by Johannes Rehahn*
A. Einleitung
In den letzten Jahren wurde oft bezweifelt, dass das Patentrecht der Vereinigten Staaten noch zeitgemäß ist. Während die Globalisierung des Handels, der Abbau von Handelshemmnissen sowie das Bedürfnis nach Stabilität und Berechenbarkeit im internationalen Patentschutz nach Harmonisierung verlangten,1 nahmen die Unterschiede zwischen dem US-Patentrecht und den Patentrechten anderer Staaten eher zu. So hielten die Vereinigten Staaten als eines der letzten Länder der Welt an einem first–to–invent-System fest.2 Andere fundamentale Unterschiede betrafen oder betreffen die Neuheitsschonfrist, die Vorbenutzungsrechte, die zu offenbarende Ausführungsform und die Veröffentlichung anhängiger Patentanmeldungen.3
Am 16. September 2011 unterzeichnete Barack Obama den Leahy-Smith America Invents Act4 und leitete damit die „größte Reform des US-Patentrechts seit über 60 Jahren“5 ein. Ziel dieses Beitrags ist es, die Grundzüge des US-Patentrechts und die wichtigsten Neuregelungen vorzustellen. Ein solcher Blick über den Atlantik ist auch insofern von Interesse, als in der Europäischen Union eine Patentrechtsreform von ähnlicher Tragweite bevorsteht.6 Im ersten Teil sollen die wesentlichen Rechtsquellen des US-Patentrechts in Erinnerung gerufen werden. In Anlehnung an den Änderungsgesetzgeber werden sodann die materiellen Schutzvoraussetzungen und die Verfahren vor dem Patentamt in den Mittelpunkt gestellt. Der Beitrag endet mit einem Fazit, das Antwort geben soll auf die Frage: Welchen Kurs hat das US-Patentrecht eingeschlagen?
B. Wesentliche Rechtsquellen
Nach Art. I, sec. 8, cl. 8 der Verfassung der Vereinigten Staaten ist das Patentrecht der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes zugewiesen. Bereits 1790 wurde in den USA das „erste moderne Patentgesetz der Welt“7 erlassen.8 Im Jahre 1836 wurde ein Patentamt (heute: United States Patent and Trademark Office, USPTO) geschaffen9 und festgeschrieben, dass nur der echte und erste Erfinder berechtigt ist, die Erteilung des Patents zu verlangen (sog. Ersterfinderprinzip, first to invent).10 Dem first–to–invent-Prinzip liegt die Überzeugung zugrunde, dass es fairer sei, nur den ersten Erfinder mit einem Ausschließlichkeitsrecht zu belohnen als diejenige Person, die den „Wettlauf zum Patentamt“ gewonnen hat. Zudem sei es einem Erfinder hierdurch erlaubt, seine Erfindung auszuprobieren und zu verbessern, ohne aus Furcht vor einem Rechtsverlust sofort – und damit möglicherweise vorschnell – eine Patentanmeldung vornehmen zu müssen.11 Im Jahre 1952 trat der Titel 35 des United States Code in Kraft, der bis heute die zentrale Rechtsquelle des geschriebenen US-Patentrechts bildet. Das Gesetz war seit 2004 Gegenstand einer intensiv geführten Reformdiskussion,12 die mit der Unterzeichnung des America Invents Act13 ihr vorläufiges Ende fand. Dessen Bestimmungen treten gemäß sec. 35 America Invents Act grundsätzlich ein Jahr nach seinem Erlass in Kraft und finden Anwendung auf die am Tag des Inkrafttretens oder später gewährten Patente; für zahlreiche wichtige Vorschriften gelten jedoch andere Stichtage.14 Zuständig für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus dem Patentgesetz sind in erster Instanz die Bundesgerichte (District Courts).15 Zentrale Instanz für die Berufung gegen diese Judikate ist der Court of Appeals for the Federal Circuit (CAFC).16 Dieser ist auch zuständig für Berufungen gegen Entscheidungen des Patent Trial and Appeal Board (PTAB), das eine zweite Instanz innerhalb des USPTO bildet.17 Revisionsgericht ist der Supreme Court, der jedoch nur selten Patentfälle zur Entscheidung annimmt.18
C. Materielle Schutzvoraussetzungen
Ein Patent wird gemäß 35 U.S.C. § 131 erteilt, wenn die im Erteilungsverfahren vor dem USPTO zu prüfenden Anforderungen erfüllt sind. Hierzu zählen zunächst die in 35 U.S.C. §§ 101-103 niedergelegten materiellen Schutzvoraussetzungen, die auch als „three doors to patentability“19 bezeichnet werden: Es muss eine Erfindung vorliegen, die überhaupt Gegenstand des Patentschutzes sein kann. Zudem muss sie neu und nützlich sein und darf zum Zeitpunkt der Erfindung nicht nahe gelegen haben.
I. Gegenstand des Patentschutzes
Dem Patentschutz zugänglich sind gemäß 35 U.S.C. § 101 Erfindungen und Entdeckungen20 von Verfahren, Geräten, Erzeugnissen, Stoffzusammensetzungen und ihren jeweiligen
* Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Professor Dr. Matthias Lehmann an der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg.
1 Willis, 10 N.C. J.L. & Tech. 283, 300 (2009).
2 Nach Leip, Börsen-Zeitung v. 28.12.2011, S. 2, waren die Vereinigten Staaten der letzte Staat mit einem first–to–invent-System. Willis, 10 N.C. J.L. & Tech. 283, 295 (2009), benennt zudem noch die Philippinen und Jordanien.
3 Vgl. Willis, 10 N.C. J.L. & Tech. 283, 293 (2009).
4 Pub. L. 112-29, 125 Stat. 284 (2011); nachfolgend: America Invents Act oder AIA.
5 Leip, Börsen-Zeitung v. 28.12.2011, S. 2.
6 Zum Stand des Vorhabens und den offenen Fragen s. Pagenberg, GRUR 2012, 582-589.
7 Beier, GRUR Int. 1989, 1, 5.
8 Patent Act of 1790, ch. 7, 1 Stat. 109 (1790). Näher zur Geschichte des Gesetzes Neumeyer, GRUR Int. 1956, 241, 244, 246.
9 Sec. 1 cl. 1 Patent Act of 1836, ch. 357, 5 Stat. 117 (1836).
10 Vgl. sec. 6 cl. 4, 7 cl. 2, 15 cl. 1 Patent Act of 1836 (Fn. 9).
11 Stedman, IIC 1971, 241, 247 f., 254.
12 S. etwa zum gescheiterten Patent Reform Act des Jahres 2007 Janicke, GRUR Int. 2007, 791-801.
13 Zur Entstehungsgeschichte s. Butler, Mitt. 2011, 441, 441 f.
14 S. die Übersicht des USPTO, America Invents Act: Effective Dates, im Internet erhältlich unter http://www.uspto.gov/aia_implementation/aia-effective-dates.pdf [zuletzt besucht am 17.11.2012].
