örtlichkeit voraussetzen. Diese würde die behördliche Anmeldepflicht ergänzen und dem Hauseigentümer dabei helfen, sich auf die Versammlung vorzubereiten und somit die Eingriffsintensität möglichst gering zu halten. Weil jedoch die Befugnisse des Eigentümers nicht jene der Behörden überschreiten dürfen,74 wären auch hier Spontanversammlungen angemessen zu privilegieren.
III. Ergebnis
Das Bundesverfassungsgericht stellt ausdrücklich fest, dass die mittelbare Grundrechtsbindung Privater im Ergebnis den Rücksichtnahmepflichten nahe oder gleich kommen kann, die den Staat gegenüber den Grundrechten treffen.75 Hausordnungen öffentlicher Foren, die Versammlungen grundsätzlich verbieten76 , können vor dieser Wertung jedenfalls nicht bestehen. Wo eine Abwägung im Einzelfall erforderlich wäre, da kann die Ausübung des Grundrechts nicht dem Belieben Privater anheimgestellt werden.
Ob und wie weit die hier entwickelten Ansätze berücksichtigt werden können, muss am Einzelfall entschieden werden. Sie bezeugen jedoch den bestehenden Raum für eine differenzierte Lösung des Problems bei sachgerechter Gewichtung der anfallenden Lasten. Die Herstellung praktischer Konkordanz ist mithin nicht nur geboten, sondern auch rechtlich wie tatsächlich möglich.
D. Schlussbetrachtung
Durch die Zunahme öffentlichen Raumes in privatem Eigentum ist die Gefahr einer Kollision von Eigentumsrechten
65 Vgl. Amalgamated Food Employees Union v. Logan Valley Plaza 391 U.S. 308 (1968); sowie Lloyd Corp. v. Tanner 407 U.S. 551 (1972).
66 Vgl. Mikešić, in: NVwZ, 2004, 788, 792.
67 BVerfGE 69, 315, 343.
68 Vgl. Kunig, in: Von Münch/Kunig (Fn. 60), Rn. 19.
69 Vgl. 1 BvR 699/06, Tz. 92.
70 0] City of Jamestown v. Beneda (Supreme Court of North Dakota, 1991); sowie Fashion Valley Mall, LLC v. National Labor Relations Board (Supreme Court of California, 2007).
71 Vgl. Ebd., Tz. 91.
72 Vgl. O’Brien vs. United States, 444 A 2 d 946 (1982).
73 Vgl. 1 BvR 699/06, Tz. 92.
74 Vgl. Ebd., Tz. 92.
75 Vgl. Ebd.
76 So die Hausordnung des Sony Centers in Berlin, vgl. Glasze, Fn. 1, S. 165.
und Versammlungsfreiheit gewachsen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass deutsche Gerichte in naher Zukunft über diesen Konflikt entscheiden werden. Die Entwicklung der Rechtsprechung der USA hat jedoch gezeigt, dass dieses Feld sehr breite Wertungsspielräume lässt und zu Kontroversen einlädt. Es wird sich daher noch zeigen müssen, ob die deutschen Gerichte eine Linie verfolgen werden, die den hier entworfenen Kriterien entspricht und so die gegebenen Chancen zur Herstellung praktischer Konkordanz nutzen.