Zur aktuellen Auseinandersetzung um die Abziehbarkeit von Ausbildungskosten zwischen Bundesfinanzhof und Gesetzgeber
by Ulrich Wilke*
I. Einführung
Am 28. Juli 2011 hat der Bundesfinanzhof (BFH) in zwei Urteilen1 über die Möglichkeit der Abziehbarkeit der Kosten für ein sogenanntes Erststudium als vorab entstandene Werbungskosten geurteilt. Anders als noch am 18. Juni 20092 hat der BFH festgestellt, dass Ausbildungskosten „auch unter Geltung des § 12 Nr. 5 EStG als vorab entstandene Werbungskosten anzuerkennen sein [können]“3 . Naturgemäß verbreitete sich die „gute Nachricht“ wie ein Lauffeuer in der (Fach-)Presse, häufig gepaart mit praktischen Tipps, wie die Studenten ihre studienbezogenen Ausgaben nun steuerlich geltend machen können.4 Die Antwort des Gesetzgebers ließ indes nicht lange auf sich warten: Der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages hat am 26. Oktober 2011 das Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BeitrRLUmsG) mit einigen Änderungsanträgen der Regierungsfraktionen beraten. Darunter befand sich auch der (im Hinblick auf das BeitrRLUmsG sachfremde) Antrag, den Abzug von Studienkosten als vorab entstandene Werbungskosten durch eine gesetzliche Regelung auszuschließen.5 In der Fassung der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses6 hat der Bundestag den Gesetzesentwurf am 27. Oktober 2011 angenommen.7 Für die betroffenen Studenten bleibt also erst einmal alles beim Alten.
Gegenstand dieses Beitrages sind die kritische Würdigung beider Urteile des BFH (II.), die Erläuterung der Reaktion des Gesetzgebers (III.) sowie ein Ausblick auf die vermutliche Entwicklung der Abzugsmöglichkeiten von Ausbildungskosten (IV.).
* Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Privatrecht (Prof. Dr. Anne Röthel) an der Bucerius Law School in Hamburg.
1 BFH, NJW 2011, 2909 und BFH, NJW 2011, 2912.
2 BFHE 225, 393. Die Frage war damals nicht entscheidungserheblich. Dazu Wilke, BLJ 2009, 104. Zur Genese der Rechtsprechung hinsichtlich der steuerlichen Geltendmachung von Studienkosten siehe etwa Wilke, a.a.O., S. 105; Drenseck, DStR 2004, 1766 ff.; Prinz, FR 2005, 229 ff.; Weitemeyer/Süß, NJW 2011, 2844, 2846 f.