15 28 U.S.C. § 1338(a).
16 28 U.S.C. § 1295(a)(1). Die zentrale Zuständigkeit des CAFC wurde begründet, um der Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung der Berufungsgerichte und dem hierdurch herausgeforderten forum shopping zu begegnen; zu den Hintergründen s. Farrand/Weisberg/Killworth/Shapiro, 51 IDEA 357, 360 (2011); Nies, GRUR Int. 1993, 404, 404 f.
17 28 U.S.C. § 1295(a)(4)(A) i.d.F. durch sec. 7(c)(2) AIA.
18 Mayer/Schlenk, Das US-Patent, 4. Aufl. 2012, Rn. 912. Zum Verhältnis zwischen CAFC und Supreme Court s. auch Schauwecker, GRUR Int. 2010, 1, 4.
19 In re Bergy, 596 F.2d 952, 960-963 (CCPA 1979).
20 Nachfolgend zusammen: Erfindungen; vgl. die Definition der Erfindung in 35 U.S.C. § 100(a).
Verbesserungen.21 Nach der Intention des Gesetzgebers ist mit diesem Katalog patentierbarer Gegenstände aber keine Einschränkung verbunden. Patente können vielmehr erteilt werden für „anything under the sun that is made by man.“22 Zwar hat auch die Rechtsprechung diese Formulierung aufgegriffen,23 doch hat sie zugleich zahlreichen Erfindungen – namentlich: Naturgesetzen, physikalischen Phänomenen und abstrakten Ideen – die Anerkennung verweigert, da insoweit der freie Zugang und die Möglichkeit der Weiterentwicklung für alle Menschen gewahrt bleiben müssten.24
I. Neuheit der Erfindung und Rechtsverlust
Die Erfindung ist nur dann patentfähig, wenn sie neu ist, also nicht zum Stand der Technik (prior art) gehört. Für das US-Patentrecht ergibt sich dies aus 35 U.S.C. § 102, der die Tatbestände normiert, bei denen Neuheit nicht gegeben ist („A person shall be entitled to a patent unless …“, Hervorhebungen des Verfassers), und die Darlegungs- und Beweislast hierfür dem USPTO auferlegt.25
1. Geltendes Recht
Entscheidender Zeitpunkt für die Beurteilung der Neuheit ist nach dem noch geltenden Ersterfinderprinzip26 nicht die Anmeldung des Patents, sondern die Erfindung selbst.27 Hierbei ist zu unterscheiden zwischen der Vollendung des Gedankens (conception) und seiner Umsetzung in die Praxis (reduction to practice).28 Als Verwirklichung gilt hierbei auch die ordnungsgemäße Anmeldung beim USPTO (constructive reduction to practice),29 weshalb ein Anscheinsbeweis dafür besteht, dass der Tag der Anmeldung mit dem Zeitpunkt der Erfindung zusammenfällt; der Erfinder kann den Gegenbeweis führen.30 Diese Praxis führt zu einer Annäherung des Ersterfinderprinzips an das auch im deutschen Patentrecht geltende Anmelderprinzip (first to file).31 Neuheitsschädlich sind bestimmte Ereignisse, die vor dem Zeitpunkt der Erfindung eingetreten sind, darunter die vorherige Kenntnis oder Nutzung derselben Erfindung durch andere Personen in den Vereinigten Staaten sowie die vorherige Patentierung oder Beschreibung der Erfindung in gedruckter Form in einem beliebigen Staat.32 Ist die Neuheit im Sinne des 35 U.S.C. § 102(a), (e), (g) zum Zeitpunkt der Erfindung zu bejahen, ist der Erfinder gleichwohl gehalten, die Erfindung nicht dauerhaft zu verheimlichen, sondern von seinen Rechten innerhalb einer Neuheitsschonfrist von einem Jahr Gebrauch zu machen, da ihm anderenfalls ein Rechtsverlust nach 35 U.S.C. § 102(b) – beispielsweise durch die Beschreibung der Erfindung in einer gedruckten Veröffentlichung in irgendeinem Staat oder den Verkauf der Erfindung in den Vereinigten Staaten – droht. Innerhalb dieses Zeitraums ist es ihm aber möglich, seine Erfindung zu testen und zu verbessern, ohne bereits eine Patentanmeldung, die Kosten verursacht und möglicherweise voreilig erfolgt, vornehmen zu müssen. Zu beachten ist indes, dass eine Neuheitsschonfrist nur in wenigen Rechtsordnungen vorgesehen ist, weshalb Umstände, die nach US-Recht der Neuheit nicht entgegenstehen, in anderen Staaten patenthindernd wirken können.33 Eine Annäherung der Rechte liegt insoweit vor allem im Interesse von Erfindern aus den Vereinigten Staaten, die zuvörderst mit ihrem heimischen Patentrecht vertraut sind und Gefahr laufen, Ereignisse, die im Ausland als neuheitsschädlich gelten, zu verwirklichen.
2. Änderungen durch den America Invents Act
Durch den America Invents Act wird 35 U.S.C. § 102 neu gefasst. Maßgebend für die Prüfung der Neuheit der Erfindung ist künftig der effektive Zeitpunkt ihrer Anmeldung.34 Diese Änderung stellt eine Abkehr vom Ersterfinderprinzip zugunsten eines first–inventor–to–file-Systems dar35 und hat zahlreiche Auswirkungen auf das materielle und das formelle Recht. Sie tritt am 16. März 2013 in Kraft und erfasst alle Patentanmeldungen, die an diesem Tag oder später eingereicht wurden.36 Das first–to–invent– und das first–inventor–to–file-System werden folglich für geraume Zeit nebeneinander bestehen.
Auch der Katalog der Ereignisse, die den Stand der Technik bilden, wurde überarbeitet. Beispielsweise stellen die Vorbenutzung und der Verkauf der Erfindung nach neuem Recht auch dann neuheitsschädliche Umstände dar, wenn sie nicht in den Vereinigten Staaten stattfinden.37 Hiermit ist eine Ausweitung der patenthindernden Sachverhalte verbunden. Zudem gehört eine Erfindung künftig schon zum Stand der Technik, wenn sie „auf andere Weise für die Öffentlichkeit zugänglich ist.“38 Nach der Intention des Gesetzgebers ist das Kriterium der Öffentlichkeit aber für alle Tatbestandsalternativen von Bedeutung,39 sodass – anders als nach geltendem Recht – zum Beispiel Verkäufe der Erfindung, die im Geheimen getätigt werden, nicht neuheitsschädlich sind. Damit führt die Neuregelung in Teilen auch zu einer Einschränkung der zum Stand der Technik zu zählenden Umstände.40
Eine Offenbarung, die zum effektiven Anmeldetag nicht
21 Darüber hinaus können Patente auch für Pflanzen (35 U.S.C. § 161(1)) und Designs (35 U.S.C. § 171(1)) gewährt werden. Auch hierauf finden grundsätzlich die Vorschriften für Erfindungen Anwendung (35 U.S.C. § 161(2), § 171(2)).