3 Leitsatz des Urteils des BFH in NJW 2011, 2909.
4 Ismer, FR 2011, 846, 851; Weitemeyer/Süß, NJW 2011, 2844, 2847.
5 Siehe Bericht des Finanzausschusses, BTDrs. 17/7524, S. 7.
6 Beschlussempfehlung des Finanzausschusses, BTDrs. 17/7469.
7 Plenarprotokoll 17/136, S. 16234.
II. Die Urteile des BFH
Beide Urteile betreffen die Abzugsfähigkeit der Kosten eines Erststudiums nach Schulabschluss, also genau die Frage, die mit Einführung des § 12 Nr. 5 EStG neu geregelt8 werden sollte. Bereits am 18. Juni 2009 hatte der BFH festgestellt, dass bei verfassungskonformer (restriktiver) Auslegung des § 12 Nr. 5 EStG das erste Studium etwa nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung nicht vom Abzugsverbot erfasst werde. Grund war, dass sonst solche Steuerpflichtige, die nach abgeschlossener Berufsausbildung erstmalig ein Studium beginnen, gegenüber solchen gleichheitswidrig benachteiligt würden, die eine zweite nichtakademische Ausbildung, ein Zweitstudium oder ein Erststudium im Rahmen eines Dienstverhältnisses absolvieren.9
1. Sachverhalt und Urteilsgründe
Den Urteilen vom 28. Juli 2011 lagen Sachverhalte zugrunde, in denen die Steuerpflichtigen unmittelbar im Anschluss an das Abitur ein Studium bzw. eine erstmalige Berufsausbildung aufnahmen. Im ersten entschiedenen Fall entstanden dem Kläger, der eine Ausbildung zum Verkehrspiloten gemacht hatte, nach seinen eigenen Angaben im Streitjahr knapp 28 000 € Ausbildungskosten; im zweiten Fall musste die Klägerin für ihr Medizinstudium in Ungarn pro Jahr etwa 12 000 € aufwenden. In beiden Fällen machten die Kläger ihre Ausbildungskosten als vorab entstandene Werbungskosten geltend, in beiden Fällen entschieden die zuständigen Finanzgerichte, dass § 12 Nr. 5 EStG einem solchen Werbungskostenabzug entgegensteht.10
Anders entschied nun der BFH: Die vorab entstandenen Kosten seien sehr wohl abziehbar. Der erkennende Senat begründet dieses Ergebnis durch eine Auslegung der §§ 9, 10 und 12 EStG.11 Dabei verweist der BFH zunächst auf seine gefestigte Rechtsprechung, wonach auch Ausbildungskosten vorab entstandene Werbungskosten sein können, soweit ein hinreichend konkreter, objektiv feststellbarer Veranlassungszusammenhang mit späteren Einnahmen besteht.12 Der Werbungskostenabzug ist gegenüber dem Abzug von Sonderausgaben vorrangig, wie sich nicht zuletzt auch aus dem Wortlaut des Einleitungssatzes des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG ergibt. Danach sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen nur dann Sonderausgaben, „wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind“. Dies hatte der BFH auch für das Verhältnis von § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu § 12 Nr. 5 EStG festgestellt.13 Der BFH argumentiert nun jedoch, auch § 12 Nr. 5 EStG selber stünde dem Abzug von Ausbildungskosten als Werbungskosten nicht entgegen. Nach dem Einleitungssatz zu § 12 Nr. 5 EStG dürfen die Kosten eines Erststudiums nämlich nur dann nicht als Werbungskosten berücksichtigt werden, wenn sich aus den dort genannten Normen nichts anderes ergibt. Nach Auffassung des BFH steht § 12 Nr. 5 EStG somit unter dem „Anwendungsvorbehalt“ dieses Einleitungssatzes. Es ergäbe sich zudem aus § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG insoweit etwas anderes, als der dortige Einleitungssatz eben den vorrangigen Werbungskostenabzug anordnet. Wenn also § 12 Nr. 5 EStG durch seinen Einleitungssatz bestimmt, dass der Sonderausgabenabzug vorrangig sein soll, dieser aber in § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG unter dem Vorbehalt steht, dass diese Aufwendungen nicht als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben geltend gemacht werden können, bliebe es im Ergebnis beim Werbungskostenabzug, der bei entsprechendem konkreten Berufsbezug auch für Ausbildungskosten geltend gemacht werden kann.14 § 12 Nr. 5 EStG behielte somit nach Ansicht der Münchener Bundesrichter allein klarstellende Bedeutung: Privat veranlasste Kosten der Ausbildung seien nicht abziehbar.15 Auf den davon abweichenden Willen des Gesetzgebers könne sich das Finanzamt und das beigetretene BMF nicht berufen, da dieser sich „nicht in einer Weise hinreichend konkret in dem an § 12 EStG angefügten Nr. 5 und dem im Übrigen unveränderten Normengefüge ab[bilde], dass darauf gestützt der Werbungskostenabzug für Aufwendungen der ersten Berufsausbildung auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Aufwendungen einen hinreichend konkreten Veranlassungszusammenhang zur späteren Berufstätigkeit und den damit erzielten Einkünften aufweisen.“16 Die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen waren daher grundsätzlich abziehbar. In der Sache musste der BFH mangels Spruchreife jedoch an das jeweilige Finanzgericht zurückverweisen, damit zu den einzelnen Aufwendungen Feststellungen getroffen werden können und gegebenenfalls der konkrete Veranlassungszusammenhang ermittelt werden kann.17
2. Kritische Würdigung
Während das Ergebnis des Bundesfinanzhofs auf rechtspolitischer Ebene durchaus zu überzeugen vermag, ergeben sich Fragen zur methodischen Herleitung des Ergebnisses. In der Literatur war die Regelung des § 12 Nr. 5 EStG insbesondere wegen eines möglichen Verfassungsverstoßes mit Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG kritisiert worden.18 Soweit ersichtlich, wurde aber nie daran gezweifelt, dass es Wille des Gesetzgebers war, die BFH-Rechtsprechung vor 2004 „gerade zu rücken“. Aus Sicht des BFH kam es indes auf verfassungsrechtliche Fragen nicht mehr an, eine Richtervorlage im Wege der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG konnte somit unterbleiben. Im Folgenden soll das Auslegungsergebnis des BFH methodisch hinterfragt werden.
a) Grammatische Auslegung
Auf den ersten Blick erscheint die Argumentation des BFH zwar aufwendig und kompliziert, in der Sache aber überzeugend: Wenn der durch § 12 EStG in Bezug genommene § 10 EStG einen Abzug von Ausbildungskosten als Sonderausgaben nur dann zulässt, wenn sie nicht bereits Werbungskosten sind, Ausbildungskosten aber bei konkretem Veranlassungszusammenhang Werbungskosten darstellen, schließt weder § 12 Nr. 5 EStG noch § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG den Abzug von Ausbildungskosten als Werbungskosten aus.
8 Durch Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und weiterer Gesetze v. 21. 7. 2004, BGBl. I 2004, 1753.
9 BFHE 225, 393, 397.
10 FG Saarland, EFG 2010, 1686 bzw. FG Hamburg, EFG 2010, 873.
11 BFH, NJW 2011, 2909 f.
12 BFHE 201, 156; 201, 211.
13 So bereits BFHE 225, 393, 395 und nun BFH, NJW 2011, 2909, 2910.
14 BFH, NJW 2011, 2909, 2910.
15 BFH, NJW 2011, 2909, 2910. So auch Ismer, FR 2011, 846, 850; Schneider, NWB 2011, 2840, 2841.
16 BFH, NJW 2011, 2909, 2911.
17 Siehe BFH, NJW 2011, 2909, 2912.
18 Lang, StuW 2007, 3, 12 f.; Drenseck, DStR 2004, 1766, 1772. A.A. der Verfasser, der insoweit von einer zulässigen Typisierung durch den Gesetzgeber ausgeht, siehe Wilke, BLJ 2009, 104, 106.
Es ergeben sich jedoch einige kleinere Ungenauigkeiten in der Argumentationsfolge des BFH: Zum einen enthält § 10 Abs. 1 EStG gar keine Abzugsvorschrift, sondern eine reine Begriffsdefinition und dies auch nur bezogen auf Sonderausgaben. Somit kann streng genommen in § 10 EStG nichts „anderes bestimmt“ sein.19 Gemeint ist nach einhelliger Ansicht allerdings, dass zusätzlich die Abzugsvorschriften in § 2 EStG miteinzubeziehen sind. Danach sind Erwerbsaufwendungen (Werbungskosten und Betriebsausgaben) bereits bei der Ermittlung der einzelnen Einkunftsarten zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 2 S. 1 EStG),20 die Sonderausgaben hingegen erst beim Gesamtbetrag der Einkünfte (§ 2 Abs. 4 EStG).21 Zum anderen erscheint es zu weitgehend, bei einem Verweis auf eine Begriffsdefinition der Sonderausgaben auch den Vorbehalt zu den Erwerbsaufwendungen in Bezug genommen zu sehen, trifft doch der Einleitungssatz zu § 10 Abs. 1 EStG gerade keine Aussage zu Erwerbsaufwendungen.22 Die gegenteilige Auffassung des Bundesfinanzhofs lässt sich jedoch mit dem Wortlaut vereinbaren; die Wortlautgrenze23 überschreitet das Gericht nicht. Ob diese Auslegung die „richtige“ ist, hängt vielmehr davon ab, zu welchem Ergebnis der Rechtsanwender durch Anwendung der weiteren Auslegungscanones kommt.