22 S. Rep. 82-1979, S. 5 (1952); H.R. Rep. 82-1923, S. 6 (1952). S. aber die Einschränkung für Patente, die sich auf den menschlichen Organismus beziehen, in sec. 33(a) AIA.
23 Diamond v. Chakrabarty, 447 U.S. 303, 309 (1980) = GRUR Int. 1980, 627, 629 m. Anm. Bodewig.
24 Gottschalk v. Benson, 409 U.S. 63, 67 (1972) = GRUR Int. 1973, 75, 76; Diamond v. Chakrabarty, 447 U.S. 303, 309 (1980) = GRUR Int. 1980, 627, 629 m. Anm. Bodewig. Zu den Entwicklungslinien in der Rechtsprechung s. Farrand/Weisberg/Killworth/Shapiro, 51 IDEA 357, 360, 395-404 (2011).
25 Mueller, Patent Law, 3rd ed. 2009, S. 137.
26 Hierzu s. oben B.
27 Vgl. 35 U.S.C. § 102(a), (e), (g). S. auch Götting/Fikentscher, in: Assmann/Bungert (Hrsg.), Handbuch des US-amerikanischen Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrechts, 2001, Kap. 7, Rn. 8, 19.
28 S. 35 U.S.C. § 102(g), cl. 2. Näher hierzu Brunswick v. The United States, 34 Fed. Cl. 532, 584 (Fed. Cl. 1995); Mayer/Schlenk (Fn. 18), Rn. 46; Willis, 10 N.C. J.L. & Tech. 283, 294 (2009).
29 Brunswick v. The United States, 34 Fed. Cl. 532, 584 (Fed. Cl. 1995); Götting/Fikentscher (Fn. 27), Rn. 9, 19; Mayer/Schlenk (Fn. 18), Rn. 87; Mueller (Fn. 25), S. 139 m. Fn. 10; Stedman, IIC 1971, 241, 243.
30 Götting/Fikentscher (Fn. 27), Rn. 19; Mueller (Fn. 25), S. 139 m. Fn. 10; Stedman, IIC 1971, 241, 242.
31 Götting/Fikentscher (Fn. 27), Rn. 19. Weitere Beispiele für eine Annäherung benennt Stedman, IIC 1971, 241, 243 f. Nach Janicke, GRUR Int. 2007, 791, 800, ist die Unterscheidung zwischen Ersterfinder- und Anmelderprinzip daher nur von geringer praktischer Bedeutung.
32 35 U.S.C. § 102(a). Weitere Fälle finden sich in 35 U.S.C. § 102(e), (g).
33 Mueller (Fn. 25), S. 159; Willis, 10 N.C. J.L. & Tech. 283, 297 (2009).
34 35 U.S.C. § 102(a) i.d.F. durch sec. 3(b)(1) AIA. Der effektive Zeitpunkt der Anmeldung ist definiert in 35 U.S.C. § 100(i)(1) i.d.F. durch sec. 3(a)(2) AIA.
35 So der Titel von sec. 3 AIA. Die Unterscheidung zwischen dem first–inventor–to–file-System und einem first–to–file-System erklärt sich dadurch, dass auch künftig nur ein echter Erfinder berechtigt ist, die Erteilung eines Patents zu verlangen; Butler, Mitt. 2011, 441, 443.
36 Sec. 3(n)(1) AIA.
37 Ohly, 23 Intell. Prop. & Tech. L.J. 3, 4 (2011).
38 35 U.S.C. § 102(a)(1) i.d.F. durch sec. 3(b)(1) AIA.
39 H.R. Rep. 112-98, S. 42 f. (2011).
40 Janicke, GRUR Int. 2011, 887, 893.
länger als ein Jahr zurückliegt und von dem Erfinder oder einer Person, die durch den Erfinder Kenntnis von der Erfindung erlangt hat, veranlasst wurde, zählt nicht zum Stand der Technik,41 womit dem Erfinder unter engen Voraussetzungen eine Neuheitsschonfrist bleibt. Diese ist wiederum nicht in allen Staaten gewährleistet.42 Eine Offenbarung ist daher grundsätzlich nicht ratsam, kann aber zu erwägen sein, wenn ein Erfinder mit einem anderen um die Einräumung eines Schutzrechts konkurriert.43
II. Erfinderische Tätigkeit
Nach 35 U.S.C. § 103(a), cl. 1, ist Patentfähigkeit ferner nur dann gegeben, wenn die Neuerung zum Zeitpunkt der Erfindung für einen mit dem Stand der Technik vertrauten Durchschnittsfachmann nicht bereits nahe gelegen hat (nonobviousness). Erforderlich ist also eine Erfindungshöhe, welche die Monopolisierung des Erfindungsgedankens durch ein Patent rechtfertigt.44 Ausgangspunkte bei der Bestimmung des Standes der Technik sind die Tatbestände, die gemäß 35 U.S.C. § 102 der Neuheit einer Erfindung entgegenstehen.45 Zum Stand der Technik gehören also etwa Darstellungen, die im Sinne von 35 U.S.C. § 102(b) mehr als ein Jahr vor dem Zeitpunkt der Patentanmeldung in gedruckter Form veröffentlicht wurden.46 Zu berücksichtigen sind aber nur Erkenntnisse aus dem Betätigungsfeld des Erfinders oder solche, auf die bei der Lösung des von dem Erfinder behandelten Problems vernünftigerweise zurückzugreifen war (analogous art), da von keinem Menschen ein vollständiges Wissen über den gesamten Stand der Technik erwartet werden kann.47
Ein hinreichend großer Unterschied zwischen der Erfindung und dem Stand der Technik besteht dann nicht, wenn ein Erfinder bereits bekannte Referenzen neu zusammenfügt und es für einen fiktiven Durchschnittsfachmann nahe lag, eine Kombination in dieser Weise zu versuchen (obvious to try). Letzteres ist der Fall, wenn ein gestalterischer Zwang oder ein Druck des Marktes besteht, das Problem zu lösen, und hierfür nur eine begrenzte Zahl voraussehbarer Lösungen zur Verfügung steht.48 Diese Kriterien erscheinen sehr vage und bedürfen der weiteren Konkretisierung durch die Rechtsprechung. Die Darlegungs- und Beweislast für ein Naheliegen der Erfindung trägt im Patenterteilungsverfahren grundsätzlich das USPTO, allerdings beschränkt auf den Beweis des ersten Anscheins (prima facie obviousness). Ist dieser erbracht, obliegt es dem Anmelder, ihn zu erschüttern.49
Die Einführung des first–inventor–to–file-Systems durch den America Invents Act wirkt sich auch auf das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit aus: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung, ob die erforderliche Erfindungshöhe erreicht wurde, ist ab dem 16. März 2013 der effektive Zeitpunkt der Anmeldung der Erfindung.50
\subsectionGewerbliche Anwendbarkeit
Die Patentfähigkeit setzt nach 35 U.S.C. § 101 zuletzt voraus, dass die Erfindung „nützlich“ ist.51 Dies ist bereits der Fall, wenn sie geeignet ist, irgendeinen erkennbaren Nutzen zu stiften.52 Daher kommt es weder auf den kommerziellen Erfolg noch auf eine überlegene Funktionsweise gegenüber anderen Erfindungen an; entscheidend ist allein, dass die Erfindung in beliebiger Weise, aber aktuell greifbar überhaupt funktioniert.53 Die Voraussetzung steht in engem Zusammenhang mit der Verpflichtung des Erfinders zur Offenbarung seiner Erfindung, die auch Angaben zu deren Benutzung umfasst.54
C. Verfahren vor dem USPTO
Auch die Verfahren vor dem USPTO sind vom Reformgesetzgeber zum Teil erheblich überarbeitet worden. Ihnen widmet sich der zweite große Teil des Beitrags.