b) Systematische und teleologische Auslegung
Die Regelung in § 12 EStG (insbesondere Nr. 1) ist zunächst eine Interpretationshilfe.24 Die erforderliche Abgrenzung zwischen abziehbaren Aufwendungen und nichtabziehbaren Kosten der allgemeinen Lebensführung ergibt sich bereits im Umkehrschluss aus den §§ 4 Abs. 4, 9 Abs. 1 S. 1 und § 10 Abs. 1 EStG.25 § 12 EStG kann zuvörderst nur insoweit als konstitutive Regelung angesehen werden, als eine zu weite Auslegung des Werbungskosten- oder Betriebsausgabenbegriffs verhindert werden soll.26 Bei eindeutig festgestellten Erwerbsaufwendungen kann hingegen ein Abzugsverbot nach § 4 Abs. 5 (ggf. i.V.m. § 9 Abs. 5 S. 1) EStG Platz greifen. Wenn man § 12 EStG also auch im Hinblick auf dessen Nr. 5 nur klarstellende Wirkung zumisst, kann in der Regelung der Ausbildungskosten keine Sperrwirkung für den Werbungskostenabzug gesehen werden.
c) Wille des Gesetzgebers
Ob jedoch § 12 Nr. 5 EStG als konstitutiv betrachtet werden kann,27 hängt maßgeblich davon ab, ob dies die Intention des Gesetzgebers war.28 Der BFH misst dem Willen des Gesetzgebers keinen Wert zu, weil sich ein solcher Wille nicht hinreichend in § 12 Nr. 5 EStG und dem „im Übrigen unveränderten Normengefüge“ abbilde.29 Inwiefern der (historische) Wille des Gesetzgebers überhaupt das Auslegungsergebnis beeinflusst, ist nicht unproblematisch:30 Während nach einer subjektiven Theorie der historisch-psychologische Wille des Gesetzgebers maßgeblich sein soll, versuchen Vertreter einer objektiven Theorie,31 den dem Gesetz immanenten Sinn als Auslegungsziel zu erforschen. Richtig kann nur eine Mischung aus beidem sein. Danach ist ein rechtlich maßgeblicher, normativer Sinn des Gesetzes auch unter Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers zu ermitteln. So sieht es auch das Bundesverfassungsgericht: „Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können.“32 Können im vorliegenden Fall also Zweifel ausgeräumt werden, indem die Gesetzgebungsgeschichte betrachtet wird? Dabei ist es keineswegs zutreffend, dass die Auffassung des Gesetzgebers ausschließlich an einer Stelle in einem Ausschussbericht33 erkennbar geworden ist.34 Erörterungen der bisherigen Rechtsprechung und Reaktionsmöglichkeiten wurden sowohl an zwei weiteren Stellen in dem Bericht35 als auch in der Plenarsitzung vor Abstimmung über den Entwurf36 dargestellt und diskutiert. In der Literatur wurde die Gesetzesänderung von 2004 dann auch gemeinhin als „partielles Nichtanwendungsgesetz“ begriffen.37 Dieser Wille des Gesetzgebers hat sich auch insoweit „manifestiert“, als die Erhöhung des Abzugsbetrags in § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG erkennbar in der Absicht erfolgte, Steuerausfälle zu verhindern. Eine Erweiterung der Abzugsmöglichkeiten war
19 So auch Ismer, FR 2011, 846, 849.
20 Sog. objektives Nettoprinzip: abziehbar sind danach solche Aufwendungen, die bei der Erzielung der Einkünfte entstanden sind. Es verwirklicht das Prinzip der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit.