I. Patenterteilungsverfahren
Das Patenterteilungsverfahren findet im Grundsatz nur zwischen dem Patentanmelder und dem USPTO statt; eine Beteiligung Dritter ist regelmäßig nicht möglich.
1. Patentanmeldung
Das Verfahren beginnt mit der schriftlichen Anmeldung des Patents beim USPTO durch den Erfinder oder mit dessen Vollmacht.55 Die Anmeldung muss eine Beschreibung (specification) enthalten, die mit einem oder mehreren Ansprüchen (claims) abschließt. Einzureichen sind ferner eine Zeichnung und die eidesstattliche Versicherung des Anmelders, dass er der echte und erste Erfinder ist.56
a) Beschreibung
Die Beschreibung muss sich auf die Erfindung sowie die Art und die Methode ihrer Entstehung und Benutzung beziehen. Sie muss so vollständig, klar, prägnant und exakt gefasst sein, dass ein Fachmann dieselbe Erfindung reproduzieren und benutzen könnte (enablement).57 Letzteres ist nicht der Fall, wenn eigene unangemessene Versuche (undue experimentations) angestellt werden müssen, um die Erfindung nachvollziehen oder nutzen zu können.58 Nach 35 U.S.C. § 112(a) ist es für eine hinreichende Offenbarung nicht ausreichend, dass der Anmelder eine Ausführungsform
41 35 U.S.C. § 102(b)(1)(A) i.d.F. durch sec. 3(b)(1) AIA.
42 Claessen, IPRB 2011, 280, 281. S. auch Takenaka, GRUR Int. 2012, 304, 311.
43 S. hierzu die Beispiele bei Janicke, GRUR Int. 2011, 887, 893 f.
44 Götting/Fikentscher (Fn. 27), Rn. 38; Mayer/Schlenk (Fn. 18), Rn. 381; Mueller (Fn. 25), S. 191.
45 Götting/Fikentscher (Fn. 27), Rn. 41; Mayer/Schlenk (Fn. 18), Rn. 421-437; Mueller (Fn. 25), S. 204. Näher zu den neuheitsschädlichen Tatbeständen unter C. II.
46 In re Foster, 343 F.2d 980, 988 (CCPA 1965). Mayer/Schlenk (Fn. 18), Rn. 424, bemerken zu Recht, dass dieses Verständnis im Widerspruch zu 35 U.S.C. § 103(a) steht, der ein Nichtnaheliegen zum Zeitpunkt der Erfindung fordert.
47 In re Robert v. Antle, 444 F.2d 1168, 1171 f. (CCPA 1971); In re Wood, 599 F.2d 1032, 1036 (CCPA 1979). In re Bigio, 381 F.3d 1320, 1325 (Fed. Cir. 2004); Innovention Toys v. MGA Entertainment, 637 F.3d 1314, 1321 (Fed. Cir. 2011) = GRUR Int. 2011, 873, 875; In re Klein, 647 F.3d 1343, 1348 (Fed. Cir. 2011).
48 KSR International v. Teleflex, 550 U.S. 398, 419-421 (2007).
49 In re Piasecki, 745 F.2d 1468, 1471 f. (Fed. Cir. 1984).
50 35 U.S.C. § 103 i.d.F. durch sec. 3(c) AIA.
51 S. auch Art. I, sec. 8, cl. 8 der Bundesverfassung: „To promote the progress of science and useful arts…“.
52 Juicy Whip v. Orange Bang, 185 F.3d 1364, 1366 (Fed. Cir. 1999).
53 Götting/Fikentscher (Fn. 27), Rn. 45; Mueller (Fn. 25), S. 238. S. auch Brenner v. Manson, 383 U.S. 519, 536 (1966): „[A patent] is not a reward for the search, but compensation for its successful conclusion. A patent system must be related to the world of commerce rather than to the realm of philosophy…“.
54 Vgl. 35 U.S.C. § 112(a); In re Brana, 51 F.3d 1560, 1564 (Fed. Cir. 1995): „Obviously, if a claimed invention does not have utility, the specification cannot enable one to use it.“
55 35 U.S.C. § 111(a)(1). 35 U.S.C. § 111(a) benennt die Anforderungen an eine Vollanmeldung. Der Anmelder kann sich auch für eine vorläufige Anmeldung gemäß 35 U.S.C. § 111(b) entscheiden. Die Darstellung soll sich im Folgenden aber auf das Verfahren nach sofortiger Vollanmeldung beschränken.
56 35 U.S.C. §§ 111(a)(2)(A)-(C), 112-115.
57 35 U.S.C. § 112(a).
58 In re Wands, 858 F.2d 731, 737 (Fed. Cir. 1988).
der Erfindung aufzeigt; vielmehr hat er die beste ihm bekannte Ausführungsform darzustellen (best mode). Diese Hürde soll verhindern, dass Erfinder die von ihnen als vorzugswürdig erkannten Gestaltungen der Erfindung vor der Öffentlichkeit verbergen.59 Zugleich wird das Erfordernis in der Literatur angegriffen, da es über die in der Verfassung genannten Ziele des Patentrechts hinausgehe,60 die Kosten und die Komplexität von Patentstreitigkeiten erhöhe und im internationalen Vergleich unüblich sei.61
Der Anmelder muss die von 35 U.S.C. § 112(a) geforderten Informationen zum Zeitpunkt der Patentanmeldung offen gelegt haben und kann nicht nachträglich neue Gegenstände (new matters) in das Verfahren einführen. Die Begründung hierfür ergibt sich einerseits aus 35 U.S.C. § 132(a), cl. 2, andererseits aber auch daraus, dass die Anmeldung des Patents als Verwirklichung des Erfindungsgedankens gilt62 und Priorität begründen kann; dies aber ist erst gerechtfertigt, wenn der Anmelder Angaben zur Verfügung stellt, die so vollständig sind, dass ein Fachmann die Erfindung in der vorgeschriebenen Weise nachvollziehen könnte.63
Im Zusammenhang mit 35 U.S.C. § 112(a) ist die Novellierung des 35 U.S.C. § 282(b)(3) durch den America Invents Act von Bedeutung.64 Zwar hat der Anmelder weiterhin die beste ihm bekannte Ausführungsform zu offenbaren, doch begründet die Missachtung des 35 U.S.C. § 112(a) insoweit keinen Verteidigungseinwand im Patentverletzungsverfahren mehr. Die Neufassung ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die meisten Patentrechte das best mode requirement nicht kennen. Im Patenterteilungsverfahren besteht das Erfordernis aber weiter, sodass die Änderung missglückt erscheint.65
b) Anspruch
Nach 35 U.S.C. § 112(b) hat der Anmelder seinen Patentanspruch genau darzulegen und deutlich geltend zu machen (definiteness requirement). Der Wortlaut ist auch deshalb mit Bedacht zu wählen, weil er den Schutzumfang des Patents maßgeblich determiniert.66 Ein Anspruch ist nur dann hinreichend bestimmt, wenn er es zusammen mit der Beschreibung einem Durchschnittsfachmann erlaubt, den Umfang des geltend gemachten Schutzes zu ermitteln.67
2. Patenterteilung und Beschwerde
Nach dem Eingang der Patentschrift hat der Patentprüfer zu untersuchen, ob die Anforderungen des 35 U.S.C. § 111(a) an Form und Inhalt der Anmeldung erfüllt wurden und die Schutzvoraussetzungen gemäß 35 U.S.C. §§ 101-103 vorliegen. Ist dies der Fall, ist das Patent zu erteilen.68 Anderenfalls sind die Ansprüche zurückzuweisen oder mit Einwänden oder Bedingungen zu versehen,69 woraufhin der Anmelder innerhalb einer Frist von sechs Monaten eine Nachprüfung begehren kann; lässt er diese Frist verstreichen, gilt die Anmeldung grundsätzlich als zurückgenommen.70 Weist der Patentprüfer die Ansprüche ein zweites Mal zurück, kann der Anmelder Beschwerde beim PTAB einlegen.71 Dieses hat die erstinstanzliche Entscheidung umfassend zu prüfen und kann diese bestätigen, aufheben, abändern oder zurückverweisen.72 Der Anmelder kann gegen eine für ihn ungünstige Entscheidung des PTAB Berufung beim CAFC einlegen73 oder – weniger gebräuchlich74 – Klage auf Patenterteilung beim zuständigen District Court erheben.75
II. Interference-Verfahren
1. Geltendes Recht
Besteht während des Patenterteilungsverfahrens Anlass für die Annahme, dass das angemeldete Patent mit einer anderen eingereichten Anmeldung oder einem Patent kollidiert, also im Wesentlichen die gleiche Erfindung betrifft, hat das USPTO nach 35 U.S.C. § 135(a), cl. 1, ein interference-Verfahren einzuleiten, um den ersten Erfinder zu ermitteln.76 Diese Feststellung richtet sich nach dem Ersterfinderprinzip danach, wann die betreffenden Erfindungen gemacht wurden. Hierfür wiederum ist sowohl der Zeitpunkt der Vollendung des Gedankens als auch der Zeitpunkt seiner Umsetzung in die Praxis von Bedeutung. Hat ein Erfinder eine Idee zwar zuerst entwickelt, ein anderer diese Idee aber schneller umgesetzt, so ist auch die Frage zu berücksichtigen, ob der Erstgenannte eine angemessene Sorgfalt bei der Realisierung seines Gedankens walten ließ.77 Da ein Anscheinsbeweis dafür streitet, dass es sich bei dem Erstanmelder auch um den ersten Erfinder handelt,78 obliegt der Beweis des Gegenteils dem späteren Anmelder.79 Das interference-Verfahren wird häufig als Beispiel für die Nachteile benannt, die mit der Anwendung des Ersterfinderprinzips einhergehen, da die Ermittlung des ersten Erfinders große Unsicherheiten birgt, Kosten verursacht und einige Zeit in Anspruch nehmen kann, während die Frage der Priorität in Staaten, die dem Anmelderprinzip folgen, keine vergleichbaren Probleme aufwirft.80
2. Änderungen durch den America Invents Act
Die Einführung des first–inventor–to–file-Systems macht das interference-Verfahren in Teilen überflüssig, ändert aber nichts daran, dass nur ein Erfinder berechtigt ist, die Erteilung eines Patents zu verlangen. Daher wird ein derivation–
59 In re Gay, 309 F.2d 769, 772 (CCPA 1962);In re Glass, 492 F.2d 1228, 1233 (CCPA 1974); Willis, 10 N.C. J.L. & Tech. 283, 298 (2009).
60 Vgl. Fn. 51.
61 Mueller (Fn. 25), S. 114 f.; Willis, 10 N.C. J.L. & Tech. 283, 299 (2009).
62 S. oben C. II. 1.
63 In re Glass, 492 F.2d 1228, 1232 (CCPA 1974).
64 Die Änderung trat am 16. September 2011 in Kraft und wirkt sich auf alle Verfahren aus, die an diesem Tag oder später eingeleitet wurden; s. sec. § 15(c) AIA.
65 Ebenfalls krit. Butler, Mitt. 2011, 441, 446: „zahnloser Tiger“; Janicke, GRUR Int. 2011, 887, 890.
66 Götting/Fikentscher (Fn. 27), Rn. 98; Mayer/Schlenk (Fn. 18), Rn. 214.
67 Orthokinetics v. Safety Travel Chairs, 806 F.2d 1565, 1576 (Fed. Cir. 1986).
68 35 U.S.C. § 131.
69 35 U.S.C. § 132(a), cl. 1.
70 35 U.S.C. § 133. Der Anmelder kann in seiner Antwort beispielsweise den Umfang seiner Ansprüche einschränken oder seine Beschreibung konkretisieren, jedoch darf er nach 35 U.S.C. § 132(a), cl. 2, keine neuen Gegenstände in das Verfahren einführen.
71 35 U.S.C. § 134(a) i.d.F. durch sec. 3(j)(1) AIA. Zum PTAB s. 35 U.S.C. § 6 i.d.F. durch sec. 7(a)(1) AIA.
72 Vgl. Götting/Fikentscher (Fn. 27), Rn. 76; Beier, GRUR Int. 1989, 1, 6.
73 35 U.S.C. § 141(a) i.d.F. durch sec. 7(c)(1) AIA.
74 Götting/Fikentscher (Fn. 27), Rn. 78.
75 35 U.S.C. § 145, cl. 1, i.d.F. durch sec. 3(j)(1) AIA.
76 Götting/Fikentscher (Fn. 27), Rn. 91; Mayer/Schlenk (Fn. 18), Rn. 791.
77 35 U.S.C. § 102(g), cl. 2.