21 Sog. subjektives Nettoprinzip: ausnahmsweise Abzug der Kosten privater Lebensführung, insbesondere Verschonung des Existenzminimums.
22 Ismer, FR 2011, 846, 849.
23 Hierzu Larenz/Canaris, Methodenlehre3, 1995, Kap. 4 2. a) am Ende.
24 Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht20, 2009, § 9 Rn. 241; Schmieszek, in: Bordewin/Brand, EStG, 335. ErgL., Stand: Oktober 2011, § 12 Rn. 23.
25 Zusätzlich dazu aus der (hier nicht interessierenden) Vorschrift über die Abziehbarkeit außergewöhnlicher Belastungen (§ 33 EStG).
26 Fissenewert, in:Herrmann/Heuer/Raupach, 247. ErgL., Stand: September 2011, § 12 Rn. 3, im Einzelnen str., siehe etwa Dürr, in: Frotscher, EStG, 165. ErgL, Stand: September 2011, § 12 Rn. 14 ff., 20 ff.
27 So Fissenewert, in: Herrmann/Heuer/Raupach (Fn. 26), § 12 Rn. 163; Drenseck, in: Schmidt, EStG30, 2011, § 12 Rn. 56; Schmieszek, in: Bordewin/Brand (Fn. 24), § 12 Rn. 23.
28 In BFHE 225, 393, 396 geht der Bundesfinanzhof in einem obiter dictum noch davon aus, dass § 12 Nr. 5 EStG typisierend regelt, dass kein Veranlassungszusammenhang zwischen Kosten einer erstmaligen Ausbildung und einer nachfolgenden Erwerbstätigkeit besteht. Zu dieser Überlegung Wilke, BLJ 2009, 104, 106.
29 BFH, NJW 2011, 2909, 2911.
30 Zum Folgenden Larenz/Canaris, Methodenlehre3 (Fn. 23), Kap. 4. 1. b).
31 Zu den Theorien siehe Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2, 1991, S. 428 ff.
32 BVerfGE 1, 299, 312. Außerdem hat das BVerfG mehrfach ausgesprochen, „dass die Gesetzesmaterialien mit Vorsicht, nur unterstützend und insgesamt nur insofern herangezogen werden sollen, als sie auf einen ‚objektiven Gesetzesinhalt schließen lassen’. Der sogenannte Wille des Gesetzgebers bzw. der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten kann hiernach bei der Interpretation insoweit berücksichtigt werden, als er auch im Text Niederschlag gefunden hat. Die Materialien dürfen nicht dazu verleiten, die subjektiven Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen.“ (BVerfGE 62, 1, 45 m.w.N.).
33 BTDrs. 15/3339, S. 10.
34 So BFH, NJW 2009, 2909, 2911. Dagegen bereits Ismer, FR 2011, 846, 850 f.
35 BTDrs. 15/3339, S. 2 und 7 f.
36 Plenarprotokoll 15/115, S. 10565 ff. und die dem Protokoll beigefügte Anlage 7.
37 Drenseck, in: Schmidt (Fn. 27), § 12 Rn. 56; Lang, in: Tipke/Lang (Fn. 24), § 9 Rn. 267; Spindler, DStR 2007, 1061, 1062.
damit jedenfalls nicht gewollt.38 Die Konsequenz der Annahme des BFH, § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG verweise durch seinen Einleitungssatz wiederum auf den vorrangigen Veranlassungszusammenhang, bestünde sonst in einer „Bestrafung“ des Gesetzgebers für die Regelung in § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG.39 Hätte er nämlich im Zuge der Neuregelung diese Vorschrift komplett gestrichen, hätte sich aus ihr auch nichts „anderes“ und somit auch kein genereller Vorrang des Veranlassungszusammenhangs ergeben können. Der BFH hätte sich dann damit auseinandersetzen müssen, ob § 12 Nr. 5 EStG zulässigerweise konstitutiv ein Abzugsverbot aufstellen durfte. Dieser Frage ist der BFH – aus seiner Sicht zu Recht – aus dem Weg gegangen.