78 S. oben C. II. 1.
79 Götting/Fikentscher (Fn. 27), Rn. 92; Mayer/Schlenk (Fn. 18), Rn. 812; Mueller (Fn. 25), S. 182.
80 Burk, IIC 2011, 627; Stedman, IIC 1971, 241, 249 f.
Verfahren geschaffen, mit welchem ein Erfinder geltend machen kann, dass die in einer früheren Anmeldung als Erfinder benannte Person die Erfindung nur abgeleitet und die Patentanmeldung ohne Einwilligung eingereicht hat.81 Ein solches Verfahren kann nur innerhalb eines Jahres nach der ersten Veröffentlichung eines Patentanspruchs, mit dem die gleiche oder eine im Wesentlichen gleiche Erfindung beansprucht wird, beantragt werden.82 Die Entscheidung im derivation-Verfahren ergeht durch das PTAB.83 Da Anmeldungen durch Nicht-Erfinder die Gerichte in der Vergangenheit nur selten beschäftigt haben, ist zu erwarten, dass die praktische Bedeutung des neuen Verfahrens gering sein wird.84
III. Reissue-Verfahren
Stellt sich nach der Erteilung des Patents heraus, dass dieses wegen Fehlern in der Beschreibung oder der Zeichnung oder infolge eines zu weit oder zu eng gefassten Anspruchs unbrauchbar oder ungültig ist, kann der Patentinhaber nach 35 U.S.C. § 251(a), cl. 1, durch Einreichung einer neuen Anmeldung die „Wiedererteilung“ (reissue) des Patents beim USPTO verlangen, wenn er ohne betrügerische Absicht gehandelt hat. Beansprucht werden darf nur die ursprünglich offenbarte Erfindung in korrigierter Fassung; neue Gegenstände können nicht in das Verfahren eingeführt werden.85
IV. Reexamination-Verfahren
Mit der ex parte reexamination und der inter partes reexamination stellte das Patentgesetz nach altem Recht zwei Verfahren bereit, mit denen jede Person zu jeder Zeit die nochmalige Überprüfung bereits erteilter Patente beim USPTO beantragen konnte, um die aufwendigere und kostenintensivere Inanspruchnahme der Gerichte (zunächst) zu vermeiden.86 Die ex parte reexamination, die noch immer im Gesetz vorgesehen ist, wird im Wesentlichen nur zwischen dem USPTO und dem Patentinhaber durchgeführt. Demgegenüber erlaubte die durch den America Invents Act umbenannte und stark überarbeitete inter partes reexamination die umfassende Beteiligung eines Dritten.
1. Frühere Rechtslage
Beiden Alternativen war gemeinsam, dass die Nachprüfung auf neue Erkenntnisse zum Stand der Technik, die sich aus einem Patent oder einer gedruckten Veröffentlichung ergaben, beschränkt war.87 Damit befasste sich die Behörde allein mit der Neuheit und der Erfindungshöhe der in Rede stehenden Erfindung erneut.88 Eine Nachprüfung wurde jeweils nur durchgeführt, wenn die vorgelegten oder andere Unterlagen eine wesentlich neue Frage der Patentierbarkeit (substantial new question of patentability) aufwarfen.89 Das USPTO sucht dieses unscharfe Kriterium, das der Verhinderung von Missbräuchen dient90 und für die ex parte reexamination noch immer Geltung beansprucht, dadurch zu konkretisieren, dass es nur solches Material genügen lässt, das ein vernünftiger Patentprüfer bei der Beurteilung der Patentfähigkeit für wichtig halten würde.91 In der Literatur wurden sowohl der beschränkte Prüfauftrag des USPTO als auch die Hürde der substantial new question of patentability kritisiert, da diese verhinderten, dass sich die behördliche Nachprüfung zu einer gleichwertigen Alternative zum gerichtlichen Streitverfahren entwickeln könne.92 Tatsächlich nahm die praktische Bedeutung der reexamination-Verfahren in den letzten Jahren zu, doch blieb die damit verbundene Entlastungswirkung gleichwohl hinter den Erwartungen zurück.93
Entscheidet sich der Dritte für das ex–parte-Verfahren, kann seine Identität vertraulich behandelt werden94 und er wird nur mit seinem Antrag und einer Erwiderung auf die erste Stellungnahme des Patentinhabers gehört.95 Der weitere Verfahrensgang richtet sich nach den Vorschriften über das Patenterteilungsverfahren,96 sodass dem Dritten eine weitergehende Einflussnahme nicht möglich ist. Auch kann er keine Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Patentamts einlegen.97
Wählte der Dritte hingegen das inter–partes-Verfahren, so wurde ihm der Schriftwechsel zwischen dem Patentinhaber und der Behörde zur Kenntnis gebracht und er konnte auf Erklärungen des Patentinhabers erwidern.98 Bestätigte das USPTO das Vorliegen der Schutzvoraussetzungen, konnte sich der Dritte hiergegen mit Beschwerde und Berufung zur Wehr setzen.99 Wurde die Patentfähigkeit unanfechtbar festgestellt, durfte sich der Dritte auf materielle Mängel, die er im Nachprüfungsverfahren geltend gemacht hat oder hätte machen können, in einem späteren Zivilprozess nicht mehr berufen (estoppel).100 Dieser Ausschluss war folglich auf den Einwand fehlender Neuheit und Erfindungshöhe beschränkt. Er wurde gleichwohl kritisch bewertet, da er zu weitgehend sei und Dritte von einer Nutzung des inter–partes-Verfahrens abschrecke.101
2. Änderungen durch den America Invents Act
Beide Verfahren waren in unterschiedlichem Maße von Änderungen durch den America Invents Act betroffen.
a) Ex parte reexamination
Das ex–parte-Verfahren wurde vom America Invents Act nur geringfügig berührt. Gemäß 35 U.S.C. § 301(a)(2) n.F. kann jede Person nunmehr nicht nur Patente und gedruckte Veröffentlichungen, sondern auch Stellungnahmen, die der Patentinhaber in einem Verfahren vor einem Bundesgericht oder beim USPTO abgegeben hat und welche eine Erklärung zur
81 35 U.S.C. § 135 i.d.F. durch sec. 3(i) AIA. Die Bestimmung tritt am 16. März 2013 in Kraft und ist auf alle Patentanmeldungen, die an diesem Tag oder später eingereicht werden, anzuwenden; s. sec. 3(n)(1) AIA.
82 35 U.S.C. § 135(a), cl. 3, i.d.F. durch sec. 3(i) AIA.
83 35 U.S.C. § 6(b)(3) i.d.F. durch sec. 7(a)(1) AIA.
84 Janicke, GRUR Int. 2011, 887, 894 f.
85 35 U.S.C. § 251(a); 37 C.F.R. § 1.173(a), cl. 2.
86 Götting/Fikentscher (Fn. 27), Rn. 87; Mueller (Fn. 25), S. 313; Janis, 10 Fordham Intell. Prop. Media & Ent. L.J. 481, 486 f. (2000).
87 35 U.S.C. §§ 301, 311(a) a.F.
88 Götting/Fikentscher (Fn. 27), Rn. 87; Mueller (Fn. 25), S. 315 f. Krit. zu dieser Beschränkung Janis, 10 Fordham Intell. Prop. Media & Ent. L.J. 481, 486 f. (2000).
89 35 U.S.C. §§ 303(a), 304, cl. 1, 312(a), 313, cl. 1, a.F. Krit. zu dieser Voraussetzung Janis, 10 Fordham Intell. Prop. Media & Ent. L.J. 481, 487 f. (2000)
90 In re Portola Packaging, 110 F.3d 786, 790 (Fed. Cir. 1997).
91 Vgl. USPTO, MPEP § 2242, I.
92 Janis, 10 Fordham Intell. Prop. Media & Ent. L.J. 481, 487 (2000).
93 Im Jahre 2011 wurden 759 Anträge auf Einleitung eines ex–parte-Verfahrens (2006: 643) und 374 Anträge auf Einleitung eines inter–partes-Verfahrens (2006: 126) gestellt; s. USPTO, Performance and Accountability Report 2011, S. 171, im Internet erhältlich unter http://www.uspto.gov/about/stratplan/ar/2011/USPTOFY2011PAR.pdf [zuletzt besucht am 17.11.2012].
94 35 U.S.C. § 301, cl. 3, a.F.; nunmehr 35 U.S.C. § 301(e) i.d.F. durch sec. 6(g)(1) AIA.
95 35 U.S.C. § 304, cl. 4.
96 35 U.S.C. § 305, cl. 1.
97 Götting/Fikentscher (Fn. 27), Rn. 88.
98 35 U.S.C. § 314(b) a.F.
99 35 U.S.C. § 315(b)(1) a.F.
100 35 U.S.C. § 315(c), cl. 1 a.F.
101 Mueller (Fn. 25), S. 321 f.; Janis, 10 Fordham Intell. Prop. Media & Ent. L.J. 481, 492-494 (2000).
Reichweite seiner Patentansprüche enthalten, beim Patentamt einreichen.102 Diese Informationen kann die Behörde bei der Prüfung von Patentansprüchen im Rahmen einer ex parte reexamination, eines inter partes review oder eines post-grant review berücksichtigen.103
b) Inter partes review
Die inter partes reexamination wurde durch die Gesetzesnovelle in inter partes review umbenannt.104 Die betreffenden Vorschriften gelten seit dem 16. September 2012 für alle Patente.105 Der Prüfungsumfang bleibt beschränkt.106 Der Antrag auf Verfahrenseröffnung darf aber erst neun Monate nach der Erteilung oder „Wiedererteilung“ des Patents oder nach dem Ende eines post–grant–review-Verfahrens gestellt werden.107
Der Dritte muss die angezweifelten Ansprüche des Patentinhabers genau benennen und die von ihm erkannten Mängel erläutern und belegen.108 Hierzu darf der Patentinhaber Stellung nehmen.109 Das USPTO leitet das Verfahren nur ein, wenn nach summarischer Prüfung des Begehrens eine „vernünftige Wahrscheinlichkeit“ dafür besteht, dass der Antrag im Hinblick auf mindestens einen Anspruch des Patentinhabers begründet ist.110 Dieser Maßstab unterscheidet sich begrifflich von der Schwelle der substantial new question of patentability. Inhaltlich sind aber keine Änderungen zu erwarten, da ein vernünftiger Patentprüfer auch bisher nur solche Erkenntnisse für wichtig gehalten haben dürfte, die eine Änderung des Prüfergebnisses wahrscheinlich erscheinen ließen.111
Das eröffnete Verfahren wird vor dem PTAB geführt.112 Der Patentinhaber hat nur einmal die Gelegenheit, eine Änderung seines Patents zu beantragen.113 Gegen eine Entscheidung des PTAB über die Gültigkeit des Patents können die Beteiligten sofort Berufung beim CAFC einlegen.114 Werden die Neuheit und die Erfindungshöhe endgültig bejaht, greift erneut eine estoppel-Regelung, die künftig auch für Verfahren vor dem Patentamt gilt.115
V. Änderung durch den America Invents Act: Post grant review
Der America Invents Act führte mit dem post-grant review ein neues Verfahren vor dem USPTO ein, mit welchem ein Dritter umfassend die Ungültigkeit eines Patents geltend machen kann.116 Die Vorschriften traten am 16. September 2012 in Kraft und betreffen im Grundsatz Patente, die am 16. März 2013 oder später angemeldet werden.117 Anders als bei den reexamination– oder dem inter–partes–review-Verfahren kann der Antragsteller alle Unwirksamkeitsgründe vorbringen, die er einem Kläger in einem Patentverletzungsverfahren entgegenhalten könnte, zum Beispiel die fehlende Bestimmtheit des Patentanspruchs oder die unzureichende Offenbarung der Erfindung.118
Der Antrag auf Einleitung des Verfahrens darf nicht später als neun Monate nach der Erteilung des Patents im Patenterteilungs- oder im reissue-Verfahren gestellt werden.119 Danach wird der Dritte auf das weniger umfangreiche inter–partes–review-Verfahren verwiesen. Die Anforderungen an den Antrag entsprechen denen, die beim inter partes review zu beachten sind.120 Das USPTO eröffnet das Verfahren, wenn eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ dafür besteht, dass mindestens ein Anspruch des Patentinhabers unwirksam ist.121 Ob die hierdurch geschaffene Schwelle oberhalb der „vernünftigen Wahrscheinlichkeit“ liegt, ist offen. Zuständig für die Durchführung des Verfahrens ist wiederum das PTAB,122 dessen Entscheidung vor dem CAFC angefochten werden kann.123 Steht die Gültigkeit des Patents endgültig fest, ist der Antragsteller daran gehindert, diese in anderen Verfahren vor dem Patentamt oder in einem Zivilprozess aus Gründen, die er im post-grant–review-Verfahren geltend gemacht hat oder hätte geltend machen können, noch einmal in Frage zu stellen.124
Die Einführung des post-grant–review-Verfahrens ist grundsätzlich positiv zu bewerten, da Wettbewerber künftig selbständig eine umfassende Prüfung fremder Patente veranlassen können und sich nicht länger auf einen Patentverletzungs- oder Feststellungsprozess verweisen lassen müssen. Hierdurch wird eine Chancengleichheit auch im Verwaltungsverfahren hergestellt. Befürchtet wird aber, dass vermögende Marktteilnehmer das Instrument ausnutzen, um schlechter situierte Konkurrenten in umfassende Nachprüfungsverfahren zu verwickeln, die mit Unsicherheiten und Kosten verbunden sind und nicht auf die Schutzdauer angerechnet werden.125
V. Änderung durch den America Invents Act: supplemental examination
Für den Patentinhaber wurde zudem die Möglichkeit geschaffen, eine ergänzende Prüfung seines Patents beim USPTO zu beantragen, um die erstmalige oder erneute Berücksichtigung oder Korrektur von Informationen, die er für relevant hält, herbeizuführen.126 Die Vorschrift gilt seit dem 16. September 2012 für alle Patente.127 Der Vorteil des Verfahrens für den Patentinhaber ergibt sich aus 35 U.S.C. § 257(c)(1), cl. 1, n.F.: Eine Angabe, die im Patenterteilungsverfahren nicht oder nur mangelhaft berücksichtigt wurde oder falsch war, später aber in eine ergänzende Prüfung einbezogen wurde, kann nicht Grundlage für den Einwand der Undurchsetzbarkeit des Patents im Patentverletzungsprozess sein. Im Hintergrund dieser Regelung steht die ständige Rechtsprechung, wonach Patente undurchsetzbar im Sinne von 35 U.S.C. § 282(b)(1) werden, wenn sich der Patentan-