Gerade im Hinblick auf den zweifelhaften Stellenwert von Gesetzgebungsmaterialien für die Auslegung können die Urteile des BFH nicht als „falsch“ bezeichnet werden. Wie gezeigt geht der Bundesfinanzhof jedoch der Frage nach der zulässigen Normierung eines Abzugsverbots nur mit hohem Aufwand und teilweise angreifbar aus dem Weg. Dabei steht mit der prompten Reaktion des Gesetzgebers außer Frage, dass in nicht allzu ferner Zukunft noch einmal über die Abziehbarkeit von Kosten des Studiums entschieden werden muss.
III. Reaktion des Gesetzgebers
Bereits wenige Monate nach der Entscheidung des BFH hat der Gesetzgeber mit dem BeitrRLUmsG reagiert.40 Nach § 12 Nr. 5 EStG n.F. sind nunmehr „Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden“41 , nicht abziehbar; die Grenze in § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG wurde auf 6.000 € angehoben. Gleichzeitig werden Abzugsverbote für berufsbezogene Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten neu geregelt (§ 4 Abs. 9 EStG n.F., § 9 Abs. 6 EStG n.F.). Danach sind „Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt,“ keine Betriebsausgaben oder Werbungskosten.42 Diese Regelungen sollen rückwirkend ab dem Veranlagungszeitraum 2004 gelten.43 Der Wille des Gesetzgebers, Kosten der erstmaligen Berufsausbildung der privaten Lebensführung zuzuordnen, wird somit eindeutig klar.44 Mit der Regelung in §§ 4 Abs. 9, 9 Abs. 6 EStG n.F. werden jetzt auch Ausbildungskosten erfasst, für die ein Veranlassungszusammenhang mit einer konkreten beruflichen Tätigkeit besteht, die also Betriebsausgaben oder Werbungskosten sind. Damit begegnet der Gesetzgeber der durch den BFH nahegelegten möglichen Aufteilung von Ausbildungskosten in einen beruflich veranlassten und einen privat veranlassten Teil45 und vollzieht damit deutlich einen „grundlegenden Systemwechsel“46 .47
1. (Rückwirkende) Nichtanwendungsgesetzgebung
In der Sache ist die Gesetzesnovelle ein sog. „Nichtanwendungsgesetz“, das die BFH-Rechtsprechung aushebelt. Abzugrenzen ist dieses von einem „Nichtanwendungserlass“, durch den lediglich die Verwaltung angewiesen wird, eine Entscheidung nicht über den Einzelfall hinaus anzuwenden. Dessen Zulässigkeit ist im Spannungsfeld zwischen der aus dem Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG fließenden Loyalitätspflicht48 und der exekutiven Eigenverantwortung auch zur Gesetzesauslegung aus Art. 20 Abs. 3 GG sehr streitig.49 Hier wurde sich jedoch bewusst gegen einen solchen Erlass entschieden.50
2. Verfassungsrechtliche Bedenken
Auch wenn der Gesetzgeber die Änderungen als „Klarstellung“ deklariert, mag dies nicht verschleiern, dass es in der Sache um ein Problem echter51 Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) geht, die nach der Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich wegen Art. 20 Abs. 3 GG und dem darin verankerten Grundsatz der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nicht gestattet ist.52 Ausnahmen bestehen jedoch, wenn die bisherige Vorschrift verfassungswidrig ist, das geltende Recht unklar und verworren ist, der Steuerpflichtige mit der Gesetzesänderung rechnen musste oder die Rückwirkung nur Bagatellfolgen betrifft. Bei der hier interessierenden „klarstellenden“ Regelung kommt vor allem der Ausnahmegrund der verworrenen Rechtslage in Betracht. Anders als in anderen kritisierten Verfahren setzt der Gesetzgeber hier nicht die aus seiner Sicht „richtige“ Auffassung in eindeutig geklärten, vorher nicht erkannten Problemfällen durch.53 Vielmehr verdeutlicht der Gesetzgeber seinen ursprünglichen Willen und kehrt zur vorigen Gesetzeslage zurück. Eine solche Rückkehr hat das BVerfG für unbedenklich gehalten.54 Selbst wenn diese Gesetzeslage nicht unbestritten war, ergibt sich daraus nichts anderes: Der Bürger trägt nicht in unverhältnismäßiger Weise die „Nachteile unvollkommener Gesetzgebung“55 , denn seine Nachfrage nach Ausbildung ist wohl unabhängig von ihrer steuerlichen Absetzbarkeit. Zudem steht einem Vertrauensschutz hinsichtlich der neuen BFH-Rechtsprechung entgegen, dass das Urteil in der Form überraschend kam56 und der Gesetzgeber prompt reagiert hat. Zu beachten ist allerdings, dass bereits das ursprüngliche Gesetz rückwirkend in Kraft trat und eine zu dem Zeitpunkt geänderte Rechtsprechung konterkariert werden sollte. Dort steht jedoch
38 So auch Ismer, FR 2011, 846, 850.
39 Insoweit ist das Normengefüge auch nicht gänzlich „im Übrigen unverändert“, wie der BFH meint.
40 Siehe bereits oben sub I.
41 Hervorhebung durch den Verfasser.
42 Siehe die Beschlussempfehlung in BTDrs. 17/7469, S. 32 ff. Bei den Werbungskosten gibt es die bereits bekannte Ausnahme für die Ausbildung im Rahmen eines Dienstverhältnisses, siehe § 9 Abs. 6 Hs. 2 EStG n.F.
43 § 52 Abs. 12 S. 11, Abs. 23d S. 5, Abs. 30a EStG n.F., BTDrs. 17/7469, S. 67 f.
44 BTDrs. 17/7524, S. 12 f.
45 Zur generellen Aufgabe des Aufteilungs- und Abzugsverbots siehe den Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 227, 1.
46 BFH, NJW 2011, 2909, 2911.
47 So auch Kanzler, FR 2011, 862, 863; Schneider, NWB 2011, 2840, 2841. Das BVerfG nennt die Abzugsverbote in § 4 Abs. 5 EStG das „allgemeinere einkommensteuerrechtliche Regelungsmodell zur Begrenzung der Abzugsfähigkeit – auch – betrieblich veranlassten Aufwands“, BVerfGE 122, 210, 236 – Pendlerpauschale.
48 Kein Eingriff in den „Kernbereich“ einer anderen Gewalt, siehe Herzog, in: Maunz/Dürig, 62. ErgL., Stand: Mai 2011, Art. 20 V Rn. 115.
49 Näher Spindler, DStR 2007, 1061, 1062; Weber-Grellet, in: FS Lang, 2010, S. 927 ff.
50 BTDrs. 17/7524, S. 7.
51 Bei einer Rückwirkung ab dem VZ 2004 sind die betreffenden Steuerbescheide i.d.R. bestandskräftig. Eine echte Rückwirkung liegt nach Ansicht des BVerfG bei periodischen Steuern erst dann – aber auch bereits dann – vor, wenn der Veranlagungszeitraum abgeschlossen und damit die Steuer entstanden ist (§ 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG, bei der Einkommensteuer mit Ablauf des Kalenderjahres, § 25 Abs. 1 EStG), BVerfGE 13, 261, 270; BVerfGE 127, 1, 18.