102 Die Vorschriften gelten seit dem 16. September 2012 für alle Patente; s. sec. 6(g)(3) AIA.
103 35 U.S.C. § 301(d), cl. 1, i.d.F. durch sec. 6(g)(1) AIA.
104 Sec. 6(a) AIA.
105 Sec. 6(c)(2)(A) AIA.
106 Vgl. 35 U.S.C. § 311(b) i.d.F. durch sec. 6(a) AIA.
107 35 U.S.C. § 311(c) i.d.F. durch sec. 6(a) AIA.
108 35 U.S.C. § 312(a)(3) i.d.F. durch sec. 6(a) AIA.
109 35 U.S.C. § 313 i.d.F. durch sec. 6(a) AIA.
110 35 U.S.C. § 314(a) i.d.F. durch sec. 6(a) AIA.
111 A.A. Ohly, 23 Intell. Prop. & Tech. L.J. 3, 5 (2011), der mit der neuen Formulierung eine Erhöhung der Hürde verbindet.
112 35 U.S.C. § 316(c) i.d.F. durch sec. 6(a) AIA.
113 35 U.S.C. § 316(d)(1) i.d.F. durch sec. 6(a) AIA. Es ist dem Patentinhaber aber nicht gestattet, seine Ansprüche zu erweitern oder new matter einzuführen; s. 35 U.S.C. § 316(d)(3) i.d.F. durch sec. 6(a) AIA.
114 35 U.S.C. § 319, cl. 1, i.d.F. durch sec. 6(a) AIA.
115 35 U.S.C. § 315(e) i.d.F. durch sec. 6(a) AIA.
116 35 U.S.C. §§ 321-329 i.d.F. durch sec. 6(d) AIA.
117 Sec. 6(f)(2)(A) AIA.
118 Janicke, GRUR Int. 2011, 887, 888.
119 35 U.S.C. § 321(c) i.d.F. durch sec. 6(d) AIA.
120 35 U.S.C. § 322(a)(3) i.d.F. durch sec. 6(d) AIA.
121 35 U.S.C. § 324(a) i.d.F. durch sec. 6(d) AIA. Das Verfahren kann gemäß 35 U.S.C. § 324(b) i.d.F. durch sec. 6(d) AIA auch eingeleitet werden, wenn der Antrag eine neue oder ungeklärte Rechtsfrage, die auch für andere Patente oder Patentanmeldungen wichtig ist, aufwirft.
122 35 U.S.C. §§ 326(c) i.d.F. durch sec. 6(d) AIA.
123 35 U.S.C. § 329, cl. 1, i.d.F. durch sec. 6(d) AIA.
124 35 U.S.C. § 325(e) i.d.F. durch sec. 6(d) AIA.
125 Janicke, GRUR Int. 2011, 887, 888 f.
126 35 U.S.C. § 257 i.d.F. durch sec. 12(a) AIA.
127 Sec. 12(c) AIA.
melder im Patenterteilungsverfahren unlauter verhält, weil er absichtlich Informationen verheimlicht oder falsch wiedergibt (inequitable conduct).128 Diesem drohenden Verteidigungseinwand kann der Patentinhaber künftig durch die ergänzende Prüfung begegnen, sofern sein Verhalten insbesondere nicht den Ausschlussgrund der erheblichen Täuschung erfüllt.129 Nach dem Eingang des Antrags untersucht der Patentprüfer, ob die Angaben des Patentinhabers eine wesentlich neue Frage der Patentierbarkeit beinhalten. Ist dies der Fall, wird eine Nachprüfung nach den Vorschriften über die ex parte reexamination vorgenommen.130
D. Fazit
Der America Invents Act führt in weiten Teilen eine Annäherung des US-Patentrechts an die Patentrechte anderer Staaten herbei, lässt die Bemühungen aber zuweilen unfertig wirken. So wurde mit dem first–inventor–to–file-System ein „Hybrid“131 geschaffen, das weder dem traditionellen Ansatz im amerikanischen Recht noch dem Verständnis in anderen Staaten der Welt folgt. Auch bleiben das best mode requirement (mit zweifelhaftem Gehalt) und die Neuheitsschonfrist bestehen. Mit dem post-grant review wurde den Wettbewerbern ein Instrument zur umfassenden Prüfung fremder Patente an die Hand gegeben, das dem US-Patentrecht viel von seiner oft beklagten Einseitigkeit zugunsten des Erfinders nimmt. Auf kurze Sicht nimmt die Komplexität des US-Patentrechts durch das Nebeneinander von first–to–file– und first–inventor–to–file-System und die unterschiedlichen Zeitpunkte des Inkrafttretens der neuen Vorschriften noch zu. Auch fallen hohe Kosten für die Umstellung an.132 Auf mittlere Sicht führt die Annäherung aber zu einer Erhöhung des gegenseitigen Verständnisses und zu einer Senkung der Ausgaben. Auf lange Sicht ist zu hoffen, dass der US-Gesetzgeber den Kurs zur weiteren Harmonisierung hält, um die Unterschiede zu den Patentrechten anderer Nationen, die mitunter gerade auch zulasten der amerikanischen Erfinder gehen, weiter abzubauen.
128 Digital Control v. The Charles Machine Works, 437 F.3d 1309, 1313 (Fed. Cir. 2006); Dippin’ Dots v. Mosey, 476 F.3d 1337, 1345 (Fed. Cir. 2007).
129 Vgl. 35 U.S.C. § 257(e), cl. 1, i.d.F. durch sec. 12(a) AIA.
130 Der Patentinhaber hat aber kein Recht zur Stellungnahme, s. 35 U.S.C. § 257(b), cl. 1, 2, i.d.F. durch sec. 12(a) AIA.
131 Burk, IIC 2011, 627, 628.
132 Burk, IIC 2011, 627, 628; Claessen, IPRB 2011, 280, 283; Leip, Börsen-Zeitung v. 28.12.2011, S. 2.