52 BVerfGE 72, 200, 257 ff.; BVerfGE 97, 67, 78 f. m.w.N.
53 Dazu Schön, in: FS Lang, 2010, S. 221, 227 f.
54 BVerfGE 81, 228.
55 Schön (Fn. 53), S. 221, 228.
56 So Ismer, FR 2011, 846, 851.
nur eine unechte Rückwirkung in Frage,57 die grundsätzlich zulässig ist. Auch dabei kann überdies argumentiert werden, dass nur zu einer vorherigen gefestigten Rechtsprechung zurückgekehrt werden sollte und unter Abwägung aller verfassungsrechtlich erheblichen Belange der Steuerpflichtige nicht unverhältnismäßig in seinem Vertrauen auf die neue Rechtslage und seine getroffenen Dispositionen beeinträchtigt wird.58
Es bleibt daher für die Neuregelung nur die Frage, ob sie in der Sache verfassungskonform ist. Problematisch ist dabei die singuläre Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips durch den Ausschluss der Abziehbarkeit von solchen Ausbildungskosten, die Erwerbsaufwendungen darstellen können. Zwar hat es das BVerfG bislang offengelassen, ob dem objektiven Nettoprinzip Verfassungsrang zukommt,59 es kann jedoch wegen Art. 3 Abs. 1 GG nur durchbrochen werden, wenn ein besonderer, sachlich gerechtfertigter Grund vorliegt. Der Gesetzgeber darf dabei pauschalierende, typisierende Maßstäbe anwenden.60 Die Klärung der Frage, ob bei der Erstausbildung typischerweise der Bezug zu einer Erwerbstätigkeit fehlt, wird letztendlich im Wege der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG in Karlsruhe entschieden werden.61
IV. Ausblick
Abschließend bleibt festzustellen, dass das Ende der Diskussion um die steuerliche Geltendmachung von Ausbildungskosten noch nicht erreicht sein dürfte. Mit der neuen Gesetzeslage sollte sich die Problematik tatsächlich auf einen verfassungsrechtlichen Kern verdichtet haben, sodass zu klären sein wird, inwiefern der Gesetzgeber mit der Regelung eines neuen Abzugsverbots einen verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Systemwechsel vollzogen hat. Bis zu einer Entscheidung gilt es, Steuerbescheide möglichst lange durch Einspruch „offen“ zu halten. Aufgrund der eindeutigen Gesetzeslage wird Steuerpflichtigen die Anerkennung ihrer Ausbildungskosten als (vorab entstandene) Werbungskosten jedoch versagt bleiben. Es bleibt daher nur ein erneutes Angehen gegen die Regelung – nach erfolglosem Vorverfahren mit der Anfechtungsklage (§§ 40 Abs. 1 Alt. 1, 44 FGO) und einem Hinwirken auf verfassungsrechtliche Klärung. Ein Anspruch auf Ruhen des Verfahrens im Rahmen eines Einspruchs besteht jedoch erst, wenn sich der BFH mit der Sache erneut beschäftigt (vgl. § 363 Abs. 2 S. 2 AO).
57 Durch die Rückwirkung des Gesetzes vom 21. 7. 2004 auf den 1. 1. 2004. Siehe allerdings zur neueren BVerfG-Rechtsprechung BVerfGE 127, 1; 127, 31; 127, 61. Dazu Momen, BB 2011, 2781.
58 Kritisch allerdings Drenseck, in: Schmidt (Fn. 27), § 12 Rn. 57, der darauf verweist, dass eine gravierende tatsächliche Veränderung der Lebensumstände zur Rechtsprechungsänderung geführt habe; ders., StuW 1999, 3 ff.; Offerhaus, DB 2001, 556, 558.
59 BVerfGE 81, 228, 237; 107, 27, 48; 122, 210, 234 – Pendlerpauschale; 126, 268, 279 f. – häusliches Arbeitszimmer.
60 BVerfGE jeweils a.a.O.
61 Dass diese Typisierung greift, scheint denkbar, siehe Wilke, BLJ 2009, 104, 106. Kritisch dagegen jetzt auch Bergkemper, DB 2011, 1947, 1948, der zudem unter Bezugnahme auf die Vorinstanzen der aktuellen BFH-Fälle darauf hinweist, dass diese verfassungsrechtlichen Bedenken in der Rspr. häufig nicht geteilt werden – dazu auch FG Münster, EFG 2010, 1496 und FG Saarland v. 20. 4. 2010, 2 K 1020/09 (Revision in beiden Fällen eingelegt, BFH VI R 52/10 und VI R 29/11).